Bejahung der modernen Frau

In früherer Zeit mag es gute und böse, alte und junge Frauen gegeben haben - es gab aber keine "moderne" Frau. Es gab keinen Frauentypus, den man als eine besondere Schöpfung der Zeit empfand. Die heutige moderne Frau steht in einem bewußten äußerlichen und innerlichen Gegensatz gegen die - sagen wir traditionelle Frau. Die traditionelle Frau entspricht dem patriarchalischen Gesellschaftsideal, sie trägt eine Art anonymen Charakters. Sie tritt hinter dem Mann zurück, der nicht nur der Familie seinen Namen gibt, sie ernährt, sondern auch das moralische Haupt seiner kleinen Gemeinschaft ist. Die sogenannte behütete Frau, die reine Frau, die mütterliche Frau, das schwache und liebende Weib, alle diese Typen entsprechen einer bestimmten Ideologie, in der der Mann und seine Arbeit der Mittelpunkt ist. Der Mann wollte das Schicksal der Frau sein und sie empfand ihn auch so, nahm Glück und Unglück hin, wie es kam. Warum und wie sich die alte Ideologie geändert hat, läßt sich nicht mit wenigen Worten sagen.
Tatsache ist jedenfalls, daß unter Begleitung großer gesellschaftlicher Kataklysmen (der Krieg!) die patriarchalische Ordnung ins Wanken geriet. Sie existiert zwar noch in großen Umrissen, wesentlich ist aber, daß sich neben ihr eine neue Ideologie gebildet hat, so wie auf politischem Gebiet die neuen Ideen des Sozialismus neben die frühere völkische Unität getreten sind. Das patriarchalische Ideal entspricht der biologischen Ordnung, so wie der Kopf das Haupt des Körpers, soll der Mann das Haupt der Familie sein. Die neue Lebensform glaubt von der natürlichen Anweisung abstrahieren zu können, sie setzt an Stelle des alten Ordnungsbegriffes die Gemeinschaft. Die Frau soll nicht mehr dem Mann untergeordnet und der Familie eingeordnet sein. Schlagwörter wie Kameradschaftsehe bezeichnen den neuen Zustand.
Die Frau von heute stellt sich zu ihrer neuen Form bejahend. Nicht nur die Frauenvereine, die um juristische Bestätigung kämpfen, sondern auch das einzelne Weib drängt auf Beseitigung früherer Schranken. Die alten Familienformen werden gesprengt, notgedrungen müssen die Parlamente die Ehescheidung erleichtern. In Rußland, das die letzten Konsequenzen gezogen zu haben scheint, genügt ein Federstrich, um das, was man noch vor einer Generation als Sakrament bezeichnete, zu binden oder zu lösen. Der Strom, die Begeisterung der Befreiung haben die Allgemeinheit erfaßt. Sport, Theater, Literatur unterstützen die Forderungen der Frau. Der Typ der modernen Frau, die ganz selbständig sein will, zeichnet sich immer mehr ab. Die kurzen Haare, der kurze Rock sind nur Symptome, die bessere Bildung erzeugt neues Selbstgefühl. Großmütter, die warnend den Finger heben, werden mit überlegener Ironie abgefertigt. Die Stellung, die der Mann in dieser Bewegung einnimmt, ist nicht eindeutig. Heute liegen die Verhältnisse schon so, daß man sich fast lächerlich macht, wenn man gegen den modernen Frauentypus wettert, aber bei vielen bleibt eine Verstimmung im Untergrund. Was ist geschehen?

Ist der Mann entthront? Ist ihm die Verantwortung für die Familie und damit das moralische Ansehen entwunden? „Ja" sagt ein Teil der Männer, die sich innerlich von dem alten patriarchalischen Ideal nicht trennen können. Sie glauben, daß mit einer Änderung der alten Gesellschaftsideologie die Welt einstürze. Sie glauben, daß es nicht mehr lange dauern kann, bis die vollkommene Auflösung der Familie den Zusammenbruch des Staates nach sich zieht. Die allgemeine Verwirrung früherer Moralbegriffe erscheint diesen Kritikern als eine Art gottgewollter Kümmernis, eine Hölle, vielleicht ein Purgatorium. Leider wissen sie nicht, wie man sich aus diesem Purgatorium befreien kann, durch welche Leistungen der Zustand zu ändern ist. Unter den Kritikern der gegenwärtigen Gesellschaftszustände sind nicht die schlechtesten Leute, ich denke nur an die Geistigen unter den Katholiken, die sich niemals mit einer Änderung der sexuellen Verhältnisse oder gar mit einer Auflösung der Familie zufrieden geben werden. Man muß auch bedenken, daß wir, daß unser Kreis, ja daß Europa und unsere Kulturvorstellung nicht die Welt bedeuten. Wer kann sagen, ob nicht von China, dessen Rückhalt heute noch die feste Fügung der Familie ist, eine andere Gesellschaftsordnung ausgeht, die das, was wir so stolz Fortschritt nennen, über den Haufen wirft. Die Mehrzahl der Männer steht dem neuen Frauentypus unentschlossen gegenüber. Ich persönlich aber halte es für notwendig, die moderne Frau zu bejahen. Die Gründe dafür sind mannigfach, das Thema ist zu groß und zu kompliziert, um hier im einzelnen besprochen zu werden. Die Kritiker der modernen Frau, soweit sie sich nicht bei Symptomen aufhalten, scheinen mir eine Tatsache unserer Zeit wesentlich außer acht zu lassen. Die Welt ist in einem Umbildungsprozeß begriffen, der seine letzte Ursache in der Einführung der Maschine hat. Die Ersetzung der Handarbeit durch die Maschine hat nicht nur wichtige ökonomische Veränderungen hervorgerufen, diese unbestreitbare Tatsache ist es gewesen, die die alte patriarchalische Ideologie mit so großem Erfolg angegriffen hat. Die Maschine hat den Menschen zu gleicher Zeit erhoben und erniedrigt, sie hat ihm zwar eine große Anstrengung genommen, ihn aber zugleich auf die Rolle des Konsumenten, des Käufers, des Kunden, beschränkt.

Es ist nicht mehr so, daß der Mann für die Frau arbeitet, sondern daß die Maschine für den Mann und die Frau arbeitet. Mann und Frau sind Kunden der Maschine geworden. Was heute in Amerika vor sich geht, kann als Illustration dieser Behauptung dienen. Die hohe Stellung der Frau in Amerika resultiert, wie ich glaube, aus der rein industriellen Einrichtung des Landes. Es hat sich gezeigt, daß die Frau in der neuen industriellen Welt ein ökonomischer Faktor von unübersehbarer Tragweite geworden ist. Was in Serien produziert und in den Warenhäusern aufgestapelt wird, muß von den Frauen gekauft werden, wenn die industrielle Ökonomie in Fluß bleiben soll. Die großen Reklamen erzählen jedem, der zu hören versteht, daß die Frau als Käufer wichtiger ist als der Mann, der seine alte Rolle als Produzent unter den veränderten Umständen beibehalten möchte. Da die Maschinen immer komplizierter und leistungsfähiger werden, sinkt die Wertung des Produzenten immer mehr herab. Da der Absatz das wichtigste Problem des neuen Staates ist, muß der Käufer immer mehr an Wertung gewinnen. Es liegt mir fern, ökonomische Gesichtspunkte zu überschätzen, sicher erscheint mir aber, daß die moderne Frau, ihr Wesen, ihre Kleider, ihre Eigenart Kinder unserer industriellen Epoche sind. Es ist natürlich unmöglich, daß man einen so wesentlichen Funktionär unserer Zeit in eine Ordnung einbezieht, deren Hauptargument die Autorität war. Die Amerikanerin kauft nach Gutdünken, der Mann schafft das Geld, und so hält der Staat zusammen. Was würde geschehen, wenn die Frauen plötzlich auf die Idee kämen, wieder Strümpfe zu stricken und Kleider zu weben? Ganze Industrien würden fallieren, unabsehbares Elend käme herauf. Der moderne Frauentypus ist keine Schöpfung einiger Libertins, wie die unbelehrbaren Kritiker sagen, sondern ein unwiderrufliches Kind unserer Zeit. Wer unsere Zeit bejaht, muß auch die moderne Frau bejahen. Es fragt sich, ob die Maschine die Kraft hat, die Gemeinschaft der Ehe wirklich zu zerstören, ich glaube es nicht. Neben dem Auflösungsprozeß geht heute schon ein konservativer Strom, der die Ehe erhält und bejaht. Die Initiative zu dieser Ehebejahung geht von den Frauen aus, ich glaube man braucht sich um die Ehe keine Angst zu machen. Rein ästhetisch gesehen ist die moderne Frau ein ungeheuerer Fortschritt gegen das traditionelle Ideal.
Man braucht nur einige Photographien aus der Zeit um 1910 in die Hand zu nehmen, um zu begreifen, was ich meine. Das Knappe, Schnelle, Präzise der modernen Frauenerscheinung findet hinreichende Vergleichsmöglichkeiten in der modernen Architektur. Die Einsicht in diese Zusammenhänge erhöht nicht nur den ästhetischen Genuß, sondern beweist auch immer wieder, daß wir hier einer geschlossenen Entwicklung gegenüberstehen, der mit Nörgeleien nicht beizukommen ist. Es ist einer der Fehler der Kritiker, daß sie zu wissen glauben, wohin die Zeit läuft. Das weiß niemand. Sicher ist nur, daß sie nicht zurückläuft und daß gesellschaftliche Veränderungen nicht zurückzudrehen sind. Aus dieser gesellschaftlichen Veränderung tritt heute die Frau als ein selbständiger ästhetischer und moralischer Typus heraus. Wir haben ihn nicht nur hinzunehmen, sondern wir müssen ihn auch anerkennen und fördern. Es ist eine Aufgabe der Männerwelt, sich so viele Einsicht über die Entwicklung der Dinge zu verschaffen, daß sie die moderne Frau freudig bejahen. Diese Bejahung kann nur eine günstige Rückwirkung auf die Frauen haben, die in der ersten Begeisterung ihres Sieges die Grenzen nicht sehen möchten, die ihnen genau so scharf und unabänderlich gesetzt sind wie den Männern. Die Männer, die Einsichten gewonnen haben, werden sich über die moralische Selbständigkeit der Frauen freuen, sie werden es ablehnen, weiterhin autoritativ aufzutreten, weil der Zustand, so wie er heute existiert, richtiger und besser ist. Nur durch eine einmütige und restlose Bejahung der modernen Frau lassen sich die in jedem Übergangsstadium auftretenden Schwierigkeiten besänftigen und beseitigen.