Feministische Erkenntnistheorien (I)

Die Überwindung des Empirismus

Die androzentrische Ideologie der zeitgenössischen Wissenschaft geht von der Faktizität und/oder Notwendigkeit einer Reihe von Dualismen aus - Kultur vs. Natur, rationaler Geist vs. prärationaler Körper und irrationale Gefühle und Werte, Objektivität vs. Subjektivität, das Öffentliche vs. das Private - , um dann den Männern und der Männlichkeit die erste, den Frauen und der Weiblichkeit die zweite Hälfte jeder Dichotomie zuzuweisen. Die feministische Kritik geht davon aus, daß eine solche Dichotomisierung eine Ideologie im strengen Sinne konstituiert: im Gegensatz zu rein wertgebundenen falschen Annahmen, die keinerlei gesellschaftliche Macht besitzen, geht es hierbei um die Strukturierung von Politik- und Praxisformen gesellschaftlicher Institutionen, zu welch letzteren auch die Wissenschaft gehört.[1]

Könnte es eine alternative Erkenntnismethode geben, die nicht durch solche Dichotomien und Dualismen determiniert ist? Viele Feministinnen haben sich zu der Frage, ob eine spezifisch feministische Wissenschaft oder Erkenntnistheorie möglich sei, oder ob wir uns wenigstens vorzustellen vermöchten, wie sie aussehen könnten, zurückhaltend geäußert. Die Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway meint, daß Feministinnen sich Problemen wie den folgenden widmen müßten:

»Bildet sich heutzutage eine feministische Erkenntnistheorie heraus, die ähnliche Implikationen besitzt wie die aus der griechischen Wissenschaft und der wissenschaftlichen Revolution des siebzehnten Jahrhunderts entstandenen Theorien? Würde eine die wissenschaftliche Forschung beeinflussende feministische Erkenntnistheorie sich in die Familie der bereits existierenden repräsentationalen und realistischen Epistemologien einfügen? Oder sollten Feministinnen eine radikale Form der Erkenntnistheorie entwickeln, die die Möglichkeit eines objektiven Standpunkts und eines Zugangs zur Realität leugnet? Würden feministische Maßstäbe der Erkenntnis das Dilemma der Subjekt-Objekt-Spaltung oder der Kluft zwischen nicht-eingreifendem Wissen und Vorhersage/Kontrolle wirklich auflösen können? Eröffnet der Feminismus eine Einsicht in die Verbindungen zwischen Wissenschaft und Humanismus? Haben Feministinnen zu den verwirrenden Beziehungen zwischen Erkenntnis und Macht etwas Neues zu sagen? Würden feministische Autorität und Macht der Benennung der Welt eine neue Identität, eine neue Geschichte (story) vermitteln können?«[2]

Zweideutigkeit und Übergang

Haraway ist skeptisch, ob die feministische Theorie (zumindest in ihrer Gestalt von 1981, als diese herausfordernden Fragen formuliert wurden) darauf antworten kann. Ausgelöst wurden ihre Fragen durch eine Zweideutigkeit, die das feministische Nachdenken über Wissenschaft kennzeichnete, und die immer noch ein Problem darstellt. Eine Form dieser Zweideutigkeit ist die Berufung auf Argumente von Thomas Kuhn: Männer sehen die Welt auf diese, Frauen auf jene Art; was für Gründe außer der Loyalität zum je eigenen Geschlecht ermöglichen uns die Entscheidung zwischen diesen einander widersprechenden Sichtweisen? So gibt es die Ansicht, daß dies zum Beispiel auf den Widerstreit zwischen den Hypothesen vom »männlichen Jäger« und der »weiblichen Sammlerin« zutrifft (vgl. Kapitel 4)[3] Doch wenn Feministinnen die Möglichkeit eines objektiven Standpunkts und eines Zugangs zur realen Welt leugnen, dann scheinen sie eine entgeschlechtlichte Wissenschaft überhaupt für unerreichbar zu halten. Natürlich sind solche relativistischen Darstellungen eine Reaktion auf die wohlbegründete Annahme, daß philosophische und wissenschaftliche Appelle an objektive und wertfreie Forschung oftmals nur ein Deckmäntelchen für die Weigerung waren, die gesellschaftlichen Werte und Zielvorstellungen, die in der Wissenschaftsgeschichte und den geistigen Strukturen der Wissenschaft eine wichtige Rolle gespielt haben, kritisch zu untersuchen. Doch macht die Anerkennung der Tatsache, daß die Wissenschaft immer ein Produkt der Gesellschaft gewesen ist - daß mithin ihre Projekte und Erkenntnisansprüche die Fingerabdrücke ihrer Produzenten tragen - es erforderlich, daß nun der Feminismus relativistischer Subjektivität sich hingibt? Haraway hinterfragt mit Recht, ob die feministische Kritik des »Objektivismus« (d.h. die Annahme, Objektivität sei nur durch Wertfreiheit zu erreichen) uns zum »Subjektivismus« und Relativismus zwingt (d.h. zur Annahme, keine wertbezogene Forschung könne objektiv sein und von daher seien alle Forschungsrichtungen gleichermaßen begründbar). Kann dieser Subjektivismus dem von der etablierten Wissenschaft behaupteten Dualismus von Tatsachen und Werten, von »reiner Wissenschaft« und moralisch-politischer Gesellschaft überhaupt etwas entgegensetzen? Schließlich ist die etablierte Wissenschaft aufs engste mit den Projekten eines staatlich-militärisch-industriellen Komplexes verwoben, der bürgerlich, rassistisch und von Männern beherrscht ist. »Jedem Tierchen sein Pläsierchen« - ist das die wehrhafteste und machtvollste Antwort auf die lebensbedrohenden Projekte, die von der etablierten Wissenschaft unterstützt werden? Zudem verfehlt der Sprung in den Relativismus den Sinn feministischer Entwürfe. Die führenden feministischen Theoretikerinnen sind nicht darauf aus, ein loyales Verhalten gegenüber dem je eigenen Geschlecht durch ein anderes zu ersetzen und »männerzentrierte« Hypothesen durch »frauenzentrierte« abzulösen. Statt dessen sollen Hypothesen angestrebt werden, die von derlei Loyalitäten überhaupt befreit sind. Sicher müssen wir oft zunächst eine »frauenzentrierte« Hypothese entwerfen, um eine geschlechterfreie überhaupt verstehen zu können. Doch das Ziel feministischer Erkenntnissuche besteht darin, Theorien zu formulieren, in denen die Tätigkeiten von Frauen als gesellschaftliche Tätigkeiten erscheinen, und in denen die Geschlechterverhältnisse als reale - d.h. explanatorisch wichtige - Komponenten der menschlichen Geschichte begriffen werden. Ein solches Projekt hat nichts »Subjektives« an sich, es sei denn, man glaubt, daß die Vorstellung, Frauen seien gesellschaftliche Wesen und Geschlechterverhältnisse seien explanatorische Variablen, ein Zerrbild darstelle, welches einzig dem vergeschlechtlichten Begehren entspringe. Aus der Perspektive feministischer Theorie und Forschung ist das traditionelle Denken subjektivistisch, weil es androzentrisch entstellt ist - eine Behauptung, die Feministinnen unter Berufung auf ganz traditionelle objektivistische Gründe zu verteidigen bereit sind. Diese Zweideutigkeit ergibt sich auch, wenn Feministinnen sich auf wissenschaftliche »Tatsachen« berufen, um sexistische »Tatsachen«behauptungen als wissenschaftlich unbegründet zurückzuweisen, während sie gleichzeitig die Existenz einer beobachtbaren Wirklichkeit »außerhalb« gesellschaftlich konstruierter Sprachen und Gedankensysteme leugnen. Haraway weist darauf hin, daß diese ambivalente Haltung oft von denselben feministischen Wissenschaftlerinnen eingenommen wird, die den »Objektivismus« am gründlichsten kritisieren. Wie können wir uns bei der Unterstützung alternativer Erklärungsweisen, die »weniger falsch« oder »wahrheitsgetreuer« sind, auf unsere eigene Forschung berufen, wenn wir im gleichen Atemzug dem Argument, wissenschaftliche Tatsachen und ihre Erklärungen seien vernünftigerweise der End- und Ausgangspunkt von Begründungen und Rechtfertigungen, den Boden unter den Füßen wegziehen? Wie können wir, um mit Longino und Doell zu sprechen, zugleich die »schlechte« wie auch die »normale« Wissenschaft in Frage stellen?
Ein anderes Problem, das Haraways Fragen veranlaßt haben könnte, wird von Elizabeth Fee aufgeworfen. Sollten wir in der Arbeitsweise der Laboratorien, in den von feministischen Wissenschaftlerinnen angewandten Denkweisen und -methoden nach einer neuen Wissenschaft
suchen? Oder, wie einige feindselig eingestellte Skeptiker sich bemüßigt fühlen könnten zu fragen: »Hat der Feminismus eine Alternative zu induktiven und deduktiven Methodologien? Eine Alternative zu Experiment und Beobachtung? Wenn nicht, was könnte mit einer feministischen Wissenschaft gemeint sein?« Wir haben uns im zweiten Kapitel mit der verzerrten Wissenschaftsauffassung beschäftigt, die hinter solchen Fragen steht. Mit dem Argument, »daß wir zu diesem historischen Zeitpunkt keine feministische Wissenschaft, sondern eine feministische Kritik an der real existierenden Wissenschaft entwickeln«, behauptet Fee, daß wir zuerst eine feministische Gesellschaft zustandebringen müssen, ehe wir damit beginnen können, uns eine feministische Wissenschaft überhaupt vorzustellen.

»Eine sexistische Gesellschaft wird erwartungsgemäß eine sexistische Wissenschaft entwickeln; gleichermaßen wird eine feministische Gesellschaft eine feministische Wissenschaft entwickeln. Für uns liegt die Vorstellung einer feministischen Wissenschaft in einer feministischen Gesellschaft so fern wie für die mittelalterliche Bäuerin die Gentechnologie oder die Produktion einer Raumkapsel; unsere bildlichen Vorstellungen können allerhöchstens umrißhaft und kaum substantiell sein.« [4]

Fee hat sicher recht, wenn sie die Bedeutung feministischer Praxis für die Theorie betont und auf die daraus folgenden Beschränkungen verweist, denen unsere Einbildungskraft hinsichtlich der intellektuellen Strukturen einer noch nicht vorhandenen Welt unterliegt. Doch muß ein feministisches Programm für neue Methoden der Erkenntnissuche auf Sparflamme kochen, bis wir eine feministische Gesellschaft etabliert haben? Ist die Theorie der Praxis völlig nachgeordnet? Oder entwickelt sie sich als fortwährender Prozeß aus den Kämpfen um die Errichtung einer feministischen Gesellschaft? Und werden die grundlegenden Neuheiten einer feministischen Wissenschaft in ihren wesentlichen Theorien und Technologien liegen, oder in ihrer Erkenntnistheorie - ihrer Theorie der möglichen und erstrebenswerten Verhältnisse zwischen der »menschlichen Natur« und der von uns dann begriffenen Welt - oder vielleicht im möglichen Zusammenwirken beider? (Wie würden wir diese Fragen hinsichtlich der modernen Wissenschaft selbst beantworten?)
Einige Theoretikerinnen sind der Auffassung, daß Vorläufer oder Merkmale einer feministischen Wissenschaft in den alternativen Praxisformen zeitgenössischer Wissenschaftlerinnen entdeckt werden können.[5] Zweifelsohne wird deutlich, daß viele Frauen gesellschaftliche Interaktionsformen und Umgangsweisen mit der Natur anders konstruieren als die meisten westlichen Männer; darauf deuteten auch die im vorigen Kapitel angeführten feministischen Untersuchungen zur Theorie der Objektbeziehungen hin. Doch es wäre, denke ich, ein Fehler, in gegenwärtigen oder vergangenen Praxisformen einzelner Wissenschaftlerinnen nach den Umrissen einer feministischen Wissenschaft zu suchen. Wir würden dann für die Vision eines wissenschaftlichen Weltbildes vielleicht nicht die Vorstellungen mittelalterlicher Bäuerinnen bemühen müssen, statt dessen aber die Einbildungskraft von Handwerkern oder Künstlern der Frührenaissance zu Rate ziehen, deren neue Arbeitsweise die umfassende Anerkennung der Tugenden experimenteller Beobachtung ermöglichte.[6]
Weibliche Wissenschaftler verstoßen gegen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Frauen auf Hausarbeit oder zweitrangige Lohnarbeit beschränkt. Doch wie alternativ können die Praxisformen isolierter Individuen sein, die es auf irgendeine Art geschafft haben, die Kluft zwischen Arbeit und gesellschaftlicher Identität zu überbrücken? Die Forschungsprogramme der Naturwissenschaften werden durch internationale Gruppierungen bestimmt, nicht durch isolierte Forscherinnen und Forscher in den vor Ort befindlichen Laboratorien. Die (in Kapitel 4 untersuchte) reale Struktur der Wissenschaft ist ein Hindernis für die Entfaltung dessen, was einzelne Wissenschaftlerinnen an einzigartigen Talenten und Fähigkeiten besitzen mögen. Und ist, darüber hinaus, eine feministische Wissenschaft nichts weiter als die Sammlung alternativer Begriffs- und Praxisformen von Wissenschaftlerinnen, ohne Berücksichtigung der Verschiebungen, Ziele und unterschiedlichen Auffassungsweisen in der feministischen Theorie und der Frauenbewegung? Kann eine auf die vergeschlechtlichte Identität von Frauen sich gründende Wissenschaft eine solide Grundlage für eine feministische Wissenschaft abgeben?
Um die möglichen Richtungen, innerhalb derer eine feministische Wissenschaft entstehen könnte, auszuloten, sollten wir lieber einen Blick auf die bereits entwickelten Erkenntnistheorien werfen. Was uns heute als »wissenschaftliche Methode« gilt, hat, um sich herauszubilden, Jahrhunderte gebraucht. Nur mit Hilfe der gröbsten Verallgemeinerungen über Forschungsweisen und ihre Begründungsstrategien könnte Galileis »Methode« mit der Elementarteilchenphysik oder der Genetik in Zusammenhang gebracht werden. (Und, wie wir im dritten Kapitel sahen, ist vieles von dem, was wir für eine wissenschaftliche Methode halten, tatsächlich kein Kriterium, um wissenschaftliche von nicht wissenschaftlich genannten Tätigkeiten zu unterscheiden ein Gesichtspunkt, der den philosophischen Diskurs nach Kuhn stark beschäftigt hat.) Doch einige der Aussagen über Erkenntnissubjekte, die zu erkennende Welt und den Erkenntnisprozeß, mittels derer sich moderne von mittelalterlichen Erkenntnistheorien unterscheiden, sind schon bei Galilei und seinen Vorgängern nachzuweisen. Ähnlich haben feministische Theoretikerinnen Begriffe von Erkenntnissubjekten, der zu erkennenden Welt und dem Erkenntnisprozeß entwickelt, mittels derer sich feministische Erkenntnistheorien von den vorherrschenden westlichen Sichtweisen der letzten Jahrhunderte unterscheiden. Und genau diese Erkenntnistheorien sind bereits jetzt für viele feministische Forschungsweisen maßgebend. Die von uns als erkenntnis- oder wissenschaftstheoretisch anerkannten Fragen leiten sich in ihrer modernen Form von einer »Meditation« über die Implikationen des Aufstiegs der modernen Wissenschaft selbst her. Descartes, Locke, Hume und Kant unternahmen den Versuch, die von Kopernikus, Galilei und Newton betriebene Methode der Erkenntnissuche als vernunftgemäß zu begreifen. Die Schöpfer der modernen Erkenntnistheorien meditierten über das, was sie als Wissenschaft ansahen, die von individuellen »Kunsthandwerkern« hervorgebracht worden war. Ihre Wahrnehmungen bezogen sich auf das Wesen und die Tätigkeiten eines, wie sie es auffaßten, individuellen, »entkörperlichten«, aber menschlichen Geistes, dem keine soziale Verpflichtung oblag außer der eigensinnigen Suche nach Klarheit, Wahrheit und Gewißheit. Diese Wahrnehmungen sind auch weiterhin die Grundlagen, auf denen die von uns als erkenntnistheoretisch anerkannten Probleme gedeihen. Wenn wir aufhören, die modernen westlichen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien als philosophische Gegebenheiten zu betrachten, können wir statt dessen anfangen, sie als historisch verortete Strategien der Begründung und Rechtfertigung zu untersuchen - als kulturspezifische Konstruktions- und Ausbeutungsmethoden kultureller Bedeutungen zur Unterstützung neuer Arten von Erkenntnisansprüchen. Immerhin wurde den theologischen Rechtfertigungen wissenschaftlicher (und mathematischer) Behauptungen und Praktiken durch die Verfahrensweisen der modernen Wissenschaft selbst der legitimatorische Boden entzogen, weil diese der Intuition annehmbarer erschienen als die Theologien, die zu ihrer Rechtfertigung herhalten mußten.
In ähnlicher Weise gehe ich davon aus, daß der Wesenskern feministischer Behauptungen und Praktiken dazu dienen kann, die Legitimität der modernen Erkenntnistheorien zu unterhöhlen. Diese Theorien ignorieren explizit den Geschlechterbegriff, während sie implizit spezifisch männliche Bedeutungszuschreibungen der Erkenntnissuche für ihre Zwecke ausnutzen. Explizit geschlechtsbezogene Überarbeitungen moderner Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien waren für den Feminismus die hauptsächlichen Ressourcen der Begründung und Rechtfertigung. Dies wird erst jetzt von feministischen Theoretikerinnen in seinem ganzen Umfang erkannt, obwohl die von uns angeführten Zweideutigkeiten eine Vorläuferfunktion gehabt haben. Ich schlage also vor, feministische Erkenntnistheorien als immer noch übergangsförmige Meditationen über den Wesenskern feministischer Behauptungen und Praxisformen zu betrachten. Kurz gesagt sollten wir solche Zweideutigkeiten und Widersprüchlichkeiten nicht nur erwarten, sondern vielleicht sogar hegen und pflegen. In diesem Sinne hat Fee recht: wir werden eine mit ihren erkenntnistheoretischen Strategien völlig übereinstimmende feministische Wissenschaft erst in einer feministischen Gesellschaft besitzen.
In diesem und dem nächsten Kapitel werde ich die in Kapitel 2 bereits erwähnten feministischen standpunktorientierten Erkenntnistheorien untersuchen, auf einige Probleme hinweisen, mit denen diese Theorien sich konfrontiert sehen, und die dadurch hervorgerufene Tendenz zum feministischen Postmodernismus erforschen.

Die standpunktorientierten Erkenntnistheorien des Feminismus

Die standpunktorientierten Erkenntnistheorien gründen eine spezifisch feministische Wissenschaft auf eine Theorie vergeschlechtlichter Aktivität und gesellschaftlicher Erfahrung. Sie geben Frauen (oder Feministinnen, je nach Ansatz) in epistemischer Hinsicht den Vorrang, erheben aber zugleich den Anspruch, die für das aufklärerisch-bürgerliche Weltbild und seine Wissenschaft charakteristischen Dichotomien zu überwinden. [7] Es empfiehlt sich, die Standpunkt-Theorien ebenso wie die Ansätze, die sich auf einen feministischen Empirismus berufen, als Projekte einer »Nachfolgewissenschaft« (successor science) zu betrachten, welche die ursprünglichen Ziele der modernen Wissenschaft auf signifikante Weise zu rekonstruieren suchen. Im Gegensatz dazu stellt der feministische Postmodernismus diese Ziele direkt in Frage (wobei es jedoch auch in den standpunktorientierten Ansätzen postmodernistische Strömungen gibt). Bei der Betrachtung dieser Argumente lassen sich fünf unterschiedliche, jedoch miteinander verbundene, Gründe herausfiltern, mittels derer erklärt werden soll, warum eine feministische Forschungsperspektive Interpretationsweisen von Natur und Gesellschaft eröffnen kann, die aus der Perspektive spezifisch männlicher Tätigkeiten und Erfahrungen unmöglich beizubringen sind. Ich werde jeden dieser Gründe anhand der Schriften jeweils einer Theoretikerin untersuchen, die diesen besonderen Aspekt der geschlechtsspezifischen Aufspaltung von Tätigkeiten betont, wobei gesagt werden muß, daß die Mehrzahl dieser Theoretikerinnen mehr als nur einen Aspekt behandelt. Die Darstellungen sollten, ungeachtet ihrer Unterschiede, als einander ergänzend und nicht widerstreitend verstanden werden.

Die Einheit von Hand, Kopf und Herz in der handwerklichen Arbeit

Hilary Roses »feministische Erkenntnistheorie für die Naturwissenschaften« wurzelt in einer post-marxistischen Analyse der Auswirkungen einer geschlechtsspezifischen Aufspaltung von Tätigkeiten auf intellektuelle Strukturen.[8] Sie geht von dem Argument aus, daß wir die Umrisse einer spezifisch feministischen Erkenntnistheorie in den Denkweisen und Praxisformen von Wissenschaftlerinnen, deren Forschungsweisen immer noch »handwerklich« organisiert sind, entdecken können, nicht aber in der »industriell organisierten Arbeit«, die für den größten Teil der wissenschaftlichen Forschung charakteristisch ist. Die Spezifik dieser Erkenntnistheorie liegt in der Art und Weise, in der ihre Begriffe des Erkenntnissubjekts, der zu erkennenden Welt und des Erkenntnisprozesses die für die Arbeit der Frauen im allgemeineren Sinne typische Einheitlichkeit von manueller, geistiger und emotionaler (»Hand, Kopf und Herz«) Tätigkeit reflektieren. Diese Erkenntnistheorie steht nicht nur im Gegensatz zu den cartesianischen Dualismen (Geist vs. Körper und beide vs. Gefühl und Emotion), die den aufklärerischen und selbst den marxistischen Entwürfen von Wissenschaft zugrundeliegen, sondern sie begründet auch die Möglichkeit eines »vollständigeren Materialismus, einer wahreren Erkenntnis« als die beiden paternalistischen Diskurse sie haben entwickeln können (Rose 1984, 49). Die Notwendigkeit einer solchen feministischen Wissenschaft »wird zusehends dringlicher«, denn wenn wir die drohende nukleare Vernichtung und das sich verschärfende soziale Elend vermeiden wollen, so »ist für ein wissenschaftliches und gesellschaftliches Transformationsprogramm der kritische Punkt erreicht, an dem wir die fürsorgende Arbeit und das Wissen, das aus der Beteiligung an ihr sich herleitet, analytisch aufarbeiten müssen« (Rose 1983, 89).
Rose beginnt damit, die Einsichten post-marxistischen Denkens zu analysieren, auf die Feministinnen aufbauen können. Für Alfred Sohn-Rethel war die Trennung der geistigen von der körperlichen Arbeit im Kapitalismus die Ursache für die mystifizierenden Abstraktionen der bürgerlichen Wissenschaft.[9] Aber die gesellschaftlichen Verhältnisse umfassen viel mehr als die reine Warenproduktion, in der die geistige und die körperliche Arbeit verschiedenen Bevölkerungsklassen zufällt. Wie Marx, so hat auch Sohn-Rethel versäumt zu fragen, welche Auswirkungen sich auf die Wissenschaft dadurch ergeben, daß die Arbeit der Fürsorge und Betreuung ausschließlich den Frauen zugewiesen wird.[10] In dieser Hinsicht, sagt Rose, unterscheiden sich Post-Marxisten wie Sohn-Rethel nicht von den Theoretikern der Soziobiologie, zu denen sie ansonsten in vehementem Gegensatz stehen; stillschweigend billigen sie das »alles andere als emanzipatorische Programm der Soziobiologie, die das Schicksal der Frau an ihre genetische Ausstattung bindet«. Die Feministinnen müssen das Verhältnis zwischen der bezahlten und der unbezahlten Arbeit der Frauen analysieren, um zu zeigen, daß die fürsorgerischen Fähigkeiten der Frauen sozialen und nicht natürlichen Ursprungs sind und daß es »die Männer sind, die ihnen - vor allem im häuslichen Bereich, aber auch am Arbeitsplatz - diese Fähigkeiten entlocken« (ebd., 83f.).
Des weiteren analysiert Rose die Beziehung zwischen den wissenschaftlichen und den häuslichen Arbeitsbedingungen der Frauen und untersucht die für Frauen sich aus diesen Aktivitäten ergebenden Möglichkeiten, einen weiter entwickelten Standpunkt als Produzentinnen weniger verzerrter und umfassenderer wissenschaftlicher Behauptungen einzunehmen. Eine feministische Erkenntnistheorie kann nicht aus dem Nachdenken über die Labortätigkeit von Frauen erwachsen, denn dort sind die Frauen aus Überlebensgründen zur Selbstverleugnung gezwungen, zugleich aber »im großen und ganzen aus dem Produktionssystem wissenschaftlicher Erkenntnis mit seiner ideologischen Definitionsmacht hinsichtlich dessen, was objektive Erkenntnis ist und was nicht, ausgeschlossen« (ebd., 88). Ihnen wird verweigert, (männliche) wissenschaftliche Erkenntnissubjekte zu werden, ohne daß sie sich darum zu dem bekennen dürften, als was sie in erster Linie wahrgenommen werden: Frauen zu sein.[11] In ihrem Aufsatz von 1983 argumentiert Rose dahingehend, daß eine feministische Erkenntnistheorie sich auf die Praxisformen der Frauenbewegung gründen müsse. In ihrer Beschäftigung mit biologischen und medizinischen Gesichtspunkten wie Menstruation, Abtreibung, und medizinischer Selbstindikation und Selbstbehandlung verschmilzt die Frauenbewegung »subjektive und objektive Erkenntnis zu einer neuen Art von Erkenntnis«. »Angesichts der Notwendigkeit, die persönliche Erfahrung von (Menstruations-)Blut, Schmerzen und Anspannungen zu integrieren und zu interpretieren, verblaßt der cartesianische Dualismus ebenso wie der biologische Determinismus und der soziale Konstruktivismus«, erklärt Rose. »Die Arbeit mit der und an der Erfahrung der besonderen Unterdrückung von Frauen verschmilzt das Persönliche, das Gesellschaftliche und das Biologische.« Auf diese Weise wird aus dem Zusammenspiel zwischen »neuen Organisationsformen« und neuen Projekten eine feministische Erkenntnistheorie für die Naturwissenschaften erwachsen. Im Gegensatz zu den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und ihrer Wissenschaft widerstehen die Organisationsformen der Frauenbewegung der Aufteilung von geistiger, körperlicher und fürsorgender Tätigkeit auf verschiedene Menschengruppen oder -klassen. Und das Ziel feministischer Wissenschaft besteht darin, den Frauen das Wissen zu vermitteln, das sie benötigen, um unseren eigenen Körper verstehen und damit umgehen zu können: Subjekt und Objekt der Forschung fallen in eins. Die aus dieser vereinheitlichten Tätigkeit im Dienste der Selbsterfahrung erwachsenden Annahmen und Überzeugungen sind angemessener als jene, die aus den aufgespaltenen Tätigkeitsformen resultieren und nur dem Zweck der Profitmonopolisierung und der sozialen Kontrolle dienen. Dieser Aufsatz ließ eine Lücke zwischen den Wissens- oder Machtverhältnissen, die in einer auf das Begreifen des eigenen, des weiblichen Körpers zielenden Wissenschaft möglich sind, und jenen, die benötigt werden, damit eine feministische Wissenschaft ausreichende Durchschlagskraft entwickeln kann, um die etablierten Wissenschaften wie Physik, Chemie, Biologie und Soziologie zu ersetzen. Im Aufsatz von 1984 versucht Rose, diese Lücke zu schließen, indem sie den möglichen Ursprungsbereich einer spezifisch feministischen Erkenntnistheorie erweitert. Die Ursprünge einer Erkenntnistheorie, die die Legitimität des Subjektiven, die notwendige Vereinigung des Intelligiblen mit dem Emotionalen und die Ersetzung der Vorherrschaft von Reduktionismus und Linearität durch die Harmonie des Ganzheitlichen und Komplexen befürwortet, kann in den Formen entdeckt werden, die Foucault »unterdrückte Wissensformen« nennen würde - Verstehensweisen, die in der Geschichte der Wissenschaft versunken sind (Rose 1984, 49).
Rose denkt hier an die von Carolyn Merchant dargestellten und ausgearbeiteten ökologischen Probleme, die auch das Werk von Rachel Carson durchziehen, und sie denkt an die Forderung, den Reduktionismus in Richtung auf eine holistische »Feminisierung der Wissenschaft« zu überwinden, die zum Beispiel von David Bohm und Fritjof Capra erhoben wird.[12] Sie hätte sich hier auch auf Joseph Needhams romantische Idealisierung der chinesischen Wissenschaft, die weiblicher orientiert sei als die westliche Wissenschaft, berufen können.[13] Und dann müßten wir über den Widerspruch zwischen der chinesischen Geschichte einer »feminisierten Wissenschaft« und der ganz und gar nicht emanzipatorischen Geschichte der chinesischen Frauenfeindlichkeit nachdenken. Daraus ergibt sich das schwierige Problem, daß Geschlechterdichotomien als Metapher für andere Dichotomien (d.h. der Geschlechtersymbolismus) mit Erklärungen vermengt werden, die gesellschaftliche Verhältnisse zwischen den biologischen Geschlechtern als kausale Faktoren in der Geschichte behandeln - ein Punkt, mit dem ich mich später befassen werde. Darüber hinaus führt diese Gedankenlinie direkt auf das Mißtrauen, das der Feminismus männlichen Konzeptionen von Androgynität entgegenbringt, weil es hier zumeist um eine Form des Androgynen geht, die Männer für sich selbst begehren und von daher dazu neigen, sich bestimmte Bestandteile »des Weiblichen« für ihre Projekte selektiv anzueignen, während die wirklichen Frauen davon ganz unberührt bleiben. [14] Die bedeutsamsten Schritte in Richtung auf einen »vollständigeren Materialismus, eine wahrere Erkenntnis« entdeckt Rose in der seit jüngster Zeit von Frauen betriebenen Forschung auf den Gebieten von Biologie, Psychologie und Anthropologie. Das sind Bereiche, in denen »handwerkliche« Forschungsweisen noch möglich sind, im Gegensatz zu den »industriellen« Formen in den von Männern beherrschten Laboratorien. In allen diesen Bereichen hat das feministische Denken zu einem neuen Verständnis der Beziehungen zwischen Organismen einerseits und zwischen Organismen und ihrer Umwelt andererseits geführt. Der Organismus wird »nicht in der Ausdrucksweise der Darwinschen Metapher, als passives Objekt der Selektionsmechanismen einer gleichgültigen Umgebung, sondern als aktiver Teilnehmer, als Subjekt, das seine eigene Zukunft bestimmt«, begriffen (ebd., 51). (Die Arbeiten von Barbara McClintock sind, Keller zufolge, ein Paradigma einer solchen Alternative zur »Herrschaftstheorie« der an Darwin orientierten Biologie.[15])
Roses Vorschlag geht also dahin, die Gründe für eine spezifisch feministische Wissenschaft und Erkenntnistheorie in den gesellschaftlichen Praxisformen und Begriffsschemata der Feministinnen (oder Forscherinnen) zu suchen, die in handwerklich organisierten Forschungsbereichen tätig sind. Dort können die von Frauen gesellschaftlich hervorgebrachten Konzeptionen der Natur und der Sozialbeziehungen neue Verstehensweisen zutagefördern, die für die Gattung emanzipatorische Möglichkeiten mit sich bringen. Diese Konzeptionen müssen nicht unbedingt die ureigenste Erfindung der Wissenschaftlerinnen sein:
Hinweise darauf lassen sich in den »unterdrückten Wissensformen« der Wissenschaftsgeschichte finden. Doch können wir hier eine Beobachtung wagen, die Rose nicht macht: wenn diese Begrifflichkeiten nicht irgendeiner bestimmten gesellschaftlichpolitischen Erfahrung entspringen oder dieser Ausdruck verleihen, sind sie - wie die Atome der alten Griechen - dazu verdammt, bloße intellektuelle Denk- und Merkwürdigkeiten zu bleiben, die auf ihre »gesellschaftliche Geburt« innerhalb des Wissenschaftsbetriebes warten, bis sie einer Gruppe in die Hände gelegt werden, die solche Konzeptionen benötigt, um ihre Bestimmung innerhalb der Gesellschaftsordnung auf die Natur zu projizieren. Man kommt nicht daran vorbei, zu bemerken, daß die Auffassung von Organismen als aktiven Teilnehmern bei der Bestimmung ihrer eigenen Zukunft in der »Natur« genau das Verhältnis »entdeckt«, welches der feministischen Theorie zufolge bisher nur für Männer (der herrschenden Schicht) Gültigkeit besessen hat, jedoch für Frauen ebenso gültig sein sollte, da auch sie gesellschaftliche Wesen sind, die Geschichte machen. Männer haben innerhalb der für sie typischen Herrschaftsform ihre eigene Zukunft aktiv vorangetrieben; in einer entgeschlechtlichten Gesellschaftsordnung könnten auch die Frauen am Entwurf ihrer Zukunft aktiv beteiligt sein. Ob nun Rose dieser Schlußfolgerung zustimmen würde oder nicht sie geht davon aus, daß die Ursprünge einer als Nachfolgewissenschaft fungierenden feministischen Erkenntnistheorie in den Konzeptionen des Erkenntnissubjekts, des Erkenntnisprozesses und der zu erkennenden Welt zu finden sind, welche das Wesen einer von Frauen betriebenen Forschung ausmachen. Die substantiellen Behauptungen dieser Forschung sind in Hinsicht auf die unterschiedlichen Tätigkeiten und gesellschaftlichen Erfahrungen der Frauen zu begründen, die sich aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ergeben. Enthält diese Erkenntnistheorie nicht immer noch ein Zuviel an aufklärerischer Vision? Eine Frage, die ich nicht nur an diesen Entwurf einer standpunktorientierten Theorie richte.

Die unterdrückte Tätigkeit der Frauen:
sinnlich, konkret, beziehungsorientiert

Wie Rose, so verortet auch die politische Theoretikerin Nancy Hartsock die erkenntnistheoretischen Grundlagen für eine feministische Nachfolgewissenschaft in einer postmarxistischen Theorie der Arbeit (oder Tätigkeit) und ihren Auswirkungen auf das geistige Leben, und auch sie findet bei Sohn-Rethel wichtige Anhaltspunkte. Aber Hartsock beginnt mit der Metatheorie von Marx, mit seiner »Vorstellung, daß eine richtige Einschätzung der Klassengesellschaft nur von einer der beiden hauptsächlichen Klassenpositionen in der kapitalistischen Gesellschaft erfolgen kann«.[16] In der gelebten Wirklichkeit der Frauen finden wir das Fundament für eine Erkenntnistheorie, die sowohl die aufklärerische als auch die marxistische Epistemologie beerben kann. Für Hartsock wie für Rose liegt in der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung der Grund für die größere Angemessenheit feministischer Erkenntnisansprüche wie auch die Wurzel, aus der, in der Nachfolge der Aufklärung, eine ausgereifte Wissenschaft erwachsen kann. Diese feministische Nachfolgewissenschaft wird allerdings anticartesianisch sein, denn sie transzendiert die aus der Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit hervorgegangene Dichotomie von Denken und Handeln und steht somit zu ihr im Widerspruch. Allerdings setzt Hartsock hier andere Akzente als Rose.
Kennzeichnend für die Frauen ist ihre »sinnlich-menschliche Tätigkeit, Praxis«, die auf zweierlei Weise institutionalisiert ist: Frauen tragen zum Lebensunterhalt (zur »Subsistenz«) und zur Kindererziehung bei. Diese Tätigkeit umfaßt die für das Überleben der Gattung notwendige Produktion von Lebensmitteln, Kleidung und Unterkunft, bei der die Frauen

»zu Hause wie bei der Lohnarbeit ständig mit einer durch Veränderungen und Qualitäten geprägten Welt in Berührung kommen. In diese Welt der Gebrauchswerte, der konkreten, qualitativ mannigfaltigen und sich verändernden materiellen Prozesse, sind sie viel umfassender eingebunden als die Männer. Und wenn das Leben selbst aus sinnlicher Tätigkeit besteht, dann können die Frauen auf der Grundlage ihres Beitrags zum Lebensunterhalt einen Punkt erreichen, an dem die den Warenproduzenten im Kapitalismus mögliche materialistische Weltanschauung und Bewußtseinsstruktur, an dem mithin das Klassenbewußtsein sich vertieft und intensiviert.« (Hartsock 1983b, 292)

Wenn man jedoch die Bedingungen weiblicher Tätigkeit hinsichtlich der Kindererziehung untersucht, so werden gerade hier die Schwachpunkte der marxistischen Analyse überaus deutlich.

»Nicht nur tagtäglich, sondern auch auf lange Sicht sorgen Frauen für die Produktion und Reproduktion von Männern (und anderen Frauen). Dieser Aspekt verdeutlicht, wie unangemessen der Produktionsbegriff als Beschreibung für die Tätigkeit von Frauen ist. Ein menschliches Wesen hervorzubringen ist (notwendigerweise) etwas völlig anderes als die Produktion eines Gegenstandes. ... Einen anderen Menschen in seiner Entwicklung zu unterstützen, die Kontrolle nach und nach zu lockern, die Grenzen des eigenen Handelns zu erfahren«,

das alles sind grundlegende Charakteristika der ausschließlich Frauen zugeordneten Aufgabe der Kindererziehung und -betreuung.

»Die mit der Reproduktion vermachte Erfahrung der Frauen stellt eine Einheit mit der Natur dar, die über die proletarische Erfahrung des Austauschverhältnisses mit der Natur hinausgeht« (ebd., 293).

Des weiteren bezieht sich Hartsock auf die von Jane Flax und Nancy Chodorow entwickelte Theorie der Objektbeziehungen, um zu zeigen, daß Frauen - nicht von Geburt an, sondern durch die sozialen Verhältnisse bedingt - sich als konkrete und beziehungsorientierte Wesen definieren und erfahren.[17] Im Gegensatz dazu werden männliche Neugeborene zu Männern gemacht, die sich selbst als abstrakte, von anderen Menschen und der Natur isolierte Wesen definieren und erfahren. Die neugeborenen, noch nicht vergeschlechtlichten Jungen und Mädchen werden zu Persönlichkeiten geformt, die später dann spezifisch männliche und weibliche Tätigkeiten ausüben wollen. Die von den Theoretikerinnen der Objektbeziehungen beschriebenen Folgen entsprechen den Ergebnissen, die Hartsock in ihrer Untersuchung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu Tage fördert: beziehungsorientierte Weiblichkeit setzt sich ab gegen abstrakte Männlichkeit. Die »unter den Folgen abstrakter Männlichkeit leidenden Männer« konstruieren eine Erkenntnistheorie und eine Gesellschaft, in der die Betonung auf »Trennung und Gegensatz zwischen gesellschaftlichen und natürlichen Bereichen, zwischen abstrakt und konkret, zwischen Wandel und Kontinuität« liegt - es sind die gleichen Dichotomien, die in der marxistischen Analyse bürgerlicher Arbeitsverhältnisse zugrundegelegt werden. Von daher kann die wahre Gegenspielerin zu den bürgerlichen Unterwerfungs- und Mystifikationsformen nicht in einer auf proletarischer Erfahrung beruhenden Wissenschaft gefunden werden, da diese immer noch eine Spielart männlicher Erfahrung darstellt; sie muß vielmehr in einer auf weiblicher Erfahrung beruhenden Wissenschaft gesucht werden, weil nur hier jene Trennungen und Gegensätze keine Heimstatt finden (ebd., 294-98). Die Bedingungen, unter denen Frauen zum gesellschaftlichen Leben beitragen, müssen für alle Menschen Gültigkeit erlangen, wenn eine wirkungsvolle Opposition gegen die androzentrisch-bürgerliche Politik und Wissenschaftstheorie ins Leben gerufen werden soll. In politischer Hinsicht führt dies zu einer Gesellschaft, die nicht mehr durch männliche Dichotomien, seien sie nun bürgerlicher oder proletarischer Provenienz, strukturiert ist; in erkenntnistheoretischer Hinsicht führt es zu einer Wissenschaft, die den Kampf um diese Gesellschaft anleitet und sich zugleich von ihm anleiten läßt. Ein feministischer erkenntnistheoretischer Standpunkt ist eine interessengeleitete gesellschaftliche Ortsbestimmung (»interessengeleitet« im Sinne von »engagiert«, nicht »einseitig verzerrt«), die denjenigen, welche diesen Ort einnehmen, einen wissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen strategischen Vorteil verschafft. Die Unterjochung der sinnlichen, konkreten und beziehungsorientierten Tätigkeit der Frauen läßt sie solche Aspekte von Natur und Gesellschaft begreifen, die der auf spezifisch männlicher Tätigkeit basierenden Forschung unzugänglich sind. Die auf männliche Tätigkeitsformen sich gründende Weltsicht ist sowohl partiell als auch pervertiert; letzteres deswegen, weil sie die den Dingen zukommende Ordnung systematisch ins Gegenteil verkehrt, indem sie die abstrakte an die Stelle der konkreten Realität setzt. So wird ihr zum Beispiel die das Leben riskierende Tat zum Paradigma menschlichen Handelns, nicht aber die Reproduktion der Gattung. Selbst frühe Feministinnen wie Simone de Beauvoir denken in abstrakten Kategorien der Männlichkeit:

»Nicht indem er Leben schenkt, sondern indem er es riskiert, erhebt sich der Mensch/Mann über das Tier, von daher wird in der Menschheit nicht dem gebärenden, sondern dem tötenden Geschlecht Überlegenheit zuerkannt.«[18]

Darüber hinaus ist die männliche Weltsicht nicht einfach falsch, denn die herrschende Gruppe kann ihrem falschen Weltbild den Anschein von Wahrheit verleihen: »Die Macht der Männer, die gesellschaftlichen Verhältnisse nach ihrem Bild zu gestalten, bedeutet, daß auch Frauen sich in Verhältnisse einbinden müssen, die Ausdruck und Offenbarung abstrakter Männlichkeit sind« (ebd., 302). Die An/Ordnung gesetzlicher und gesellschaftlicher Beschränkungen, die der Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben entgegensteht, führt dazu, daß die für Frauen charakteristischen Tätigkeiten ihnen selbst und den Männern als bloß naturverhaftetes, dem Treiben weiblicher Termiten oder Affen unmittelbar vergleichbares Tun erscheinen (wie die Soziobiologie es gern hätte). Von daher werden diese Tätigkeiten zum geeigneten Objekt männlicher Manipulationen, die auf alles zielen, was ihnen als rein naturverhaftet erscheint. Die Beschränkung formeller wie informeller Ausbildungsmöglichkeiten läßt die Frauen als unfähig erscheinen, die Welt der Männer zu begreifen, so daß sie offensichtlich gezwungen werden müssen, sich mit dieser Welt auf der Grundlage männlicher Ausdrucksformen auseinanderzusetzen. Ein den Frauen angemessenes Weltbild muß »erkämpft werden, und stellt eine Errungenschaft dar, die zweierlei erforderlich macht: zum einen die Wissenschaft, die den für alle geltenden Zwangscharakter der gesellschaftlichen Verhältnisse enthüllt, zum anderen die Erziehung und Ausbildung, die nur aus dem Kampf um die Veränderung dieser Verhältnisse erwachsen können« (ebd., 285). Diesen Standpunkt einzunehmen heißt, sich moralisch und politisch verpflichten, die Welt aus der Perspektive der Unterdrückten zu begreifen. Es geht dabei nicht darum, das erkenntnistheoretische und politische Engagement von einem Geschlecht auf das andere zu übertragen, sondern es geht um die Überwindung des sozialen Geschlechts durch seine Transzendierung. Ein solches Engagement liegt auf der politisch-gesellschaftlichen und nicht nur auf der rein intellektuellen Ebene. Es gibt, so Hartsock, Formen der Arbeitsteilung, die tiefgreifender sind als die von Marx analysierten. Sie bringen männliche Vormachtstellungen in der Politik hervor und verbünden pervertierte Erkenntnisansprüche mit der Perversität der herrschenden Macht. Eine Wissenschaft, die aus der Überschreitung und Umgestaltung dieser Teilungen und der ihnen entsprechenden Dualismen entstünde, wäre eine machtvolle Kraft für die Beseitigung von Macht. In einem früheren Aufsatz ging Hartsock davon aus, daß der für die Geschichte der politischen Theorie so wichtige Begriff der Macht verschieden interpretiert werden kann. Gegen die Macht als Herrschaft über andere setzen feministische Denk- und Praxisformen die Möglichkeit von Macht als Energie, die anderen Menschen und dem eigenen Ich zuteil wird und die in Formen gegenseitiger Machtübertragung ihren Ausdruck findet.[19] Ich denke, daß dieser zweite Machtbegriff und die Art von Erkenntnis, die damit verbunden werden könnte, das offensichtliche Paradoxon von Hartsocks Berufung auf die Idee einer Nachfolgewissenschaft wie auch auf postmoderne Tendenzen zu beseitigen in der Lage ist. Man kann nur dann auf einer erkenntnistheoretisch orientierten Philosophie beharren, wenn die in der Erkenntnistheorie implizierte »Politisierung des Denkens« ein auf Gegenseitigkeit angelegtes Projekt ist - mit dem Ziel, jene herrschenden Mächte zu beseitigen, die die Politisierung des Denkens notwendig machen.[20] Das heißt, eine solche Erkenntnistheorie wäre in dem Maße ein Übergangsprojekt, in dem wir uns in eine der Herrschaft überdrüssige Kultur und damit in Menschen umwandeln, deren Denken der Politisierung nicht mehr bedarf. Hartsocks Begründungen für eine feministische Erkenntnistheorie sind zugleich weiter und enger gefaßt als die von Rose. Sie sind enger, weil Hartsock die Tendenzen zu einer spezifisch feministischen Erkenntnistheorie in der politischen Theorie (»Wissenschaft«) und dem Kampf der Feministinnen, und nicht einfach in den für Frauen charakteristischen Tätigkeiten lokalisiert. Die Denk- und Praxisformen der Frauen bleiben, sofern sie nicht durch den feministischen Kampf und die Analyse vermittelt werden, Bestandteil der von männlicher Vorherrschaft geprägten Welt.[21] Doch ihre Begründungen sind zugleich weiter, denn jede feministisch inspirierte Forschung, die von den Kategorien und Wertungen weiblicher Subsistenzproduktion und Hausarbeit ausgeht, und am Kampf für feministische Ziele interessiert (wiederum im Sinne von engagiert) ist, bereitet einer die Wissenschaft der Aufklärung beerbenden Erkenntnistheorie den Boden. Die von Frauen organisierte Gesundheitsbewegung und die alternativen Auffassungen vom Verhältnis zwischen Organismus und Umwelt, auf die Rose hinweist, wären (insoweit sie die Ziele der feministischen Emanzipation unterstützen) bedeutsame Beispiele für solche Forschungen. Doch gilt das für alle natur- oder sozialwissenschaftlichen Forschungsvorhaben, die die Tätigkeit der Frauen als gesellschaftlich determiniert betrachten, und die Natur und Gesellschaft im Hinblick auf politische Ziele des Feminismus zu erklären suchen. In Hartsocks Darstellung findet sich immer noch eine bedeutsame Lücke zwischen der feministischen Tätigkeit und einer Wissenschaft/Erkenntnistheorie, die stark und politisch mächtig genug ist, das aufklärerische Weltbild zu entthronen. Doch in den engeren wie auch den weiteren Gesichtspunkten versucht Hartsocks Darstellung Zentimeter für Zentimeter die Lücke zu schließen, indem sie die Grundlegung für die Nachfolgewissenschaft auf den ganzen Bereich der politischen und wissenschaftlichen Projekte des Feminismus ausdehnt und, zumindest implizit, auch Aktivitäten mit einbezieht, bei denen sich männliche wie weibliche Feministinnen engagieren.
Es gibt hinsichtlich der Grundlagen, auf die beide Theoretikerinnen die Nachfolgewissenschaft stellen wollen, noch einen wichtigen Unterschied. Anders als Hartsock hält Rose die »fürsorgende« Arbeit der Frauen für die entscheidende menschliche Tätigkeit, die von den marxistischen Analysen vernachlässigt wird. Für Hartsock liegt die Einzigartigkeit der weiblichen (im Unterschied zur proletarischen) Arbeit in ihrer grundsätzlicheren Opposition zum Dualismus des Geistigen und Körperlichen, der für das männlich-bürgerliche Denken und Handeln so kennzeichnend ist. Hartsock betrachtet die proletarische Arbeit (der Männer) als Übergangsform zwischen der männlich-bürgerlichen und der weiblichen Arbeit, weil diese auf viel grundlegendere Weise in die selbst-bewußten, sinnlichen Verarbeitungsprozesse unserer alltäglichen (natürlichen wie gesellschaftlichen) Umgebung eingelassen und von daher die spezifisch menschliche Tätigkeit ist. Für Rose unterscheidet sich die weibliche Arbeit kategorial von der männlichen Arbeit proletarischer wie bürgerlicher Provenienz.

Die »Wiederkehr des Verdrängten« in der feministischen Theorie

Die Psychotherapeutin und politische Theoretikerin Jane Flax beschreibt die beiden in der feministischen Erkenntnistheorie existierenden Tendenzen zur Nachfolgewissenschaft einer- und zum Postmodernismus andererseits explizit als einander widerstreitend. In dem späteren von zwei Aufsätzen, die ich untersuchen werde, tritt sie dafür ein, daß der Postmodernismus das Projekt einer Nachfolgewissenschaft ersetzen solle, doch werden in beiden Aufsätzen die zwei Tendenzen in einer Weise verbunden, die für sie offensichtlich keinen Widerspruch zu enthalten scheint. In einem 1980 geschriebenen (aber erst 1983 veröffentlichten) Aufsatz erhebt Flax die Forderung nach dem Projekt einer »Nachfolgewissenschaft«:

»Die Aufgabe einer feministischen Erkenntnistheorie liegt darin, die Art und Weise aufzudecken, in der das Patriarchat unseren Erkenntnisbegriff wie auch den konkreten Gehalt von Erkenntnismaterialien zersetzt und selbst das noch als eine emanzipatorische Tat behauptet hat. Ohne adäquate Erkenntnis der Welt und unserer Geschichte in der Welt (und dies schließt die Erkenntnis des Erkennens ein) können wir keine angemessenere gesellschaftliche Praxis entwickeln. Dergestalt ist eine feministische Erkenntnistheorie sowohl ein Aspekt feministischer Theorie als auch die Vorbereitung und das hauptsächliche Element einer angemesseneren Theorie der Politik und der menschlichen Natur.« (Flax 1983, 269)[22]

Und an anderer Stelle heißt es:

»Auf diese Weise repräsentiert die feministische Philosophie die Wiederkehr des Verdrängten, die Entblößung der je besonderen gesellschaftlichen Wurzeln aller augenscheinlich abstrakten und universellen Erkenntnis. Diese Arbeit könnte einer angemesseneren Gesellschaftstheorie den Boden bereiten, in der Philosophie und empirische Erkenntnis erneut vereint sind und sich gegenseitig bereichern.« (Ebd., 249)

Die feministische Philosophie, meint Flax, solle die Frage stellen: »Wie sind die gesellschaftlichen Verhältnisse beschaffen, so daß bestimmte Fragen und bestimmte Antworten darauf für die Philosophie konstitutiv werden?« (ebd., 249). In diesem Zusammenhang wird eine feministische Lesweise der Theorie der Objektbeziehungen (vgl. Kapitel 6) ein nützliches philosophisches Werkzeug; es lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die geschlechtsspezifischen Wahrnehmungen des Ich, der Anderen, der Natur und der Beziehungen zwischen diesen drei Komponenten, die für Kulturen kennzeichnend sind, in denen hauptsächlich den Frauen die Verantwortung für die Kindererziehung obliegt. Flax interessiert sich insbesondere für den engen Zusammenhang zwischen den männlichen Wahrnehmungen des Ich, der Anderen und der Natur und der Definition philosophischer Problematiken. Aus dieser Perspektive »sind augenscheinlich unlösbare Dilemmata in der Philosophie nicht das Produkt immanenter Strukturen des menschlichen Geistes und/oder der Natur, sondern Reflexionsformen verzerrter oder erstarrter gesellschaftlicher Verhältnisse« (ebd., 248). Anders als bei den Frauen bleibt die Ich-Struktur der Männer einem abwehrbereiten infantilen Bedürfnis verhaftet, andere zu beherrschen und/ oder zu unterdrücken, um die eigene Identität zu bewahren. In Kulturen, wo die Betreuung und Erziehung der Kleinkinder ausschließlich den Frauen zugewiesen wird, werden Jungen hinsichtlich der Trennung des frühkindlichen Ichs von seinem ersten »Anderen« und der Entwicklung individueller Identität sich in unlösbare Widersprüche verstricken, die genau jenen entsprechen, welche in den Werken westlicher Philosophen als »Widerspruch des Menschen selbst« erneut auftauchen. Die westliche Philosophie problematisiert die Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Körper, Innen und Außen, Vernunft und Verstand; doch bestünde zu dieser Problematisierung keine Notwendigkeit, wenn das Ich in seinem Kern nicht ausschließlich gegen Frauen definitorisch abgegrenzt würde.

»In der Philosophie ist das Sein (Ontologie) vom Erkennen (Erkenntnistheorie), und sind beide Bereiche wiederum von der Ethik oder der Politik geschieden worden. Kant hat diese Teilungen abgesegnet und in ein von der Struktur des Geistes selbst abgeleitetes Fundamentalprinzip verwandelt. Eine Folge dieses Prinzips bestand in der starren Trennung von Tatsachen und Werten, die in den Hauptströmungen der angloamerikanischen Philosophie tiefe Spuren hinterlassen hat. Im Endeffekt war die Philosophie dazu verurteilt, die Themen, die für das menschliche Leben von größter Bedeutung sind, mit Schweigen zu übergehen.« (Ebd.)

Würde sich die männlich frühkindliche Abgrenzungs- und Individuationsproblematik nicht ausschließlich gegen Frauen richten, dann wäre die »menschliche Erkenntnis« in einem wesentlich geringeren Maße mit den Widersprüchen der frühkindlichen Trennung und Individuation beschäftigt. »Die Analyse enthüllt, daß sich hinter den meisten Formen von Erkenntnis und Vernunft eine Entwicklungshemmung verbirgt. Wenn der >Andere< beherrscht und/oder unterdrückt werden muß, statt - bei gleichzeitiger Anerkennung der Differenz - in das je eigene Ich integriert zu werden, dann können Trennungs- und Individuationsprozesse (der frühkindlichen Phase) nicht abgeschlossen und wahrhaft gegenseitige Beziehungen nicht entwickelt werden« (ebd., 269).
Nur wenn der oder die erste »Andere« nicht beherrscht und/Oder unterdrückt, sondern »in das je eigene Ich integriert« wird, kann die menschliche Erkenntnis die eher dem Erwachsenenstadium zugehörenden Probleme der Maximierung gegenseitiger Beziehungen und der Anerkennung von Differenzen reflektieren. Flax will nicht darauf hinaus, daß die Großen Männer der Philosophiegeschichte ihre Zeit besser auf den Couchen von Psychoanalytikern zugebracht hätten (wären sie denn verfügbar gewesen), statt sich mit Philosophie zu beschäftigen. Ebensowenig ist die Philosophie nur die männliche Rationalisierung schmerzhafter frühkindlicher Erfahrungen. Vielmehr, so sagt sie, enthüllt eine feministische Untersuchung der »normalen« Beziehungen zwischen frühkindlichen Prozessen der Vergeschlechtlichung und Denkmustern männlicher Erwachsener, daß »die (männliche) Philosophie in ihrer Fähigkeit, die Erfahrungen von Frauen und Kindern zu verstehen, grundsätzlich eingeschränkt ist«; insbesondere enthüllt sie die Neigung der Philosophen, ihre eigenen Erfahrungen nicht als typisch männliche, sondern als allgemeinmenschliche Paradigmata zu begreifen (ebd., 247). Wenn wir die von den erwachsenen Männern unterdrückten frühkindlichen Widersprüche aufdecken, deren »Lösungen« in ihrer abstrakten und universalisierenden Form den kollektiven Beweggrund wie auch den Themenbereich der patriarchalen Erkenntnistheorie bilden, dann haben wir die ersten Schritte in Richtung auf eine feministische Erkenntnistheorie getan. Alles Denken in patriarchalischen Kategorien bringt die weiblichen Erfahrungsdimensionen tendenziell zum Verschwinden. Doch kann die Erfahrung der Frauen nicht in sich selbst eine hinreichende Bedingung für Theoriebildung sein, denn »sie muß, als der andere Pol der dualistischen Aufspaltungen, integriert und transzendiert werden«. Von daher erfordert eine angemessene feministische Philosophie »eine revolutionäre Theorie und Praxis. ... Es geht um nicht weniger als eine neue Stufe in der menschlichen Entwicklung, auf der zum ersten Mal überhaupt die Gegenseitigkeit sich als Grundlage gesellschaftlicher Verhältnisse herausbilden kann« (ebd., 270). In diesem früheren Aufsatz geht Flax davon aus, daß frühkindliche Widersprüche für Frauen weniger problematisch und leichter auflösbar sind als für Männer. Diese schmale Lücke zwischen den Geschlechtern ist die Vorform einer sehr viel breiteren Kluft, die sich zwischen patriarchalen und nicht-patriarchalen Formen der Kindererziehung auftut. Die auf Abwehr und Abgrenzung ausgerichteten vergeschlechtlichten Ich-Identitäten könnten durch wechselseitig ausgerichtete, entgeschlechtlichte Identitäten ersetzt werden, wenn Männer wie Frauen gleichermaßen für die frühkindliche Erziehung und für das öffentliche Leben verantwortlich wären. Für solche Identitäten würden die Formen und Prozesse des Erkennens und des Erkannten anders sich darstellen als für abgrenzungsorientierte Identitäten. Die wahre menschliche Erkenntnis, zu der eine feministische Erkenntnistheorie den Weg weist, wird weniger verzerrt und wirklichkeitsnäher sein als die jetzt und realiter existierenden Erkenntnisformen. Und da die Begriffe eines reziproken oder wechselseitigen Erkennens beziehungs- und kontextorientiert sein müssen, und von daher die Dualismen der aufklärerischen Erkenntnistheorie hinter sich lassen können, führt uns der Feminismus in der Tat einer echten Nachfolgewissenschaft entgegen.[23]
In einem vier Jahre später geschriebenen Aufsatz entwickelt Flax gänzlich andere Vorstellungen. Ging sie (wie oben beschrieben) zunächst davon aus, daß Praxisformen der Kindererziehung ihre Spuren bei kulturell so unterschiedlichen Philosophen wie Plato, Locke, Hobbes, Kant, Rousseau und zeitgenössischen angelsächsischen Denkern hinterlassen hätten, so stellt sie nun die skeptische Frage, ob das Patriarchat sich der Denkformen nur auf eine einzige Weise bemächtigt habe. Gleichermaßen findet sie die Vorstellung, daß es »einen feministischen Standpunkt« gebe, der »wahrer sei als die vorhergegangenen (männlichen)«, problematisch. »Jeder feministische Standpunkt«, so sagt sie jetzt, »ist notwendigerweise partiell und parteilich. Jede, die vom Standpunkt der Frauen aus zu denken versucht, mag einige Aspekte der gesellschaftlichen Totalität erhellen, die zuvor durch die herrschende Sichtweise unterdrückt worden sind. Doch keine von uns kann für >die Frau< sprechen, weil es keine solche Person gibt, außer in einer spezifischen Formation von (bereits vergeschlechtlichten) Beziehungen - zum >Mann< und zu vielen konkreten und unterschiedlichen Frauen.«
Genau hier schlägt sich für Flax die Affinität feministischer Theorie zur postmodernen Philosophie in besonderer Weise nieder:

»Die feministische Theorie ist eine Spielart der postmodernen Philosophie und teilt als solche mit ähnlichen Denkweisen die Ungewißheit darüber, wie die Erklärung und/oder Interpretation der menschlichen Erfahrung mit geeigneten Grundlagen und Methoden versehen werden kann. Zeitgenössische Feministinnen schließen sich postmodernen Philosophinnen und Philosophen in bezug auf wichtige metatheoretische Fragen an, die sich um das Wesen und den Status von Theoriebildung selbst drehen. ... Es fehlen allgemeingültige Regeln der Kategorisierung, Beurteilung und Geltung.«[24]

Diese Affinität zur Postmoderne, sagt Flax, ist grundsätzlicherer Natur als die feministischen Versuche, eine Nachfolgewissenschaft zu entwickeln: »Ungeachtet einer verständlichen Neigung für die (scheinbar) logische, geordnete Welt der Aufklärung, gehört die feministische Theorie eher zum Bereich der postmodernen Philosophie.« Dennoch argumentiert dieser zweite Aufsatz in seinem Kern für eine besondere Auffassung des sozialen Geschlechts, die, Flax zufolge, die unangemessenen und verwirrenden Begriffsbildungen sowohl der traditionellen als auch der feministischen Gesellschaftstheorie ersetzen soll. Das soziale Geschlecht sollte als beziehungsorientiert verstanden werden; Geschlechterbeziehungen und -verhältnisse sind nicht durch die Natur determiniert, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse, und feministische Theoretikerinnen »müssen die Geschichte(n) der Frauen und unserer Tätigkeiten für und in die Darstellungen und das Selbstverständnis des Ganzen« der gesellschaftlichen Verhältnisse »wiedergewinnen und einschreiben«.
Einerseits hat Flax im Endeffekt die feministischen Tendenzen zu einer Nachfolgewissenschaft als Bestandteil von Entwürfen einer bei Männern so offensichtlichen abgrenzungsorientierten Ichidentität ausgewiesen. Für sie ist die postmoderne skeptische Betrachtungsweise der aufklärerischen Dualismen, die die erkenntnistheoretische »Politisierung des Denkens« garantieren, der Stoßkeil, der in die Entwürfe einer beziehungsorientierten Ichidentität führt. Die Überwindung der (spezifisch männlichen) Dualismen der Aufklärung wird für unsere Kultur als ganze erst nach einer »Revolution in der menschlichen Entwicklung« möglich sein. Doch unterstellt nicht, andererseits, Flax' eigene Darstellung der für die männlich beherrschten Gesellschaften typischen verzerrten und verfestigten Verhältnisse, daß es eine »objektive Grundlage für die Unterscheidung zwischen wahren und falschen Annahmen« gibt? Und läßt sich nicht vermuten, daß sie selbst dieser Art von Erkenntnistheorie verpflichtet ist? Und auch wenn alle für Feministinnen möglichen geschichtsbedingten Verstehensweisen (respektive »feministischen Standpunkte«) partiell und parteilich wären, könnten sie nicht dennoch »wahrer (sein) als die vorangegangenen (männlichen)«?

Das zwiespältige Bewußtsein entfremdeter Forscherinnen

Die kanadische Wissenssoziologin Dorothy Smith hat in einer Reihe von Veröffentlichungen erforscht, was es bedeuten würde, eine Soziologie zu konstruieren, die vom »Standpunkt der Frauen« ausgeht. Obwohl sie sich auf die Soziologie beschränkt, sind ihre Argumente für die Forschung in den Sozial- und Naturwissenschaften insgesamt verallgemeinerbar. In ihrem jüngsten Aufsatz setzt sie sich direkt mit dem Problem auseinander, wie der Entwurf einer Nachfolgewissenschaft aussehen müßte, welche die zerstörerischen Dualismen (Subjekt/Objekt, Innen/Außen, Vernunft/Emotion) der aufklärerischen Wissenschaft transzendieren könnte. »Ich beschäftige mich hier mit dem Problem von Denkmethoden, die das Projekt einer Soziologie für Frauen verwirklichen werden. Es handelt sich dabei um eine Soziologie, welche die von ihr untersuchten Personen nicht in Objekte verwandelt, sondern in ihren analytischen Vorgehensweisen die Präsenz des Subjekts als eines Handelnden und Erfahrenden bewahrt. Demzufolge ist das Subjekt jene Erkennende, deren Weltbegreifen durch die Arbeit der Soziologin erweitert werden kann.«[25] Smith ist der Ansicht, daß die von Forscherinnen erfahrenen Formen der Entfremdung für die gleichzeitige und nicht-widersprüchliche Entwicklung dessen, was ich als Nachfolgewissenschaft und postmoderne Projekte bezeichnet habe, geeignet sind. Wie die der anderen Theoretikerinnen steht auch Dorothy Smiths Erkenntnistheorie in der Nachfolge der marxistischen Theorie der Arbeit. (Es ist vielleicht nicht ganz korrekt, Flax ebenfalls in diesen Zusammenhang einzuordnen, es sei denn in Hinsicht auf ihre Diskussion des frühkindlichen Entwicklungsprozesses als erster menschlicher Arbeit, die natürlich gemäß dem Geschlecht des »arbeitenden« Kleinkindes geteilt ist.) Smith fragt weder nach dem Ursprung und der Entwicklung der Geschlechter, noch nach der Entstehung der abgrenzungsorientierten Abstraktionen westlicher Gesellschaftstheorie, Wissenschaft und Erkenntnistheorie aus den frühkindlichen Erfahrungen der Männer, und von daher auch nicht nach den Gründen, aus denen Frauen und Männer an spezifisch weiblichen und männlichen Aktivitäten sich beteiligen wollen. Das heißt, sie diskutiert nicht das Problem, auf welche Weise als ursprünglich androgyn geborene »Animalwesen« unserer Gattung mit ihrer gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt interagieren, um dann zu den vergeschlechtlichten Menschen zu werden, die wir in unserer Umgebung wahrnehmen. Wie Rose wendet sie sich den strukturellen Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen (Soziologinnen) zu, um dort eine umfassendere Vorstellung von den materiellen Bedingungen zu gewinnen, die eine spezifisch feministische Wissenschaft ermöglichen.
Während Rose die für die weibliche Tätigkeit bezeichnende Einheit von Hand, Herz und Kopf betont, betrachtet Smith drei andere Gesichtspunkte, die der Arbeit von Frauen gemeinsam sind. Zunächst sind die Männer dadurch der Notwendigkeit enthoben, sich um ihre körperlichen Belange oder um ihre lokalen Existenzbedingungen kümmern zu müssen; sie können, vom alltäglichen Kleinkram befreit, sich in die Welt der abstrakten Begrifflichkeiten versenken. Zweitens »verknüpft« und formt die Arbeit der Frauen dadurch die Begriffe der Männer zu solchen, die administrative Formen des Herrschens ausdrücken. Je besser die Frauen diese konkrete Arbeit (Hartsocks »Welt der Sinnlichkeit, der Qualitäten, der Veränderung«) ausführen, desto unsichtbarer wird sie für die Männer. Und diese, befreit von den Notwendigkeiten des alltäglichen Lebens, können nunmehr nur noch das für wirklich halten, was ihrer abstrakten geistigen Welt entspricht. Wie Hegels Herr, dem die Arbeit des Knechts nur als Verlängerung seines eigenen Seins und Wollens erscheint, sehen Männer die Arbeit der Frauen nicht als reale Tätigkeit an, die selbst gewählt und gewollt ist, sondern sie erscheint ihnen als ein »natürliches« Tun, als instinktgebundenes oder emotionales Werk der Liebe. Auf diese Weise werden die Frauen von der männlichen Kulturauffassung und ihren Kategorien »des Gesellschaftlichen«, »des Historischen« und »des Menschlichen« ausgeschlossen. Schließlich kann die tatsächliche Erfahrung, die Frauen mit und in ihrer Arbeit machen, innerhalb der verzerrten Abstraktionen der männlichen Begriffsschemata weder verstanden noch ausgedrückt werden. Frauen sind ihrer eigenen Erfahrung entfremdet, denn die männlichen Begriffsschemata sind zugleich die herrschenden, mittels derer die weibliche Erfahrung für Frauen definiert und kategorisiert wird. (Darauf zielt auch Hartsock, wenn sie von den Ideologien spricht, die das gesellschaftliche Leben für jeden und jede strukturieren.) Die Bildung für Frauen, um welche die Feministinnen des neunzehnten Jahrhunderts gerungen haben, hat, Smith zufolge, die »Besetzung des weiblichen Bewußtseins« durch männliche Experten der herrschenden Klasse zur Vollendung geführt.[26]
Diese Charakterzüge weiblicher Tätigkeiten sind eine Ressource, auf die eine spezifisch feministische Wissenschaft zurückgreifen kann. Für viele Frauen entwickelt sich zwischen dem, wie wir unsere Tätigkeit erfahren und den uns zur Verfügung stehenden Kategorien, mit denen wir dieser Erfahrung Ausdruck verleihen können, eine »Verwerfungslinie«: wir haben nur die Kategorien der Herrschaft und der Wissenschaft. Für Forscherinnen verschärft dieser Bruch sich noch. Wir sind zuallererst Frauen, und selbst wenn wir allein, ohne Kinder oder mit Bediensteten leben, kümmern wir uns um unsere physischen Belange und unsere lokalen Existenzbedingungen, und normalerweise auch um die der Kinder und Männer. Doch wenn wir die Welt der Wissenschaft betreten, werden wir dazu ausgebildet, soziale Erfahrungen in Kategorien zu beschreiben und zu erklären, die das Wesen dieser Erfahrungen nicht zu erfassen vermögen. Smith zitiert das Beispiel von Untersuchungen zur Zeiteinteilung, in denen Hausarbeit zur Arbeit wie auch zur Freizeit gerechnet wird. Diese duale Struktur basiert auf der männlichen Erfahrung, die Lohnarbeit für andere von selbstverantwortlicher Tätigkeit abgrenzt. Doch für verheiratete Frauen und Mütter ist die Hausarbeit weder das eine noch das andere. Eine Darstellung der Hausarbeit vom »Standpunkt der Frauen« aus - unsere Erfahrung unserer Lebensweisen - würde sich von einer auf Begriffen der männlichen Wissenschaft basierenden Darstellung sehr unterscheiden: die Stimme des Subjekts der Forschung und die Stimme der Forscherin würden kulturell erkennbar werden.[27] Es wäre das Beispiel einer Wissenschaft für und nicht über Frauen; und diese Wissenschaft würde versuchen, anstelle von Verhaltensformen (menschliche »Materie in Bewegung«) gesellschaftliche Verhältnisse zu erklären oder zu interpretieren, und dies auf eine Weise, welche den Frauen die gesellschaftlichen Verhältnisse verständlich macht, innerhalb derer ihre Erfahrung sich vollzieht. Smith verschmilzt hier interpretatorische, explanatorische und kritisch-theoretische Tendenzen in der Philosophie der Sozialwissenschaften miteinander, die vorher unvereinbar gewesen sind. In keinem dieser Diskurse ist die »autoritative Darstellung« allein Sache der forschenden (d.h. in der Forschung aktiv handelnden) Personen. Da Smith die Autorität der Forscherin mit der Autorität der Forschungssubjekte auf eine erkenntnistheoretische Stufe stellt - die Forscherin, die die Lebensbedingungen der Frauen interpretiert, erklärt, kritisch untersucht, erklärt zugleich ihre eigenen Lebensbedingungen - wird die Problematik des Gegensatzes von Absolutismus und Relativismus obsolet. Diese beiden Positionen gehen nämlich von einer Trennung zwischen der forschenden Person und dem Forschungssubjekt aus, die nicht existiert, wenn beide einen gleichermaßen untergeordneten Platz in der Gesellschaft einnehmen.[28] Smith geht, wie ich denke, davon aus, daß diese Art von Wissenschaft nicht deshalb »objektiv« wäre, weil sie sich der Kategorien einer »archimedischen«, leidenschaftslosen, abgespaltenen »dritten Version« bedienen würde, die zwischen den einander widerstreitenden perspektivischen Wahrnehmungen gesellschaftlicher Verhältnisse vermittelte, sondern weil sie sich der umfassenderen und verzerrungsfreieren Kategorien bedienen würde, die vom Standpunkt historisch lokalisierbarer und gesellschaftlich untergeordneter Erfahrungen aus verfügbar sind.[29] Es ist jedoch schwierig, ihre expliziten Annahmen d~trüber, wie die Welt der Frauen zu interpretieren oder zu erklären sei, in Richtung auf eine feministische Wissenschaft zu verallgemeinern, deren Ziel darin besteht, die ganze Welt zu erklären. Sie mahnt die Leserschaft oft, daß die Erfahrung der Forschungssubjekte (der Frauen, deren Leben die Forscherin erklärt) als endgültige Autorität aufzufassen sei. Doch viele feministische Forscherinnen gehen davon aus, daß die Erfahrung der Männer wie der Frauen innerhalb der existierenden Erkenntnisstrukturen unangemessen interpretiert, erklärt oder kritisiert wird: man denke an die neuere Literatur zur Kriegsmentalität der Männer, an die kritische Neuinterpretation der männlichen Erfahrung von Vergeschlechtlichung in der Theorie der Objektbeziehungen, an Smiths eigenes Überdenken der Erfahrungen, die Männer als Soziologen machen. Dennoch billigt sie den Erfahrungen von Männern der herrschenden Klasse nicht die Art von Autorität zu, auf der sie hinsichtlich der Erfahrung von Frauen besteht. In allen vier Aufsätzen zeigt ihre Argumentation, warum wir die untergeordnete Erfahrung der Frauen als forschungsbezogene Start- und Zielpunkte nehmen sollten, die in erkenntnistheoretischer Hinsicht der männlichen Erfahrung vorzuziehen sind. (Smiths Argumentation ähnelt der von Hartsock, die den Kategorien weiblicher Tätigkeiten den erkenntnistheoretischen Vorzug gibt und läßt sich auch auf Flax beziehen, die den Feminismus als Enthüllung der von Männern unterdrückten Perspektiven begreift. Alle drei kehren zu Hegels Dialektik von Herr und Knecht zurück, um ihren Standpunkt zu erläutern.)
Wenn ich Smith auf diese Weise interpretiere, bleiben ein paar ungelöste Probleme in ihrer Darstellung zurück, aber es wird klar, daß sie den Frauen sowohl als Forschungssubjekten wie auch als Forscherinnen eine ursprüngliche wissenschaftliche Autorität verleihen möchte. Ihrer Meinung nach sollte der Feminismus nicht der Objektivität oder der erkenntnistheoretisch motivierten Politisierung des Denkens per se mißtrauen, sondern deren verzerrten und unwirksamen Formen, die in der Wissenschaft der Aufklärung verwurzelt sind. Wie Flax, so betont auch Smith, daß es viele verschiedene feministische Versionen der »Realität« geben wird, weil die Frauen in vielen verschiedenen Realitäten leben, doch sollte von allen angenommen werden, daß sie umfassendere, verzerrungsärmere und weniger pervertierte Verstehensweisen hervorbringen, als es eine Wissenschaft vermag, die mit den Männern der herrschenden Klasse und ihren Tätigkeiten verbündet ist.

Neue Personen und die verborgene Hand der Geschichte

Ein letzter Punkt betrifft die geschichtlichen Veränderungen, die eine feministische Theorie und folglich eine feministische Wissenschaft und Erkenntnistheorie ermöglichen, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe.[30] Auch hier können wir von der marxistischen Analyse lernen. »So wenig«, sagt Engels, »wie alle ihre Vorgänger konnten die großen Denker des 18. Jahrhunderts hinaus über die Schranken, die ihnen ihre eigne Epoche gesetzt hatte.«[31] Erst indem in den Industriegesellschaften des neunzehnten Jahrhunderts ein »Konflikt zwischen Produktivkräften und Produktionsweise« entstand - ein Konflikt, der »objektiv, außer uns, unabhängig vom Wollen oder Laufen selbst derjenigen Menschen, die ihn herbeigeführt« existiert - konnte die Klassenstruktur der vorhergegangenen Gesellschaften zum ersten Mal in ihrem vollen Umfang entdeckt werden.

»Der moderne Sozialismus ist weiter nichts als der Gedankenreflex dieses tatsächlichen Konflikts, seine ideelle Rückspiegelung in den Köpfen zunächst der Klasse, die direkt unter ihm leidet, der Arbeiterklasse.«[32]

Ähnlich können wir erst jetzt die feministischen Anschauungen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts als nur »utopische« Momente begreifen.[33] Die Feministinnen beiderlei Geschlechts konnten in den damaligen kulturellen Zusammenhängen das Elend der weiblichen Lebensbedingungen und seine Überflüssigkeit erkennen, doch zeigen sowohl ihre Ursachendiagnosen wie auch ihre Rezepte für die Emanzipation der Frauen, daß die vielschichtigen und nicht immer offensichtlichen Mechanismen der Entstehung und Aufrechterhaltung männlicher Herrschaft nicht begriffen wurden. Weder der liberale noch der marxistische Feminismus, ja vielleicht nicht einmal die doktrinäreren Strömungen der radikalen und sozialistischen Feminismusversionen der mittsiebziger Jahre verfügen über kategoriale Schemata, die umfassend oder flexibel genug sind, um die historische und kulturelle Anpassungsfähigkeit männlicher Herrschaft oder ihr chamäleonartiges Talent, in anderen kulturellen Hierarchien rassistischer oder klassenspezifischer Provenienz zu gedeihen, erfassen zu können.[34] Komplexere (wiewohl nicht unproblematische) Analysen, die ein Gespür für kulturelle Zusammenhänge besaßen, mußten das Entstehen historischer Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen abwarten. Diese Veränderungen haben einen tiefgreifenden Widerstreit hervorgebracht. Auf der einen Seite werden durch die Spezifik der Kultur bevorzugt Personen hervorgebracht, die durch Rasse, Klasse und soziales Geschlecht gesellschaftlich determiniert sind, auf der anderen Seite stehen die Denk- und Handlungsformen einer zunehmend größer werdenden Anzahl von Frauen (inklusive einiger Männer), die nicht länger ein verstümmeltes Leben führen, einer gefährlichen und unterdrückerischen Politik ausgesetzt sein wollen, welche durch die archaischen Formen der Reproduktion noch verstärkt wird.
Wenn wir auch diesen historischen Moment nicht in einer genauen Analogie zum »Konflikt zwischen Produktivkräften und Produktionsweise« beschreiben können (und warum sollten wir das überhaupt?), so sind wir doch in der Lage, viele Aspekte der besonderen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Verschiebungen, die diesen Moment hervorgebracht haben, deutlich zu erkennen. Da war einmal die Entwicklung und umfassende Verbreitung billiger und wirksamer Mittel zur Geburtenkontrolle, die der kapitalistischen und imperialistischen Bevölkerungspolitik in der Dritten Welt und in den eigenen Ländern diente. Da gab es zum zweiten den Niedergang des industriellen Sektors bei gleichzeitigem Wachstum der Dienstleistungsbereiche, wodurch Frauen in die Lohnarbeit einbezogen wurden und das Industrieproletariat seine Vorrangstellung verlor. Da gab es zum dritten die emanzipatorischen Hoffnungen, die in den Vereinigten Staaten und Europa durch die Bürgerrechtsbewegung und den politischen Radikalismus der sechziger Jahre entfacht worden waren. Da schnellte viertens die Scheidungsrate in die Höhe und die Zahl der Familien, in denen Frauen das Oberhaupt bildeten, wuchs - was zum Teil seine Ursache darin hatte, daß der Kapitalismus die Männer dem Familienleben entfremdete und sie zu einer »swinging singles«-Lebensweise verführte, die den Güterkonsum anheizte; zum Teil lag es auch an der wachsenden (wiewohl immer noch sehr beschränkten) Fähigkeit der Frauen, auch ohne Ehe ökonomisch überleben zu können, und zum Teil zweifelsohne an der Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln, die das, was in den guten alten Zeiten »Liebelei« genannt wurde, weniger kostenintensiv machte. Da wurde fünftens die »Feminisierung« der Armut in zunehmendem Maße erkannt (und möglicherweise auch die reale Zunahme der Armut von Frauen), die sich mit der wachsenden Scheidungsrate und der Einbeziehung von Frauen in die Lohnarbeit verband, so daß die Lebensaussichten der Frauen sich im Vergleich mit denen ihrer Mütter und Großmütter gänzlich anders gestalteten: nunmehr konnten - und sollten - Frauen jeder Gesellschaftsklasse Pläne für ein Leben nach oder anstelle der Ehe entwerfen. Da gab es sechstens die Eskalation internationaler Konflikte, die eindeutig zeigten, wie sehr das psychische Herrschaftsbedürfnis der Männer sich mit der Rhetorik und Politik nationalistischer Herrschaftsansprüche im Einklang befand. Zweifellos könnte diese Liste der Vorbedingungen für das Entstehen des Feminismus und seiner Vorstellungen von einer Nachfolgewissenschaft und einer feministischen Erkenntnistheorie noch um einige signifikante Punkte erweitert werden.
Dergestalt ist, um Engels zu paraphrasieren, die feministische Theorie nichts als der Gedankenreflex dieses tatsächlichen Konflikts, seine ideelle Rückspiegelung in den Köpfen zunächst der Klasse, die direkt unter ihm leidet - der Frauen.[35] Entwürfe zu einer feministischen Wissenschaft und Erkenntnistheorie sind nicht ausschließlich die Produkte von Beobachtung, Willenskraft und intellektueller Brillanz - jener Fähigkeiten also, welche die Wissenschaft und die Erkenntnistheorie der Aufklärung als Ursachen des Erkenntnisfortschritts betrachtete. Sie sind der Ausdruck von Denkweisen, in denen eine neue Art von historischen Personen, die aus diesen gesellschaftlichen Veränderungen erwachsen sind, Natur und Gesellschaft begreifen können.[36] Eine wichtige Gruppe wird dabei von Personen gebildet, deren Tätigkeiten immer noch spezifisch »fraulich« sind, und die doch zugleich sich Projekten des öffentlichen Lebens zuwenden, die traditionellerweise als männlich galten. Diese »Verletzung« einer (zumindest was unsere jüngste Vergangenheit betrifft) überkommenen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung vermittelt nicht nur einen erkenntnistheoretisch fortgeschrittenen Standpunkt für das Projekt einer Nachfolgewissenschaft, sondern leistet auch Widerstand dagegen, daß die verzerrenden Dualismen der Moderne sich fortsetzen können. Warum sollten wir uns dagegen sträuben, den in der feministischen Wissenschaft und Erkenntnistheorie erreichten Verstehensweisen ein gewisses Maß von wenn auch nicht historischer Unvermeidbarkeit, so doch wenigstens geschichtlicher Möglichkeit zuzuschreiben? Ich bin immer noch der Ansicht, daß eine historische Darstellung eine wichtige Komponente feministischer Standpunkttheorien ist: mit ihrer Hilfe können die Verschiebungen in den gesellschaftlichen Strukturen nachgewiesen werden, die neue Verstehensweisen ermöglichen. Eine Standpunkttheorie, die diese (mit Kuhn zu sprechen) »Rolle der Geschichte in der Wissenschaft« nicht erkennt und anerkennt, läßt die Vorbedingungen ihrer eigenen Entstehung im Dunkeln. Allerdings denke ich mittlerweile, daß jene Art der Darstellung, die ich weiter oben beschrieben habe, noch viel zu viel von ihrem marxistischen Erbe, und damit auch von den aufklärerischen Bestandteilen des Marxismus, bewahrt. Jene geschichtlichen Veränderungen, aus denen die postmoderne Herausforderung des Feminismus an die Aufklärung wie auch an den Marxismus erwächst, bleiben von ihr unbegriffen. Eine umfassendere Diskussion dieses Gesichtspunkts verschieben wir auf das nächste Kapitel. Wir sahen im zweiten Kapitel, daß der feministische Empirismus sexistische und androzentrische Strukturen als gesellschaftliche Verzerrungen, als Vorurteile ansieht, die auf falschen Annahmen (verursacht durch Aberglauben, tradierte Gewohnheiten, Unwissen, falsche Erziehung) und feindseligen Einstellungen beruhen. Diese Vorurteile gehen gerade auf der Ebene der Auswahl und Definition wissenschaftlicher Probleme in die Forschung ein, lassen sich aber auch in der Forschungsplanung und im Sammeln und Interpretieren von Beweismaterial entdecken. Folgt man der Strategie des feministischen Empirismus, so können solche Verzerrungen durch die strengere Anwendung der existierenden Normen wissenschaftlicher Forschung beseitigt werden. Darüber hinaus ermöglichen soziale Befreiungsbewegungen »den Menschen, die Welt aus einer umfassenderen Perspektive zu erblicken, weil sie die der Erkenntnis und Beobachtung hinderlichen Tarnungen und Scheuklappen beseitigen«.[37] Die Frauenbewegung schafft die Möglichkeit einer solchen umfassenderen Perspektive und bringt zudem eine größere Zahl von Wissenschaftlerinnen hervor, die auf androzentrische Verzerrungen sensibler reagieren als Männer. Allerdings unterminiert diese Begründungsstrategie zentrale Annahmen des empiristischen Diskurses, von dem sie abstammt (um ein Wort von Zillah Eisenstein zu paraphrasieren: der feministische Empirismus hat eine radikale Zukunft), und genau darin - in dieser inneren Inkohärenz - können wir den Übergangscharakter dieser Erkenntnistheorie erblicken - und die potentiellen Quellflüsse ihrer radikalen Haltung.[38]
Der feministische Empirismus stellt drei aufeinander bezogene und inkohärente Annahmen des traditionellen Empirismus in Frage. Erstens bezweifelt er, daß die gesellschaftliche Identität des Beobachters für den »Gehalt« der Forschungsresultate ohne Belang ist, denn der Androzentrismus der Wissenschaft ist nicht nur deutlich erkennbar, sondern wirkt sich auch zerstörerisch aus, und sein fruchtbarster Ursprung liegt in der Auswahl wissenschaftlicher Probleme. Von daher, so wird argumentiert, sind Frauen als gesellschaftliche Gruppe im Gegensatz zu Männern als gesellschaftlicher Gruppe eher in der Lage, Forschungsprobleme auszuwählen, die die gesellschaftliche Erfahrung der Menschen nicht verzerren. Zweitens bezweifelt der feministische Empirismus die Fähigkeit der methodologischen und soziologischen Wissenschaftsnormen, androzentrische Verzerrungen wirklich beseitigen zu können; schon die Normen selbst scheinen insofern der Verzerrung zu unterliegen, als sie unfähig waren, den Androzentrismus aufzuspüren. Drittens stellt er die Annahme, die Wissenschaft müsse vor politischen Eingriffen geschützt werden, zur Diskussion. Er geht davon aus, daß zumindest einige politische Formen - die der gesellschaftlichen Emanzipationsbewegungen - die Objektivität der Wissenschaft befördern können. Weil die Begründungsstrategien des feministischen Empirismus die Inkohärenzen des traditionellen Empirismus offenlegen, führen sie auch zu einer Inkohärenz zwischen den substantiellen Behauptungen einer feministischen Wissenschaft und der feministischen erkenntnistheoretischen Strategie, die diese Behauptungen begründen und rechtfertigen soll.
Die Erkenntnis dieser Inkohärenzen führte zur Entwicklung der feministischen Standpunkt-Strategien. Sie scheinen mit jenen Elementen des feministischen Empirismus, die dessen traditionelle Form unterminieren, vereinbar zu sein. Die auf diesen Standpunkt bezogenen Erkenntnistheorien gründen, wie der feministische Empirismus, in den Kennzeichnungen von Frauen als einer gesellschaftlichen Gruppe und von Männern als einer gesellschaftlichen Gruppe. Diese Kennzeichnungen führten zur inneren Inkohärenz des feministischen Empirismus. Sind nun die Standpunkt-Theorien vielleicht in anderen Bereichen von einer inneren Inkohärenz geprägt?