Verwandlung der Frau

Es ist für unsere Zeit über anderes hinaus charakteristisch, daß alles zugleich da ist. Scheinbar längst überlebte Formen und Inhalte stehen neben dem, was der Gegenwart angemessen erscheint, und (dazu Utopien jeder Art. Im Bereiche der Liebe und der Ehe werden Pläne entworfen, die dem und jenem Übel - wenn nicht allen Übeln auf einmal endgültig abhelfen sollen, man greift auf verschollene Bräuche zurück oder man rühmt die Gegenwart, wenn sie nur richtig verstanden werde, oder man umreißt zukunftsfroh neue Schönheiten in der Beziehung der Geschlechter. Durchs Chaos der einander bekämpfenden Meinungen führen aber doch die uns zwanghaft vorgezeichnet sind. Diese Wege in der Sphäre der Erotik zu finden und zu beschreiben sei jetzt unsere Pflicht. Nicht darum handelt es sich ja, was wir erträumen und erhoffen sondern was Wirklichkeit werden muß, ob es uns nun gefällt oder nicht.
Es besteht aber ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen unseren Wünschen und dem, was sich gestaltet; die werden Sieger sein, die absichtslos, nicht etwa um Programme kämpfend, das Werdende in ihr Herz aufgenommen haben. Wir sehen also von der verworrenen Schichtung der Triebe wie von der Fülle der Theorien ab und mühen uns um den Weg, der der kommenden Welt bestimmt ist. Bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts wird die europäische Menschheit vom Ideal der Polarität der Geschlechter beherrscht, das heißt, der Mann wird durchaus männlich, die Frau durchaus weiblich, unmännlich ersehnt, man begehrt die erotische Ergänzung im Entgegengesetzten, wie es auch fremd und sogar feindlich erscheinen mag. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und wohl noch etwas früher kommt immer entschiedener ein Ideal zur Herrschaft, das dem polaren entgegengesetzt ist. Dieses neue Ideal, das Ideal der Gegenwart, verabscheut alles Schroffe und Polare und schätzt zuhöchst an den Geschlechtern das Gemeinsame, ein Allgemein-Menschliches also, das nicht extrem ins Männliche oder ins Weibliche hinübergeht. Man ersehnt Kameradschaft und ausgleichendes Verstehen, man denkt, meistens ohne sich selbst darüber klar zu sein, die vollkommene Menschheit nicht in zwei Geschlechter zerspalten, sondern in einer Art höherer Synthese zum wahrhaften Menschen geeint. Im Gegensatze zum polaren sei dieses Liebesideal das parallele genannt. Um seine Verwirklichung wird heute gerungen, instinkthaft, da und dort auch planmäßig sucht man es immer mehr zur Selbstverständlichkeit zu erheben und auf allen Gebieten, nicht nur in der eigentlichen Erotik, zur Herrschaft zu bringen. Mit Begeisterung und Tatkraft kämpfen für dieses Ideal mehr die Frauen als die Männer, und wir wollen nun zusehen, wie es die Frauen begonnen haben, das Ideal geschlechtlicher Kameradschaft (denn geschlechtlich betont bleibt sie noch immer) zu verwirklichen, das heißt aber, sich dem Manne anzunähern und anzugleichen und ihn seinerseits auf diesen Weg zu zwingen. Dabei werden uns triviale und allbekannte Dinge weder als Errungenschaften der Menschheitsentwicklung noch als Narreteien gelten dürfen, sondern nur als Symptome einer allgemeinen seelischen Situation. Man kann es heute, nach ein paar Jahrzehnten Ausprobung, ruhig behaupten: ein wirkliches Bedürfnis, daß sich auch die Frauen an der wissenschaftlichen Forschung beteiligen, hat nicht bestanden. Aber darauf kommt es gar nicht an.

Nicht weil die Wissenschaft es gefordert hätte, und auch nicht, weil die Frauen endlich das unabweisbare Bedürfnis gefühlt haben, auf diesem Gebiete tätig zu sein, ist es so gekommen; sondern weil die antipolare, die nivellierende, kameradschaftliche Einstellung der Geschlechter die Frauen gezwungen hat, sich einem vordem von Männern bestellten Gebiete zuzuwenden. Es hat sicherlich immer einzelne wissenschaftlich begabte Frauen gegeben - aber gerade sie kommen für uns nicht in Betracht, vielmehr die Masse der Unbegabten, der vielen, die nicht infolge einer entschiedenen Veranlagung, sondern von jener allgemeinen und so schwer faßbaren Weltstimmung der Geschlechternivellierung ergriffen, diesen Weg suchen. In gemeinschaftlicher Arbeit ebbt die geschlechtliche Spannung zu Kameradschaft die immer noch Kameradschaft der Geschlechter bleibt; man sieht auf die geschlechtliche Liebe herab und schätzt das Verständnis der Seelen und des Geistes zuhöchst. Die antipolare Welle kommt von den angelsächsischen und nordischen Völkern her und reicht nicht bis in den äußersten Süden Europas. Der vielberedete Bubikopf ist weder die Erfindung eines ingeniösen Haarkünstlers in New York oder Paris, noch auch die entschlossene Geste einer Frau, die an Kopfschmerz gelitten hat, sondern ein notwendiges Symptom nivellierenden Fühlens der Geschlechter gegeneinander; ebenso das Rauchen der Frauen.
Ohne Zweifel ist es praktischer, bei einer Felskletterei oder auf Schneeschuhen Hosen zu tragen als den Rock, daß aber der Rock schon in der Eisenbahn abgelegt oder ganz zuhause gelassen wird, das ist (nicht etwa Schamlosigkeit, sondern) der Wille der Frau als des anschmiegsameren und suggestibleren Teiles, dem Mann auch hierin ähnlich zu werden. Schließlich hat noch niemand einen Mann in Röcken gesehen - außer bei gewissen Bällen, die von einer anderen Seite her die allgemeinen antipolaren Tendenzen der Zeit mit höchster Entschiedenheit verkünden. Die Neigung zum eigenen Geschlecht bei den Männern wie bei den Frauen hat heute einen Höhepunkt erreicht, und sie bedeutet nichts anderes als die Vollendung paralleler Erotik. Wer das andere, das Entgegengesetzte, das Extreme scheut und nicht erträgt, der muß zu dem von Natur Nahen und Verwandten flüchten (nicht programmatisch natürlich, sondern in seinen Instinkten), und er findet höchste Erfüllung seiner Wünsche beim eigenen Geschlecht. Oft genug ist beides zugleich da: seelische Zuneigung zu einer Person des andern Geschlechtes, die dem parallelen Typus innerlich und äußerlich nahekommt; und die Neigung zu Individuen des eigenen Geschlechtes, die wiederum parallel orientiert sind, möglicherweise auch sogenannte Zwischenstufen verkörpern. Die Homosexualität beider Geschlechter wird dort am entschiedensten sein, wo sich die parallele Erotik ganz durchgesetzt hat. Moralisten pflegen sich über die neuen Badesitten aufzuhalten; wirklich hat sich hier in erstaunlich kurzer Zeit vieles geändert, die Entblößung und Heraushebung der Formen haben einen Grad erreicht, den man vor nicht lang für unmöglich gehalten hätte, noch mehr das Durcheinander der Geschlechter. Aber die Moralisten haben im Prinzip unrecht (im einzelnen mögen sie oft genug recht haben). Es ist eben nicht mehr der Geist der Polarität, der hier waltet, der im andern Geschlecht eine Quelle unausschöpflicher Lust, Aufstachelung zu Kampf und Freude gesehen, keusches Verhüllen des Leibes verlangt und erzwungen hat.

Das parallele Fühlen kennt nicht die Aufregung und Lust am völlig anderen; was noch davon vorhanden ist, wird als peinlich, ungehörig, verwirrend und störend empfunden, seine eigenste Wahrheit ist, über alles hinwegzusehen und zu -fühlen, was anders ist am andern Geschlecht. Die Wandervogel-Bewegung gehört in die Zeit paralleler Erotik. Gemeinsames Turnen, Wandern, Baden, Lernen bedeuten nicht Anregung zur Freude am Geschlechte des Partners, man fühlt stärker das Gemeinsame als das Trennende. Kein Unterschied soll zwischen dem Freund und der Freundin sein, ein enges, ganz seelisch betontes Verhältnis wird angestrebt und manchmal erreicht. Das Ideal ist, wenn auch uneingestanden: Geschlechtslosigkeit, und ich glaube zu bemerken, daß auch die Gesichter ihre Schärfe verlieren wie sie griechische Köpfe nicht haben, und daß sich ein mittlerer Gesichtsschnitt, nicht ganz männlich und nicht ganz weiblich, ausbildet (auch dies in Amerika zuerst). Die Erotik dieser Generation heißt amitie amoureuse. Die Menschen, die in der Parallel-Sphäre des Gefühles heimisch sind, kennen nicht die Liebe als eine Urkraft, dafür besitzen sie die hundert Nuancen und Nuancchen einer seelisch-geistigen Gefühlswelt, die zwischen Kameradschaft und erotischer Zuneigung pendelt. Und doch stimmt es nicht ganz mit der Angleichung der Geschlechter. Von seltenen Ausnahmen abgesehen, werden die Frauen nicht dem Manne, sondern dem Knaben ähnlich, in Geist und Erscheinung. Und so erfüllen sie verständnisvoll den heimlichen Wunsch des Mannes, der sie nicht völlig als seinesgleichen ersehnt, sondern als einen zarteren, anmutigeren, jüngeren Bruder, als ein Wesen, halb Jüngling, halb Knabe, schmal und schlank, der ein Lockenköpfchen trägt (aber ja keinen geschorenen Kopf!), der zwar gern Hosen und eine Sportweste anlegt, sich auch ein Männerhütchen auf den Kopf setzt - dem man aber alles dies doch nicht so ganz glaubt. Noch einmal sei an die homosexuellen Neigungen der Gegenwart erinnert. In der Zeit des polaren Fühlens wird das spezifisch Weibliche an der Frau, das, was nur ihr angehört, am höchsten geschätzt. Das ist aber vor allem andern Keuschheit und Jungfräulichkeit. Tragödien sind um den Verlust oder den drohenden Verlust des Mädchentumes geschrieben worden. Miß Sarah Sampson, Emilia Galotti, Kabale und Liebe seien nur genannt, und noch der durchaus polar eingestellte Hebbel verkündet, daß kein Mann über die verletzte Jungfräulichkeit der Geliebten hinwegkomme. In diesen Dingen scheidet sich sehr scharf das parallele vom polaren Fühlen, die Hochschätzung der Jungfräulichkeit gehört ganz der polaren Sphäre zu und ist heute in den Kreisen, die nicht prinzipiell konservativ, das heißt hier also polar sein wollen, zurückgetreten, wenn nicht verschwunden. Mädchen unserer Zeit, Mädchen also, die der parallelen Sphäre angehören, finden oft ihren Stolz darin, über dieses Vorurteil früherer Jahrhunderte erhaben zu sein, sowohl in Worten als auch in der Tat. Was dem Manne erlaubt ist, kann selbstverständlich auch ihnen nicht verwehrt sein. Das ist nicht etwa Sittenlosigkeit, oft nicht einmal Begierde, allerdings auch kein Beweis von geistiger oder seelischer Überlegenheit, sondern einfach der Zwang einer parallel orientierten Welt - und im einzelnen Falle oft genug mehr Programm als Wirklichkeit. Das Gefühlsleben des Mannes schwankt, hier bleibt er gerne konservativ.

Die beiden Grundformen des erotischen Verhaltens durchdringen alles Fühlen und Tun der Menschen, vor aller Augen liegt der enge Zusammenhang der Kleidung und ihres Wandels, der Mode mit der Geschlechtlichkeit. Die beiden entgegengesetzten Ideale der Liebe schaffen sich die entsprechende äußere Form des Leibes, die Tracht, und so ist die Mode in ihrer allgemeinen Erscheinung mit dem tiefen Grundwillen einer Epoche verknüpft. Eine polar fühlende Zeit wird ihre Wünsche auch in der sichtbar gewordenen Gestalt zum Ausdruck bringen, sie wird nicht nur im Seelischen, sondern auch in der äußeren Erscheinung den Mann möglichst männlich, die Frau möglichst entschieden als Frau sehen wollen, und so sind die Trachten des 19. Jahrhunderts durchaus polar gewesen. Der Mann trug einen Bart, die Frau modellierte einzelne Körperteile heraus, durch einen Schnürleib, durch künstliche Erhöhungen, durch eine aufgebaute Frisur wurde das Weibliche betont, man arbeitete instinktiv darauf hin, die beiden Geschlechter so verschieden wie nur möglich zu kleiden, denn die Zeit war aufs Gegensätzliche eingestellt, als schön galt, wer entschieden Mann, entschieden Frau war. Eine Erscheinung wie die George Sand, die in Hosen ging, Zigarren rauchte und Bücher schrieb, hieß ein Mannweib und wurde als sonderbare Anomalie empfunden (zog aber doch viele Männer an, weil ja nicht alle nach dem allgemeinen Typus ihrer Zeit geformt sind). Heute würde sie kein Aufsehen machen. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und etwas früher schon hat sich das erotische Ideal gründlich umgekehrt, man ersehnt Ähnlichkeit der Geschlechter, findet das Herausheben des Unterschiedlichen geschmacklos und primitiv, die Angleichung selbstverständlich und normal. Hat das polare Fühlen die Körperformen beider Geschlechter durch die Kleidung übertrieben, so werden sie vom parallelen Fühlen verwischt, nicht mehr weiblich ausbuchtende Formen werden angestrebt, sondern "Linie", die Gestalt des reifenden Jünglings etwa. Der Kopf, der noch vor kurzem über seine anatomische Form hinaus durch üppige Haartracht und geputzten Hut größer und auffallender erscheinen sollte, wird nun ganz auf seine einfache Form eingeschränkt, das Haar liegt kurz über den Kopf, der Hut - soweit man ihn überhaupt noch trägt - ist schmucklos, ein Stück Filz, das Schutz gegen Sonne und Kälte gewährt, Ringe in den Ohren wären lächerlich. Der männliche Bart ist verpönt, gilt für unkultiviert, wenn nicht für anstößig und obszön. Beim Sport läßt sich kaum noch ein Unterschied merken - und der alles in seinen Bann ziehende Sport ist wiederum eine Äußerung des Grundwillens, die Geschlechter anzugleichen. Aber auch die städtische Frauentracht nähert sich einer mittleren Linie: Hemdbluse, die dem Männerhemd nachgebildet ist, Kragen und Krawatte und darüber manchmal ein Jäckchen; ins Jäckchen löst sich von der andern Seite her das Sakko; der Cutaway und der würdige männliche Britenrock sind ganz verschwunden. Die Herrenkleidung ist heller und bunter geworden. Die weiten pludrigen Kniehosen erscheinen immer häufiger auch auf der Straße, aus einiger Entfernung ist kein Einschnitt zu merken, diese Hosen gleichen dem Rudiment des modernen Frauenrockes, der ja mit dem bis an die Schuhspitzen fließenden unserer Mütter nur noch den Namen gemein hat. In der polar fühlenden Epoche konnte die Frauenkleidung gar nicht abwechslungsreich genug sein, für jede Tageszeit, für jede Beschäftigung war nicht nur ein anderes Kleid, sondern nahezu auch eine andere Form des Kleides vorgeschrieben. Die Tracht von heute ist relativ unveränderlich, der Schnitt der Kleider ist nicht nur viel einfacher und übersichtlicher, sondern auch viel einförmiger geworden, er hat sich der wenig veränderlichen Kleidung des Mannes angenähert. Die Frauen altern heute, wie man weiß, viel später als einst; das hängt damit zusammen, daß zwischen der Kleidung des jungen Mädchens und der Matrone kein sehr wesentlicher Unterschied mehr besteht; und das ist wiederum der männlichen Tracht nachgefühlt, kleidet sich ja der Greis nicht viel anders als der Jüngling. So ist die Kleidung des parallel-erotischen Fühlens wesentlich einfacher und wesentlich billiger geworden, und damit haben sich auch die schroffen Unterschiede zwischen den Ständen ein wenig gemildert.
Auf die allgemein bekannten Vorteile, die das Jumperkleid im praktischen und besonders im Erwerbsleben vor jeder komplizierten Toilette voraus hat, brauche ich nicht einzugehen. Weil aber Kleider nicht nur Leute, sondern auch Seelen machen, wirken die modernen Formen der Kleidung wiederum nivellierend aufs Fühlen zurück, tragen das ihrige bei, die Spannung zwischen den Geschlechtern abzumäßigen. Zwischen einem entschieden männlich gekleideten Kavalier und einer richtigen Dame besteht von vornherein eine schroffere erotische Spannung als zwischen zwei Sportkameraden, die ihre Anzüge nahezu vertauschen könnten, ohne daß es sonderlich auffiele. Ich habe die Mode von heute zu charakterisieren versucht mit ihrer Neigung, männliche und weibliche Kleidung ähnlich zu machen. Aber - es sieht aus, als ob dies gar nicht mehr die Mode von heute wäre, vielmehr die von gestern, denn die Auguren stecken die Köpfe zusammen und verkünden eine neue, stark ausgeprägt weibliche Mode. Sie beginnt beim Kopfe: das Haar wird länger, Löckchen bauschen sich, rahmen die Stirne ein, der ausrasierte Nacken beginnt ein bißchen lächerlich zu wirken, und wo das Haar nicht allen Anforderungen nachkommen kann, wird ruhig falsches zugesetzt. Die Röckchen sind nicht mehr Röhrenkittel, sie werden weiter, Spitzen setzen sich da und dort fest, rieseln über den Saum des Kleides, machen das Kleid länger. Die neue Gewandung ist nicht mehr eine dünne Haut über der Körperhaut, sie gewinnt eigenes Leben, Schleifen und Volants erscheinen, die festgezeichneten Formen werden aufgegeben, etwas Schwebendes und Duftiges, vielleicht etwas Glockiges liegt wieder um den weiblichen Körper. Bei Festen erscheint die Schleppe. Radikale sprechen sogar von einer fließenden Asymmetrie.

Die Mode ist ein Barometer des Fühlens, nicht das einzige, aber vielleicht das feinste, feiner als Kunst und Literatur, möchte ich meinen. (Diese Bezirke sind freilich zu groß, als daß wir sie noch betreten könnten.) Die Frauenmode, die auf dem Wege ist, entfernt sich wieder von der geraden Linie, das heißt aber: von der parallelen Erothic. Der Höhepunkt dieser Gefühlskurve scheint überschritten zu sein, eine polare Welle kommt wieder heran. Das ist natürlich nicht so zu verstehn, als wären wir im Begriffe, in ein neues und entgegengesetztes Extrem zu fallen; nach manchen geschichtlichen Erfahrungen läßt sich vielmehr voraussagen, daß eine Synthese auf höherer Ebene vollzogen werden wird. Die Frauen, die am weitesten gekommen sind, lehnen es heute ab, sich dem Manne anzugleichen - und die dem Sinn des Werdens nahe sind, haben damit, so scheint mir, schon vor lange begonnen; aber sie wollen auch nicht mehr einen nebelhaften "Menschen an sich" verwirklichen (wie man es in Rußland noch immer zu versuchen scheint), sondern sie wollen zuerst Frauen sein. Auf dieser von der Natur gewährten Grundlage wird die Annäherung der Geschlechter nicht nach Programmen, sondern im organischen Wachstum erfolgen. Unendlich groß ist die Spannweite individueller Abwandlungen, über sie reden hieße sich ins Unendliche verlieren. Alle sinnvollen, das heißt alle reif gewordenen und verantwortungsbewußten Wünsche gehen aber doch wohl auf dem Wege, der uns gewiesen ist.

Autor(en)