Patriarchat und Hymenkult

Eine starke Überbewertung der Jungfräulichkeit
findet man nur in den Gemeinschaften,
die ihre Frauen wie einen Besitz behandeln.
E. Wexberg

Das Jungfernhäutchen und das Bluttabu

Als weiteres Ergebnis der patriarchalen Revolution entwickelte sich bei der Frau durch geschlechtliche Auswahl das Jungfernhäutchen, das sie nur mit dem Elefanten, dem Esel und dem Schwein gemeinsam hat. Wie die weibliche Beschneidung, so ist auch das Jungfernhäutchen nur in bestimmten, sehr begrenzten Gebieten der Welt wichtig, vor allem in semitischen und christlichen Ländern. Je weiter ein Brauch oder Glaube verbreitet ist, desto älter ist er. Die räumliche Beschränkung der weiblichen Beschneidung und des Hymenkultes beweisen also, daß diese Bräuche verhältnismäßig jung sind.
Von Seeleuten, Missionaren und anderen Reisenden ist seit langem festgestellt worden, daß Mädchen primitiver Gesellschaften bereits in sehr jungem Alter kein Jungfernhäutchen mehr besitzen. Man nahm an und glaubt auch immer noch, daß all diese Mädchen ihre Jungfräulichkeit durch Geschlechtsverkehr in sehr jungem Alter verloren hätten, was auf die zügellose Sexualität der »Eingeborenen« hinweise.
Die Mädchen verloren ihre Jungfräulichkeit jedoch nicht durch den Geschlechtsverkehr, sondern sie wurden in jungen Jahren absichtlich defloriert. In China, Japan, Siam, Kambodscha, auf den Molukken, Philippinen und den umliegenden Inseln »wurde das Jungfernhäutchen in früher Kindheit von einer alten Frau durchstoßen, die eigens hierfür geholt wurde.«[1] Bei den Toda kommt ein Mann eines anderen Stammes ins Dorf und entjungfert alle jungen Mädchen, die in die Pubertät kommen,[2] das bedeutet also hier mit etwa 8 Jahren. Diese Entjungferung »muß vor der Pubertät stattfinden, und wenige Dinge sind schmachvoller, als wenn diese Zeremonie verzögert wird«.[3] Im Fernen Osten und auf den Pazifischen Inseln existiert das Jungfernhäutchen als Fetisch offensichtlich nicht, was sicherlich der Fall wäre, wenn das Jungfernhäutchen und der Hymenkult eine wirklich alte Überlieferung wären. Die Verehrung des Jungfernhäutchens ist auf die wenigen Völker beschränkt, denen das Patriarchat regelrecht mit Rachegefühlen aufgezwungen wurde - also auf die semitischen Völker des Nahen Ostens und deren kulturelle Nachkommen des späteren christlichen Europas.
Das Jungfernhäutchen ist ein erworbener Zusatz. Genauso wie Gestalt und Größe des Penis das Ergebnis geschlechtlicher Auswahl seitens der prähistorischen Frauen war, so ist auch das Hymen durch Auswahl seitens der patriarchalen Männer in geschichtlicher Zeit entstanden. Als der Begriff der Vaterschaft zu der Vorstellung vom Vaterrecht und Eigentumsrecht führte, wählten die Männer ihre Geschlechtspartnerin aus, und die Jungfräulichkeit erhielt besonderen Wert. »Das Jungfernhäutchen schien ein spät erworbenes Merkmal des weiblichen Geschlechts zu sein, das aus der geschlechtlichen Auslese des besitzdenkenden Mannes entstanden ist,« schreibt Eisler, »und zwar nach dem Übergang von matriarchalen zu patriarchalen Wertvorstellungen,« und deshalb zu einem sehr späten Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte.[4]
Die Entwicklung des Hymen führte, so sehr sie auch von Männern gebilligt und gefördert wurde, bei ihnen zu neuen Problemen, neuen Tabus, und neuer Schuld in ihren Beziehungen zu den Frauen. Das weibliche Blut war seit Anbeginn der Geschichte ein besonderes Tabu. Das Menstruations- und Nachgeburtsblut wie auch das venöse und Arterienblut der Frau war überaus heilig und mußte unter- allen Umständen gemieden werden. Nun aber wurde es nötig, das Blut des Jungfernhäutchens beim Geschlechtsakt zu vergießen. So war der Mann von allen Seiten von diesem geheimnisvollen und gefährlichen Wesen, der Frau, bedrängt.
Daß viele patriarchale Völker die Jungfrauen gezwungen haben, ihre Jungfernhäutchen dem Gott darzubringen, kann auch Vergeltung für die Haufen von Vorhäuten, Penissen und Hoden gewesen sein, die die Männer in vergangenen Zeiten über die Göttin geschüttet hatten. In nahezu allen frühen patriarchalen Gesellschaften wurde der erste Geschlechtsverkehr der Jungfrau  als  ein  Opfer  ausgeführt,  durch  den  Gott  selbst in Gestalt des Priesters oder irgendeines Fremden oder Wanderers, der sie im Tempel auswählte. Die Nachkommen solcher Vereinigung sah man als Söhne des Gottes an, besonders dann, wenn sie später große Helden wurden. So hielt sich Theseus für den Sohn Poseidons, da sich seine Mutter Aethra im Poseidontempel zu Troezen hingegeben hatte, und Romulus war der Sohn des Mars, da seine Mutter Rhea Silvia im Tempel des Mars in Alba Longa schwanger wurde. Herkules, der Held der Helden, war natürlich der Sohn des Königs der Götter, der Sohn des Zeus, der seine Mutter Alkmene im Zeustempel zu Theben begattet hatte.
Die Zerstörung des Jungfernhäutchens wurde als Gottesopfer angesehen, das der Opferung der Vorhaut an die Göttin beim Beschneidungsritus vor langer Zeit gleicht.
Herodot gibt uns ein anschauliches Bild der Tempelprostrtution, deren Zeuge er in Babylon im 5. Jahrhundert v. Chr. war.[5] Der naive Reisende unternahm keinen Versuch, um hinter die Bedeutung dieses Brauchs zu kommen. Strabo berichtete im ersten Jahrhundert, daß die armenischen Jungfrauen ihre Jungfernhäutchen dem Gott Amiatus darboten; im patriarchalen Indien wurde das Jungfernhäutchen selbst als Verzierung des heiligen Lingam-Idols hingegeben. Wir wissen, daß unter den Matronen des Römischen Reiches der Brauch herrschte, sich auf den eregierten Phallus des Priapus zu setzen - doch ist dies nicht im eigentlichen Sinne ein Opfer des Jungfernhäutchens, denn es handelte sich um einen Fruchtbarkeitsglauben, da Priapus wie der Hl. Foutin die Kraft besaß, Frauen fruchtbar zu machen.
Im 18. Jahrhundert wohnte Cook in der Südsee einer Zeremonie bei, in der eine zehnjährige Jungfrau öffentlich vom Stammeshäuptling entjungfert wurde. Doch war dies nicht, wie Cook annahm, ein Ritus zur Opferung des Jungfernhäutchens, sondern eine therapeutische Maßnahme, damit das Mädchen heiratsfähig wurde, denn bei matriarchalen Völkern hatte das Jungfernhäutchen keinen großen Wert. »Es wird auf die Jungfräulichkeit so wenig Wert gelegt, daß die Defloration als unterwürfiger Dienst betrachtet wird, und auf Mädchen, die das Jungfernhäutchen über die Pubertät hinaus behalten, wird herabgesehen.«[6] In vielen Kulturen herrschte der Brauch, die Braut von einem Dritten entjungfern zu lassen, in einigen Fällen durch den Priester, in einigen durch eine Hebamme und bei einigen heute existierenden primitiven Gesellschaften durch die Schwester oder den Vater der Braut. [7] (Das mittelalterliche Recht der ersten Nacht, bei dem die Braut vom Gutsherrn entjungfert wurde, war kein grausames Ansichreißen des »Rechts« des Ehemanns, wie von heutigen Soziologen angenommen wird, sondern ein Fortbestehen des Brauchs, die Gefahr des Hymenblutes vom Ehemann abzuwenden und auf jemanden zu übertragen, der besser in der Lage war, der Gefahr standzuhalten.)
»Der Zweck des Brauchs besteht eindeutig darin, die Gefahr vom Ehemann abzuwenden,« schreibt Crawley.[8] Doch in seinem »Tabu der Jungfräulichkeit« führt Freud den Brauch der Defloration durch den Vater auf den »Elektra-Komplex« zurück, unter dem, genauso wie unter dem Penisneid, angeblich alle Mädchen leiden: das heißt, unter dem Wunsch, von ihrem Vater vergewaltigt zu werden. »Diese primitive Sitte,« schreibt Freud, »scheint dem frühen sexuellen Wunsch (dem Wunscn, vom Vater vergewaltigt zu werden) durch die Übertragung der Aufgabe der Defloration wenn nicht auf den Vater, so auf eine Respektsperson, den Priester oder einen heiligen Mann, d.h. einen Ersatzvater, Rechnung zu tragen.«[9]
Doch leider - und darin liegt ihr einziger Fehler - ist diese Hypothese unhaltbar. Abgesehen davon, daß das Mädchen die sie deflorierende Person nicht auswählt. Der eigentliche Grund für diese voreheliche Defloration, egal von wem sie vorgenommen wird, geht auf die uralte Angst des Mannes vor der Frau zurück und davor, ihr Blut zu vergießen. »Bei der Defloration einer Jungfrau ist die dabei entstehende Angst nicht nur die Angst vor der Frau allgemein, sondern auch davor, ihr Blut zu vergießen.«[10]
Der Mann versuchte also, sich den Folgen dieses Blutvergießens, das durch seine eigene sexuelle Selektion entstanden war, zu entziehen. Der Mann litt schon unter einer alten Schuld, der Empfindung der Erbsünde, eine Folge der Unterwerfung der Göttin, dadurch daß er sich über sie hinweggesetzt hatte und Tiere tötete und verzehrte. Die Göttin hatte zu allen Zeiten jedes Blutvergießen, auch das Vergießen von Tierblut verboten. In der griechischen Legende begann der Mensch erst im frühen Bronzezeitalter, der Zeit der patriarchalen Revolution, die den langen Jahrtausenden des Goldenen und des Silbernen Zeitalters des Matriarchats folgte, damit, Fleisch von Tieren zu essen. Und in Die Legende der Juden verlegt Ginzberg diese Neuerung des Fleischessens in die Zeit der Nachkommen Noahs - nach der Sintflut im fünften Jahrtausend v. Chr.: »Gott erteilte Noah und seinen Nachkommen nach der Sinflut die Erlaubnis, sich vom Fleisch der Tiere zu ernähren, was bis dahin seit Adams Zeiten verboten gewesen war.«[11]
Möglicherweise wurde das Essen von Fleisch als Folge der großen Katastrophe, von der die Welt damals heimgesucht wurde, eine Notwendigkeit. Der Mythos von Kain und Abel weist, wie wir in einem der vorhergehenden Kapitel dargelegt haben, auf eine große Trockenheit und eine Knappheit an Feldfrüchten hin. Die Geschichte Kains ist ein zeitlich falsch angesiedeltes Gleichnis für die grundlegenden Veränderungen in der Lebensweise der Menschen vom vegetarischen, Ackerbau betreibenden Matriarchat zum jagenden, Beute machenden, nomadisierenden Patriarchat.
Die Einführung von Opfern war eine Folge der männlichen Scham- und Schuldgefühle wegen dieser umwälzenden Neuerungen. Während die Göttin mit Gaben von Früchten und Gemüse[12] und den Vorhäuten beschnittener Männer zufrieden gewesen war, forderte der neue männliche Gott Blutopfer. »Als der sich von Pflanzen ernährende Mensch zum Fleischfresser wurde,« schreibt Eisler »fühlte er sich zur Wiedergutmachung seiner Schuld dazu verpflichtet, den neuen Göttern Tieropfer und sogar Menschenopfer darzubringen.«[13] Das bei diesen Opfern vergossene Blut war männliches Blut und das Opfer selbst ein schamhaft gehütetes Geheimnis zwischen dem blutvergießenden Mann und seinen blutrünstigen Göttern.
Das Blut der Frau blieb streng geheiligt. Selbst nachdem die Göttinnenverehrung und das Matriarchat abgeschafft waren, durfte Frauenblut nicht vergossen werden. Man konnte sie ersticken, vergiften, ertränken, verbrennen oder in Öl kochen, aber kein Tropfen ihres Blutes durfte vergossen werden! Als im mittelalterlichen christlichen Europa die Menschen den atavistischen Grund für den Fluch des Frauenblutes nicht mehr kannten, wurden Frauen nie geköpft oder geschleift und gevierteilt wie Männer: Verbrennung bei lebendigem Leibe war die herkömmliche Exekution von Frauen. Ein berühmter Inquisitor, dem der wahre Grund nicht bekannt war, antwortete auf die Frage, warum man Frauen so behandele, »ein blutloser Tod sei für Frauen angemessener«! Paracelsus, der berühmte Arzt des 16. Jahrhunderts, gab den alten Glauben an die geheimnisvolle Heiligkeit des weiblichen Blutes wieder, als er in seinem Buch über Krankheiten schrieb: »Nur ein gewöhnlicher Tölpel meint, das Blut einer Frau sei dasselbe wie das eines Mannes. Es ist aus anderem, aus geistigem Stoff, und edler als das des Mannes.«[14]
So entstand aus dem Blutvergießen beim Geschlechtsakt das mit der Sexualität verbundene Schuldgefühl, das zur anderen großen Schuld noch hinzukam: dem Fleischgenuß und der Absetzung der Göttin. »Mit Sexualität verbundene Schuldgefühle hätten,« schreibt Eisler, »im matriarchalen Zustand nicht bestehen können, als der besitzgierige Patriarch noch nicht aus einer zufälligen, hochgeschätzten Mutation durch Zucht eine Art von Mädchen geschaffen hatte, die ein Jungfernhäutchen besaß, eine anatomische Absonderlichkeit, die mit Schwimmhäuten zu vergleichen wäre, und die seitdem mit weiblicher Ehre gleichgesetzt wurde.«[15]
Mit dem Fortschreiten der patriarchalen Revolution begann jedoch das Schuldgefühl beim Blutvergießen zu verblassen, und der Mann wurde mehr und mehr davon überzeugt, daß er tatsächlich der Herr aller Schöpfung war. In dem Maße, wie er an Selbstvertrauen und Macht gewann, wurde das hymen intacta maßgebend für die geschlechtliche Auswahl. Der männliche Nachdruck auf die unbedingte Jungfräulichkeit der heiratsfähigen Frau führte schließlich zu solch üblen Handlungsweisen wie der Infibulation der Frau und dem Gebrauch des Keuschheitsgürtels. Im patriarchalen christlichen Europa wurde das Jungfernhäutchen so wichtig, daß man von der zukünftigen Braut erwartete, sich von den Verwandten ihres Verlobten eingehend untersuchen zu lassen, bevor sie in dessen Familie aufgenommen wurde. Bei bedeutenden adligen Familien wurde diese schimpfliche Untersuchung von priesterlichen Vertretern des Papstes durchgeführt. Von dieser Überprüfung schrieb der berühmte französische Naturforscher Georges Louis Buffon im 18. Jahrhundert: »Tatsächlich geht der körperliche Beweis für die Jungfräulichkeit oft bei der eigentlichen Suche nach ihr verloren. Und die Schmach, die das arme und sittsame Mädchen aus Scham zum Erröten bringt, ist die wirkliche Defloration ihrer Reinheit.«[16]
Die geschlechtliche Auswahl nach dem Jungfernhäutchen brachte schließlich einige vornehme Damen mit Hymen hervor, die undurchdringlich waren und sie deswegen zu ständigen unfreiwilligen Jungfrauen machten, wie das vielleicht bei Königin Elisabeth I., der Jungfrau-Königin von England der Fall war.

Infibulation

Der Hymenkult führte schließlich zur Infibulation von Frauen und Mädchen. »Die Infibulation von Stuten«, sagt Eric Dingwall, »ist Tierärzten seit langem bekannt gewesen, und zwischen dieser und der gleichen Handlung bei Frauen besteht kein Unterschied. Die zwei stimmen genau überein und bestehen darin, daß die großen Schamlippen durch einen Ring, eine Spange oder ein Vorhängeschloß zusammengehalten werden.«[17]
Die von Dingwall beschriebene Infibulation war die christlicheuropäische Art, die milde und gnädig war im Vergleich zur semitischen, die in den arabischen Ländern Afrikas und Asiens gehandhabt wurde. Nach Mantegazza war es »einer der ersten christlichen Könige, der dieses Verfahren als erster nach Nubien brachte«.[18] Doch nach den Kreuzzügen schrieb man die Infibulation, als sie zusammen mit dem Keuschheitsgürtel aus dem Orient zurückkam, den mohammedanischen »Ungläubigen« zu, von denen die Kreuzfahrer sie, ohne Zweifel zu ihrem Vergnügen, kennengelernt hatten.
Die europäische Art der Infibulation war, wenn sie durchgeführt wurde, sicher schmerzhaft, und nachher sehr unbequem. Noch im Jahre 1871, vor hundert Jahren, klagte eine europäische Frau bei ihrem Arzt darüber, daß das Gewicht des Vorhängeschlosses, das ihr Mann ihr angelegt hatte, an ihren Schamlippen zöge und große Schmerzen und Blutungen hervorrufe. Bei der Untersuchung entdeckte der Arzt, daß der Gatte Löcher in die Schamlippen gebohrt und durch diese zwei Ringe geführt hatte, ähnlich Vorhangsringen, die er dann zusammengezogen und sicher mit einem Vorhängeschloß abgesperrt hatte.[19] Von einem ähnlichen Fall bei einem deutschen Einwandererehepaar wurde in New York im Jahre 1894 berichtet, von einem weiteren in Osteuropa im Jahre 1906.[20]
Die Maßnahme war in Europa wahrscheinlich viel verbreiteter als man gewöhnlich annimmt, denn die wenigen Fälle, die ans Licht kamen, wurden rein zufällig entdeckt. Das Zunähen der Schamlippen vor der Scheidenöffnung, von dem wir im Zusammenhang mit der weiblichen Beschneidung gesprochen haben, kam vereinzelt ebenfalls in Europa vor, obwohl wahrscheinlich weniger häufig als die Infibulation.
Im ganzen entkamen die europäischen Frauen der grausamsten Art der Infibulation, die darin bestand, die Schamlippen wund170 zukratzen, um sie dann über der Vagina zusammenwachsen zu lassen. Dieser Quälerei waren junge Mädchen in den mohammedanischen Ländern Afrikas und Asiens ausgeliefert, um das Jungfernhäutchen vor gelegentlichem unerlaubtem Geschlechtsverkehr zu schützen. Die qualvolle Operation wurde und wird wahrscheinlich immer noch an kleinen Mädchen ohne Betäubung ausgeführt. Mantegazza gibt uns hierüber einen Augenzeugenbericht aus dem 19. Jahrhundert:

»Die Infibulation geschieht folgendermaßen: Die großen Schamlippen werden innen mit einem Rasiermesser aufgekratzt, und dann wird in den Harnleiter ein kleiner Trichter wie ein Katheter eingeführt, damit der Urin abgelassen werden kann. Danach werden die Füße zusammengebunden und die Beine von den Knöcheln bis zur Mitte der Oberschenkel umwickelt, um diese so dicht zusammenzuhalten, daß die großen Schamlippen miteinander verwachsen. 8 Tage muß die Patientin liegen bleiben; danach darf sich das Mädchen erheben. Doch für weitere 8 Tage muß es Füße und Oberschenkel fest zusammenhalten, damit die Schamlippen nicht wieder auseinanderreißen. Wenn alles verheilt ist, bleibt nur noch eine kleine Öffnung für Urin und Menstruationsblut. Wenn ein infibuliertes Mädchen heiraten will, bewaffnet sich die Hebamme mit einem Messer und schlitzt, bevor die Braut ihrem Gatten übergeben wird, die Narbe so weit auf wie es nötig ist, wobei sie sich die Aufgabe vorbehält, den Schnitt vor der Geburt zu vergrößern, damit durch die Enge das Austreten des Kopfes nicht behindert wird. Im Pegu-Gebiet werden die Mädchen in der Kindheit auf eine Weise zugenäht, daß nur noch ein kleines Loch bleibt, und wenn sie heiraten, macht der Bräutigam die Öffnung so groß wie sie für ihn paßt. Dabei läßt er oft die Fäden an Ort und Stelle, so daß er sie vor einer langen Reise wieder verknoten kann.«[21]

Von dieser barbarischen und herzlosen Grausamkeit gegenüber den Frauen, die unter dem Vorwand ausgeführt wurden, sie keusch zu halten, hatte man in den Kulturen Griechenlands, Roms und Persiens vor Christus, vor Jehovah und vor Allah nicht einmal geträumt. Denn wenn man sich in jenen Ländern nicht auf die Tugend einer schwachen Frau verlassen konnte, so wurde nicht diese gequält, sondern die Männer ihrer Umgebung. Deren Penis wurde einfach weggeschnitten. Hier besteht eine Über ein Stimmung mit der gegenwärtigen Verfahrensweise bei der Geburtenkontrolle. Denn in christlichen Ländern werden im Namen der Bevölkerungskontrolle Gesundheit, Annehmlichkeit und Sicherheit der Frau geopfert, während im nichtchristlichen Indien die Männer sterilisiert werden.

Der Keuschheitsgürtel

In Europa wandte man die Infibulation in den unteren Gesellschaftsschichten an, den Keuschheitsgürtel hingegen in den oberen, »die sich solchen Luxus leisten können, und die sich dessen bewußt sind, daß körperliche Grausamkeit stärker bestraft wird als seelische«.[22] Sicherlich verursachte der Keuschheitsgürtel viel weniger Schmerzen als die Infibulation, aber seine Beschwerlichkeit und Lästigkeit, ganz zu schweigen von seiner Erniedrigung, kamen der Infibulation ganz und gar gleich.
Die Idee des Keuschheitsgürtels wie die der Infibulation war von den Kreuzfahrern aus dem semitischen Osten eingeführt worden und wurde in Europa vom 13. Jahrhundert an zu einer Marotte.
Der Gegenstand war ein eisernes oder silbernes Korsett mit einem sich zwischen den Beinen hindurchbiegenden, fest anliegenden Metallstreifen, der mit einem von Reihen scharfer Zähne umgebenen Loch versehen war. In dieses Marterwerkzeug war die Frau eingeschlossen, und den Schlüssel trug nur der Ehemann. Es war schon schlimm genug, wenn der Mann zu Hause war, um die Vorrichtung gelegentlich zu öffnen und der armen Frau zu erlauben, sich zu erleichtern und zu waschen. Aber der Schmutz, der sich in den Zeiten ansammelte, wenn der Herr und Meister für Monate, ja gar Jahre im Krieg war, ist kaum vorstellbar. Viele mittelalterliche Frauen stürzten sich aus Verzweiflung über die ständige, durch diese Erfindung der Frauenfeinde hervorgerufene Pein von den Burgzinnen.
Henry Fleury, der im Jahre 1860 im Herzogspalast in Venedig den Keuschheitsgürtel zu Gesicht bekam, den im 14. Jahrhundert der Herzog von Carrara seiner Frau aufgezwungen hatte, schrieb (in En Italie, 1861): »Diese abscheuliche Vorrichtung war aus der wütenden Eifersucht eines Ehemannes heraus entstanden, um die eheliche Treue seiner Frau zu garantieren, und jede, die davon   betroffen war, wurde zum Opfer einer andauernden, wahrhaft fürchterlichen Qual.«[23]
Der  Abbe  de Brantome bemerkt in seinem  Buch aus dem sechzehnten Jahrhundert, daß der Keuschheitsgürtel aus Italien nach Frankreich kam, wo im Mittelalter ein Bürgermeister von Padua   einen   eisernen   Keuschheitsgürtel  erfunden   hatte,   »der den gesamten Unterkörper seiner Frau einschloß«. In Frankreich kursierte einige Jahre später, während der Herrschaft Franz I, ein bekanntes Lied, das von solch einem alles einschließenden Gürtel handelte, wie Brantome berichtet:

Der Mann, der seine Frau abhalten wollte,
daß sie weiterhin huren sollte,
müßte sie im Faß verschließen ein Leben lang,
und durch das Spundloch befriedigen seinen Drang.[24]

Aus  seiner  eigenen   Zeit,  der  Herrschaft  Heinrichs  IL,  berichtet  Brantome  von  einem  Vorfall,  der sich auf dem Jahrmarkt von Saint Germain zu Paris ereignet hatte, als ein Eisenhändler »ein Dutzend Gegenstände« zum Verkauf anbot, »um die Genitalien der Frau  zu zäumen«. Einige eifersüchtige Ehemänner kauften  sie  auf und gingen sofort daran, ihre  Frauen darin  einzuschließen. Unglücklicherweise waren mehrere dieser Damen vom Hofe, wo die Keuschheit bei Frauen  nicht mehr gefragt war. Deshalb »drohte eine Anzahl ehrenwerter Adeliger dem Eisenhändler,   ihn zu   töten,   sollte   er  jemals   wagen, solche   verdammten   Dinge   wieder   auf   den   Markt   zu   bringen«.[25]
Brantome beschreibt die Erfindung des Eisenhändlers »als einen Eisengürtel mit einem Eisenstück, das unten herumführte und fest verschlossen wurde; er war dermaßen sorgfältig hergestellt, daß es für. eine Frau, die so aufgezäumt war, nicht mehr in Frage kam, sich dem zärtlichen Vergnügen hinzugeben, denn es gab nur ein paar kleine Löcher zum Pinkeln.«[26]
Dieses Beispiel des Keuschheitsgürtels stammt aus dem 16. Jahrhundert. Dreihundert Jahre später, im Jahre 1880, verteilte ein französisches Warenhaus die folgende Anzeige von seinem Erzeugnis, la camisole de force:

Es besitzt verschiedene Vorteile. Es kann nicht nur die Reinheit der Jungfrau bewahrt, sondern auch die Treue der Ehefrau erzwungen werden. Der Gatte kann seine Frau verlassen, ohne fürchten zu müssen, daß seine Ehre beleidigt und seine Liebe abwendig gemacht wird. Die Väter können ihrer Elternschaft sicher sein und brauchen nicht den schrecklichen Gedanken zu hegen, ihre Kinder seien die Abkömmlinge eines anderen, und es wird für sie möglich sein. das hinter Schloß und Riegel zu halten, was wertvoller ist als Gold.[27]

Daß der Zweck des Gürtels jedoch nicht nur darin bestand die Empfängnis unehelicher Kinder zu verhindern, kann aus der Tat sache abgeleitet werden, daß die übliche Ausführung sowohl die Anal- wie die Vaginalöffnung schützte. Dieselbe Firma, die oben erwähnt wird, beantwortete die Anfrage eines Kunden wegen des kombinierten camhole de force so:

Die Vorrichtung kann in der von Ihnen gewünschten Weise hergestellt werden, so daß sie vorne und hinten Schutz bietet Ich muß Sie jedoch auf einen Nachteil dieser Ausführung aufmerksam machen, und zwar besteht die Notwendigkeit beim Stuhlgang die Vorrichtung zu entfernen, was normalerweise nicht notwendig ist, da das Urinieren bei geschlossener Vorrichtung erfolgen kann. Sie wird mit einem Sicherheitsschloß verschlossen.[28]

Hymenverehrung im Verlauf der Zeiten

So wichtig war im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in   Europa  das  Jungfernhäutchen  geworden,  daß  Frauen selbst ihr Leben und auch ihr Glück und ihre heilige Ehre Tu retten, gezwungen waren, ein Hymen vorzutäuschen, wenn keine, vorhanden   war.   Der   »Beweis   des   Bettlakens«   war   zu  ein bestimmten Zeit allgemein in Europa verbreitet und besteht anrh heute  noch  in einigen ländlichen Gemeinschaften.  Bei diesem Ritus zeigt der Bräutigam den versammelten und begierigen Hnri, zeitsgästen stolz das blutige Bettlaken als Beweis für die Tun fräuhchkeit seiner Braut und für seinen Erfolg  sie zu neh Wenn es nicht wahrscheinlich war, daß das jungfräuliche Btot von sich aus floß, so sorgte die Braut dafür, daß das Laken schon vorher m.t Taubenblut besprengt wurde, da man meinte dies Tri kaum vom jungfräulichen zu unterscheiden. (Schatten der Große« Göttin und der Taube von Rhea!)[29]
Die List mit dem Taubenblut mag vielleicht den vertrauen, seligen Bräutigam getäuscht haben, aber für den argwöhnischen und aufgeklärten war etwas Realistischeres und Drastischeres erforderlich. Wenn die Braut oder deren Mutter befürchteten, das Taubenblut werde nicht genügen, versuchte erstere Monate vor der Hochzeitsnacht ein Ersatzhymen an Stelle des fehlenden Häutchens zu schaffen. In Brantomes Worten: »Sie setzen Blutegel an die Scheide, die kleine Embolien oder Blutblasen verursachen. Kommt dann die Hochzeitsnacht, und der liebeshungrige Ehemann nimmt die Sache in Angriff, bringt er die Blasen zum Platzen, und das Blut beginnt zu fließen, zur großen Freude beider Seiten.[30]
Im neunzehnten Jahrhundert, das man die Blütezeit des Jungfernhäutchens nennen könnte, nahm der Kult um die Jungfräulichkeit solche Formen an, daß sogar Handbücher geschrieben wurden, um eine Jungfrau erkennen zu können.
Ein Dr. T. Bell veröffentlichte 1821 für den männlichen Gebrauch ein Buch, in dem er unschuldige junge Männer in der sehr wichtigen Kunst zu unterweisen suchte, wie man sich eine Ehefrau aussucht, deren »Ehre« noch unangetastet war. Nachdem er einräumt, daß der einzige absolut sichere Beweis für die Defloration die Zerstörung des Jungfernhäutchens ist, der leider nicht früh genug geliefert werden konnte, um die Ehe mit einer gefallenen Frau noch zu verhindern, fährt der gute Mann fort, indem er einige äußere Anzeichen bei entwürdigten Frauen beschreibt: »Es ist sicher, daß die Brust bei Jungfrauen fest und rund und daß an der Oberfläche für das Auge keine Unregelmäßigkeit sichtbar ist. Nicht weniger sicher ist, daß ihre Oberfläche nach der Defloration einige Unregelmäßigkeiten zeigt.«[31] Die armen Jungfrauen können einem leid tun, die nicht mit den prächtigen, runden, von den Patriarchen zu allen Zeiten so bewunderten Kugeln gesegnet worden waren. Sie müssen alle möglichen Kniffe angewandt haben, um ihren herunterhängenden, flachen oder unreifen Brüsten die »jungfräuliche« Üppigkeit zu geben. Bei den Römern hielt man im Gegensatz dazu den jungfräulichen Busen für kleiner als den der Nicht-Jungfrau. Man glaubte tatsächlich, die Brust dehne sich unmittelbar nach der Defloration aus, wofür der römische Brauch ein Beweis ist, die Braut »vorher und nachher« zu messen. In Rom, wo die Jungfräulichkeit nicht entfernt die heilige Kuh war, die sie unter den Christen wurde, freute sich ein Bräutigam trotzdem, wenn am nächsten Morgen der Busen seiner Frau ein größeres Maß aufwies als am Hochzeitstag. Er hatte eine Jungfrau geheiratet, ganz gleich, was das vorhandene oder fehlende Jungfernhäutchen aussagte. Catull bezieht sich auf diesen Beweis von Jungfräulichkeit in den Zeilen: Non illam nutrix, Oriente luce revisens hesterno collum poteret circumdare filo, was in etwa bedeutet: »Das Band, das gestern noch ihren Busen umschlang, läßt sich nicht mehr knüpfen im Morgenlicht.«[32]
Aber zurück zu Dr. Bell und dem neunzehnten Jahrhundert im christlichen England. Sein zweiter Hinweis für junge Männer, wie man Nicht-Jungfrauen erkennen kann, hat mit den Halsdrüsen zu tun: »Schwillt bei jungen Frauen der Hals plötzlich an, so ist das ein Zeichen der Defloration.«[33] Man möchte wissen, wie viele Verlobungen von jungen Männern jäh abgebrochen wurden, weil die Braut unvermittelt Mumps bekam oder sich ihre Halsdrüsen erkältete. Arme Mädchen, sie ahnten wahrscheinlich nie, daß sie ihre Verdammung zu einem Jungferndasein einer Erkältung zu verdanken hatten, die sie sich auf einer Bootsfahrt auf der Cam an jenem wunderschönen Tag zugezogen hatten.
Bells nächstes Vorsicht! ist nicht sehr klar: »Die Entjungferung ändert den Klang der Stimme in solcher Weise, daß dieser Wechsel von einem guten Ohr leicht festgestellt werden kann.«[34]
Unglücklicherweise erzählt uns der ehrenwerte Doktor nicht, wie sich die Stimme ändert, er fügt nur dunkel hinzu, daß »bei Prostituierten, die sich täglich den Männern hingeben, dieser Wechsel stark und offensichtlich« ist.
Doch seine letzte Warnung ist allumfassend: »Intelligente und aufmerksame Beobachter werden bei einer solchen Gelegenheit (d.h. bei der Defloration einer Jungfrau) einen Wechsel im Ausdruck, der Gesichtsfarbe, des Blickes, des Benehmens und der Unterhaltung feststellen, worin sehr viel enthalten ist.« Mit anderen Worten: Gibt sich das Mädchen plötzlich kühner, offener, weniger zurückhaltend und scheu, so wird der vorsichtige Junggeselle sofort argwöhnisch werden und zum nächsten Ausgang flüchten. Denn er befindet sich in Gegenwart einer gefallenen Frau.
Dr. Bell begnügt sich nicht damit, Schürzenjäger abzuschrecken. Er möchte auch die bereits Gefangenen, die einige Zweifel über die voreheliche Keuschheit ihrer Frauen hegen, aus einem Irrtum befreien. »Obwohl es stimmt, daß bei Jungfrauen das Hymen durch Zufall unabhängig von jedem Geschlechtsverkehr schlaff, zerrissen oder verkleinert sein kann, so ist das doch sehr selten, und das Nichtvorhandensein eines Hymens ist sicherlich  Grund genug, sehr argwöhnisch zu sein.« Darüber hinaus warnt der gute Doktor mißtrauische Gatten: »Die leichte Neigung des Hymen, sich nach jahrelanger Enthaltung vom Geschlechtsverkehr und bei Anwendung von zusammenziehenden Mitteln wieder zu erneuern, kann nur den unerfahrensten Gatten täuschen.«[35]
Also hütet euch, Männer!
»Mit Hilfe all dieser Ratschläge«, schließt Dr. Bell, »wird der geschickte Ehemann, der ihnen folgt, nie das Risiko eingehen, sich mit einer gebrauchten Jungfrau angeschmiert zu haben.
Sollten sich in uns Zweifel an der Zuverlässigkeit von Dr. Bells Diagnose geregt haben, so werden sie von seiner Feststellung zur Bestimmung des Geschlechts von Kindern verstärkt: In demselben Buch gibt er Ehemännern, die einen Sohn zeugen möchten, den Rat, sich beim Geschlechtsverkehr auf ihr eigenes Organ und dessen Wohlgefühl zu konzentrieren; wenn sie jedoch eine Tochter wollen, brauchen sie sich nur auf die Geschlechtsorgane ihrer Frau und ihr Vergnügen zu konzentrieren.[36] (Es ist eine Tatsache, daß viel mehr Jungen als Mädchen empfangen und geboren werden, doch nach Dr. Beils Erklärung der Geschlechtsbestimmung müßte der Anteil der Jungen sogar noch größer sein.) »Die Phantasie des männlichen Elternteils,« fährt der Doktor fort, beeinflußt nicht nur das Geschlecht des Kindes, sondern auch seine Schönheit und Vollkommenheit. »Doch bei der Art und Weise der Verwirklichung kann man gar nicht genug Feingefühl und Takt gegenüber der Öffentlichkeit walten lassen (...).«[37] Über die Empfehlungen des Doktors hinsichtlich Aussehen und Talente des werdenden Kindes werden wir also im Dunkeln gelassen. Möglicherweise sollten seine männlichen Leser ihn in seiner Wohnung in Harley Street aufsuchen, um hierüber Aufschluß zu erhalten, und in diesem Fall sicherlich gegen Entgelt.
Davenport, der kurz nach Bell schrieb, warnt davor, anzunehmen, daß das fehlende Jungfernhäutchen einen Mangel an weiblicher Keuschheit beweise. »Die keuschesten und sittenreinsten ihres Geschlechts haben vielleicht durch vorhergehende Krankheit ihr Jungfernhäutchen verloren und können so ihrem Gatten keinen Beweis ihrer Reinheit geben«, schreibt er. »Man sollte auch daran denken, daß es Personen gibt, bei denen das Hymen so wenig ausgeprägt ist, daß viele Anatomen dessen Vorhandensein überhaupt bezweifelt haben. Mit welcher Beredsamkeit schimpfte Buffon, der ebenfalls nicht daran glaubte, gegen diese  lächerliche Wichtigkeit, die von uns Herren der Schöpfung diesem Häutchen zugesprochen wird.«[38] »Der primitive Mann und alle Generationen seither haben ein großes Aufheben vom ausschließlichen Eigentumsrecht über all das gemacht, was sie besaßen. Und diese Torheit drückte sich am deutlichsten dadurch aus, daß er auf der Jungfräulichkeit seiner Frauen bestand. Diese Jungfräulichkeit ist eine rein körperliche Angelegenheit und hat mit der Reinheit des Herzens nichts zu tun.«[39] Hippokrates, der Vater der Medizin, schrieb im 5. Jahrhundert v. Chr., daß »Frauen, die mit Männern verkehren, gesünder sind als solche, die dies nicht tun«.[40] Ob das nun wahr ist oder nicht, und moderne Lebensstatistiken scheinen das zu widerlegen, man glaubte jedenfalls viele Jahrhunderte daran. Doch unter dem Einfluß des Patriarchates verehrten schließlich die Frauen selbst das Hymen.
Zenobia, die große Königin Palmyras im dritten Jahrhundert v. Chr. »machte von den Freiheiten, die ihr der Ehestand gewährte, nur zur Hervorbringung von Kindern Gebrauch.«[41] Isabella von Gonzaga, die Herzogin von Urbino, war noch zwei Jahre nach ihrer Eheschließung eine Jungfrau, da sie die Zärtlichkeiten ihres Mannes »durch die Hintertür« empfing - ein Kompromiß, auf den ihr teilweise maurischer Ehemann, der Herzog, sicherlich gern einging - bevor sie feststellte, daß der Geschlechtsverkehr von vorn verheirateten Frauen erlaubt war. »Sie hatte angenommen, daß alle verheirateten Frauen es genauso machten. Mit der Zeit fiel es ihr jedoch wie Schuppen von den Augen,«[42] und zweifellos wurde sie auch ihr Hymen los.
Vom piäce de resistance bei der Hymenverehrung ist bei der Heiligsprechung der Heiligen Franziska Francis die Rede. Diese adelige Dame, die Nonne geworden war, wurde von den Gelüsten des Fleisches so gequält und war doch so entschlossen, ihren Bräutigam, Christus, jungfräulich zu empfangen, daß »sie die Versuchungen des Fleisches dadurch zu prüfen pflegte, indem sie siedendes Wachs oder Fett über ihre Vulva goß«.[43] Und hierfür wurde sie kanonisiert.
So sehen wir, daß, ebenso wie der Mann der Frühzeit von den Frauen die Phallusverehrung übernommen hat, schließlich auch die Frau das Hymen verehrte. Und wo die Jungfräulichkeit überbetont wird, werden die Frauen unterjocht, wo man das Hymen bewertet, wird die Frau entwertet.
All diese Ergebnisse der patriarchalen Revolution, wie sexueller Sadismus, Infibulation, übersteigerte Hymenverehrung und Entwürdigung der Frau, lagen für die Frauen Europas noch weit in der Zukunft. Die männliche Revolte breitete sich erst in später geschichtlicher Zeit sehr langsam vom semitischen Osten in den Ägäischen Raum aus. Aber schon zu der Zeit wurde in Anatolien, der Kinderstube der Zivilisation der Samen der Matriarchate bewahrt. Dieser kleine Teil der Welt, aus dem die großen Kulturen der Sumerer, Ägypter und Kreter hervorgegangen waren, war ein weiteres Mal dazu bestimmt, eine absterbende Kultur Wiederaufleben zu lassen. Denn es waren die kleinen ionischen Nationen des westlichen Anatoliens - Lydien, Lykien und Karien - wo die großen vorchristlichen Kulturen Athens, Roms, Irlands und des keltischen Europas ihren Ursprung haben sollten.