Absatz 13 bis 17

Absatz 13

Ich besitze keine anderen Aufzeichnungen über jenen Abend. Wir hätten ihn großartig über die Bühne gebracht, bekräftigten alle, und er war ein großer Erfolg. Zwei Tage später versuchte ich, den Namen des Rothaarigen ausfindig zu machen, aber niemand schien ihn zu kennen. Ich rief sogar die Bühnenarbeitergewerkschaft an, beschrieb ihn, und sie sicherten mir zu, sich zu erkundigen, wer dort an jenem Abend gearbeitet hat. Aber sie haben sich dann nicht wieder gemeldet, und so habe ich ihn nie wiedergesehen.

Absatz 14

An das Jahr nach meinem Verhör vor dem Ausschuss und nach dem Verkauf der Farm kann ich mich kaum erinnern und besitze über die Zeit auch nur gelegentliche Tagebuchnotizen. Hammett, der New York nicht ausstehen konnte, hatte von Freunden ein kleines Haus in Katonah gemietet und es mit seinen »Sammelstücken« von Plea-santville und einer enormen Menge von Büchern noch kleiner und beengter gemacht. Die Bücher türmten sich so auf Stühlen und dem Fußboden, dass man sich wie eine Schlange durch das Zimmer bewegen musste, bevor man auf der Couch eine kleine Ecke zum Sitzen fand.
In jenem Jahr musste ich auch zwei Polypen aus meinem Hals entfernen lassen, und wahrscheinlich erinnere ich mich deshalb an diese Operationen, weil sie zwei Tage nach der Premiere der Wiederaufführung von The Children 's Hour stattfanden. Ich hatte dabei Regie geführt, und so lag ich nach dem Eingriff im Bett und musste an meinen Platz im Theater denken. Kermit Bloomgarden, mein Produzent, hatte nach der Aufführung eine schöne Premierenfeier in einem kleinen italienischen Restaurant veranstaltet, und gegen Mitternacht gab unser Presseagent uns telefonisch die Rezension der New York Times durch. Ich stand vor der Telefonzelle, während Kermit mir die Rezension wiederholte, und fand es selbst ziemlich lächerlich, so aufgeregt darauf zu warten, was jemand über ein vor acht Jahren geschriebenes Stück zu sagen hatte. Theater ist naturgemäß oft ein verrücktes Geschäft, und an jenem Abend kam ich mir wie eine naive Anfängerin vor.
Im Lauf dieses Jahres hatte ich auch eine Affäre, wie man es romantisch verklärt nennen könnte - eine Affäre mit einem Mann, den ich abgewiesen hatte, als ich 21 Jahre alt war. Als ich jung war, fand ich seine Gemeinheiten noch lustig; aber mit vierzig erschienen sie mir als die reinste Grausamkeit, die er aus Vergnügen am Schmerz anderer an jedem ausließ, der in seine Nähe kam. Ich war wie Freiwild in jenem Jahr, und er gab sogar zu, dass er das gewusst und ausgenutzt hätte, um mir eine 25 Jahre zurückliegende schwere Beleidigung heimzuzahlen. Aber dieses Heimzahlen währte nicht lange, und kurz darauf folgte er mir nach Rom, ließ sich dort in ein Krankenhaus einweisen und verkündete mir, der Arzt habe Krebs bei ihm festgestellt. Ob ich seinen Kindern telegraphieren könnte? Seine Kinder kamen nicht, aber jedes Mal, wenn ich ihn wieder widerwillig besuchen kam, hatten wir eine andere Art von Abschiedsszene: Einmal war er froh über sein in vollen Zügen genossenes Leben und malte aus, welch ein Vergnügen die Nachricht von seinem Tode seinen Feinden wohl bereiten würde (er sagte, das brauchte ich nicht abzustreiten, was ich auch unterließ); anderntags schloss er mitten im Gespräch die Augen in, wie er sagte, reißenden Schmerzen, die ihn den Tod herbeisehnen ließen. Bei zwei Besuchen diskutierte er mit mir die Aufteilung von Besitz, der ihm gar nicht gehörte: Alles sollte an mich gehen, weil seine Kinder sich auf das Telegramm hin nicht gemeldet hätten. Er hinterließ mir einen Picasso, der gar nicht sein Eigentum war, sowie zwölf Regence-Stühle, die bei einer Firma eingelagert seien, deren Namen ihm gerade nicht einfallen wollte. Mir machten diese Besuche kein Vergnügen, doch ich kann nicht bestreiten, dass mich, trotz allem, was ich über ihn wusste, seine Tapferkeit berührte. Gegen Ende der Woche begegnete ich zufällig auf dem Flur seinem Arzt. Der Arzt war Amerikaner, also konnte es nicht an der Sprache liegen, dass wir Verständigungsschwierigkeiten hatten, bis ich auf die schrecklichen Krebsschmerzen seines Patienten zu sprechen kam und fragte, ob man denn gar nichts dagegen machen könnte. Der Arzt erwiderte, sein Patient habe einen leichten Dickdarmkatarrh, wegen dem man gar nicht im Krankenhaus liegen müsse, und würde heute entlassen. Ich ging zu ihm, steckte meinen Kopf durch die Tür, berichtete ihm das alles, woraufhin er schrie: »Der Arzt ist ein Lügner! Er hat mir gesagt, dass ich Krebs habe!« Ich habe den Krebssimulanten seitdem nicht wiedergesehen, aber er hat mir vor ungefähr acht Jahren einen Papiersonnenschirm aus Japan geschickt.
Ich glaube, dass ich mich deshalb noch nach Jahren an diese unbedeutende Affäre erinnere - Affäre ist ein viel zu gewichtiges Wort für das, was sich zwischen uns ereignete, weil ich, übel behandelt von einer Gruppe politischer Schurken, offenbar getrieben war, eine andere Sorte Schurken und eine andere Art übler Behandlung zu suchen. Was mir heute lustig vorkommt, fand ich an jenem Abend, als ich auf einem Kai in Palm Beach stand und von Weitem sah, wie er eine Frau umarmte, keineswegs komisch. Als er mich bemerkte, kam er zu mir und erklärte lächelnd: »Das war meine Schwägerin. Mein schrecklicher Bruder hat sie wieder einmal ohne einen Cent sitzengelassen.« Ich wäre mir dumm vorgekommen, ihm zu antworten, dass er überhaupt keinen Bruder habe, und so fuhr ich nach New York zurück und dachte, dass Kummer immer nur neuen Kummer hervorbringt, und dass es das ist, was man am meisten zu fürchten habe. Ich musste noch lernen, dass Veränderung, Verlust und ein neues Leben nur dann Gefahr bedeuten, wenn man sich vom Unheil angezogen fühlt.
Das Geld begann immer schneller zu zerrinnen. Mein Verdienst von 180.000 Dollar im Jahr (vor der Schwarzen Liste im Filmgeschäft) hatte sich auf fünfzig-, dann zwanzig- und schließlich zehntausend reduziert, die mir das Finanzamt dann auch noch fast vollständig wieder abnahm, nachdem es eine Forderung aus dem Erlös des Verkaufs eines Bühnenstücks geltend machte, den die vorhergehende Administration gutgeheißen hatte. Ich verstand das nicht und verstehe es auch heute noch nicht, aber mein Rechtsanwalt riet zu einem Vergleich. Am Ende war der Vergleich so teuer, dass nur sehr wenig übrigblieb.
Der Verlust des Geldes änderte weniger, als ich gedacht hatte; von dem Glauben an die Mittelklassensicherheit hatte ich mich nie ganz befreien können, aber das hat auch gewisse Vorzüge. Am lästigsten empfand ich die Notwendigkeit nachzurechnen, was ich mir zum Abendessen leisten konnte, wieviel Hausarbeit ich selbst übernehmen musste, auf wie viele Kleider ich verzichten musste, die ich gern gehabt hätte. Außerdem ärgerte ich mich, dass Hammett trotz meiner Proteste jeden Monat nur eine äußerst bescheidene Summe aus dem Safe holte, viel zu ärmlich lebte und nie etwas für sich persönlich ausgab außer für Essen und Miete. Das machte mich traurig: In den ganzen zehn Jahren seit der Fiskus die Hand auf sein Einkommen gelegt hatte - zwei Tage nach seiner Einlieferung ins Gefängnis -, hat er sich nie einen neuen Anzug gekauft oder auch nur eine Krawatte. Nur ein einziges Mal leistete er sich zur Premiere meines Stückes Toys in the Attic einen neuen Smoking, und ich glaube, der Abend im Theater und das Gefühl des neuen Anzuges machten ihn tatsächlich glücklich. Toys in the Attic war 1960 ein großer Erfolg, und zumindest finanziell gesehen waren damit die schlechten Zeiten vorbei. Hammett starb ein Jahr später, doch wenigstens dieses letzte Jahr lebte er in Sicherheit.

Absatz 15

Mit Mrs. Shipleys zeitlich begrenzter Ausreisegenehmigung hielt ich mich 1955 in Rom auf. Ich arbeitete an einem Film für Korda, den Max Ophüls als Regisseur drehen sollte, und hatte Rom zum Leben gewählt, weil es billiger war als jede andere Stadt. Ich hatte ein kleines Apartment mit Kochnische in einem schäbigen Hotel im ordinären Viertel Parioli bezogen. Zwar hatte ich ein paar Freunde, doch mochte ich in dieser Zeit keine Menschen sehen, weil ich immer nur daran dachte, wie ich Geld sparen oder es strecken könnte, indem ich selbst kochte, zu Fuß ging, statt mit dem Taxi zu fahren. All das hasste ich so sehr, dass ich dann und wann plötzlich losziehen und ziellos Geld ausgeben musste. Dieses Geldausgeben entwickelte sich zu einer solchen Zwangsvorstellung, etwas so Lächerlichem, dass ich mir schließlich eine Methode zurechtlegte, um damit umgehen zu können. In diesem und den folgenden Jahren genehmigte ich mir, wo auch immer ich mich aufhielt, eine fünf Dollar entsprechende Summe pro Woche zum Verschwenden. Ich gab sie fast immer in einem Ramschladen für Dinge aus, die ich nicht brauchte: Spiele; schlechte Süßigkeiten; Lippenstifte in grässlichen Farben; Spielzeug, das auseinanderfiel; Taschenbücher, die ich schon gelesen hatte; kleine Nähkästchen und Nähzeug, weil ich mir selbst das Stopfen und Flicken beibringen wollte. Mein Fünf-Dollar-Tag war immer ein Montag, und wie sich herausstellte, hatte ich eine gute Lösung gefunden: War der sinnlose Kram einmal gekauft, fühlte ich mich erleichtert und nicht länger von den Kleidern, Schuhen und Handtaschen in Versuchung geführt, die in jenem Jahr in Rom besonders hübsch waren.
Ich war mehr allein denn je zuvor, aber das Leben war dennoch angenehm, und ich bekam viele der verborgenen Schätze der Stadt zu sehen, weil ich mich nach billigen Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten umsah und bei meiner Suche viele schöne kleine Kirchen und interessante Bauten in Stadtteilen entdeckte, die ich normalerweise nicht betreten hätte.
Ab und zu begegnete ich ein paar Freunden oder Amerikanern, die auf der Durchreise waren, und manchmal wurde ich von Korda auf seine Yacht zitiert, gewöhnlich vor Antibes, um mit ihm über das Drehbuch zu sprechen oder vorzulesen, was ich bisher geschrieben hatte. Er und Ophüls waren sehr angetan von meiner Arbeit, und ich kehrte dann zurück nach Rom, um weiter an der Adaption eines Romans von Nancy Mitford zu sitzen, den ich in guten Zeiten nie angerührt hätte. Dabei hoffte ich, dass ich es nicht für alle Zeiten nötig haben würde, meinen Lebensunterhalt mit einer Arbeit zu verdienen, die ich nicht mochte.
Ich besitze nur wenige genaue Erinnerungen an diese Monate in Rom, eine davon ist das Drama, das sich im Juli ereignete. Zu jener Zeit war Mrs. Luce die amerikanische Botschafterin, und fast niemand, den ich kannte, war davon angetan, außer einem Ehepaar, das ich vor Jahren in New York kennengelernt hatte. Die Frau war eine Radikale gewesen, die ich hier und da mal gesehen hatte, und ihr Mann war meines Wissens Schriftsteller. Dass die beiden mit Mrs. Luce befreundet und oft ihre Gäste zum Dinner waren, verblüffte viele Leute: Wieso sollte Mrs. Luce Menschen mit radikaler Vergangenheit mögen? Da ich keine zwingenden Beweise dafür habe, dass sie in die Dinge, die mir zustießen, tatsächlich verwickelt waren, werde ich ihre Namen hier in Dick und Betty ändern. Was ich aber mit Bestimmtheit sagen kann, ist, dass Dick nicht nur für einen Pressedienst Nachrichten sammelte, sondern auch für die CIA und, mit allen Wassern gewaschen, auch für den Vatikan.
Eines Abends traf ich zufällig Sam und Frances Goldwyn und setzte mich mit ihnen in ein Straßencafe, - wo wir von Dick und Betty begrüßt wurden, in Begleitung von zwei halbnackten Filmsternchen und einem Mann, der sein Hemd bis zum Bauchnabel offen trug und dazu Armbänder von beiden Handgelenken bis hoch zu den Ellenbogen. Ich glaube nicht, dass Goldwyn schon einmal einen Mann mit soviel nacktem Fleisch und Schmuckbehang gesehen hatte, so dass er einigermaßen abgelenkt war von Bettys Erzählung, dass ihre Freundin Mrs. Luce von einem rätselhaften, geheimnisvollen Gift angegriffen worden sei, vielleicht durch von der Zimmerdecke fallende Putzflöckchen. Goldwyn verstand das Wort poison (Gift) gemäß seines Akzents, und wunderte sich, wie wohl persons (Personen) von der Decke fallen könnten. Vielleicht war er damit gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt: Mrs. Luce musste nach Amerika zurückkehren, offiziell, weil sie krank war, wenngleich viele Italiener glaubten, dass der Grund darin zu suchen war, dass sie sich zu offen in Regierungsangelegenheiten eingemischt hatte.
Doch das ereignete sich erst später. An einem Morgen im Monat Juli aber wachte ich auf und las im Rome Daily American, dass Senator McCarthy mich vorgeladen hätte. (Ich vermutete nach dem Artikel, dass mir die Vorladung in Rom zugestellt werden würde, wenn herauskäme, dass ich nicht in New York sei.) Mein Pass hatte nur noch zehn Tage Gültigkeit, und bis zu jenem Tag war ich überzeugt gewesen, dass Mrs. Shipley ihn bestimmt verlängern würde. Aber ich wusste sogleich, dass Korda mich nach dieser Nachricht nicht weiter beschäftigen würde, nicht beschäftigen konnte, noch dazu ohne Pass.
Ich machte mich auf den Weg zum Telegraphenamt, um McCarthy meine Adresse in Rom zu schicken, doch nachdem ich unterwegs ein paar Tassen Kaffee getrunken hatte, wurde mir klar, dass irgend etwas nicht stimmen konnte, denn er musste meinen Aufenthaltsort in Rom eigentlich kennen und wissen, wo er mich erreichen konnte. Als ich erst nach einer Stunde zu diesem Schluss gekommen war, wusste ich, dass ich mich lieber nicht mehr auf mein eigenes Urteil verlassen sollte. Ich rief also Ercole Graziadei in seinem Büro an, einen guten Rechtsanwalt mit ausgezeichnetem Ruf als Antifaschist unter Mussolini, den ich einige Male getroffen hatte. Er erklärte mir, dass, auch wenn der Zeitungsartikel nicht den Tatsachen entsprechen sollte, der amerikanische Konsul in Rom meinen Pass nun sicherlich nicht mehr verlängern würde. Zudem halte er Rom nicht mehr für einen geeigneten Aufenthaltsort für mich, da die italienische Regierung oft Anweisungen von Mrs. Luce entgegennehme und mich schon wegen einer geringfügigeren Sache als Nichtbefolgung einer gerichtlichen Vorladung oder Benutzung eines abgelaufenen Passes festnehmen oder ständig belästigen lassen könne. Ich erwähnte meinen Plan, sofort nach New York zurückzukehren. Über diese Idee lachte er nur: Ich würde einen Job aufgeben, den ich dringend brauchte, und geradewegs in neue Unannehmlichkeiten stolpern. Warum ich nicht für ein paar Tage nach London ginge und dort, wo die Regierung gewiss keine Anweisungen von Washington entgegennehme, um eine Verlängerung meines Passes nachsuchte? Das schien mir vernünftig zu sein, denn es würde mir auch die Gelegenheit geben, Hammett von einem nicht angezapften Telefon aus anzurufen und mich nach der McCarthy-Geschichte zu erkundigen. Graziadei sagte, sein Schwiegersohn würde mir ein Flugticket für heute Nachmittag nach London besorgen. Ich sollte in mein Apartment zurückgehen, genau das tun, was ich jeden Tag um diese Zeit täte, als Gepäck nur das Nötigste in einer Einkaufstasche mitnehmen, dann in einem Taxi zum Excelsior Hotel fahren, dort zehn Minuten an der Bar zubringen und ein anderes Taxi zum Flughafen nehmen, wo sein Schwiegersohn auf mich warten würde.
Ich machte alles genau so, wie Graziadei es mir aufgetragen hatte. Um viertel nach zwei verließ ich das Hotel, nahm ein Taxi zum Excelsior und bestellte mir einen starken Drink, bevor ich zum Flughafen aufbrach. Der Flughafen war um diese Zeit ziemlich leer, nur der Schwiegersohn wartete mit dem Flugticket auf mich. Ich las in einer Zeitschrift, als über Lautsprecher mein Name ausgerufen wurde mit der Aufforderung, ans Telefon zu kommen. Ich rührte mich erst nicht, aber als der Lautsprecher mich erneut ausrief, dachte ich, ich müsste wohl doch hingehen. Schließlich konnte mich das Mädchen am Schalter, bei dem ich mich für den Flug eingetragen hatte und von wo sie mich über Lautsprecher ausrief, von ihrem Platz aus sehen. Als ich an den Schalter trat, sagte sie: »Die Sekretärin der Contessa - wünscht Sie zu sprechen.« Ich hatte die ältere Contessa bei ein paar Gelegenheiten getroffen, einmal bei einer Einladung zum Mittagessen bei ihr im Palazzo und einmal zum Tee, bei dem sie mir stundenlang - so kam es mir wenigstens vor - ihre englische Herkunft erläuterte und ihre Qualen beschrieb, mit einem Italiener verheiratet zu sein. Ich wunderte mich natürlich, woher ihre Sekretärin wissen konnte, dass ich auf dem Flughafen war. Eine Frau mit einem so starken englischen Akzent sprach zu mir durch das Telefon, der mir fast künstlich vorkam. Sie erklärte, sie sei die Sekretärin der Contessa, und ob ich am Wochenende, wenn die Contessa wieder in Rom sei, zu einem Abendessen in kleiner Gesellschaft kommen könne? Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, wiederholte ich die Einladung, sagte dann zu und erklärte, gerade auf dem Flughafen eine Freundin aus Amerika abzuholen. Danach rief ich Graziadei an, der mir sagte, er glaube nicht an diese Geschichte mit der Contessa, sondern vermute vielmehr, dass mir jemand zum Flughafen gefolgt sei, dann aber meine Spur verloren hätte und sich nun vergewissern wolle. Trotzdem sei es jetzt zu spät, sich Sorgen zu machen, und ich sollte mich aus London melden.
Während des abrupten Aufbruchs nach London war ich so nervös, dass ich bis zu meiner Ankunft überhaupt nicht über ein Hotel nachgedacht hatte, das möglichst billig sein sollte. Auf dem Weg zum Taxi überlegte ich mir, wie in alten Zeiten einfach wieder ins Claridge's zu gehen. Dort würde ich bestimmt weniger aufgeregt sein, und das Geld für die paar Tage konnte mir grad einfach mal egal sein.
Ich fühlte mich dann auch wirklich wohl in dem hübschen Zimmer und wurde sogar so verschwenderisch, mir ein gutes Abendessen zu bestellen. Außerdem war ich sehr froh, den alten Hausdiener wiederzusehen, den ich seit Jahren kannte, und der sich glücklich schätzte, mein schmutziges Baumwollkleid waschen zu lassen und mir morgens um acht wieder abzuliefern.
Um zehn Uhr saß ich auf einer Bank im Vorzimmer des amerikanischen Konsuls. Nachdem die Dame an der Anmeldung meinen Pass geprüft hatte, sagte sie, ich müsste mit dem Konsul direkt sprechen. Ein oder zwei Stunden später riet sie mir,  nachmittags  um drei  Uhr wiederzukommen, weil der Konsul gerade sehr beschäftigt sei. Offensichtlich war die Sache komplizierter. Ich ging mit einem Sandwich in die National Gallery, ganz so, wie ich das zwei- oder dreimal pro Woche während des Krieges gemacht hatte, als die Pianistin Myra Hess dort ihre Mittagskonzerte gab. Nun saß ich da und sehnte ich mich nach der Musik, die es nicht mehr gab und die außer mir wohl auch niemand vermisste. Ich fragte mich, warum mir damals, im Jahr 1944 während eines Dokumentarfilmdrehs, die tägliche Morgenfahrt in die Londoner Docks, auf die ständig V2-Bomben niederprasselten, weniger Sorgen gemacht hatte als meine gegenwärtige chaotische Lage.
Nach meiner Rückkehr führte mich die Vorzimmerdame nun sofort in das Büro des Konsuls. Er war ein freundlicher Mann mit guten Umgangsformen, und nachdem wir über seine Mutter gesprochen hatten, die zufällig auch in New Orleans geboren war, erklärte er mir, dass er meinen Pass nicht selbst erneuern oder verlängern könne. Das Gesuch müsse nach Washington weitergeleitet werden, und wir müssten auf Antwort warten. Ich hätte mir das zwar denken können, aber ich hörte mich sagen: »Ich kann nicht lange hierbleiben, das ist zu teuer, und ich habe auch nur ein Kleid mit und es regnet.« Er hatte wohl zu gute Manieren, um mich zu fragen, warum ich denn mit nur einem Kleid nach London gekommen sei. Stattdessen bekräftigte er, mich anzurufen, sobald Washington sich gemeldet hätte.
»Könnten Sie in Ihrem Telegramm schreiben«, fragte ich, »dass ich meinen Job verliere, wenn ich die Verlängerung nicht noch in dieser Woche erhalte?«
Er lächelte und erwiderte, ich sollte diese Nachricht vielleicht lieber selbst an Mrs. Shipley telegraphieren.
Ich telegraphierte nicht. Ich ging durch den Regen zurück und zerbrach mir den Kopf, wo ich ein billiges Kleid und einen Regenmantel auftreiben könnte, verwarf den Gedanken aber wieder und verkroch mich in meinem Bett.
Gegen Abend erinnerte ich mich an den Pub an der nächsten Ecke, den ich viele Male während des Krieges und danach aufgesucht hatte, und den eine charmante dicke Dame leitete, die immer liebenswürdig und freundlich gewesen war.
Sie und ihr Sohn in mittleren Jahren, Oliver, freuten sich über unser Wiedersehen. Sie hatte ein scharfes Auge, denn als sie mit den Bieren kam und sich zu mir setzte, fragte sie mich gleich, ob ich krank sei. Ich erwiderte, mir fehle nichts, aber ich mache mir Sorgen. Wir unterhielten uns lange, sie erzählte mir, dass sie sich wieder verheiraten und nach Devon ziehen würde, und sie rief nach Oliver, der mir ein großes Stück kaltes Roastbeef brachte. Ich glaube, dass ich zu viel Bier trank oder irgendwas anderes, denn warum hätte ich mir sonst in die rechte Hand schneiden sollen, außer mit Absicht? Ich weiß nicht mehr, ob ich es laut gesagt oder nur gedacht habe: dass seit langer Zeit Pech an dieser rechten Hand klebe, und wenn ich dieses Pech nicht abstreifen könnte, würde ich mich in jene große Armee von Menschen einreihen, die wissen, dass alles, was sie anpacken, schiefgehen muss, und die zum Schluss entweder die Hände einfach in den Schoß legen oder das tun, was sie lieber nicht tun sollten. Ich erinnere mich jedenfalls genau, dass Oliver übermäßig besorgt war wegen meiner Schnittverletzung und sie reinigte, während seine Mutter mich fragte, warum ich bei dem Wetter ohne Regenmantel unterwegs sei, und einen Poncho holte, den ein Gast vor Monaten zurückgelassen hatte. Ich habe keinen von beiden je wiedergesehen, aber wir schrieben uns viele Postkarten, und Oliver schickte mir seine Heiratsanzeige mit einer Frau namens Poly. Der Pub schloss ein paar Jahre später seine Türen. 1970 bekam ich einen Brief von Oliver, in dem er schrieb: »Ich nehme an, Sie werden wissen wollen, dass Ma vor zehn Monaten gestorben ist. Der Mann wollte sie doch nicht heiraten, also übernahm sie die Leitung eines anderen Pubs und starb schließlich schmerzlos im Bett bei meinem Onkel, der nicht ihr Bruder, sondern der Bruder meines verstorbenen Vaters war. Meine Poly war keineswegs traurig, Ma gehen zu sehen, aber ich bin's, und ich möchte Ihnen auch noch für das Hochzeitsgeschenk danken.«
Zwei Tage vergingen nach meinem Abend im Pub. Ich konnte mich nicht überwinden, jemanden in London anzurufen oder zu besuchen, den ich kannte. Ich weiß nicht mehr genau, was ich mit diesen zwei Tagen anfing, nur dass ich eine Bootsfahrt den Fluss hinauf unternahm. Am dritten Morgen rief eine Angestellte vom Konsulat an und bestellte mich für elf Uhr. Ich war schon um zehn Uhr da, zu keinem anderen Zweck, glaube ich, als um mich noch nervöser zu machen. Um elf Uhr sagte man mir, dass der Konsul noch in einer Konferenz sei, und ich solle bitte um zwei Uhr wiederkommen. Ich hätte gern gesagt: »Richten Sie ihm aus, er kann mich mal«, aber ich tat es nicht und dachte bedauernd an die Zeiten, in denen ich so etwas ohne Zögern ausgesprochen hätte. Stattdessen plauderte der Konsul dann um zwei Uhr liebenswürdig über das Wetter, dass es zu regnen aufgehört hätte und dass ihm London sehr gefiele, nur der Verkehr immer schlimmer werde, und Mrs. Shipley hätte im Übrigen meinen Pass für weitere drei Monate verlängert.
Ich rief Hammett vom Londoner Flughafen an und traf mit ihm die Verabredung, dass er zu einer bestimmten Zeit unter einer bestimmten Nummer meinen Anruf erwarten solle; wir hatten so eine Absprache schon vor längerer Zeit ausgemacht, für den Fall, dass einer von uns in Schwierigkeiten geraten würde und nicht an einem angezapften Telefon abgehört werden wolle. Danach rief ich Graziadei an und teilte ihm die gute Nachricht mit, worauf er mir berichtete, dass es in Rom keine weiteren Zeitungsberichte über meine Vorladung gebe, aber es vielleicht dennoch klüger sei, noch länger in London zu bleiben. Ich antwortete, das könne ich nicht, weil mein Kleid zu schmutzig sei, und er lachte und meinte, das sei nun wieder typisch weiblich.
Bei meiner Rückkehr in Rom wartete keine wichtige Post auf mich, und laut Aussage des Portiers hatte auch niemand nach mir gefragt. Ich rief die Contessa an. Ihre Sekretärin, die natürlich keinen englischen Akzent hatte, erklärte mir, die Contessa sei seit einigen Wochen verreist und würde erst in etwa einem Monat nach Rom zurückkommen.
Dann ging ich ins Grand Hotel und ließ mich zur vereinbarten Zeit unter der vereinbarten Nummer mit Dash verbinden. Er sagte mir, dass in den New Yorker Zeitungen nichts über eine gerichtliche Vorladung für mich gestanden hätte. Ich erwiderte, ich hätte jetzt zwar einen verlängerten Pass, aber vielleicht sollte ich trotzdem nach Hause kommen und McCarthy mitteilen, dass ich jederzeit zur Verfügung stände. Noch bevor ich diesen Satz beendet hatte, fuhr Dash dazwischen: »Hör mit deinem
kindischen Edelmutsgeschwafel auf und bleib wo du bist. McCarthy schnappt langsam über. Lass ihn ohne deine Hilfe überschnappen.« Dann berichtete ich ihm von dem Anruf von der Contessa am Flughafen, und es trat eine so lange Pause ein, dass ich ihn fragte, ob er noch dran sei. Er antwortete, ich sollte ihn doch einen Augenblick nachdenken lassen, schließlich sei er keine Maschine. Meine Feststellung, dass der Anruf am Flughafen mir Angst eingejagt hätte, konterte er damit, dass er genau das sollte.
Und dann fragte er plötzlich: »Wie hoch ist ein sehr gutes Trinkgeld in einem Italohotel?« - »Zwei oder drei Dollar.«
»O.k. Gib den ersten Hoteldienern fünf Dollar pro Nase. Dasselbe nochmal jedem Telefonisten. Jedem Portier zehn Dollar. Und sag allen, jeder könnte nochmal zehn Dollar verdienen, der dir sagen kann, wer dir am Tag deiner Abreise nach London gefolgt ist, beim Portier nach dir gefragt oder sonst ein Interesse an dir gezeigt hat. Und werde ausnahmsweise mal nicht ungeduldig. Lass all das ein paar Tage auf dich wirken, und vielleicht kommt zwischenzeitlich etwas ans Licht, vielleicht auch nicht.«
Ich sagte ihm, dass ich ihn für unerhört gerissen hielte, und er antwortete: »Nun hör schon auf, Lilly, mich dafür zu bewundern.«
Am nächsten Morgen verteilte ich das Geld und stellte die Fragen. Niemand wusste etwas, alle machten ein verblüfftes Gesicht, alle nahmen das Geld. Zwei Tage später - ich machte jeden Nachmittag gegen vier Uhr einen Spaziergang - sah ich einen Mann mittleren Alters, den ich als eine Art Aushilfsdiener aus meinem Hotel erkannte, vor einem Lebensmittelgeschäft stehen, als ich die Straße vor unserem Häuserblock hinunterging. Er gab dem Mann im Laden, dem das Geschäft gehörte, ein Handzeichen, und dieser bedeutete mir durch das Schaufenster, hineinzukommen. Der Laden war leer, und wir gingen ins Hinterzimmer, wo der Diener zu reden begann. Ich verstand fast kein Wort, und der englisch sprechende Ladenbesitzer meinte, ich solle mich nicht darum kümmern, sein Cousin könne nicht gut reden, irgend etwas habe schon immer nicht mit ihm gestimmt. Er fuhr fort, sein Cousin sei am Vorabend zu ihm gekommen und habe ihm erzählt, ich verschwendete mein Geld bloß an die Leute im Hotel, denn sie hätten alle Angst zu reden. Er habe seinem Cousin gesagt, er brauche keine Angst zu haben, ich würde ihn bestimmt für das bezahlen, was er mir zu sagen hätte, aber ihn sicher mit keinem Wort in »die Affäre« hineinziehen. Ich erklärte, natürlich würde ich ihn bezahlen und keinesfalls in »die Affäre« hineinziehen, da ich auch selbst nichts riskieren und schon gar nicht andere in Schwierigkeiten bringen wolle. Die erste Frage überraschte mich: Der Cousin wollte wissen, ob ich schon einmal in einem Film mitgespielt hätte oder eine Anarchistin sei. Ich erwiderte, dass ich Drehbücher für Filme schriebe und für Anarchisten nichts übrig habe. Das gefiel dem Aushilfsdiener wohl nicht besonders, denn eine Weile kaute er an einem Daumennagel und weigerte sich weiter zu sprechen. Der Ladenbesitzer wurde ungeduldig und stieß seinem Cousin die Hand vom Mund. Die Übersetzung der nächsten fünf Minuten - sie gestaltete sich schwierig, da der Hausdiener oft vom Thema abschweifte und der Cousin ihn dafür anschnauzte - lief im Kern darauf hinaus, dass einer der Hotelportiers ein Polizeispitzel war, zwei Telefonisten ebenfalls, und es sei auch nicht das erste Mal gewesen, dass ein Mann gekommen wäre und sich erkundigt hätte, mit welchen Leuten ich ausginge, wer mich besuchte und so weiter. Von Zeit zu Zeit hätte man ihm auch meine Post ausgehändigt. Der Hausdiener sagte, dass der Portier gesehen habe, wie er dabei herumgestanden und zugehört     habe und ihm dann gedroht habe, er würde deportiert werden, wenn er jemals den Mund über diesen »Herrn« aufmache. Offensichtlich hatte der Ladenbesitzer diesen Teil der Geschichte noch nie gehört, denn er wurde wütend und schrie, dass der Faschismus zu Ende sei, und warum sein Cousin ihm diese Schweinerei von der Deportation nicht gleich erzählt habe. Er würde jetzt selbst dort hingehen und den Portier öffentlich bloßstellen, denn er wünsche keinen Faschisten in seiner Familie.
Ich konnte nichts tun, als das Ende seiner Tirade abzuwarten. Während der Ladenbesitzer einen Kunden bedienen musste, versuchte ich es mit meinem schlechten Italienisch: wie der Mann hieße, der so oft nach mir gefragt hatte? Er kannte den Namen nicht. Wie er denn aussähe? Er sei Amerikaner, über dreißig, ziemlich groß, blond, sauber gekleidet und mit schon spärlichem Haar. Als der Besitzer zurückkam, bat ich ihn, den Cousin zu fragen, ob der Akzent des Mannes meinem ähneln würde. Er verneinte. Ich imitierte einen von der Westküste. Auch nicht. Ich versuchte, einen Südstaatler nachzuahmen. Ja, das käme seiner Aussprache schon näher. Ob der Mann den Portiers oder Telefonisten Geld gegeben hätte? Der Hausdiener sagte, das glaube er nicht, der Mann sei ein »Offizieller«, und
er vermute, sie bekämen ihr Geld monatlich von irgend einem Büro ausgezahlt. Für was für einen »Offiziellen« er den Mann denn hielte? Der Lebensmittelhändler lachte: ob ich denn nicht wüsste, dass die Amerikaner, mein Volk, viele Agenten hätten und alle für Informationen bezahlten.
Nachdem er diese Praxis etwas zu lange geschmäht hatte, gab ich ihm eine Summe im Gegenwert von rund zwanzig Dollar, die er mit seinem Cousin teilte, und sagte ihm, es gäbe noch einmal die Hälfte, wenn er mich rufen würde, falls der Mann wieder mal erscheinen sollte, oder wenn er den Namen des Mannes herausbekäme. Wir schüttelten uns alle die Hände, quatschten noch ein wenig über die Schlechtigkeit der Welt, und dann wanderte ich zwei Stunden lang durch die Gegend und versuchte, meinen Besucher nach der Beschreibung einzuordnen. Sie passte auf viele Personen.
Doch am folgenden Morgen fand ich einen Zettel unter meiner Zimmertür. In Druckbuchstaben stand da auf Englisch: »Der Mann heißt Dick. Stecken Sie zehn amerikanische Dollar in Briefumschlag und geben Sie Umschlag im Lebensmittelgeschäft ab.« Unterschrieben war der Zettel mit Sophia Sanitation, einem interessanten Namen. Ich tat, was sie verlangte, der Ladenbesitzer nahm den Umschlag, nickte und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Vielleicht arbeitete tatsächlich eine Sophia Sanitation im Hotel; wahrscheinlich aber wussten der Diener und der Ladenbesitzer den Namen schon am Tag zuvor, hatten aber mit dem Zurückhalten der Information nur weitere zehn Dollar ergattern wollen.
Nach diesen Erkenntnissen hielt ich es nun doch für das Beste, Rom zu verlassen. Ich sollte nie wieder etwas von McCarthy oder dieser Gerichtsvorladung hören, aber Dick und Betty kreuzten noch öfter, in unwichtigen Zusammenhängen, meinen Lebensweg. Die Dame hatte viele Jahre nach dieser Geschichte eine Liebesaffäre mit einem meiner Freunde, dem sie erzählte, dass sie sich wegen der Verbindungen ihres Mannes zur CIA schäme, und dass dies einer der Gründe sei, weswegen sie ihn verlassen wolle. Als die Affäre vorüber war, kehrte sie aber natürlich wieder zu ihrem Mann zurück. Der aber verlor offenbar wegen der Indiskretion seiner Frau die Nerven und schrieb dem Exliebhaber, er wäre in der Tat bei der CIA aktiv gewesen, sei es aber mittlerweile nicht mehr im Gegensatz zu seiner Frau, die weiterhin als wertvolle und hochbezahlte Agentin arbeite, und dass er hoffe, es würde ein Geheimnis zwischen ihm und meinem Freund bleiben. Das blieb es nicht.
Ich habe keine Ahnung, warum die CIA sich für mich in Rom interessierte, aber ich bin überzeugt, dass Dick die Geschichte mit der Gerichtsvorladung an die Zeitungen in Rom vermittelt hat, in der unbegründeten Hoffnung, etwas auszugraben, um seinen Chefs eine kleine Neuigkeit schicken zu können. In jenen Tagen - anders als heute, wo die Stufe der Einmischung höher und gefährlicher ist - beschäftigte die CIA fast jeden dahergelaufenen Typ als freien Mitarbeiter gegen Erfolgshonorar, und wenn man auf dieser Basis arbeitet, muss man viele Gerichte anrühren und aufs Feuer setzen, damit wenigstens eines vielleicht mal den Geschmack trifft und sich bezahlt macht.
In diesem Jahr gelang mir generell nicht besonders viel. Korda, der mein Manuskript gemocht hatte, dem das fertige Drehbuch aber dann plötzlich nicht mehr zusagte, weigerte sich, mir das fällige Honorar zu zahlen. Er vergaß dabei zu sagen, dass er mich gar nicht bezahlen konnte, unabhängig von der Qualität meines Drehbuchs, denn er hatte vor einer Woche Bankrott gemacht.
So kam ich nach New York zurück, wo ich eine Weile gar nichts machte. Dann hatten wir, was nicht überraschte, kein Geld mehr. Ich nahm unter anderem Namen einen Halbtagsjob in einem großen Kaufhaus an, den mir eine alte Freundin, die dort auch arbeitete, besorgt hatte. Ich war in der Lebensmittelabteilung, was seine Vorzüge hatte, aber ich hielt das Ganze geheim, weil ich wusste, dass es Hammett quälen würde. Ungefähr sechs Monate später starb in New Orleans eine Tante von mir, die ich sehr liebte, und hinterließ mir eine größere Summe: Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass meine Tante in einem Leben voller harter Arbeit so viel gespart haben könnte.
Ich begann wieder zu schreiben, kann mich aber an Einzelheiten nicht mehr erinnern, vielleicht weil es nur Übungsarbeiten waren.
Hammett und ich mieteten uns in jenem Sommer ein Haus auf Martha's Vineyard, und die feine schwarze Dame, Helen, arbeitete wieder für uns, weil wir sie wieder bezahlen konnten. Nichts war mehr so wie früher, aber da es uns schlecht gegangen war, kamen uns die kleinen Freuden schöner vor denn je - das gelegentliche Mieten eines Katboots für einen Tag zum Segeln, ein Paddelboot für den Teich, ein Gebrauchtwagen, keine Sorgen wegen der Lebensmittelrechnungen. Wir hatten einen guten Sommer.
Und es war der Sommer der Army-McCarthy-Hearings.[12] Für uns kamen sie natürlich zu spät, um noch viel zu ändern, und sie machten insgesamt den Eindruck eines wirren Durcheinanders. Das versoffene, von Klinikaufenthalten gezeichnete Gesicht von McCarthy, manchmal hämisch und fröhlich wie in seinen guten Tagen, oft voller Unglauben und Zorn darüber, dass er sich nun in einer derartigen Lage befand. Er und seine Boys, Roy Cohn und David Schine[13] - die frechen, aber weniger selbstsicheren älteren Brüder von Haldeman und Ehrlichman[14] waren ein Dreigespann, wie es im Buche stand: Schine mit seinem Gesicht eines Collegestudenten, Cohn mit seinem plumpen Körper und dem schmollenden, sinnlichen Mund und McCarthy - eine Gruppe, die nach Jahren ihres wilden Ritts vor unseren Augen zusammenbrach. Bonnie, Bonnie und Clyde, die auf alles geschossen hatten, was ihnen in die Quere kam, auf den Pferden des Königs in amtlich geprüfter, kugelsicherer Rüstung in die Schlacht reitend.
Und dann kamen Mr. Stevens, der Verteidigungsminister, ein merkwürdig gefühlloser, unsympathischer Mensch, und der Rechtsanwalt Joseph Welch, ein Bostoner Gentleman, an dessen vielbewunderten Satz man sich erinnert: »Haben Sie denn kein Gefühl für Anstand, Sir?« Ich fand diese Bemerkung komisch; hatte Welch wirklich so lange gebraucht, um das herauszufinden, oder zeigte sich hier nur der Instinkt des guten Schauspielers für den richtigen Augenblick?
Denn natürlich war McCarthy schon lange vor Beginn der Hearings am Ende - nicht weil er zu weit vorgeprescht war und im heiligen Revier der Armee gewildert hatte, sondern weil die meisten Amerikaner einfach und deutlich genug von ihm und seinen beiden Jungs hatten.
Der Herausgeber und Kritiker Philip Rahv, ein früherer Antikommunist und später einer der ersten Anti-Antikommunisten, hat es vor einem Jahr in einem ausnahmsweise unmissverständlichen, wütenden Artikel so ausgedrückt: »Nichts in Amerika kann länger als zehn Jahre überdauern. McCarthy wird bald am Ende sein.« Und das, glaube ich, war die Wahrheit, genau das. Wir waren nicht empört über den Schaden, den McCarthy angerichtet hatte, oder darüber, dass er so viele Leute ins Verderben gestürzt hatte. Wir waren auch nicht überrascht oder wütend über Cohn und Schine, die mit dem Recht spielten wie bei einer nächtlichen Kissenschlacht. Wir hatten schlicht und einfach die Nase voll von ihnen.
Viele zerbrochene Leben lagen entlang der Schneise, die die Jungs geschlagen hatten, aber doch nicht so viele, dass die Menschen sich schuldig fühlen mussten, wenn sie ihnen so rasch wie möglich den Rücken wenden wollten und einander sagten, wie später erneut nach Watergate, dass die amerikanische Rechtsprechung immer die Oberhand gewinnen wird, wie fahrlässig auch sie auch kritischen Außenseitern vorkommen mag.
Es stimmt nicht, dass man aus Schaden klug wird, sonst hätten wir nicht wenige Jahre später Richard Nixon gewählt, einen Mann, der so eng mit McCarthy verbündet gewesen war. Es war kein Zufall, dass Mr. Nixon eine Gruppe einflussreicher Spekulanten mitbrachte, mit denen verglichen Cohn und Schine wie gerissene kleine Schlingel aus der Grundschule aussahen. Die Namen und Gesichter hatten sich geändert; der Einsatz war höher, denn der Preis war das Weiße Haus. Und ein Jahr nach einem Präsidentschaftsskandal nie gekannter Größe haben wir auch sie schon fast wieder vergessen. Wir sind ein Volk, das sich nicht gern mit Erinnerungen an die Vergangenheit belastet. In Amerika hält man es für ungesund, sich an Irrtümer zu erinnern, neurotisch, über sie nachzudenken, und psychotisch, sich länger damit zu beschäftigen.

Absatz 16

Mir sollte nichts mehr zustoßen. Ich begann wieder Stücke zu schreiben und ab 1958 Angebote für Filmdrehbücher zu erhalten, die ich nicht mehr nötig hatte; ich stand nun nicht mehr länger unter Verdacht.
Hammett aber durfte nie wieder einen Cent seines selbstverdienten Geldes behalten. Und das Emphysem, das auf den Aleuten begonnen hatte, entwickelte sich zu Lungenkrebs. Seine letzten Jahre waren keine guten für ihn, aber er verlebte sie weitgehend, ohne sich darüber zu beklagen, was man ihm angetan hatte; und er weigerte sich auch, die Polizei zu rufen, als irgendwelche Leute, vielleicht sogar Amtspersonen, zweimal Schüsse durch das Fenster seines Häuschens feuerten. Doch diese Jahre hätten noch schlimmer sein können und waren es für viele Menschen auch.
Meine berufliche und finanzielle Situation erholte sich oder verbesserte sich sogar ein wenig. Trotzdem muss ich dieses Buch auf ähnliche Weise beenden, wie ich es begonnen habe: Ich habe mich nur teilweise von dem Schock erholt, der wohl, wie die meisten Enttäuschungen, mit dem zusammenhing, an was ich meinem persönlichen Wesen gemäß und meiner Zeit und Umwelt entsprechend geglaubt hatte. So hatte ich an die Intellektuellen geglaubt, ob es nun meine Lehrer oder Freunde oder Fremde waren, deren Bücher ich gelesen hatte. Das mag unverständlich sein für die jüngere Generation, die mit der gleichen Belustigung auf die Radikalen wie auf die Kommunistenhasser der dreißiger Jahre zurückschaut. Mir gefällt diese Belustigung zwar nicht, aber die Jungen haben wohl ein Recht darauf. So wie ich ein gewisses Recht auf meine Enttäuschung darüber habe, wozu es die braven Rinder der sechziger Jahre gebracht haben.
Vielleicht lässt sich das, was ich heute empfinde, am besten anhand eines Abends erläutern, den ich in London mit Richard Crossman verbrachte, der damals Redakteur des New Statesman and Nation und Abgeordneter der Labour Party im Parlament war. Wir begegneten uns ungefähr einen Monat nach Hammetts Einlieferung ins Gefängnis, und Crossman wusste nichts von meiner Beziehung zu ihm. Er hatte sich an mich als die einzige amerikanische Person im Raum gewandt, um mir zu sagen, welche Schande es sei, dass kein einziger Intellektueller Hammett zu Hilfe gekommen sei; wenn ein solcher Fall sich in London ereignet hätte, hätten er und viele Gleichgesinnte sofort protestiert, und zwar aus dem einfachen Grund, dass der Andersdenkende ein Recht auf seine Meinung habe und jeder die Pflicht habe, ihm beizustehen, auch wenn man diese Haltung nicht teile. Ich erinnere mich, dass Kingsley Martin, der kluge und verschrobene Herausgeber des New Statesman and Nation, sehr besorgt Crossman von meiner Beziehung zu Hammett in Kenntnis setzen wollte. Der achtete aber nicht auf Kingsley und erklärte, dass ein Engländer lange Zeit brauche, um sich eine bestimmte Freiheit zu erkämpfen, aber wenn er sie einmal erkämpft habe, könne sie ihm niemand mehr nehmen, während wir in Amerika rasch um uns schlügen, wenn es um die Freiheit ginge, sie uns dann aber innerhalb einer Stunde wieder rauben ließen.
In jedem zivilisierten Land sind stets Leute aufgestanden, um Menschen in politischer Bedrängnis zu verteidigen. (Früher galt es sogar bis zu einem gewissen Grad als ehrenhaft, politischer Gefangener zu sein.) Und so handelten auch bei uns ein paar Leute dementsprechend, aber eben nicht viele, und wenn man heute liest, was sie geschrieben oder gesagt haben, erscheinen einem auch ihre Worte ein wenig ängstlich oder zumindest zu überlegt.
Es stimmt mich traurig, wenn ich heute Texte der antikommunistischen Schriftsteller und Intellektuellen jener Zeit lese. Beziehungsweise eigentlich nicht traurig, sondern immer noch zornig, denn ihr Grund, mit McCarthy zu brechen, waren zu oft nur seine groben Methoden - als hätten sie dieselben Maßstäbe wie der Vorstand eines Country Clubs. Vielleicht haben diese Leute das Recht zu sagen, ich und viele Gleichgesinnte hätten zu lange gebraucht, um zu erkennen, was in der Sowjetunion vorging. Aber wie sehr wir uns auch geirrt haben mögen, ich glaube nicht, dass wir damit unserem Land einen Schaden zugefügt haben. Wohingegen ich davon überzeugt bin, dass sie das auf jeden Fall getan haben. Sie besuchten zu viele respektable Konferenzen, die nach respektablen Maßstäben keineswegs respektabel waren, und sie schrieben zu viel in CIA-Magazinen oder gaben zu viele davon heraus. Der nächste Schritt dieser Vergehen führte direkt in den Vietnamkrieg und zu Nixon. Viele der Antikommunisten waren selbstverständlich ehrliche Leute. Aber soweit ich weiß, hat sich keiner von ihnen öffentlich zu seinem Irrtum bekannt. Das ist in diesem Land auch gar nicht nötig, denn sie wissen ebenso gut, dass wir ein Volk ohne Erinnerungsvermögen sind.

Absatz 17

Wenn ich sage, ich hätte mich erholt, meine ich das nur im irdischen Sinne, denn ich glaube nicht daran, dass man Verlorenes wiedererlangen kann. Die Vergangenheit mit ihren Freuden, ihren Belohnungen, ihren Dummheiten und ihren Strafen aber bleibt für jeden von uns für immer bestehen, und so soll es auch sein.
Während ich die letzten Sätze über diesen unschönen Teil meines Lebens schreibe, sage ich mir, das war das Gestern, und hier ist das Heute, und die Jahre zwischen gestern und heute und das Gestern und Heute sind eins.