Natürliche Recourcen

oder woher beziehen die vergeschlechtlichen Wissenschaften ihre moralische Unterstützung

Feministische Kritikerinnen haben die Tatsache problematisiert, daß die Wissenschaft mehr als drei Jahrhunderte lang sowohl implizit als auch explizit die Geschlechterpolitik als moralische und politische Ressource für ihren eigenen Aufstieg benutzt hat. Gleichermaßen problembeladen ist die Erkenntnis, daß die an Geschlechterpolitik Interessierten ihrerseits sich fortwährend der Wissenschaft bedient haben, um die Unterdrückung der Frauen mit der Weihe des Naturgegebenen zu versehen. Diese Art von gegenseitiger Unterstützung findet sich auch in der symbiotischen Beziehung zwischen Rassismus, Klassenhierarchie und Wissenschaft.
In diesem Kapitel will ich zeigen, wie eine Form der Geschlechterpolitik - der Geschlechtersymbolismus - Ressourcen für den moralischen und politischen Aufstieg wissenschaftlicher Erkenntnisweisen bereitgestellt hat, und wie die Wissenschaft ihrerseits moderne Formen des Geschlechtersymbolismus befördert hat. Im weiteren Fortgang sollten wir uns daran erinnern, daß der Geschlechtersymbolismus immer durch tatsächliche geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen oder durch die Bedrohung derselben in seiner Wirkungsweise unterstützt worden ist. Zudem steht er in vielschichtiger Beziehung zu individuellen biologischen und sozialen Geschlechteridentitäten und zu vorgeschriebenen Verhaltensweisen. Das heißt, der Geschlechtersymbolismus spiegelt die Arbeitsteilungen oder die biologischen und gesellschaftlichen Geschlechteridentitäten in einer Kultur kaum jemals verzerrungsfrei wider. Damit die Leserinnen und Leser nicht im Verdacht befangen bleiben, der hier diskutierte Geschlechtersymbolismus sei in Wirklichkeit einfach ein empirisch bestätigter Bericht über die Welt, wie sie ist, werde ich auch anhand neuerer wissenschaftlicher Literatur zeigen, daß nicht nur das Geschlecht sozial konstruiert ist, sondern auch viel von dem, was gewöhnlich als »biologischer Geschlechtsunterschied« bezeichnet wird.

Sollte man Wissenschaftsgeschichte und -theorie durchleuchten?

Diese Frage[1] verliert ihren leicht scherzhaften Beiklang, wenn wir uns die Metaphern und Modelle der Geschlechterpolitik anschauen, mittels derer Wissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker erklärt haben, wie wir alle über Natur und Forschung denken sollten. Beispiele für Geschlechtersymbolisierungen tauchen im allgemeinen in den Marginalien und Nebenbemerkungen von Texten auf - dort, wo Autoren jene Annahmen und Überzeugungen unverhüllt aussprechen, von denen sie glauben, sie müßten sie nicht verteidigen und würden sie mit ihrer Leserschaft teilen. Diese Annahmen gehen in die Richtung, daß die Leserschaft solcher Texte aus Männern besteht, daß Wissenschaftler und Philosophen Männer sind und daß die besten wissenschaftlichen Tätigkeiten und philosophischen Denkweisen nach dem Vorbild höchst misogyner Beziehungen von Männern zu Frauen geformt werden sollten - Vergewaltigung, Folter, Mätressentum, Mutterschaftsideologie. Wir werden uns zuerst einige Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte ansehen und uns dann Kommentaren zeitgenössischer Vertreter aus Wissenschaft und Philosophie zuwenden.

Bilder aus der Geschichte

Die gegenwärtige Wissenschaft präsentiert uns ihre Konzeptionen von Natur und Forschung als Wahrheiten, die bei der Entstehung der modernen Wissenschaft entdeckt worden sind als objektive, universell gültige Reflexionen der Natur und der Methode, zu eindeutigen Beschreibungen und Erklärungen zu gelangen. Jedoch weist die Geschichtsschreibung darauf hin, daß diese Konzeptionen sich im Lauf der Zeit gewandelt haben und zudem durch die in geschichtlich nachweisbaren Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern verwendeten politischen Strategien in hohem Maße beeinflußt worden sind. Die Geschlechterpolitik hat Ressourcen für den Aufstieg der Wissenschaften bereitgestellt und die Wissenschaft Ressourcen für die Förderung männlicher Herrschaft. Ich habe weiter oben schon auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen, als ich fragte, ob die Entwicklung der Sexualwissenschaft im unmittelbaren Gefolge der Frauenbewegung des neunzehnten Jahrhunderts nichts als ein reiner Zufall gewesen sei. Diese historischen Untersuchungen weisen eine Anzahl von Problemen auf. Eine Quelle dieser Probleme entspringt aus der mystifizierenden Sozialphilosophie, an der sie sich orientieren, und hier sind es vor allem irreführende Auffassungen bezüglich der vollständigen »Lebensgeschichte« der Rolle, die die Metapher in wissenschaftlichen Erklärungen spielt. Eine weitere Quelle bilden die unangemessenen geschichtlichen Darstellungen, die wenig über Geschlechterverhältnisse aussagen, und noch weniger darüber, wie das kulturelle Umfeld (eingeschlossen die jeweils zeitgenössischen wissenschaftlichen Denker) Veränderungen in diesen Verhältnissen erfuhr, wahrnahm und darauf reagierte. Die von feministischen Kritikerinnen hervorgehobenen fünf Hauptprobleme, die mit den Begriffsschemata vermacht sind (siehe das vorige Kapitel), kontaminieren das Historikern heute zugängliche Quellenmaterial. Ungeachtet solcher Mängel verbessern diese Untersuchungen unsere Wahrnehmung des Stellenwertes, den die Wissenschaft in der jeweiligen Gesellschaft besitzt. Ein Phänomen, auf das sich feministische Historikerinnen konzentriert haben, sind die Vergewaltigungs- und Foltermetaphern, die sich in den Schriften von Francis Bacon und anderen begeisterten Anhängern der neuen wissenschaftlichen Methode (wie etwa Machiavelli) finden lassen. Bei traditionsorientierten Historikern und Philosophen heißt es, diese Metaphern seien für die wirklichen Bedeutungen und Referenzobjekte wissenschaftlicher Begriffe seitens derer, die sie benutzt haben und seitens der Leserschaft, für die sie schrieben, ohne Bedeutung. Doch wenn es darum geht, die Natur als eine Maschine anzusehen, lautet die Analyse ganz anders: hier nämlich soll die Metapher den Interpretationsrahmen für Newtons Gesetze der Mechanik bilden: sie führt den Forscher zu fruchtbaren Anwendungsweisen seiner Theorie und legt ihm die angemessenen Forschungsmethoden wie auch die von der neuen Theorie in Anschlag gebrachte Metaphysik nahe.[2] Doch warum sollen wir annehmen, daß mechanistische Metaphern eine grundlegende Komponente der von der neuen Wissenschaft entwickelten Erklärungsweisen gewesen sind, geschlechtsspezifische Metaphern aber nicht? Eine in sich schlüssige Analyse würde die Folgerung erlauben, daß eine Sichtweise, die die Natur als eine der Vergewaltigung gleichgültig gegenüberstehende (oder sie sogar begrüßende) Frau entwirft, für die Interpretationen dieser neuen Konzeptionen von Natur und Forschung gleichermaßen grundlegend gewesen ist. Es läßt sich vermuten, daß auch diese Metaphern in pragmatischer, methodologischer und metaphysischer Hinsicht fruchtbare Konsequenzen für die Wissenschaft gezeitigt haben. Und warum ist in diesem Falle die Bezeichnung »Newtons Handbuch der Vergewaltigung« für Newtons Gesetze nicht ebenso erhellend und ehrlich wie »Newtons Mechanik«? Wir können daran sehen, daß Metaphern der Geschlechterpolitik benutzt wurden, um die neuen Entwürfe von Natur und Forschung, die von der experimentellen Methode und der Technikentwicklung der damaligen Zeit benötigt wurden, moralisch und politisch attraktiv zu machen. Die im Mittelalter vorherrschende organische Auffassung von der lebendigen, Gottes Reich zugehörigen Natur war weder für die neuen Experimentalmethoden noch für die technischen Anwendungsformen der Forschungsresultate zu gebrauchen. Carolyn Merchant bezeichnet fünf Veränderungen in den europäischen Denk- und Erfahrungsweisen, die sich vom fünfzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert vollzogen und den charakteristischen Geschlechtersymbolismus des in der Folge sich entwickelnden wissenschaftlichen Weltbildes mit geprägt haben.[3]

  • Erstens. Als die kopernikanische Theorie das geozentrische durch das heliozentrische Universum ersetzte, trat damit auch ein androzentrisches Universum an die Stelle eines gynozentrischen. Für die organische Naturauffassung der Renaissance und früherer Denkweisen verband sich die Sonne mit Männlichkeit und die Erde mit zwei entgegengesetzten Aspekten von Weiblichkeit. Einerseits wurde die Natur (und besonders die Erde) mit einer nährenden Mutter identifiziert mit einem »freundlichen, wohlwollenden weiblichen Wesen, das für die Bedürfnisse der Menschheit in einem geordneten und geplanten Universum Sorge trug« - andererseits galt sie als die »wilde und unkontrollierbare (weibliche) Natur, welche Gewalt, Stürme, Dürren und allgemeines Chaos verbreiten konnte« (Merchant 1980, 2). In der kopernikanischen Theorie wurde die weibliche Erde, von Gott eigens für die Bedürfnisse des Menschen (man) geschaffen, zum winzigen, von außen bewegten Planeten, der seine unbedeutende Kreisbahn um die männliche Sonne zog.
  • Zweitens. Platos Kosmologie band die tätige Kraft im Universum an die lebendige, nährende Mutter Erde, der Aristotelismus dagegen setzte das aktive mit dem männlichen, das passive mit dem weiblichen Prinzip gleich. Diese Auffassung war für die aristotelische Naturtheorie von zentraler Bedeutung und erlebte in den Kosmologien des sechzehnten Jahrhunderts ihre Wiedergeburt: »Daß die >materielle<, weibliche Erde mit dem männlichen, höherstehenden und >immateriellen< Himmel sich vermählt und durch ihn geschwängert wird, war eine Standardbeschreibung für biologische Fortpflanzung in der Natur.« Kopernikus selbst bedient sich dieser Metapher: »Unterdessen empfängt die Erde von der Sonne und trägt einmal im Jahr Nachkommenschaft aus« (ebd., 7).

Die Auseinandersetzungen der damaligen Zeit darüber, ob es moralisch angemessen sei, Mutter Erde so zu behandeln, wie neue kommerzielle Tätigkeiten (z.B. der Bergbau) es forderten und erforderten, machen den Widerstand gegen die Verschiebung in der gesellschaftlichen Bedeutung von Weiblichkeit sichtbar. Doch als der Aufstieg der modernen Wissenschaft und ihrer technischen Anwendungsmöglichkeiten den »Eingriff in den Körper« der Erde zu einer immer alltäglicher werdenden Erfahrung machte, gingen die von der älteren organischen Weltanschauung erhobenen moralischen Sanktionen gegen solche Vorgehensweisen allmählich den Weg alles Irdischen. Zugleich wurde ein Kriterium geschaffen, mit dessen Hilfe das Belebte vom Unbelebten gesondert werden konnte. (Diese Unterscheidung ist ein theoretisches Konstrukt der modernen Wissenschaft, das vor ihrem Entstehen den Menschen nicht als etwas durch die Beobachtung Gegebenes vertraut war. Und sie entfremdet sich, wie wir sehen werden, dem »Alltagsverstand« in zunehmendem Maße.) Dies Kriterium machte die »weibliche« Erde zur passiven, unbewegten Materie, die der Erforschung und Ausbeutung ihres Inneren gleichgültig gegenübersteht.

  • Drittens. Das neue, von der Wissenschaft erschlossene Universum war eines, in dem Veränderung - die mit Unordnung, Verfall und >Verderbtheit« in Zusammenhang gebracht wurde - nicht nur auf der Erde sich vollzog, wie es die ptolemäische Zweiweltentheorie nahelegte, sondern auch den Himmel betraf. Für die Schriftsteller der Renaissance und der elisabethanischen Zeit barg diese Entdeckung die Möglichkeit, daß die Ordnung der Natur zusammenbrechen und das Schicksal der Menschheit dem Chaos anheimgeben könne (ebd., 128). Das Denken der damaligen Zeit ist geprägt von der Wahrnehmung einer ungebändigten, wilden Natur, die sich gegen den Versuch des Menschen (des Mannes), sein Schicksal zu meistern, erhebt. Machiavelli bediente sich sexueller Metaphern, um zu zeigen, daß die Macht des Schicksals niedergerungen werden könne: »Fortuna ist eine Frau, die, will man sie bezwingen, mit Gewalt erobert werden muß, und sie läßt sich durch Kühnheit eher bezwingen als durch kühles Vorgehen. Und weil sie eine Frau ist, schätzt sie die Jugend, denn diese ist weniger vorsichtig und ungestümer und bezwingt sie mit größerem Wagemut« (ebd., 130).
  • Viertens. Unordnung herrschte nicht nur im physikalischen Kosmos, sondern auch in den gesellschaftlichen Verhältnissen, so daß auch von daher das menschliche Schicksal der Kontrolle zu entgleiten schien. Gleichzeitig mit der Entwicklung des wissenschaftlichen Weltbildes führte der Zusammenbruch der feudalen Gesellschaftsordnung zur Erfahrung weitreichender sozialer Umwälzungen. Von besonderem Interesse ist hier die Möglichkeit, daß die zunehmende und sichtbare Teilnahme der Frauen am öffentlichen Leben als Drohung tiefer und weitreichender Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen wahrgenommen wurde. Frauen waren in der nordeuropäischen Reformationsbewegung tätig und Elisabeth I. regierte England länger als alle Herrscher vor ihr. Die Einbildungskraft der Renaissance mußte keinen großen Sprung tun, um alle Unordnung in Natur und Gesellschaft mit den Frauen in Verbindung zu bringen - die organische Kosmologie hatte den Boden dafür bereitet, indem sie die wilde und gewalttätige Natur mit einem Aspekt des Weiblichen assoziierte, zudem fehlten klare Unterscheidungen zwischen natürlichen und gesellschaftlichen Phänomenen. Am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts war die Verbindungslinie in den Lehren über Hexenwesen und Zauberei endgültig gezogen worden. Nun wurde den Frauen eine »Methode der Rache und Kontrolle« zugeschrieben, »derer sich physisch wie gesellschaftlich machtlose Personen in einer Welt bedienen konnten, von der fast jeder annahm, sie sei organisch und belebt« (ebd., 140).
  • Fünftens. Die aus Politik und Recht entlehnten Metaphern der wissenschaftlichen Methode entstammen zumindest teilweise den Hexenprozessen der Zeit Francis Bacons. Dessen Schirmherr war der englische König Jakob I., der die Gesetzgebung gegen Frauen und Hexerei sowohl in England wie in Schottland entscheidend förderte. In den Verhören wurden die der Hexerei beschuldigten Frauen geradezu obsessiv über ihre sexuellen Praktiken befragt; verschiedene Foltermethoden dienten dazu, herauszufinden, ob sie den Teufel »fleischlich erkannt« hätten. In einer an seinen Herrscher gerichteten Passage bedient sich Bacon kühner sexueller Bilder, um zentrale Charakterzüge der experimentellen Methode als inquisitorische Befragung der Natur zu erklären: »Denn man muß der Natur bei ihren Irrungen folgen und ihr gegebenenfalls nachstellen, und das ist möglich, wenn man sie hinterher an den selben Ort zurückführt und dorthin treibt. ... Man sollte auch keine Skrupel haben, jene Höhlen und Nischen zu betreten und zu durchforschen, wenn das einzige Ziel dabei die Erkundung der Wahrheit ist« (ebd., 168). Es mag für die modernen Leserinnen und Leser nicht unmittelbar ersichtlich sein, daß Bacon auf diese Art die Notwendigkeit aggressiver und kontrollierter Experimente erklärt, mittels derer die Forschungsresultate wiederholbar gemacht werden können!

Ich wies bereits darauf hin, daß diese Art der Analyse eine Reihe von Problemen und Herausforderungen enthält, von denen wir einige in den nächsten Kapiteln untersuchen wollen. Offensichtlich aber gibt es Gründe genug, sich mit den intellektuellen, moralischen und politischen Strukturen der modernen Wissenschaft auseinanderzusetzen, wenn wir daran denken, wie von Beginn an eine frauenfeindliche und abwehrbereite Geschlechterpolitik mit der uns als wissenschaftliche Methode geläufigen Abstraktion ein Bündnis zur gegenseitigen Unterstützung eingegangen ist. Daß Hypothesen durch kontrollierte Manipulation der Natur einem Härtetest unterzogen werden müssen und daß solche Manipulationen notwendig sind, um die Wiederholbarkeit von Experimenten zu gewährleisten, wird vom Vater der wissenschaftlichen Methode in deutlich sexistischen Metaphern ausgedrückt. Natur und Forschung werden nach dem Vorbild von Vergewaltigung und Folter begrifflich erfaßt, d.h. auf das gewalttätigste und frauenfeindlichste Verhalten von Männern abgebildet und das Ganze als Grund für die Wertschätzung von Wissenschaft angeführt. Es ist schwer vorstellbar, daß Frauen ein dankbares Publikum für diese Interpretation der neuen wissenschaftlichen Methode abgeben könnten. Die Indienstnahme der Geschlechterpolitik eröffnet Ressourcen für die Wissenschaft; gilt das auch für den umgekehrten Fall? Weisen die Metaphern nicht in beide Richtungen? Als die Natur immer mehr einer Maschine zu gleichen schien, wurden da nicht im Gegenzug Maschinen immer mehr für etwas Natürliches gehalten? Als die Natur von einer nährenden Mutter zu einer Frau wurde, die man foltern und vergewaltigen konnte, wurden da Folter und Vergewaltigung nicht zu einem scheinbar natürlichen Verhalten von Männern Frauen gegenüber? Ist denn die Anwendung der Wissenschaft bei der Erzeugung ökologischer Katastrophen, der Unterstützung des Militarismus, der Verkehrung menschlicher Arbeit in eine Körper und Geist verstümmelnde Tätigkeit, der Kontrolle und Herrschaft über »Andere« (die Frauen, die Armen, die Kolonisierten) nur ein Mißbrauch angewandter Wissenschaft? Oder sind Wesen und Ziel der experimentellen Methode, dergestalt in Begriffe gefaßt, die Bestätigung dafür, daß es nicht um sogenannte schlechte oder mißbrauchte, sondern um eine charakteristisch männliche, normale Wissenschaft geht? Nicht nur Individuen, auch Institutionen agieren oftmals die verdrängten und ungelösten Probleme ihrer Kindheit aus. Ließe sich das Beharren der heutigen Wissenschaft auf einer im Dienste fortschrittlicher sozialer Verhältnisse stehenden wertfreien und leidenschaftslosen Objektivität nicht als der Versuch eines schuldbewußten Gewissens begreifen, einige dieser frühen, aber noch immer lebendigen Probleme zu lösen? Die Geschichte der Biologie und der Medizin enthält ähnlich augenfällige Beispiele dafür, wie der Geschlechtersymbolismus dazu benutzt wurde, die Natur auf neue Weise begrifflich zu konstruieren - ein Projekt, das die Geschlechterpolitik naturalisierte und zugleich Biologie und Medizin der Vergeschlechtlichung unterwarf. L.J. Jordanovas Untersuchung der Biomedizin im Frankreich und England des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts fand heraus, daß »die biologischen Geschlechterrollen (sex roles) mittels einer wissenschaftlich-medizinischen Sprache definiert wurden, während umgekehrt die Naturwissenschaften und die Medizin mit Bildern des Sexuellen durchsetzt wurden« (Jordanova 1980, 42). [4] Wissenschaft und Medizin wurden für die Autoren der Aufklärung bei ihrer kritischen Untersuchung der Gesellschaft in dreifacher Hinsicht bedeutsam:

»Erstens beschäftigten sich Naturphilosophen und medizinische Schriftsteller mit naturbedingten Erscheinungen wie Reproduktion und Fortpflanzung, Paarungsverhalten und geschlechtsspezifischen Krankheiten. Zweitens hatten Wissenschaft und Medizin eine privilegierte Position inne, weit ihre Methoden die einzigen zu sein schienen, die von der religiösen Orthodoxie in Richtung auf eine säkularisierte, empirisch gegründete Erkenntnis von Natur und Gesellschaft führen konnten. Schließlich ... wurden Wissenschaft und Medizin als Tätigkeiten mit sexuellen Metaphern verbunden, die ihren deutlichen Ausdruck im Entwurf der Natur als einer Frau fanden, welche durch die männliche Wissenschaft entschleiert, entkleidet und durchdrungen werden mußte.« (Ebd., 45.)

Bewußt oder unbewußt weigerten sich die Denker der Aufklärung, die gesellschaftlichen Rollen von Frauen und Männern von der beschreibenden und bildlichen Darstellung physiologischer Unterschiede abzukoppeln. Ein ebenso eindrucksvoller wie einflußreicher Ausdruck dieser sozialisierten Biomedizin findet sich in den Wachsmodellen menschlicher Gestalten, die als Vorbilder für anatomische Zeichnungen und als Ausstellungsstücke in Museen dienten.

»Die weiblichen Figuren nehmen eine liegende Haltung ein und sind häufig mit Perlenhalsbändern geschmückt. Ihr Haar ist lang und bisweilen tragen sie auch Schambehaarung. Diese >Venusgestalten<, wie sie bezeichnenderweise genannt wurden, ruhen auf samtenen oder seidenen Kissen in einer passiven Haltung, die sexuell einladend anmutet. Vergleichbare männliche Figuren haben eine aufrechte, oftmals Bewegung ausdrückende Position. Die weiblichen Modelle können geöffnet werden, um die herausnehmbaren Eingeweide zu zeigen; sie enthalten sehr häufig einen Fötus. Die männlichen Modelle dagegen sind in einer Vielfalt von Formen dargestellt, um die verschiedenen physiologischen Systeme zu demonstrieren. ... Der Fötus und die vollständige Nacktheit der Frauen porträtiert ihre wortwörtliche Natürlichkeit, ihre symbolische aber liegt in der ganzen Machart solcher Figuren. Die weibliche Natur war durch die männliche Wissenschaft entkleidet worden und wurde unter dem prüfenden Blick der Allgemeinheit verstehbar.« (Ebd., 54)

Dies Bild »fand seinen expliziten Ausdruck in einer Statue in der Pariser Medizinischen Fakultät. Dort wird eine junge Frau mit nackten Brüsten dargestellt, die unter dem Schleier, den sie abnimmt, den Kopf leicht geneigt hält. Der Schleier trägt die Aufschrift: >Die Natur entschleiert sich vor der Wissenschaft<« (ebd.). In anatomischer Hinsicht wurden Männer als aktiv handelnde Vertreter unserer Gattung dargestellt, Frauen als die Objekte menschlichen (männlichen) Handelns. Frauenkörper wurden zugleich als Gegenstände wissenschaftlicher Neugier und als Objekte (gesellschaftlich konstruierten) sexuellen Begehrens dargeboten. Besonders interessant ist die Tatsache, daß die Rolle der Frauen in Gesellschaft und Beruf während jener Zeit durchaus facettenreich war und sich nicht auf die vom Klischee vorgeschriebenen Tätigkeiten beschränkte. Diese Vielfalt der Aktivitäten war für jedermann erfahrbar - auch für die damaligen Mediziner und Wissenschaftler - und so muß denn ein solcher Geschlechtersymbolismus mehr sein als die einfache Widerspiegelung einer real existierenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der die Männer umgebenden Gesellschaft. Vielmehr »weist die Lücke zwischen Idee und Erfahr-ung deutlich auf die ideologische Funktion hin, welche die Dichotomie von Natur und Kultur in den Geschlechterverhältnissen besitzt. Diese ideologische Botschaft wurde in zunehmendem Maße durch die Sprache der Medizin vermittelt« (ebd. 42). Dergestalt vertiefte die Biomedizin die kulturell bedingte Assoziation, die Natur mit passiver, objektivierter Weiblichkeit und Kultur mit aktiver, objektivierender Männlichkeit verband - und wurde im Gegenzug durch dies Projekt noch stärker vermännlicht.
Eine wachsende Indienstnahme der Geschlechterpolitik hat es auch in jüngerer Zeit immer wieder gegeben. Untersucht man den Zusammenhang näher, so läßt sich mutmaßen, daß die intensivierten Ausdrucksformen von Frauenfeindschaft in der Wissenschaft früherer Epochen keine Repräsentationen einer frei flottierenden offenen Misogynie waren, die es dem glücklichen Zufall zu verdanken hatten, daß sie in den zu der Zeit sich herausbildenden wissenschaftlichen Projekten eine Ressource fanden; wahrscheinlicher ist, daß die Geschlechterverhältnisse sich grundlegend veränderten oder zu verändern drohten. Unverhohlene Frauenfeindschaft kann am besten als Äußerung männlichen Protestes begriffen werden, denn niemand wird feststellen, was ohnehin offensichtlich ist oder sich für etwas stark machen, was er ohnehin schon besitzt. Aus dieser Perspektive ist das relativ geringe Ausmaß an frauenfeindlichen Ausdrucksformen in anderen Geschichtsepochen nicht einfach ein Indikator für Gleichheit zwischen den Geschlechtern (obwohl sie zu anderen Zeiten und an anderen Orten in einem größeren Umfang existierte als in der westlichen Gesellschaft der letzten Jahrhunderte). Es ist wohl eher so, daß der fehlende Protest der Männer oftmals die relativ stabile Machtlosigkeit der Frauen anzeigt und von daher als Verweis auf die männliche »Problemdistanz« gewertet werden sollte.[5]

Bilder aus der Gegenwart

Die Vergeschlechtlichung von Natur und Forschung ist nicht nur in erfreulich weit zurückliegenden Jahrhunderten betrieben worden. Vielmehr sind bis auf den heutigen Tag erstaunliche Energien in solche Unternehmungen eingeflossen.[6] In vielen Kommentaren ist hervorgehoben worden, daß die vertrauten Ausdrucksweisen, derer man sich in populären und gelehrten Wissenschaftsdiskussionen bedient, zumindest unterschwellig von Geschlechtersymbolismen geprägt sind. Geläufige Beispiele sind solche Dichotomien wie »harte« und »weiche« Daten, »sanfte« und »aggressive« Technologien, Vernunft und Intuition, Geist und Materie, Natur und Kultur usw., aber auch vertraute Wendungen, in denen von der »durchdringenden Wucht eines Arguments« oder von »fruchtbaren Ideen« die Rede ist. Doch wollen wir uns einige ausführlichere und gewissenhaftere Bemühungen um die Symbolik der Geschlechter ansehen. Mit diesen Schlußbemerkungen einer vor gar nicht langer Zeit gehaltenen Rede zur Nobelpreisverleihung faßt der Geehrte, ein Physiker, die Geschichte seines preisgekrönten Lebenswerkes zusammen.

»Damit fing alles an: die Idee erschien mir so offensichtlich und elegant, daß ich mich zutiefst in sie verliebte. Und gleichwie man sich in eine Frau verliebt, so ist es auch in diesem Fall nur möglich, wenn man nicht viel von ihr weiß, so daß man ihre Fehler nicht sieht. Die Fehler werden später erkennbar, doch dann ist die Liebe stark genug, um an ihr festzuhalten. So hielt ich denn, ungeachtet aller Schwierigkeiten, durch meinen jugendlichen Enthusiasmus an dieser Theorie fest. ... Und was wurde aus der alten Theorie, in die ich mich als Jugendlicher verliebt hatte? Nun, ich würde sagen, sie ist eine alte Dame geworden, die nicht mehr allzu viele Reize besitzt, und den jungen Leuten von heute wird das Herz nicht gerade höher schlagen, wenn sie sie noch einmal anschauen. Doch können wir von ihr das beste sagen, was sich überhaupt von alten Frauen sagen läßt, daß sie nämlich eine gute Mutter geworden ist und einige sehr gute Kinder geboren hat. Und ich danke der Schwedischen Akademie der Wissenschaften dafür, daß sie eins von diesen Kindern ausgezeichnet hat.«[7]

Und hier ist der Schlußabschnitt eines häufig zitierten Aufsatzes, der von einem herausragenden zeitgenössischen Wissenschaftstheoretiker stammt: der Autor, Paul Feyerabend, erklärt, warum sein Vorschlag für eine rationale Rekonstruktion der Wissenschaftsgeschichte dem von Karl Popper vorgezogen werden sollte:

»Eine solche Entwicklung ist alles andere als unerwünscht, denn sie verwandelt die Wissenschaft von einer strengen und fordernden Herrin in eine attraktive und ergebene Kurtisane, die ihrem Liebhaber jeden Wunsch von den Augen abliest. Natürlich ist es unserer Wahl anheimgestellt, ob wir uns in die Gesellschaft eines Drachens oder eines Schmusekätzchens begeben wollen. Ich glaube, ich muß nicht erklären, wem ich den Vorzug gebe.«[8]

Diese beiden Abschnitte repräsentieren zwei kulturspezifische Vorstellungen von Männlichkeit: den guten Gatten und Vater und den sexuell ehrgeizigen Matratzensportler.
Selbst der Ort, an dem diese moralischen Appelle an die Geschlechterpolitik im Text plaziert sind, ist erhellend. Sie bilden in beiden Fällen die Schlußbemerkung und sind die zusammenfassenden Gedanken, welche Publikum resp. Leserschaft mit nach Hause tragen sollen. Für den Fall, daß die Besetzung der »rein kognitiven« Behauptungen mit einem männlichen Akzent unbemerkt geblieben sein sollte, bringt jeder Autor sein Anliegen in der Schlußbotschaft auf den Punkt. Der Wissenschaftler und der Philosoph sind wirklich und wahrhaftig Männer (trotz ihrer Erfolge in der zerebralen Karriere? fürchten auch Männer sich vor bestimmten Arten des Erfolgs?); das Publikum desgleichen. Ihre Partnerinnen - die Wissenschaft und ihre Theorien sind ausbeutbare Frauen. Ein Vorschlag sollte angenommen werden, weil er die Geschlechterpolitik verdoppelt.
Evelyn Fox Keller weist darauf hin, daß mehr als nur ein paar Wissenschaftler und Philosophen ihre Tätigkeiten mit dem projektiven Ideal einer verteidigungsbereiten Männlichkeit belegen. Obwohl der Wissenschaftler als hypermännlich gilt, wird ihm doch ein geringeres Maß an Sexualität zugeschrieben als Männern in bestimmten anderen Berufen. Eine mit englischen Schuljungen durchgeführte Untersuchung zeigt das sehr deutlich:

»Die schönen Künste und Kunstwissenschaften werden mit sexuellem Vergnügen assoziiert, die Naturwissenschaften mit sexueller Enthaltung. Wer sich mit den Künsten befaßt, hat eine gutaussehende und gutgekleidete Frau, mit der er eine enge sexuelle Beziehung pflegt. Der Naturwissenschaftler dagegen ist mit einer (auch in puncto Kleidung) reizlosen und langweiligen Frau verheiratet, an der er kein körperliches Interesse hat. Dennoch gilt der Naturwissenschaftler als männlich, der Kunstfachmann als ein bißchen feminin.«[9]

Keller weist darauf hin, daß die Wissenschaft sowohl als »Antithese zum Eros« wie auch als hypermännliche Tätigkeit aufgefaßt worden ist, und daß zwischen beiden Auffassungen eine Beziehung besteht, die sich schon in der Bildwelt früherer Denker finden läßt: »>Wir wollen zwischen dem Geist und der Natur eine keusche und gesetzestreue Ehe stiften<, schreibt Bacon, und verschreibt damit ein vorschriftsmäßiges Rezept für die Geburt einer neuen Wissenschaft. Diese Verschreibung hat sich bis auf den heutigen Tag gehalten - in ihr finden sich wichtige Hinweise auf die Position des keuschen Bräutigams, auf seine Beziehung zur Braut und auf die Art und Weise, mit der er seinen Auftrag definiert.«[10] Keller geht davon aus, daß die geistigen Strukturen wie auch die ethischen und politischen Praxen der Wissenschaft den für sie charakteristischen Androzentrismus dadurch angenommen haben, daß Kompetenz und Beherrschung mit Macht, Beherrschung und Macht mit Männlichkeit und diese Konstellation wiederum mit Wissenschaft assoziiert wurden. Solche bildlichen Vorstellungen konstruieren zugleich das institutionalisierte Ethos der Wissenschaft und der vergeschlechtlichten Sexualität wie auch in der Folge die durch diese Institutionen strukturierten Praxisformen. Die Wissenschaft bestätigt ihre männlich-dominanten Praxisformen und die männliche Vorherrschaft ihre vorgeblich objektiven wissenschaftlichen Begründungen, indem beide sich kontinuierlich gegenseitig unterstützen. Diese Kette von Assoziationen ist nicht nur deswegen anstößig, weil sie sexistisch ist, sie führt außerdem zu schlechter Wissenschaft, d.h. zu falschen und stark vereinfachten Modellen von Natur und Forschung, die die Existenz von Machtverhältnissen und hierarchischen Strukturen behaupten, wo keine sind oder sein müssen. Für Keller offeriert die Wissenschaftsgeschichte alternative Bildwelten und Praxisformen, in denen die der Natur eigene Vielschichtigkeit respektiert wird und die, eher androgyn geprägt, nicht so eng mit der Problematik männlicher Identität verwoben sind. »Wir sind nicht ausschließlich auf unsere Phantasie angewiesen, wenn wir Vorstellungen von einer anderen Wissenschaft entwickeln wollen, die dem Drang nach Herrschaft in geringerem Maße ausgesetzt ist. Wir müssen lediglich dem thematischen Pluralismus in der Entwicklungsgeschichte unserer eigenen Wissenschaft nachgehen.« [11] Keller weist auf viele Elemente in der Wissenschaftsgeschichte hin, die nicht durch machistische Einflüsse geprägt worden sind. In ihrer intellektuellen Biographie von Barbara McClintock thematisiert sie unter anderem, auf welche Weise die Nobelpreisträgerin in ihrer wissenschaftlichen Problemstellung, ihren Begriffen, Theorien und Forschungsmethoden das soziale Geschlecht transzendiert. McClintocks »Gespür für den Organismus«, ihr Respekt vor den vielfältigen Unterschieden zwischen Individuen, ihr Bedürfnis, »dem Material ihr Ohr zu leihen« - dies alles sind Beispiele für nicht-männliche Tendenzen, die sich auch anderenorts in der Wissenschaftsgeschichte finden lassen. Die Arbeiten von McClintock bilden, sagt Keller, keine feministische Wissenschaft aus, gerade weil sie das soziale Geschlecht transzendieren. (Allerdings, so spekuliert Keller, könnte McClintock aufgrund ihres eigenen Status als Frau, als Außenseiterin und Abweichlerin in der Wissenschaft leichter zu abweichenden Formeln und Formulierungen in der Molekularbiologie gekommen sein.)[12]
Aber hier identifiziert Keller fälschlicherweise den Feminismus mit überschwänglichen Projekten weiblicher Identitätsfindung und nicht mit eben jener Transzendenz des sozialen Geschlechts, von der bei ihr die Rede ist. Sicher haben Feministinnen hier eine Art »umgekehrter Diskriminierung« betrieben, doch die Mehrheit stand und steht solchen Tendenzen kritisch gegenüber.[13] Darüber hinaus verdoppelt Keller die immanente Ausrichtung traditioneller Geschichtsschreibung, wenn sie den Pluralismus in der Geistesgeschichte der Wissenschaft betont, zugleich aber die sozialen, politischen, psychologischen und wirtschaftlichen Zwänge ignoriert, mittels derer erklärt werden kann, warum einige wissenschaftliche Ideen gesellschaftliche Legitimation erlangen, andere dagegen nicht. Es gibt gesellschaftliche wie intellektuelle Gründe dafür, warum die Molekularforschung zu einem bestimmten Zeitpunkt auf hierarchische Modelle, zu einem anderen Zeitpunkt auf interaktive Modelle größeren Wert legt. Diese Kritik zielt auf Schwachstellen in Kellers Darstellung, die gleichwohl für ihren Ansatz insgesamt nicht typisch sind. Und es ist schwierig, sich vorzustellen, welche begründeten Einwände gegen ihre Behauptung vorgebracht werden könnten, daß Ausdrucksformen von Herrschaft und Kompetenz, von Männlichkeit und Wissenschaft ein wechselseitiges Beziehungs- und Stützgeflecht eingegangen sind, das den Frauen und der Wissenschaft Schaden zufügt. (Und, so können wir hinzufügen, auch den Männern, die zu ihrer Reifeprüfung anstrengenden und deformierenden Vorschriften ausgesetzt sind.)
Merchant, Jordanova und Keller schließen sich einer Reihe anderer Kritikerinnen an, deren Angriffspunkt die begriffliche Dichotomisierung - das Hauptmerkmal wissenschaftlicher Ideologie und Praxis ist. Handelt es sich dabei selbst schon um eine spezifisch männliche Tendenz? Einige Kritikerinnen gehen davon aus, daß ihre Wurzeln in der jüdischen und christlichen Religion ebenso zu finden sind wie im Kapitalismus und Kolonialismus, und in der europäischen Kultur des fünfzehnten bis siebzehnten Jahrhunderts mit ihrer Theorie des politischen Liberalismus. Das siebte Kapitel untersucht Probleme, die mit feministischen Konstruktionsweisen solcher Dichotomien verbunden sind, an dieser Stelle aber wollen wir sehen, was sie dazu zu sagen haben.
Elizabeth Fee geht, wie Merchant, Jordanova und Keller, davon aus, daß solche Dichotomien männlich determiniert sind. Fee weist darauf hin, daß sie zwar in der Geschlechterideologie des modernen Liberalismus aufgespürt werden können, jedoch sehr viel ältere Wurzeln besitzen müssen, weil sie die gesamte Geschichte der westlichen Philosophie durchziehen.

»Die Konstruktion unserer politischen Philosophie und unserer Sichtweisen der menschlichen Natur scheint von einer Reihe geschlechtsspezifischer Dichotomien abzuhängen, die mit der Konstruktion von Geschlechterdifferenzen vermacht sind. So konstruieren wir Rationalität als Gegensatz zu Emotionalität, Objektivität als Gegensatz zu Subjektivität, Kultur als Gegensatz zu Natur, das Öffentliche als Gegensatz zum Privaten. Ob wir nun Kant, Rousseau, Hegel oder Darwin lesen, überall werden das Weibliche und das Männliche in Form von entgegengesetzten Charakteren begriffen: Frauen lieben die Schönheit, Männer die Wahrheit; Frauen sind passiv, Männer aktiv; Frauen sind emotional, Männer rational; Frauen sind selbstlos, Männer egozentrisch - und so weiter und so fort durch die ganze Geschichte der westlichen Philosophie. Der Mann macht die Geschichte, doch die Frau stellt ihm die Verbindung zur Natur her; sie ist die vermittelnde Kraft zwischen Mann und Natur, sie gemahnt ihn an seine Kindheit, an den Körper und an Sexualität, Leidenschaft und menschliche Verbundenheit. Sie ist die Hüterin des Gefühlslebens und aller nichtrationalen Elemente menschlicher Erfahrung. Sie ist bisweilen eine Heilige, bisweilen eine Teufelin; immer aber scheint und erscheint sie als der notwendige Kontrapunkt zum Selbstverständnis des Mannes als einem Wesen von reiner Vernunft.«[14]

Das Beharren auf diesen männlich determinierten Dichotomien ist laut Fee in vierfacher Weise für die Aufrechterhaltung des Glaubens an die Objektivität der Wissenschaft entscheidend.

  1. Zunächst muß die Frage nach der Erkenntnisproduktion von der Frage nach der gesellschaftlichen Verwendung von Erkenntnis getrennt werden; anderenfalls könnten die Wissenschaftler sich gezwungen sehen, für solche Ziele und Zwecke Verantwortung zu übernehmen, die außerhalb der um ihrer selbst willen betriebenen Erkenntnissuche liegen. Zudem könnte die Öffentlichkeit sich ermutigt fühlen, mehr Einfluß auf die Verteilung von Forschungsmitteln und die Auswahl forschender Persönlichkeiten zu nehmen.
  2. muß das Denken vom Fühlen abgetrennt werden, anderenfalls könnte die wissenschaftliche Rationalität sich gezwungen sehen, auf die Empfindungen der Menschen angesichts der sozialen Konsequenz der von ihnen oder anderen so erfolgreich betriebenen Forschung im militärischen, biomedizinischen oder sozialtechnologischen Bereich Rücksicht zu nehmen. »Die Rolle des Wissenschaftlers ist eine andere als die des Bürgers, und der Wissenschaftler (oder die Wissenschaftlerin) muß sich nur als Privatmensch und Bürger sozial verantwortlich oder emotional betroffen fühlen.«[15] Geschichtlich gesehen ist diese Verschiebung des moralischen Bereichs in das Privatleben nachgewiesenermaßen eine moderne Erfindung. Für Aristoteles und die Griechen war die höchste Form moralischen Handelns nur im öffentlichen Leben erreichbar. Der Status der Wissenschaft ergibt sich aus ihrer paradigmatischen Rolle als der Institution, in welcher diese Trennung von Rationalität und sozialer Verpflichtung ihren wirkungsvollsten politischen Ausdruck erlangt hat, während die Ausbreitung wissenschaftlicher Rationalität auf alle Institutionen des modernen Lebenszusammenhangs die Wissenschaft mit der Macht ausstattet, diese Trennung in anderen Bereichen der Gesellschaft durchzusetzen...
  3. muß das wissenschaftliche Subjekt, der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin, vom wissenschaftlichen Objekt - von dem, was er oder sie untersucht getrennt werden. Merchant und Jordanova haben darauf hingewiesen, daß der erkennende Geist aktiv ist, das Erkenntnisobjekt dagegen passiv. Es ist die Stimme des wissenschaftlichen Subjekts, die mit allgemeiner und abstrakter Autorität spricht; die Forschungsobjekte »sprechen« nur in den Antworten auf die von den Wissenschaftlern gestellten Fragen, und sie sprechen in der je besonderen Stimme ihrer geschichtsspezifischen Bedingungen und Verortungen.
  4. muß die Wissenschaft genau deshalb als von der Gesellschaft getrennt gedacht werden, um ihre engen Beziehungen zur politischen Macht zu verschleiern.
  5. »Man erzählt uns, daß die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnis von politisch motivierter Beeinflussung oder Lenkung unabhängig sein muß. Dennoch sehen wir, wie Wissenschaftler ständig vor Kongreßausschüssen als Zeugen auftreten, wir finden Wissenschaftler in Gerichtsverhandlungen, wir finden sie in allen Bereichen öffentlicher Politik als Diskussionsteilnehmer. Es ist ganz offensichtlich, daß die Experten Partei ergreifen. Ebenso ist offensichtlich, daß diese >Experten< oftmals durch Konzerninteressen materiell gefördert werden und daß es für diejenigen, deren Forschung die Positionen dieser machtvollen Lobbies unterstützt, vergleichsweise geringe Strafen gibt.«[16]

Ruth Hubbard hat darauf hingewiesen, daß diese Art der Dichotomisierung die intellektuellen, moralischen und politischen Projekte der real existierenden Wissenschaft als sexistisch, rassistisch und als Ausdruck von Klassenherrschaft entlarvt.[17] Für Hubbard ist die Wissenschaft eine gesellschaftliche Konstruktion, ein historisch gewachsenes Unternehmen, das über uns und die uns umgebende Welt Geschichten erzählt. Als Biologin hat sie sich auf die Geschichten konzentriert, die eine durch Klassen, Rassen und männliche Herrschaft bestimmte Gesellschaftsordnung über biologische Geschlechtsunterschiede zu erzählen beliebt. Ihre Analyse umspannt Themen, die von den Schriften Darwins und anderer herausragender Männer der Wissenschaft bis zur zeitgenössischen biologischen Fachliteratur reichen, wobei sie die sexistischen, klassenhierarchischen und rassistischen politischen Zielvorstellungen aufweist, welche durch die Aufrechterhaltung solcher Dichotomien in der Sexualforschung über Geschlechtsunterschiede gestützt werden. Sie meint, daß die Konzentration auf biologische Geschlechtsunterschiede angesichts der geradezu unglaublichen Ähnlichkeiten zwischen den (biologischen) Geschlechtern an sich schon eine Widerspiegelung unverkennbar männlicher Vorstellungen sein könnte. Geist im Gegensatz zu Natur und Körperlichkeit, Vernunft im Gegensatz zu Emotionalität und sozialer Verpflichtung, Subjekt und Objektivität im Gegensatz zu Objekt und Subjektivität, das Abstrakt-Allgemeine im Gegensatz zum Konkret-Besonderen immer geht es darum, daß das erstere das letztere beherrschen muß, damit das menschliche Leben nicht irrationalen und fremden Mächten ausgeliefert wird, die in der Wissenschaft als das »Weibliche« symbolisiert werden. Alle diese Dichotomien spielen eine wichtige Rolle in der intellektuellen Struktur der Wissenschaft und scheinen in Geschichte und Gegenwart mit erkennbar männlichen Entwürfen biologischer und sozialer Geschlechteridentität verknüpft zu sein. Umgekehrt sind auch das soziale Geschlecht und die menschliche Sexualität durch die Entwürfe einer so gearteten Wissenschaft geformt worden.
Die in der Überschrift dieses Abschnitts gestellte Frage sollte nun weniger überraschend erscheinen. Sollten wir diese Wissenschaftsgeschichte und diese Wissenschaftstheorie durchleuchten? Die sexistischen Bedeutungszuschreibungen für wissenschaftliche Tätigkeit waren ganz offensichtlich wichtige Ressourcen, mittels derer die moderne Wissenschaft sich kulturelle Anerkennung verschaffte und verschafft, denn auf sie beziehen sich auch heute noch Wissenschaftler und Philosophen, um ihre Tätigkeiten zu rechtfertigen, zu begründen und zu erklären. Und sie dienen dazu, junge Leute (vor allem Männer) für Wissenschaft und Wissenschaftstheorie zu begeistern. Wie kann so etwas »sozial fortschrittlich« sein? Müssen wir nicht, fragt die Historikerin Joan Kelly-Gadol, wenn wir die Situation der Frauen als ebenso gesellschaftlich determiniert wie die der Männer begreifen, angeblich fortschrittliche Bewegungen hinsichtlich ihres Einflusses auf Frauen wie auf Männer - auf »ihre« wie auf »seine« Menschlichkeit - neu bewerten?[18] Warum sollten wir die Herausbildung der modernen Wissenschaft als großen Fortschritt für die Menschheit betrachten, wenn dadurch der gesellschaftliche Status der Hälfte dieser Menschheit sich entscheidend verschlechtert hat? Warum sollten wir davon ausgehen, daß die frauenfeindlichen Äußerungen zeitgenössischer Nobelpreisträger und herausragender Wissenschaftstheoretiker für die Bedeutung, welche die Wissenschaft für Wissenschaftler und Öffentlichkeit besitzt, unwichtig sind - vor allem, wenn wir andere Arten von Metaphern in der Wissenschaft als intrinsische Bestandteile des »Erkenntniswachstums« zu betrachten aufgefordert sind? Mir scheint, daß die Beweislast für die Schuldlosigkeit der Wissenschaft an der fortschreitenden Frauenfeindlichkeit bei den Anhängern der Wissenschaft liegt, nicht bei den Opfern dieser vergeschlechtlichten Bedeutungszuschreibungen.

Die gesellschaftliche Konstruktion menschlicher Sexualität

Die alltägliche Sinneswahrnehmung hat sich in den letzten Jahrzehnten so sehr verändert, daß die Annahmen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts bezüglich biologischer Geschlechtsunterschiede den Leserinnen und Lesern auf den ersten Blick so fremd und unverständlich erscheinen mögen wie die Ansichten eines mittelalterlichen Bauern oder der ursprünglichen »weiblichen Sammlerin«. Lillian Faderman schreibt, daß das, was heute als relativ amateurhaftes Transvestitentum angesehen würde, vor der Popularisierung freudianischer Theorien und androgyner Bekleidungsstile kaum entdeckt werden konnte. Kleidung galt als deutlicher Indikator des Geschlechts: »Was macht eine nach Freiheit verlangende Frau in einer Epoche, die noch keine geschlechtsneutrale Mode kennt, in der die Menschen glauben, daß die Kleidung unbezweifelbar das Geschlecht anzeigt und in der es keine Notwendigkeit gibt, das Geschlecht anhand von Gesichtszügen und Muskulatur zu bestimmen? Sie kann nur versuchen, für einen Mann gehalten zu werden.« 19 Unvorstellbar, daß die Kleidung einmal ein unzweideutiger Indikator für das Geschlecht gewesen ist! (Warum wir von ein paar Stunden hin und wieder abgesehen - uns derart mit dem Geschlecht von befreundeten und fremden Personen, die uns begegnen, beschäftigen sollten, ist eine andere und geheimnisvolle Sache.)
Simone de Beauvoirs Analyse in Das andere Geschlecht hat in eminenter Weise zur Entwicklung aktueller Theorien beigetragen, die untersuchen, auf welche Weise Sexualität, soziales Geschlecht und wahrgenommene Geschlechterdifferenzen gesellschaftlich konstruiert werden. Andere Beiträge zu diesem neuen Bewußtsein stammen von biologischen, historischen, anthropologischen und psychologischen Untersuchungen zur Veränderung und Vielfalt der Bedeutungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Diese Forschung steckt noch in den Kinderschuhen, und so ist es für die meisten von uns schwer zu begreifen, daß die Formen, in denen die geschlechtlichen und sexuellen Identitäten, Praxen und Wünsche (die eigenen wie die der anderen) sich manifestieren, nur zu einem sehr geringen Teil naturgegeben sind. Man kann die Rolle des wissenschaftlichen Weltbildes und der einzelnen Wissenschaften bei der Formung des biologischen wie des sozialen Geschlechts - des Sex/Gender-Systems - besser verstehen, wenn man die angeborene Formbarkeit sowohl des biologischen als auch des sozialen Geschlechts der Menschengattung zu begreifen beginnt. Darüber hinaus können wir, wenn wir diese Formbarkeit verstehen, uns besser vorstellen, warum die Überwindung des sozialen Geschlechts auch dann notwendig ist, wenn die Anti-Diskriminierungsmaßnahmen für Frauen in der Wissenschaft ihr Ziel erreichen sollten. Es gibt also eine ganze Reihe von Gründen, aus denen wir die Herausforderung begreifen sollten, die die Theorie der gesellschaftlichen Konstruktion für den biologischen Determinismus darstellt. Denn dieser ist nicht die ultima ratio angesichts der Erosion der Grenzen zwischen Natur und Kultur. [20] Der Ort der Frauen im Sex/Gender-System ist gesellschaftlich konstruiert, doch gilt das auch für die Männer. Für diese Behauptungen geben biologische, historische, anthropologische und psychologische Untersuchungen Beweismaterial an die Hand.
Beginnen wir mit der Biologie. Sexualforscher und -forscherinnen gehen davon aus, daß die menschliche Sexualität grundsätzlich äußerst formbar ist, und nicht durch genetische oder hormonale Strukturen streng determiniert wird.[21] Kinder werden als bisexuelle oder, mit Freud zu sprechen, »polymorph-perverse« Wesen geboren. Natürlich befruchten die Männer die Eizelle, und die Frauen tragen Kinder aus und stillen sie; die männlichen und weiblichen Entwicklungsprozesse, die diesen Unterschied im Fortpflanzungsverhalten darstellen, werden anhand von fünf biologischen Kriterien definiert: Gene oder Chromosomen, Hormone, Gonaden, innere Fortpflanzungsorgane, äußere Geschlechtsorgane. Doch der Abstand zwischen diesem biologischen Geschlechtsunterschied und der voll entfalteten Konstruktion vergeschlechtlichter und sexueller Identitäten, Verhaltensweisen, Rollen und Bedürfnisse, die den Erwachsenen ausmachen, ist groß, und er wird von der Kultur offensichtlich vollständig durchmessen. Forschungen zur sexuellen Identität von Hermaphroditen zeigen zum Beispiel, daß zwischen dem physiologischen Geschlecht des Kleinkinds und der endgültigen biologisch/ sozialen Geschlechtsidentität, die das Kind annimmt, eine vollständige Disjunktion besteht. Nicht das physiologische Geschlecht, sondern die Erwartenshaltung der Eltern bestimmt für das Kleinkind im Vorwege die geschlechtliche Identität des Erwachsenen.[22] Und was für diese Fälle gilt, die den Wissenschaftlern aufgrund ihrer Anomalität auffallen (schätzungsweise sind zwei bis drei Prozent aller Menschen Hermaphroditen), dürfte auch für den Rest von uns wahr sein: es ist die gesellschaftliche Erwartenshaltung, die biologisch-soziale Geschlechteridentitäten hervorbringt. Darüber hinaus sind, wie bereits angedeutet, unsere Erwartungen hinsichtlich der Biologie von sozialen Kräften geprägt. Forschungen zur Biologie und ihrer Geschichte lassen den Schluß zu, daß die gesellschaftliche Ordnung biologische Konzeptionen fördert, welche denen zu nützen scheinen, die nach Macht streben, sie verteidigen oder sie besitzen. Entsprechend revanchiert sich das wissenschaftliche Fach Biologie für die Unterstützung, die es sich von der gesellschaftlichen Ordnung leiht. In Ergänzung zu Merchant und Jordanova, die sich besonders mit der Rolle der Wissenschaften bei der geschichtlichen Verschiebung von Bedeutungen und Verhaltensformen der menschlichen Sexualität befassen, haben viele andere Autorinnen solche Verschiebungen innerhalb des allgemeineren Rahmens der Sozialgeschichte untersucht. Fadermans Buch analysiert, warum sich - vor der Popularisierung von Freud und vor der Frauenbewegung des neunzehnten Jahrhunderts - Männer und Frauen für das begeistert haben, was heute wohl als Lesbentum bezeichnet würde. In diesen früheren Kulturformen galten leidenschaftliche und lebenslange Freundschaften zwischen heterosexuellen Frauen als normal und wurden sogar von männlichen Autoritäten als moralische Vorbilder für die Freundschaft zwischen Menschen überhaupt angesehen. Diese Beziehungen, über deren sexuelle Komponente sich nichts mit Sicherheit sagen läßt, wurden erst zwischen 1880 und 1920 als lesbisch etikettiert.[23] Es waren die Jahre, die laut Rossiter ungefähr mit der Periode zusammenfielen, in denen die Frauen ihre erbittertsten Kämpfe um den gleichberechtigten Zugang zur Wissenschaft führten und verloren.[24] Fadermans Untersuchung ist eine Herausforderung für alle, die glauben, daß Heterosexualität zu jeder Zeit und an jedem Ort sich auf die gleichen Verhaltensweisen beziehen und die gleichen Bedeutungen besitzen muß. Und wie Merchant und Jordanova zeigt Faderman, wie die Angst der Männer vor der gesellschaftlichen Gleichberechtigung der Frauen (die in diesem Fall durch die Frauenbewegung des neunzehnten Jahrhunderts hervorgerufen wurde) mit den neu sich entwickelnden Wissenschaften eine für beide Teile nützliche und wertvolle Allianz einging. Psychoanalyse und biomedizinische Forschungen zum Geschlechtsunterschied erhielten ihre gesellschaftliche Legitimität, indem sie Bündnisse, Freundschaften, Beziehungen usw. zwischen unabhängigen Frauen als pathologisch definierten. Andere Historikerinnen und Historiker haben andere Aspekte der Konstruktion von Geschlechteridentitäten und gesellschaftlichen Bedeutungen untersucht. Jeffrey Weeks weist nach, wie eine mit dem Freudianismus verbundene repressive Gesetzgebung gegen (männliche) Homosexuelle um die Jahrhundertwende in Europa und Amerika die Herausbildung selbstbewußter männlich-homosexueller Gemeinschaften befördert hat. Michel Foucault beschreibt, auf welche Weise das masturbierende Kind, die hysterische (etymologisch: eine »wandernde Gebärmutter« besitzende) Frau und der homosexuelle Mann im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert als Objekte wissenschaftlicher Forschung erst geschaffen wurden. Im Gegensatz zur geläufigen Annahme, das viktorianische Zeitalter habe sich durch eine ungewöhnliche Unterdrückung der Diskurse über Sexualität ausgezeichnet, geht Foucault davon aus, daß die Kultur der damaligen Zeit an kaum etwas anderes habe denken können. Natürlich lassen sich (von uns so genannte) masturbatorische, hysterische und homosexuelle Verhaltensformen auch schon vor dieser Epoche nachweisen, doch war die definitorische Typisierung von Menschen anhand bestimmter (eher untergeordneter) Verhaltensweisen ein theoretisches und politisches Kunststück der Allianz von Wissenschaft und Politik - ein erfolgreicher Versuch, zugleich den Status von Wissenschaft anzuheben und all diejenigen mit gesellschaftlichen Sanktionen zu bedrohen, die sich ihre persönlichen Ausdrucks-und Verhaltensformen nicht von den Bedürfnissen des heraufziehenden Industriekapitalismus diktieren lassen wollten. Judith Walkowitz beschreibt, wie in England eine Gruppe von Menschen geschaffen wurde, die man als Prostituierte bezeichnete. Natürlich war die Prostitution keine Erfindung der jüngeren Geschichte, doch daß eine Kategorie von Personen als, sozusagen, lebenslängliche Prostituierte begrifflich bestimmt wurde, war ersichtlich eine kulturspezifische Erfindung. (Wie Walkowitz bemerkt, wurde diese Etikettierung ironischerweise durch die Bemühungen von Sozialreformern, die Prostitution zu beseitigen, noch unterstützt.) Die Veränderungen in den gesellschaftlichen Bedeutungen und Verhaltensweisen, die die westliche Kultur mit »Mann« und »Frau«, »männlich« und »weiblich« assoziiert, werden von vielen anderen Untersuchungen hinreichend dokumentiert.[25]
Die Theorien gesellschaftlicher Konstruktion in der neueren anthropologischen Literatur hinterlassen den Eindruck, daß es absolut nichts gibt - keine Bedeutung und kein Verhalten , was universell und kulturübergreifend mit Männlichkeit oder Weiblichkeit assoziiert werden kann. Was in einigen Gesellschaften für männlich gehalten wird, gilt in anderen als weiblich oder geschlechtsneutral und umgekehrt; die einzige Konstante scheint die Bedeutung der Dichotomie selbst zu sein. Die ursprünglich von Sherry Ortner vorgetragene Behauptung, in allen Gesellschaften werde Männlichkeit mit Kultur und Weiblichkeit mit Natur assoziiert - was für die von Merchant und Jordanova untersuchten westlichen Gesellschaften ganz offensichtlich ist - wird in zwei Aufsatzsammlungen aufgenommen und weiter erforscht.[26] Diese Untersuchungen geben zu bedenken, daß die Dichotomie von Natur und Kultur selbst genau so modern und westlich ist wie die besondere Art und Weise, auf die sie in unserer Gesellschaft und ihrer Vorstellung vom sozialen Geschlecht sich vermittelt. Moderne westliche Auffassungen vom biologischen und sozialen Geschlecht und die Dichotomie von Natur und Kultur haben sich wechselseitig beeinflußt. Von daher sollten wir auf der Basis dessen, was diese Unterschiede in unserer Gesellschaft bedeuten und bezeichnen, mit kulturübergreifenden Verallgemeinerungen nicht zu schnell bei der Hand sein. Einerseits zielen diese Studien darauf ab, die Universalität der Dichotomisierung jener sozialen Verhaltensformen und Bedeutungen, die in der westlichen Kultur mit Männlichkeit und Weiblichkeit assoziiert werden, in Frage zu stellen. So läßt zum Beispiel der in feministischen Arbeiten entwickelte Begriff eines universellen »absoluten Patriarchats« außer acht, auf welche mannigfaltige Weise verschiedene Kulturen Geschlechteridentitäten oder Praxisformen und Bedeutungen von Geschlechterverhältnissen ausgebildet haben. Darüber hinaus scheint die für das feministische Denken so wichtige Dichotomie von biologischem und sozialem Geschlecht dem Dualismus von Natur und Kultur nachgebildet zu sein. Wahrscheinlich sind unsere eigenen analytischen Kategorien auf verhängnisvolle Weise mit Echos und Spiegelbildern der von uns kritisierten Begriffe und Theorien durchsetzt. Andererseits gibt es keine in diesen anthropologischen Ansätzen untersuchte Gesellschaft, in der der Unterschied von sozialem und biologischem Geschlecht bedeutungslos wäre. Eine kleine, aber eng zusammenhängende Gruppe oppositioneller Anthropologinnen vertritt den Standpunkt, es habe zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten Geschlechterordnungen gegeben, die egalitär strukturiert waren (oder sind), weil sie auf der Grundlage eines komplementären und nicht oppositionellen Geschlechterverhältnisses konstruiert wurden.[27] Aber Komplementarität läßt sich ohne Differenz nicht denken. Darüber hinaus scheint, selbst wenn diese Anthropologinnen mit ihren Annahmen recht haben, männliche Vorherrschaft die Regel zu sein, die durch diese möglichen Ausnahmen höchstens bestätigt wird. Auf der eher spekulativen Seite anthropologischer Untersuchungen zur Variabilität der Geschlechter finden sich verschiedene Arbeiten, die zu rekonstruieren suchen, auf welche Weise männlich-dominante Formen der Sexualität und des sozialen Geschlechts in den Anfängen der Menschengeschichte entwickelt wurden. Gayle Rubins breit diskutierte Arbeit ist die feministische Neuinterpretation einer Theorie, in der sich Lévi-Strauss' Analyse der Verwandtschaftsbeziehungen mit einer Lacanschen Lesart von Freuds Analyse der Herausbildung des sozialen Geschlechts in den Individuen verbindet. Für Rubin sind erzwungene Heterosexualität, Heirat/Ehe und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung die Ursachen männlicher Vorherrschaft. Salvatore Cucchiari taucht sogar noch tiefer in das spärliche Material über die Ursprünge menschlicher Kulturen ein, um die Annahmen von Lévi-Strauss und der feministischen Anthropologinnen, die sich (wie etwa Rubin, Ortner und Michelle Rosaldo) auf ihn berufen, in Frage zu stellen. Cucchiari nimmt Höhlenmalereien als Beweismaterial dafür, daß die Entdeckung/Einführung biologischer Geschlechtsunterschiede, ausschließlich weiblicher Mutterschaft und schließlicher männlicher Vorherrschaft erst innerhalb der menschlichen Geschichte selbst und nicht davor - zum Gegenstand menschlicher Beobachtung und Bedeutung geworden ist. Im Gegensatz zu Lévi-Strauss und späteren feministischen Theoretikerinnen geht Cucchiari davon aus, daß die Beschäftigung mit der Dichotomisierung des sozialen Geschlechts nicht mit den Anfängen der menschlichen Kultur zusammenfiel, sondern nach der Erfindung von Werkzeugen und der Entwicklung von Sprache als unglückliche Lösung einer Spannung auftrat, die zwischen einer ursprünglich einheitlichen Welt menschlichen Denkens und Verhaltens und dem langsam sich entwickelnden Bewußtsein davon, daß nicht jeder Kinder gebären könne, entstand. Anthropologen beiderlei Geschlechts haben uns schon lange Klarheit darüber verschafft, daß selbst heute noch nicht jede Kultur einen Begriff von Vaterschaft besitzt: die »Hypothese«, daß Männer irgend etwas mit Empfängnis zu tun haben, ist eine theoretische Errungenschaft. Unsere Kultur ist so besessen von der biologischen und sozialen Differenz der Geschlechter, daß wir uns eine gesellschaftliche Welt, in der genitale Unterschiede - und von daher auch die Tatsache, daß nur Frauen Kinder gebären - unbemerkt blieben, nicht vorzustellen vermögen. Vielleicht macht die Anerkennung, daß die Entdeckung der Vaterschaft eine große Errungenschaft frühen theoretischen Denkens gewesen ist, den Vorschlag Cucchiaris plausibler, der besagt, daß die ausschließlich weibliche Mutterschaft, ja selbst die Differenz der Geschlechter in der Fortpflanzung vielleicht nicht immer selbstverständliche beobachtbare Gegebenheiten für Menschen gewesen sind.[28]
Schließlich haben der Freudschen Theorie verpflichtete psychologische Studien die gesellschaftliche Konstruktion von Sexualität und sozialem Geschlecht in bezug auf Individuen und Gruppen untersucht. Eine dieser Richtungen war von besonderem Einfluß auf feministische Wissenschaftskritikerinnen in Amerika, weil sie zeigt, auf welche Weise Frauen und Männer geschlechtsspezifische Modelle des eigenen Ich, der Anderen und der Natur entwickeln. Es handelt sich hierbei um die Theorie der »Objektbeziehungen«, die von D.W. Winnicott, Margaret Mahler, Harry Guntrip und anderen entwickelt wurde. Später ist sie von Nancy Chodorow, Dorothy Dinnerstein und Jane Flax innerhalb eines feministischen Rahmens interpretiert und weiterentwickelt worden.[29] Diese Theorie wird deshalb so genannt, weil sie die gesellschaftlichen/körperlichen Mechanismen beschreibt, mittels derer erwachsene Männer und Frauen sich selbst und ihre Beziehungen zur Welt auf sehr verschiedene Weise modellieren oder vergegenständlichen. In Kulturen, wo die Hege und Pflege der Kinder überwiegend in den Händen der Frauen liegt, müssen Kleinkinder männlichen wie weiblichen Geschlechts sich ausschließlich durch und gegen Frauen zu Individuen entwickeln. Dieser Kampf bringt für die werdenden Jungen und Mädchen unterschiedliche Modelle des Ich und seiner Beziehung zu anderen hervor. Weil die Entstehung des Geschlechts im menschlichen Individuum mit der Heranbildung des Neugeborenen zu einer gesellschaftlichen Person zusammenfällt, ist unsere je gesellschaftliche Identität, die wir als menschliche Wesen besitzen, von unseren biologisch-sexuellen Identitäten als Mann und Frau oder unseren sozialen männlich/weiblichen Geschlechtsidentitäten unabtrennbar.
Die Theorie der Objektbeziehungen geht davon aus, daß die biologische Geburt des Säuglings ein anderer Prozeß ist als die psychologische Geburt der gesellschaftlichen Person. Erstere ist ein Geschehnis von kurzer Dauer je nach Auffassung neun Monate oder ein paar Stunden), das von gesellschaftlichen Determinanten relativ unbeeinflußt bleibt. Letztere ist ein Prozeß, dessen grundlegende Stadien etwa drei Jahre umfassen und der starken sozialen Umwelteinflüssen unterliegt. Die psychologische Geburt ist die erste genuin menschliche Arbeit. Der Säugling ist alles andere als ein passiver Empfänger äußerer Reize, vielmehr kämpft er um die Entbindung aus seiner ursprünglichen Einheit mit der psycho-physischen Umwelt, welche die Personen darstellen, die für ihn sorgen. Diese Umwelt wird in Gesellschaften wie der unseren, die durch asymmetrisch bewertete geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gekennzeichnet ist, durch die Welt der Mutter dargestellt. Die erste soziale Arbeit des kleinen Kindes ist äußerst schwierig und schmerzvoll, weil es die symbiotische Einheit mit der mütterlichen Welt nicht verlassen oder aber zu ihr zurückkehren und zugleich eine Person für sich werden möchte. Und das Kleinkind ist den Plänen und Verhaltensweisen seiner primären Bezugspersonen in hohem Maße ausgeliefert, es ist seelisch und körperlich in allen Dingen des alltäglichen Lebens und in der Anerkennung seines Kampfes auf sie angewiesen. Für Kinder beiderlei Geschlechts ist die Welt, der sie entwachsen müssen und gegen die sie ihre eigene autonome Identität entdecken und entwickeln, in gewissem Sinne die gleiche: die Mutterwelt. Doch in einem anderen Sinn stellt sich diese Welt für die Kinder je nach Geschlecht sehr verschieden dar: die geschlechtsspezifisch differenzierten Erfahrungswelten beginnen mit der Geburt. Hier gehen die Theoretikerinnen davon aus, daß die männliche Persönlichkeit sich durch die Individuation und die Trennung von einer Person entwickelt, die der kleine Junge biologisch nicht werden kann und gegen die er Willens-und Kontrollmechanismen entwickeln muß, um nicht gesellschaftlich das zu werden, was sie ist: eine sozial abgewertete Frau. Ihr Körper, den er als in die ganze Mutterwelt eingebettet erfährt, wird das erste Modell für die Körper und Welten anderer Menschen - Personen, von denen er wahrnimmt, daß sie anders sind als er, und gegen die er, mit dem Risiko des Verlustes seiner Ich-Identität, ein starkes Gefühl für Abgrenzung und Kontrolle entwickeln und aufrechterhalten muß. Seine Ich-Grenzen werden relativ starr. Im Gegensatz dazu entwickelt sich die weibliche Persönlichkeit im Kampf des jungen Mädchens um Individuation und Trennung von einer Person, zu der sie nichtsdestotrotz de facto werden wird: eine sozial abgewertete Frau. Ihre Ich-Grenzen bleiben relativ dehnbar.
Die mütterliche Fürsorge äußert sich bei Mädchen sichtlich anders als bei Jungen. »Mütter neigen dazu, in ihren Töchtern eher die Ähnlichkeit mit und Kontinuität zu sich selbst zu sehen. Dementsprechend neigen Mädchen dazu, der dyadisch-symbiotischen Einheit der Mutter-Kind-Beziehung verhaftet zu bleiben. Das bedeutet, daß die Selbsterfahrung eines Mädchens darin besteht, fortwährend in Prozesse der Vereinigung und Trennung verwickelt und einer Zuneigung verhaftet zu sein, die durch primäre Identifikation und die Verschmelzung von Identifikation und Objektwahl charakterisiert ist.« Im Gegensatz dazu erfahren Mütter den Sohn als männlichen Gegensatz, so daß »Jungen sehr viel eher aus der präödipalen Bindung entlassen werden und die primären Bande der Liebe und Zuneigung zur Mutter kappen müssen«. Von daher hat die Entwicklung der Jungen »eine emphatischere Individuation und eine stärker auf Verteidigung bedachte Festigung der Ichgrenzen« zur Folge. Für Jungen, nicht aber für Mädchen »verbindet sich der Aspekt der Differenzierung und Individuation mit sexuellen Aspekten«.[30] Diesen Analysen zufolge wird Männlichkeit durch den erfolgreichen Vollzug der Trennung definiert, Weiblichkeit dagegen durch die Aufrechterhaltung von Zuneigung und Verbundenheit. Hier liegt die Ursache für die Bedrohung der männlichen Geschlechtsidentität durch unmittelbare Nähe oder durch die starke Identifikation mit den Bedürfnissen und Interessen bestimmter anderer Menschen, wohingegen die weibliche Identität durch die Trennung von anderen und durch zu geringe Identifikation mit den Bedürfnissen und Interessen anderer Menschen bedroht wird. Die Ausarbeitung von Regeln für soziale Interaktion hilft den Jungen, reibungslos funktionierende Beziehungen herzustellen, die zu ihrer Aufrechterhaltung (oder zur Aufrechterhaltung anderer Menschen in ihnen) nicht des persönlichen Engagements bedürfen. Dinnerstein ist der Ansicht, daß die ökologische Katastrophe und die Neigung zum Militarismus auf diesen Prozeß männlicher Vergeschlechtlichung zurückzuführen sind. Flax hat auf zentrale Strukturen im Denken von Plato, Descartes, Hobbes und Rousseau hingewiesen, die Ausdrucksformen der »normalen« Entwicklungshemmung bei männlichen Kleinkindern zu sein scheinen. Und Keller vermittelt einen kurzen Überblick über die Bedeutung der Theorie der Objektbeziehungen für die feministische Auseinandersetzung mit der Wissenschaft. Andere Analysen sind für die feministische Kritik am Androzentrismus in der Wissenschaft von Bedeutung: Carol Gilligans Buch über die Theorie moralischer Entwicklung benutzt die feministische Analyse der Objektbeziehungen zur Erklärung der Geschlechtsunterschiede, die sie in ihrer Untersuchung über die moralischen Konzeptionen amerikanischer Kinder und Erwachsener entdeckt hat, als sie danach fragte, was ein moralisches Problem konstituiert und wie solche Probleme gelöst werden sollten.[31] Die Regeln der wissenschaftlichen Forschung sind ebenso moralische Normen wie die Grundsätze, die wir für Entscheidungen im gesellschaftlichen Leben insgesamt zu Rate ziehen. Von daher sollte es uns nicht überraschen, in der wissenschaftlichen Methode und der wissenschaftlichen Rationalität männliche Konzeptionen der Beziehungen zu finden, die zwischen dem Ich, den Anderen und der Natur existieren sollten.[32] In einer anderen Untersuchung bezieht sich Isaac Balbus auf die Theorie der Objektbeziehungen, um darzustellen, daß wir in der Lage sein sollten, historisch und kulturspezifisch unterschiedliche Entwürfe von Natur und angemessenen menschlichen Beziehungen zur Natur zu erklären und vorherzusagen, indem wir auf die kulturellen Unterschiede hinsichtlich der Kindererziehung achten. [33]
Diese feministischen Neuinterpretationen der Theorie der Objektbeziehungen haben ihre Grenzen und sind nicht ohne Widerspruch geblieben. Sie sind auch nicht die einzigen, die sich auf Freud beziehen, um auf feministische Weise die gesellschaftliche Konstruktion der Geschlechter und der Sexualität in den Individuen zu beschreiben und zu erklären. Die psychoanalytische Theorie Lacans, die sich enger als die Theorie der Objektbeziehungen an Freuds Entwurf des ödipalen Dramas anlehnt, ist für französische und englische Feministinnen eine wichtige Quelle gewesen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß neuere Forschungen in der Biologie, der Geschichtswissenschaft, der Anthropologie und der Psychologie eine Konvergenz ihrer Ergebnisse aufweisen, angesichts derer die Annahme, das soziale Geschlecht und die Sexualität der Menschen seien in allen ihren Formen - der Identität, des Verhaltens, der Rollen und des Wunsches oder Begehrens - durch die für die Fortpflanzung notwendigen Geschlechtsunterschiede bedingt, absolut unglaubwürdig erscheint. Simone de Beauvoir weist darauf hin, daß Frauen nicht als solche geboren, sondern dazu gemacht werden; die neuere Literatur zeigt, daß nicht nur Frauen, sondern auch Männer gesellschaftlich konstruierte Wesen sind. Wenn die Männlichkeit der Wissenschaft nicht der Ausdruck biologisch gegebener Charakterzüge von Männern, sondern die expressive Form gesellschaftlich konstruierter Identitäten, Praxisformen und Bedürfnisse ist, und wenn darüber hinaus dieser »Maskulinismus« für Frauen ebenso gefährlich und verabscheuungswürdig ist wie für Männer - gilt ebendies dann auch für die intellektuellen, ethischen und politischen Strukturen der Wissenschaft?
In diesem kurzen Überblick über einige neue Forschungsbeiträge zur gesellschaftlichen Konstruktion von Sexualität und sozialem Geschlecht haben wir gesehen, daß viele dieser Untersuchungen die Wissenschaft in bestimmte historische Verschiebungen unmittelbar verwickelt sehen. Diese Verschiebungen betreffen die Bedeutungen und Verhaltensweisen, welche mit biologischer wie auch gesellschaftlicher Männlichkeit und Weiblichkeit assoziiert worden sind oder werden. Nicht nur in Ausnahmefällen stand die Wissenschaft auf der Seite der stärkeren, das heißt der männlichen und androzentrischen Bataillone und hat ihnen die definitorische Munition geliefert. Die Geschlechterordnung hat sich dafür des öfteren revanchiert und den sich entwickelnden Wissenschaften bei ihrem Versuch, gesellschaftliche Anerkennung zu finden, tätige Schützenhilfe geleistet. Auf diese Weise verbindet und verbündet sich die Wissenschaft, indem sie die gesellschaftliche Konstruktion des sozialen Geschlechts und der Sexualität betreibt, mit einer männlich dominierten Gesellschaftsordnung, welche die wissenschaftliche Autorität zum Zwecke der Ausweitung gesellschaftlicher Macht legitimiert. In der feministischen Kritik an diesem Bündnis wird die Wissenschaft am radikalsten in Frage gestellt.
Gerade die modernen Kulturen haben bestimmte Geschlechterverhältnisse herausgebildet, die auf der individuellen Ebene der biologisch-sozialen Geschlechteridentitäten und -verhaltensweisen, auf der gesellschaftlichen Ebene der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung und auf der Ebene des Geschlechtersymbolismus Charakterzüge aufweisen, anhand derer sich die tiefe und vielfältige Verstricktheit der Wissenschaft in die Entwicklung einer androzentrischen Kultur erklären läßt. Auch wenn wir hier erst am Anfang stehen, können wir zu begreifen beginnen, wie mystifizierend die Behauptung der Wissenschaft, sie sei objektiv, leidenschaftslos, wertfrei und von daher sozial fortschrittlich, sich ausmacht. Mit Virginia Woolf zu sprechen:

»Wie es aussieht, ist die Wissenschaft nicht geschlechtslos;
er ist ein Mann, ein Vater, und zudem verseucht.«