Argentinien

Frauenbewegung in Argentinien

Gegen Ende des letzten Jahrhunderts brachten europäische Einwanderlnnen sozialistisches und anarchistisches Gedankengut nach Argentinien. In diesen Theorien wurde die traditionelle Stellung der Frau hinterfragt und ihre Gleichberechtigung mit dem Mann postuliert. Gleichzeitig traten mehr und mehr Frauen ins Berufsleben ein.[1] Sie begannen, für ihre Rechte als Frauen im Beruf, in der Politik und vor dem Gesetz zu kämpfen, und begründeten damit die erste feministische Bewegung in Argentinien (Mercado, 20). Für Buenos Aires ist das Phänomen der weiblichen Lohnarbeit in jener Zeit am besten dokumentiert.[2] Hier arbeiteten die Frauen im Handels- und Dienstleistungsbereich, in der gerade entstehenden Industrie und als Hausangestellte, dem traditionellen Frauenberuf. Ihre Löhne lagen weit unter denen der Männer.[3]

  • »In vielen Produktionsbereichen wurden hauptsächlich Frauen beschäftigt, das gilt für die Herstellung von Zigaretten, Streichhölzern, Sandalen, Hüten, Handtaschen, Stoffen, Knöpfen, Bonbons, Keksen, Pappschachteln. Auch in Färbereien, Bügelstuben und Damenschneidereien arbeiteten vorwiegend Frauen.« (Mercado, 23) Viele Frauen verrichteten Heimarbeit. Allein die damit verbundenen langen Arbeitszeiten machten es den Frauen fast unmöglich, sich zusammenzuschließen, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. »Charakteristisch für diese Arbeit waren niedrige Löhne, schlechte sanitäre Bedingungen und lange Arbeitszeiten. Für den Fabrikanten war Heimarbeit vorteilhaft, weil er weder Maschinen noch Miete bezahlen mußte und die Lohnkosten geringer waren als für fest angestellte Arbeitskräfte.« (Ebd., 20) Das erste Arbeitsschutzgesetz für Frauen und Kinder (Ley 5.291 von 1907) galt nicht für Heimarbeiterinnen (ebd.). 1914 waren laut Zensus 21% der Beschäftigten Frauen. Auch im weiteren Verlauf des Jahrhunderts lag der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung nie über 25%.

Die Anfänge feministischer Kämpfe

1899 fand in London der Zweite Internationale Kongreß des Frauenrates statt. Unter den Teilnehmenden befand sich Cecilia Grierson, die erste weibliche Ärztin Argentiniens. Ein Jahr später gründete sie in Argentinien den Nationalen Frauenrat (Consejo Nacional de Mujeres), von dem sie sich später allerdings distanzierte, als er in seiner Ausrichtung zu konservativ wurde. Schon 1890 hatte der — auch in Argentinien so bezeichnete — »Club Vorwaerts«, in dem sich sozialistische Arbeiterinnen zusammengeschlossen hatten, eine Arbeitsschutzgesetzgebung gefordert. 1900 nahm die Sozialistische Arbeiterpartei Argentiniens die Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht in ihr Programm auf. 1912 wurde tatsächlich ein Gesetz zum »allgemeinen Wahlrecht« erlassen: Alle Männer, auch die, die nicht lesen und schreiben konnten, durften von nun an wählen. Den Frauen blieb das Wahlrecht noch bis 1947 versagt.
Von Anfang an gab es zwei Strömungen in der Frauenbewegung: die »weibliche«, die vor allem auf Reformen setzte, und die der Suffragetten und Sozialistinnen. Die Kontakte zwischen beiden Strömungen waren sehr schlecht. So schrieb Carolina Muzzili, eine militante Sozialistin und Feministin:

»Den Feminismus, der sich nur mit der Emanzipation der Intellektuellen beschäftigt, nenne ich einen Feminismus der Dilettantinnen (...) Es wird Zeit, daß dieser Hobby-Feminismus dem wirklichen Feminismus Platz macht, der Teil des Klassenkampfes ist. Sonst wird aus der Frauenbewegung eine rein aristokratische Bewegung zum Schutz jener Frauen, Arbeiterinnen, die keine Veranlassung haben, demütig um das zu bitten, was jedem menschlichen Geschöpf zusteht.« (Feijoo 1978)

Einigkeit zwischen ihnen bestand in der Forderung nach bürgerlichen Rechten, nicht jedoch in der nach politischen (also dem Wahlrecht, für das die konservativere Strömung nicht kämpfen wollte, weil sie den Zeitpunkt als verfrüht empfand), und noch viel weniger im Bereich des Arbeitsrechts. Der Nationale Frauenrat umschrieb seine Arbeit so: »Die Damen, die sich den Aufgaben dieser ehrenwerten Gesellschaft widmen, halten nichts von sektiererischen Feldzügen. Ihre Sorge gilt dem Schutz des Schwachen und des Unwissenden, der Liebe für alle Herzen, die der Zärtlichkeit bedürfen.« (Recalde, 19)
Für die Sozialistinnen war die Problematik der Frau direkt mit ihrer Situation als Arbeiterinnen verbunden. Außer feministischen Gruppen und Verbänden setzten sich auch Vertreterinnen anderer ideologischer Richtungen für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und sogar schon gegen sexuelle Gewalt ein: Arbeiterinnenorganisationen (z.B. der Club Vorwaerts), che sich vor allem als sozialistisch oder anarchistisch verstanden, Hygieniker und die katholische Kirche (ebd., 15ff.). In den konservativen oberen Schichten machte sich vereinzelt Interesse an der sozialen Frage bemerkbar, jedoch nur in bezug auf männliche Arbeiter. Die Herrschenden erkannten allmählich die Notwendigkeit, Mechanismen zur Regelung von Konflikten zwischen Arbeit und Kapital zu schaffen. Lohnarbeit von Frauen wurde in diesen Kreisen als Grund für die Auflösung der Familie angesehen (ebd., 22). Damals wie heute stellen Konservative sich gegen weibliche Erwerbsarbeit, weil sie 1. die Auflösung der Institution Familie befürchten, 2. behaupten, ein größeres Angebot an Arbeitskräften führe zwingenderweise zu Lohnsenkungen und 3. zu einem Ansteigen der männlichen Erwerbslosigkeit.
Die Haltung der Frauen zum Achtstundentag drückte Rosario Diario, eine Arbeiterin, 1896 auf einer Streikversammlung so aus:

»Genossinnen, keine möchte reden, daher will ich einmal etwas sagen: Wenn die Männer den Achtstundentag wollen, damit sie sich weiterbilden können und mehr Zeit haben, um mit den Kindern zu spielen, so wollen wir Frauen den Achtstundentag, um früher nach Hause zu kommen, die Hausarbeit zu erledigen und unsere Kleider flicken zu können.« (Zit.n. Mercado, 30)

Das Gesetz zum Schutz von Frauen und Kindern von 1907 wich stark von dem Gesetzesentwurf des sozialistischen Abgeordneten Alfredo Palacios ab. Sein Vorschlag, den Achtstundentag für Frauen einzuführen, war nicht übernommen worden. Statt dessen wurde eine Art Mutterschaftsurlaub nach der Geburt bei Erhalt des Arbeitsplatzes gesetzlich vorgeschrieben. Allerdings kam dieses Gesetz selten zur Anwendung. Einige wenige Erfolge im gesetzgeberischen Bereich konnte die Frauenbewegung jener Jahre also immerhin verzeichnen. Was einen Wandel des öffentlichen Bewußtseins, der Werte und Normen anging, so erreichte sie praktisch nichts.

Das Frauenwahlrecht

Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde das Frauenwahlrecht zum Hauptziel der Frauenbewegung. Viele neue Gruppen entstanden, um für seine Durchsetzung zu kämpfen. »Kampf« bedeutet hierbei, für Sozialistinnen ebenso wie für andere Frauen, Eingaben an die Legislative zu richten und im Höchstfall Flugblätter zu verteilen, nie nahm er Ausmaße wie in den Vereinigten Staaten an. Die Angaben sind widersprüchlich, doch kann man wohl davon ausgehen, daß rund 20 verschiedene Gesetzesentwürfe vorgelegt wurden. Klassenvorurteile gab es selbst unter den Feministinnen: Einige Gruppen waren dagegen, in das Frauenwahlrecht auch Analphabetinnen einzubeziehen.
Zwischen 1930 und 1946 erlebte die Industrie einen Aufschwung, der Wanderungsbewegungen vom Land in die Stadt zur Folge hatte. Vor allem Frauen zog es in die Stadt: Arbeiterinnen, Hausangestellte, Beamtinnen, Handelsangestellte, Lehrerinnen. Es waren jetzt nicht mehr vor allem europäische Emigrantinnen der ersten oder zweiten Generation, die das Bild der arbeitenden Frau prägten, sondern Argentinierinnen, die vor kurzem noch auf dem Land oder in kleineren Städten gelebt hatten. Dies hatte auch politische Auswirkungen. Viele Arbeiterinnen fühlten sich vom aufkommenden Peronismus angesprochen und nahmen an peronistischen Massenkundgebungen teil. Eva und Juan Peron waren Figuren, die es den Frauen erlaubten, sich mit gesellschaftlichem Aufstieg zu identifizieren und ein höheres Selbstbewußtsein zu erlangen.
Der Aufstieg Juan D. Perons am politischen Firmament führte zu einer parteipolitischen Neuorientierung der Frauenbewegung. Sie wird nun Teil der Opposition (Navarro 1981,176). 1947 bezeichnet Eva Peron sich selbst als »abanderada« (Fahnenträgerin) des Frauenwahlrechts, das im selben Jahr endlich Gesetz wird. Ihr Vorbild führt auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu einem stärkeren Engagement von Frauen (ebd., 183). Die feministischen Arbeiterinnen wandten sich immer mehr vom anti-peronistischen Flügel der Frauenbewegung ab. Auch von den Gewerkschaften fühlten sie sich nicht angemessen vertreten. Die größte Gewerkschaft des Landes, die CGT (Confederaciön General de Trabajadores), unterstützte ihre Forderungen zwar theoretisch, stand in der Praxis aber nicht auf der Seite der Frauen.
Unter der Regierung Peron wurde zum ersten Mal in Argentinien ein Scheidungsgesetz erlassen, das jedoch kaum ein Jahr (1955) in Kraft blieb. Der Widerstand konservativer Kräfte und der Katholischen Kirche, die das kanonische über das zivile Recht stellen konnte, hatte es zu Fall gebracht. Erst 1987 wurde die Scheidung wieder legal. Der Einfluß von Eva Peron führte dazu, daß 1952 17% der Abgeordneten Frauen waren. 1985 betrug der Anteil der Frauen nur 4,6%, im Senat waren sie immerhin mit 7,4% vertreten (Naumann-Stiftung 1987). Wie konnte es zu diesem Rückschritt kommen? Elena Tchalidy erinnert daran, daß es nach 1952 nur noch 1963, 1973 und 1983 Parlamentswahlen gegeben hat. Die Diskontinuität des demokratischen Systems, die Verbote oder Behinderungen politischer Parteien führten offensichtlich gerade bei Frauen zu einem stärkeren Rückzug von der Parteipolitik (ebd.). Bleibt anzumerken, daß auch Alfonsin sein Regierungsmandat vor Beendigung der Amtsperiode abgegeben hat.

1970 bis 1983

Auf dem Hintergrund einer Militärregierung und des Aufkommens der Guerilla tritt die Frauenbewegung zu Beginn der 70er Jahre wieder stärker in Erscheinung. Der Einfluß der europäischen und der US-amerikanischen Frauenbewegungen ist unverkennbar: Aus dem 1970 gegründeten Feministischen Bund Argentiniens (UFA) gehen zahlreiche Selbsterfahrungs- und Selbsthilfegruppen hervor. Immerhin erschien der UFA der Junta so gefährlich, daß sie gegen ihn vorging und er sich 1976 praktisch auflöste. 1972 entstand die Bewegung zur Feministischen Befreiung (MLF), die vor allem Willkür gegen Frauen anprangerte. Das Ende dieser Gruppe war dem der UFA ähnlich, doch gelang es der MLF, sich 1981 als Feministische Organisation Argentiniens (OEA) neu zu organisieren.
kam Peron noch einmal durch demokratische Wahlen an die Regierung, doch ein Militärputsch setzte seiner Amtszeit 1976 ein vorzeitiges Ende. In diesen drei Jahren wurden jene, die geglaubt hatten, Peron werde die frauenfreundliche Linie fortsetzen, bitter enttäuscht. 1973 wurden »die Verbreitung und der freie Verkauf von empfängnisverhütenden Mitteln« verboten (Cano). 1974 schloß die Regierung 67 medizinische Einrichtungen zur Familienplanung. UFA und MLF forderten daraufhin deren Rücktritt und wurden von der Regierung als »Imperialistinnen« und »Mannweiber« bezeichnet. Immerhin wurden unter dieser Regierung Peron zwei Gesetze verabschiedet, die das Wohl von Frauen im Auge hatten: ein Gesetz zur flächendeckenden Versorgung mit Kindergärten (das jedoch nie zur Anwendung kam) und ein Gesetz, demzufolge unverheirateten Frauen, die mit einem Mann zusammenlebten, nach dessen Tod seine Rente zugesprochen wurde (Feijoo/ Gogna 1985)
1974 starb Juan Peron. Seine Witwe, Maria Estela Martfnez de Peron, besser bekannt als Isabel Peron, wurde Präsidentin der Nation. 1975, im Internationalen Jahr der Frau, wurde unter Isabel Perons Vorsitz ein Frauenkongreß durchgeführt. Die Feministinnen wurden ausgeschlossen. Als Reaktion gründeten sie die Kampffront für die Frau (Frente de Lucha por la Mujer) (Archenti 1987). In ihrer Eigenschaft als Inhaberin der Exekutive blockierte Isabel Peron ein Gesetz, das erstmals auch Frauen die elterliche Gewalt gegeben hätte, nachdem dieses Gesetz schon durch beide Kammern gegangen war. Da im Land schon der Terror herrschte und die Feministinnen nicht schlagkräftig genug organisiert waren, kam es zu keinem nennenswerten Widerstand gegen das Veto der Präsidentin.
Unter der Militärdiktatur verschlechterte sich die Lage der Frauen noch mehr. Das Gesetz, das es nichtverheirateten Frauen ermöglicht hatte, die Rente ihres verstorbenen Lebensgefährten in Anspruch zu nehmen, wurde abgeschafft (Feijoo/Gogna 1985). Mord und Folter waren an der Tagesordnung, Konzentrationslager wurden errichtet, Menschen willkürlich verhaftet und entführt. Jede oppositionelle Regung sollte im Keim erstickt werden. Und doch entstanden auch in diesen Jahren einige feministische Organisationen: 1975 die sozialistische »Agrupaciön de Mujeres Socialistas«, 1976 »Derechos Iguales para la Mujer Argentina« (Gleiche Rechte für die argentinische Frau), 1977 die »Agrupaciön de Mujeres Argentinas« (AMA), die Verbindung zum linken Oppositionsbündnis »Frente de Izquierda Populär« unterhielt, und 1978 in Cördoba die »Asociaciön Juana Manso«. All diesen Gruppen ging es vorrangig um die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen.
1979 wurde die »Union de Mujeres Socialistas« unter dem Vorsitz der neunzigjährigen Alicia Moreau de Justo gegründet, die schon zu Beginn des Jahrhunderts in der Frauenbewegung aktiv gewesen war (Archenti 1987). Diese Gruppe sah ihre Aufgabe hauptsächlich im Kampf für Demokratie und Menschenrechte. Die Gruppe »Derechos Iguales para la Mujer Argentina« führte 1981 eine Kampagne zur Reformierung des schon erwähnten Gesetzes über die elterliche Gewalt durch, die immer noch allein beim Vater lag. Eine Änderung wurde zwar nicht erreicht, aber allein die Tatsache, daß in einer Periode starker Repression eine Frauengruppe mit politischen Forderungen an die Öffentlichkeit trat, kann als Erfolg verbucht werden (ebd.).
Die offizielle Propaganda wies der Frau die Rolle der Ehefrau und Mutter zu. Eltern wurden für die Taten ihrer Kinder verantwortlich gemacht. So lautete ein Propagandaslogan der Junta: »Wissen Sie, wo Ihr Kind sich in diesem Moment befindet?« Studentinnen, politische Aktivistinnen und weibliche Abgeordnete wurden verfolgt, gefoltert (auch bei bestehender Schwangerschaft) und ermordet. Informationen der CONADEP (einer Kommission, die nach 1983 zur Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen eingesetzt wurde) zufolge waren ca. 30% der Verschwundenen und Verhafteten Frauen (Feijoo/Gogna 1985). Im Gefängnis wurden den Frauen die Kinder weggenommen und zur Pflege in »gute Familien« gegeben.
In dieser Situation begann eine Frauengruppe von sich reden zu machen, die durch ihre Originalität und ihre moralische Stärke hervortrat, die sogenannten »Mütter der Plaza de Mayo«. Seit 1977 versammelten sie sich regelmäßig auf der Plaza de Mayo, an der das Regierungsgebäude steht, um auf das Schicksal ihrer Kinder aufmerksam zu machen und deren lebendige Rückkehr zu fordern. Abfällig wurden sie »die Verrückten der Plaza de Mayo« genannt. Die »Großmütter der Plaza de Mayo« versuchten herauszufinden, was aus ihren in Gefangenschaft geborenen Enkelkindern geworden war.
Mit dem Ausbruch des Falklandkrieges 1982 startete die Gruppe FEIMUS (Fundaciön para el Estudio de la Interrelaciön Mujer-Sociedad) eine Kampagne gegen den obligatorischen Militärdienst unter dem Namen »Mama, was wirst du im Frieden tun?«. 80 Jahre nach Einführung des obligatorischen Militärdienstes wurde er hier zum ersten Mal in Frage gestellt (ebd.).

Die Demokratie

Aus den demokratischen Wahlen von 1983 ging Raul Alfonsin als Sieger hervor. Seitdem hat es keinen erfolgreichen Putschversuch des Militärs mehr gegeben. Elena Tchalidy, Sozialistin und Feministin, faßt die Aktivitäten der Frauenbewegung in diesen ersten Jahren der Demokratie zusammen:

»Im Dezember '83 gründeten wir mit vielen Frauen zusammen die 'Multisectorial de la Mujer'. Das war das erste Mal, daß sich Frauen aus Parteien, feministischen Gruppen, Frauenverbänden, Gewerkschaften, ja zeitweise sogar aus religiösen Organisationen (wie dem 'Centro de Estudios Christianos') an einen Tisch setzten. Es ging damals um den nächsten Internationalen Tag der Frau, den 8. März 1984, der zum ersten Mal mit einem öffentlichen Festakt unter freiem Himmel gefeiert werden sollte. Dieser Akt fand dann auf der Plaza de los Dos Congresos statt. Wir einigten uns auf sieben Punkte und beschlossen, auch weiterhin zusammenzuarbeiten. Es ging uns hauptsächlich um zwei Themen: Kindergärten und ein Diskussionsforum über Frau und Arbeit, das es uns ermöglichte, Gewerkschafterinnen stärker in unsere Arbeit einzubeziehen. All diese Jahre ist es uns gelungen, den 8. März gemeinsam vorzubereiten. Jedes Jahr kommen Gruppen hinzu oder steigen aus, kommt es zu neuen Einigungen und Zerwürfnissen. Im allgemeinen beteiligen sich 35 bis 40 Organisationen am Aufruf der Multisectorial zum 8. März, und das Jahr über verbleiben ungefähr 15 Organisationen in der Multisectorial, die dann weiter an den Themen arbeiten, die am 8. März angesprochen wurden.
Kindergärten sind immer noch das Thema Nr. 1, da in dieser Hinsicht von offizieller Seite kaum etwas getan wird. Viele der Forderungen, die wir im ersten Jahr gestellt haben, sind inzwischen eingelöst worden: die elterliche Gewalt ist auf Mütter ausgedehnt worden, im Erbrecht sind die Kinder dem Gesetz nach gleichgestellt, es gibt ein Scheidungsrecht. Wir haben die Einrichtung eines Frauensekretariats gefordert, und es wurde immerhin ein Untersekretariat für die Frau geschaffen. Gewalt gegen Frauen, ein Thema, das seit 1985 auf unserer Tagesordnung steht, wird inzwischen öffentlich diskutiert, und die Leute nehmen Notiz von der Existenz dieses Problems. Man kann allerdings nicht behaupten, all diese Dinge seien allein der Multisectorial zu verdanken. Wir können höchstenfalls Anstöße geben. Vor allem richten wir unser Augenmerk darauf, was von der Gesellschaft verlangt wird und auch, was von ihr geleistet werden kann.
Die Arbeit des Untersekretariats für die Frau sehe ich positiv. Seine — hinter-fragungswürdige — ideologische Grundlage ist eine andere als die der Multisectorial.
Im Untersekretariat denkt man, man müsse Richtlinien und Ziele entwickeln, für deren Durchsetzung sich dann andere einsetzen sollen. Das ist eine Auffassung, die ihre Gültigkeit hat, aber ich finde, das Untersekretariat sollte auch ein Beispiel für das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgerinnen sein. Zum Beispiel könnte das Untersekretariat ein Pilotprojekt zu einem bestimmten Thema starten, wie etwa ein Haus für geschlagene Frauen.
Ich möchte dazu anmerken, daß das Untersekretariat speziell zu diesem Problem durchaus aktiv geworden ist. So hat es 1988 einen Kongreß organisiert, an dem sich 40 Zentren beteiligt haben. Das Ergebnis war ein wirkungsvolles Netzwerk von Organisationen, die im Bereich Gewalt gegen Frauen arbeiten.«

Nelly Casas, Journalistin, Feministin, und seit vielen Jahren politisch tätig, sagt in bezug auf die argentinische Frauenbewegung:

»In Argentinien und besonders in Buenos Aires und anderen großen Städten gibt es viele Frauengruppen und feministische Organisationen. Aus dieser Vielzahl und der logischen Meinungsvielfalt erklären sich die zahlreichen ideologischen Divergenzen und das bunte Spektrum von Bevölkerungsgruppen, die von den einzelnen Organisationen vertreten werden. Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn es beim Kampf um die Durchsetzung von Forderungen oft nicht genügend Zusammenhalt untereinander gibt, um eine solide und schlagkräftige Front zu bilden. Die Folgen zeigen sich in der Unterrepräsentation von Frauen in führenden Positionen in Politik, Gewerkschaften, Regierungsinstitutionen und anderen gesellschaftlichen Organisationen.« (Naumann-Stiftung 1987)

Dem wäre noch hinzuzufügen, daß Frauen auch in der Spitze der Universitätshierarchie unterrepräsentiert sind, obwohl ihr Anteil an den Lehrenden insgesamt recht hoch ist.
Frauen tragen besonders schwer an der chronischen Wirtschaftskrise, die sich seit der letzten Militärdiktatur noch beschleunigt hat. Die Reallöhne sinken immer weiter ab, während die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern und der Arbeitsmarkt von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung auf der einen Seite und Überbeschäftigung auf der anderen gekennzeichnet ist. Die Politiker stehen dieser Situation ziemlich tatenlos gegenüber, die Unternehmer versuchen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, und die Betroffenen selbst haben kaum Möglichkeiten, ihrem Protest wirksam Ausdruck zu verleihen bzw. eine Verbesserung ihrer Lage durchzusetzen. Am härtesten sind die vielen Frauen betroffen, die sich nicht politisch oder gewerkschaftlich engagieren, weil sie die Doppel- und Dreifachbelastung durch Haushalt und Kinder alleine tragen müssen und von Kindheit an dazu sozialisiert wurden, den Mund nicht aufzumachen, in der Passivität zu verharren (Recalde). Seit Beginn des Jahres 1989 hat die Inflation sich noch beschleunigt, zur Zeit liegt sie jeden Monat über 100%.
Am 27.5.89 demonstrierten 300 Frauen mit einem Trommelkonzert auf Töpfen und Pfannen vor dem Regierungsgebäude gegen die hohen
Lebenshaltungskosten und für billige Grundnahrungsmittel. Zu dieser Demonstration hatte die Organisation »Amas de Casa del Pais« (Hausfrauenbund) aufgerufen, sie wurde auch von der »Union de Mujeres Argentinas« unterstützt, die außerdem die Verstaatlichung der Banken forderte und verlangte, daß die Auslandsschulden nicht zurückgezahlt werden (Pagina 12 v. 27.5.89).

Aus dem Spanischen von Barbara Hauck

Nachwort
Ich widme diese Arbeit meiner Großmutter Martha Danziger,
die aus Liebe in Deutschland geblieben ist.
Meinem Großvater, der nach Verdun marschiert ist.
Meinen Eltern, die 39 ausgewandert sind.
Meine Großmutter hat vergeblich gewartet,
keiner kam wieder. Sie ging auf ihre letzte Fahrt ins KZ,
und kam auch nicht wieder.
Ich bin geboren im Süden der Neuen Welt
und »ging zurück« '89, genau 50 Jahre später,
voller Sehnsucht und Wehmut. Ich fand sie nicht,
aber ich lernte Europäerinnen kennen, mit denen
ich Interessen teile und die mir ihre Aufmerksamkeit gaben,
für die ich danke.
Ines Margarita Danziger, Buenos Aires