Die Situation der Lehrerin

Lehrerberuf als Frauenberuf?

»Die Feminisierung vermindert das relative Einkommen und das Sozialprestige des Lehrberufs und führt damit zu einer Verringerung des qualifizierten Angebots.«[1]
Ein Schulleiter lehnte die Bewerbung einer Lehrerin mit folgenden Worten ab: »Ist es nicht in Ihrem Interesse, der Feminisierung des Lehrberufes entgegenzuwirken?« (1977)

Der Lehrerberuf hat ähnliche Veränderungen durchgemacht, wie manche andere Berufszweige auch: zunächst war er Männern vorbehalten, später wurde der weniger prestigereiche Bereich der Grundschule schließlich weitgehend Frauen überlassen, und Frauen erhielten auch Zugang zu anderen Schulstufen.
1910 waren erst 26% der Lehrer im Deutschen Reich Frauen. Dieser Anteil erhöhte sich in der Weimarer Republik nicht. Heute sind es über 50%.[2] Die Aufgliederung zeigt jedoch, daß Frauen im Grundschulbereich konzentriert sind: 1974 waren 36,1% der Gymnasiallehrer und 62,6% der Grund- und Hauptschullehrer Frauen (für Grundschullehrer allein liegt der Prozentsatz über 70). Dies ist übrigens ein internationales Phänomen.
 

Zinnecker dokumentiert auf eindrucksvolle Weise die ideologische Einstellung gegen den Eintritt von Frauen in den Lehrerberuf.[3] In Preußen sah man in der Verweiblichung des Lehrerberufs eine Gefahr für das Volkstum. »Feminisierung« wurde zu einem Kampfbegriff, der sich bis heute erhalten hat (siehe auch das Kapitel über »Schulische Sozialisation»). 1969 schlug der Bildungsforscher Posch vor, den Lehrerberuf für Männer attraktiver zu machen, indem der Titel »Lehrer« Männern vorbehalten bliebe und Frauen als Lehrassistenten, als »sub- und paraprofessionelles Personal, über das der Lehrer Kontrolle ausübt», ausgebildet würden.[4] Dieses Wunschbild mag extrem und schwer durchsetzbar erscheinen. In den USA gibt es jedoch schon eine solche Kategorie des paraprofessionellen Lehrassistenten. Diese Stellen sind fast ausschließlich von Frauen besetzt, haben allerdings bisher nicht den Stand von Frauen im Lehrerberuf direkt angegriffen.
Helmut Köhler schlüsselte in einer statistischen Untersuchung von 1975 die Position von Gymnasiallehrerinnen auf. Wie zu erwarten, finden wir Frauen in bestimmten Fächern: Handarbeit, Sport und neue Sprachen. In Mathematik, Physik, Chemie, Geschichte, Sozialkunde und den alten Sprachen entfallen überdurchschnittlich viele Lehrbefähigungen auf männliche Lehrer. Darüberhinaus ergibt sich ein Frauenüberschuß lediglich in den unteren Altersjahren. In dieser Altersgruppe befinden sich eher Lehrer(innen) ohne Universitätsabschluß, z.B. Handarbeitslehrerinnen, Lehrer mit technischem Lehramt.[5]
In Bezug auf die steigende Anzahl von Grundschullehrerinnen kommt Köhler zu folgenden Schlußfolgerungen:

  • Sollte sich diese Relation im Laufe der Zeit noch weiter zugunsten der Frauen verschieben, so muß - selbst wenn man die Quote für das Ausscheiden von Frauen nach Verheiratung beziehungsweise nach der Geburt von Kindern in Rechnung stellt - damit gerechnet werden, daß in absehbarer Zeit an Grundschulen die männlichen Lehrer kaum mehr ins Gewicht fallen. Die Bildungspolitik hätte sich also für den gesamten Primarschulbereich dann auf eine nahezu ausschließlich aus Frauen bestehende Lehrerschaft einzurichten.
    Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Diskussion um die Chancengleichheit und die Förderung von Kindern aus unterprivilegierten Schichten die Bedeutung der Grundschulausbildung deutlicher gemacht und damit die Arbeit der Grundschullehrer aufgewertet hat. Bei einer Verwissenschaftlichung der Ausbildung und Gleichstellung der Grundschullehrer mit anderen Lehrergruppen könnte eventuell die Feminisierungstendenz abgeschwächt werden, denn die wachsende Erkenntnis, daß wichtige Entscheidungen über die Verteilung weiterer Bildungschancen bereits in der Grundschule und an ihrem Ende fallen, könnte sich positiv auf die Motivation der Lehrerstudenten für die Wahl dieses Einsatzbereiches auswirken. Tendenzen hierzu lassen sich aber bisher an der Alters- und Geschlechtsverteilung der Lehrer noch nicht ablesen.[6]

Bei der gegenwärtig steigenden Arbeitslosigkeit und sinkenden Bereitschaft, die Lehr- und Lernbedingungen an Schulen durch kleinere Klassen und eine größere Anzahl qualifizierter Lehrer(innen) zu verbessern, könnte Köhlers Voraussage realistisch sein. Gegen die »Feminisierung« wird jedenfalls mit den Mitteln vorgegangen, die für die Steuerung des weiblichen Arbeitsmarktes charakteristisch sind: schon 1975 stellte die Arbeitsgemeinschaft junger Lehrer (AJLE) der GEW in Hamburg in einer Untersuchung fest, daß die Chance für Frauen, in den Schuldienst eingestellt zu werden, nur halb so groß ist wie für männliche Bewerber. »Männliche Lehrerstudenten sind grundsätzlich doppelt bevorzugt: Bundeswehr und Ersatzdienst werden einerseits als Bonus beim NC angerechnet, andererseits führt dieser Zeitverlust 'zur Einstufung als Härtefälle' und damit zur bevorzugten Einstellung in den Schuldienst.«[7]
Bei der Umfrage des AJLE stellte sich heraus, daß bei gleicher Fächerkombination und Beurteilung von Frau und Mann der Mann eingestellt wird. Als besonderes Entscheidungskriterium wird Durchsetzungsfähigkeit herangezogen. An einer Schule (Grellkamp) wurde als einzige Voraussetzung für die angeforderten Referendare angegeben, daß sie männlichen Geschlechts sein sollten. Auf dem Arbeitsmarkt erhielten arbeitslose Lehrerinnen den Tip, sie könnten doch heiraten. »Durch den Appell an verheiratete Frauen, ihre Planstellen zu teilen, um den Lehrernachwuchs zu beschäftigen, delegiert man eine Verantwortlichkeit an die Frauen, die in Wirklichkeit bei Bund und Ländern liegt.«[8]
Diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen schlagen sich im Ausbildungsbereich nieder, wo sie durch Numerus Clausus und Regelstudienzeit eingeleitet werden. So schrieb Herta Däubler-Gmelin 1977:

  • Die »Studierfreudigkeit« von Frauen läßt deutlich nach: 1976 ist der Anteil der Abiturientinnen, die nicht studieren wollten, gegenüber dem Vorjahr von 12,7% auf 14,1% angestiegen; der Anteil der unentschlossenen Frauen stieg auf über 15%.
    Wollten 1975 noch drei von vier weiblichen Abiturientinnen studieren, so waren es 1976 nur noch 70,4% - der Anteil ging damit bei den Mädchen schneller zurück als bei den männlichen Abiturienten (1975: 81%; 1976: 78,7%). Der Anteil von Frauen an den in Ausbildung befindlichen Referendaren geht ebenfalls zurück. Offensichtlich wirkt das alte Argument wieder stärker, daß Mädchen den Jungen die Studienplätze wegnehmen, auch wenn es jetzt wissenschaftlich-statistisch aufgeputzt vorgetragen wird: »Rein statistisch gesehen nehmen ja viele Studienbewerberinnen, die aufgrund besserer Reifezeugnisnoten zum Studium zugelassen werden, männlichen Bewerbern den Studienplatz weg, obwohl eine größere Anzahl von ihnen ihr Studium nicht abschließt oder ihren Beruf nicht ausübt.« (U. Köbl, Die Frau im Arbeitsrecht, München, 1975,S. 5)[9]

Im Frühjahr 1978 stellte das Bundesbildungsministerium fest: die Studienneigung sank bei Männern auf 73%, bei Frauen jedoch auf 65%![10]

Motivation zum Lehrerberuf

Das Selbstbild von Lehrer(innen) wird von dem Gesellschaftsbild, das dieser Beruf genießt, mitbestimmt. Ein Bewußtsein über Sexismus im Erziehungswesen und die besondere Stellung der Lehrerin ruft auch Veränderungen im Selbstbild von Lehrerinnen und Lehrern hervor. Diesen Bewußtseinsveränderungen ist jedoch in bisherigen Untersuchungen nicht nachgegangen worden.
Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit dem Selbstbild und dem Gesellschaftsbild von Lehrern befassen. Die meisten unterscheiden leider nicht nach Geschlecht. Zinnecker gibt einen guten Überblick über die Forschung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Berufseinstellung in seiner Aufsatzserie »Lehrerin '70« in betrifft: erziehung.[11] Ich will hier einige Aspekte erwähnen, die für diese Arbeit von Bedeutung sind.

  • Lehrerinnen kommen aus allen Schichten, Lehrer eher aus der Unter- und Mittelschicht. Während der Volksschullehrerberuf für Akademikertöchter akzeptabel ist, ergreifen Akademikersöhne ihn nur, wenn sie keine andere Möglichkeit haben.
  • In der Einstellung von Primaner(innen)n zum Beruf finden Sozialisation und Erwartungen ihren Ausdruck: Frauen und ihre Eltern stellen weniger Anforderungen an den Beruf als männliche Schüler, die Ambitionen haben wie: Aufstiegschancen wahrnehmen, große Verantwortung tragen, Forschungsarbeit leisten etc.
  • Abiturient(inn)en schätzen das Prestige des Volksschullehrerberufes niedrig ein. Bei den Männern erfüllt er nicht Ansprüche an Gehalt und Laufbahnmöglichkeiten.
  • Volksschullehrer erhoffen für ihre Söhne einen Studienratsposten. An die Töchter geben sie den Beruf »so intensiv weiter wie Ärzte ihre Arztpraxen an die Söhne.« Der Volksschullehrerberuf erscheint Gymnasial- und Volksschullehrern als idealer Frauenberuf.

Der Volksschullehrerberuf ist somit innerhalb der letzten 50 Jahre zum Frauenberuf geworden, was die übliche Abwertung nach sich gezogen hat. Dies äußert sich ganz deutlich in den Antworten von Volksschullehrer(inne)n auf die Frage, ob sie ihren Töchtern/Söhnen diesen Beruf empfehlen würden:[12]

Volksschullehrerin, 54 J.:
Sohn:
»Der Lehrer ist zu sehr Untergebener - außerdem gesellschaftliche Stellung schlecht.«
Tochter:
»Der Beruf entspricht dem Wesen der Frau, außerdem gesellschaftliche Stellung gut.«
Volksschullehrerin, 35 J.:
Sohn: »Der Beruf ist zu nervenaufreibend, um ihn ein ganzes Arbeitsleben lang auszuführen.«
Tochter: »Es ist der naturgegebene nächstliegende Beruf für eine erzieherisch begabte Frau.«

Hier wird klar, daß für Frauen ein Beruf gut genug ist, der Männern nur wenig verspricht. Frappierend ist, daß nervliche Belastung Frauen durchaus zugetraut wird, während Männern aus dem Grund von dem Beruf abgeraten wird. Dies Argument kommt sowohl von Männern wie auch von Frauen. Es gehört offensichtlich zum »Wesen der Frau», ein nervenaufreibendes Leben verkraften zu können. Männer sollen sich Aufgaben widmen, die nervlich schonender sind und mehr gesellschaftlichen Erfolg versprechen.
Die allgemeine Ansicht ist, daß gerade der Lehrerberuf Frauen die Möglichkeit gibt, ihre Doppelbelastung zu ertragen. Mädchen hören oft Sätze wie: »Lehrer haben so einen günstigen Arbeitstag», oder »Es ist ein Beruf, zu dem du immer zurückkehren kannst». All die Mädchen, für die nicht Karriere, sondern letztendlich doch Ehe und Beruf im Vordergrund stehen, haben also schon verinnerlicht, daß sie als Lehrerin allen Anforderungen gerecht werden können, die an sie gestellt werden. Doch die Bereitschaft, den Erwartungen anderer zu genügen, wird auch wieder gegen Frauen benutzt:

»Für die meisten Frauen ist es kein Lebensberuf Sie bilden durch ihr häufiges Ausscheiden aus dem Beruf einen unsicheren Faktor in der Stellenbesetzung, der Versetzungen oft männlicher Kollegen nach sich zieht.«
»Hausfrauen als Lehrerinnen werden überfordert. Niemand kann zwei Herren dienen. Nebenarbeiten werden von Hausfrauenlehrerinnen nicht übernommen, da sie angeblich keine Zeit haben.«

Die männlichen Lehrer beklagen sich hier über etwas, das ihnen andererseits wieder ganz genehm ist. So stellt Zinnecker fest, daß der Lehrerin die Mutterrolle nahegelegt und von ihr oft auch übernommen wird, während der Lehrer sich auf verschiedene Weisen von einer »Wiederbelebung der Eltern-Kind-Situation« entfernt:[13]

  • Er unterrichtet möglichst ältere Schülergruppen;
  • Er konzentriert sich auf Sachgesetze und Unterrichtsstoff und vermeidet gefühlsgeladene Situationen in der Schulklasse;
  • Er verlagert den Schwerpunkt seiner Interessen und Rollenbezüge vom Schüler und der Unterrichtssituation weg auf den administrativen Sektor und auf den Umgang mit beruflichen Bezugsgruppen.

Trotz aller Klagen über Kolleginnen, die bestimmte Aufgaben nicht übernehmen wollen, ist anzunehmen, daß die Kollegen ganz zufrieden darüber sind, daß die Aufstiegschancen ihnen überlassen bleiben und sie auch noch einen gedeckten Tisch zu Hause vorfinden.
Bei dem Entschluß, Lehrerin zu werden, kristallisieren sich drei Motive heraus:

  1. Ein idealistisches Motiv: eine sinnvolle Arbeit leisten, Wissen im Austausch mit Menschen weiterzuvermitteln, politische Bedeutung der Arbeit mit Schüler(inne)n, der Vorsatz einen besseren Unterricht zu machen, als man selbst genossen hat.
  2. Ein pragmatisches Motiv: die Aussicht auf einen »Halbtagsjob», viele Ferien, die (vermeintlich bessere) Möglichkeit, Beruf und Familienversorgung zu vereinbaren, finanzielle Absicherung, ein gewisser Status.
  3. Ein weiteres, allerdings unfreiwilliges, pragmatisches Motiv: sowohl das Studium geistes- und sozialwissenschaftlicher, wie auch naturwissenschaftlicher Fächer bietet Frauen wenig Chancen im Hinblick auf Universitätslaufbahn oder Karriere in der »freien« Wirtschaft. Von daher erscheint der Lehrerberuf am aussichtsreichsten.

Das erste Motiv bedeutet Engagement und Interesse an Schüler(inne)n:

»Ich fing zur Zeit der Studentenbewegung 1968 an zu studieren. Da habe ich angefangen, mich als politisches Wesen zu entwickeln. Ursprünglich habe ich den Lehrerberuf immer abgelehnt, es wollten mich schon Verwandte hineinpressen. Den Zugang habe ich dann hauptsächlich über meine politische Motivation gefunden.«
(Lehrerin)
»Mein Ziel war, etwas Sinnvolles zu tun und die Verwirklichung einer Art von Mitteilungsbedürfnis. Ich wollte das, was ich für sinnvoll erachte, nicht irgendwo schriftlich verbraten, sondern es im Austausch mit Menschen weitergeben.«
(Lehrerin)

Ob Lehrerinnen ihr Engagement in der Berufspraxis aufrechterhalten können, hängt weitgehend von den Arbeitsbedingungen ab.
Lehrer(inne)n ebenso wie Schüler(inne)n haben Schulangst. Frustration und ein Gefühl der Sinnlosigkeit können im Rahmen dieses Schulsystems nur bewältigt werden, wenn die Zusammenarbeit mit Kolleg(inn)en positiv ist und wenn im Verhältnis zu Schüler(inne)n und im Unterricht wenigstens zeitweise Erfolgserlebnisse zu verzeichnen sind.
Das zweite Motiv stellt sich meist als unerfüllbar heraus. Die Arbeitsbelastung ist so groß, daß von einem »Halbtag~ob« nicht die Rede sein kann.
Wenn die Lehrerin nach dem Unterricht und Sitzungen nach Hause kommt, muß sie sich für den Unterricht am nächsten Tag vorbereiten, oft hunderte von Arbeiten korrigieren, Examensthemen erarbeiten. Gleichzeitig ist der Anspruch da, Elternarbeit zu machen, mit Schüler(inne)n auch mal etwas außerhalb des Unterrichts zu unternehmen und, wenn noch Zeit und Energie übrigbleibt, sich intensiver um einzelne Schüler(innen) zu kümmern, z.B. durch Gespräche mit Familienfürsorge, Arbeitsamt, Berufsberatung, anderen Lehrer(inne)n. All diese Tätigkeiten verrichtet sie zu Hause und hat gleichzeitig den Haushalt und möglicherweise die Familie, ihre eigenen Kinder vor Augen. Da sie mehr Zeit zu Hause verbringt als ihr Mann, wird sie schon deshalb für Haushalt und Kinderversorgung hauptverantwortlich sein. Die Struktur des Berufs erschwert somit eine Verweigerung der Hausfrauenfunktion. Die Lehrerin befindet sich in einer fatalen Situation. Hinzu kommt, daß sie persönlichen Interessen und Bedürfnissen bei diesen Anforderungen kaum nachgehen kann.
Die Hoffnung, einen Beruf mit einem gewissen Status zu haben, wird oft enttäuscht, wenn Lehrerinnen die Abwertung ihres Berufs anderen akademischen Berufen gegenüber erfahren:

»Akademiker sind alle so angesehen. Zu denen blickt man ja empor, zu den Lehrern schon lange nicht. mehr.«
(Lehrerin)

Dieses Gefühl wird verstärkt, wenn der Ehemann einen Beruf mit höherem Status ausübt.
Viele Frauen werden aus dem dritten Beweggrund Lehrerin:

»Bei mir war die Berufswahl durch die Fächer bedingt. Es gibt praktisch keinen anderen Beruf mit Deutsch und Französisch... Ich habe eine zeitlang auf eine Promotion hingearbeitet, aber das wäre immer noch keine berufliche Perspektive gewesen. Nach sieben Jahren Uni hatte ich es auch satt.« 
(Lehrerin)

Geringe Selbsteinschätzung, ein Ergebnis jahrelanger Sozialisation, bedeutet für viele Frauen, daß sie sich nur das zutrauen, was ihnen vertraut ist (z.B. personenzentrierter Umgang mit Menschen). Einen Frauenberuf zu ergreifen scheint also leichter zu bewältigen, als sich auf Neuland zu begeben und sich in einer von der Gesellschaft als Männerberuf eingestuften Arbeit zu bewähren:

»Motivation hieß das eigentlich nicht, es hieß entweder du studierst jetzt oder gar nicht. Ich hatte damals ein starkes Interesse zur Kunstakademie zu gehen, etwas mit den Händen zu machen. Mir fehlte aber das Selbstbewußtsein, zu sagen, ich probier das aus, ich sehe, ob ich es schaffe. Es wurde eben einfach in den Raum gestellt: Das schaffst du doch nicht. Ich war die erste in der Familie, die Abitur gemacht hatte und studierte. Ein Architekturstudium z.B. war etwas, was man finanziell nicht schaffte und was meine Familie und meine gesamte Umwelt auch geistig nicht von mir fordern wollte. Vielleicht weil man eben doch nur Frau ist und doch irgendwann mal heiratet und Kinder bekommt.«
(Lehrerin)

Der finanzielle Hintergrund spielt häufig eine entscheidende Rolle:

»Eigentlich wollte ich Musik studieren, aber da war die Familie nicht mit einverstanden. Ein Studium von 8-10 Semestern wäre auch für meine Mutter nicht tragbar gewesen. Daß ich mir selbst etwas verdienen könnte, war mir damals nicht klar. Folglich bot sich die PH an mit sechs Semestern. Kurzes Studium und die Frau ist eben finanziell unabhängig.«
(Lehrerin)

Eine solche Ausgangsposition verbunden mit den Arbeitsbedingungen, die oft wenig Erfolgserlebnisse bringen, erschweren eine positive Identifikation mit dem Beruf:

»Ich wollte eigentlich immer wieder aus dem Studium ausbrechen. Die Familie übte aber Druck auf mich aus: ohne 2. Staatsexamensprüfung bist du nichts. Mittlerweile versuche ich also über die sekundäre Motivation (gesichertes Beamtentum) zu der primären zu kommen, aber es gelingt mir nur teilweise. Leistungsdruck, sich eigentlich nie selbst zu verwirklichen, immer nur zu tun, was andere von mir erwarteten, hat sich so ausgewirkt, daß ich in meinen Klassen starken Leistungsdruck ausgeübt habe und erst jetzt dazu gekommen bin, das Kind mehr in den Vordergrund zu stellen.« 
(Lehrerin)

               

Beziehung zu Vorgesetzten

»Wie laufen Sie denn rum. Ziehen Sie doch mal eine weiße Bluse an und nehmen Sie zehn Pfund ab!«
(Schulrat zu Lehrerin, 1977)

Männer besetzen die »gehobenen« Positionen im Schulbereich. Es gibt Grundschulen, in denen nur drei Männer arbeiten - der Rektor, der Korektor und der Hausmeister.
Lehrerinnen erfahren diese geschlechtsspezifische Hierarchie schon in der Referendarzeit. Im Lehrerberuf erscheint einer der Widersprüche der weiblichen Sozialisation: einerseits wird die Frauenrolle aufgewertet (»Frauen können gut mit Kinder umgehen, sind für diesen Beruf also naturgemäß geeignet.«) Andererseits wird Frauen auch hier ihre Gebärfähigkeit und ihre Hausfrauenfunktion zum Vorwurf gemacht und als Begründung für alle möglichen Benachteiligungen und Diskriminierungen benutzt.
Bei Einstellungsgesprächen wird dies deutlich:

»Ich kam von der Bundesrepublik nach Berlin und bewarb mich an einer Schule. Das Gespräch mit dem Schulleiter lief folgendermaßen: ,Sind Sie verheiratet?' Nein' Was wollen Sie dann in der Schule, setzen Sie erstmal Kinder in die Welt - es gibt genug Arbeitslose in Berlin.«
(Lehrerin, ereignete sich 1967)
Hauptseminarleiter zu Referendarin:
»Na ja, Sie haben es ja nicht nötig, gleich eine Stelle zu finden. Wissen Sie, ich bemühe mich erstmal für die Männer mit Frauen und Kindern.«
(1977)

Dies ist, wie wir im ersten Teil des Kapitels gesehen haben, kein individueller Standpunkt. Auch Examensbeurteilungen machen oft geschlechtsspezifische Vorurteile deutlich. So findet man bei Frauen immer wieder Sätze wie folgende: »Sie geht mütterlich mit den Kindern um.«
Lehrerinnen sind unverschämten Verhaltensweisen von Rektoren ausgesetzt:

»Ich bewarb mich an einer Berliner Schule und hatte vorher in Westdeutschland gearbeitet. Der Schulleiter fragte mich »Wieso wollen Sie umziehen? Haben Sie einen Freund hier?«
(Lehrerin, ereignete sich 1975)

»Mein Schulleiter erzählt mir alle halbe Jahr, wann ich denn endlich heiraten würde, es würde mir so gut tun, wenn ich endlich mal unter die Haube käme...«
(Lehrerin, 1978)

Wenn Lehrerinnen alleinstehend sind, dient dies wiederum als Begründung, ihnen Examensarbeiten mit dem Argument zuzuschieben: »Was wollen Sie denn, Sie haben doch Zeit, Sie sind doch nicht verheiratet.«
Während einige Schulleiter ein vorwiegend männliches Kollegium bevorzugen, umgeben sich andere lieber mit Frauen in der Annahme, daß diese fügsamer und einsatzfreudiger sind. Nur an Grundschulen kommt es vor, daß Lehrerinnen dominieren und der Rektor de facto unterlegen ist. Oft verkehren Schulleiter mit Lehrern in einem kollegialen Ton, während im Umgang mit Lehrerinnen ihr zwiespältiges Verhältnis zu Frauen voll zum Ausdruck kommt. Der folgende Bericht einer Lehrerin (1977) mag eine extreme Situation darstellen, zeigt jedoch Verhaltensweisen auf, die teilweise vielen Lehrerinnen vertraut sein werden:

»Die Auseinandersetzungsform meines Rektors ist, mit Männern als Kollegen zu sprechen und Frauen, ob alt oder jung, aus allen möglichen Anlässen anzuschreien. Wenn eine Lehrerin z.B. mit Frau anstatt mit Fräulein angesprochen werden möchte, reagiert er aggressiv. Bei Disziplinierungsschwierigkeiten unterstütz er nicht die Lehrerin, sondern wirft ihr vor, sie könne eine Klasse nicht führen.
Wenn man ihm widerspricht, reagiert er nicht sachlich, sondern schreit einen an, was dann auch dazu führte, daß eine Kollegin weinend fortging. Sein Kommentar: Die braucht man ja nur scharf anzugucken, dann fängt die schon an zu heulen. Eine Lehrerin, die als Frau angesprochen werden wollte, machte er in zwei Wochen fertig. Dann nannte er sie hysterisch. Er benutzt bei Frauen Kosenamen wie kleine Christa. Auch ältere Lehrerinnen redet er mit Sätzen wie folgendem an: Unser Schmidtchen, was macht sie denn wieder für ein Gesicht. Bei Gesprächen im, Lehrerzimmer kommt er einfach dazu und unterbricht.
Dies ist eine eindeutige Ausnutzung seiner Vorgesetztenhaltung, Bei Lehrerinnen, die noch nicht ihre zweite Prüfung abgelegt haben, nutzt er ihre Abhängigkeit noch stärker aus. Sexualität spielt in seinem Verhalten auch eine Rolle. So sagte er mir: Ich hab' Sie doch immer hofiert, ich weiß gar nicht, was Sie gegen mich haben. Er beugt sich zu einem rüber und sagt: Wie machen Sie das mit den Lidschatten, daß die immer passend zum Pullover sind? Bei Begrüßungen hält er die Hand besonders lange, oder greift sie mit bei den Händen und reibt sie mit der einen. Bei mir tut er sowas nicht, weil er weiß, daß ich es mir nicht bieten lasse. Dafür spricht er mich auf das Frauenzeichen an, das ich an einer Kette trage: Ist das nötig, daß Sie das um den Hals haben? Sieht man das nicht so?
Bei Treffen macht er häufig zotige Witze und anzügliche Bemerkungen. Die männlichen Kollegen, besonders die älteren, verhalten sich ähnlich, indem sie immer auf das äußere von Lehrerinnen eingehen. Dieser Rektor ist keine Ausnahme. Er ist mein dritter Chef. Einer der anderen wendete auch die Methode des Fertignachens an. Der zweite sagte bei der Einstellung. Sie müssen gleich wissen, ich bin manchmal sehr laut. Aber Sie können 50% von dem Gesagten abziehen. Manchmal entschuldige ich mich auch.
Wenn eine Frau sich wehrte und verlangte, als erwachsene Frau behandelt zu werden und auch die Arbeitsbedingungen beanstandete, nannte er sie rüde (d.h. unweiblich), unwirsch, aggressiv, unsachlich, unbeherrscht. Er rügte die Lehrerin. In meinem Fall führte dies zur Versetzung.«

Lehrerinnen, die sich in der Frauenbewegung engagieren, müssen auf alle möglichen Reaktionen ihrer Vorgesetzten gefaßt sein. Während es durchaus Schulleiter gibt, die sich zurückhalten oder eine positive Einstellung zur Veränderung einer geschlechtsspezifischen Erziehung haben, reagieren viele negativ. Dies beginnt häufig damit, daß die Lehrerin lächerlich gemacht wird:

»Seit ich einen Leistungskurs zum Thema Frauen in Literatur und Gesellschaft angeboten habe, macht der Schulleiter ständig irgendwelche Bemerkungen. So sagt er unvermittelt in Klassen, die er unterrichtet: Nun wollen wir mal nicht die Position von Frau... einnehmen, sondern am Text bleiben.«
(Gymnasiallehrerin)

Beziehung zu Kollegen und Kolleginnen

Der Lehrerberuf zeichnet sich durch einen hohen Grad an Isoliertheit und Konkurrenz im Kollegium aus.

»Für mich ist ein Typ von Lehrern charakteristisch, der sehr isoliert und konkurrenzbestimmt arbeitet. Jeder bleibt für sich und erzählt ja nichts Negatives über seinen eigenen Unterricht. Diese Lehrer zeigen oft ein gewisses Desinteresse an den Schülern, also ein eher fachliches als persönliches oder pädagogisches Engagement.« 
(Lehrerin)

Ein solches Verhalten scheint zunächst absurd in einem Betrieb, in dem Schüler(innen) und Lehrer(innen) aufeinander angewiesen sind. Gewöhnlich steht jede(r) Lehrer(in) allein vor der Klasse - diese strukturelle Bedingung verstärkt das Gefühl der Isolation, die Angst, Versagen öffentlich zu machen und den Mangel an Bereitschaft, Wissen und Erfolge zu teilen. Ein Mangel an Erfolg wird somit von vielen Lehrer(innen) als persönliches Versagen interpretiert.
Diese Situation macht es Referendarinnen besonders schwer. In der Ausbildungszeit haben Frauen oft nur mit Männern zu tun: die Mehrzahl der Fachleiter und Schulseminarleiter sind Männer.

»Die Fachleiter und Schulseminarleiter sind alles Männer, die meine Väter sein könnten...
Eine Frau als Mentorin wäre mir lieber gewesen, nicht nur, weil sie mir vertrauter gewesen wäre, sondern weil ich meine, daß eine Frau mir eher eine Möglichkeit zur Identifikation gegeben hätte in meiner Identitätsfindung als Lehrerin...
Ich entschloß mich schließlich, zu meinen Schwierigkeiten zu stehen, und holte einen Fachleiter in die 8. Ich muß hiermit alle Referendare davor warnen, bei schwierigen Klassen einen Ausbilder hinzuzuziehen. Schwierigkeiten darf man nur zugeben, wenn man sonst stark genug auftritt. Die Zusammenarbeit mit anderen Lehrern oder Referendaren hilft sehr viel weiter. Die Ausbilder müssen irgendwann Beurteilungen schreiben und jeder schlechte Eindruck geht da mit ein. Die Tips, die ich von ihnen bekam, beschränkten sich oft darauf, wie man am besten die Schüler in Atem hält, daß sie die Schulsituation vergessen. Man sollte eigentlich gleich einen Fernseher mitbringen und Sesamstraße oder eine der modernen Jugendsendungen anschalten, die zeigen, wie man's macht!
Methodenwechsel alle 10 Minuten oder öfter - auf keinen Fall darf man sich längere Zeit an einem Thema aufhalten, wäre ja kein Wunder, wenn die Schüler sich langweilen und Röhrchen blasen...!
Irgendwann glaubte ich wirklich, daß ich unfähig sei. Vor jeder Stunde verkrampfte sich mein Magen, ich bekam Fieber, Schweißausbrüche und so diese angenehmen Kleinigkeiten, unter denen fast alle Referendare leiden...
In der Klasse spielte ich dann so gut es ging die große starke Frau, damit die Schüler mich auf keinen Fall schwach erleben sollten aber vielleicht merkten sie es trotzdem? Nach der Stunde war ich für den Rest des Tages nicht mehr zu gebrauchen.«[14]

Es ist sicher richtig: die Schulangst, all die Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, die Schwierigkeiten mit 100 und mehr Schüler(inne)n klarzukommen können nur mithilfe von Kolleg(inn)en bewältigt werden. Ohne eine solche Unterstützung fühlen sich Referendarinnen oft so isoliert, daß sie Nervenzusammenbrüche erleiden.
Frauen scheinen die Schulsituation anders zu erfahren oder anders zu bewältigen als Männer:

»Im Unterschied zu männlichen Kollegen nehme ich politische Dinge anders wahr. Für Männer ist die Referendarzeit eine Durchgangsphase. Sie haben die Einstellung: Da backen wir mal kleine Brötchen, hinterher hauen wir dann auf den Putz. Ich habe nicht so ein dickes Fell und leide auch physisch mehr unter den Strukturen und Zwängen der Schule.«
(Referendarin)

Die Erwartungen, die Männer an Frauen stellen, können die Zusammenarbeit mit Kollegen erschweren. An einigen Schulen werden Lehrerinnen am ehesten von Kollegen akzeptiert, wenn sie sich »weiblich« geben:

»Bei persönlichen Gesprächen läuft im Kollegium das typische Verhalten ab: die Männer flirten, die Frauen sollen nett und charmant reagieren. Einige Frauen wehren sich dagegen. Ich habe nicht soviele Schwierigkeiten dieser Art, weil ich ein männlicher Typ bin, aber ich nutze es auch voll aus, mich gut anzuziehen.«
(Gymnasiallehrerin)

Andere Erwartungen werden von Frauen als ebenso unterdrückend empfunden:

»Schick angezogen sein wird bei uns nicht erwartet. Bei linken Lehrern ist man dann eher verpönt. Da muß man auf eine andere Art dokumentieren, daß man eine akzeptable Frau ist. Du mußt eine politische Haltung haben und hier etwas mitmachen und da etwas zu sagen haben. Wenn du gar nichts zu sagen hast, dann bist du eben ein Mäuschen, egal, was für eine schicke Kleidung du hast. Wenn du z.B. nicht Gewerkschaftsarbeit machst, und nicht zu allen möglichen politischen Sachen etwas von dir geben kannst, bist du weg vom Fenster. Es ist ein doppelter Leistungsdruck.«
(Hauptschullehrerin)
»Um als Frau anerkannt zu werden, muß man schon typisch männliche Kisten drauf haben. Wenn man ein bestimmtes lässiges Verhalten hat, so zack, zack, dann ist es okay.«
(Hauptschullehrerin)
»Speziell bei Jugendherbergsaufenthalten wurde auch ich nicht von nächtlichen Überfällen verschont. Du schafft, es klopft, du öffnest - könnte ja ein Schüler sein - und schon kneift dich ein Kollege in die entsprechenden Körperteile. Leider habe ich diese Dinge immer auf sich beruhen lassen und mich nicht entsprechend - also mit Anzeige - gewehrt. Ich hab's mich nicht getraut!! Diejenigen, denen ich davon erzählte, glaubten mir nicht und die Kolleginnen, die aus eigener Erfahrung wußten, wovon ich sprach, hielten ebenso den Mund als ledige, halbwegs hübsche Lehrerin bist du Freiwild! Heute weiß ich, daß wir uns hätten solidarisieren können und müssen, zum Schutz auch der Noch-verschont-gebliebenen. Ich glaube, heute würden wir uns zusammentun, den Kollegen gemeinsam (wahrscheinlich sehr unangenehm für ihn!) zur Rede stellen und eventuell auch den Dienstweg gehen. Diese Typen haben ja keinen Grund, ihr Verhalten zu ändern, solange die Kolleginnen sich einschüchtern lassen, gute Mine zum bösen Spiel machen und schweigen.«
(Gesamtschullehrerin)

Lehrer unterscheiden sich nicht sehr von vielen Männern außerhalb der Schule: sie haben die Tendenz, Dinge die Frauen tun, sexuell zu interpretieren:

»Ich kritisierte, daß ein Schüler der 8. Klasse von allen abgeschossen werden sollte. Mir schien, daß hier teilweise Verhalten und nicht Leistungen beurteilt wurden. Ein Lehrer, der meinen Kommentar gehört hatte, rief durch das Lehrerzimmer: Sind Sie mit ... verheiratet? Ich: Was meinen Sie? Er: Naja, weil Sie die einzige sind, die ihn verteidigt.«
(Gymnasiallehrerin)
»Ich habe gute Beziehungen mit meinen Schülerinnen. Die Kommentare der Kollegen: Na, was treibt Ihr denn! Das ist die Reaktion, wenn Schülerinnen mehr an Lehrerinnen als an Lehrern interessiert sind.«
(Gymnasiallehrerin)

Diese Denkweise wirkt sich auch bei Beziehungen unter Kolleg(inn) en aus:

»Bei uns war ein Referendar, der die Männerrolle nicht unbedingt annehmen wollte und sich auch nicht politisch festlegte. Eine Kollegin und ich verteidigten ihn einmal wegen einer Sache. Die linken Kollegen fielen wie die Hyänen über uns her: Na, der hat wohl bei Frauen Schlag. Habt Ihr mit dem Softy geschlafen? Später gab es immer wieder Sticheleien auf demselben Niveau: Über den dürft Ihr nichts sagen, in den sind die Frauen verliebt.«
(Gymnasiallehrerin)

Im Verhältnis mit männlichen Kollegen spielt ein weiterer Aspekt eine wichtige Rolle: die Selbsteinschätzung bezüglich Autorität und fachlicher Kompetenz. Viele Lehrerinnen fühlen sich Männern in der Schule unterlegen, weil diese sich häufig wirkungsvoller durchsetzen. Eine Befragung von 30 männlichen und 30 weiblichen Lehrern in Kanada ergab: Nicht nur arbeiteten Lehrerinnen und Lehrer lieber mit Jungen als mit Mädchen, 41% meinten auch, daß Schülerinnen und Schüler männliche Lehrer vorziehen, obwohl Frauen nicht als weniger effektiv eingeschätzt wurden. Die Lehrer(innen) gaben an, daß männliche Lehrer mit mehr Autorität und Wissen sprechen und sich direkter und klarer als Lehrerinnen ausdrücken. 15 Viele Lehrerinnen vertraten die Auffassung, sie seien fachlich weniger kompetent als ihre Kollegen. In einer Arbeitsgemeinschaft meinten fünf von sieben Lehrerinnen, ihre Kollegen seien qualifizierter als sie. Begründungen waren:

  • meine Kollegen haben eine bessere Ausbildung - Diplom oder Dissertation - ich habe nur das Lehrerexamen;
  • ich habe während des Studiums noch andere Sachen gemacht, mehr für mich selbst getan;
  • ich habe keine Zeit für Fortbildung.

Viele Frauen leiden unter solchen Minderwertigkeitskomplexen. Die Einstellung von Kommilitonen zu PH-Studentinnen verstärkt das negative Selbstverständnis, das Frauen oft mit »Frauenberufen« verbinden. Hier beschreibt eine Lehrerin, wie sie die Hierarchie an der Universität als Studentin empfand:

»Damals (1966-1969) studierten sehr wenig Männer an der PH. Waren in einem Seminar ein Drittel der Anwesenden Männer, so war das sehr viel Ich glaube, diesem Umstand, daß nur wenige Männer den Volksschullehrerberuf ergreifen, ist zuzuschreiben, wenn ein PH-Studium nicht als vollwertig gilt. Ich habe vermittelt bekommen, daß lediglich ein Universitätsstudium zählt. Auf Leute von der PH - sprich: »PH-Miezen« - wurde meist von oben herabgeschaut. Traf man in den Seminaren nur vereinzelt auf Männer, so sah es in der Mensa fast umgekehrt aus. Sie war von Männern übervölkert. Die Herren Studiosi speisten lieber hier als in ihrer Universitätsmensa in der Hoffnung, bei dieser Gelegenheit die Bekanntschaft eines netten Mädchens zu machen. Bei vielen herrschte die Auffassung, daß die Frauen, die in der Universität studierten, zwar vielleicht intelligent, »dafür aber von Natur her minderbemittelt« seien, während die Frauen an der PH im Durchschnitt zwar nicht so intelligent seien - sonst wären sie ja an die Uni gegangen -, dafür aber andere Qualitäten hätten. Diese unterschiedliche Bewertung von Frauen förderte nicht gerade mein Selbstwertgefühl.«

Sie hängen mit der Situation von Lehrerinnen zusammen: verheiratete Lehrerinnen begreifen sich oft noch als Zuverdienerinnen, akzeptieren die Verantwortung für den Haushalt, was es ihnen wiederum unmöglich macht, an Weiterbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Die Frage ist jedoch, ob Männer fachlich wirklich qualifizierter sind und sich intensiver fortbilden oder ob das Bild, das Frauen von ihnen haben, nicht Resultat der weiblichen Sozialisation ist.
Das Verhältnis unter Kolleginnen ist schwierig. Konkurrenzverhalten kommt zum Ausdruck zwischen verheirateten und unverheirateten Lehrerinnen, Alter spielt eine Rolle, der politische Standpunkt wirkt sich aus, Lehrerinnen grenzen sich von Kolleginnen ab, die ein Frauenbewußtsein zeigen. Häufig steht hinter diesem Verhalten die Geringschätzung des eigenen Geschlechts. Dies wird in folgendem Kommentar einer Gesamtschullehrerin deutlich: »Wir sind fast nur Frauen in der Abteilung neue Sprachen Das ist gar nicht gut. Da kommen so viele Eifersüchteleien durch. Das ist eben so ein richtiger Weiberberuf.«
Vielleicht wünschen sich Männer auch ein paar mehr Frauen in dem naturwissenschaftlichen Bereich, sicher aber nicht aufgrund negativer Gefühle gegenüber dem eigenen Geschlecht.
Folgender Bericht geht auf die Trennungen zwischen Frauen ein:

»Es gibt zwei Gruppen Frauen in der Schule: die eine besteht aus Frauen, die sagen: ich hab's geschafft, mir die Verhaltensweisen anzueignen, die notwendig sind. Die andere Gruppe kann dies nicht für sich akzeptieren. Die erste Gruppe hat große Ängste, sich mit der zweiten auseinanderzusetzen. Wir hatten z.B. eine Lehrerin, die nie etwas über irgendwelche Schwierigkeiten sagte. Sie hatte in ihrer Klasse mit den Mädchen und mit bestimmten Jungen ganz spezielle Probleme. Dann hatte sie noch private Sachen, mit denen sie nicht fertig geworden ist. Wir haben sie darauf angesprochen, und da hat sie ganz klar gesagt: Ich habe mich emanzipiert, ich stehe mit beiden Beinen fest auf der Erde, für mich tue ich alles, ich habe keine Probleme und ich rede mit euch nicht darüber. Kurze Zeit später hat sie einen Selbstmordversuch unternommen.
Unter Männern bestehen diese Gruppen auch. Sie sind schwerer wahrnehmbar. Es ist auch so, daß die Männer, die sich nach außen Schwächen eingestehen, von ihren eigenen Kollegen nicht so akzeptiert werden. Aber sie werden seltsamerweise auch nicht von den Frauen akzeptiert. Mit denen, die selbst Schwächen zeigen, besteht zwar ein herzlicheres Verhältnis, aber sie werden nicht als jemand angesehen, mit dem man etwas gemeinsam machen kann. Die Kollegen sind eigentlich noch beschissener dran als die Frauen. Sie sind noch isolierter, ich weiß nicht, ob es ihnen schwerer fällt, sich zu solidarisieren, aber Frauen finden noch eher jemanden mit ähnlichen Problemen.«
(Hauptschullehrerin)

Die Kluft zwischen älteren und jüngeren Lehrerinnen ist groß, aber immer mehr Lehrerinnen machen sich Gedanken darüber, wie sie zu überwinden ist. Verheiratete Lehrerinnen gehen oft mit Mißtrauen auf alleinstehende Lehrerinnen zu, die sich wiederum häufig isoliert in einem Kollegium fühlen, wo sie die Minderheit sind. Hier kann es nützlich sein, privat etwas zusammen zu machen:

»Ich habe es organisiert, daß mehrere Lehrerinnen sich zum Frühstück treffen. Wir wollten über Privates reden. Zum Schluß kamen nur noch fünf davon waren drei verheiratet und hatten Kinder. Zwei wollen irgendwann mit dem Beruf aufhören und zu Hause bleiben. Die verheirateten Frauen kommen ins Schleudern, wenn sie gute Projekte anfängen, die mehr Zeit kosten. Sie bekommen Diskussionen zu Hause. Auch wenn sie zu der Frühstücksgruppe kommen. Eine Frau soll mit ihrem Mann in die Bundesrepublik gehen und ihre Stelle hier aufgeben. Wir unterstützen sie, ihre Arbeit weiterzumachen.«
(Hauptschullehrerin)

Lehrerberuf als Karriere?

Frauen äußern oft starke Kritik an männlichen Erziehungsstilen und haben ein positives Selbstverständnis gewisser Zielvorstellungen und Methoden, die häufig »weiblich« genannt werden. Sie sehen sich in der Lage, eine entscheidende Komponente im Unterricht einzubringen: die Schule menschlicher zu machen. So ist z.B. Gruppenarbeit für sie weniger ein Erziehungsstil, der Leistungen steigern kann, als eine Kommunikationsform, die die Entfremdung des Frontalunterrichts und das Konkurrenzverhalten der Schüler(innen) aufbricht. Aus diesem Anspruch ergeben sich wiederum Konflikte. Lehrerinnen fragen sich, ob sie diesen Anspruch mit intensiver Wissensvermittlung verbinden können. Schüler(innen) sind häufig schon so auf Autoritätsfiguren eingestellt, daß sie eine Lehrerin, die ihnen anders begegnet, nicht ernstnehmen oder an ihr die Aggressionen auslassen, die sie bei strengen Kolleg(inn)en nicht loswerden können. Ein weniger autoritäres Verhalten wird von vielen oft als (weibliche) Schwäche interpretiert. Dennoch meinen viele Lehrerinnen mit Recht, daß eine qualitative Veränderung der Schule davon abhängt, wie Wissensvermittlung mit menschlicher Kommunikation und Interesse am Individuum verbunden wird.
Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Sinn des Lehrerberufs und die Rolle von Frauen haben sich Lehrerinnen auch mit der Frage nach Karriere und Aufstiegsmöglichkeiten auseinandergesetzt.
Gegenwärtig sind die führenden Positionen im Schulwesen weiterhin von Männern besetzt. Wenn sich eine Frau für eine Direktorenstelle bewirbt, werden ihr meist männliche Kollegen vorgezogen.
Dieser Tatbestand wirkt an sich schon abschreckend auf Frauen. Hinzu kommt die Erfahrung mit den Vorgesetzten und das Erleben ihres Berufsfeldes, was eine solche Karriere nicht unbedingt attraktiv macht. Wenn Lehrerinnen den Sinn ihres Berufs in der Arbeit mit Schüler(inne)n sehen, so scheint dieser in einer Verwaltungsstelle nicht mehr erfüllbar. Andererseits gilt dies nicht für Stellen wie z.B. Fachbereichsleiter. Es spielen also noch andere Momente mit. Frauen haben begönnen, sie zu analysieren: die Ängste vor der Verantwortung und den Aufgaben, die eine »gehobene« Position mit sich bringt (oder zu bringen scheint), die Bedenken, sich ganz für die Schule aufzuopfern, nichts mehr für sich tun zu können. Folgendes Gespräch zeigt einige der Überlegungen von Lehrerinnen zum Thema »Karriere« auf, einschließlich des Zwiespalts, das Angebot des Staates für Halbtagsstellen anzunehmen oder sich ganz der Schule zu widmen.

A: »Ich möchte noch etwas zu der Korruption sagen, zu der Anpassung. Sie wird häufig als Argument dagegen angeführt, sich für höhere Positionen zu bewerben. Ich glaube, daß die Anpassung eines Lehrers, der an der Basis arbeitet, nicht geringer ist.«
B: »Ich will gar nicht Karriere machen. Ich will mich nicht 150%ig der Schule widmen. Ich möchte auch noch Mensch bleiben; das kannst du aber - wenn du an der Schule eine Karriere vorhast - nicht. Dann mußt du wirklich investieren, teilweise durch Arbeit, aber eben auch durch Plausch und so, und du begibst dich dann eben auch in Abhängigkeitsstrukturen; du befreist dich zwar auch aus gewissen anderen Strukturen, aber begibst dich in neue hinein.«
C: »Karriere machen Frauen selten oder streben sie überhaupt selten an. Ich habe mich noch nie mit dem Wunsch getragen, Rektorin zu werden. Aber ich wüßte eigentlich gar nicht weswegen, es kam mir noch nie in den Sinn.«

Es ist noch nicht abzusehen, wie Frauen die Widersprüche zwischen Sinn und Zweck des Lehrerberufs und einer Karriere im gegenwärtigen Schulsystem lösen werden. In Gewerkschaften ist die Zusammenarbeit von Lehrerinnen und Lehrern nicht konfliktlos. Männer halten auch hier die höheren Positionen, sitzen in den Redaktionsgremien von Zeitschriften und schreiben die Artikel, führen die Tarifverhandlungen. Wie es zu dieser Struktur kommt, wird nicht hinterfragt. Der Trend ist hingegen, auf Frauen herabzusehen, weil sie sich nicht so stark engagieren.
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Frauen nicht zahlreich in Gewerkschaften vertreten sind: sie können neben Schule und Haushalt nicht noch andere Verpflichtungen übernehmen; sie haben eine Entlastung gegenüber der Familie noch nicht durchsetzen können oder ihre objektive Situation ist so, daß eine Veränderung schwierig ist (z.B. alleinstehende Mutter mit Kindern); Frauen engagieren sich in anderen Dingen, weil sie die Gewerkschaftsarbeit für sich nicht ergiebig finden; oder Frauen brauchen die Freizeit für sich selbst, um den anderen Belastungen standhalten zu können.
Die Erfahrungen mit Gewerkschaftsarbeit hängen von der Zusammensetzung der Gewerkschaftsgruppe ab. Es gibt Gruppen, in denen Frauen den Arbeits- und Umgangsstil und die inhaltlichen Ziele akzeptabel finden. Allerdings meist unter der Bedingung, daß sie die Augen vor Diskriminierung von Frauen verschließen. Diskriminierung in Form von Chauvinismus und von dem totalen Desinteresse, sich mit geschlechtsspezifischen Aspekten des Lehrerberufs und der Schulsituation auseinanderzusetzen, geschweige denn, sie in das Programm der Gewerkschaft einzubeziehen. (In der Bundesrepublik hat sich bisher keine Gewerkschaft mit Lehrerfortbildung und Schulbuchanalyse im Hinblick auf Sexismus befaßt, wie dies in den USA und in England geschieht).
Das wachsende Bewußtsein über Sexismus in der Schule und die besondere Situation der Lehrerin führt dazu, daß Frauen innerhalb der Gewerkschaft Gruppen bilden, die längerfristig Veränderungen in der Gewerkschaft und ihren Zielsetzungen durchsetzen wollen.

Privatleben als Tabu

Die alleinstehende Lehrerin hat es in einem Kollegium verheirateter Lehrer und Lehrerinnen nicht einfach. Während ältere Lehrerinnen oft gesellschaftlich abgeschrieben werden, wird das Privatleben von jüngeren infrage gestellt:

»Die Kollegen sind irritiert, daß ich nicht verheiratet bin, nicht im üblichen Mittelstandsstil lebe und gute Freundinnen habe. Sie haben den Hintergedanken: Da muß sich im Privatleben etwas abspielen, was nicht ganz anständig ist. Ich habe einen 10 Jahre jüngeren Freund und höre dann auch Kommentare wie: Du suchst dir deine Freunde wohl auch bald im Kindergarten.«
(Gymnasiallehrerin)

Diese Einstellung Frauen gegenüber kann auf der Verwaltungsebene ernsthafte Auswirkungen haben, wie folgender Bericht einer Lehrerin zeigt, die in der Bundesrepublik unterrichtete:

»Vor mehreren Jahren ging ein anonymes Schreiben an das Schulamt mit dem Hinweis, daß ich mit einem langhaarigen Demonstrierer zusammenlebte. (Es war ein Mann mit kurzen Haaren) Ich wurde zum Schulamt gebeten. Der Schulrat sagte mir: Ich muß Sie bitten, auszuziehen oder zu heiraten, sonst werden Sie aufs Land versetzt. Später, als ich Jugendarbeit machte, sagte mir eine Heimleiterin, ich könnte dort nicht unterrichten, denn ich hätte einen schlechten Leumund. Auch über einen Anwalt ist es mir bis heute nicht gelungen, diese Informationen aus meiner Akte entfernen zu lassen. In einer Stadt schaffte ich es, die Kopie rausnehmen zu lassen. Mir wurde gesagt, daß bei der Durchsicht der Akte aufgefallen sei, daß ich fünfmal wegen Krankheit gefehlt habe. Ich möchte doch in Zukunft nicht so ein Leben führen, daß ich krank werde. (Ich hatte nachweisliche Krankenhausaufenthalte.)«

Am schlimmsten ist die Situation für lesbische Lehrerinnen. Wenn alleinstehende Lehrerinnen sich schon häufig im Kollegium isoliert fühlen, so ist dies für lesbische Lehrerinnen noch stärker der Fall.
Sie können ihr Privatleben überhaupt nicht einbringen. Manche Lehrerinnen verkraften die Situation. Sie sind im Kollegium für ihre Leistungen anerkannt und haben nicht das Bedürfnis, ihr Privatleben mit Kolleg(inn)en zu teilen. So erzählte mir eine Lehrerin, daß es in ihrem Kollegium mehrere Lehrerinnen mit langjährigen Frauenbeziehungen gegeben habe. Dies sei ein offenes Geheimnis und von den anderen akzeptiert.
Einmal ist eine solche Situation sicher selten, zum anderen ist es ein Unterschied, ob eine Lehrerin ihr Lesbischsein als eine private Angelegenheit betrachtet oder ihm im Zusammenhang mit ihrem Frauenbewußtsein eine politische Bedeutung gibt. Das Interview und der folgende Bericht zeigen einige Schwierigkeiten lesbischer Lehrerinnen, und wie sie damit umgehen:

A: »Hast du deinen Kolleginnen gesagt, daß du lesbisch bist?
B: »Immer nur denen, mit denen ich befreundet war. Wenn diese Frauen von ihren Männern redeten, hatte ich das Bedürfnis, auch von meiner Freundin zu erzählen. Was mich störte, war, daß sie es weitererzählten und ich keinen Überblick hatte, wer es weiß. Und meine Befürchtung ist, daß alles, was ich tue, mein Unterricht, mein Verhältnis zu Schülern und Schülerinnen und zu Kollegen und Kolleginnen nur mit dem Gedanken daran beurteilt wird, daß ich lesbisch bin.«
B: »Sie fragen, ob das genauso sei, wie mit Männern. Wenn ich sage, daß ich in Frauenbeziehungen eine bessere Qualität sehe, oder wenn ich mich zu ihren Männergeschichten äußere, indem ich z.B. sage, Wie kann der so etwas machen?, dann fühlen sie sich angegriffen und reagieren verletzend.«
A: »Schätzen sie dein Lesbischsein als freie Entscheidung oder als Veranlagung ein?«
B: »Sie fragen nicht und äußern sich auch nicht selbst dazu. Aber es passieren doch immer wieder Dinge, bei denen ich bezweifle, daß sie eine positive oder wertfreie Einstellung dazu haben. Z.B. hat kürzlich ein Schüler zu einer Lehrerin gesagt: Sie alte lesbische Ziege. Eine Kollegin redete über eine andere Lehrerin und sagte: Zu der hätte er mal lesbische Ziege sagen sollen. Sie rief mich später an und fragte, ob ich verletzt sei. Die Traurigkeit setzte bei mir erst ein, als sie es problematisierte - ich hatte den Kommentar völlig verdrängt.«

Privat Lesbe - im Beruf Lehrerin

»Wir sind zwei Frauen, Lesben: wir sind Lehrerinnen. Unser Leben läuft zweispurig: im Privatbereich geben wir uns als Lesben zu erkennen, leben als Lesben, geht unsere lesbische Realität in unsere feministische Politik mit ein; in der Arbeitssituation lassen wir unsere lesbische Realität draußen, verstecken uns.
Die Kolleg(inn)en leben ihre familiäre Heterosituation selbstverständlich im Lehrerzimmer weiter aus. Wir wagen das nicht. Wir schaffen es nicht, zu sagen: Ich habe keinen Mann, sondern eine Freundin. Ich bin lesbisch! Es wird abgeschwächt und klingt dann so: Ich heirate nie. Ich habe keinen Mann und brauche keinen.
Wir tragen kein Lesbenzeichen am Mantel, sondern nur die minoische Doppelaxt um den Hals, über deren Bedeutung die Schüler(innen) und Kolleg(inn)en sowieso wenig oder nichts wissen.
Wenn die eine von uns, die eine feste Beziehung hat, von ihrer Freundin spricht, dann sagt sie meist nur eine Freundin, und es erscheint ihr wie ein echter Fortschritt, wenn sie manchmal von meiner Freundin' spricht, obwohl diese Differenzierung bei den Kolleg(inn)en nicht ankommt, da diese unter meiner Freundin keine Liebesbeziehung verstehen werden.
Vom Kollegium wird ein indirekter Druck ausgeübt, sich aufeinander heterosexuell zu beziehen - z.B. die kleine Anmache in der Pause, der frau sich nicht immer entziehen kann,zum Teil spielt sie mit, es ist einfacher, frau fällt nicht auf (Der freundliche Kollege, der während der Konferenz mit sexuellen Hintergedanken grinsend seine Hand unter dem Tisch auf mein Knie legt. Ich springe in diesem Moment nicht auf und bezeichne ihn als Schwein, sondern mache einen dummen Spruch, lächle ihn an und entferne die Hand von meinem Knie).
Von uns aus bevorzugen wir schon den Kontakt zu den Kolleginnen - obwohl Kontakt zu hoch gegriffen ist; im außerschulischen Bereich treffen wir nie mit Kolleginnen zusammen. Nur innerhalb der Schularbeit muß frau sich eben auch zu den männlichen Kollegen verhalten, ist in manchen Situationen sogar auf eine Zusammenarbeit angewiesen - bestes Beispiel- Klassenfahrt.
Zum großen Teil bestimmend für unser Verhalten ist Angst. Die Angst als Lesbe erkannt zu werden, Angst vor der darauffolgenden Diskriminierung und Isolierung von seiten der Kolleg(inn)en, weitergehend Angst (straf-)versetzt oder sogar rausgeschmissen zu werden. Wie real diese Ängste sind, können wir nicht abschätzen; wir kennen keine Frau, die diese Situation gelebt hat.
Natürlich stinkt uns diese Situation immer mehr. Wir möchten diese Identitätsspaltung aufheben, wollen uns mit unserem Lesbischsein in unseren Arbeitsbereich einbringen. Schon jetzt versuchen wir natürlich auch, uns insgeheim den Mädchen zu vermitteln, unterstützen sie in ihren Autonomiebestrebungen und bemühen uns, ihnen ein anderes Frauenbild vorzuleben, bewerten homosexuelle Neigungen zwischen Mädchen als positiv. Nur, wenn wir uns als lesbisch vermitteln könnten, bekämen unsere Verhaltensweisen ein anderes Gewicht.
Wenn es uns gelänge, unser Lesbischsein als Selbstverständlichkeit Schüler(innen) und Kolleg(inn)en zu vermitteln, gäben wir damit allen Schülerinnen eine alternative Identifikationsmöglichkeit und die Möglichkeit, sich als Mädchen auf andere Mädchen positiv zu beziehen. Für uns als Lehrerin haben wW seit ein paar Monaten die Möglichkeit geschaffen, innerhalb einer Lehrerinnengruppe uns über unsere Probleme als lesbische Lehrerin auseinanderzusetzen.«
(Adresse über den Verlag zu erfahren)

Beziehung zu Schüler(inne)n

Schüler(innen) beurteilen Lehrer und Lehrerinnen unterschiedlich. Dies haben wir schon in dem Kapitel über Interaktionsformen gesehen. Hier will ich noch einmal auf einige Auswirkungen dieses Lehrerbildes auf das Selbstbild von Lehrerinnen hinweisen.
Schüler(innen) haben häufig ein Autoritätsbild von Lehrer(inne)n, das sie nicht gestört sehen wollen. Eine Lehrerin, die auf sie eingeht, mag weniger akzeptiert werden als ein Lehrer, der sich mit Körpergröße und Stimmstärke durchsetzt. (Mädchen einer 7. Klasse zu einer Lehrerin: »Haben Sie nicht mit Ihrer Körpergröße Schwierigkeiten mit den großen Jungen?«)
In -einer Gymnasialklasse von 20 Schüler(inne)n (12 Mädchen, 8 Jungen) antworteten acht (6 Mädchen, 2 Jungen) auf die Frage, ob sie lieber bei einer Lehrerin oder einem Lehrer Unterricht hätten, daß Lehrerinnen sich nicht so gut durchsetzen könnten wie Lehrer. Mehrere sagten, sie seien verständnisvoller und gutmütiger, was Jungen ausnützen würden, indem sie sie weniger respektvoll behandeln. Eine Gymnasiallehrerin: »Lehrerinnen werden bei uns alle etwas aggressiver und ungeduldiger mit der Zeit, da manche, die Gutmütigkeit zeigen, ausgenützt werden.«
Es zeigt sich das Bild von dem Lehrer, der kameradschaftlich oder autoritär ist, und von der Lehrerin, die gutmütig oder »zickig« ist, wobei der Lehrer in den Augen der Jungen Kameradschaftlichkeit und Autorität noch eher vereinbaren kann. Autorität wird bei Lehrerinnen also oft anders beurteilt als bei Lehrern:

»Schüler reden über eine strenge Lehrerin folgendermaßen: Ach, die ist ja so streng, da dürfen wir überhaupt nichts machen, die ist ja auch ganz verkrampft und so blöd. Ich weiß genau, daß es an der Schule männliche Kollegen gibt, die mindestens so streng sind. Das sehen die Schüler aber wieder anders.«
(Lehrerin)
»So eine junge, frische Lehrerin, da sind die Kinder ja auch begeistert von. Als ich diese Einstellung erkannte, habe ich einen Schreck bekommen, denn ich werde ja auch mal eine alte Lehrerin. Über einen alten Lehrer wird nicht so negativ gesprochen. Eine alte Lehrerin ist eben ein Fräulein und dazu noch zickig« 
(Lehrerin)

Wenn Lehrerinnen für sich beanspruchen, emotional auf Äußerungen von Schülern zu reagieren, so passiert es durchaus, daß Schüler sie dafür kritisieren. Schüler versuchen auch, Lehrerinnen unter Druck zu setzen, wenn diese für Mädchen Partei ergreifen: »Na wir wissen, schon, Sie sind in einer Frauengruppe, sie helfen immer den Mädchen.«
Ein weiteres Problem, das viele Lehrerinnen ansprechen, ist die Mutterrolle, in die sie versetzt werden oder sich drängen lassen.

»Bei Jungen spiele ich die Rolle der Mutter, Freundin, Schwester. Ich fahre auch auf die Mutterrolle ab und muß aufpassen, daß ich nicht schwache Leute an mich kette und darüber Bestätigung suche.«
(Hauptschullehrerin)

Andererseits sind sich Lehrerinnen dessen bewußt, daß sie intensivere Beziehungen zu Schülern und Schülerinnen haben als viele männliche Kollegen. Teilweise liegt dies an einer größeren Bereitschaft, emotional auf Schüler(innen) einzugehen, teilweise an einem stärkeren Arbeitseinsatz auch außerhalb des Unterrichts: es sind hauptsächlich Lehrerinnen, die sich nach der Schule damit befassen, Eltern aufzusuchen, Arbeitsämter anzurufen, Schüler(innen) zu sich nach Hause einzuladen, etc. Sie sind für viele Schüler(innen) von bleibendem Einfluß auf ihr Leben.

Verhältnis zu Eltern

Die Stellung der Lehrerin an der Schule ist auch in ihrem Verhältnis zu Eltern reflektiert. Lehrerinnen haben häufig das Gefühl, daß Eltern männliche Kollegen eher als Autorität akzeptieren. Darüberhinaus ist die Lehrerin bei der Elternversammlung mit einer Situation konfrontiert, in der die Männer wiederum dominieren:

»Wenn ein Ehepaar da ist, redet prinzipiell der Mann. Die Frauen sagen halt nichts, außer wenn sie Elternvertreterin sind und dann auch nur mit großer Aufregung. Die Männer führen das große Wort in den Elternversammlungen und haben überhaupt nichts mit der Erziehung der Kinder zu tun, das ist einzig immer noch Aufgabe der Mutter. Mit den Müttern kann ich mich auch verständnisvoller und tiefgehender über ihre Kinder unterhalten, die Väter gehen stur immer nur mit Maßnahmen vor, den tieferen Hintergrund kannst du mit denen überhaupt nicht besprechen. In einem kleineren, intimeren Rahmen beklagten sich die Mütter auch darüber, daß die Männer entweder belohnend eingreifen oder, wenn die Mütter sagen: Sag du doch auch mal was, antworten: Ach laß doch und das Problem beiseiteschieben, was die Frauen aber weiter haben. Dazu reagieren die Kinder auf Mütter anders, die Väter haben es in der Erziehung sowieso leichter. Ihre zwiespältigen Dinge in ihrer Persönlichkeit leben sie mit der Mutter, nicht mit dem Vater aus und sehen sie auch als nachgiebiger. Der Vater haut eben oft, ohne großartig zu begründen, mit der Faust auf den Tisch und sagt: Jetzt ist Schluß. Bei zwei Elternversammlungen in intimerem Rahmen mit Wein etc. hat eine Mutter mal ihren Mann kritisiert, lachte aber dabei laut entschuldigend und versuchte es dadurch abzumildern. Einmal war ein Mann, der leicht angetrunken war, furchtbar fies zu seiner Frau, so daß ich Partei für sie ergriff. Sie lachte aber nur und entschuldigte ihn. Du merkst dann auch ganz deutlich an den Äußerungen der Jungen, da~ sie zu Hause sehen, wie sie sich einer Frau gegenüber verhalten können.«
(Grundschullehrerin)
»Die Mütter sind die Klassensprecherinnen, die Väter (Rechtsanwälte etc.) die Schulsprecher. Ich erlebe Situationen wie die folgende: Ein Vater sagt, in der Elternversammlung vor seiner Frau: Meine Frau ist sowieso zu dumm, die fragen Sie nicht. Dann fragt er mich: Wie ist es nun, schafft sie (die Tochter) es oder ist sie zu dämlich? Es ist nicht einfach, sich mit solchen Leuten auseinanderzusetzen.«
(Gymnasiallehrerin)

Lehrerinnen finden sich im Umgang mit Eltern wieder in der Situation, wo sie sich erst als »Autorität« und als »kompetent« beweisen und auch hier zusätzliche Anstrengungen aufbringen müssen. Dies wird in folgendem Bericht einer Realschullehrerin deutlich:

»Eltern betrachten Frauen, vor allem jüngere, in der Oberstufe recht kritisch und mißtrauisch Da sie selbst mit ihren älteren Kindern oft Schwierigkeiten haben, fragen sie sich, wie eine junge Lehrerin mit diesen großen Jungen fertig wird. Diesem Mißtrauen begegne ich z.B. auch immer wieder auf Klassenreisen in andere Bundesländer. Hier ist es üblich, daß jede Koedukationsklasse von einem Lehrer und einer Lehrerin begleitet wird, während ich alleine mit meiner Klasse losfahre (in Hamburg bekommt man keinen Kollegen als Begleiter gestellt, sondern muß oder kann sich selbst einen suchen, z.B. einen Vater oder Referendaren). Die Herbergseltern, auch die jüngeren, fürchten Disziplinschwierigkeiten und es ist ihnen meist auch nicht sehr angenehm, wenn eine Lehrerin die Jungenschlafzimmer betritt, was ich selbstverständlich tue und was auch von den Jungen als natürlich angesehen wird. In der Oberstufe ist der Start für eine Lehrerin auf jeden Fall schwieriger als für einen Lehrer. Wenn man als Lehrerin allerdings mehrere Klassen mit Erfolg zum Abschluß gebracht hat und damit einen guten Ruf gewonnen hat, möchten die Eltern meist gern, daß auch die jüngeren Geschwister (Jungen und Mädchen) diese Lehrerin bekommen, lieber als diesen oder jenen Lehrer.
Ich glaube aber, daß zu einer solchen mehr sachbezogenen Einstellung der Eltern auch intensive Elternarbeit gehört. D.h. ich bin bemüht, meine Autorität als Lehrerin' und das daran gebundene Mißtrauen einer Frau gegenüber abzubauen (die meisten Eltern, besonders in sozial schwachen Gegenden, haben heute noch Schwellenangst gegenüber der Schule), indem ich pädagogische Fragen mit ihnen diskutiere, oder wir uns einfach über schulische und häusliche Probleme unterhalten, so daß ich von meiner Person als Frau ablenke und sachliche Inhalte in den Vordergrund stelle. Hier kann ich mich als ausgebildete Fachkraft darstellen und gewinne als solche eine weniger von der Position als von der akzeptierten Kompetenz getragene Autorität.«

Zwischen Desillusion und Hoffnung

Die Situation der Lehrerin ist häufig so von Streß und unbefriedigenden Arbeitsbedingungen gezeichnet, daß viele Lehrerinnen es in Erwägung ziehen, die neue Möglichkeit von Halbtagsarbeit wahrzunehmen oder den Beruf zu wechseln. Eine Halbtagsstelle ist jedoch nicht unbedingt die Lösung:***407.14.16**

»A: Ich habe mir meine Freizeit durch eine halbe Stelle gesichert. Und hätte ich eine ganze Stelle, würde ich das vielleicht auch noch durch weniger Arbeiten oder durch Schlampen hinkriegen. Aber so möchte ich eigentlich nicht leben. Entweder möchte ich voll einsteigen und auch einen Teil meiner Freizeit opfern, oder ich denke mir, irgendwann muß ich aussteigen.«
B: »Ein Engagement abgetrennt von dem Beruf ist sehr schwierig. Man nimmt z.B. eine halbe Stelle und macht erstmal seinen Kram und sieht zu, daß man nicht so zerrieben wird durch den Alltag. Aber was macht man dann eigentlich?«
C: »Für mich ist jetzt diese halbe Stelle auch eine Möglichkeit, mich außerhalb zu engagieren, in der Frauengruppe oder gewerkschaftlich, die Zeit dazu zu benutzen, für mich herauszukriegen, ob ich in der Schule eine Perspektive sehe oder nicht. Als einen Dauerzustand kann ich mir das eigentlich auch nicht vorstellen.«

Ein Berufswechsel ist natürlich ein ungeheurer Entschluß. Der folgende Auszug aus dem Tagebuch einer Lehrerin gibt einen Einblick in den quälenden und für sie schließlich befreienden Prozeß, diese Entscheidung zu treffen:[17]

»Seit zweieinhalb Jahren überlege ich, ob ich aussteigen soll. Brennend stellt sich mir die Frage, als ich einen Zusammenbruch erleide. (Anlaß: chaotische Klasse 6). Ich merke, daß ein Aussteigen in dieser Situation ein Kneifen wäre: Ich fliehe vor einem unbewältigten Konflikt, Fühl- und Denkschema: Ich bin eine schlechte Lehrerin, ich bin nicht fähig, diese Rolle zu spielen und eine Klasse zu führen. Ich werde drei Wochen krankgeschrieben, anschließend drei Wochen Weihnachtsferien. Ich habe also sechs Wochen Pause, ich horche nach innen, entdecke einiges an mir: z.B. ich kann mich am herbstlichen Wald erfreuen, ich gehe gern allein spazieren, ich ziehe mich gern zurück, ich schreibe gern.
Im neuen Jahr mache ich irgendwie weiter. Nach dem Sommer übernehme ich eine neue 5. Ich engagiere mich sehr, begrenze den Rahmen der möglichen Verhaltensweisen innerhalb der Klasse, d.h. ich lasse nicht zu, was in der 6. zu chaotischen Zuständen führte, versuche, meine Rolle als Lehrerin, die Unterricht abhält, Lernbereitschaft und Ergebnisse einfordert und Noten gibt, klar und deutlich darzustellen und bestehe darauf, daß ich so akzeptiert werde. Die Klasse akzeptiert mich. Gleichzeitig gehe ich auf Probleme ein, versuche, die Schüler zum Verbalisieren ihrer Gefühle zu befähigen. Das geht manchmal gut, manchmal nicht.
Wenn Unruhe, Desinteresse, diffuse Arbeitsverweigerung deutlich werden, taucht bei mir das Trauma Klasse 6 auf: Hier wird es genauso werden, ich kann es eben nicht.
Erste depressive Phase mit der 5. im November, Überforderungs- und Ohnmachtssyndrom, Lähmungserscheinungen, Fluchtgedanken.
Ich frage mich, die ganze Sache ist faul, wieso sind die Ferien mit so hohen Erwartungen bepackt? Bin ich tot, wenn ich Schule mache? Arbeitet meine Hülle wie eine Maschine? Nein, ich bin beteiligt, aber nur ein Bruchteil von mir, der Teil, der während meiner Sozialisation gehegt und gepflegt und bestätigt wurde!
Na gut, jedenfalls treffe ich R., sie arbeitet in Griechenland und unterrichtet Deutsch. Ihr Bericht haut mich um. Alle mal vorhandenen und wieder verdrängte Bedürfnisse werden reaktualisiert. Ich kann in Griechenland offenbar leben und arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Da ist eine Frau, die macht's und ihr geht es gut dabei.
Ich kann mir vorstellen, ein Jahr nach Griechenland zu gehen, ohne allzu große Angst vor der Trennung mit S. zu haben. Ich glaube, Trennungsangst bedeutet starke Abhängigkeit. Vielleicht bin ich doch nicht so abhängig, wie ich manchmal befürchte.
Ich rede mit vielen Leuten über's Aufhören, aber ich habe immer noch große Angst vor der Realisation meiner Wünsche. Ich schiebe auf, ich baue kleine Hintertüren ein, na ja, erst mal sehen und warten bis zu den Osterferien, wenn ich dann ein attraktives Angebot in Griechenland habe, dann höre ich auf Das bedeutet, ich steige nur aus, wenn bereits die nächste Sicherheit winkt. Auf diese Weise wechseln manche Leute ihre Beziehungen.
Uraltes, mir vertrautes Denk- und Verhaltensschema: Der Schulbeginn rückt näher, ich weigere mich weiterhin zu korrigieren. Ich bin mir dabei auch sicher, daß ich mich jetzt nicht auf Schule einlassen will, nicht kann. Das Können oder Nichtkönnen beruht nicht auf Angst und Verzweiflung, sondern weil ein bei mir in Gang gekommener Prozeß nicht unterbrochen werden kann. D.h. ich will ihn nicht abbrechen. Ich scheine zu fühlen, daß ich, wenn ich brav und pünktlich in die Schule gehe und das mühsam aus der Versenkung aufgetauchte Ferien-Ich in die muffige Schulkiste packe, wieder umkippe und mich emotional zu stark auf Schule einlasse. Also merke ich, daß ich mich jetzt entscheiden muß. Nachdem ich am Montagabend beim Arzt war und zehn Tage weiteren Spielraum habe, wird mir klar: Ich muß erst kündigen, dann kann ich mich nach Alternativen umsehen. Ich kann mein Aussteigen nicht von einer bereits vorhandenen Alternative abhängig machen. Ich finde nämlich keine. Jede Alternative wird mir nicht attraktiv genug sein, um die langjährig erprobte und erfahrene Schulsicherheit und ihre verdammten Privilegien aufzugeben. Ich muß erst kündigen und mich vom Koloß und Polyp Schule befreien, um mich anderen Bereichen öffnen zu können.
Am Dienstag habe ich mich entschlossen zu kündigen. Meine Vorstellungskraft, was ich tun möchte, wächst bereits. Auch der Wunsch, für einige Zeit mal an der Tvind-Schule zu leben und zu arbeiten, bekommt jetzt eine realistische Perspektive. Es gibt so viele Möglichkeiten, ich werde sie abchecken.«

Die meisten Frauen werden in ihrem Beruf bleiben. Für sie ist es lebensnotwendig, sich Möglichkeiten zu verschaffen, die Arbeitsbedingungen zu verändern. Einige versuchen dies, indem sie sich eine Gruppe von Kolleg(inn)en aufbauen, mit denen sie gut zusammenarbeiten können. Andere setzen sich über Gewerkschaftsarbeit für Veränderungen ein. Wieder andere finden Unterstützung in Frauengruppen von Lehrerinnen und Pädagoginnen.
In Berlin fanden während der Sommeruniversitäten 1976 und 1977 an der Freien Universität Arbeitsgruppen zu dem Thema »Sexismus in der Schule« statt.[18] 1976 bildete sich danach eine Lehrerinnengruppe im Frauenzentrum, die sich aus verschiedenen Gründen wieder auflöste (Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit von Vertreterinnen verschiedener Schultypen und Schulstufen, Arbeitsüberlastung). Nach der 1977er Sommeruniversität begann die Fraueninitiative innerhalb der GEW Berlin ihre Arbeit, die aus Lehrerinnen, Referendarinnen und einigen Studentinnen besteht. Die Frauen arbeiten in verschiedenen Untergruppen und versuchen, den zuvor genannten Ansprüchen gerecht zu werden. Gegenwärtig bereiten, sie ein Heft der Berliner Lehrerzeitung vor, das den Schwerpunkt »Frauen« hat. Darüber hinaus existieren in Berlin mehrere Gruppen, die an bestimmten Themen wie z.B. Schulbuchanalyse und der Erstellung einer Unterrichtseinheit über Frauen im Faschismus arbeiten.[19] Lehrerfortbildungskurse über Sexismus in der Schule wurden auf die Initiative von Frauen hin in das offizielle Fortbildungsprogramm integriert. Sie bieten eine weitere Möglichkeit, sich mit interessierten Kolleginnen über die Schulsituation auseinanderzusetzen.
Lehrerinnen wollen ihr eigenes Selbstbewußtsein und die Solidarität untereinander stärken. Sie wollen sich gegen Mißachtung und Angriffe von Vorgesetzten und Kollegen wehren. Sie wollen Einfluß auf die Gewerkschaft nehmen. Lehrerinnengruppen setzen sich mit dem Verhältnis zu Schüler(inne)n und Kolleg(inn)en, mit Unterrichtszielen und -methoden und mit den Möglichkeiten, den Lehrerberuf sinnvoll zu gestalten auseinander.
Sie kritisieren Schulbücher und entwickeln alternative Lehrmittel. Diese Gruppenarbeit gibt ihnen einen Zusammenhalt, der das Bewußtsein vieler Lehrerinnen verändert und langfristig die Schularbeit erträglicher gestalten und verändern kann.