Die alte Aufgabe die neue Form

Die Frau von morgen das ist die Verlegung eines Ideals in die Zukunft, was offenbar besagt, daß die Gegenwart dieses Ideal nicht erfüllt. Um über ein Wort zu verfügen, nenne ich den Zustand, den die Beziehung der Geschlechter heute angenommen hat, Naturalismus. Man ist natürlich geworden, behandelt den erotischen Trieb als eine Gegebenheit wie die anderen elementaren Triebe, erkennt ihm das Recht auf Befriedigung zu und läßt im übrigen das, was sich daraus entwickeln kann, auf sich beruhen.

Die Emanzipation der Frau, vor ein paar Generationen eingeleitet, ist vollkommen. Fragt man hundert Leute, was das höchste unmaterielle Gut sei, so werden vermutlich alle erwidern: die Freiheit. Nun, die Freiheit ist da und erstreckt sich auf die Frau: also leben wir im längst ersehnten dritten Reich, und es geht nicht an, daß du diese Ära herabsetzend Naturalismus nennst. Sehen wir zu. Die Frau ist kein romantisches Wesen mehr. Früher wußte ein Mann nicht recht Bescheid, aus was für einem Stoff die Frau gemacht war. Er wußte, was für ein gieriges Geschöpf er selbst war, aber wenn ihn das bedrückte, konnte er seine idealistischen Bedürfnisse, die Wünsche nach Erlösung, auf Vorstellungen von der Frau übertragen.

Mochten noch so realistische Erfahrungen entgegenstehen, der größte Spötter wurde unsicher angesichts der allgemeinen Überzeugung, daß es eine Unzahl von Mädchen und Frauen gab, denen die Verwaltung aller zarten Tugenden der Keuschheit, der Treue, der ausschließlichen Liebe anvertraut sei. Diese Dinge waren nicht ganz klar; man schwankte zwischen Realismus und Verklärung, aber im allgemeinen war man doch bereit zuzugeben, daß das Ewigweibliche den Mann in höhere Sphären entrückte In dieser silbrigen Atmosphäre der Ungewissheit gediehen die sublimen Empfindungen, die Illusionen, die Träume, die Gedichte. Die Silberaura schwand. Was da steht und Frau heißt, ist aus demselben Stoff wie der Mann gemacht ein Körper, den Hunger, Liebe und das Bedürfnis nach Entspannung regieren. Stellt man sich mit irgend jemand auf die gleiche Stufe, so wird man seinesgleichen. Man öffnet ihm die Augen und man öffnet ihm ein Pförtchen, durch das der Zynismus in sein Denken schlüpft: man hat ja keine Veranlassung mehr, den anderen für etwas Höheres zu halten. Derselbe Zynismus, mit dem wir heute etwa von den Beglückungen des Parlamentarismus oder der Demokratie sprechen, nachdem wir sie nämlich erlangt haben, erstreckt sich auch auf die Erotik. Die Sublimierung ist dahin, ein naturalistischer Tatbestand ist geblieben. Die Verständigung mit der Frau, die man haben will, macht keine Schwierigkeiten mehr, denn die Frau macht sie nicht länger. Du brauchst mich, ich brauche dich - wozu die Umwege.

Das Temperament stößt nicht mehr auf die Hemmungen, und die Macht der neuen Konvention ist so stark, daß selbst diejenigen Frauen, die sich bei der alten Methode wohler fühlen würden, die neue annehmen. Was ist die Folge? Vorsichtiger gefragt, was ist leicht die Folge? Die Banalisierung des Eros. Man muß nicht glauben, daß die wirklichen Stimmungen der Zeitgenossen sich ohne weiteres aus den Büchern, vor allem aus den Romanen erkennen lassen. In den Büchern begegnet man der Tatsache, daß der Eros sich banalisiert, und der ergänzenden, daß die jungen Männer darauf zynisch reagieren, noch wenig, im Leben auf Schritt und Tritt. Es werden da sehr üble Dinge gedacht: das Mädel ist famos; eigentlich ist sie töricht, daß sie es so leicht macht; mir kann es recht sein, her mit der Genossin einer Nacht... oder einer Viertelstunde, denn je sachlicher man wird, desto weniger stürzt man sich in Unkosten an Zeit, innerer Aufwendung und Bemühen. Das System ist aufs beste organisiert. Zwei Tänze im nächsten Lokal, und schon ist die Frau aus der bürgerlichen Sphäre in die vitale versetzt, die zu erzeugen früher soviel Geduld und Taktik erforderte, daß der Verführer einen Beruf daraus machte, zu dem Talent gehörte. Das Mädchen seinerseits sagt sich: ich kann mir vorstellen, was er von mir denkt, es ist mir gleich, ich will nicht seine Gedanken, sondern seine Dienste.

Das Ausleben ist nicht mehr mit Risiko verbunden; ein Mann, der ein Mädchen über zwanzig heiratet, wagt schon gar nicht mehr, das zu erwarten, was man früher Jungfräulichkeit nannte und voraussetzte. über diese Begriffe denkt heute niemand zynischer als die flüggen Dinger selbst. Positiv gesehen bedeutet das alles: die erotischen Beziehungen sind ehrlich geworden, die Frauen selbständig, die Forderung des gleichen Rechtes ohne Ansehn des Standes, des Alters und des Geschlechtes hat sich durchgesetzt. Sentimentalitäten gelten nicht mehr, Schönreden auch nicht, die Tragödien sind auf ein erstaunliches Minimum zusammengeschrumpft und die Menschheit ist auf dem besten Wege, einen ihrer ärgsten Plagegeister, die sexuelle Komplikation, in einem Grade zu vereinfachen daß sich bereits ein lebbares Ideal herausgebildet hat: selbständig bleiben, mitnehmen, was mitgenommen werden kann, das gefährliche Gelände der ernsten Gefühle meiden - denn es ist für die Frau noch mehr als für den Mann ein sumpfiges Gelände, in dem versinkt, wer untertan wird, untertan der Aufopferung, untertan der Leidenschaft, untertan dem Partner. Dieses Ideal ist das eines jeden richtigen Mannes. Wer hätte nicht mit ihm begonnen; stark ist, wer allein steht. Wer wandern will, darf nicht seßhaft werden, wer steigen will, nicht in der Niederung bei den Herdenmenschen das Einfamilienhaus bauen. Indem die Frauen sich dieses Ideal aneignen, vermännlichen sie, das ist die Erklärung für die Amazone. Will man einen neuen Frauentypus aufstellen, der sich grundsätzlich vom alten unterscheidet, so wird man ihm die Züge der Amazone geben müssen, des Seitenstücks zum Wikinger.

Und damit, ich muß das recht deutlich sagen, schlägt das Positive des neuen Verhaltens bereits ins Negative um. Würde die Frau in ihrem erotischen Fühlen völlig dein Mann gleich werden, so könnte sie nicht umhin, sich das Wesentliche der männlichen Geistigkeit anzueignen, das vom Sinnlichen, Erdhaften, Mütterlichen fortstrebt. Jeder Mann hat in seinem Denken eine letzte Sphäre, in der er die Abhängigkeit von den zeugenden Gottheiten überwinden will, daher er, nunmehr praktisch gesagt, widerwillig, ablehnend, kritisch, asketisch fühlt. Ihm wird die Bagatellisierung des Eros nicht so gefährlich, weil es sich um einen geistigen, in vielen Fällen sogar religiösen Vorgang handelt. Von seinem Zynismus gilt dasselbe. Ganz anders liegen die Dinge bei der Frau. Sie vergeistigt sich nicht, sie überwindet die Liebe nicht. Wählt sie ein kritisch geringschätziges Verhalten zu ihr, so verliert sie den Boden unter den Füßen und wird, grob gesagt, eine Äffin der männlichen Intellektualität. Ihre Beziehung zu den erdhaften Mächten ist absolut positiv. Wenn sie Natur und Instinkt besitzt, verrät sie diese Mächte nie, weder um einer eingeredeten Idee noch um eines Mannes willen. Das Gefühl für den kritischen Punkt schützt sie, oder sie ist keine vollwertige Frau. Ihre Kraft, ihr Menschlichkeit, ihre Sicherheit beruht darauf, daß sie jene Mächte nicht verleugnet, sondern ihnen gehorsam ist. Viele Unterschiede wurden abgeschafft, dieser eine behauptet sich. Denn, schließlich, wozu gäbe es verschiedene Geschlechter, wenn nicht in der Verschiedenheit die Welt verankert wäre? Weiblicher Zynismus, weiblicher Naturalismus hat ein kurzes Leben Die eine, die einzige Sünde, die eine Frau begehen kann, ist der Versuch, den für sie wichtigen Lebenswert, den Liebesakt, zu banalisieren. Woran man durch absolute Bande geknüpft ist, dem wendet man nicht eine Fünfminutenaufmerksamkeit zu, und um noch deutlicher zu werden, man erledigt es nicht wie das Huhn, das sich nach dem Überfall durch den Hahn schüttelt und weiter sein Futter sucht.

Die Frau von morgen hat keine andere Aufgabe als die von gestern und heute: die Liebe zu sublimieren, die Banalisierung zu vermeiden. Neu kann höchstens die Form sein, in der sich diese alte Aufgabe vollzieht. Neu sind die Schwierigkeiten. Die Freiheit hat zugenommen - wie findet man aus dieser Freiheit in die Bindung an die Gottheit zurück, und welche Wendung gibt man diesem Weg, damit Selbstbewußtsein und Demut sich ausgleichen? Das gefährliche Gefühl, trotz aller Modernität nicht vom Fleck gekommen zu sein, liegt natürlich nahe. Aber es gibt da tröstliche Methoden. Auch von ihnen gilt, daß sie so alt wie die Menschheit sind. Worauf es je und je ankam, war, das Leben tief zu fühlen, die seelische Welt in ihrem ganzen Ausmaß zu durchwandern, das Gesetz des Erlebens über das gesellschaftliche Gesetz zu stellen. Daß die Frau nicht emanzipiert war, hat niemals gehindert, daß eine Frau ihre elementare Natur empfand und einen Weg erzwang. Heute, wo sie nicht mehr um die Freiheit kämpfen muß, wird ihr eher die Aufgabe gestellt, über der Möglichkeit nicht die Verwirklichung zu vergessen. Der Widerstand hatte auch sein Gutes, er verstärkte die Energie. In unseren Tagen muß die Frau diesen Widerstand in sich selber schaffen. Die Lehre, daß eine Addierung von Abenteuern die innere Intensität ersetze, eine korrumpierende Lehre, ein allen Instinkten feindliches Geschwätz, ist vorzüglich geeignet, den Ansatzpunkt für den Widerstand herzugeben. Man kann nicht mehr verlangen, daß eine Frau sich für den einen aufspare, mit dem sie die Intensität und den Tiefgang, die Breite und die Dauer erleben wird. Die beiden, die zusammengehören, sind vielleicht durch einen Zeitraum von zehn, von zwanzig Jahren getrennt.

Das braucht ja alles nicht ausgeführt zu werden. Jede Anweisung, die um einer fernen Möglichkeit willen das ernsthafte Experiment untersagt, ist Unsinn. Eine einzige Anweisung ist möglich, die alle Fälle umfaßt: nicht zynisch werden. Den Tiefgang nicht durch die Oberfläche ersetzen. Die Oberfläche hat nur eine Dimension, das Erlebnis drei. Die Gefahren, die einer Zeit drohen, lassen sich aus ihren Schlagworten herauslesen; so auch aus dem der Sachlichkeit. Dieser Begriff besticht, er verführt. Aber man braucht nur ein wenig zu überlegen: von dem Sachlichmachen ist bloß ein winziger Schritt zum Zur-Sachemachen.

Macht man aus der Liebe eine Sache, so ist alles aus. Ich meine das ohne Übertreibung: dann fällt das letzte Bollwerk, das uns noch von dem völligen VerIust der lebenspendenden Illusionen, der schöpferischen und regenerierenden Wertsetzungen trennt. Die philosophischen Beurteiler des Zeitalters sind sich dieser Gefahr bewußt. Das gehört zwar nicht hierher, ich erwähne es aber doch. Im Umkreis dessen, was einen Mann heute beschäftigt, gibt es nichts, das uns noch unbedingt wertvoll erschiene nach so vielen Erfahrungen, weder der Staat noch die Kunst noch der Fortschritt und die Entwicklung, die vielgepriesenen. Unsere Zivilisation ist so versachlicht, daß nur noch Geburt, Tod und Zeugung uns mit den vitalen Mächten verbinden. Daher für mich wenigstens das Auftreten der Frau als eines gleichberechtigten und mitstimmenden Partners den tieferen Sinn annimmt, daß sie allein noch die Lebensmächte verwaltet - sie allein uns vor der äußersten Versachlichung bewahren kann.

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