Arbeit und Familie

Als der Schriftsteller Richard Steele 1710 zu bestimmen versuchte, was eine Frau sei, tat er dies in einer für uns rätselhaften, doch für seine Zeit völlig plausiblen Weise: »Eine Frau ist eine Tochter, eine Schwester, eine Ehefrau und Mutter, ein bloßes Anhängsel der menschlichen Rasse.« (The Tatler, Nr. 172) Einer »anständigen Frau«, die es verdiente, von der Männerwelt gewürdigt zu werden, konnte so ehrend gedacht werden wie in der elisabethanischen Zeit der adligen Dame Marie Dudley auf ihrem Grabstein in St. Margaret's Westminster:

»Hier liegt Marie Dudley begraben, Tochter des William Howard von Effingham, zu seinen Lebzeiten Großadmiral von England. Haushofmeister und Lordsiegelbewahrer. Sie war die Enkelin von Thomas, Herzog von Norfolk . . . und die Schwester von Charles Howard, Graf von Nottingham, Großadmiral von England im Dienst seiner Königin Elisabeth, durch dessen glückliche Führung dank der Güte Gottes die gesamte Flotte Spaniens geschlagen und ihr schwere Verluste zugefügt werden konnten. Sie war zuerst mit Edward Sutton verheiratet, dann mit Lord Dudley und schließlich mit Richard Monpesson Esquire, der zum Gedenken an seine Liebe zu ihr dieses Denkmal für sie errichten ließ.«

Als eheliches Kind wurde ein Mädchen von Geburt an, gleich welcher sozialen Herkunft, definiert durch sein Verhältnis zu einem Mann. Erst der Vater, dann der Ehemann waren rechtlich für die Tochter bzw. Frau verantwortlich, sie sollte beide ehren und ihnen gehorchen. Vater und Ehemann sollten sie vor der harten Wirklichkeit einer von Gewalt regierten Welt schützen. Und man hielt sie für wirtschaftlich abhängig von dem Mann, der ihr Leben regierte. Die Pflicht eines Vaters bestand nach dieser Vorstellung darin, sich um seine Tochter zu kümmern, bis zur Heirat, für die der Vater oder ein Stellvertreter mit dem Bräutigam einen Ehevertrag aushandelte. Der Bräutigam erwartete am Hochzeitstag eine Kompensation dafür, daß er sie zu seiner künftigen Ehefrau erwählt hatte - die Mitgift. Danach mußte er für sie sorgen, aber die von ihr in die Ehe eingebrachte Mitgift war für die Gründung eines neuen Hausstandes entscheidend.
Dieses Verhaltensmuster wurde während der Frühen Neuzeit in den Mittel- und Oberschichten rigoros befolgt. Eheverträge für die Kinder auszuhandeln, galt als »das gewichtigste Geschäft«, das eine Familie zu besorgen hatte. Eine Tochter kostete ihre Familie Geld und Ressourcen; die Familie mußte deren künftiges Wohlergehen erkaufen, konnte aber im Idealfall durch die neue Verbindung ihren Status erhöhen. Die konkreten Bedingungen der Abhängigkeit einer Frau wurden sehr sorgfältig ausgehandelt.
Für die meisten Frauen galt dieses Verhaltensmuster jedoch nicht in gleicher Weise. In allen frühneuzeitlichen Gesellschaften erwartete man von Frauen der unteren Schichten, daß sie sich - ob ledig oder verheiratet - ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst verdienten. »Bedenke, mein liebes Mädchen«, heißt es in dem für heranwachsende Mädchen bestimmten A Present for a Serving Maid (1741), »daß Du kein Vermögen besitzt und diesem Mangel durch die Kraft Deiner Arme und Deines Kopfes abhelfen mußt. Du kannst nicht darauf hoffen, eine so gute Partie zu machen, daß keiner von euch Eheleuten arbeiten muß. und nur ein Tor wird ein Mädchen zur Frau nehmen, dessen Brot er allein durch seiner Hände Arbeit verdienen muß und das selbst überhaupt nichts zu seinem Lebensunterhalt beiträgt.« Kurz, die Vorstellung von der völlig abhängigen Tochter und Ehefrau wurde durch die beschränkten Ressourcen, über die ihr Vater und der mögliche Ehemann verfügten, in Frage gestellt.
Trotz der Verpflichtung, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu arbeiten, war es für die Gesellschaft undenkbar, daß eine Frau völlig unabhängig von einem Mann leben konnte oder gar sollte. Die alleinstehende, unabhängige Frau galt als widernatürlich und verabscheuungswürdig. Es war selbstverständlich, daß der Vater und der Ehemann ihr ein Heim boten und mithin teilweise für ihren Lebensunterhalt sorgten. Diese Vorstellung kam in den für Frauen üblichen Löhnen zum Ausdruck. Eine Frau erhielt weniger Lohn für ihre Arbeit, weil ihr ja ein Mann ein Dach über dem Kopf bot. Konnte eine Frau vor ihrer Heirat keine Arbeit finden, die ihr Verbleiben in der Familie finanziell gesichert hätte, so mußte man ein anderes schützendes Dach für sie suchen: Sie trat in den Haushalt ihres Dienstherrn ein. Dieser übernahm dann die Funktion des schützenden Mannes, war verantwortlich für Kost und Logis und stand in loco Pareiitis, bis sie sein Haus verließ, um eine andere Arbeit zu suchen, zu ihrer Familie zurückkehrte oder heiratete. Bei der Höhe ihres Lohns war einkalkuliert, daß sie Kost und Logis erhielt. Im Idealfall gab sie so wenig wie möglich davon aus; ihr Arbeitgeber legte das Geld für sie auf die hohe Kante und gab es ihr, wenn sie sein Haus verließ.

DAS ARBEITSLEBEN

Das Ziel, auf das eine ledige Frau hinarbeitete, war klar: Sie ersparte ihrer eigenen Familie, für ihren Lebensunterhalt aufkommen zu müssen und versuchte, eine Mitgift zusammenzubringen und bestimmte Fertigkeiten zu erwerben, um damit einen Mann zu finden. Von Kindheit an machten die Familie und die Gesellschaft, in der sie lebte, ihr klar, daß das Leben ein Kampf gegen zehrende Armut war und daß sie auf lange Sicht einen Ehemann brauchte, der ihr im Kampf ums Überleben Schutz und Beistand bieten könnte. Dieses Bewußtsein brachte ungefähr 80% der Mädchen auf dem Lande dazu, schon mit etwa zwölf Jahren - zwei Jahre früher als ihre Brüder ihre Familie zu verlassen und damit zu beginnen, all das zusammenzubringen, was sie für eine Heirat brauchten. Für die große Mehrheit der Mädchen im frühneuzeitlichen Europa begann damit eine zehn oder zwölf Jahre dauernde Phase ihres Arbeitslebens, und von ihrem Erfolg in dieser Zeit hing ihre Zukunft ab. Solche Aussichten mögen beängstigend und erschreckend gewesen sein, und auf diesem Weg gab es viele Fallstricke. Die Kindheit war kurz für die Töchter der Armen.

Arbeit in der Landwirtschaft

Als Töchter von Kleinbauern, Knechten oder Tagelöhnern verfügten sie nur über wenige Fertigkeiten, außer denen, die ihnen von ihren Müttern beigebracht worden waren: Sie konnten vielleicht nähen und spinnen, einfache Arbeiten auf dem Hof verrichten oder kleinere Kinder hüten. Die meisten Mädchen hofften auf eine Stelle als Magd in Kost und Logis auf einem Bauernhof, aber die Nachfrage nach solchen Stellen war größer als das Angebot. Stellen als Mägde gab es in der Landwirtschaft nur in Gebieten mit größeren Gütern, am zahlreichsten auf den auf Milchwirtschaft spezialisierten Höfen, wo das Melken. Buttern und die Käserei Frauenarbeit war. Diese Stellen waren heiß begehrt und hart umkämpft, weil sie der Magd die Möglichkeit boten, in der Nähe ihrer Familie zu bleiben und so ihr gewohntes Leben weiterzuführen. Manchmal wurden die Mägde jedoch nur ein Jahr oder sogar nur einige Monate beschäftigt.
In England wurden Knechte und Mägde zum Teil auf Gesindemärkten eingestellt. Gesetzlichen Regelungen zufolge sollten Arbeitslose sich am Martinstag (11. November) im nächstgelegenen Marktflecken einfinden und sich mit ihrem Werkzeug in den Händen als Arbeitskräfte anbieten. An diesem Tag standen Dienstmägde und Knechte, jeder in seiner typischen Arbeitskleidung, mit ihrem Arbeitsgerät auf dem Marktplatz und versuchten, die Aufmerksamkeit eines möglichen Herrn auf sich zu lenken. Die erfahrene Köchin trug einen Kochlöffel in ihrer Schürze, die Melkerin einen Melkschemel unter dem Arm. Sie handelten ihre Dienste mit einem Dienstherrn aus, und wenn die Sache abgemacht war, wurde der Martinstag zum Festtag. Daniel Defoe, der die Gesindemärkte zu Beginn des 18. Jahrhunderts beschrieben hat, schildert die »äußerst unverschämte« Art und Weise, in der das weibliche Gesinde seine Fähigkeiten anpries; und es gibt eine ganze Literatur, die den hohen Lohn der Landarbeiter auf die Verhandlungen darüber bei diesen Gesindemärkten zurückführt.[1] Doch überschätzt sie wohl die Rolle der Märkte für das Aushandeln des Lohns und ihre Bedeutung als Ort der Begegnung von Gesinde und Herren. Memoiren und Tagebücher weisen darauf hin, daß die meisten Dienstmägde über Familienverbindungen und Bekannte ihren Arbeitgebern empfohlen wurden und daß sie jahrelang bei ein- und demselben Herrn blieben.
In ganz. Europa wurden die meisten Stellen in der Landwirtschaft über Kontakte zwischen Familien vergeben. In Frankreich gibt es Hinweise darauf, daß in einigen Regionen, wie z. B. der Champagne, die Ausbreitung der Hausindustrie auch die Zahl der Mägde auf den Höfen anwachsen ließ: Sie konnten so in der toten Jahreszeit im Heimgewerbe tätig sein und ihre Stellung auf dem Hof behalten. Die Bedingungen, Arbeit in der Landwirtschaft zu finden, waren mithin je nach Region unterschiedlich. Insgesamt gesehen ist jedoch klar, daß Ende des 18. Jahrhunderts eine wachsende Zahl von Mädchen in diesem Sektor keine Arbeit mehr fand. Dies lag zum Teil am Bevölkerungswachstum, zum Teil am Aufkommen der kommerzialisierten Landwirtschaft und an größerer regionaler Spezialisierung. In anderen Gebieten führte die Überzahl an kleinsten Hofstätten, die aus dem Bevölkerungswachstum folgte, zur Verringerung des Viehbestands, so daß keine Magd gebraucht wurde. Wo keine Kuh mehr zu sehen war, gab es nur wenige Mägde.

Arbeit in der Stadt

Ein Mädchen, das keine Arbeit auf einem Bauernhof in der Nähe fand, orientierte sich in Richtung Stadt, die indes nicht notwendig weit entfernt sein mußte. Es mußte nur zum nächsten Städtchen mit 5-6000 Einwohnern gehen, um Arbeit als Dienstmädchen zu finden - die niedrigste Tätigkeit als Arbeitstier: Es mußte die schwere Wäsche zum Waschhaus bringen, die Latrine leeren. Körbe voll Gemüse vom Markt nach Hause schleppen, kochen und putzen. Die Nachfrage nach Dienstboten scheint in der Frühen Neuzeit stark angestiegen zu sein. Anzeichen dafür, daß es bestimmten Schichten der städtischen Gesellschaft immer besser ging und daß die angebotene Arbeitskraft billig war. Auch hier wiederum kam man durch Familienverbindungen und Kontakte zwischen Dorf und Stadt zu den besten Stellen. Gewöhnlich hatte ein junges Mädchen alle Arbeitsmöglichkeiten am Heimatort versucht, bevor es sich anderswo auf Arbeitssuche begab. Wenn es dies tat, so gewöhnlich auf einem festgelegten Weg, und an seinem Zielort fand es die Töchter von Nachbarn oder Verwandte in der Nachbarschaft vor. Kurz, junge Mädchen waren keine Pioniere, die Neuland betraten. Manchmal folgten sie einer bereits existierenden Wanderungsbewegung von Saisonarbeitern. So z. B. die Mädchen aus dem Zentralmassiv, die nach Montpellier oder Beziers gingen, um dort im Haushalt zu arbeiten: Ihre Brüder wanderten jedes Jahr dorthin, um bei der Weinlese zu helfen. Ein anderes Beispiel sind die Mädchen aus Südwales, die in London und Umgebung als Dienstmädchen arbeiteten: Sie hatten vielleicht ihre männlichen Verwandten auf dem Weg zur Arbeit in den Gemüse- und Obstgärten der Grafschaft Kern begleitet und erste Kontakte geknüpft, als sie Obst und Gemüse nach Covent Garden brachten.
Dienstbotinnen bildeten die größte Berufsgruppe mit ungefähr 12% der Gesamtbevölkerung einer Stadt (dies gilt für alle europäischen Städte) während des 17. und 18. Jahrhunderts. So schätzte Patrick Colquhoun die Zahl der Dienstboten beiderlei Geschlechts in London auf 200 000, darunter seien doppelt so viele Frauen wie Männer gewesen - was keineswegs ungewöhnlich gewesen wäre.[2] Volkszählungen wie in Würzburg und Amsterdam im 17. Jahrhundert zeigen, daß der Zustrom weiblicher Jugendlicher dem Altersaufbau der Bevölkerung eine spezifische Struktur gab. Ein Teil der zugewanderten Mädchen verließ noch vor ihrem 30. Lebensjahr wieder die Stadt; sie kehrten vielleicht mit ihren Ersparnissen in ihre Heimatdörfer zurück und heirateten dort. Zeitgenössische Beobachter meinten, die meisten Zuwanderer, die nur für eine bestimmte Zeit in der Stadt blieben, kämen aus Gegenden mit Kleinbesitz; die Hoffnung, zu heiraten und sich auf einem kleinen Hof niederzulassen, lockte die jungen Mädchen zurück in ihr Dorf. Gebiete mit großen Höfen verloren dagegen ihre Jugendlichen für immer, aus dem Dorfmädchen wurde eine Städterin. Wahrscheinlich hing viel davon ab. mit wem man in der Stadt zusammenkam und welche Aussichten sich einem bei einer eventuellen Rückkehr in das Heimatdorf boten.
Man kann sich leicht vorstellen, daß sich die Arbeitsstellen und Arbeitsbedingungen beträchtlich voneinander unterschieden, dies war weitgehend vom sozialen Status des Arbeitgebers abhängig. Dienstboten waren ein Indikator für den gesellschaftlichen Status, und da weibliche Arbeitskraft billig und reichlich vorhanden war, konnte sich selbst eine Familie mit bescheidenem Einkommen diesen Luxus leisten. Es war selbst für den größten aristokratischen Haushalt unüblich, mehr als 30 Dienstboten beiderlei Geschlechts zu beschäftigen, obgleich es Ausnahmen gab und bestimmte Familien des Hochadels, wie das Haus Orleans oder die Herzöge von Marlborough, Hunderte von Domestiken hatten. Der niedere Adel, die Gentry, und die reichsten Kaufleute der Großstädte hatten vielleicht sechs oder sieben Bedienstete. Als arm galt in der Frühen Neuzeit der Adlige, der nur drei Dienstboten hatte. Im Amsterdam des 17. Jahrhunderts dagegen, das mehr reiche Kaufleute zählte als jede andere europäische Stadt, waren ein bis zwei Bedienstete die Norm, und dies war vielleicht der gängige Durchschnitt in den europäischen Städten. Je weniger Dienstboten es in einem Hause gab. um so wahrscheinlicher war es, daß es sich um Frauen handelte. Es ist ebenfalls leicht vorstellbar, daß es unter den in einem adligen Haushalt beschäftigten Domestiken - Köche, Lakaien, Butler, Gesellschafterinnen und Hausdamen, Kammerzofen, Wäscherinnen, Küchenmädchen usw. - eine Hierarchie gab und daß die Frauen auf den unteren Stufen dieser Hierarchie zu finden waren. Bescheidenere Haushalte beschäftigten ein »Mädchen für alles«, ein Ausdruck, den es bezeichnenderweise in den meisten europäischen Sprachen gibt. Gesinde brauchte man überall: Kaufleute hatten ein Ladenmädchen, das auch die Ware austrug und Besorgungen machte; Wirte brauchten Kellnerinnen und Küchenhilfen; Ehefrauen, die im Familienbetrieb, einer Garküche oder Bäckerei arbeiteten, beschäftigten ein -Mädchen für alles«, das im Laden half, die Wäsche besorgte, Wasser holte und sich um das Kamin- und Herdfeuer kümmerte.
Die besten Stellungen erhielt man durch Beziehungen, aber auch durch den Aufstieg in der Dienstbotenhierarchie, wenn man Berufserfahrung gesammelt und sich bestimmte Fertigkeiten angeeignet hatte. Etwas Glück mußte man indes haben, und bestimmte Fähigkeiten mußte man von Anfang an mitbringen. Die Arbeitgeber achteten im allgemeinen darauf, daß ein Mädchen aus einer ehrbaren Familie kam und nicht irgendeinem Dieb aus der Verwandtschaft die Tür öffnen oder über Nacht mit dem Familiensilber verschwinden würde. Traditionell holten, sich die Adligen die Domestiken für ihr Stadthaus von ihren Besitzungen auf dem Lande. In einigen Gegenden Frankreichs, namentlich in der Bretagne und im Cotentin, gab die Gattin des örtlichen Seigneurs, die gewöhnlich Patin aller Mädchen des Dorfes war. ein Empfehlungsschreiben, oder aber der Pfarrer bürgte für ein Mädchen. In anderen Fällen begleitete ein in der Stadt lebender Verwandter, selbst ehemals oder immer noch Dienstbote, ein Mädchen, das sich bei einem Herrn vorstellen wollte. Die Verwandten betonten dann - wie Deborahs Tante gegenüber Mrs. Samuel Pepys" - die strenge Erziehung und gute Ausbildung, die das Mädchen genossen habe. Die Anforderungen an diese Erziehung wurden am Ende des 18. Jahrhunderts in Nordwesteuropa höher und vielfältiger. In Spanien begnügten sich Dienstherren in der Frühen Neuzeit damit, sich nach der gobernia des Mädchens zu erkundigen, d. h. nach der Erziehung innerhalb der Familie und der Vermittlung einiger Grundkenntnisse im Nähen und des Katechismus; sie erwarteten nicht, daß es lesen und schreiben konnte. In Nordwesteuropa dagegen verlangte man Ende des 18. Jahrhunderts von einem Mädchen, das eine Stellung in einem wohlsituierten Haushalt suchte und nicht nur Küchen- und Spülmädchen bleiben wollte, daß sie nicht völlige Analphabetin war und sich korrekt ausdrücken konnte - und selbstverständlich den geschickten Umgang mit Nadel und Faden.
Armenschulen, Dorfschulen und die petites ecoles, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts überall in Frankreich emporsprossen, waren vielleicht verantwortlich dafür, die Anforderungen an die Erziehung von Mädchen anzuheben, die sich um eine Stellung im Haushalt bemühten. In England hatte das aus der Armenschule kommende Mädchen in wohlsituierten Haushalten ganz sicher gewichtige Vorteile gegenüber anderen Arbeitssuchenden, denn man hatte ihm dort die Tugenden der Reinlichkeit und des gepflegten Äußeren beigebracht. Angesichts der Wohnsituation der Armen und der Schwierigkeit, Wasser zu bekommen und die Kleider wechseln zu können, war dieses Ideal nicht leicht zu erreichen. Nichtsdestotrotz waren die stärksten Trümpfe eines Mädchens, das sich an der Tür eines Arbeitgebers präsentierte, ein sauberes Kleid (wenn auch gestopft und ausgebessert), ein gestärkter Kragen und eine gestärkte Schürze (wenn auch alt), Strümpfe ohne Löcher und geputzte Schuhe. Es ist ein ernüchternder Gedanke, daß der Anfangserfolg in der Dienstbotenwelt vom wirksamen Gebrauch einiger Teelöffel Stärke bei der Kleider- und Wäschepflege abhängen konnte. Das Mädchen war in der Armenschule auch gelehrt worden, ehrerbietig, ehrlich, ernst und zurückhaltend zu sein. In der Welt der Dienstboten waren dies die Eigenschaften, die zählten.
Das Mädchen, das in einen Haushalt mit mehreren Bediensteten eintrat, lernte, in der Küche zu helfen und die Wäsche zu waschen, zu bügeln und auszubessern. Wenn es einige Jahre auf der untersten Stufe der Dienstbotenhierarchie damit verbracht hatte, Geschirr zu spülen und Böden zu schrubben. Feuer zu machen und zu unterhalten. Kohlen und Wasser zu holen und die Latrinen zu leeren, und dabei weiterhin sauber, hübsch und adrett aussah, konnte es hoffen, zum Hausmädchen aufzusteigen. Mit einer gehörigen Portion Glück, wozu auch gehören konnte, die Zudringlichkeiten ihres Herrn oder - wahrscheinlicher noch - männlicher Dienstboten abzuwehren, konnte sie weiter aufsteigen zum Zimmermädchen oder zur Zofe.
Auf jeder Stufe nach oben mußte sie jedoch mit anderen konkurrieren, oder ihr Aufstieg wurde durch die begrenzte Zahl von Stellen in dem Haushalt, dem sie angehörte, gebremst. Wenn sie ehrgeizig war, mußte sie in einen anderen Haushalt wechseln, »um vorwärts zu kommen«. Daher rührt die große Mobilität der Dienstboten am Ende des 18. Jahrhundert und das von der guten Gesellschaft so beklagte und aufgebauschte Verschwinden des »treuen Dieners«. Mobilität wurde möglich durch Dienstverträge, Empfehlungen und in England auch durch Anzeigen in Zeitungen. Auf den obersten Rängen der Dienstbotenhierarchie war die Konkurrenz indes groß, und eine Anzeige für die Stelle einer Kammerzofe brachte eine Flut von Bewerbungen.
Es gab jedoch viele Mädchen, die auf diesem Arbeitsmarkt nicht mithalten konnten, aber durch Verarmung bestimmter Regionen als Folge des Bevölkerungswachstums im 16. und 17. Jahrhundert dennoch gezwungen waren, ihr Dorf zu verlassen und in die Stadt zu gehen. Diese Mädchen waren bitterarm, unterernährt, rachitisch, pockennarbig, schmutzig und voller Läuse. Sie hatten in ihrer Kindheit nicht die Erziehung genossen, die für eine Anstellung selbst in einem bescheidenen Haushalt erforderlich war. Für die Mädchen ganzer Landstriche, im Falle Irlands einer ganzen Nation, war es, sobald sie einen Fuß in englische Großstädte setzten, durch die Armut, aus der sie kamen, von vornherein ausgeschlossen, irgendeine anständige Stellung als Dienstmagd zu finden.
Der Dienst im Haushalt umfaßte also ganz unterschiedliche Positionen und Arbeitsbedingungen: Einem kleinen Teil der Dienstboten gelang es aufzusteigen, und am Ende der Karriereleiter konnte ein erfolgreiches Dienstmädchen - wenn sie etwa Mitte zwanzig war - es zum Zimmermädchen oder zur Zofe gebracht und eine beachtliche Summe gespart haben. Die Höhe ihrer Ersparnisse hing wesentlich davon ab, ob sie regelmäßig etwas zurücklegen konnte, ohne einen Teil ihres Lohnes ihrer Familie abgeben oder Zeiten von Krankheit und Arbeitslosigkeit überbrücken zu müssen. Uns sollte jedoch klar sein, daß sie zu einer kleinen Minderheit unter den Dienstboten gehörte. Am unteren Ende der Karriereleiter standen die zahlreichen Verliererinnen, die in erbärmlichen und schwierigsten Verhältnissen lebten, von der Gnade des Arbeitgebers abhängig waren und unablässig arbeiten mußten, um ihre mageren Ersparnisse nicht angreifen zu müssen. Ein Dienstmädchen, das ungewollt schwanger wurde, entließ man einfach. In der Mitte lagen diejenigen, die im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren fünfzig Pfund ihr eigen nennen konnten: sicherlich eine bescheidene Summe, aber ein persönlicher Triumph.

Frauen in der Hausindustrie

In bestimmten hausindustriellen Regionen, die weibliche Arbeitskräfte brauchten, war die Dienstmagd in Wirklichkeit eine Textilarbeiterin. Billige weibliche Arbeitskräfte waren entscheidend für die Entwicklung der Textilindustrie in Europa, z. B. im Lyoner Seidengewerbe. Seide war ein teurer und empfindlicher Stoff, der für die Reichen bestimmt war; der gesamte Fabrikationsprozeß von Seide vollzog sich in Werkstätten in der Stadt unter Aufsicht eines Meisters. Weibliche Arbeitskräfte wurden gebraucht, um die Seidenraupen aus den Kokons zu holen, die Seide zu haspeln und zu spulen, den Schützen durch das Fach zu werfen und so komplizierte Muster zu v/eben. Die Arbeit der Männer bestand darin, den Seidenstuhl zu bedienen, Schäfte und Lade zu bewegen. Zu jeder Werkstatt gehörten mindestens drei bis vier Mädchen, ein Lehrjunge, der Meister und seine Frau; in der gesamten Seidenindustrie waren fünfmal mehr Frauen als Männer beschäftigt. Diese weiblichen Arbeitskräfte kamen aus den Dörfern der Umgebung, Mädchen wurden aus dem dürren, unfruchtbaren Forez und der hügeligen Dauphine ins Haus des Meisters gebracht, das gleichzeitig Werkstatt war. Sie schliefen in Wandnischen und -schränken oder unter den Seidenstühlen, ihr Lohn wurde vom Meister einbehalten. Mädchen im Alter von zwölf oder vierzehn Jahren begannen mit der niedrigsten Tätigkeit: Sie haspelten die Seide, saßen gebeugt über Wannen mit kochendem Wasser, in das die Kokons getaucht wurden, um das Serizin, die klebrige Substanz, die den Kokon zusammenhielt, aufzulösen. Ihre Kleider waren ständig feucht und ihre Finger wurden gefühllos. Schlimmer noch, in den Werkstätten wütete die Schwindsucht. Doch wenn die Seidenarbeiterin vierzehn Jahre durchhielt ohne lange Zeiten der Arbeitslosigkeit - Konjunktureinbrüche waren häufig, und man setzte die Mädchen dann ohne große Umstände vor die Tür - und zur Weberin aufsteigen konnte, dann hatte sie am Ende nicht nur eine hübsche Geldsumme gespart, sondern zugleich einen Beruf erlernt. Sie war dann die ideale Ehefrau für den ehrgeizigen Gesellen, denn sie konnte ihn mit dem nötigen Geld für den Erwerb des Meisterbriefs versehen und in einer neugegründeten Werkstatt mitarbeiten.
Spitzen wurden ebenfalls in Heimarbeit hergestellt; ein junges Mädchen konnte damit ihre Aussteuer verdienen. Dieser Gewerbezweig war insofern einzigartig, als die Herstellung von Spitzen vom Kauf des Garns bis zum Verkauf an den Großhändler gewöhnlich ganz in Frauenhand lag. Spitzen waren das teuerste textile Erzeugnis in Europa. In der Mitte des 18. Jahrhunderts kostete der Meter Seide etwa 10 Schillinge, der Meter Spitzen dagegen ungefähr 20 Pfund. Ihr Wert beruhte allein auf der Handarbeit, die nur in vielen Jahren zu erlernen war. Doch der Lohn einer Spitzenklöpplerin gehörte zu den niedrigsten Frauenlöhnen. In Frankreich konnte man sich mit der Arbeit eines Tages vielleicht einige Pfund Brot kaufen. In einigen Regionen gab es zehntausende von Spitzenklöpplerinnen. In den Gegenden, in denen die besten Spitzen hergestellt wurden, namentlich in Flandern und im Pays du Velay in Frankreich, hatten philanthropische Bemühungen das scheinbar Unmögliche erreicht: Durch das Klöppeln von Spitzen konnten die Mädchen sich langsam eine Mitgift zusammensparen. In Flandern brachten Nonnen in Klöstern den Mädchen unentgeltlich das Klöppeln bei; wenn die Mädchen in diesem Gewerbe tätig wurden, halfen sie ihnen, eine kleine Geldsumme auf die hohe Kante zu legen. Nach ihrer Heirat konnten sie selbständig als Klöpplerinnen arbeiten oder aber in den Klosterwerkstätten, wo sie weder Heizung noch Licht bezahlen mußten. Im Velay gab es solche Konvente nicht, aber die Beates. Gemeinschaften frommer Frauen, die mit Hilfe von Spenden in Le Puy kostenlose Schlafstätten für Klöpplerinnen unterhielten, den Verkauf der Spitzen an die Kaufleute übernahmen und darauf sahen, daß die Frauen auch den besten Preis erhielten. Vom eingenommenen Erlös zogen sie etwas Kostgeld ab und legten den Rest auf die hohe Kante, damit die Mädchen ihre kostbare Mitgift zusammensparen konnten. Nach der Heirat konnte die Spitzenklöpplerin zuhause arbeiten, aber die Beates unterhielten auf Bitten der Dörfer auch Gemeindehäuser, in denen die Frauen zusammenkommen konnten und sich die Kosten für Licht und eine Suppe teilten.
Die Produktion von Seide und Spitzen war mithin darauf zugeschnitten, Mädchen in die Stadt zu bringen, ihnen ein Handwerk beizubringen und ihnen zu helfen, eine Mitgift zusammenzusparen. Zwei Gruppen von Frauen indes hatten sich um 1600 von der Vorstellung gelöst, eine Frau benötige eine Mitgift in klingender Münze, um einen Ehemann zu bekommen. Das Erlernen eines Handwerks, vielleicht noch eine Aussteuer - Wäsche, ein Bett und ein Schrank - waren ihrer Meinung nach völlig ausreichend. Dies war zum einen dort möglich, wo die gewerbliche Produktion auf dem Lande schnell wuchs und das Einkommen aus der Textilproduktion die Einkünfte aus der Landwirtschaft übertraf, und zum anderen bei den kleinen Handwerkern und Gewerbetreibenden in den Städten.
Auf den für das Textilgewerbe produzierenden Dörfern arbeiteten ledige Frauen nur dann in der Hausindustrie, wenn sie glaubten, daß sie mit dieser Arbeit langfristig ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Dazu mußte der Lohn höher sein und regelmäßiger einkommen als das. was man mit der Saisonarbeit auf dem Lande, dem Spinnen von Wolle oder Flachs im Winter, verdienen konnte. Die jungen Männer und Frauen der Gemeinde mußten überzeugt sein, daß sie mit den Einkünften aus der Textilproduktion einen neuen Hausstand gründen oder bei ihren Eltern leben konnten. Das Rohmaterial erhielten sie vom Kaufmann oder Verleger, dem sie ihre Erzeugnisse verkauften. Unter diesen Bedingungen blieben die jungen Leute in ihrem Dorf. Ging es mit der Textilindustrie bergab, gerieten sie in bittere Armut, blieben aber gleichwohl am Ort, weil sie sich daran klammerten, daß es schon bald wieder aufwärts gehen werde. Aber mit der Zeit mußten ihre Nachkommen sich entschließen, das Dorf zu verlassen und entweder als Dienstboten in die Stadt zu gehen oder aber in eine andere Region mit blühenderem Gewerbe zu ziehen. Vielleicht entwickelte sich in ihrem Dorf langsam, doch sicher nicht über Nacht, ein anderer Produktionszweig, so wie im Devon, wo an die Stelle der Herstellung von Serge schrittweise die Knopfproduktion trat; doch dies war keineswegs zwangsläufig der Fall. Als die Tuchproduktion des Languedoc im 18. Jahrhundert zugrunde ging, wurde aus dem bienenfleißigem Weberort Clermont de Lodeve eine Geisterstadt.
In diesen Dörfern mit hausindustrieller Produktion heiratete man untereinander, und man heiratete früh, denn man mußte keine riesige Summe ansparen, um einen Hof zu pachten und Vieh zu kaufen. Ging es jedoch mit der Hausindustrie bergab, schob man die Heirat hinaus und folglich fiel die Geburtenrate.
Ein Mädchen aus einer Arbeiterfamilie in einer Mittel- oder Großstadt wurde nur selten Dienstmädchen oder Textilarbeiterin, außer vielleicht in einigen großen Industriestädten. Die Volkszählungen zeigen, daß es einen der wenigen ihm offenstehenden Berufswege einschlug: Es ging ins Bekleidungsgewerbe und wurde Schneiderin, Mantelnäherin, Hutmacherin, Handschuhmacherin oder Stickerin oder in den Dienstleistungssektor und wurde Wäscherin, Straßenverkäuferin oder Marktfrau. Oder aber es arbeitete, und dies war vielleicht am häufigsten, daheim im Familienbetrieb mit.
Zweifellos waren die Arbeitsmöglichkeiten für Mädchen in den meisten  europäischen  Städten  durch  die  Beschränkungen der Zünfte begrenzt, welche die Welt der qualifizierten Arbeit in der Stadt mehr oder weniger umfassend reglementierten. Die Töchter und Frauen von Handwerkern und Gewerbetreibenden arbeiteten dennoch mit, aber die Zünfte beobachteten im allgemeinen die Versuche von Frauen, auf ihrem Terrain tätig zu werden, mit großem Argwohn. Ganz besonders hatten sie Angst davor, daß eine Frau für weniger Geld arbeiten und so die Löhne der Gesellen unterbieten könnte. Widerstand gegen Frauen kam in von Zünften reglementierten Produktionszweigen weniger von den Meistern als vielmehr von ihren Gesellen. Gab es Arbeit in Hülle und Fülle und waren die Arbeitskräfte knapp, dann zeigten sich die Zünfte relativ tolerant und waren geneigt wegzusehen, wenn auch Frauen im Gewebe tätig waren. Wurden die Zeiten jedoch härter, nahmen sie eine abwehrende Haltung ein. So zwangen im 16. Jahrhundert die Augsburger Schneider die Frauen urplötzlich dazu, nur noch Schürzen und Wäsche herzustellen, während sie in besseren Zeiten zugelassen hatten, daß Frauen auch in anderen Bereichen des Bekleidungsgewerbes tätig wurden.
Ende des 18. Jahrhunderts verschwanden die Zünfte in England und Frankreich sehr schnell. Selbst dann fanden Frauen leichter Arbeit in neueren Gewerben wie der Hutmacherei und der Herstellung von Mänteln und Umhängen, die keine mittelalterlichen Vorläufer hatten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts vergrößerten sich die Arbeitsmöglichkeiten für Frauen - erstaunlich ist. daß die Zahl der arbeitssuchenden Frauen stieg, sobald sich ein neuer Arbeitsmarkt für sie eröffnete - und folglich sanken die Löhne. Die Arbeit wurde als »Frauenarbeit« angesehen und entsprechend entlohnt. Campbells Jahrbuch für Londoner Kaufleute ordnete 1762 alle Stellen im Konfektionsgewerbe, in denen Frauen arbeiteten, den niedrigsten Lohnstufen zu; die für solchen Hungerlohn arbeitenden Frauen bildeten das Reservoir der Prostitution.
In den Familien unterhalb der wohlsituierten Handwerker war es eher die Mutter als der Vater, die darüber entschied, welchen Beruf ihre Tochter ergriff. Die Tochter einer Wäscherin wurde Wäscherin, die Tochter einer Näherin wurde Näherin, die Tochter eines Schankwirts blieb im Flause und servierte Bier und Speisen. Diese Tendenz von Eltern in der Stadt, ihre Töchter bei sich arbeiten zu lassen, erklärt vielleicht die relativ geringe Zahl erhaltener Lehrverträge für Mädchen.
Tatsächlich gehörten die Mädchen, die sich um eine ordentliche Lehre bemühten, zu zwei Gruppen: Entweder waren sie Waisen, denen die Waisenhäuser eine sichere Arbeitsstelle besorgen wollten oder aber Mädchen, deren Eltern sie nicht beschäftigen konnten und die keine Verwandten hatten, z. B. eine Tante, die Schneiderin war und ihr helfen konnte. Diese beiden Gruppen suchten nicht etwa deshalb eine Lehrstelle, weil die Ausbildung dem Mädchen eine bessere Stellung garantieren würde, sondern weil man mit einer richtigen Lehre sicher war, daß es überhaupt eine richtige Anstellung finden würde. In Genf machten Mädchen im 17. Jahrhundert eine Lehre, um die Herstellung von Uhrketten, Schlüsseln und Rädchen für Uhren oder von Spitzen und Knöpfen zu erlernen. Bei den Waisenhäusern standen diese Zweige einer »Berufsausbildung« indes nicht in hohem Ansehen, sie erschienen ihnen trotz des Lehrvertrags als unsicher; sie meinten, eine Anstellung als Dienstbotin sei besser. Die englischen Armenschulen teilten diese Auffassung voll und ganz. Sie weigerten sich, ihre Schülerinnen in die Textilmanufakturen zu geben, da man sich in diesem unsicheren Gewerbe von einem Tag auf den anderen ohne einen Pfennig auf der Straße wiederfinden konnte. Die Sicherheit einer Frau wurden am besten durch die Arbeit bei einem Verwandten garantiert, und wenn es diesen nicht gab, durch eine feste, anständige Anstellung als Dienstmädchen.

HEIRAT

Die meisten Frauen heirateten tatsächlich und folgten damit dem herrschenden Verhaltensmuster. Von 1550 bis 1800 schwankte der Prozentsatz der Frauen, die unverheiratet im Alter von fünfzig Jahren starben, zwischen 5 und 25%. In der Mitte des 17. Jahrhunderts lag er am höchsten, sank aber während des folgenden Jahrhunderts sehr rasch, so daß man davon ausgehen kann, daß der Prozentsatz lediger Frauen Ende des 18. Jahrhunderts knapp unter 10% lag. In Frankreich heirateten im 17. Jahrhundert mehr Frauen als in England, doch dann begann die Zahl der ledigen Frauen zu steigen: Lim 1789 waren etwa 14% der Frauen, die nach Vollendung ihres 50. Lebensjahres starben, nie verheiratet gewesen. Im 17. Jahrhundert lag das durchschnittliche Heiratsalter der englischen Frauen bei 26 Jahren, fiel dann aber und lag am Ende des 18. Jahrhunderts knapp über 23 Jahren. In Frankreich stieg das durchschnittliche Heiratsalter von 22 Jahren zu Beginn des 17. Jahrhunderts schrittweise bis auf 26 1/2 Jahre am Vorabend der Revolution an.[4] Diese völlig gegensätzlichen Verhaltensmuster werden von den Demographen mit dem generativen Verhalten der ländlichen Bevölkerung erklärt. Sinkendes Heiratsalter bedeutet ihnen zufolge größeres Angebot an Arbeitsplätzen, höhere Löhne und eine größere Zahl verfügbarer Hofstätten. Sinkende Reallöhne in Frankreich am Ende des 18. Jahrhunderts trieben das Heiratsalter in die Höhe, weil die Paare längere Zeit arbeiten mußten, um das Geld zusammenzusparen, mit dem sie einen Hof pachten und Arbeitsgerät und Vieh anschaffen konnten. Eher steigende Arbeitslöhne und stabile Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse hatten in England zu Beginn des 18. Jahrhunderts die entgegengesetzte Wirkung: Sie verringerten die Zahl der dauerhaft Ehelosen und ließen das Heiratsalter sinken. Die für die Niederlande vorliegenden Zahlen weisen darauf hin, daß die während des 17. Jahrhunderts größtenteils herrschende Prosperität frühere Eheschließungen förderte, daß dann aber die schwierigeren Bedingungen in der Landwirtschaft und der Niedergang in der Industrie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu späterer Heirat und zur Zunahme der dauerhaft Ehelosen führten.
Die Frauen des Adels und der Mittelschichten hatten weniger Heiratschancen als Arbeiterinnen. Im 18. Jahrhundert war mehr als ein Drittel der Töchter der schottischen Aristokratie unverheiratet, und ihre Zahl lag bei den englischen Peers fast ebenso hoch. Dies erklärt sich weitgehend aus dem starken Anstieg der zu zahlenden Mitgift. Mehr als eine Tochter versorgen zu müssen brachte selbst die wohlhabendsten Familien an den Rand des Ruins. Ein oder zwei Töchter wurden verheiratet, um Familienverbindungen zu knüpfen und den Familienstatus zu wahren, aber die anderen blieben im elterlichen Haus oder lebten, wenn sie älter waren, bescheiden auf einem Gut. das nach ihrem Tod an die Familie zurückfiel. Während adlige Männer bürgerliche Frauen aus einer reichen Familie ehelichen konnten, durften aristokratische Frauen nicht außerhalb ihres Standes heiraten. Eine solche Heirat hätte Schande über ihre Familie und über sie selbst gebracht, weil eine Ehefrau den Status ihres Ehemannes annahm. Auch für Frauen der Mittelschichten, die aus einer vielköpfigen Familie kamen, waren die Möglichkeiten begrenzt. Die älteste Tochter fand noch einen Ehemann, der nächsten half vielleicht eine verwitwete Tante, aber die finanziellen Mittel der Familie waren begrenzt und reichten nicht für alle. Hinzu kam, daß diejenigen Töchter, die sich nicht verheiraten konnten, über geringeren finanziellen Rückhalt verfügten als aristokratische »Fräulein«.
In den sozialen Gruppen, in denen sich die Frauen selbst ihre Mitgift zusammensparen mußten, hatten es alle Töchter leichter, einen Ehemann zu finden. Wechselfälle der Konjunktur, niedrige Löhne und hohe Grundrenten oder Mangel an Hofstellen konnten jedoch dazu führen, später zu heiraten. Der Rektor von Bletchley schilderte die Schwierigkeiten eines jungen Paares in seiner Pfarre so:

»Will Wood junior möchte sich mit Henry Travels Tochter verheiraten, dem hübschesten Mädchen im Sprengel. Er versteht sich nicht mit seiner Großmutter (die nicht über die Mittel verfügt, ihm eine Hofstelle zu verschaffen)... Die Zeiten sind sehr hart und kleine Höfe schwer zu finden, denn man hegt immer mehr Land ein und fügt es zu großen Gütern zusammen. Das macht es so schwierig für junge Leute, sich zu verheiraten wie einst; ich kenne den Sprengel seit langem, mehrere Bauern wünschten nichts sehnlicher als zu heiraten und sich auf einem Hof niederzulassen, fanden aber kein geeignetes Stück Land.«[5]

Hier mußte also offenkundig ein junges Paar warten, bis eine Hofstelle frei wurde. In Gegenden, in denen es eine eingesessene Hausindustrie gab und junge Leute auch ohne große Ersparnisse an die Gründung eines Hausstands denken konnte, konnte das Heiratsalter sinken. Selbst in diesem Fall mußte das junge Paar jedoch soviel zusammensparen, um einige Möbel. Bettdecken, Kochgeschirr, Hühner, eine Ziege oder ein Schwein anzuschaffen. Es gab aber auch eine Gesellschaftsschicht, in der wirtschaftliche Erwägungen keine Rolle bei der Wahl des Ehegatten spielten, weil keiner der beiden künftigen Eheleute etwas besaß außer seiner Arbeitskraft. In englischen oder skandinavischen Dörfern widersetzte sich die Gemeinde (einschließlich des Pfarrers und des Friedensrichters) einer solchen Eheschließung, die nur die Zahl der Armen erhöht hätte.
In den Städten gab es gegen Ehen zwischen Besitzlosen nur wenig einzuwenden. Doch solche Paare, wie tief ihre Gefühle füreinander auch sein mochten, waren Gefangene ihres Schicksals. Wenn sie nicht in prosperierenden Gewerben eine Anstellung fanden, waren sie zur Armut verdammt, eine Aussicht, die stark abschreckend wirken mußte und wohl eine dauerhafte Beziehung unmöglich machte.
Wer als Ehemann in Frage kam, hing selbstverständlich davon ab, welcher gesellschaftlichen Schicht die Frau angehörte, bisweilen auch davon, das wievielte Kind sie war, denn die älteste Tochter aus einer Oberschichtfamilie genoß gewöhnlich Vorrang, und schließlich davon, wie hoch die Mitgift war. Insgesamt gesehen heirateten Frauen keine sozial unter ihnen stehenden Männer. Eine adlige Erbin hatte die beste Auswahl. Die Töchter von evangelischen Pastoren, von Ärzten und Anwälten heirateten Männer, die denselben Beruf wie ihre Väter ausübten, und festigten damit die beruflichen Verbindungen des Vaters. Mägde heirateten Knechte und hofften, mit ihrer beider Ersparnisse auf eine Hofstätte zu kommen. Ein Mädchen, das sich in der Stadt als Dienstbotin verdingt hatte, konnte jedoch durchaus mit ihrem Ersparten ins Dorf zurückkehren und Frau eines Kleinbauern werden, so wie viele Jungen vom Lande, die in der Stadt eine Lehre gemacht hatten, hofften, nach Hause zurückzukommen und Bauern zu werden. Aber wer aus einer Gegend mit großen Gütern in die Stadt gezogen war, hatte geringe Chancen, in das Heimatdorf zurückzukehren. So zum Beispiel die Kinder der Beauce, in der es große Höfe und wenig Arbeit gab: Die jungen Leute gingen nach Chartres (mit begrenzter Nachfrage nach Arbeitskräften),  Orleans (vielversprechender) und - unvermeidlich - nach Paris mit seinen anscheinend unbegrenzten Arbeitsmöglichkeiten. Sie kehrten nicht in ihr Heimatdorf zurück - wen heirateten sie also?
Eine Minderheit von Dienstmädchen heiratete Dienstboten, eine Minderheit solcher Paare blieb zusammen im Haushalt des Dienstherrn, denn die Zahl der Stellen für derartige »Dienstbotenpaare« war begrenzt. In der Regel legten sie ihre Ersparnisse zusammen und eröffneten ein Geschäft, einen Ausschank, ein Café oder handelten mit Lebensmitteln. Häufig war der hauptsächliche Kontakt eines Dienstmädchens mit dem anderen Geschlecht der mit Lehrjungen, die an der Hintertür Waren ablieferten. Wirtshausmägde heirateten Bauarbeiter, andere ehelichten Händler und machten ein Gasthaus auf. In Gegenden mit hausindustrieller Produktion heirateten Spinnerinnen Kardierer oder Weber. In den Städten waren die zahlreichen ungelernten Arbeitskräfte - Blumenverkäuferinnen, Hausiererinnen mit Kurzwaren oder Lastenträgerinnen -, die keine Mitgift besaßen oder sie wegen Krankheit und Arbeislosigkeit nicht zusammengebracht hatten, zwar vom Heiratsmarkt nicht völlig ausgeschlossen, konnten aber, da sie nicht über Ersparnisse oder - ersatzweise - eine Ausbildung verfügten, nur auf einen Mann hoffen, der sich in einer ähnlichen Lage befand. Wirtschaftliche Beweggründe waren, wie die Quellen zeigen, entscheidend für die Wahl des Partners; dies schloß indes Zuneigung und Liebe nicht aus. Die Ehe wurde als eine Einrichtung angesehen, die beiden Partnern Beistand und Hilfe bot; ein klarer Blick für die ökonomischen Erfordernisse war überlebensnotwendig.
Die Ehe galt nicht allein als gleichsam natürliches Schicksal einer Frau, sie bewirkte zugleich eine Metamorphose: Als Teil eines neuen Haushaltes, der Grundeinheit, auf der jede Gesellschaft aufbaute, wurde die Frau zu einen anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wesen. Ihr Ehemann hatte für ein Dach über dem Kopf und den Unterhalt zu sorgen, er zahlte Steuern und vertrat den Haushalt in der Gemeinde. Die Ehefrau war Gefährtin und Mutter. In den höheren Gesellschaftsschichten wurde die Frau zur Hausherrin. die den Haushalt führte, den Dienstboten befahl, mit Hilfe eines Verwalters Landgüter führte und für ihren Gatten Empfänge organisierte. Die äußere Erscheinung und Würde der Frau bestätigten den Status des Mannes. Auch die evangelische Pfarrersfrau hatte eine genau umrissene Rolle an der Seite ihres Mannes zu spielen. Die Bäuerin unterstützte die Familienökonomie in vielfältiger Weise, je nachdem, was der Hof produzierte. Das Vieh versorgen, sich um den Gemüsegarten und die Bienenstöcke kümmern, Einmachen, Nähen und Ausbessern, bei der Ernte helfen, die der Familie zustehende Nachlese auf den Feldern - dies Arbeit und Familie alles gehörte zu den für den Haushalt entscheidenden Diensten, die der Bäuerin zufielen. Nur selten jedoch wurde ihre Arbeit in Geldwert ausgedrückt, obgleich ihre Tätigkeit für das Wohlergehen einer Familie wesentlich war und eine faule Ehefrau als Fluch galt. In einigen Gegenden konnten Frauen gegen Lohn in der Hausindustrie, in der Landwirtschaft oder sogar im Straßenbau arbeiten, doch änderte dies nichts an der Vorstellung, eine Frau habe sich um die nicht entlohnten häuslichen Aufgaben zu kümmern, statt zum Unterhalt der Familie beizutragen. Auf dem Lande nahmen Frauen, wenn sie verheiratet und mit den Kindern und der Arbeit auf dem Hof belastet waren, nur soviel zusätzliche Arbeit an, wie sie als unbedingt notwendig für das Überleben ihrer Familie ansahen. Unabdingbar war in ihren Augen, ausreichend zu essen, ein geheiztes Haus und keine Schulden zu haben. Kurz, sie suchten nur dann Arbeit, wenn ihre Familie zusätzliche Einkünfte brauchte. Ansonsten stand die Arbeit in der Familie und auf dem Hof an erster Stelle, und diese war hart, lang und anstrengend. In unfruchtbaren und wasserarmen Gegenden schleppten Frauen das Wasser zu den hochgelegenen Terrassen, die sie selbst angelegt und eimerweise mit Erde angefüllt hatten. Sie stachen und trockneten Torf, sammelten Kelp,[6] Feuerholz und am Wegesrand Grünzeug als Hasenfutter. Sie molken Ziegen und Kühe, zogen Gemüse, sammelten Kastanien und Kräuter. Die englischen, zum Teil auch die irischen und holländischen Bauern heizten gewöhnlich mit getrocknetem Dung; er wurde von den Frauen eingesammelt und in der Nähe des häuslichen Herdes getrocknet. Mähen und Ernten waren schwere Arbeiten, und Unkraut jäten mußte man bei jedem Wetter. Kein Wunder, daß die Frauen das Spinnen liebten; es gab ihnen die Gelegenheit, ein paar Stunden im Sitzen zu arbeiten.
Am Ende des 18. Jahrhunderts ist in vielen Gegenden zu beobachten, daß sich die Tätigkeiten der Frauen auf dem Lande verändert hatten. Zum Teil lag dies am Bevölkerungswachstum: Es verknappte die Zahl der Höfe, die eine Familie ernähren konnten, ließ die Löhne sinken, die Preise steigen und brachte geschäftstüchtige Grundbesitzer dazu, die Weiderechte und die Ährenlese auf den abgeernteten Feldern einzuschränken. Immer mehr verheiratete Frauen mußten sich so als Tagelöhnerinnen verdingen und in der Saison auf den Gemüsefeldern von Großgrundbesitzern Unkraut hacken und jäten. In England beschnitt jedoch die Einführung schwererer Arbeitsgeräte (Sense statt Sichel, Einführung der Dreschmaschine) ihre Arbeitsmöglichkeiten während der Ernte. Überall scheint es mehr und mehr verheiratete Frauen gegeben zu haben, die sich um Arbeit in der Heimindustrie bemühten und es ihren Ehemännern überließen, den kleinen Hof zu bestellen, oder vielleicht sogar die Viehhaltung und zeitraubende Feldarbeit aufgaben.
Bezeichnenderweise kam  es  Ende des  18. Jahrhunderts  zu  einer regionalen Spezialisierung der heimindustriellen Produktion. In einigen Fällen bot sie nur Arbeit für Frauen und zog damit zwischen den Beschäftigungen und Arbeitsräumen der Geschlechter eine Trennungslinie. In den Spitzen produzierenden Dörfern in Buckinghamshire oder im Pays de Velay klöppelten Frauen täglich zwölf bis sechzehn Stunden, im allgemeinen gemeinsam in einem Haus, um die Kosten für das Licht zu teilen, während die Männer ihr winziges Stück Land bestellten oder Schafe hüteten. Dagegen arbeiteten in der Kammgarnproduktion im North Riding von Yorkshire oder in den Baumwollmanufakturen um Barcelona, Rouen und Troyes beide Eheleute in der gewerblichen Produktion, und diese Tätigkeit wurde mehr und mehr zur Haupteinnahmequelle. Der steigende Pachtzins für »cottages« drückte nicht den realen Wert des Bodens aus, sondern den Wert, in einer Gegend mit einer Verdienstchancen bietenden Heimindustrie zu leben.
Jedoch war die Ansiedlung von Industrie keineswegs zwangsläufig in unfruchtbaren Gebieten mit einem großen Reservoir weiblicher Arbeitskräfte. Im Zentralmassiv, den Pyrenäen, in vielen Dörfern in den Alpen, im walisischen Binnenland, dem größten Teil Südirlands und in den schottischen Highlands gab es keine nennenswerte ländliche Gewerbeproduktion; die Erwachsenen mußten sich als Wanderarbeiter anderswo Arbeit suchen. Im allgemeinen waren dies die Männer, die Frauen blieben daheim, doch mußte dies nicht immer so sein. Walisische Frauen und ihre Kinder wanderten im Sommer nach Kent. ernteten dort Obst und Gemüse, das sie nach Covent Garden brachten. Die Frauen des schottischen Hochlands zogen mit ihren Männern in die Lowlands. Die Frauen von Massat in den Pyrenäen gingen mit ihren Kindern im Winter nach Toulouse und bettelten auf den Stufen von Saint-Sernin, während ihre Ehemänner als Kesselflicker in Spanien durch das Tal des Ebro zogen.
Zumeist jedoch übernahm in vielen gebirgigen und unfruchtbaren Gegenden, in denen ein kleiner Hof die Familie nicht ernähren konnte, die Frau für einige Monate oder sogar Jahre die Landwirtschaft, während ihr Mann für die Saison oder für längere Zeit das heimatliche Dorf verließ und anderswo Arbeit suchte. Bisweilen ging es nur darum, den Hof in der Zeit zwischen dem Pflügen und der Ernte zu versorgen; der von der Saisonarbeit wie z. B. dem Schornsteinfegen heimkehrende Mann übernahm dann die schweren Arbeiten auf dem Hof. In manchen Fällen gingen die Männer nur im Winter fort: Die Bauern aus Savoyen und der Auvergne, der Toskana, den Pyrenäen und Irland zogen dann in die Großstädte, - nach Paris, Bordeaux, Zaragoza, Valladolid, Livorno und London, je nach der regionalen Tradition - und suchten Arbeit im Hafen, schleppten Holz und Kohlen, verrichteten jede Arbeit, für die gerade jemand gebraucht wurde. In anderen Fällen verließen die Männer im Sommer die Dörfer: So zogen sie aus dem Zentralmassiv zur Weinlese in den Midi. Oder aber sie gingen für mehrere Jahre fort: Aus den heutigen französischen Departements Correze und Aveyron wanderte ein ganzer Strom verheirateter und lediger Männer nach Spanien und bot dort in den Häfen seine Arbeitskraft an. Die Männer blieben zwei bis neun Jahre fort; während dieser Zeit führten ihre Frauen allein und vollverantwortlich den Hof. Auch die irischen Männer blieben lange Zeit fort: die Ausbreitung des Kartoffelanbaus, den die Frauen allein bewerkstelligen konnten, machte dies möglich. Mit dem Lohn ihrer Arbeit konnten sie die Pacht für den Hof und die Rückreise bezahlen. Überall war die Arbeit der Frau notwendig, um den Hof zu bewirtschaften und die hungrigen Mäuler der Kinder zu stopfen.
Für die Stadt sind allgemeine Aussagen über die Rolle der Ehefrau in der Familienökonomie nicht leicht zu treffen. Viel hing vom Stadttypus und den damit verbundenen Arbeitsmöglichkeiten ab. Doch sieht man auch hier die Frau an der Seite ihres Mannes arbeiten und manchmal konnte sie eine unabhängigere Position einnehmen.
Im Familienunternehmen eines Druckers oder Webers konnte die Frau die Arbeit einteilen und selbst mitarbeiten (Tinte anrühren, die Lettern säubern, Tuch oder Band abmessen), vor allem aber führte sie die Bücher. In vielen Handelshäusern bedeutender Großstädte wie Amsterdam und London übernahm die Frau des Kaufmanns die Buchhaltung. Selbst der im 18. Jahrhundert lebende Brauer Thrale, der seiner Frau die Küchenarbeit verbot, sah nichts Ehrenrühriges darin, daß sie die Bücher führte - und dies mit Erfolg, denn sie war die bessere Geschäftsfrau. In ärmeren Schichten verkaufte die Frau fast alles, was ihr Mann hergestellt hatte. Oder sie betrieben einen eigenen Kleinhandel auf dem Markt, in einem Laden oder einfach an der Straßenecke. In vielen Städten war den Frauen durch das Stadtrecht, die Zunftbestimmungen oder städtische Verordnungen untersagt, auf eigene Rechnung Handel zu treiben. In Oxford zum Beispiel stand dies im 16. und 17. Jahrhundert nur Bürgern und ihren Witwen zu. Dennoch, es waren die Frauen, die Erzeugnisse feilboten, wenn auch nur im Namen ihres Ehemannes. Der Laden oder Marktstand war auf seinen Namen gemietet, aber die Verkäuferin war seine Frau. So brachten die Fischweiber von Amsterdam, Marseille, Paris, Glasgow, Edinburgh oder London auf dem Markt ihre Ware »an den Mann«, während die Fischer ihren Fang en gros verkauften. Die Metzger schlachteten das Vieh und zerteilten es, ihre Frauen hingegen verkauften Kutteln, Wurstbrät und Blutwurst. Covent Garden und die Pariser Halles waren voller Marktfrauen, die alle möglichen Lebensmittel verkauften, von Eiern und Käse bis zu Obst. Sie spielten auch im Korn- und Mehlhandel eine Rolle. Als George Morland einen »Higgler« malen wollte - pittoreske Bezeichnung für einen Zwischenhändler, der einem Bauern seine Produkte abkaufte und in der Stadt wieder verkaufte -, stellte er ihn als Frau dar. Auf dem Lissabonner Terreiro de Paco gab es 1699 31 zugelassene Brotverkäuferinnen; drei von ihnen hatten ein sehr großes Geschäft und gleichsam das Monopol für den Brotverkauf auf diesem Hauptplatz der Stadt. Ihre Ehemänner umgingen wahrscheinlich die Kontrolle der Zunft, indem sie außerhalb der Stadt buken.
Es gab einen Handelszweig, der vorrangig und ziemlich unabhängig von der Tätigkeit ihrer Ehemänner von verheirateten Frauen betrieben wurde: der Handel mit gebrauchter Kleidung, ein Handelszweig von nicht zu unterschätzender Bedeutung im frühneuzeitlichen Europa. Der Großteil der Bevölkerung kaufte keine neuen Kleider. Kinder trugen abgelegte oder umgearbeitete Kleider von Erwachsenen. In schweren Zeiten veräußerten die Armen ihre Kleider (die besten zuerst) und kauften sich, wenn die Zeiten wieder besser wurden, beim Kleiderhändler andere gebrauchte Kleidung. Für dieses Geschäft brauchte man nur wenig Kapital, seine Grundlage waren die Beziehungen zwischen den Frauen. Mütter tauschten Kinderkleidung bei einer Zwischenhändlerin ein; Dienstmädchen trugen abgelegte Kleider ihrer Herrschaft und mußten so ihren Lohn nicht angreifen: die Kleider der Verstorbenen wurden von den Erben entweder gleich zu Geld gemacht oder eingetauscht. Gewöhnlich hatten die aus Männern bestehenden Zünfte nichts dagegen, daß Frauen diesen Handel betrieben, doch gab es Ausnahmen. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage in der Mitte des 16. Jahrhunderts beschloß der Augsburger Rat auf Druck der Hausiererzunft, die Tätigkeit von Frauen im Haus-zu-Haus-Verkauf einzuschränken und sie sogar nicht mehr als geschworene Kleiderhändlerinnen anzuerkennen. Solche Maßnahmen waren allerdings nur von kurzer Dauer; sobald die Zeiten besser wurden, ging der Handel mit gebrauchten Kleidern, in dem es nur wenig zu verdienen gab, wieder in Frauenhand über.
Dem klugen Dienstmädchen wurde in der zeitgenössischen Ratgeberliteratur empfohlen, seine Mitgift am besten langfristig in ein kleines Geschäft zu investieren. So habe die Frau nach dem Tode ihres Ehemannes einen Rückhalt, von dem sie als Witwe leben könnte. Der Ehemann brauchte sich darum nicht zu kümmern, dies war allein ihre Sache." Typische Geschäfte waren eine Taverne, ein Ausschank oder eine kleine biwerie, eine Teestube oder ein Kaffeehaus, die in englischen und holländischen Städten in Mode waren, der Verkauf von Süßigkeiten oder fertigen Gerichten - der Zugang zu den beiden letzten  Gewerben  war  in  manchen  Städten  durch  Zünfte  beschränkt. Manchmal bestand das Geschäft jedoch nur darin, für andere Haushalte in der Nachbarschaft zu kochen oder für die Leute in der Straße Schmalz oder Blutwurst zu machen. Die Frauen stützten sich dabei auf die Berufserfahrung, die sie vor der Ehe gesammelt hatten.
Die verheiratete Frau in Stadt und Land hatte sehr oft mehrere Beschäftigungen gleichzeitig, von denen keine eine Vollzeittätigkeit war. Als Marktfrau arbeitete sie nur an Markttagen, als Wäscherin nur einige Tage im Monat bei bestimmten Familien. Da gab es Kinder zu hüten, es mußte eingekauft und Wasser geholt werden, und vielleicht konnte man ältere Kinder einträglich beschäftigen, etwa beim Verkauf von Kuchen oder anderem, das die Eltern hergestellt hatten. Häufig stoßen wir auf ganze Familien, die am Tage der einen und des Nachts einer anderen Tätigkeit nachgingen: so etwa die Seidenarbeiterinnen von Spittalfields, die abends nach getaner Arbeit zu Hause Feuerwerkskörper herstellten, oder die Seidennäherinnen in der Gegend um Leicester, die für das Versandhaus von Mrs. Phelps hauchdünne Kondome verfertigten.[9] In der Ökonomie der Armut und des Notbehelfs, in der die Mehrheit der Familien im frühneuzeitlichen Europa lebte, war die Frau der Dreh- und Angelpunkt. Während ihr Mann nur eine einzige Arbeit als Landarbeiter oder Tagelöhner hatte, konnte sie zu verschiedenen Jahreszeiten ganz verschiedenen Tätigkeiten nachgehen. Im Unterschied zur Arbeit ihres Mannes, die genau umrissen war, zu einer bestimmten Zeit anfing und endete (außer in der Erntezeit) und ihm etwas Freizeit ließ, die er in der Schenke oder auf dem Dorfplatz verbrachte, »war die Arbeit einer Frau niemals getan«. Wenn ihr Mann krank oder plötzlich entlassen wurde, von der Arbeit in der Fremde nicht mehr zurückkam oder starb, mußte sie mehr arbeiten, um das in der Familienökonomie aufgerissene Loch zu stopfen. Sie hatte während ihres Lebens zwar nur nebenbei für Lohn gearbeitet, doch diese Arbeit war für das Überleben der Familien entscheidend.

MUTTERSCHAFT

Das Ziel der Ehe war neben der Bildung einer auf gegenseitigem Beistand beruhenden Partnerschaft die Fortpflanzung der Gattung in einem schützenden Umfeld: Sie sollte sicherstellen, daß eine Frau ihr Kind nicht allein aufziehen mußte und daß ein Mann sich seiner Pflicht, für seine Nachkommen zu sorgen, nicht entziehen konnte. Kinder verkörperten die Hoffnung auf den weiteren Bestand des Familienbesitzes, sie waren letztlich der einzige Schutz für betagte Eltern in einer Welt voller Gewalt und Unruhe. Wenn die erwachsene Frau eine Aufgabe hatte, so war es die der Mutter und Gebärenden.
Seltsamerweise gibt es trotz der starken Konzentration hervorragender Historiker und Historikerinnen auf die Geschichte der Familie in den vergangenen Jahren keine überzeugende Geschichte der Mutterschaft. Man hat uns weismachen wollen, die Beziehung zwischen Eltern und Kind sei nicht von Fürsorge geprägt gewesen, sondern die Eltern seien dem Kleinkind feindlich gesonnen gewesen oder hätten ihm bestenfalls gleichgültig gegenüberstanden, und die Interessen des Kindes hätten als denen der ganzen Familie untergeordnet gegolten. Mutterschaft wurde als negativer Zustand gedeutet. In jüngerer Zeit indes wurde die Eltern-Kind-Beziehung von den Historikern und Historikerinnen in milderem Licht gesehen. Die gestrengen Traktate aus der Feder von Pfarrern und Ärzten wurden Tagebüchern, Memoiren und Selbstzeugnissen gegenübergestellt und erwiesen sich als eine höchst einseitige und lückenhafte Quelle.
Das für die frühneuzeitlichen Gesellschaften typische späte Heiratsalter gewährleistete, daß die Familien klein blieben. Vier bis fünf Kinder wurden in einer Ehe geboren, von denen zwei bis drei das Erwachsenenalter erreichten. Im Adel und in den Mittelschichten waren die Familien größer wegen des niedrigeren Heiratsalters und der Abkehr von der natürlichen Empfängnisverhütungsmethode für Frauen, dem längeren Stillen. Familien dieser Schichten gaben ihre Säuglinge zu Ammen. Alle möglichen Faktoren - saisonale Wanderarbeit, Mißernten oder Epidemien - konnten die Familiengröße in den ärmeren Schichten der Gesellschaft beeinflussen, doch im ganzen gesehen mußte die Mutter sich nur um wenige Kinder kümmern, die im Abstand von etwa zwei Jahren geboren wurden. Die ersten Lebensjahre waren eine gefährliche Zeit, aber der Säugling nahm mit der Muttermilch Immunstoffe auf. und wenn Mutter und Kind die Geburt gesund überstanden hatten, gab es nicht viel zu befürchten - bis zur Entwöhnung etwa im zweiten Lebensjahr. Zur Vorbereitung darauf gab man dem Säugling etwas Brotsuppe oder in Brühe getauchte Brotrinden, an denen er saugen konnte. Viele Mütter fürchteten sich vor der Entwöhnung. Mitte des 17. Jahrhunderts verlor Ann d'Ewes ein Kind von bereits schwächlicher Gesundheit bei der Entwöhnung. Ihr Ehemann schildert ihrer beider Trauer über den Verlust eines Kindes, das sie so sorgsam gestillt hatte »und dessen zarte Anmut und strahlende graue Augen wir tief in unseren Herzen bewahren: die Trauer über seinen Verlust ist weit stärker als die über den Tod seiner drei älteren Brüder, die gleich nach der Geburt starben und uns nicht so ans Herz gewachsen waren wie er.«[10] Sprichwörter zeigen, daß die Mütter um die bei verfrühter Entwöhnung drohenden Gefahren wußten. Schon vorher war die Furcht, daß ihr Säugling sterben könnte, bei Müttern aus allen Schichten weit verbreitet. Katholische Mütter hängten ihren Kindern ein Skapulier um den Hals, das am Tage das Böse abwehren sollte, und abends sprach man über dem Kind in der Wiege Zauberformeln, die es vor einem plötzlichen Tod in der Nacht bewahren sollten. Ein berühmter holländischer Stich aus dem 17. Jahrhundert versinnbildlicht diesen Alptraum durch die Darstellung, wie ein Kind vom Tod aus der Wiege geholt wird. Tagebücher und Memoiren schildern die Angst vor Husten und Fieber. Apathie und Diphterie. Kräuterbücher bringen ein ganzes Universum volkstümlicher Heilmittel und Heilbräuche zum Vorschein, mit dem man Kinderkrankheiten bekämpfte: Enzian half gegen den Mehlmund, Einreiben mit Gänseschmalz gegen verschleimte Bronchien, Kamille beruhigte zappelige Kinder. Der Verlust eines Kindes war eine schmerzliche Erfahrung, und je älter das Kind, desto größer war der Verlust. Gebildete Frauen haben Zeugnisse ihrer Trauer hinterlassen, die den nicht schreibkundigen Müttern versagt blieben. »Jedermann weiß«, behauptete im 17. Jahrhundert Dorothy Hunt, daß die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind »sich nicht in den Grenzen der Vernunft halten läßt.«[11]
Die Mutter war vor allem Nähr- und Pflegemutter. Außerhalb der Wiege war der Platz eines Säuglings auf dem Arm der Mutter. Sie kümmerte sich darum, das Kind warm, wohlgenährt und sauber zu halten - nach den Maßstäben der Zeit. Im Laufe der Frühen Neuzeit wurde das Wickeln der Kinder, das für wohlgestaltete Gliedmaßen sorgen sollte, langsam aufgegeben. Die Kinder wurden in allen sozialen Schichten nicht so oft gewaschen, ihnen nicht so oft die Windeln gewechselt wie heutzutage. Doch sollten die Mütter ihre Kinder nicht in übelriechendem, schmutzigem und feuchtem Heu und voller Ungeziefer liegenlassen. Ein holländisches Genrebild weist mit seinem Titel »Mutters Arbeit« unmißverständlich auf das Entlausen des Haarschopfes eines Kindes hin, eine Tätigkeit, welche die Kontrolle der Mutter über Körper und Geist des Kindes versinnbildlicht. Vor Gericht verlor eine Frau mit Sicherheit ihren guten Leumund, wenn man erfuhr, daß sie ihr Kind nicht saubergehalten hatte und Hunger leiden ließ oder ihm das Herumstromern erlaubte.
Ein Kind weinte, so glaubte man, um seine Bedürfnisse kundzutun. Bei der Geburt weinte es, wenn es die schützende Gebärmutter verließ; bei der Taufe bedeutete das Schreien des Säuglings die Zurückweisung des Teufels, wenn man ihm auf der Stirn das Kreuz schlug. Babies weinten in der Nacht, weil sie von bösen Träumen gepeinigt wurden und den Trost der Mutter brauchten. Die Ermittlungen der Gerichte zeigen, daß die häufigste Todesursache bei Kleinkindern das Ersticken im Bett der Eltern war. Pfarrer und Ärzte plädierten leidenschaftlich dafür, daß die Kinder in der Wiege bleiben sollten. Wahrscheinlich handelte es sich aber um Fälle plötzlichen Kindstods, denn es wird heute ernsthaft in Zweifel gezogen, daß ein Kind im Bett ersticken kann. Wie auch immer, die gelehrten Männer waren davon überzeugt; sie beschuldigten die Mütter auch, für körperliche Mißbildungen, charakterliche Mängel oder den frühen Tod ihrer Kinder verantwortlich zu sein. Culpepper (die berühmte medizinische Autorität in Sachen Kinderaufzucht) kritisierte die Frauen, weil sie ihre Kinder zu lange stillten, sie mit Nahrung vollstopften, moderne Heilmittel der Ärzte wie den Aderlaß ignorierten und ihren überkommenen abergläubischen Mittelchen mehr vertrauten. Die Traktate der Ärzte über die Mutterschaft sind voll Groll und Erbitterung, aber viele ihrer Klagen machen deutlich, daß das Überleben der Menschheit bei der Mutter besser aufgehoben war als beim Arzt oder Pfarrer.
An der Praxis, sein Kind zu einer Amme zu geben, entzündete sich in den medizinischen und philosophischen Traktaten vom Ende des 17. Jahrhunderts ein Streit, der sich in den darauffolgenden fünfzig Jahren stark ausweitete. Diese Praxis ist von den Historikern als ein Indikator für die Gleichgültigkeit der Mütter gegenüber ihren Kindern gewertet worden. Sie sollte allerdings mit größerer Sorgfalt untersucht werden, bevor derartige Schlüsse gezogen werden. Drei Gruppen von Frauen brachten ihre Kinder zu Ammen: adlige Frauen, Frauen aus den städtischen Mittelschichten und Frauen aus den Unterschichten. Jede Gruppe hatte andere Beweggründe dafür, sich an eine Amme zu wenden. Für die erste Gruppe standen die gesellschaftlichen Verpflichtungen und möglicherweise auch das Tabu, mit dem Geschlechtsverkehr während der Stillzeit belegt war, im Vordergrund; für die zweite Gruppe war es der durch Sterblichkeitsstatistiken belegte Glaube, die Stadt sei der Gesundheit des Säuglings abträglich. Bei der dritten Gruppe waren der Zwang für die Mutter, voll mitzuarbeiten, und die Gefahren, die eine Werkstatt für ein Baby bot, die auf der Hand liegenden Begründungen. Die Säuglinge, die zu Ammen gebracht wurden, waren immer nur ein kleiner Teil aller Neugeborenen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts sank die Zahl zu Ammen gegebener Kinder aus dem Adel und den Mittelschichten erheblich, ein Erfolg der zunehmenden Propaganda gegen diese als unnatürlich gebrandmarkte Praxis. In der Industrie arbeitende Frauen - etwa im Lyoner Seidengewerbe, wo gefährliche, mit kochendem Wasser gefüllte Wannen und Webstühle zum Arbeits- und Wohnalltag gehörten und die »Hausfrau und Mutter« die familienfremden Arbeiter zu beaufsichtigen hatte - hielten jedoch an dieser Praxis fest, weil die Familie keine wirkliche Alternative hatte.
Es gab verschiedene Kategorien von Ammen. Wohlhabende Familien versuchten, eine gesunde, wohlgenährte Bäuerin zu finden, die gerade ihr eigenes Kind gestillt hatte. Sozial schlechtergestellte Familien mußten sich bei der Suche nach einer Amme an arme Frauen wenden. Zunehmend - und dies erklärt die Veränderungen in der Praxis vielleicht eher als die Ergüsse der Philosophen - nahmen nur noch Frauen Säuglinge an, die keine andere Einnahmequelle finden konnten. So konzentrierten sich die Ammen immer mehr in den ärmsten Gegenden, in Frankreich etwa im Morvan oder den Cevennen. Auf der untersten Stufe der Ammenhierarchie standen die in den Findelhäusern arbeitenden Frauen; sie liefen Gefahr, sich beim Stillen von Kindern, denen die Mutter eine Geschlechtskrankheit übertragen hatte, anzustecken. Die Tätigkeit als Amme wurde so in bestimmten Regionen Teil der Ökonomie der Armut, während man in adligen Familien das Kind zunehmend bei sich behielt und es, wenn die Mutter es nicht stillen konnte oder wollte, mit tierischer Milch oder anderen Flüssigkeiten ernährte, oft mit tödlichen Folgen. Sehr reiche Familien holten eine Amme zu sich ins Haus. Das Kind zu einer Amme zu geben, verweist also eher auf soziale und wirtschaftliche Zwänge statt auf die Gleichgültigkeit der Eltern, und die Tatsache, daß diese Praxis nur auf einen kleinen Teil der Kinder beschränkt war, verbietet vorschnelle Schlüsse darauf, wie Mutterschaft in der Frühen Neuzeit aussah.
Hatte das Kind die ersten Lebensjahre überstanden, wurde die Mutter zur Erzieherin. Was das konkret bedeutete, hing von ihrer sozialen Stellung und den historischen Umständen ab, davon, wo und in welcher Zeit sie lebte. Die Mutter lehrte ihr Kind, sich in der Welt zurechtzufinden, in der sie beide lebten. Einer adligen Mutter standen oft eine Vielzahl von Dienstboten, ein Kindermädchen und eine Gouvernante zur Verfügung. Gleichwohl zeigen die Memoiren von adligen Frauen häufig, daß sich die Mütter selbst um die erfolgreiche Erziehung ihrer Töchter kümmerten und ihnen alles mitgaben, was sie für eine gute Partie brauchten. Der Erfolg ihrer Tochter auf dem Heiratsmarkt brachte auch der Mutter Ansehen. Die Tochter mußte wissen, wie man sich vor- und darstellt, sich kleidet und spricht, wie man einen Haushalt mit Dienstboten führt, sie mußte tanzen und sticken können, ein Instrument beherrschen, Französisch sprechen und sich in der Literatur des Landes etwas auskennen. Lady Mary Wortley Montagu meinte, die Erziehung ihrer drei Töchter fülle ihren Tag völlig aus. Für Mädchen aus den Mittelschichten war es nützlich, wenn sie ein Haushaltsbuch führen konnten und Kenntnisse in Buchführung hatten. Ein Mädchen begleitete seine Mutter, wenn diese mildtätige Spenden an die Armen verteilte. Sie wußte, wie man Obst und Gemüse einmacht, Lebensmittel aufbewahrt, welche Gerichte man je nach Jahreszeit kocht, auch wenn sie nicht selbst am Herd stand. Die Tochter war das Aushängeschild des Haushalts.
Eine gebildete Mutter brachte gewöhnlich (außer in den höchsten Gesellschaftsschichten) ihren Kindern selbst das Lesen und Schreiben bei, und dies, bevor sie zur Schule gingen. Dorfschulen gab es nicht überall, und wenn es sie gab, sahen sie von einem Ort zum anderen sehr unterschiedlich aus. Die englische Dame School war häufig kaum mehr als eine Kinderverwahranstalt, wo die gute Frau am Spinnrad den Mädchen ein paar Grundkenntnisse im Lesen beibrachte. Manche von religiösen Orden geleitete Schulen im Frankreich des 17. Jahrhunderts funktionierten nur während der ruhigen Wintermonate. In anderen Schulen wurde das Lesenlernen für weniger wichtig erachtet als Nähen und Weben. Doch wie gut oder schlecht die örtliche Schule auch war, die Mutter spielte auf jeden Fall die wichtigere Rolle bei der Erziehung ihrer Töchter. Sie brachte ihnen ihre Kochkünste bei. Auf holländischen Genreszenen schauen aus einer Bildecke Mädchen ihren Müttern dabei zu, wie sie Zwiebeln hacken, Mohrrüben putzen und Äpfel schälen, Milchtöpfe säubern, Käse formen, Pfannkuchen backen, Teig kneten und in die Nähe des Feuers stellen, damit er aufgeht. Die mit der Herstellung von Nahrungsmitteln und der Zubereitung von Speisen verbundenen Bräuche waren in traditionalen Gesellschaften äußerst wichtig. Obgleich das Essen für die Masse der Bevölkerung aus Brot und Brotsuppe bestand, die mit etwas Pökelfleisch oder Speck angereichert und mit Kräutern und Gemüse pikanter gemacht wurden, brauchte man doch großen Erfindungsreichtum, um diese Speisen zuzubereiten. Gemüse zu ziehen, Hühner zu halten, ein Schwein (das als das Tier der Frau galt, weil sie allein sich darum kümmerte und ein Schwein oft zur Mitgift gehörte) zu füttern, dies waren wichtige Arbeiten, überlebenswichtige Fertigkeiten, die ein Mädchen erlernen mußte. Bei unzähligen zeitgenössischen Berichterstattern taucht das Bild von Mutter und Tochter auf, die gemeinsam am Wegesrand Futter für Ziegen und Hasen sammeln, in den Heckensträuchern Beeren pflücken, Pilze und Kräuter suchen, Feuerholz, und Dung sammeln. Zu Weihnachten und Ostern und an bestimmten Feiertagen wie etwa dem Fest der heiligen Katharina, an dem cattern cakes gebacken wurden, wurden besondere Gerichte aufgetragen. Spuren solcher Kochkünste findet man in Quellen, in denen man dies gar nicht erwartet. Als die spanische Inquisition gegen die Conversos, die zum Christentum konvertierten Juden, vorging, versuchte sie in religiösen Bräuchen und Glaubensinhalten Beweise dafür zu finden, daß diese weiter am Judentum festhielten. Es stellte sich indes häufig heraus, daß die Glaubensinhalte vergessen waren; was blieb, "war eine bestimmte Art, Speisen zuzubereiten, die Verwendung von Öl, die Tatsache, daß sie weder Schinken noch Wurst aßen usw. - Gewohnheiten, die von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurden. Je größer und vielseitiger ihre Kochkünste und ihre Fähigkeiten beim Einmachen, der Käseherstellung und beim Buttern waren, um so bessere Chancen auf eine gute Anstellung hatte eine Tochter.
Neben dem Kochen mußte eine Mutter ihrer Tochter den Umgang mit Nadel und Faden beibringen. Die feinen Handarbeiten gehörten zu den Insignien einer großen Dame. Von einer Frau, wie hochgestellt sie auch sein mochte, wurde erwartet, daß sie Mützen und Jäckchen für Babys häkelte und ihrem Ehemann oder Bruder zu Weihnachten bestickte Westen schenkte. Weiter unten auf der sozialen Stufenleiter legte man weniger Weit auf Galanteriearbeiten als vielmehr auf eine gute Naht und einen geraden Saum, auf das Geschick, Kleider auszubessern und umzuarbeiten. Hemden, Unterröcke, Kinderkleider und Kittel nähten die Frauen zuhause selbst. Die Mädchen wurden in allen im Haushalt anfallenden Tätigkeiten unterrichtet, die als weibliche galten. Sie hüteten jüngere Geschwister, halfen mit für sie zu kochen und besserten ihre Kleider aus. Das soll nicht heißen, daß ihre Brüder faul und untätig gewesen wären, sondern daß diese Aufgaben als weibliche Tätigkeiten galten, andere dagegen als Männerarbeit.
Die 1570 in Norwich durchgeführte Volkszählung zeigt, daß Mädchen früher als ihre Brüder in die städtischen Heimgewerbe eingegliedert wurden. Vier Fünftel der Mädchen im Alter von sechs bis zwölf Jahren arbeiteten bereits, aber nur weniger als ein Drittel der Jungen. Ein weiteres Drittel der Jungen ging zur Schule. Ihnen fehlte noch die Kraft, um die Arbeit eines Mannes zu tun, und sie waren in diesem Alter vielleicht auch weniger geschickt und anstellig als ihre Schwestern: So sieht man nur sehr wenige Jungen bei der Arbeit, die die Mehrheit der Mädchen verrichtete - beim Spinnen und Stricken. Die Brügger Volkszählung von 1814 unterstreicht ebenfalls, daß Mädchen schon mit zehn Jahren Spitzen machten, während ihre gleichaltrigen Brüder noch nichts zum Unterhalt der Familie beitragen mußten.
Auf den untersten Stufen der Gesellschaft erforderten die vielen kleinen Tätigkeiten, die zusammen einen stets gefährdeten Lebensunterhalt einbrachten, die enge Zusammenarbeit der Familienmitglieder; am beeindruckendsten aber ist vielleicht die Zusammenarbeit von Mutter und Tochter. Ein Mädchen lernte von seiner Mutter, wie man sich durchs Leben schlug. Mütter verkauften zusammen mit ihren kleinen Töchtern auf dem Markt Milch, Gemüse und irdenes Geschirr, und sie gingen gemeinsam betteln. Die Ökonomie der Armen war immer ein Drahtseilakt; viele scheiterten, stürzten ab und gesellten sich zu den völlig Mittellosen. Zu wissen, wie man sich in harten Zeiten über Wasser hielt, war lebenswichtig.
Zu den Aufgaben einer Mutter gehörte auch, den Kindern bestimmte moralische Werte und Verhaltensregeln einzuprägen. Die Anstandsbücher des 16. Jahrhunderts verpflichteten beide Elternteile dazu, aber die Theologen und Moralphilosophen kamen zunehmend zu der Überzeugung, Tugendhaftigkeit (zumindest die weibliche) werde von der Mutter weitergegeben. Die Tochter war, wozu sie die Mutter gemacht hatte. Eine Hexe konnte nur eine Hexe gebären; eine wenig tugendhafte Frau bekam uneheliche Kinder, die wiederum Bastarde zeugen würden. Eine tugendhafte Frau, die ihr Kind Keuschheit, Reinlichkeit und Zurückhaltung lehrte, konnte auf eine mildere Beurteilung hoffen. Mütter spielten auch eine zentrale Rolle bei der Weitergabe des Volksglaubens. Sie erzählten ihren Kindern Märchen; sie warnten sie vor Hexen und Dämonen, lehrten sie. Schalen voll Milch als Schutz vor bösen Geistern auf die Fensterbank zu stellen und auf der Hut zu sein vor allem, was sie als böse ansahen.
Die meisten Eltern im frühneuzeitlichen Europa trennten sich von ihren Kindern, kaum daß diese herangewachsen waren. Wir wissen nicht, wie eng sie danach miteinander in Verbindung blieben, dies hing davon ab, ob sie lesen oder Briefe schreiben konnten, ob sie nah beieinander oder weit entfernt voneinander lebten, ob es Kontakte über Mittelsleute in der neuen Heimat gab usw. Je tiefer die Familie in der sozialen Hierarchie stand, tun so endgültiger war wohl der Bruch. Dennoch zeugt die Rückkehr der jungen Leute aus der Stadt, wo sie eine Lehre absolviert oder als Dienstbotin in Stellung gestanden hatten, auf ein Stück Land in den heimatlichen verschneiten Pyrenäen oder der unfruchtbaren toskanischen Maremma von der Bindung an die Familie.
Die Historiker, die sich mit der Geschichte des 19. Jahrhunderts beschäftigen, haben unlängst auf ein Phänomen aufmerksam gemacht, das sie für die Mutter-Tochter-Beziehung als entscheidend ansehen und »Aussteuerbindung« genannt haben. Dieses Phänomen hat indessen sehr viel tiefere Wurzeln. Alle Mütter wußten, daß ihre Tochter für ihre Heirat bestimmte Dinge - Töpfe, Wäsche usw. — brauchte, und je mehr sie davon besaß, um so höher war ihr Ansehen in der Gemeinde und in den Augen der Familie ihres Ehemannes. Um ihr bei der wichtigen Aufgabe zu helfen, die Aussteuer zusammenzubringen, zweigte die Mutter einen Teil ihrer Arbeitseinkünfte ab - den Erlös aus dem Verkauf von Eiern oder eines Honigtopfes, eines gemästeten Ferkels, des kleinsten aus dem Wurf - und sammelte sie im Sparstrumpf. Oder Mutter und Tochter zogen gemeinsam mit selbstgesammeltem Grünzeug Hasen auf. Viele Mütter ließen ihre Töchter Nützliches nähen, Steppdecken und andere Dinge für den Haushalt, entweder aus Stoffetzen oder aus Fetzen roher Wolle, die aus den Hecken gepflückt und langsam und geduldig über die Jahre hinweg zu Tuch verarbeitet wurden. Dieses geheime Einverständnis, das gemeinsame Zusammenbringen der Aussteuer, trug dazu bei, die Verbindung zwischen Mutter und Tochter zu festigen und ließ sie vielleicht die physische Trennung überdauern.
Die Soziologen und Soziologinnen heutiger Gesellschaften sehen die Mutter-Tochter-Beziehung mit Sicherheit als die gewöhnlich stärkste Bindung zwischen Mitgliedern der Kernfamilie an. In der Vergangenheit entstanden diese Bande aus vielfältigen Erfahrungen. Dazu gehörte, daß die Mutter der Tochter beibrachte, wie man einen Haushalt führt; gemeinsame Ansichten darüber, wie man sich im Leben zurechtfindet; weitere Abhängigkeit von der Mutter, von ihrem Rat, wie man sich im Kindbett und das Neugeborene pflegt; vielleicht manchmal auch ein Gefühl der Solidarität angesichts der Unzulänglichkeiten und Fehler des Mannes und des Vaters. Frauen der Oberschichten brachten ihre Kinder oft im Haus ihrer Mutter zur Welt, und diese konnten - wie etwa Madame de Sevigne - mit Hilfe des ihrem Alter geschuldeten Respekts Ehemänner zur Räson bringen, die übertriebene Ansprüche hatten. Wie verbreitet solche Praktiken in den unteren Schichten der Gesellschaft waren, wissen wir aufgrund fehlender Quellen nicht. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, daß jenes durch die Witze und Märchen geisternde Ungeheuer, die sich in alles einmischende Schwiegermutter, in den westeuropäischen Gesellschaften eine lange Geschichte hat, auch, ja vielleicht sogar noch stärker, in Südeuropa, wo die junge Frau mit der Heirat in die Familie ihres Ehemannes eintrat und mit der potentiellen Macht und der Kritik ihrer Schwiegermutter konfrontiert wurde.

DIE WITWE

Den Eltern war bewußt, daß sie nur geringe Chancen hatten zu erleben, wie ihre Kinder das Erwachsenenalter erreichten. Das Waisenkind und insbesondere das Waisenmädchen galt nicht nur den Schriftstellern, sondern auch den Philanthropen und den Verfassern von Moraltraktaten als ganz besonders gefährdet. Ein verwitweter Vater hatte die Pflicht, eine Ersatzmutter für seine Kinder zu finden: indem er wieder heiratete, eine unverheiratete Verwandte in sein Haus aufnahm oder seine Kinder ins Haus seiner Schwester schickte. Die Stiefmutter war eine furchterregende Gestalt, denn ihr sagte man nach, sie bevorzuge ihre eigenen Kinder gegenüber den Stiefkindern. Eine mögliche Alternative für den Vater bestand darin, seiner ältesten Tochter die Rolle der Mutter und Hausfrau zu übertragen, während die des Sohns sich nicht änderte. Dies verringerte die Möglichkeiten für sie, durch ihre Arbeit eine Mitgift zusammenzusparen; von ihr wurde erwartet, daß sie sich, so lange ihr Vater lebte, um ihn kümmerte und ihn versorgte. In vielerlei Hinsicht mußte man den Tod der Mutter mehr fürchten als den des Vaters. Andererseits hieß der Tod des Vaters, daß auch die verwitwete Mutter ihren Töchtern neue Lasten aufbürden mußte.
In einer Gesellschaft, die eine Frau durch ihre Beziehung zu einem Mann definierte, war der Verlust des Ehemannes selbstverständlich ein Ereignis, das für die Frau ungeheure soziale, wirtschaftliche und psychologische Folgen mit sich brachte. Je höher die Familie in der sozialen Hierarchie rangierte, um so weniger dramatisch waren sie vielleicht. Eine adlige Frau konnte zumindest theoretisch über die Vermögenszuwendung oder die Einkünfte verfügen, die ihr zum Zeitpunkt, als sie ihre Mitgift in die Ehe einbrachte, für ihren Lebensunterhalt garantiert wurden, falls ihr Ehemann vor ihr sterben sollte. Weiterhin wurde der verwitweten Adligen gewöhnlich die Vormundschaft für die Kinder übertragen. Sie erhielt plötzlich Führungsaufgaben, wurde Herrin über ihr Schicksal, frei von irgendwelcher Gängelung.
Wir haben viele Zeugnisse über wohlhabende Witwen, die nach dem Tod ihres Ehemannes ein neues Leben anfingen. So etwa, im 18. Jahrhundert Mrs. Delaney, Lady Granviile, Opfer einer von ihrer Familie arrangierten unglücklichen Ehe: Als Witwe blühte sie auf, wurde die oberste Hüterin des Anstands und der Etikette in London, beobachtete mit vornehmer Zurückhaltung, wie sich ein Schwärm von Verehrern um sie, sprich ihr Vermögen, bemühte, und bewahrte lieber ihre Unabhängigkeit.12 Oder Hester Thrale und die Herzogin von Leinster, die nach höchst unharmonischer Ehe ein zweites Mal, mit großem Pomp und das Urteil ihrer Umwelt mißachtend, unterhalb ihres gesellschaftlichen Rangs heirateten: den Mann ihrer Wahl. Mrs. Thrale verlor viele Freunde, darunter den frömmelnden Samuel Johnson, als sie Piozzi heiratete, den Italienischlehrer ihrer Kinder. Die Herzogin von Leinster habe, so meinten viele, den Hauslehrer ihres Sohnes in unziemlicher Eile geheiratet - nur einen Monat nach dem Tod ihres Mannes —, aber zumindest ihre Freundinnen blieben ihr treu. In der zeitgenössischen englischen Literatur - in Briefen und Tagebüchern wie in Traktaten wird eine hysterische Obsession bei Männern der Mittel- und Oberschichten deutlich: Würden ihre Frauen nach ihrem Tod ihr Vermögen mit verarmten Gigolos durchbringen, denen sie körperlich verfallen waren? Das beste Beispiel dafür findet man in Richardsons Familiär Letters on Important Occasions (1740) unter der Überschrift »Briefe eines Gentleman, der einer alten reichen Witwe, die einen jungen Lebemann heiraten will, energische Vorhaltungen macht«.
Auch die Theologen verbreiteten sich in den Anstandsbüchern der Reformation und Gegenreformation über die Torheiten der Witwen. Nach dem Trienter Konzil versuchten die katholischen Reformer sie dazu zu bringen, ihr Vermögen für Zwecke der Nächstenliebe einzusetzen und in mildtätigen Werken einen neuen Lebensinhalt zu finden - mit einigem Erfolg. Viele Witwen gründeten religiöse Orden oder Gemeinschaften und nutzten dazu das Vermögen, das sie durch die Ehe erworben hatten. So rief Louise de Marillac, die Witwe Gondis, die Töchter der christlichen Liebe ins Leben, und Jeanne de Chantal gründete nach dem Tod ihres Mannes den Orden von der Heimsuchung Maria. Sie sind zwei herausragende Gestalten, aber es gab noch viele andere, sozial nicht so hochstehende Witwen, die auf diesem Gebiet tätig wurden. Wohlhabende Witwen finden wir auch als Seele eines Salons, als Schutzherrinnen von Philosophen und als englische Blaustrümpfe. Die Existenz solcher Frauen darf uns jedoch nicht über die Probleme hinwegtäuschen, mit denen die übergroße Mehrheit der Witwen konfrontiert war. Die meisten Frauen wurden zur Witwe, wenn die Kinder noch nicht erwachsen waren, und hatten nur unzureichende Mittel, sie durchzubringen. Die Gesellschaft stellte .Anforderungen« an die Witwe. Dazu gehörte, daß sie ihren Gatten mit »decorum«, will heißen in allen Ehren bestatten sollte, und dies konnte Kosten verursachen, die sie kaum tragen konnte. Die irische Totenwacht zum Beispiel, bei der die Witwe das ganze trauernde Dorf bewirten mußte, wurde von vielen Klerikern, angefangen vom Bischof von Cashel, heftig kritisiert, weil sie viele arme Frauen völlig ruinierte. Und schließlich erwartete die Gesellschaft von den Witwen Mut, Kraft und Geschick, ihr Schicksal so zu meistern, daß sie nicht mit ihren Kindern der Gemeinde zur Last fiel.
Mit der Beerdigung waren nicht zwangsläufig ihre Schulden beglichen. Die Zünfte gestatteten im allgemeinen der Witwe, im Namen ihres Ehemannes die Werkstatt weiterzuführen, vorausgesetzt sie zahlte die erforderlichen Abgaben. Entscheidend war, ob die Zunft der Witwe erlaubte, Lehrlinge zu beschäftigen, denn sie waren die billigsten Arbeitskräfte. Nur wenige Zünfte gestatteten der Witwe, neue Lehrlinge anzustellen; wenn beschlossen wurde, daß sie die von ihrem Ehemann angestellten nicht weiter beschäftigen durfte, mußte sie neue Meister für sie finden und konnte sich nicht mehr auf ihre Dienste stützen. Mit ziemlicher Sicherheit mußte sie dann die Werkstatt schließen.
Niemand glaubte, eine Witwe könnte das Geschäft genauso gut wie ihr verstorbener Mann führen. Daher verlangten Gesellen und Dienstboten nach dem Tod des Meisters die sofortige Auszahlung ihres Lohnes, was ein weiteres Problem für die Witwe aufwarf. Viele konnten nicht zahlen, und die ersten Opfer waren die Mägde, die keinen Pfennig von ihrem einbehaltenen Lohn sahen. Waren die Schulden beglichen, mußte die Witwe entscheiden, in welcher Form sie das Gewerbe weiterführen konnte. Erforderte es große Körperkräfte, wurde sie von der Zunft gezwungen, Gesellen zu beschäftigen. In England und Holland zum Beispiel konnten Frauen versuchen, die Druckerei weiterzuführen, aber die Ordnung der Stationer's Company" legte fest, daß ein Geselle die Druckpresse zu betätigen hatte. Frauen konnten ein Bestattungsunternehmen weiterführen, aber sie mußten Männer als Leichenträger beschäftigen, da Männer auf jeden Fall bei den mit dem Tod und der Bestattung verbundenen Bräuchen dabei sein mußten. In Genf war das Uhrmacherhandwerk eine männliche Tätigkeit, aber die Witwe konnte weiter die Werkstatt besitzen und selbst Teile herstellen oder Uhrdeckel gravieren. Im ganzen gesehen hinderte der Zwang, den verstorbenen Ehemann durch Lohnarbeiter ersetzen zu müssen, sicherlich mehr als 90% der Handwerkerwitwen daran, die Werkstatt ihres Mannes voll weiterzuführen. Am besten mit dem Tod des Ehemannes fertig wurden Familien, die ein kleines Geschäft oder Gewerbe betrieben, namentlich eine Taverne, ein Kaffeehaus, einen Lebensmittelladen, oder Familien, die Kuchen, Pasteten und Fettgebackenes herstellten oder ein kleines Gasthaus betrieben. Die meisten dieser Tätigkeiten wurden nicht von Zünften reglementiert. Das Dienstmädchen, das bei der Heirat genau das tat. wozu ihm die Rat- und Hülfsbüchlein mit Blick auf die ungewisse Zukunft rieten, und ein kleines Gewerbe oder Geschäft zu betreiben begann, war am besten geschützt, da diese Tätigkeiten aus der Kontrolle der Zünfte herausfielen. Zu Lebzeiten des Mannes bildete es nur einen Nebenerwerb, doch nach seinem Tode konnte sich die Witwe darauf stützen, und die Kinder konnten mitarbeiten. So wurden viele Schenken und Trinkstuben von Witwen geführt und die Straßen waren voll von Kindern, die heiße Pasteten und Süßigkeiten auf ihrem Bauchladen feilboten.
Die Witwe, die von ihrer Hände Arbeit leben mußte und noch Kinder zu versorgen hatte, sank so tief wie nur möglich in der Hierarchie der europäischen Ökonomie. Sie war zahlreich auf den Armenlisten und in den Büchern wohltätiger Einrichtungen vertreten; wenn es milde Gaben zu verteilen gab - und dies war keineswegs sicher - dann war sie die erste Kandidatin, deren Ansprüche allgemein anerkannt wurden.

DIE JUNGFER

Das Los der »alten Jungfer« war jedoch nicht viel besser, außer ihre Familie konnte für ihren Unterhalt sorgen. Die niedrigen Löhne für Frauen schlössen eine unabhängige Existenz aus, so daß viele ledige Frauen sich in den Städten zusammentaten, in Dachstuben oder Zimmern zusammenwohnten und sich gegenseitig halfen. Von ihren mageren Löhnen konnten sie nur wenig oder gar nichts für das Alter, für Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurücklegen. Manche fanden vielleicht bei einem Bruder ein Dach über dem Kopf oder ersetzten in der Familie eines Verwandten die verstorbene Mutter, aber für die meisten waren die Aussichten düster.
Selbst für Frauen, die mehr als nur die Dorfschule genossen hatten, boten sich geringe Berufsaussichten. Mary Wollstonecraft meinte, sie beschränkten sich auf die Arbeit als Gouvernante, Hausdame oder Mantelschneiderin. Wie eine wachsende Zahl verzweifelter Frauen aus den Mittelschichten griff sie zur Feder. Aber die Frauen, die vom Schreiben leben konnten, kann man an den Fingern abzählen, selbst noch am Ende des 18. Jahrhunderts, als Fanny Burney, Madame de Stael und vor allem Jane Austen der Literatur aus der Feder von Frauen eine neue Qualität gegeben hatten.
Außerhalb der Familie und der ihnen darin zugebilligten Rolle als Tochter, Ehefrau und Mutter lebten die Frauen in einer sehr schwierigen Situation. Unabhängigkeit, die Virginia Woolf so entschieden einklagte, hing davon ab, ob man ein eigenes Einkommen und ein »Zimmer für sich« hatte. Die gängige Meinung, der natürliche Platz einer Frau sei in der Familie, bildete das große Problem für Frauen, die nicht geheiratet hatten und deren Familien sie nicht unterstützen konnten. Auf lange Sicht jedoch und immer deutlicher am Ende des 18. Jahrhunderts drängten gerade die Frauen, die sich der etablierten Norm nicht unterwerfen konnten, auf Veränderung. Es waren nicht die glücklichen Frauen, die sich kein anderes Leben als dasjenige, das sie führten, vorstellen konnten, die Geschichte machten und gesellschaftlichen Wandel bewirkten.

Aus dem Englischen von Wolfgang Kaiser

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