Verteidigung der Frauenbewegung gegen den Feminismus

Eine offensichtlich an Verbreitung gewinnende Erscheinung ist der Feminismus [1] in vielerlei Gestalt. So buntscheckig aber die Erscheinungsformen sind, reduzieren sie sich doch ihrem Wesen nach allesamt auf die Auffassung des Geschlechterkampfs als Gesellschaft konstituierende Beziehung, sind sie in ihrer Wirkung demnach prinzipiell unpolitisch und in diesem Sinne antisozialistisch. Die Anstrengung, mit der vor allem in den Medien versucht wird, der Politisierung und Organisierung der Frauen mit Hilfe des Feminismus entgegenzuarbeiten, legt Zeugnis ab für die Kraft, die von der Frauenbewegung befürchtet wird. Die Faszination, die der Feminismus selbst für die Frauenbewegung hat, die Leichtigkeit, mit der seine buntschillernde, scheinradikale Art oftmals kurzfristig den Sieg über den grauen, zähen Alltagskampf der politischen Organisationen davonträgt, verweisen auf ein erhebliches Moment an Realitätsbezug, welches dem Feminismus eigen sein muß. Aus alledem ergibt sich die Dringlichkeit, sich mit ihm, soweit er Mittel ist, die Frauenbewegung in Sackgassen zu treiben, kritisch auseinanderzusetzen.

Die Verbreitung feministischer Auffassungen wird erleichtert durch die Marktgängigkeit des Themas, daher durch die Publikationspraxis der Verlage sowie ihrer Autoren. Zeigt sich doch unter den sozialen Bewegungen die Frauenbewegung — wegen ihres als exotisch bis anrüchig empfundenen Charakters — als besonders geeignet für die in den Medien tätigen Geschäftemacher.
Wie in allen sozialen Bewegungen gibt es auch in den Frauenorganisationen Mitglieder, die die gesamte Bewegung, ihre eigene Stellung in ihr und sämtliche Aktionen als profitliche private Einkommensquelle betrachten. Meist besser ausgebildet, des Redens und der schnellen Analyse kundiger, nutzen sie den Wert, den sie für die Mitglieder der Bewegung haben und den diese ihnen zuschreiben, als Marktwert, bieten die Bewegung und häufig eigens von ihnen zu Publikationszwecken mitinitiierte Aktionen als eigene Produkte auf dem Markt feil. Dabei werden sie wiederum von den Medien unterstützt, die Einzelpersonen aus der Bewegung als Markennamen leichter aufbauen und profitlicher verkaufen zu können meinen.
Ein solches Verhalten, in dem also die berechtigte soziale Empörung einer Bevölkerungsgruppe unter dem Aspekt ihrer Verwertbar-keit für den Medienmarkt, ihrer Verkauflichkeit, verhandelt wird, mag zwar moralisch verwerflich sein, muß aber der Bewegung nicht immer schaden, kann ihr im Gegenteil sogar nützen, wenn und soweit es Propaganda des Worts oder der Tat ist für die gemeinsame Sache in Richtung auf ein angebbares allgemeines Ziel. Wenn es also darum geht, neue Veröffentlichungen zur Frauenfrage zu beurteilen, sind Zielsetzung und Wegweisung vordringlich zu prüfen, auch und gerade dann, wenn solche Schriften von Mitgliedern der Frauenbewegung, von „Betroffenen" verfaßt wurden.
Kate Millett, Mitglied von „Womeri's Liberation", bekannt geworden durch ihr Buch „Sexus und Herrschaft",[2] bei Aktionen von Frauengruppen Organisator und zugleich Reporter für verschiedene Zeitungen, redigierte nach Tonbandprotokollen von Diskussionen mit drei Frauen ein Buch zum Thema Prostitution.[3] Aus dem gleichen Material drehte sie zur gleichen Zeit einen Film.
In Abkehr von dem „öden Objektivitätsanspruch" (7),[4] soll durch das Mittel der „persönlichen Reportage" (8) echtes Leben dargebracht werden; es soll eine Art weiblicher Kultur entstehen: „Ich wünsche mir, daß die Frauen in künstlerischen Berufen dank der neuen Bewegung mehr Vertrauen in den Wert ihrer Kultur gewinnen (in dem Sinne, daß die Frauen eine Klasse mit eigener Subkultur bilden), mehr Achtung vor der eignen Erfahrung und zugleich die Freiheit oder die Spontaneität dies auf neue Weise und in neuen Formen auszudrük-ken." (21) Das Thema der Prostitution sei bisher nur von Männern auf die ärgerlichste Weise behandelt worden, statt dessen solle hier „das wirkliche, von manchen Frauen erfahrene Leben" (9) artikuliert werden.
Es kann hier nicht darum gehen, dem von der Autorin vorgeschlagenen Maßstab zu folgen und nachzuprüfen, welcher Zuwachs und ob überhaupt einer an Echtheit, Eindringlichkeit und Andersartigkeit die von ihr gebotenen Schilderungen der Prostitution gegenüber vorhergehenden haben. Auch sei unbenommen, daß die Sprache der Betroffenen für den Fortschritt einer sozialen Bewegung nicht aufmerksam genug gehört werden kann. Die eigentliche Frage ist: Wer sind die Betroffenen? In welcher Bewegung, die wohin führen soll?
Nach dem leidenschaftlichen Plädoyer aber für die Anhörung der Betroffenen statt jener, die fern von Praxis über das Thema der Prostitution räsonnieren, ist der Leser — zumindest aus der Sicht der Verhältnisse in der BRD — einigermaßen erstaunt, folgende Stimmen zu vernehmen: als Hauptzeugin eine College-Studentin (vorübergehend Prostituierte: „ich war entschlossen, viel Geld zu verdienen, ich war davon regelrecht besessen", 50; ... „Man kann sagen, sie [die meisten Call-Girls von Uptown, FH] haben sich für dieses Geschäft entschlossen wegen der Differenz von vierzigtausend Dollar pro Jahr ... Ein Geschäftsmann würde auch allerlei tun, um vierzigtausend Dollar im Jahr mehr zu haben", 41); Kate Millett selber („Indem ich mich in die Leiden anderer Frauen versetzte und ihnen nicht mehr als Studierender oder Kritiker, sondern als Autor oder Filmemacher begegnete, stellte ich mich ihnen als Frau, als eine Frau, die täglich intensiver mit dem Schicksal aller Frauen befaßt war, mein eigenes nicht ausgenommen", 9 f.); dann noch, quasi in Nebenrollen, eine Rechtshelferin, jetzt Jurastudentin, Mitglied von „Women's Liberation", und endlich eine ehemalige Prostituierte, die „eine Zeitlang ein Rehabilitationszentrum für Rauschgiftsüchtige geleitet hat" (25).

Eine solche Auswahl, die allgemein zu sein beansprucht, aber keinen Unterschied macht zwischen einem reichen eleganten Call-Girl, das nicht der Hunger, sondern die Gier nach Reichtum treibt, und jenen Frauen, die in den Armenvierteln der Großstädte auf den Straßen sich feilbieten, bedarf der Erklärung. Sie findet sich in Mil-letts erstem Buch „Sexus und Herrschaft", in dem ebenso geistreich wie einseitig aufs Ausführlichste aus solchen in der Tat wohl unbestritten üblen pornographischen Literatur-Produkten, wie denen von Miller und Mailer, entwickelt wird, was es heiße, „weiblich zu sein, eine Frau in einer Welt der Männer" (26). Indem Millett solcherart ihre Analyse mit der Lage der Frau im Geschlechtsakt beginnt, kann sie richtig feststellen, daß hier über die sozialen und Klassenschranken hinweg von der Unterdrückung nicht einer Klasse, sondern eines gesamten Geschlechts gesprochen werden sollte, was wiederum etwas mit ihrem Geschlecht zu tun haben muß. Aus diesem Grunde wiederum scheinen ihr alle menschlichen Tätigkeiten bis auf eine unwesentlich, verkürzt sie das Leben auf den Geschlechtsakt, die Gesellschaft auf das Geschlechtsverhältnis.

Aus der richtigen Einsicht, daß Sexualität etwas mit Herrschaft zu tun hat — daß sie einerseits für Herrschaft in Dienst genommen wird, während sich andererseits in der sexuellen Praxis bestehende Herrschaftsstrukturen ausdrücken —, zieht sie nicht den Schluß, daß die Gesellschaft geändert werden muß, um andere Formen von Liebe und Sexualität zu ermöglichen, sondern sie legt umgekehrt nahe, die Sexualität zu ändern, wodurch sich die Gesellschaftsänderung ergibt.
Die   von   ihr   konstatierte   Objekthaftigkeit   der   Frau   im   Geschlechtsakt dehnt sie fast zwanghaft analogisierend auf alle Lebensbereiche aus. „Und wir sahen dabei andere Arten von Prostitution, wie sie das Leben an der Universität mit sich bringt: die Kriecherei vor den Department-Chefs, in den Fakultätssitzungen" (75). Die Gleichsetzung des Schicksals aller Frauen mit dem der Prostituierten funktioniert über solche analogisierenden Assoziationen. Vom Objekt im Geschlechtsakt wird die Frau zum Objekt schlechthin, als solches wird sie „instrumentalisiert". Da Instrumente gemeinhin recht brauchbare Dinge sind, ist der Schritt zur „Frau als Gebrauchswert" nur kurz, jedoch sollte man meinen, ist es eigentlich keine Abwertung, nützlich zu sein — denn nichts anderes meint der Begriff Gebrauchswert —; ein solcher Einwand verkennt aber den Charakter der Argumentation, denn die Bezeichnung als Gebrauchswert  diente  ohnehin nur  als Brückenschlag zur nächsten Bestimmung:  die Frau ist Ware. Auf diese Weise verschwindet der Unterschied zwischen Prostituierten und solchen Frauen, die nicht ihr Geschlecht zum Kauf anbieten, und die Prostituierten avancieren gleichsam zu Stellvertretern für die Frauen im allgemeinen, die deren Schicksal in der „Männergesellschaft" ohne jedes schmückende Beiwerk, also unverhüllt darstellen sollen. „Ich sehe in der Prostitution so etwas wie ein Paradigma: ein Exempel für die soziale Situation der Frau, wie sie im Grunde besteht. Hier wird nicht nur ihre Abhängigkeit offenbar, verknüpft mit den finanziellen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, in Ziffern und Zahlen fixiert, statt versteckt hinter den Paragraphen eines Heiratsvertrages (der noch immer auf dem Prinzip ,Sex für Sachwerte' beruht und sich dabei auf die Geschichte berufen kann); ja durch den bloßen Akt der Prostitution wird unser Wert deklariert: als der Wert einer Sache"   (73).  So  liegt  es  nahe,   die   Strategie   der   amerikanischen Frauenbefreiungsbewegung  in  erster  Linie  auf  die  Agitation  der Prostituierten zu lenken. „Diese Prostituierten sind unsere politischen Gefangenen — ihre Vagina hat sie ins Gefängnis gebracht. Darum wurden sie eingesperrt, wegen der Vagina, das ist ihr Delikt, das, welches wir alle begehren, einfach dadurch, daß wir Frauen sind. Das ist Sexualpolitik, ihr harter Kern" (90).
Die Frauen einen soll demnach gemeinsamer Haß auf die Männer, von denen sie erniedrigt und versklavt werden. Spätestens hier soll die Parallele zum Proletariat zwingend werden: Frauen haben nichts zu verlieren als ihre Ketten, die ihre Unterdrücker, die Männer, kollektiv in Händen halten, gegen sie aufzustehen scheint das Gebot der Stunde zu sein.
Dagegen wäre allerdings einzuwenden, daß die Frauen, im Unterschied zum Proletariat — bei dem nur liberale Bürger gern bei dem Leidensaspekt seiner Unterdrückung verharren, um die Kraft und Potenz übersehen zu können, die es allein zum Träger der Zukunft machen — nicht die Schöpfer aller Werte, des gesellschaftlichen Reichtums sind. Sie haben keine Welt zu gewinnen. Denn gerade ihr partielles Ausgeschlossensein aus der gesellschaftlichen Produktion des Lebens in Gestalt ihrer Reduktion auf die Erhaltung der Art (Haus und Kinder) macht ihre spezifische Unterdrückung aus. Die Notwendigkeit, jene Privatheit zu überwinden, einen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen, um den gemeinsamen Kampf um eine menschlichere (nicht weiblichere) Gesellschaft aufzunehmen, macht eigene Frauenorganisation ebenso nötig wie andere Zusammenschlüsse von unterdrückten Minderheiten. Seit mehr als 100 Jahren allerdings steht nicht mehr die Emanzipation von Bevölkerungsteilen, sondern die der Menschheit auf der Tagesordnung. Ihr entgegenzuwirken, ihr in den Rücken zu fallen, ist trotz all ihrer Notwendigkeit zugleich die besondere Gefahr jener Organisationen, die die Befreiung nur bestimmter, besonders unterprivilegierter Teile der Menschheit anzielen, daher auch die Gefahr von Frauenorganisationen. Eine besonders schlagkräftige Waffe im Kampf gegen die wirkliche Politisierung der Frauen ist der Feminismus in vielerlei Gestalt.
In der in Milletts Buch vorliegenden Form, in der die Prostituierten mit großem Aufwand an emotionaler Aufrührung zur Avantgarde der Bewegung stilisiert werden und in der vergleichsweise sehr bescheiden das Ziel der Strategie „eine gewandelte öffentliche Haltung" (11) zur Frage der Prostitution sein soll, wird durch die bei den Feministen übliche Gleichsetzung von Prostitution und Ehe [5] die tatsächliche Preisgabe des letzten nicht unter das Verwertungsprinzip fallenden Werts der menschlichen Unantastbarkeit und Würde durch den Verkauf von „Liebe" auf eine Weise entskandalisiert, daß um die Würde des Menschen und um Liebe wirklich zu kämpfen als gänzlich absurd aus den Augen verloren werden muß.
Statt dessen aber kann es für eine ernsthafte Frauenbefreiungsbewegung in der Frage der Prostitution doch nur um den Kampf gegen die Bedingungen gehen, die sie möglich oder gar notwendig machen, und für Bedingungen, die zugleich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern auf eine neue Stufe heben. Es ist dies zunächst der höchst prosaische Kampf um die ökonomische Unabhängigkeit vom Ehemann, d. h. um ausreichende angemessene Arbeitsplätze, um Ausbildung, um gleiche Löhne, um rechtliche Gleichstellung etc. Allerdings hat dieser Kampf weder Weg noch Ziel mit dem von Millett mit den folgenden Worten beschworenen gemein: „Blumen, Musik, Rausch, Gespräche und ein phantastischer Liebesgenuß ... das alles könnte sein. Und ich meine, es ist ein Ziel, um das es sich zu kämpfen lohnt" (88).
Nach dem gleichen Muster gestrickt, aber weniger originell und weniger konsequent als der von Kate Millett ist Alice Schwarzers neuester Versuch, die Frauen zum Gegenstand einer Buchveröffentlichung zu machen.„ [6]Interviews mit Frauen aller möglichen Ausbildungs- und Berufsarten und entsprechend unterschiedlicher sozialer Lage werden dem Leser vorgeführt, ohne daß im entferntesten klar wird, warum gerade 16 und nicht einer oder 100 Berichte, denn die Texte könnten in ihrer sattsam bekannten, in sämtlichen Medien durch ständige Wiederholung platt gewalzten folgenlosen Art ebenso ins Unendliche fortgeführt werden wie ungesagt bleiben: Menschen wachsen auf in unterschiedlichen Familien, lernen dies und das oder nichts, haben Freunde, Geschwister, Eltern, ergreifen einen mehr oder minder zufälligen Beruf, werden mehr oder weniger ausgebeutet, die Arbeit ist mehr oder weniger langweilig, eintönig, inhuman etc. etc. — Einheitstiftendes Moment ist die Auswahl nur weiblicher Berufstätiger — entsprechend ist im Text jeder Verweis auf weibliche Vorurteile oder geschlechtsspezifische Benachteiligungen bedeutsam kursiv gedruckt („Ich versteh nicht, warum man überhaupt lernen soll als Mädchen. Bei uns werden Männer bevorzugt.")
Über die bekannten Tatsachen hinaus erfährt man allerdings nichts Neues und im Unterschied zu den vielen, wenn auch mittelmäßigen Erhebungen über Frauenarbeit und -bewußtsein zudem nichts über die Verbreitung der jeweiligen Phänomene.
Beim angestrengten Versuch, ihr Buch mit „Frauenbefreiungsbewegungen" zu verknüpfen, bastelt Schwarzer die Bruchstücke möglicher und tatsächlicher Meinungen zu einem programmatischen Entwurf zusammen:[7] „Hüten sollten Frauen sich vor: — Teilzeitarbeit ... Drei-Phasen-Theorie ... Hausfrauengehalt ... Sackgassenberufen (Sekretärin, Assistentin, Stewardess etc.) ..." (26). Aus der gesicherten Höhe eines privilegierten Berufes ist Schwarzer als Feministin jeglicher Politik oder gar Politisierung der Frauen abhold: „Frauen müssen erkennen, daß sie recht haben; daß sie Gründe haben, sich unter den gegebenen Umständen kaum für .Karriere' und .offizielle' Politik zu interessieren (die doch nur ein Instrument zu ihrer Unterdrückung ist)" (22). Begeistert schließt sie sich der neuerlich hauptsächlich aus den USA importierten Vorstellung an, nach der hinter jeder Unterdrückung das patriarchalische oder männliche Prinzip stecke. „Daß den Frauen als primäre Funktion die Arbeit im Reproduktionsbereich gesellschaftlich zugewiesen ist, macht sie zur niederen Kaste, deren Lebensschicksal in unbezahlter .Sklavenarbeit' im Dienste der übergeordneten Kaste, der Männer, besteht" (14).***474.3.7a*** Noch 1973 kann Herbert Marcuse für die Frauenbewegung, durch Schwarzer unterstützt, leitsternhaft verkünden: „... die patriarchalische Gesellschaft hat ein Bild der Frau, eine weibliche Gegenkraft geschaffen, die noch zu einem Totengräber der patriarchalischen Gesellschaft werden kann" (23).
Als „autonome Frauenbefreiungsgruppen" werden von der Autorin stolz jene Gruppen bezeichnet, die im Unterschied ziu den „Klassenkämpferinnen" (13) nichts mit einer „männerdominierten Partei oder Organisation" (28, 187) zu tun haben wollen, nicht die „außerhäusliche Produktionssphäre" (13) in den Vordergrund rücken. — Als verwerflich wegen seiner „rein sozialistischen Richtung" (13) gilt etwa der „Sozialistische Frauenbund Westberlin". — Entsprechend wird beiläufig einer angeblichen Unterdrückung der Frau in den sozialistischen Ländern Erwähnung getan, [8]um anzuzeigen, daß der Sozialismus kein Weg zur Frauenbefreiung sei, denn die „Männergesellschaft kann bestenfalls Interesse an spannungsmildernden Konzessionen, nicht aber an grundlegenden Veränderungen haben, da sie von der Benachteiligung der Frauen gesamtgesellschaftlich und individuell profitiert" (26).
Im Anhang findet sich die deutsche Übersetzung eines Beitrags von Susan Sontag. Mit ähnlicher Leidenschaftlichkeit und ganz ähnlichen Analysen wie bei Kate Millett wird hier berechtigte Empörung in Handlungsaufforderungen abgedrängt, deren Befolgung die Bewegung praktisch irrelevant machen würde. Es geschieht dies vermittels der offenbar in den USA in Mode gekommenen wahnhaften Vorstellung, welche den Namen „Sexismus" trägt und im Prinzip auf der schon oben geschilderten Methode beruht, in analogisierender Weise sexuelle Strukturen oder solche, die man dafür hält, auf gesellschaftliche zu übertragen. So fordert Sontag etwa dazu auf, den „sexisti-schen Charakter der Sprache aufzudecken". „Eine gewisse Anzahl der amerikanischen Militanten im Frauenbefreiungskampf sind sich der trügerischen Natur der Grammatik bewußt geworden" (146 f.). Oder aber sie entdeckt, daß „das Wesen der Macht nach sexistischen Modellen definiert ist" (155), so daß der „Faschismus ... die natürliche Erfüllung der Werte des patriarchalischen Regimes" (156) ist. Aus der richtigen Einsicht, daß die Frauen keine Klasse sind, zieht Sontag den fälschlichen Schluß, daß „kaum eine Beziehung zwischen Klassenkampf und Frauenkampf" (152) bestehe. So behauptet sie auch, daß die Anprangerung der Unterdrückung der Frau bei Marx und Engels nicht zwingend logisch aus dem Marxismus hervorginge, sondern „weil sie Humanisten, Erben der Aufklärung, waren" (153). Durch eine weniger inhaltlich gefüllte als vielmehr von ihr selbst wesentlich als „radikal" bezeichnete Vorstellung vom Sozialismus entgeht ihr, daß dieser wiederum der einzig reale Testamentsvollstrecker von Humanismus und Aufklärung ist.
Im übrigen legt Sontag eine in vielen Einzelpunkten — Familie, Berufstätigkeit, Hausarbeit — richtige Analyse, in anderen eine einsichtige Phänomenologie vor. Durch die Überordnung der Frauenunterdrückung über die der Klassen — einfach weil sie die älteste bekannte Form von Herrschaft und Knechtschaft ist — unterstützt sie — zugleich mit der begrüßenswerten Förderung der Kampfbereitschaft und individuellen Emanzipation der Frauen — die Täuschung über die nicht so sehr männliche als profitorientierte Macht der ausbeutenden Klasse und damit die Erfolglosigkeit im Kampf gegen die historisch letzte Schlüsselform der Herrschaft des Menschen über den Menschen.
Was in der Frauenbewegung als Feminismus die erfolgreiche Politisierung der Frauen gefährdet, die Identifizierung von Herrschaft und Ausbeutung mit dem männlichen Geschlecht, erfüllt ebenso das gesamte Buch Pilgrims.[9] Ausweglos und düster langweilig propagiert er einen Zerstörungstrieb des Mannes, der zunächst den Mann selber, dann die Erde insgesamt bedrohe. Die Gesellschaft als Verschwörung der Väter folge dem dunklen Herrscherwillen, der Macht gebe über „Söhne  und  Frauen".  Der  Auflehnung werde  entgegengearbeitet durch frühzeitige sexuelle Deformation. Alles Schlechte, das in der Welt geschieht, vom Hunger in Indien bis hin zur Umweltverschmutzung, Faschismus, Kriege im allgemeinen wie der Vietnamkrieg im besonderen usw. werden erklärt aus der vulgärpsychoanalytisch hergeleiteten Theorie von der Herrschaft der Väter. Damit die Sicht auf wirkliche  Gegner  gänzlich  vernebelt  sei,   wird  das  übermächtige Patriarchat als weltweite Horrorstruktur postuliert. Als Beweis wird quer durch die Geschichte, von der Bibel bis zur sozial-liberalen Koalition gewaltsam in das Schema — Vater unterdrückt Sohnessexualität, um die Herrschaft zu behalten — gezwungen, was immer sich irgendwie zurechtbiegen läßt. Über die sozialistischen Länder erfährt man so beiläufig und nebenher ein wenig, daß niemand ernsthafte politische Absichten des Autors mutmaßen kann. „Die umwälzendsten Ideen des 19. und 20. Jahrhunderts die Ideen von der Machbarkeit gesellschaftlicher und individueller Verhältnisse —, die sich aus den Theorien von Marx und Freud kristallisiert haben, sind inzwischen systematisiert, orthodoxiert, ideologisiert, das heißt zur Mitwirkung an der Verewigung der patriarchalischen Zustände gebogen worden, die sie ursprünglich bekämpfen sollten ... die Söhne mumifizieren die Ideen ihrer progressiven Väter für die Mausoleen sogenannter Systeme,  die man betrachten oder erleiden muß, die man aber nicht mehr verändern darf, so wie es mit dem Marxismus geschehen ist"   (33). Falls  das  Buch  wirklich  Leser  finden sollte, bleibt die Hoffnung, daß es geeignet scheint, durch die Konsequenz,
mit der der Autor dem „Sexismus" verfällt, dessen Absurdität deutlicher werden zu lassen und so zu seiner schnelleren Überwindung beizutragen.
Daß alle Versuche der Verbreitung „feministischer" Gedanken letztlich Versuche der Entpolitisierung der Frauen sind, beweist nicht nur die Analyse der positiv vorgeschlagenen Wege zur angeblichen Befreiung, sondern auch die Nennung jener, die man nicht gehen soll. Es wird nämlich in allen diesen Verlautbarungen — mehr oder minder dick aufgetragen — ausdrücklich vor dem Sozialismus gewarnt. Darüber hinaus wird gar durch psychologische Tricks versucht, sozialistisches Potential für den Feminismus abzuwerben. So wird häufig — offenbar marxistisch angerührtes Publikum voraussetzend — mit Marx-Assoziationen gearbeitet: Bei Millett traten die Frauen auf, die „nichts zu verlieren haben als ihre Ketten", bei Marcuse werden sie zum „Totengräber der (patriarchalischen) Gesellschaft". In einem kürzlich im westdeutschen Fernsehen ausgestrahlten dreiteiligen Film [10] wird nicht nur der Geschlechterkampf als Basis dargestellt, über der ein ideologischer Überbau sich erhebe, sondern sogar an den Eingangssatz aus dem Kommunistischen Manifest erinnert — „Ein Gespenst geht um in Europa —, freilich ohne den Kommunismus, vielmehr statt seiner den „männlichen Herrschaftswille'n" im „lebensfeindlichen Industriesystem" zu erwähnen.
Eine weitere Strategie richtet sich gegen eine vermutete zunehmend historisch-materialistische Denkweise. So beschäftigen sich nicht nur Millett und Pilgrim, sondern auch der genannte Film mit einer Neufassung der Geschichte als einer, deren Bewegung seit dem Sündenfall dem Kampf der Geschlechter geschuldet sei. Der Faschismus, den als gänzlich verschieden vom Kapitalismus darzustellen sich schon viele Historiker bemüht haben, wird von den Theoretikern des Feminismus ganz besonders gründlich für ihre Schablone „Männer gegen Frauen" vereinnahmt. War der Faschismus bei Sontag „die natürliche Erfüllung der Werte des patriarchalischen Regimes" (Schwarzer, 156), kommen bei Pilgrim SS-Eliteeinheiten und Auschwitz nur im Zusammenhang mit deformierter Sexualität vor (Pilgrim, 35, 37), so erfuhr man in dem erwähnten Film, daß der Faschismus der „letzte Ausbruch des Machtwahns der Männer, die höchste Form des männlichen Chauvinismus und seine Blamage" war, und Kate Millett handelt gar Faschismus und die Entwicklung in der Sowjetunion im gleichen Kapitel unter dem gemeinsamen Titel „Die Gegenrevolution. 1930 — i960. Reaktionäre Politik" ab.[11]
Auch der Kapitalismus braucht die Frauen in zunehmendem Maße als Berufstätige, ist angewiesen darauf, daß sie etwas lernen, kann kein großes Interesse mehr an ihrer fehlenden Gleichberechtigung haben. Das schließt den Kampf der Frauen um ihre Rechte nicht aus, sondern macht ihn im Gegenteil erst erfolgversprechend. Die Kampferfahrung wird sie in die Lage versetzen, der Entpolitisierung des Feminismus zu entgehen. Denn dieser kann aufgrund seiner falschen Feindsetzung langfristig zwar keine tatsächliche Veränderung bewirken. Seine Faszination jedoch beruht auf der Indienstnahme vieler menschlicher Sehnsüchte wie Liebe und Solidarität, Zärtlichkeit und allgemeine Zuneigung, Vertrauen, Geborgenheit usw. Sein Verdienst ist es, einen Teil dieser Sehnsüchte — wenn auch in Subkulturen und also nicht allgemein — zu befriedigen.
Ein Nährboden für den Feminismus ist gesellschaftlich verschuldete massenhafte Unfähigkeit, Zusammenhänge zu durchschauen; dies ist zugleich ein Anzeichen des Unterdrücktseins. Die Lernbewegung, die durch Teile der Frauenorganisationen geht, wird begreifendes Erkennen möglich machen. Auf jene, die die gesellschaftliche Wirklichkeit durchschaut haben, wird der Feminismus keine entpolitisierende Faszination mehr ausüben. Wenn sie kämpfen, können sie nicht immer freundlich sein, bei der Arbeit können sie weder „Blumen" noch „Musik", noch „einen phantastischen Liebesgenuß" erfahren; die Solidarität jedoch, die aus der Zusammenarbeit entspringt, sollte es ermöglichen, einen Teil jener Sehnsüchte, die den Feministen das Ziel verbaut und die zugleich ihre Berechtigung ausmacht, in der politischen Frauenorganisation Erfüllung finden zu lassen.