Konfrontation und Freundschaft

Die Sonne weckte mich; sie blendete, und ich erschrak, bis ich alles wieder begriff. Nach unserem Maulwurfsleben schien es unfaßbar, von der Sonne geweckt zu werden. Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett und lief zum Fenster: Was für ein herrlicher Morgen! Es war phantastisch schön zu leben! So schön, daß ich es nicht lange für mich behalten konnte. Ich weckte die arme Colette, die erschrocken fragte:
»Was ist passiert?«
»Nichts«, antwortete ich. »Der Krieg ist vorbei, und die Sonne ist da!«
Unten hatte Mama bereits den Tisch gedeckt. Es war eine Wonne, zum Frühstück Platz zu nehmen. Papa begrüßte uns fröhlich:
»Guten Morgen, ihr Faulpelze! Zu guter Letzt habt ihr doch die ersten Amerikaner verpaßt!«
»Waren es viele?« »Nein, nur eine kleine Gruppe mit einem Leutnant, der sich ausgesprochen nett benahm.«
Wir redeten kunterbunt durcheinander.
»Ich habe eine andere Nachricht«, trumpfte Papa auf, »etwas Lustiges. Ein Waggon, der am 5. Juni mit Butter für die Wehrmacht verladen wurde, ist am Bahnhof stecken geblieben. Stellt euch das mal vor: ein Waggon voller Butter!« »Und?«
»Was heißt und? Wir werden alles unter den Leuten von Le Molay verteilen! Der Zug ist beschossen worden, der Waggon beschädigt wurde mir gesagt. Weil die Kühlaggregate nicht mehr funktionieren, müssen wir rasch handeln, damit die Butter nicht in der Wärme schmilzt.«
»Darfst du wirklich Butter verteilen?«
»Es wird mir sogar verdammt Spaß machen. Die letzte der Lieferungen, die ich jahrelang verwünscht habe!« Paris, die Kommandantur von Caen, die Gestapo..., wir erinnerten uns plötzlich an alles. Auch von solchen Ängsten waren wir jetzt erlöst. Daran hatten wir bisher nicht gedacht. Es war unmöglich, sich im Detail alle Auswirkungen unserer Befreiung vorzustellen. Wir würden nach und nach darauf kommen.
»Wie willst du das tun?« fragte Mama.
»Ich werde mir den Gemeindesekretär schnappen und mit ihm zum Bahnhof fahren. Dann kann er bestimmen, wie die Verteilung zu geschehen hat.«
»Dürfen wir mit?« fragte Michel.
»Na klar. Warum nicht? Ihr könnt sogar alle vorausgehen und euch den zerstörten Bahnhof anschauen, bis ich komme.« Mama zögerte. Wir bestürmten sie, und sie gab nach. Wir zogen mit ihr los. Endlich wieder raus! Wir waren begeistert. Es kam uns einfach verrückt vor, ohne Angst, ohne nach Deckung suchen zu müssen, draußen herumspazieren zu können. Wir waren frei, endlich frei!
Die verletzten Bäume und die Löcher in der Straße konnten unserer Freude keinen Abbruch tun. Alles in allem war weniger geschehen, als wir vermutet hatten. Die Landschaft um uns wirkte wie ein Wunder. Wir erreichten unseren kleinen Bach. »L'assiette« nannte er sich, der Teller. Wir hatten immer darüber gelacht. Er plätscherte munter, bevor er unterhalb der Straße verschwand. Die Normandie ist zu jeder Zeit grün. Daß die Natur so viele verschiedene frische Töne mischen kann, hatten wir jedoch vergessen. Diese Landschaft stellte in ihrer Üppigkeit eine friedliche Herausforderung dar: Sie steckte voller Lebenskraft, und wir waren ihre glücklichen Komplizen. Auch wir, mit unsern 13, 15 und 16 Jahren wollten leben!
In der Nähe des Bahnhofs sah es anders aus. Die Bombentrichter mehrten sich. Die Natur trat in den Hintergrund; Häuser, Gebäude waren zum Teil oder ganz zerstört. Wir stießen auf Menschen, die wir nicht kannten. Je mehr wir uns dem kleinen Güterbahnhof näherten, desto aufgeregter, vielbeschäftigter zeigten sie sich. Sie liefen mit unförmigen Paketen, mit Einkaufstaschen und schoben sogar Schubkarren vor sich her. Endlich dämmerte es uns: Der Zug wurde geplündert! Empört gingen wir weiter und hatten das naive Bestreben, Papa über alles zu berichten. Wir besaßen sogar die einfältige Hoffnung, durch unsere bloße Anwesenheit, der Plünderung Einhalt zu gebieten.
In den Wänden der Güterwaggons klafften Öffnungen. Bretter waren mit Gewalt entfernt worden. Woher die Beschädigungen kamen durch den Krieg oder durch die Plünderer -, ließ sich kaum feststellen. Der Zug stand einige Meter von uns entfernt, von sich drängenden Menschen bestürmt. Der Strom der Raffgierigen zog an uns vorbei. Wir staunten entsetzt.
Plötzlich erkannte uns eine Frau. Sie hob die geballte Faust.
»Das sind doch die von der Molkerei?« fragte sie, noch etwas unsicher. Mama rief uns erschrocken zurück.
»Was tun Sie hier?« fragte sie höhnisch. »Wollen Sie Butter haben?«
Während wir versuchten, uns durch die Menge zu entfernen, wurde die Frau ganz wild:
»Ja, ich weiß es jetzt. Das sind die, die die Boches mit Butter versorgt haben. Kapitalisten!«
Wir waren stehen geblieben, um nicht aufzufallen.
»Schaut her!« brüllte ein Mann. »Es steht auf der Bezettelung des Wagons groß geschrieben: Wehrmacht!«
Ich drehte den Kopf in seine Richtung. Der Mann versuchte, das weiße Papier von dem Holzrahmen zu lösen, und ärgerte sich, weil es ihm nicht gelang.
»So eine Schweinerei!« schimpfte er wütend. »Eine richtige Sammlung von Hakenkreuzen! Mit Stempeln haben sie nie gespart, die Deutschen! Es lohnt sich, sag ich euch: Guckt sie von der Nähe an! Da packt einen die Wut!« Zaghaft suchten wir Schritt für Schritt das Weite.
»Und wir«, schrie plötzlich eine sehr dicke Frau unweit von uns, »während die Boches uns alles nahmen, haben wir uns zu Tode gehungert!«
»Du nicht!« erwiderte ein Mann scherzend.
»Halt's Maul, du dreckiger Kuppler!« fauchte sie ihn an.
Das war unsere Rettung. Wir liefen, so schnell wir konnten, während die Leute sich gegenseitig anpöbelten. Dann hörten wir hinter uns:
»Kapitalisten! Jetzt werden wir fressen, so viel fressen, wie wir wollen von eurer Butter, von allem!«
Es war eine Meute, die wir allerdings nicht mehr sahen. Wir rannten um unser Leben.
»Dreckschweine!« hörten wir sie brüllen.
Plötzlich flog ein Stein an uns vorbei.
»Laß sie!« schrie ein Mann.
Wir rannten und hörten Steine fallen und rollen.
»Hör doch auf, es sind ja Kinder!«
»Collaborateurs!« schrie noch jemand.
Wir hatten jedoch Abstand gewonnen. Einige Menschen kamen uns entgegen, sie wußten nicht, worum es ging. Langsam hörten wir auf zu laufen. Auf einmal waren wir allein. Wir machten einen Bogen um einen Bombentrichter und liefen erneut, bis wir die ruhige Straße im Grünen erreichten. Außer Atem blieben wir stehen. Unsere Herzen pochten wie verrückt.
»Gerettet!« sagte Mama.
»Ich habe vorhin so gebetet, daß keiner von uns hinfällt!«
Ich weiß nicht mehr, wer zu weinen begann. Es wirkte ansteckend. Alles hatten wir ertragen können, die Angst, das Leben im Schutzgraben, die Trauermeldungen, die Konfrontation mit dem Krieg, alles aber nicht diese irrationale Welt des Hasses.
»Arme Kinder!« sagte Mama.
»Wie blaß ihr seid! Weint ruhig; es tut euch gut.«
Wir standen bewegungslos. Es war mir so, als ob unsere Welt endgültig ins Wanken geraten war. Unsere Umgebung hatte sich völlig verändert. Alles war verwirrend. Auch die Sprache der Leute! Einen solchen Jargon hatte ich in Le Molay nie zuvor gehört, denn in der Normandie spricht die Landbevölkerung eher zurückhaltend, vornehm sogar, mit einer gewissen Freude an ausgesuchten Wörtern. Ob manche der schreienden Frauen keine Einheimischen waren?
(Nachträglich hege ich den Verdacht, es könnte sich bei einigen von ihnen um Beschäftigte des von den Deutschen am Bahnhof eröffneten Bordells gehandelt haben. Wer dringend eine weiße Weste braucht, schreit am lautesten.)
Mama schaute uns traurig und entmutigt an.
»Warum sind wir nur zum Bahnhof gegangen?« Im selben Ton wie früher, als wir viel jünger waren, sagte sie dann: »Mes petits enfants, wir wollen nach Hause gehen. Kommt!«
Wir gingen eine Weile stumm nebeneinander. Plötzlich sagte Colette wütend:
»Und das nennt man Befreiung! Eine schöne Befreiung! Wir dachten, es sei alles vorbei...«
Weiter konnte sie nicht reden, weil sie weinen mußte.
»Es ist schlimm!« tröstete Mama.
»Für euch unverständlich. Aber, glaubt mir, die Feindseligkeit wird sich legen. Sie ist nicht von Dauer.«
»Was waren das für Leute?« fragte ich mehr zu mir.
»Wir kannten sie alle nicht. Wo kamen diese Menschen auf einmal her?«
Ich versuchte zaghaft, die Scherben unserer vertrauten, bisher wohlgeordneten Welt zu sammeln.
»In solch unruhigen Zeiten schwimmen Leute an die Oberfläche, von denen man sonst nie hört«, antwortete Mama.
»Es ist die große Gefahr.«
»Wie Ratten waren sie«, sagte Colette.
»Nicht alle.«
»Immerhin hätten sie uns beinahe gesteinigt!«
»Ja!« gab ich kleinlaut zu.
Eine ganze Weile sprach keiner von uns.
»Wieso Kapitalisten?« fragte Michel. »Wir sind's doch gar nicht.«
»Natürlich nicht«, entgegnete Colette.
»Sie sind dumm und meinen, die Fabrik gehört uns.«
»Sie waren blind vor Haß und fühlten sich stark in der Menge. Wenn der eine Mann sie nicht aufgehalten hätte...«
» ... dann hätten wir vermutlich jetzt ein Loch im Kopf«, beendete Michel meinen Satz.
»Dabei hatten wir die ganze Zeit so gut aufgepaßt, um nichts auf den Kopf zu kriegen!«
»Wir hatten so großartig in deutsch und englisch >Zivilisten, bitte nicht schießen!< geschrieben«, fügte ich hinzu.
»Es war falsch: Französisch hätten wir schreiben müssen!«
Wir gingen wütend und verbissen unseren Weg, bis Colette sich traute, die Schmähung zu wiederholen, die uns am meisten gekränkt hatte.
»Collaborateurs«, murmelte sie, »das haben sie zu uns gesagt!«
Diese Bezeichnung war eine Neuprägung mit übler Bedeutung: Darunter verstanden wir Menschen, die denunzierten, mit der Gestapo arbeiteten, oder auch Franzosen, die am Rundfunk für Deutschland warben. Aber wir?
»Hätte Papa die Fabrik schließen müssen?« fragte Colette.
»Was hätten die Leute in Caen, in Bayeux und sonstwo gegessen?«
»Und die Milch der Bauern jeden Tag?« sagte Michel.
»Es ist völlig idiotisch: Eine Molkerei muß laufen!«
»Die Deutschen hätten jemand anderen an der Stelle von Papa eingesetzt. Ganz einfach! Es wäre für alle viel schlimmer gewesen.«
»Natürlich!« ereiferte sich Colette.
»Sind die alle verrückt geworden?«
Die Massenhysterie, die wir erlebt hatten, saß uns in den Knochen. Satz für Satz versuchten wir, je nach Temperament, den erlittenen Schock abzubauen. In Wirklichkeit werden wir diese plötzliche Konfrontation mit einer Masse schreiender Wesen ohne Gesichter und die nackte Angst, die uns vorwärts getrieben hatte, niemals vergessen.
Als wir nach Hause zurückkamen, war unser Vater in der Fabrik. Wir sahen ihn kurz zum Mittagessen. Er hatte niemanden der Gemeinde erreichen können; ohne Telefon war alles sehr schwierig. Es gab dringendere Probleme zu lösen als die Verteilung der Butter. Einige Bauern hatten Milch gebracht. Im Werk scheiterte ein normaler Ablauf der Arbeit an der geringen Zahl der anwesenden Belegschaft. Manche Wege waren noch unpassierbar. Drei Arbeiter würden auf jeden Fall nie wieder kommen: Sie waren tot.
Abends wollten wir nicht in unseren Betten im ersten Stock schlafen. Wir hatten Angst. Außerhalb des Hauses hörte man deutlich die unheilverkündenden Explosionen der Artillerie. Die Kampfgeräusche waren unvermindert laut geblieben. Wir hatten sie in unserer Euphorie nicht mehr wahrgenommen. Jetzt, nachdem unsere Hochstimmung verflogen war, wußten wir, daß sich die Kampflinie nicht von uns entfernt hatte. Wir schleppten gemeinsam Matratzen ins Wohnzimmer und legten uns nebeneinander. Wir sanken bald in einen schweren, stumpfsinnigen Schlaf.
Unser erster Tag in der Freiheit war wenig heiter gewesen; der zweite folgte, er war von ähnlichem Kaliber.
13. Juni 1944.
Kurz nach dem Frühstück bellte Okay auf einmal sehr laut. Zwei bewaffnete amerikanische Soldaten standen vor der Tür. Sie trugen Armbinden mit den Buchstaben M. P. (Military Police). Ein Dolmetscher begleitete sie. Der Mann war unhöflich. Er sprach perfekt französisch. Wir mochten ihn nicht. Obwohl er khaki angezogen war, nahmen wir an, er sei Franzose. Als er sich vergewissert hatte, wer vor ihm stand, sagte er im befehlenden Ton zu Papa:
»Der Hauptmann möchte mit Ihnen sprechen. Kommen Sie mit mir zu dem Jeep dorthin!«
Der Jeep stand im Hof. Unterwegs stellten sich die Soldaten rechts und links von Papa; es sah schlimm aus. Wir beobachteten, wie sie miteinander sprachen, hörten jedoch kein Wort. Die Entfernung war zu groß. Als Papa mit dem Offizier und mit dem Dolmetscher zurückkam, sah er sehr ernst aus. Der Dolmetscher fragte Mama, ob ihr Mann in der Nacht zu Hause gewesen sei.
»Aber natürlich!« sagte Mama fassungslos. »Wo sollte er sonst gewesen sein!«
Papa erzählte, jemand habe ihn angezeigt und behauptet, daß er in der Nacht mit einer schwarzen Aktentasche Dokumente den Deutschen überbracht habe. Es sei absolut lächerlich, aber die C. I. C. (Counter Intelligence Corps) sei verpflichtet, die Meldung nachzuprüfen. Wir sollten uns keine Sorgen machen. Die Tür zum Salon stand offen, und man konnte unsere Matratzen und unsere ungemachten Betten am Boden sehen. Der Offizier fragte, ohne das Zimmer zu betreten:
»Did you sleep all of them last night in this room?« (Haben Sie alle heute Nacht in diesem Zimmer geschlafen?)
»Yes«, antwortete Papa.
»The children were afraid.« (Die Kinder hatten Angst.)
»It was o. k. Haben Sie keinen Schutzgraben? Die Frontlinie ist so nah...« sagte er noch auf englisch.
»Of course«, kam Papa rasch über die Lippen, dann verstummte er. Eigentlich hatte der Offizier zwei Fragen gestellt.
»Warum haben Sie heute Nacht nicht dort geschlafen?« fragte der Dolmetscher eigenmächtig.
»Weil wir froh waren, endlich heraus zu kommen«, konterte Papa, der anfing, ärgerlich zu werden.
Wir gingen alle in das Zimmer nebenan, das Papa als Büro benützte.
»Haben Sie eine schwarze Aktentasche?« fragte der Dolmetscher.
»Ja.«
Alle Augen unserer Familie richteten sich spontan nach dem inkriminierten Beweisstück, das wie üblich in einer Ecke zwischen Schrank und Wand abgestellt war. Michel holte die schwarze Aktentasche heraus und legte sie, staubig wie sie war, auf den Schreibtisch. Die Spuren seiner Finger waren deutlich zu sehen.
»Haben Sie eine zweite?«
»Nein!« war die knappe Antwort von Papa.
»Wir werden sehen«, sagte der Dolmetscher, finster wie es uns schien. Mama fragte:
»Aber wer, um Himmelswillen kann so etwas Verrücktes behaupten?« und dann heftig, wie ich sie selten in ihrem Leben gesehen habe:
»Was für Dokumente? Und wohin? Wir sind so froh, daß alles vorbei ist und daß ihr da seid. Nur ein Irrer könnte übrigens den Wunsch haben, wieder zur Kampflinie zu laufen...«
»Ihr Mann ist gesehen worden«, unterbrach sie der Dolmetscher.
»Mehr können wir nicht sagen.«
Der amerikanische Hauptmann verlangte vom Dolmetscher eine Übersetzung der gesprochenen Sätze und verabschiedete sich. Papa umarmte uns, küßte Mama, sagte ihr, es werde sich alles klären, und fuhr weg. Wir standen da wie vom Donner gerührt. Nach einer Weile fragte Colette, und ich nahm es ihr fast übel:
»Was werden sie mit Papa machen?«
»Was weiß ich?« antwortete Mama, die sich, kreideweiß im Gesicht, hinsetzte. Es war das erste Mal, daß sie keine beruhigenden Worte für ihre Kinder fand. Sie war wie erstarrt, schien nach Luft zu ringen, und wir schauten sie gebannt an. Dann stand sie auf, verließ das Büro, ging, von uns begleitet, ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. Sie schloß die Augen, und wir fragten:
»Was können wir für dich tun?« Sie blieb unbeweglich.
»Nichts!« antwortete sie endlich, die Augen geschlossen.
»Bleibt bei mir, dann werden wir überlegen.«
Sie band ihren Gürtel los. Ich setzte mich auf die Couch neben sie und berührte ihre Hand, sie war sehr kalt.
»Soll Michel dir eine Decke holen?«
»Danke Nany. Es geht mir schon viel besser«, sagte sie lächelnd und öffnete kurz die Augen.
»Kannst du mir die Beine massieren?«
Ich tat es und beobachtete sie auf einmal mit anderen Augen. Wie klein und schlank sie war, eher ein junges Mädchen als die Mutter von drei Kindern! Nie beklagte sie sich, nie war sie krank oder gar müde. Ich glaube, seit der Geburt von Michel hatte sie keinen einzigen Tag im Bett verbracht, auch wenn sie Fieber hatte. War sie wirklich so stark? Colette kam mit einem Glas zurück.
»Ich habe ein bißchen Calvados in das Wasser getan«, sagte sie. »Du solltest davon trinken.«
»Ihr seid lieb!« flüsterte Mama und ließ zu unserer Erleichterung die Augen offen.
»Es tut mir leid, daß ich euch erschreckt habe. Es war doch etwas zuviel für uns alle in der letzten Zeit.«
Sie setzte sich auf.
»Jetzt geht es mir wieder gut.«
Ihr Gesicht war nicht mehr so fahl wie vorhin, aber gut sah sie wirklich nicht aus.
»Willst du nicht trinken?« wiederholte Colette.
»Einen Schluck vielleicht ...
»O Kinder, war das dumm! Wie konnte mir so etwas passieren?«
Sie nippte zweimal und sagte scherzend,  das Glas in der Hand:
»Du hast es mit dem Calvados mehr als gut gemeint, Colette!«
»Es wird dir gut tun!« schaltete sich Michel ein.
»Und wegen Papa mach dir keine Sorgen, er wird immer mit allem fertig.«
Die Augen unserer Mutter flackerten leicht. Dann sagte sie:
»Du hast recht. Er wird sicher bald zurück sein. Wir sollten das Mittagessen vorbereiten. Kommt! Wer hilft mir?«
Damit war sie wieder auf. In Wirklichkeit dachte sie dasselbe, was auch wir im Sinn hatten: Wenn nur die Amerikaner nicht zu schnell handeln! Wir kannten sie in ihrer Kriegsführung und ihrer Art noch nicht. Wenn ein schwerwiegender Verdacht unmittelbar hinter der Front auftaucht, wie reagieren sie dann, dachten wir. Sie werden Papa doch nicht gleich erschießen, weil sie keine Zeit haben, alles nachzuprüfen. Lieber Gott, mach, daß die Amerikaner auch mitten im Krieg vernünftige Leute sind! Wir waren noch so verschreckt, daß wir nicht in der Lage waren, nüchtern zu überlegen.
Papa kam tatsächlich zwei Stunden später - und schwärmte uns vor von all dem, was er gesehen hatte.
»Eine Organisation haben sie, diese Amerikaner, einfach phantastisch!«
»Und was ist mit dir?« fragten wir.
»Es wird sich alles regeln.
Ich habe keine Bedenken. Die Amerikaner sind nur sehr vorsichtig, und das müssen sie auch sein.«
»Was heißt das?« widersprach Mama aufgeregt.
»Du siehst: Ich bin wieder da! Im Grunde genommen sind sie überzeugt, daß das Ganze Unsinn ist, aber sie wollen prüfen, warum es dazu kam. Sie haben mich gebeten, das Werksgelände nicht zu verlassen.«
Mama machte »Oh«, und Colette sagte:
»Na, so toll ist das auch wieder nicht!«
»Aber doch!« widersprach Papa. »Ich habe ihnen mein Ehrenwort als französischer Offizier gegeben. Übrigens scheinen die Deutschen tatsächlich nicht weit zu sein. Wir werden heute Nacht im Schutzgraben schlafen.«
Wir schauten ihn entgeistert an. Mit dem Frieden waren wir anscheinend voreilig gewesen. Papa erzählte uns voller Schwung, wie perfekt, bis ins kleinste Detail die Amerikaner in ihren Zelten ausgerüstet waren. Seine gute Laune wirkte ansteckend. Wir fingen bald an, alles andere vergessend, ihn auszufragen. Nur Mama blieb schweigsam. Plötzlich schaute Papa auf seine Uhr und ging in die Fabrik.
Auf der Straße hinter unserem Haus rollten Militärfahrzeuge vorbei. Colette, Michel und ich liefen zum offenen Werkstor hin und schauten zu. Acht Lastwagen mit vollen Lichtern fuhren hintereinander, von schwarzen Amerikanern gelenkt, die uns zuwinkten und mit ganz weißen Zähnen in ihren dunklen Gesichtern lachten. Es war unheimlich. Wir winkten nicht zurück. Dann kamen Bonbons und Kaugummipäckchen geflogen. Die Soldaten, die auf dem letzten Lastwagen standen, warfen einen richtigen Regen davon. Als der Konvoi sich entfernt hatte, hoben wir alles auf und betrachteten die Beute voller Erstaunen. Wir wußten nicht, was Kaugummi war und wozu man ihn benützte. Es gab auch Zigaretten, einzeln wasserdicht verpackt, und Schokoladestückchen, die komisch schmeckten und ebenfalls dicht verpackt waren.
Während wir alles untersuchten, hatte ein Jeep, den wir nicht bemerkt hatten, in unserer Nähe angehalten. Ein Hauptmann und ein Leutnant standen lächelnd vor uns. Der eine hatte dunkles Haar, der andere war hellblond. Sie wollten wissen, was das für eine Fabrik wäre.
»Dairy«, sagten wir, denn die Offiziere sprachen beide nicht französisch. Sie sagten, daß sie gerne frische Butter hätten, und wir wußten nicht, wie wir ihnen erklären sollten, daß es nicht möglich war. Sie verstanden uns jedenfalls und waren nicht böse. Plötzlich zog der Hauptmann lächelnd an einem meiner Zöpfe und sagte:
»Blue eyes, plaits of hair, german girl, german Gretchen!«
Ich war sehr beleidigt, dachte an die Besatzungskinder und sagte mir, daß die Amerikaner verdammt schlecht über Europa informiert waren; so lang hatte die Besatzungszeit wirklich nicht gedauert!
»No german«, erwiderte ich aufgebracht. »Norman girl, blue eyes too!«
Er lachte schallend und erklärte uns, daß er Previti heiße, italienischer Abstammung sei und daher blaue Augen mit Deutschland verbinde. Der Leutnant mischte sich ein. Er hatte ebenfalls blaue Augen und hieß Sterenson.  Die Vereinigten Staaten stellten sich uns in ihrer ganzen Vielfalt vor. »Previti« war allerdings durch die amerikanische Aussprache nicht im geringsten phonetisch zu erkennen. Deshalb gab uns der Captain, sich selbst darüber im klaren, seine Visitenkarte. Es stand auch darauf, daß er Zahnarzt war. Dann zeigte er uns Photos von seinen Kindern und seiner Frau; sie waren in einer wasserdichten Hülle, »wegen der Landung..., sie sollten nicht naß werden«, erklärte er uns. Er schien froh, sich einigermaßen verständlich machen zu können, und bat uns, ihn in seinem Rotkreuz-Zelt zu besuchen. Er würde wiederkommen und uns abholen. Ob wir Lust hätten, ihm bei der Arbeit zuzusehen? Wir sollten mit unseren Eltern darüber sprechen.
Wir waren begeistert. Es war unsere erste echte Berührung mit einer lebendigen Sprache, die wir in der Schule lernten. Wir hatten große Freude gehabt, manches zu verstehen, waren allerdings über vieles erschüttert. Es war uns in der Aufregung schrecklich wenig eingefallen, um richtig zu antworten, und unsere Aussprache schien buchstäblich um einen ganzen Ozean von der der Amerikaner entfernt zu sein. Wir ahnten, daß wir bei Engländern nicht viel besser abgeschnitten hätten, und fingen an, Zweifel an den Unterrichtsmethoden unseres Schulsystems und vor allem an uns selbst zu hegen. Es war eine sehr abrupte Ernüchterung, die uns der englischen Sprache gegenüber lange unsicher machen sollte.
Am Abend holte Papa aus einem Schrank im Speicher seine alte Leutnantuniform heraus. Wollte er sie uns nur zeigen? Er schlüpfte hinein und sah ganz glücklich aus.
»Sie paßt ja noch!« stellte er zufrieden fest.
»Wirklich gut!« sagte Michel.
Oh, diese Männer! dachten wir und waren plötzlich traurig. Anschließend gingen wir mit Decken und Kissen zum Schutzgraben und legten uns an unseren alten Plätzen nieder. Der Schutzgraben beherbergte die gleiche Besatzung wie unmittelbar nach der Landung. Sollte alles neu beginnen? Wir schliefen miserabel und wurden wieder von Spinnen gestochen. In der Früh hatte ich eine Blase am Hals, Colette zwei am Arm. Es grauste uns. Nach dieser Bunkernacht hatten wir es eilig, wieder nach Hause zu gehen.
14. Juni 1944.
Im Laufe des Vormittags hielt der Jeep mit den uns bekannten M. P.s vor unserem Haus. Papa war im Werk. Wir suchten nach ihm und fanden ihn, umgeben von einem penetranten Geruch, in einer Butterkäse-Halle, wo Arbeiter eifrig Käse wuschen. Umgehend erklärte uns Papa:
»In diesem Lager haben wir noch Glück gehabt. Im Keller nebenan ist die Ware so verschimmelt, daß die Rinden entfernt werden müssen. Später wird man aus der Käsemasse Schmelzkäse herstellen können.«
»Papa...«
»Wartet! Ich muß noch den Leuten erklären, in welches Fahrzeug der fertiggepackte Käse für die Fahrt nach Bayeux verladen wird.«
»Du sollst aber schnell nach Hause gehen«, ermahnten wir ihn flüsternd.
»Die M.P.s und der Captain sind wieder da ohne Dolmetscher diesmal!«
Auf dem Hof kam uns bereits der amerikanische Captain entgegen. Es war erneut, mit der gleichen Begründung wie am Tag zuvor, Anzeige erstattet worden: Man hatte angeblich Vater wieder beobachtet, wie er zu den Deutschen ging.
»Ich würde langsam gern wissen, wer der Kerl ist, der diesen Unsinn verzapft«, sagte Papa.
»Jemand, der heute Nacht mit Ihnen im Schutzgraben geschlafen hat«, antwortete der Captain.
Papa schnappte nach Luft, dann sagte er:
»Es ist absurd. Mehr als 20 Leute können bezeugen, daß ich den Graben nicht verlassen habe.«
»Of course! Ich wollte Sie nur informieren. Übrigens der Colonel und ich würden Sie gerne an einem Abend zu Hause besuchen. Paßt es Ihnen morgen?« Papa bejahte ein wenig erstaunt.
»Na fein!... Und noch etwas: Sie können selbstverständlich die Fabrik verlassen, so oft es Ihnen beliebt.«
»Prima!« erwiderte Papa.
»Ich muß sowieso heute nach Bayeux.«
»O. k.!«
Der Jeep brauste los, während der Captain uns fröhlich zuwinkte. Daß er so freundlich war, nahmen wir dankbar zur Kenntnis. Die Offenbarung über die Existenz eines bisher nicht vermuteten Feindes hatte uns hart getroffen. Wahrscheinlich gehörte er seit Jahren unserer unmittelbaren Umgebung an, und wir lebten nichtsahnend die ganze Zeit in engem Kontakt mit ihm. Mir grauste. Es ist noch widerlicher als mit den Spinnen, dachte ich.
Als Papa von Bayeux zurückkam, stürzten wir uns neugierig auf ihn.
»Bayeux ist überhaupt nicht zerstört!« verkündete er.
Wir jubelten, denn wir liebten die alte Kreisstadt, unsere Hauptstadt in Bessin.
»Wir wußten schon«, fuhr Papa fort, »daß die Engländer auf keinen Widerstand gestoßen waren, aber Bayeux ist auch vorher nicht bombardiert worden. Alles sieht dort friedlich aus. Die englischen Offiziere laufen bereits in Shorts durch die Stadt wie bei einer Safarijagd in Indien! Die Teeküche macht pünklich um fünf Uhr die Runde, und die erste Frage des Stadtkommandanten nach seiner Ankunft in Bayeux soll gewesen sein: >Kann ich irgendwo ein Bad haben?< Möglicherweise übertreibt man ein wenig: die üblichen Sticheleien zwischen Normannen und Engländern... Und nun etwas ganz anderes. Beinahe hätte ich General de Gaulle gesehen! Er ist in der Früh zum ersten Mal aus England gekommen und hat in Bayeux eine Rede gehalten. Als ich mit meinem Kombi endlich ankam, war er aber schon abgereist. Nach Isigny und dann nach England zurück.«
»Wie war eigentlich die Straße zwischen Bayeux und hier?« fragte Mama.
»Brauchbar. Es fahren pausenlos Militärfahrzeuge. Ich frage mich nur nachträglich, warum sie so leicht meinen weißen Kombi durchgelassen haben. Für die nächste Fahrt muß ich mir unbedingt eine Genehmigung der Amerikaner besorgen.«
»Wann willst du wieder hinfahren?«
»Übermorgen. In Bayeux brauchen sie dringend Lebensmittel. Die Stadtversorgung läßt sich schwer organisieren: Allein gestern hat man angeblich 900 Verletzte aus der ganzen Umgebung aufnehmen müssen. Das Krankenhaus ist natürlich überfüllt. Die Patienten liegen überall, in den Schulen, im Hotel du Luxembourg. Es kommen auch Flüchtlinge nach Bayeux. Einigen ist es gelungen, aus Caen zu entkommen.«
»Aus Caen?« wiederholten wir, obwohl wir nur zu gut verstanden hatten.
»In Caen ist es die Hölle. Die Stadt wird seit dem 6. Juni bombardiert, auch mit Phosphorbomben. Es brennt überall. Tote gibt es so viele, daß man sie unter den Ruinen nicht bergen kann. Auch mit den Verwundeten wird niemand fertig, obwohl die Ärzte Tag und Nacht operieren.« Wir schauten uns entsetzt an.
»Man erzählt sich allerdings«,  beeilte sich Papa zu sagen, »daß viele Menschen in den unterirdischen Kalkgalerien von Fleury Zuflucht gefunden haben. Ihr kennt sie doch?«
Wir hatten in der Tat öfter mit der Schule Ausflüge dorthin gemacht und stundenlang in den sehr verzweigten Galerien gespielt. Einige Teile dieses kilometerlangen Netzes waren jedem zugänglich, in anderen wurden Champignons gezüchtet. Tief im Inneren des Kalkhügels wurde die Luft stickig. Mit einer Taschenlampe hatten wir einige dieser entfernten Gänge untersucht, sehr zum Schrecken der Nonnen, die lange nach uns hatten rufen müssen, bis wir sie endlich hörten. Die Kalkgalerien konnten sicher viele Menschen aufnehmen; gab es aber Luft genug, um zu Tausenden Tag und Nacht zu leben?
»Es gibt etwas«, sagte plötzlich Papa, »was dich, Nany, persönlich interessieren wird. Der Vater deiner hübschen Freundin Marie-Jo ist ein großer Mann geworden.«
»Aus Sainte-Croix-Grand-Tonne?«
»Ja, Raymond Triboulet, der geistreiche, nette Schriftsteller! Er soll in der Widerstandsbewegung eine wichtige Rolle gespielt haben. Er war in der Unter-Präfektur, um de Gaulle zu empfangen ... Es wurde mir auch erzählt, daß deutsche Panzer nach wie vor nicht weit von Bayeux in Stellung sind und daß die Engländer sich gestern in Balleroy, ganz in unserer Nähe, regruppiert haben. Tilly wird hart umkämpft. Ich bin froh, wieder zu Hause zu sein.«
15. Juni 1944.
Im Laufe des Nachmittags kam Captain Previti, um uns abzuholen. Daß er sein Versprechen eingehalten hatte, imponierte nicht nur meinen Geschwistern und mir. Der amerikanische Zahnarztoffizier war den Eltern auf Anhieb sympathisch. Sie erlaubten, daß wir mit ihm fuhren.
»Ich werde den Kindern unser Zeltdorf zeigen. Danach bringe ich die drei höchstpersönlich zurück«, versprach der Captain.
Unsere erste Fahrt mit einem Jeep... Wie wir uns fühlten! Um uns wehte ein neuer Wind, der Freiheit und Abenteuer bedeutete. Plötzlich wurden wir heftig durchgerüttelt. Der Captain fuhr langsamer über merkwürdig gelöcherte Metallplatten. Dieser Straßenbelag tauchte unweit von der steinernen Brücke auf, die - wir konnten es wahrhaftig nicht fassen - immer noch stand!
Unzählige Male verfehlt, am Rand beschädigt, im Wesentlichen jedoch unzerstört stand unsere Brücke mitten in Bombentrichtern! Sofern sie die Straße beeinträchtigten, hatte man die großen Löcher zugeschüttet und Metallbahnen über die schadhaften Stellen gelegt. Wir fuhren an der Brücke vorbei. Die Straße war nun von diesem Eisenteppich vollständig überzogen. Am Straßenrand standen anderthalb Meter hohe Stapel von Kisten und braunen Kartons. Sie bildeten eine durchgehende Wand, die uns bis zu der Rotkreuz-Wiese entlang begleitete. Dort standen im Gras fünf Zelte, davon drei größere. Captain Previti führte uns voller Stolz sein Zelt vor und ließ uns nacheinander im schwenkbaren Patientensessel Platz nehmen. Er war viel moderner, viel bequemer als der Zahnarztsessel, in dem wir in Caen bange gesessen hatten. Alles sah in dem kleinen Zelt verblüffend sauber und ordentlich aus.
Leutnant Sterenson kam herein. Er brachte uns Schokolade und Kaugummi.
»Mein Freund arbeitet nebenan«, sagte Previti.
»Ihr dürft das Zelt nicht betreten. No entry! Auch für mich übrigens! Ich habe keine Lust, operiert zu werden. Ein gefährlicher Bursche, dieser ruhige Sterenson!«
»Sei still!« sagte der Leutnant, und zu uns: »Come on! Ich will euch unsere Krankenbetten zeigen.«
Wir staunten über die Reihen von klappbaren Liegen, die in zwei Zelten aufgestellt waren, jede akkurat mit Bettüchern und Decken bezogen. Kein Bett war besetzt.
»Why?« fragten wir.
»Wir sind mit der Einrichtung erst fertig geworden«, antwortete Leutnant Sterenson.
Draußen summte ein Elektroaggregat neben einem Stapel dieser braunen Kartons, die wir am Straßenrand gesehen hatten. Wir berührten sie im Vorbeigehen. Sie waren mit Wachs bezogen. Daß sie wasserdicht verschlossen waren, beruhigte uns: Der normannische Regen würde ihnen nichts anhaben können.
»Well, Kinder!« sagte Captain Previti. »Wir müssen weg. Let's go!«
Wir stiegen in den Jeep ein. Bei der Rückfahrt sahen wir ein kleines Flugzeug plötzlich hinter Bäumen starten. Gehörten nicht diese Bäume zum Areal unseres Werkes? Wir fuhren mit dem Captain dorthin; die lange Wiese grenzte tatsächlich an unseren Grund. Es gab dort ein begeistertes Hallo. Previti redete voller Schwung mit den Soldaten, und wir verstanden nicht mehr, was er sagte. Der Fliegeroffizier machte einen entspannten, fröhlichen Eindruck. Waren die amerikanischen Offiziere alle so ungezwungen, so natürlich?
»Ein wenig knapp!« sagte er. »Aber es wird Bob gelingen. Do'nt be afraid!« (Habt keine Angst!)
Wir erlebten gespannt einen Probeanflug der Maschine, die durchstartete, ohne den Boden zu berühren und knapp über die Bäume am Wiesenrand hinwegflog.
»Er schafft es nicht!« flüsterte Michel. »Die Wiese ist viel zu kurz!« Einige Minuten später klappte jedoch die Landung großartig. Der Pilot rollte zurück und stieg gut gelaunt aus seiner Piper. Er versprach sogar, nach einem Gespräch mit unserem Freund Previti, uns einmal mitzunehmen, wenn die Front weiter entfernt wäre.
Zu Hause schmunzelte Papa bei unserer begeisterten Erzählung während des Abendessens.
»Hatte ich euch nicht erzählt, daß die Amerikaner tolle Burschen sind?« Es fiel uns danach schwer zu begreifen, daß wir erneut im miesen Schutzgraben zu schlafen hatten.