Teil II Geschichte des Fräuleins von Sternheim

Geschichte des Fräuleins von Sternheim

Seymour an Doktor T.

Zween Monate sind's, seit ich Ihnen schrieb; seit ich, von Zweifel und Argwohn gemartert, mich von aller Gesellschaft enthielte, und mich endlich durch einen übelverstandenen Eifer für die Tugend zu dem elendesten Geschöpfe auf der Erde machte. Oh, war ich es allein, ich würde mich glücklich dabei achten; aber ich habe die beste, die edelste Seele zu einem Entschluß der Verzweiflung gebracht; ich bin die Ursache des Verderbens meines angebeteten Fräuleins von Stemheim. Kein Mensch kann mir was von ihrem Schicksal sagen; aber mein Herz sagt mir, daß sie unglücklich ist. Dieser Gedanke frißt das Herz, in welchem er sich ernährt. Aber ich sage Ihnen unbegreifliche Dinge; ich muß mich verständlich machen; Sie wissen, wie mißvergnügt ich von dem Feste des Grafen F. zurückkam, und daß ich von diesem Augenblick mich aller Gesellschaft entäußerte. Meine Liebe war verwundet, aber nicht getötet; ich dachte, sie würde durch Verachtung und Fliehen geheilt werden; ich wollte sogar nichts von dem Fräulein reden hören; als endlich mein Oheim meine Leidenschaften auf einmal zu löschen glaubte, da er mir die Nachricht gab: daß auf das Geburtsfest des Fürsten ein Maskenball angestellt wäre; daß der Fürst die Maske des Fräuleins tragen würde, und sie Kleidung und Schmuck von ihm bekomme. Ich könnte also schließen, daß sie sich aufgeopfert habe; sie hätte schon vorher Gnaden von ihm erbeten, und alles erhalten, was sie verlangt habe; der Fürst käme abends in den Garten des Grafen Löbau, allein von seinem Liebling begleitet usw. - Mein Oheim erreichte seinen Zweck; die Sorge meiner Liebe verlor sich mit meiner Hochachtung, und mit der Hoffnung, die ich immer blindlings behalten hatte. Aber gleichgültig war ich noch nicht; meine Seele war durch das Andenken ihres Geistes und ihrer Tugend gekränkt. »Wie glücklich, o Gott, wie glücklich hätte sie mich machen können (rief ich) wenn sie ihrer Erziehung und ihrer ersten Anlage getreu geblieben wäre!« Ohne Erinnerung und Bestrafung wollt' ich sie nicht lassen, und der Maskenball dünkte mich ganz bequem zu meinem Vorhaben. Ich machte eine doppelte Maske. In der ersten wollt' ich mich noch von allem überzeugen, was mir von der Vergessenheit ihres Werts und ihrer Pflichten gesagt worden war. Sie kam von allen Grazien begleitet in den Saal; sie trug den Schmuck, welchen der Hofjuwelierer dem Lord gewiesen hatte. Sie war so niederträchtig gefällig, ihre schöne Stimme hören zu lassen und ihn nebst der Gesellschaft zur Freude aufzumuntern. Hätte ich Kräfte gehabt, sie ihrer reizenden Gestalt und aller ihrer Talenten zu berauben, ich würd' es in diesem Augenblick getan haben. Leichter war' es mir gewesen, sie elend, häßlich, ja gar tot zu sehen, als Zeuge ihrer moralischen Zernichtung zu sein. Der tiefste Schmerz war in meiner Seele, als ich sie singen hörte, und mit dem Fürsten und mit andern Menuette tanzen sah. Aber als er sie um den Leib faßte, an seine Brust drückte, und den sittenlosen, frechen Wirbeltanz [1] der Deutschen mit einer aller Wohlstandsbande zerreißenden Vertraulichkeit an ihrer Seite daherhüpfte - da wurde meine stille Betrübnis in brennenden Zorn verwandelt; ich eilte in meine zwote Maske, näherte mich ihrer darin, und machte ihr bittere und heftige Vorwürfe über ihre Frechheit, sich mit so vieler Lustigkeit in ihrem schändlichen Putz zu zeigen. Ich setzte hinzu: daß alle Welt sie verachtete, sie, die man angebetet habe - Meine erste Anrede brachte das vollkommenste Erstaunen in ihr hervor; sie konnte nichts sagen, als ihre Hand gegen die Brust heben, -»ich - ich«, stotterte sie, mit der andern wollte sie mich haschen. Aber ich Elender entfloh, ohne auf die Würkung achten zu wollen, die meine Rede machen würde. Nach Hause eilte ich, ließ mir sechs Postpferde vor meine Chaise geben, nahm meinen alten Dik mit, und fuhr sechs Tage ohne zu wissen, wohin; bis ich endlich in einem Dorfe liegen bleiben mußte, wo ich Diken auf das äußerste verbot, jemanden Nachricht von mir zu geben. Mein Gemütszustand ist nicht zu beschreiben; gefühllos, geistlos war ich, mißvergnügt, unruhig, und dennoch versagt' ich mir die einzige Hülfe, die meine Leiden erforderten - Nachrichten von D. zu haben. Dieser unselige Eigensinn legte den Grund zu der tiefen Traurigkeit, die mich bis an mein Ende begleiten wird. Denn während ich das stumme Wüten meiner unüberwindlichen Liebe in dem äußersten Winkel eines einsamen Dorfes verbarg, um die ersten Triumphtage des Fürsten vorbeirauschen zu lassen, hatte das Fräulein den edelsten Widerstand gemacht, hatte aus Kummer beinahe das Leben verloren, und war endlich aus dem Hause ihres Oheims entwichen, weil man sie nicht auf ihre Güter gehen lassen wollte. Einen Monat nach diesem Vorgang kam ich abgezehrt und finster zurück; Mylord empfing mich mit väterlicher Zuneigung; er sagte mir alle Sorgen, die ich ihm verursacht hätte, auch daß er auf den Gedanken geraten sei, ich möchte das Fräulein entführt haben.
»Wollte Gott, Sie hätten mir's erlaubt«, rief ich; »ich wäre nicht so elend. Aber reden Sie mir nicht mehr von ihr.«
Er umarmte mich und sagte: »Lieber Carl, du mußt doch hören, was geschehen ist. Sie war doch edel, tugendhaft, alles, was uns zu ihrem Nachteil gesagt wurde, war Betrug, und sie ist entflohen.«
Meine Begierde, alles zu wissen, war nun so groß, als vorher meine Sorge darüber gewesen war. Das Fräulein soll geglaubt haben, ihre Tante hätte ihren Schmuck neu fassen lassen, und lehnte ihn ihr zum Ball; die Kleider habe sie ihrem Kaufmann schuldig zu sein geglaubt; ihr Singen wäre eine gezwungene Gefälligkeit gewesen, und sie hätte in einem Brief an den Fürsten eine weiße Maske gesegnet, die ihr alle Bosheiten entdeckt habe, welche ihren Ruhm zernichtet hätten. »O Mylord«, rief ich; »diese weiße Maske war ich; ich habe mit ihr gesprochen, und ihr Vorwürfe gemacht; aber gleich nach dieser Unterhaltung eilt' ich fort.« Er fuhr fort mir zu erzählen: das Fräulein hätte noch auf dem Ball dem Fürsten seinen Schmuck vor die Füße geworfen, und wäre in der äußersten Beängstigung nach Haus gefahren; sie wäre aber acht Tage sehr krank gelegen, und hätte keinen Menschen vor sich gelassen. Bei ihrer Wiederherstellung hätte sie auf ihre Güter zu gehen verlangt, ihr Oncle aber hätte sie nicht gehen lassen, und acht Tage darauf, als man dem Prinzen von P. zu Ehren bei Hofe Lustbarkeiten angestellt, sei sie mit ihrer Kammerjungfer verschwunden. Der Graf und die Gräfin Löbau, die bis morgens bei dem Ball gewesen, und ihre Leute, welche auch nicht früh munter geworden, hätten nicht an das Fräulein gedacht, bis nachmittags, da man die Tafel für den Grafen gedeckt hatte, man erst angefangen, das Fräulein und ihr Mädchen zu vermissen; aber als man ihre Zimmer aufgesprengt, an ihrer Statt bloß Briefe gefunden habe, einen an den Fürsten, einen an Mylord C., und einen an ihren Oheim, dem sie noch ein Verzeichnis angeschlossen von den Kleidern, die sie an den Pfarrer geschickt habe, um sie zu verkaufen, und das Geld den Armen des Kirchspiels zu geben. Ihrem Oheim hätte sie kurz, aber mit vieler Würde und Rührung von den Klagen gesprochen, die sie über ihn und seine Frau zu führen habe, und von den Ursachen, warum sie sich von ihnen entferne, und sich in den Schutz eines Gemahls begebe, den sie sich gewählt hätte, und mit welchem sie als seine vermählte Frau aus ihrem Hause gehe, um sich nach Florenz zum Grafen R. zu begeben, woher sie wieder Nachricht von ihr erhalten sollten; indessen überlasse sie ihm auf drei Jahre den Genuß aller Einkünfte ihrer Güter, um damit die Beendigung seines Rechtshandels zu betreiben, die er auf eine so niederträchtige Art durch die Aufopferung ihrer Ehre zu erhalten gesucht hätte; es wäre ein Geschenk, welches sie seinen zweenen Söhnen machte, und wodurch sie mehr Segen erhalten würden als durch den Entwurf ihres Untergangs. Dem Fürsten hätte sie geschrieben: sie fliehe an der Hand eines edelmütigen und würdigen Gemahls vor den Verfolgungen seiner verhaßten und entehrenden Leidenschaft; sie habe inzwischen ihrem Oncle die Einkünfte von ihren Gütern auf drei Jahre überlassen, hoffe aber nach Verfluß dieser Zeit sie von der Gerechtigkeit des Landesfürsten wieder zurückzuerlangen; gegen Mylord aber hätte sie sich erklärt: daß sie seinen Geist und seinen Gemütscharakter jederzeit verehrt, und gewünscht habe, einigen Anteil an seiner Achtung zu haben; es wäre sehr wahrscheinlich, daß die Umstände, in welche man sie gestellt, ihre Gemütsart mit einem so starken Nebel umhüllet hätten, daß er sich keinen richtigen Begriff davon habe machen können; sie versichere ihn aber, daß sie seiner Hochachtung niemals unwürdig gewesen, und seine harte nachteilige Beurteilung nicht verdient habe; und dieses möchte er auch seinen Neffen Seymour lesen lassen; Löbau sei nach dieser Entdeckung zum Fürsten geeilt, der darüber ins größte Erstaunen geraten, und aller Orten habe nachschicken wollen; aber Graf F. hätte es mißraten, und es wäre allein ein Kurier an den Grafen R. nach Florenz abgeschickt worden, von wannen man aber bis itzt keine Nachricht von dem Fräulein erhalten habe.
Solange die Erzählung von Mylord dauerte, schienen alle Triebfedern meiner Seele zurückgehalten zu sein; aber als er aufhörte, kamen sie in volle Bewegung. Er mußte meine bittersten Klagen über seine Politik hören, durch die er mich verhindert hatte, mich mit dem edelsten Herzen zu verbinden. Ihre großmütige Wohltätigkeit an ihrem Oncle, diese edle Rache für seine abscheuliche Beleidigung, ihr Andenken an die Arme; und an mich, bei dem sie gerechtfertigt zu sein suchte; wie viele Risse in mein Herz! Wie verhaßt wurde mir D., wie viele Mühe hatte ich, die Ausdrücke meines Zorns zu verbergen, wenn ich ihre Feinde sah, oder wenn mir jemand von ihr reden wollte! Denn der herzhafte Schritt, welchen sie zu ihrer Rettung gemacht, wurde von jedermann getadelt, alle ihre vortrefflichen Eigenschaften verkleinert, und ihr Fehler und Lächerlichkeiten angedichtet, deren sie gänzlich unfähig war. Wie elend, aber auch wie allgemein ist das Vergnügen, Fehler am Verdienst aufzuspalten! Tausend Herzen sind eher bereit, sich zu der Bosheit zu erniedrigen, an einer vortrefflichen Person die Gebrechen der Menschheit zu entdecken, als eines zu finden ist, das die edle Billigkeit hat, einem andern den größten Anteil an Kenntnissen und Tugend einzugestehen, und ihn aufrichtig zu verehren. Ich schickte einen Kurier nach Florenz, und schrieb dem Grafen R. die Geschichte seiner würdigen Nichte. Aus der Antwort, so ich von ihm erhielt, erfuhr ich, daß er nicht das geringste von ihrem Aufenthalte wisse. Alle Bemühungen, welche er bis itzt angewandt, sie auszuspähen; sind vergeblich gewesen; - und alles dies vergrößert die Vorwürfe, die ich mir wegen meiner übereilten Abreise von D. mache. Warum wartete ich nicht auf die Folge meiner Unterredung? - Wenn man bessern will, ist es genug, bittere Verweise zu geben? - Mein ganzes Herz würde sich empören, wenn ich einen Kranken schlagen oder mißhandeln sähe: und ich gab einer Person, die ich liebte, die ich für verblendet hielt, Streiche, die ihre Seele verwunden mußten! Aber ich sah sie als eine freiwillig weggeworfene meiner Achtung unwürdige Kreatur an, und dünkte mich berechtiget, ihr auch so zu begegnen. Wie grausam war meine Eigenliebe gegen das liebenswerte Mädchen! Erst wollte ich nicht von meiner Liebe reden, bis sie sich ganz nach meinen Begriffen in dem vollen Glanz einer triumphierenden Tugend gezeigt haben würde. Sie ging ihren eigenen schönen Weg, und weil sie meinen idealischen Plan nicht befolgte, eignete ich mir die Gewalt zu, sie darüber auf das empfindlichste zu bestrafen. Wir beurteilten und verdammten sie alle; aber sie - wie edel, wie groß wird sie, in dem Augenblick, da ich sie für erniedrigt hielt! Sie segnete in der weißen Maske mich wütenden Menschen, der sie an den Rand eines frühen Grabes gestoßen hatte - Oh, was kann sie itzt von dem Geschöpfe sagen, durch dessen Unbesonnenheit sie in eine übereilte und gewiß unglückliche Ehe gestürzt wurde, die sie schon bereut, und nicht wieder brechen kann. Sie schrieb meinen Namen noch, sie wollte, daß ich Gutes von ihr glauben soll! O Sternheim, selbst in deinem von mir verursachten Elende würde deine großmütige, unschuldige Seele die Marter meines Herzens beweinen, wenn du darin das Bild meiner ersten Hoffnungen mit allen Schmerzen der Selbstberaubung vereinigt sehen würdest! Derby ist nach einer Abwesenheit von acht Wochen wieder von einer Reise nach H. zurückgekommen, und bewies mir eine ganz besondere Achtsamkeit; ich goß allen meinen zärtlichen Kummer bei ihm aus; er belachte mich, und behauptete, daß er mit dem Ruf seiner Bosheit viel weniger schädlich sei, als ich es durch diesen Tugendeifer gewesen; seine Bosheit führe eine Art von Verwarnung bei sich, die alle Menschen vorsichtig machen könne. Die Strenge meiner Grundsätze hätte mir eine Grausamkeit gegen die anscheinenden, und unvermeidlichen Fehler der Menschen gegeben, welche die Widerspenstigkeit der Bösen vermehre, und die guten Leute zur Verzweiflung bringe. Wie kömmt Derby zu diesem Anspruch der Wahrheit? Ich fühlte, ja ich fühlte, daß er recht hatte, daß ich grausam war, daß ich es war, ich - Elender! der die Beste ihres Geschlechts unglücklich gemacht! O mein Freund, mein Lehrer, das Maß meines Verdrusses ist voll; alle Stunden meines Lebens sind vergiftet. John, unser Sekretär, ist zwei Tage vor der Flucht des Fräuleins abgereiset, und seitdem nicht mehr gekommen. Die Kammerjungfer des Fräuleins war einmal bei ihm, und unter seinen Papieren hat man ein zerrissenes Blatt gefunden, wo mit der Hand meiner Sternheim geschrieben stund »- ich gehe in alle Ursachen ein, die Sie wegen der Verborgenheit unserer Verbindung angeben; sorgen Sie nur für unsere Trauung; denn ohnvermählt werd ich nicht fortgehen, ob ich gleich die Verbindung mit einem Engländer allen andern vorziehe -« So ist sie also das Eigentum eines der verwerflichsten Menschen aller Nationen geworden! Oh - ich verfluche den Tag, wo ich sie sah, wo ich die sympathetische Seele in ihr fand! - Und, ewig verdamme Gott den Bösewicht, dem sie sich in die Arme warf! Was für Ränke muß der Kerl gebraucht haben! Es ist nicht anders möglich, der Kummer hat ihren Verstand zerrüttet. Aber die Briefe, die sie zurückließ, sind in einem so wohltätigen, so edlem Ton, und mit so vielem Geiste geschrieben! -Doch dünkt mich einst gelesen zu haben, daß just in einer Zerrüttung der künstlichen und gelernten Bewegung des Verstandes die Triebfedern an den Tag kämen, durch welche er von unsern natürlichen und vorzüglichen Neigungen gebraucht wird. Urteilen Sie also von dem edlen Grund des Charakters unsers Fräuleins. -

Fräulein von Sternheim an Emilien

Oh - noch einmal so lieb sind mir meine Mädchen geworden, seitdem Mylord da war; denn durch die Freude an den unschuldigen Kreaturen hat sich mein Geist und mein Herz gestärkt. Mylord liebt das Ernsthafte meiner Gemütsart nicht; er will nur meinen Witz genährt haben; meine schüchterne und sanfte Zärtlichkeit ist auch die rechte Antwort nicht, die ich seiner raschen und heftigen Liebe entgegensetze, und über das Verbrennen seiner Bücher hat er einen männlichen Hauszorn geäußert. Er war drei Wochen da. Ich durfte meine Mädchen nicht sehen; seine Gemütsverfassung schien mir ungleich: bald äußerst munter, und voller Leidenschaft; bald wieder düster und trocken; seine Blicke oft mit Lächeln, oft mit denkendem Mißvergnügen auf mich geheftet. Ich mußte ihm die Ursachen meines anfänglichen Widerwillens gegen ihn, und meine Ändrung erzählen; sodann fragte er mich über meine Gesinnungen für Lord Seymour. Mein Erröten bei diesem Namen gab seinem Gesicht einen mir entsetzlichen Ausdruck, den ich Ihnen nicht beschreiben kann, und in einer noch viel empfindlichem Gelegenheit merkte ich, daß er eifersüchtig über Mylord Seymour ist; ich werde also beständig wegen anderer zu leiden haben. Mylord liebt die Pracht, und hat mir viel kostbare Putzsachen gegeben, ich werde in seine Gesinnung eingehen, ungeachtet ich mich lieber in Bescheidenheit als in Pracht hervortun möchte. Gott gebe, daß dieses der einzige Punkt sein möge, in welchem wir verschieden sein; aber ich fürchte mehrere. - O Emilie, beten Sie für mich! - Mein Herz hat Ahnungen; ich will keine Gefälligkeit, keine Bemühung versäumen, meinem Gemahl angenehm zu sein; aber ich werde oft ausweichen müssen; wenn ich nur meinen Charakter, und meine Grundsätze nicht aufopfern muß! — Ich wählte ihn, ich übergab ihm mein Wohl, meinen Ruhm, mein Leben; ich bin ihm mehr Ergebenheit, und mehr Dank schuldig, als ich einem Gemahl unter andern Umständen schuldig wäre.
O wenn ich einst in England in meinem eigenen Hause bin, und Mylord in Geschäften sein wird, die dem Stolz seines Geistes angemessen sind: dann wird, hoffe ich, sein wallendes Blut im ruhigen Schöße seiner Familie sanfter fließen lernen, sein Stolz in edle Würde sich verwandeln, und seine Hastigkeit tugendhafter Eifer für rühmliche Taten werden. Diesen Mut werd ich unterhalten, und, da ich nicht so glücklich war, eine Griechin der alten Zeiten zu sein, mich bemühen, wenigstens eine der besten Engländerinnen zu werden.

Fräulein von Sternheim an Emilia

Hier in einem einsamen Dorfe, allen die mich sehen, unbekannt, denen, die mich kannten, verborgen, hier fand ich mich wieder, nachdem ich durch meine Eigenliebe und Empfindlichkeit so weit von mir selbst geführt worden, daß ich mit hastigen Schritten einen Weg betrat, vor welchem ich in gelassenen denkenden Tagen mit Schauer und Eifer geflohen wäre; o wenn ich mir nicht sagen könnte, wenn meine Rosine, wenn Mylord Derby selbst nicht zeugen müßten, daß alle Kräfte meiner Seele durch Unmut und Krankheit geschwächt und unterdrückt waren; wo, meine Emilia, wo nähme ich einen Augenblick Ruhe und Zufriedenheit bei dem Gedanken, daß ich heimliche Veranstaltungen getroffen - ein heimliches Bündnis gemacht, und aus dem Hause entflohen bin, in welches ich selbst durch meinen Vater gegeben wurde.
Es ist wahr, ich wurde in diesem Hause grausam gemißhandelt; es war ohnmöglich, daß ich mit Vertrauen und Vergnügen darin bleiben konnte; gewiß war meine Verbitterung nicht ungerecht; denn wie konnte ich ohne den äußersten Unmut denken, daß mein Oncle, und meine Tante mich auf eine so niederträchtige Weise ihrem Eigennutze aufopferten, und Fallstricke für meine Ehre flechten, und legen halfen?
Ich hatte sonst keinen Freund in D., mein Herz empörte sich bei der geringsten Vorstellung, daß ich nach wiedererlangter Gesundheit, Verwandte, die mich meines Ruhms beraubt, und diejenige wiedersehen müßte, die über meinen Widerstand und Kummer gespottet hatten, und alle schon lange zuvor die Absichten wußten, welche man durch meine Vorstellung bei Hofe erreichen wollte. Ja, alle wußten es, sogar mein Fräulein C., und keines von allen war edel und menschlich genug, mir, nachdem man doch meinen Charakter kannte, nur den geringsten Fingerzeig zu geben; mir, die ich keine Seele beleidigte, mich bemühte, meine Gesinnungen zu verbergen, sobald sie die ihrige zu tadeln, oder zu verdrießen schienen! Wie bereit war ich, alles, was mir Fehler deuchte, zu entschuldigen! Aber sie dachten, es wäre nicht viel an einem Mädchen aus einer ungleichen Ehe verloren. Konnte ich bei diesem vollen Übermaße von Beleidigungen, die über meinen Charakter, meine Geburt und meinen Ruhm ausgegossen wurden, den Trost von mir werfen, den mir die Achtung und Liebe des Mylord Derby anbot? Die Entfernung des Grafen, und der Gräfin R., ihr Stillschweigen auf meine letzten Briefe, die Unart, mit welcher mir die Zuflucht auf meine Güter versagt wurde; und, meine Emilia, ich berge es Ihnen nicht, meine Liebe zu England, der angesehene Stand zu welchem mich Mylord Derby durch seine Hand und seine Edelmütigkeit erhob; auch diese zwo Vorstellungen hatten große Reize für meine verlassene und betäubte Seele. Ich war vorsichtig genug, nicht unvermählt aus meinem Hause zu gehen, ich schrieb es dem Fürsten, dem Mylord Craston und meinem Oheim. Ich nannte meinen Gemahl nicht; wiewohl er so großmütig war, mir die volle Freiheit dazu zu lassen, onngeachtet er damit die Gnade des Gesandten und seines Hofes verwürkt hätte, weil man den Gedanken fassen konnte, Mylord Craston hätte dazu geholfen, und dieser Argwohn widrige Folgen hätte haben können; sollte ich da nicht auch großmütig sein, und denjenigen, der mich liebte und rettete, durch mein Stillschweigen vor Verdruß und Verantwortung bewahren? Es war genug, daß er den Gesandtschaftsprediger gewann, dem ich die ganze Geschichte meiner geheimen Trauung schrieb, und welchem Mylord eine Pension gibt, wovon er wird leben können, wenn er auch die Stelle bei dem Gesandten verliert. Durch alles dieses unterstützt, reiste ich mit frohem Herzen von D. ab, von einem der getreuesten Leute des Lords begleitet; mein Gemahl mußte, um allen Verdacht auszuweichen, zurückbleiben, und den Festen beiwohnen, welche zween fremden Prinzen zu Ehren angestellt wurden. Dieser Umstand war mir angenehm, denn ich würde an seiner Seite gezittert und gelitten haben, da ich hingegen mit unserer Rosine glücklich und ruhig meinen Weg fortsetzte, bis ich in diesem kleinen Dorre meinen Aufenthalt nahm, wo ich vier Wochen war, ehe Mylord den schicklichen Augenblick finden konnte, ohne Besorgnis zu mir zu eilen. Mein erster Gedanke war immer, meine Reise nach Florenz zu verfolgen, und Mylorden da zu erwarten; aber ich konnte seine Einwilligung dazu nicht erlangen, und auch itzt will er sich vorher völlig von Mylord Craston losmachen, und erst alsdann mit mir zum Grafen R., nach diesem aber gerade in sein Vaterland gehen.
In diesen vier Wochen, da ich allein war, hielt ich mich eingesperrt, und hatte keine andere Bücher, als etliche englische Schriften von Mylord, die ich nicht lesen mochte, weil sie übergebliebene Zeugnisse seiner durch Beispiel und Verführung verderbten Sitten waren. Ich warf sie auch alle an dem ersten kalten Herbsttag, der mich nötigte Feuer zu machen, in den Ofen, weil ich nicht vertragen konnte, daß diese Bücher und ich einen gemeinsamen Herrn, und Wohnplatz haben sollten. Die Tage wurden mir lang, meine Rosina nahm sich Näharbeit von unsrer Wirtin, und ich fing an mit dem zunehmenden Gefühl der sich wieder erholten Kräfte meines Geistes, Betrachtungen über mich und mein Schicksal anzustellen.
Sie sind traurig, diese Betrachtungen, durch den Widerspruch, der seit dem Tod meines geliebten ehrwürdigen Vaters, noch mehr aber seit dem Augenblick meines Eintritts in die große Welt zwischen meinen Neigungen und meinen Umständen herrschet. O hätte ich meinen Vater nur behalten, bis meine Hand unter seinem Segen an einen würdigen Mann gegeben gewesen wäre! Meine Glücksumstände sind vorteilhaft genug, und da ich nebst meinem Gemahl den Spuren der edlen Wohltätigkeit meiner Eltern gefolgt wäre, so würde die selige Empfindung eines wohlangewandten Lebens, und die Freude über das Wohl meiner Untergebenen alle meine Tage gekrönt haben. Warum hörte ich die Stimme nicht, die mich in P. zurückhalten wollte, als meine Seele ganz mit Bangigkeit erfüllt, sich der Zuredungen meines Oheims, und Ihres Vaters widersetzte? Aber ich selbst dachte endlich, daß Vorurteil und Eigensinn in meiner Abneigung sein könnte, und willigte ein, daß der arme Faden meines Lebens, der bis dahin so rein und gleichförmig fortgeloffen war, nun mit dem ver-worrnen, ungleichen Schicksal meiner Tante verwebt wurde, woraus ich durch nichts als ein gewaltsames Abreißen aller Nebenverbindungen loskommen konnte. Mit diesem vereinigte sich die Verschwörung wider meine Ehre, und meine von Jugend auf genährte Empfindsamkeit, die nur ganz allein für meine beleidigte Eigenliebe arbeitete. Oh, wie sehr hab ich den Unterschied der Würkungen, der Empfindsamkeit für andere, und der für uns allein kennengelernt! Die zwote ist billig, und allen Menschen natürlich; aber die erste allein ist edel; sie allein unterhält die Wahrscheinlichkeit des Ausdrucks, daß wir nach dem Ebenbild unsers Urhebers geschaffen sein, weil diese Empfindsamkeit für das Wohl und Elend unsers Nebenmenschen die Triebfeder der Wohltätigkeit ist, der einzigen Eigenschaft, welche ein zwar unvollkommnes, aber gewiß echtes Gepräge dieses göttlichen Ebenbildes mit sich führt; ein Gepräge, so der Schöpfer allen Kreaturen der Körperwelt eindrückte, als in welcher das geringste Grashälmchen durch seinen Beitrag zur Nahrung der Tiere ebenso wohltätig ist, als der starke Baum es auf so mancherlei Weise für uns wird. Das kleinste Sandkörnchen erfüllt seine Bestimmung wohltätig zu sein, und die Erde durch Lockernheit fruchtbar zu erhalten, so wie die großen Felsen, die uns staunen machen, unsern allgemeinen Wohnplatz befestigen helfen. Ist nicht das ganze Pflanzen- und Tierreich mit lauter Gaben der Wohltätigkeit für unser Leben erfüllt? Die ganze physikalische Welt bleibt diesen Pflichten getreu; durch jedes Frühjahr werden sie erneuert; nur die Menschen arten aus, und löschen dieses Gepräge aus, welches in uns viel stärker, und in größerer Schönheit glänzen würde, da wir es auf so vielerlei Weise zeigen könnten.
Sie erkennen hier, meine Emilia, die Grundsätze meines Vaters; meine  Melancholie rief sie mir sehr lebhaft
zurück, da ich in der Ruhe der Einsamkeit mich umwandte, und den Weg abmaß, durch welchen mich meine Empfindlichkeit gejagt, und so weit von dem Orte meiner Bestimmung verschlagen hatte. Oh, ich bin den Pflichten der Wohltätigkeit des Beispiels entgangen![1] Niemand wird sagen, daß Kummer und Verzweiflung Anteil an meinem Entschluß hatten; aber jede Mutter wird ihre Tochter durch die Vorstellung meiner Fehler warnen; und jedes bildet sich ein, es würde ein edlers und tugendhafters Hülfsmittel gefunden haben. Ich selbst weiß, daß es solche gibt; aber mein Geist sah sie damals nicht, und es war niemand gütig genug, mir eines dieser Mittel zu sagen. Wie unglücklich ist man, meine Emilia, wenn man Entschuldigungen suchen muß, und wie traurig ist es, sie zu leicht, und unzulänglich zu finden! So lang ich für andere unempfindlich war, fehlte ich nur gegen die Vorurteile der fühllosen Seelen, und wenn es auch schien, daß meine Begriffe von Wohltätigkeit übertrieben wären, so bleiben sie doch durch das Gepräge des göttlichen Ebenbildes verehrungs- und nachahmungswürdig. Aber itzt, da ich nur für mich empfand, fehlte ich gegen den Wohlstand und gegen alle gesellschaftliche Tugenden eines guten Mädchens. - Wie dunkel, o wie dunkel ist dieser Teil meines vergangenen Lebens! Was bleibt mir übrig, als meine Augen auf den Weg zu heften, den ich nun vor mir habe, und darin einen geraden Schritt bei klarem Lichte fortzugehen? Meine ersten Erquickungsstunden hab ich in der Beschäftigung gefunden, zwo arme Nichten meiner Wirtin arbeiten und denken zu lehren. Sie wissen, Emilia, daß ich gerne beschäftigt bin. Mein Nachdenken, und meine Feder machten mich traurig; ich konnte am Geschehenen nichts mehr ändern, mußte den Tadel, der über mich erging, als eine gerechte Folge meiner irregegangenen Eigenliebe ansehen, und meine Ermunterung außer mir suchen, teils in dem Vorsatze, Mylord Derby zu einem glücklichen Gemahl zu machen, teils in der Bestrebung meinen übrigen Nebenmenschen alles mögliche Gute zu tun. Ich erkundigte mich nach den Armen des Orts, und suchte ihnen Erleichterung zu schaffen. Bei dieser Gelegenheit, sagte mir die gute Rosina, von zwoen Nichten der Wirtin, armen verwaisten Mädchen, die der Wirt haßte, und auch seiner Frau, deren Schwester-Töchter sie sind, wegen dem wenigen, so sie genießen, sehr übel begegnete. Ich ließ sie zu mir kommen, forschte ihre Neigungen aus, und was jede schon gelernt hätte, oder noch lernen möchte; beide wollten die Künste der Jungfer Rosine wissen; ich teilte mich also mit ihr in dem Unterricht der guten Kinder; ich ließ auch beide kleiden, und sie kamen gleich den andern Tag, um meinem Anziehen zuzusehen. Vierzehn Tage darauf bedienten sie mich wechselsweise. Ich redete ihnen von den Pflichten des Standes, in welchen Gott sie, und von denen, in welchen er mich gesetzt habe, und brachte es so weit, daß sie sich viel glücklicher achteten, Kammerjungfern als Damen zu sein, weil ich ihnen sehr von der großen Verantwortung sagte, die uns wegen dem Gebrauch unsrer Vorzüge und unsrer Gewalt über andere aufgelegt sei. Ihre Begriffe von Glück, und ihre Wünsche waren ohnehin begrenzt, und die kleinen Prophezeiungen, die ich jeder nach ihrer Gemütsart machen kann, vergnügen sie ungemein; sie glauben, ich wisse ihre Gedanken zu lesen. Ich zahle dem Wirt ein Kostgeld für sie, und kaufe alles, was sie zu ihren Lehrarbeiten nötig haben. Ich halte ihnen Schreibe- und Rechnungsstunden, und suche auch, ihnen einen Geschmack im Putz einer Dame zu geben, besonders lehre ich sie alle Gattung von Charakter zu kennen, und mit guter Art zu ertragen. Die Wirtin und ihre Nichten sehen mich als ihren Engel an, und würden alle Augenblicke vor mir knien, und mir danken, wenn ich es dulden wollte. Süße glückliche Stunden, die ich mit diesen Kindern hinbringe! Wie oft erinnere ich mich an den Ausspruch eines neuern Weisen, welcher sagte: »Bist du melancholisch, siehst du nichts zu deinem Trost um dich her - lies in der Bibel;
befreie dich von einem anklebenden Fehler; oder suche deinem Nebenmenschen Gutes zu tun: so wird gewiß die Traurigkeit von dir weichen -«
Edles unfehlbares Hülfsmittel! Wie höchst vergnügt gehe ich mit meinen Lehrmädchen spazieren, und rede ihnen von der Güte unsers gemeinsamen Schöpfers! Mit welchem innigen Vergnügen erfüllt sich mein Herz, wenn ich beide, über meine Reden bewegt, ihre Augen mit Ehrfurcht und Dankbarkeit gen Himmel wenden seh, und sie mir dann meine Hände küssen und drücken: In diesen Augenblicken, Emilia, bin ich sogar mit meiner Flucht zufrieden, weil ich ohne sie diese Kinder nicht gefunden hätte.

Mylord Derby an seinen Freund

Verwünscht seist Du mit Deinen Vorhersagungen; was hattest Du sie in meine Liebesgeschichte zu mengen? Meine Bezauberung würde nicht lange dauern, sagtest Du! Wie, zum Henker, konnte Dein Dummkopf dieses in Paris sehen, und ich hier so ganz verblendet sein? -Aber Kerl, Du hast doch nicht ganz recht! Du sprachst von Sättigung; diese hab ich nicht, und kann sie nicht haben, weil mir noch viel von der Idee des Genusses fehlt; und dennoch kann ich sie nicht mehr sehen! -Meine Sternheim, meine eigene Lady nicht mehr sehen! Sie, die ich fünf Monate lang bis zum Unsinn liebte! Aber ihr Verhängnis hat mein Vergnügen, und ihre Gesinnungen gegeneinandergestellt; mein Herz wankte zwischen beiden; sie hat die Macht der Gewohnheit mißkannt; sie hat die feurigen Umarmungen ihres Liebhabers bloß mit der matten Zärtlichkeit einer frostigen Ehefrau erwidert; kalte - mit Seufzern unterbrochene Küsse gab sie mir, sie, die so lebhaft mitleidend, sie, die so geschäftig, so brennend eifrig für Ideen, für Hirngespenster sein kann! Wie süß, wie anfesselnd hab ich mir ihre Liebe, und ihren Besitz vorgestellt! Wie begierig war ich auf die Stunde, die mich zu ihr führte! Pferde, Postknechte, und Bedienten hätte ich der Geschwindigkeit meiner Reise aufopfern wollen. Stolz auf ihre Eroberung, sah ich den Fürsten und seine Helfer mit Verachtung an. Mein Herz, mein Puls klopften vor Freude, als ich das Dorf erblickte, wo sie war, und beinah hätt' ich aus Ungeduld meine Pistole auf den Kerl losgefeuert, der meine Chaise nicht gleich aufmachen konnte. In fünf Schritten war ich die Treppe hinauf. Sie stand oben in englischer Kleidung, weiß, schön, majestätisch sah sie aus; mit Entzückung schloß ich sie in meine Arme. Sie bewillkommte mich stammelnd; wurde bald rot, bald blaß. Ihre Niedergeschlagenheit hätte mich glücklich gemacht, wenn sie nur einmal die Miene des Schmachtens der Liebe gehabt hätte; aber alle ihre Züge waren allein mit Angst und Zwang bezeichnet. Ich ging mich umzukleiden, kam bald wieder, und sah durch eine Türe sie auf der Bank sitzen, ihre beiden Arme um den Vorhang des Fensters geschlungen, alle Muskeln angestrengt, ihre Augen in die Höhe gehoben, ihre schöne Brust von starkem tiefen Atemholen langsam bewegt; kurz, das Bild der stummen Verzweiflung! Sage, was für Eindrücke mußte das auf mich machen? Was sollt' ich davon denken? Meine Ankunft konnte ihr neue, unbekannte Erwartungen geben; etwas bange mochte ihr werden; aber wenn sie Liebe für mich gehabt hätte, war wohl dieser starke Kampf natürlich? Schmerz und Zorn bemächtigten sich meiner; ich trat hinein; sie fuhr zusammen, und ließ ihre Arme, und ihren Kopf sinken; ich warf mich zu ihren Füßen, und faßte ihre Knie mit starren bebenden Händen.
»Lächeln Sie, Lady Sophie, lächeln Sie, wenn Sie mich nicht unsinnig machen wollen -« schrie ich ihr zu. Ein Strom von Tränen floß aus ihren Augen. Meine Wut vergrößerte sich, aber sie legte ihre Arme um meinen Hals, und lehnte ihren schönen Kopf auf meine Stirne. »Teurer Lord, oh, sein Sie nicht böse, wenn Sie mich noch empfindlich für meine unglückliche Umstände sehen; ich hoffe, durch Ihre Güte alles zu vergessen.« Ihr Hauch, die Bewegung ihrer Lippen, die ich, indem sie redte, auf meiner Wange fühlte, einige Zähren, die auf mein Gesicht fielen, löschten meinen Zorn, und gaben mir die zärtlichste, die glücklichste Empfindung, die ich in dreien Wochen mit ihr genoß. Ich umarmte, ich beruhigte sie, und sie gab sich Mühe den übrigen Abend, und beim Speisen zu lächeln. Manchmal deckte sie mir mit allem Zauber der jungfräulichen Schamhaftigkeit die Augen zu, wenn ihr meine Blicke zu glühend schienen. Reizende Kreatur, warum bliebst du nicht so gesinnt? Warum zeigtest du mir deine sympathetische Neigung zu Seymour.
Die übrigen Tage suchte ich munter zu sein. Ich hatte ihr eine Laute mitgebracht, und sie war gefällig genug, mir ein artiges welsches [2] Liedchen zu singen, welches sie selbst gemacht hatte, und worin sie die Venus um ihren Gürtel bat, um das Herz, so sie liebte, auf ewig damit an sich zu ziehen. Die Gedanken waren schön und fein ausgedrückt, die Melodie rührend, und ihre Stimme so voll Affekt, daß ich ihr mit der süßesten und stärksten Leidenschaft zuhörte. Aber mein schöner Traum verflog durch die Beobachtung, daß sie bei den zärtlichsten Stellen, die sie am besten sang, nicht mich, sondern mit hängendem Kopfe die Erde ansah, und Seufzer ausstieß, welche gewiß nicht mich zum Gegenstande hatten. Ich fragte sie am Ende, ob sie dieses Lied heute zum ersten-male gesungen? »Nein«, sagte sie errötend; dieses veranlaßte noch einige Fragen, über die Zeit, da sie angefangen hätte, gut für mich zu denken, und über ihre Gesinnungen für Seymour. Aber verdammt sei die Freimütigkeit, mit welcher sie mir antwortete; denn damit hat sie alle Knoten losgemacht, die mich an sie banden. Hundert Kleinigkeiten, und selbst die Mühe, die es sie kostete, zärtlich und fröhlich zu sein, überzeugten mich, daß sie mich nicht liebte. Ein wenig Achtung für meinen Witz und für meine Freigebigkeit, die Freude nach England zu kommen, und kalter Dank, daß ich sie von ihren Verwandten, und dem Fürsten befreit hatte: dies war alles, was sie für mich empfand, alles, was sie in meine Arme brachte! Ja, sie war unvorsichtig genug, mir auf meine verliebte Bitte, die Eigenschaften zu nennen, die sie am meisten an mir lieben würde - nichts anders als ein Gemälde von Seymour vorzuzeichnen; und immer betrieb sie unsere Reise nach Florenz; deutliches Anzeigen, daß sie nicht für das Glück meiner Liebe, sondern für die Befriedigung ihres Ehrgeizes bedacht war! Denn sie vergiftete alle Tage ihres Besitzes durch diese Erinnerung, welcher sie alle mögliche Wendungen gab, sogar, daß sie mich versicherte, sie würde mich erst in Florenz lieben können. Sie vergiftete, sagt' ich Dir, mein Glück, aber auch zugleich mein Herz, welches närrisch genug war, sich zuweilen meine falsche Heurat gereuen zu lassen, und sehr oft ihre Partie wider mich ergriff. In der dritten Woche fraß das Übel um sich. Ich hatte ihr englische Schriften gegeben, die mit den feurigsten und lebendigsten Gemälden der Wollust angefüllt waren. Ich hoffte, daß einige Funken davon die entzündbare Seite ihrer Einbildungskraft treffen sollten: aber ihre widersinnige Tugend verbrannte meine Bücher, ohne ihr mehr zu erlauben, als sie durchzublättern, und zu verdammen. Der Verlust der Bücher, und meiner Hoffnung brachte einen kleinen Ausfall von Unmut hervor, den sie mit gelassener Tapferkeit aushielt. Zween Tage hernach kam ich an ihren Nachttisch, just wie ihre schönen Haare gekämmt wurden; ihre Kleidung war von weißen Musselin, mit roten Taft, nett an den Leib angepaßt, dessen ganze Bildung das vollkommenste Ebenmaß der griechischen Schönheit ist; wie reizend sie aussah! Ich nahm ihre Locken, und wand sie unter ihrem rechten Arme um ihre Hüften. Miltons Bild der Eva kam mir in den Sinn. Ich schickte ihr Kammermensch weg, und bat sie, sich auf einen Augenblick zu entkleiden, um mich so glücklich zu machen, in ihr den Abdruck des ersten Meisterstücks der Natur zu bewundern.* (* Welche Zumutung, Mylord Derby? Konnten Sie ihre Zeit nicht besser nehmen. H.) Schamröte überzog ihr ganzes Gesicht; aber sie versagte mir meine Bitte geradezu; ich drang in sie, und sie sträubte sich so lange, bis Ungeduld und Begierde mir eingaben ihre Kleidung vom Hals an durchzureißen, um auch wider ihren Willen zu meinem Endzweck zu gelangen. Solltest Du glauben, wie sie sich bei einer in unsern Umständen so wenig bedeutenden Freiheit gebärdete? - »Mylord«, rief sie aus, »Sie zerreißen mein Herz, und meine Liebe für Sie; niemals werd ich Ihnen diesen Mangel feiner Empfindungen vergeben! O Gott, wie verblendet war ich!« - Bittere Tränen, und heftiges Zurückstoßen meiner Arme, begleiteten diese Ausrufungen. Ich sagte ihr trocken: ich wäre sicher, daß sie dem Lord Seymour diese Unemp-findlichkeit für sein Vergnügen nicht gezeigt haben würde. »Und ich bin sicher«, sagte sie im hohem tragischen Ton, »daß Mylord Seymour mich einer edlern, und feinern Liebe wert gehalten hätte.« Hast Du jemals die Narrenkappe einer sonderbaren Tugend mit wunderlichem Schellen behangen gesehen, als daß ein Weib ihre vollkommenste Reize nicht gesehen, nicht bewundert haben will? Und wie albern, eigensinnig war der Unterschied, den sie zwischen meinen Augen, und meinem Gefühl machte? Ich wollt' es nachmittags von ihr selbst erklärt wissen, aber sie konnte mit allem Nachsinnen nichts anders sagen, als daß sie bei Entdeckung der besten moralischen Eigenschaften ihrer Seele die nämliche Widerstrebung äußern würde, ungeachtet sie mir gestund, daß sie mit Vergnügen bemerkte, wenn man von ihrem Geist, und von ihrer Figur vorteilhaft urteile; dennoch wolle sie lieber dieses Vergnügen entbehren, als es durch ihre eigene Bemühung erlangen.[3] Denkst Du wohl, daß ich mit diesem verkehrten Kopfe vergnügt sollte leben können? Dieses Gemische von Verstand und Narrheit hat ihr ganzes Wesen durchdrungen, und gießt Trägheit und Unlust über alle Bewegungen meiner muntern Fibern aus. Sie ist nicht mehr die Kreatur, die ich liebte; ich bin also auch nicht mehr verbunden, das zu bleiben, was ich ihr damals zu sein schien. - Sie selbst hat mir den Weg gebahnt, auf welchem ich ihren Fesseln entfliehen werde. Der Tod meines Bruders stimmt ohnehin die Saiten meiner Leier auf einen andern Ton; ich muß vielleicht bald nach England zurücke, und dann kann Seymour sein Glücke bei meiner Witwe versuchen; denn ich denke, sie wird's bald sein; und bloß ihrem eigenen Betragen wird sie dies zu danken haben. Da sie sich für meine Ehefrau hält, war es nicht ihre Pflicht, sich in allem nach meinem Sinne zu schicken? Hat sie diese Pflicht nicht gänzlich aus den Augen gesetzt? Liebt sie nicht sogar einen andern? Und ist es also nicht billig und recht, daß der Betrug, den ihr Ehrgeiz an mir begangen, auch durch mich an ihrem Ehrgeiz gerächet werde? Freudig seh ich um mich her, wenn ich bedenke, das ich das auserwählte Werkzeug war, durch welches die Niederträchtigkeit ihres Oheims, die Lüsternheit des Fürsten, und die Dummheit der übrigen Helfer gestraft wurde! Es ist ja ein angenommener Lehrsatz; daß die Vorsicht sich der Bösewichter bediene, um die Vergehungen der Frommen zu ahnden. Ich war also nichts als die Maschine, durch welche das Weglaufen der Sternheim gebüßt werden sollte; dazu wurde mir auch das nötige Pfund von Gaben und Geschicklichkeit gegeben. Meine Belohnung hab ich genossen. Sie mögen sich nun samt und sonders ihre erhaltene Züchtigung zunutz machen! Wisse übrigens, daß ich würklich der Vertraute von Seymourn geworden bin. Auf einem Dorfe saß er, und beheulte den Verlust der Tugend des Mädchens, während, daß ich es in aller Stille auf der andern Seite unter Dach brachte, und ihn belachte. Er wollte von mir wissen, wer wohl der Gemahl, mit dem sie, nach ihrem Briefe, entflohen wäre, sein könnte? Er hat Kuriere nach Florenz abgeschickt; aber ich hab ein Mittel gefunden, seinen Nachspürungen Einhalt zu tun, da ich in dem letzten Billet, das mir die Sternheim nach D. geschrieben hatte, alle Worte abriß, die mich hätten verraten können, und das übrige Stück unter die Papiere des Sekretärs John warf, über dessen Ausbleiben man stutzig wurde, und sein Zimmer auf mein Anraten aussuchte. Bei diesem Stück Papier wurden dann die Vermutungen auf ihn festgesetzt, und er für den Erlöser erklärt, den sich das feine Mädchen erwählt habe. Eine Sache, die man als den Beweis ansah, daß lauter bürgerliche Begriffe und Neigungen in ihrer Seele herrschen; und ein Text, worüber nun die adelichen Mütter ihren Töchtern gegen die Heuraten außer Stand jahrelang predigen werden. Seymours Liebe versinkt in Unmut und Verachtung; er nennt ihren Namen nicht mehr, und schickt keine Kuriere mehr fort - ich aber erwarte einen aus England, und dann wirst du erfahren, ob ich zu dir komme oder nicht.

Rosina an ihre Schwester Emilia

O meine Schwester, wie soll ich Dir den entsetzlichen Jammer beschreiben, der über unser geliebtes Fräulein gekommen ist! - Lord Derby! Gott wird ihn strafen, und muß ihn strafen! Der abscheuliche Mann! er hat sie verlassen, und ist allein nach England gereist. Seine Heurat war falsch; ein gottloser Bedienter, wie sein Herr, in einen Geistlichen verkleidet, verrichtete die Trauung. Ach, meine Hände zittern es zu schreiben; der schändliche Bösewicht kam selbst mit dem Abschiedsbriefe, damit uns sein Gesicht keinen Zweifel an unserm Unglück übriglassen sollte. Der Lord sagt: die Dame hätte ihn nicht geliebt, sondern nur immer Mylord Sey-mourn im Herzen gehabt; dieses hätte seine Liebe ausgelöscht, sonst wäre er unverändert geblieben. Der ruchlose Mensch! Ewiger Gott! Ich, ich habe auch zu der Heurat geholfen! War ich nur zum Lord Seymour gegangen! Ach wir waren beide verblendet - ich darf unsere Dame nicht ansehen; das Herz bricht mir; sie ißt nichts; sie ist den ganzen Tag auf den Knien vor einem Stuhl, da hat sie ihren Kopf liegen; unbeweglich, außer, daß sie manchmal ihre Arme gen Himmel streckt, und mit einer sterbenden Stimme ruft: »Ach Gott, ach mein Gott!«
Sie weint wenig, und nur seit heute; die ersten zween Tage fürchtete ich, wir würden beide den Verstand verlieren, und es ist ein Wunder von Gott, daß es nicht geschehen ist.
Zwo Wochen hörten wir nichts vom Lord; sein Kerl reiste weg, und fünf Tage darnach kam der Brief, der uns so unglücklich machte. Der verfluchte Bösewicht gab ihn ihr selbst. Blaß und starr wurde sie; endlich, ohne ein Wort zu sagen, zerriß sie mit der größten Heftigkeit seinen Brief, und noch ein Papier, warf die Stücke zu Boden, deutete mit einer Hand darauf, und mit einem erbärmlichen Ausdruck von Schmerzen sagte sie dem Kerl: »Geh, geh«; zugleich aber fiel sie auf ihre Knie, faltete ihre Hände, und blieb über zwo Stunden stumm, und wie halb tot liegen. Was ich ausstund, kann ich Dir nicht sagen; Gott weiß es allein! Ich kniete neben sie hin, faßte sie in meine Arme, und bat sie so lange mit tausend Tränen, bis sie mir mit gebrochener matter Stimme und stotternd sagte: Derby verlasse sie - ihre Heurat wäre falsch, und sie hätte nichts mehr zu wünschen als den Tod. - Sie will sich nicht rächen; bei Dir, liebste Schwester, will sie sich verbergen. Übermorgen reisen wir ab; ach Gott sei uns gnädig auf unserer Reise! Du mußt sie aufnehmen; Dein Mann wird es auch tun, und ihr raten. Wir nehmen nichts mit, was vom Lord da ist; seinen Wechselbrief von sechshundert Karolinen hat sie zerrissen. All ihr Geld beläuft sich auf dreihundert; davon gibt sie den zwoen Mädchen noch fünfzig, und den andern Armen noch fünfzig. Ihr Schmuck und ein Coffre mit Kleidern ist alles, was wir mitbringen. Du wirst uns nicht mehr kennen, so elend sehen wir aus. Sie spricht mit niemand mehr, der Bruder von den zwoen Mädchen führt uns den halben Weg zu Dir. Wir suchen Trost bei Dir, liebe Schwester! Sie möchte Dir selbst schreiben, und kann kaum die lieben wohltätigen Hände bewegen.
Ich darf nicht nachdenken, wie gut sie gegen alle Menschen war, und nun muß sie so unglücklich sein! Aber Gott muß und wird sich ihrer annehmen.

Fräulein Sternheim an Emilien

O meine Emilia, wenn aus diesem Abgrunde von Elend die Stimme Ihrer Jugendfreundin noch zu Ihrem Herzen dringt, so reichen Sie mir Ihre liebreiche Hand; lassen Sie mich an Ihrer Brust meinen Kummer und mein Leben ausweinen. O wie hart, wie grausam werde ich für den Schritt meiner Entweichung bestraft! O Vorsicht -Ach! ich will nicht mit meinen Schicksal rechten. Das erstemal in meinem Leben erlaubte ich mir einen Gedanken von Rache, von heimlicher List; muß ich es nicht als eine billige Bestrafung annehmen, daß ich in die Hände der Bosheit und des Betrugs gefallen bin? Warum glaubte ich dem Schein? - Aber, o Gott! wo soll ein Herz wie dies, das du mir gabst, wo soll es den Gedanken hernehmen, bei einer edlen, bei einer guten Handlung böse Grundsätze zu argwohnen!
Eigenliebe, du machtest mich elend; du hießest mich glauben, Derby würde durch mich die Tugend lieben lernen! - Er sagt: er hätte nur meine Hand, ich aber sein Herz betrogen. Grausamer, grausamer Mann! was für einen Gebrauch machst du von der Aufrichtigkeit meines Herzens, das so redlich bemüht war, dir die zärtlichste Liebe und Achtung zu zeigen! Du glaubst nicht an die Tugend, sonst würdest du sie in meiner Seele gesucht und gefunden haben.
Wahr ist es, meine Emilia, ich hatte Augenblicke, wo ich meine Befreiung von den Händen des Mylord Seymour zu erhalten gewünscht hätte; aber ich riß den Wunsch aus meinem Herzen; Dankbarkeit und Hochachtung erfüllten es für den Mann, den ich zu meinem Gemahl nahm - tötender Name, wie konnte ich dich schreiben -
aber mein Kopf, meine Empfindungen sind verwüstet, wie es mein Glück, mein Ruhm, und meine Freude sind. Ich bin in den Staub erniedriget; auf der Erde liege ich, und bitte Gott, mich nur so lange zu erhalten, bis ich bei Ihnen bin, und den Trost genieße, daß Sie die Unschuld meines Herzens sehen, und eine mitleidige Träne über mich weinen. Alsdann, o Schicksal, dann nimm es, dieses Leben, welches mit keinem Laster beschmutzt, aber seit vier Tagen durch deine Zulassung so elend ist, daß es ohne die Hoffnung eines baldigen Endes unerträglich wäre.

Derby an seinen Freund

Ich reise nach England, und komme vorher zu Dir. Sage mir nichts von meiner letzten Liebe; ich will nicht mehr daran denken; es ist genug an der unruhigen Erinnerung, die sich mir wider meinen Willen aufdringt. Meine halbe Lady ist fort aus dem Dorfe, wo ihrem abenteuerlichen Charakter ein abenteuerliches Schicksal zugemessen wurde; mit stolzem Zorn ist sie fort; meinen Wechselbrief zerriß sie in tausend Stücke, und alle meine Geschenke hat sie zurückgelassen. Ich hätte sie bald deswegen wieder eingeholt, aber wenn sie mir meine Streiche vergeben könnte, so würde ich sie verachten. Lieben kann sie mich nach allem diesem unmöglich, und ich hätte nicht mehr glücklich mit ihr sein können; wozu würde also die Verlängerung meiner Rolle gedient haben? Sie muß doch immer meine Wahrheitsliebe verehren, und meine Kenntnisse der geheimsten Triebfedern unsrer Seele bewundern. Ich verließ sie, unschlüssig, was ich mit ihr und meinem Bündnis machen sollte; aber ihre unaufhörliche Anfoderung, sie nach Florenz zu führen, und die Drohung auch ohne mich abzureisen, brachte mich dahin, ihr ganz trocken zu schreiben: Ich sehe wohl, daß sie sich meiner Liebe nur bedient habe, um ihrem Oheim Löbau zu entgehen, und ihren Ehrgeiz in Sicherheit zu setzen, daß sie das Glück meiner Liebe, und meines Herzens niemals in Betrachtung gezogen, indem sie mir nicht den geringsten Zug meines eigenen Charakters zugut gehalten, und mich nur dann geachtet habe, wenn ich mich nach ihren Phantasien gebogen, und meine Begriffe mit ihren Grillen geputzt; es sei mir unmöglich dem Gemälde gleich zu werden, welches sie mir von den beliebten Eigenschaften ihres Mannes vorgezeichnet, indem ich nicht Seymour wäre, für welchen allein sie die zärtliche Leidenschaft nährte, die ich von ihr zu verdienen gewünscht hätte; ihre Bestürzung, wenn ich ihn genennt, ihre Sorgsamkeit nicht von ihm zu reden, ja selbst die Liebkosungen, die sie mir zu Vertilgung meines Argwohns gemacht - wären lauter Bekräftigungen der Fortdauer ihrer Neigung zu Seymour. Sie wäre die erste, welche mich zu dem Entschlüsse mich zu vermählen gebracht hätte; dennoch aber hätt' ich noch so viel Vorsichtigkeit übrig behalten, mich zuvor ihrer ganzen Gesinnungen versichern zu wollen; hierzu hätte mir die Maske des Priesterrocks, den einer meiner Leute angezogen, die Gelegenheit verschafft. Meine Liebe und Ehre würde dadurch ebenso fest gebunden gewesen sein, als durch die Trauung, und wenn sie der Primas von England, oder der Papst selbst verrichtet hätte; aber da die Vereinigung unserer Gemüter als das erste Hauptstück fehlte, so wäre es gut, daß wir uns ohne Zeugen und Gepränge trennten, wie wir uns verbunden hätten, weil ich nicht niederträchtig genug sei, mich mit dem bloßen Besitz ihrer reizenden Person zu vergnügen, ohne Anteil an ihrem Herzen zu haben, und nicht einfältig genug, um sie für den Lord Seymour nach England zu führen; sie hätte nicht Ursache über mich zu klagen, denn ich wäre es, der sie den Verfolgungen des Fürsten, und der Gewalt ihres Oncles entrissen; ich hätte nur ihre Hand, sie aber, weil sie die Liebe nicht für mich gefühlt habe,  welcher sie mich versichert,  hätte mein Herz betrogen; und nun schenke ich ihr ihre volle Freiheit wieder.
Ich schickte den Kerl ab, und ging nach B. bei meiner Tänzerin ein ohnfehlbares Mittel gegen alle Gattungen von unruhigen Gedanken zu suchen; auch gab sie mir einen guten Teil meiner Munterkeit wieder. Mein Bruder könnte zu keiner gelegnem Zeit gestorben sein als itzt. Meine Gelder wurden seltner geschickt, und dieser närrische Roman war ein wenig kostbar; doch, sie verdiente alles. Hätte sie mich nur geliebt, und ihre Schwärmerei abgeschworen! - Ich war närrisch genug, mich meinen Brief gereun zu lassen, und ließ vor zween Tagen nach ihr fragen; aber weg war sie; und alles wohl erwogen, hat sie recht daran getan; wir können und sollen uns nicht mehr sehen. Ihre Briefe, ihr Bildnis hab ich zerrissen wie sie meinen Wechsel: Aber D., wo alles von ihr spricht, wo mich alles an sie erinnert, ist mir unerträglich. Halte mir eine lustige Bekanntschaft zurechte, wie sie für einen englischen Erben gehört, um meine wieder erhaltene Portion Freiheit mit ihr zu verzehren. Denn mein Vater wird mir das Joch über den Hals werfen, sobald ich ihm nahe genug dazu sein werde. Er kann mir geben, welche er will; keine Liebe bring ich ihr nicht zu. Das wenige, was von meinem Herzen noch übrig war, hat mein deutsches Landmädchen aufgezehrt; - der Platz ist nun völlig leer, ich fühle es; hier und da schwärmen noch einige verirrte Lebensgeister herum, und wenn ich ihnen glaubte, so flüsterten sie mir was von dem Bilde meiner vierzigtägigen Gemahlin zu, deren Schatten noch darin herum wandern soll; aber ich achte nicht auf dieses Gesumse. Meine Vernunft und die Umstände reden meinem ausgeführten Plan das Wort; und am Ende ist es doch nichts anders als die Gewohnheit, die mir ihr Bild in D. zurückruft, wo ich sie in allen Gesellschaften zu sehen pflegte, und immer von ihr reden höre. - Aber bei dem allen schwör ich Dir, nimmermehr soll eine Methaphysikerin, noch eine Moralistin meine Geliebte werden. Ehrgeiz und Wollust allein haben Leute in ihren Diensten, die Unternehmungen wagen, und ausführen helfen; auch sind dieses die einzigen Gottheiten, die ich künftig verehren will; jener, weil ich von ihm so viel Ansehen und Gewalt zu erlangen hoffe, um alle Gattungen des Vergnügens in meinen Schutz zu nehmen und zu verteidigen, bis ich einst die liebenswürdigste davon bei einer Parlamentswahl ersäufe, oder bei einem Pferderennen den Kopf zerquetsche. Ha, siehst du, wie schön die gewöhnlichen Lordseigenschaften in mir erwacht sind; erst durch alle seine Ränke ein artiges Mädchen an mich gezogen, und sie denen entrissen, durch welche sie glücklich geworden wäre; unsinnige Verschwendungen gemacht, und wenn man alles dessen satt ist, den Ton eines Patrioten bei Wetterennen und Wahlen angenommen und der Zeit überlassen, was nach diesen verschiedenen Aufgärungen in dem Faß Nützliches übrigbleiben mag. -
Hier, meine Freundin, muß ich selbst wieder das Wort nehmen, um Ihnen von dem, was auf die unglückliche Veränderung in dem Schicksal meiner geliebten Dame gefolget ist, eine zusammenhangende Geschichte zu liefern.
Das Haus meiner Schwester war itzt der einzige Ort, wohin wir in diesen Umständen Zuflucht nehmen konnten. Man durfte ihr weder von Rache, noch von Behauptung ihrer Rechte sprechen; und der Gedanke, auf ihre Güter zu gehen, war in diesen Umständen auch nicht zu fassen. Ihr Kummer war so groß, daß sie hoffte, er würde sie töten; ich glaube auch, daß es geschehen wäre, wenn wir uns länger in dem Hause aufgehalten hätten, wo die unglückliche Heurat vollzogen worden war. Da ich bei den Zurüstungen auf unsre Abreise ein paarmal die Türe des Wohnzimmers von Lord Derby öffnete, und sie einen Blick hinwarf, glaubte ich, ihr Schmerz würde sie auf der Stelle ersticken. Sie blieb mit dem äußersten Jammer beladen in meinem Zimmer, während, daß ich einpacken mußte. Aber alle Geschenke von Lord Derby, welche sehr schön und in großer Menge da waren, mußte ich der Wirtin übergeben. Wir nahmen nichts als das wenige zusammen, so wir von unsrer Flucht aus D. mitgebracht hatten. Die Wirtin, welche auf einen Monat voraus bezahlt war, wollte uns noch behalten ; aber wir reisten den zweiten Tag, von ihrem Segen für uns, und Flüchen über den gottlosen Lord begleitet, morgens um vier Uhr ab.
Still und blaß wie der Tod, die Augen zur Erde geschlagen, saß meine liebe Dame bei mir; kein Wort, keine Träne erleichterte ihr beklemmtes Herz; zween Tage reisten wir durch herrliche Landschaften, ohne daß sie auf etwas achtete; nur manchmal umfaßte sie mich mit einer heftigen gichterischen [3] Bewegung, und legte ihren Kopf einige Augenblicke auf meine Brust; ich wurde immer ängstiger, und weinte mit lauter Stimme; darüber sah sie mich rührend an, und sagte mit ihrem himmlischen Ton, indem sie mich an sich drückte: »O meine Rosina, dein Kummer zeigt mir erst den ganzen Umfang meines Elends. Sonst lächeltest du, wenn du mich sahst, und nun betrübt mein Anblick dein Herz! Oh, laß mich nicht denken, daß ich auch dich unglücklich gemacht habe! Sei ruhig, du siehst ja mich ganz gelassen.«
Ich war froh, sie wieder so viel reden zu hören, und einige Zähren aus ihren erstorbenen Augen fallen zu sehen; ich antwortete: »Ich wollte gerne ruhig sein, wenn ich Sie nicht so niedergeschlagen sähe, und wenn ich nur noch einige Funken der Zufriedenheit bei Ihnen bemerkte, die Sie sonst bei dem Anblick einer schönen Gegend fühlten.« Sie schwieg einige Minuten, und betrachtete den Himmel um uns her; dann sagte sie unter zärtlichem Weinen: »Es ist wahr, liebe Rosina, ich lebe, als ob mein Unglück alles Gute und Angenehme auf Erden verschlungen hätte; und dennoch liegt die Ursache meines Jammers weder in den Geschöpfen, noch in ihrem wohltätigen Urheber. Warum bin ich von der vorgeschriebenen Bahn abgewichen?«
Sie fing darauf eine Wiederholung ihres Lebens, und der merkwürdigsten Umstände ihres Schicksals an. Ich suchte sie mit sich selbst, und den Beweggründen ihrer Handlungen, besonders mit den Ursachen ihrer heimlichen Heurat, und Flucht aus D., zufriedenzustellen, und gewann doch so viel, daß sie bei dem Anblick der vollen Scheuren, und dem Gewühle der Herbstgeschäfte in den Dörfern, die wir durchfuhren, vergnügt aussah, und sich über das Wohl der Landleute freute. Aber der Anblick junger Mädchen, besonders, die in einerlei Alter mit ihr zu sein schienen, brachte sie in ihre vorige Traurigkeit, und sie bat Gott mit gefalteten Händen, daß er ja jede reine wohldenkende Seele ihres Geschlechts, vor dem Kummer bewahren möge, der ihr zärtliches Herz durchnage.
Unter diesen Abwechslungen kamen wir glücklich in Vaels [4] an. Mein Schwager und meine Schwester empfingen uns mit allem Trost der tugendhaften Freundschaft, und suchten meine liebe Dame zu beruhigen; aber am fünften Tage wurde sie krank, und zwölf Tage lang dachten wir nichts anders, als daß sie sterben würde. Sie schrieb auch einen kleinen Auszug ihres Verhängnisses, und ein Testament. Aber sie erholte sich wider ihr Wünschen; und als sie wieder aufsein konnte, setzte sie sich in die Kinderstube meiner Emilia, und lehrte ihr kleines Patchen lesen; diese Beschäftigung, und der Umgang mit meinem Schwager und meiner Schwester beruhigten sie augenscheinlich; so, daß mein Schwager es einmal wagte, sie über ihre Entschließungen, und Entwürfe für die Zukunft zu befragen. Sie sagte: sie hätte noch nichts bedacht, als daß sie auf ihren Gütern ihr Leben beschließen wollte; aber bis zu Ende der drei Jahre, für welche sie dem Graf Löbau ihre Einkünfte versichert hätte, wollte sie nichts von sich wissen lassen; - und wir mußten ihrem eifrigen Anhalten hierin nachgeben. Sie nahm eine fremde Benennung an; sie wollte in Beziehung auf ihr Schicksal Madam Leidens heißen, und als eine junge Offizierswitwe bei uns wohnen. Sie verkaufte die schönen Brillanten, welche die Bildnisse ihres Herrn Vaters und ihrer Frau Mutter umfasseten, und entschloß sich auch den übrigen Teil ihres Schmucks zu Geld zu machen, und von den Zinsen zu leben; daneben aber wollte sie Gutes tun, und einige arme Mädchen im Arbeiten unterrichten.
Dieser Gedanke wurde nachher die Grundlage zu dem übrigen Teil ihres Schicksals. Denn eines dieser Mädchen, welche von einer der reichsten Frauen in der Gegend aus der Taufe gehoben worden, ging zu ihrer Pate, um ihr etwas von der erlernten Arbeit zu weisen. Diese Frau fragte nach der Lehrmeisterin, und drang hernach in meinen Schwager, daß er die Madam Leidens zu ihr bringen möchte, um eine wohltätige Schule in ihrem Hause zu errichten, und als Gesellschafterin bei ihr zu leben. Meine Dame wollte es anfangs nicht eingehen, indem sie fürchtete, zuviel bekannt zu werden; aber mein Schwager stellte ihr so eifrig vor, daß sie eine Gelegenheit versäume, viel Gutes zu tun, daß er sie endlich überredte, zumal da sie dadurch das Haus ihrer Emilia zu erleichtern glaubte, wo sie befürchtete, Beschwerden zu machen, ohngeachtet sie Kostgeld bezahlte.
Sie kleidete sich bloß in streifige Leinwand, zu Leibkleidern gemacht, mit großen weißen Schürzen, und Halstüchern, weil ihr noch immer etwas Engländisches im Sinne lag; ihre schöne Haare und Gesichtsbildung versteckte sie in außerordentliche große Hauben; sie wollte sich damit verstellen, aber ihre schönen Augen, das Lächeln der edlen Güte, so unter den Zügen des innerlichen Grams hervorleuchtete, ihre feine Gestalt und Stellung, und der artigste Gang zogen alle Augen nach sich, und Madam Hills war stolz auf ihre Gesellschaft. Ihre Abreise schmerzte uns, denn der Wohnort von Madam Hills war drei Stunden entfernt; aber ihre Briefe trösteten uns wieder. Auch Sie werden sie gewiß lieber lesen als mein Geschmier.

Fräulein von Sternheim als Madam Leidens an Emilia

Erst den zehnten Tag meines Hierseins schreibe ich Ihnen, meine schwesterliche Freundin! Bisher konnte ich nicht; meine Empfindungen waren zu stark und zu wallend, um den langsamen Gang meiner Feder zu ertragen. Nun haben mir Gewohnheit und zween heitere Morgen, und die Aussicht in die schönste und freieste Gegend das Maß von Ruhe wiedergegeben, das nötig war, um mich ohne Schwindel und Beängstigung die Stufen betrachten zu lassen, durch welche mein Schicksal mich von der Höhe des Ansehens und Vorzugs heruntergeführt hat. Meine zärtlichsten Tränen flössen bei der Erinnerung meiner Jugend und Erziehung; Schauer überfiel mich bei dem Gedanken an den Tag, der mich nach D. brachte, und ich eilte mit geschlossenen Augen bei der folgenden Szene vorüber. Nur bei dem Zeitpunkte meiner Ankunft in Ihrem Hause verweilte ich mit Rührung; denn nachdem mir das Verhängnis alles geraubt hatte, so war ich um so viel aufmerksamer auf den Zufluchtsort, den ich mir gewählt hatte, und auf die Aufnahme, die ich da fand. Zärtliches Mitleiden war in dem Gesichte meiner treuen Emilia, Ehrfurcht und Freundschaft in dem von ihrem Manne gezeichnet; ich sah, daß sie mich unschuldig glaubten, und mein Herz bedauerten; ich konnte sie als Zeugen meiner Unschuld und Tugend ansehen. Oh, wie erquickend war dieser Gedanke für meine gekränkte Seele! Meine Tränen des ersten Abends waren der Ausdruck des Danks für den Trost, den mich Gott in der treuen Freundschaft meiner Emilia hatte finden lassen. Der zweite Morgen war hart durch die wiederholte Erzählung aller Umstände meiner jammervollen Geschichte. Die Betrachtungen und Vorstellungen Ihres Mannes trösteten mich, noch mehr aber meine Spaziergänge in ihrem Hause, der armen, übelgebauten Hütte, worin mit Ihnen alle Tugenden unsers Geschlechts, und mit ihrem Manne alle Weisheit und Verdienste des seinigen wohnen. Ich aß mit Ihnen, ich sah Sie bei Ihren Kindern; sah die edle Genügsamkeit mit Ihrem kleinen Einkommen, Ihre zärtliche mütterliche Sorgen, die vortreffliche Art, mit der Ihr Mann seine arme Pfarrkinder behandelt. Dieses, meine Emilia, goß den ersten Tropfen des Balsams der Beruhigung in meine Seele. Ich sähe Sie, die in ihrem ganzen Leben alle Pflichten der Klugheit und Tugend erfüllet hatten, mit Ihrem hochachtungswürdigen Manne und fünf Kindern unter der Last eines eisernen Schicksals, ohne daß Ihnen das Glück jemals zugelächelt hätte; Sie ertrugen es mit der rühmlichsten Unterwerfung; und ich! ich sollte fortfahren über mein selbstgewebtes Elend gegen das Verhängnis zu murren? Eigensinn und Unvorsichtigkeit hatten mich, ungeachtet meiner redlichen Tugendliebe, dem Kummer, und der Verächtlichkeit entgegengeführt; ich hatte vieles verloren, vieles gelitten; aber sollte ich deswegen das genossene Glück meiner ersten Jahre vergessen, und die vor mir liegende Gelegenheit, Gutes zu tun, mit gleichgültigem Auge betrachten, um mich allein der Empfindlichkeit meiner Eigenliebe zu überlassen? Ich kannte den ganzen Wert alles dessen, was ich verloren hatte; aber meine Krankheit und Betrachtungen zeigten mir, daß ich noch in dem wahren Besitz der wahren Güter unsers Lebens geblieben sei. Mein Herz ist unschuldig und rein; die Kenntnisse meines Geistes sind unvermindert; die Kräfte meiner Seele und meine guten Neigungen haben ihr Maß behalten; und ich habe noch das Vermögen, Gutes zu tun.
Meine Erziehung hat mich gelehrt, daß Tugend und Geschicklichkeiten das einzige wahre Glück, und Gutes tun, die einzige wahre Freude eines edlen Herzens sei; das Schicksal aber hat mir den Beweis davon in der Erfahrung gegeben.
Ich war in dem Kreise, der von großen und glänzenden Menschen durchloffen wird; nun bin ich in den versetzt, den mittelmäßiges Ansehen und Vermögen durchwandelt, und grenze ganz nahe an den, wo Niedrigkeit und Armut die Hände sich reichen. Aber so sehr ich nach den gemeinen Begriffen vom Glück gesunken bin, so viel Gutes kann ich in diesen zween Kreisen ausstreuen. Meine reiche Frau Hills laß ich durch meinen Umgang und meine Unterredungen das Glück der Freundschaft und der Kenntnisse genießen. Meinen armen Mädchen gebe ich das Vergnügen, geschickt und wohlunterrichtet zu werden, und zeige ihnen eine angenehme Aussicht in ihre künftigen Tage.
Madam Hills hat mir ein artiges Zimmer, wovon zwei Fenster ins Feld gehen, eingeräumt; von da geh ich in ihren Saal, der für die Unterrichtsstunden meiner dreizehn Mädchen bestimmt ist. Sie ernährt und kleidet sie, schafft Bücher und Arbeitsvorrat an; nicht eine Stunde versäumt sie, und hört meinen Unterricht mit vieler Zufriedenheit; manchmal vergießt sie Tränen, oder drückt mir die Hände, und wohl zwanzigmal nickt sie mir den freundlichsten Beifall zu. So oft es geschieht, fällt ein Strahl von Freude in mein Herz. Es ist angenehm um sein selbst willen geliebt zu werden! Und nun hab ich einen Gedanken, Emilia; aber Ihr Mann muß mir ihn ausarbeiten helfen.
Madam Hills hat eine Art von Stolz, aber er ist edel und wohltätig. Sie möchte ihr großes Vermögen zu einer ewig daurenden Stiftung verwenden; aber sie sagt, es müßte eine Stiftung sein, die ganz neu wäre, und die ihr Ehre und Segen brächte; und sie will, daß ich auf etwas sinne. — Könnte itzt nicht meine kleine Mädchenschule der Anlaß dazu werden, ein Gesindhaus zu stiften, worin arme Mädchen zu guten und geschickten Dienstmädchen gezogen würden? Ich wollte an meinen dreizehn Schülerinnen die Probe machen, und teilte sie nach der Anlage von Geist und Herzen in Klassen.
Sanfte, gutherzige Geschöpfe bildete ich zu Kinderwärterinnen;
die Anlage zu Witz, und geschickte Finger zur Kammerjungfer;
nachdenkende und fleißige Mädchen zu Köchinnen und Haushälterinnen; und
die letzte Klasse von dienstfähigen zu Haus-, Küchen- und Gartenmägden. -
Dazu muß ich nun ein schickliches Haus mit einem Garten haben; einen vernünftigen Geistlichen, der sie die Pflichten ihres Standes kennen und lieben lehrte; und dann wackere und wohldenkende arme Witwen, oder betagte ledige Personen, die den verschiedenen Unterricht in Arbeiten besorgten.
Diese Idee beschäftiget mich genug, um dem vergangenen schmerzhaften Teil meines Lebens das meiste meines Nachdenkens zu entziehen, und über meinen bittern Kummer den süßen Trost zu streuen, daß ich die Ursache so vieler künftigen Wohltaten werden könnte. Aber hierbei fällt mir ein Gleichnis ein, so ich mit der Eigenliebe machen möchte; - daß sie von Polypen-Art sei; man kann ihr alle Zweige und Arme nehmen, ja sogar den Hauptstamm verwunden; sie wird doch Mittel finden, sich in neue Auswüchse zu verbreiten. Wie verwundet, wie gedemütiget war meine Seele! Und nun - lesen sie nur die Blätter meiner Betrachtungen durch, und beobachten sie es, was für schöne Stützen meine schwankende Selbstzufriedenheit gefunden hat, und wie ich allmählig zu der Höhe eines großen Entwurfs emporgestiegen bin - oh, wenn die wohltätige Nächstenliebe nicht so tiefe Wurzeln in meinem Herzen gefasset hätte, daß sie mit meiner Eigenliebe ganz verwachsen wäre, was würde aus mir geworden sein?

Zweiter Brief von Madam Leidens

Sie sind, liebste Freundin, mit dem Ton meines letzten Briefs besser zufrieden, als Sie es seit meiner Abreise aus D. niemals waren. Darf ich wohl meine Emilia einer Ungerechtigkeit anklagen, weil sie mir von der Veränderung meiner Ideen und Ausdrücke spricht. Ich fühle diese Verschiedenheit selbst; aber ich finde auch, daß sie eine ganz natürliche Würkung der großen Abänderung meines Schicksals ist. Zu D. war ich angesehen, mit Glücksaussichten umgeben, und mit mir selbst zufrieden, daher auch geschickter, muntere Beobachtungen über fremde Gegenstände zu machen. Mein Witz spielte frei mit kleinen Beschreibungen, und mit Lob und Tadel alles dessen, was mit meinen Ideen stimmte, oder nicht. Nach dem wurde ich von Glück und Selbstzufriedenheit entfernt; Tränen und Jammer sind mein Anteil worden. War es da möglich, daß sich die Schwingen meiner Einbildungskraft unbeschränkt und freudig hätten bewegen können, da das Beste, was alle Kräfte meiner Seele tun konnten, gelassene Ertragung meines Schicksals war - eine Tugend, wobei der Geist wenig Geschäftigkeit äußern kann. Ihr Mann kannte mich; er sah: daß er mich gleichsam aus mir selbst herausführen, und mir beweisen mußte, daß es noch in meiner Gewalt stehe, Gutes zu tun. Dieser Gedanke allein konnte mich ins tätige Leben zurückführen.
Haben Sie Dank, beste Freunde, daß Sie meinen Entwurf zu einem Gesindhaus so sehr billigen und erheben; es dünkt mich, als ob jemand meiner gebeugten Seele die Hand reiche und sie liebreich ermuntere, sich wieder zu erheben,  und mit einem  edlen Schritte vorwärts zu gehen, da sie von dem kleinen dornichten Pfad, auf welchen sie durch einen blendenden Schein geraten war, nun auf einen ebenen Weg geleitet worden ist, dessen Seiten freilich mit keinen glänzenden Palästen und prächtigen Auftritten der großen Welt umfaßt sind, aber dagegen jedem ihrer Blicke die reinen Reize der unverdorbenen Natur in ihren physischen und moralischen Wür-kungen zeiget.
Diese Ermunterung hatte ich nötig, meine Freunde, weil ich schon so lange dachte, daß ich an dem edeln Stolz eines fehlerfreien Lebens keinen Anspruch mehr zu machen habe, indem ich die Hälfte meines widrigen Schicksals meiner eignen Unbedachtsamkeit zuzuschreiben hätte; und die Frucht dieser Betrachtung war Unterwerfung und Geduld. Hätte ich nach den Regeln der Klugheit gehandelt, und durch mein heimliches Verbind-nis und Fliehn keine Gesetze beleidiget, so hätte ich in der Idee einer übenden Standhaftigkeit und Großmut schon eine Stütze des edlen Stolzes gefunden, welche der Schuldlose ergreift, wenn er durch Bosheit anderer, und unvorgesehenes Unglück in dem Genuß seines Vergnügens gestört wird. Er kann seine Beleidiger mit Herzhaftigkeit ansehen, oder seinen Blick mit ruhiger Verachtung von ihnen wenden; er sieht sich nicht nach Freunden, die ihn bedauren, sondern nach Zeugen seines bewundernswürdigen Betragens um; unter diesen Beschäftigungen seines Geistes stärkt sich seine Seele, und sammelt ihre Kräfte, um den Berg der Ehre, und des Wohlergehens auf einer andern Seite zu ersteigen. Ich aber mußte mich durch die Erinnerung meiner Unvorsichtigkeit in den Schleier der Verborgenheit hüllen, ehe ich mich der neuern Führung meines Geschickes überließ. Dennoch sehe ich blühende Blumen, welche die Hoffnung eines guten Erfolgs, zum Besten vieler Nachkommenden, auf meine nun betretenen Wege ausstreuet; Ruhe und Zufriedenheit lächeln mir zu; die Tugend, hoffe ich, wird mein Flehen erhören, und meine beständige Begleiterin sein. Das Glück meines Herzens wird größer und edler, da es Anteil an dem Wohlergehen so vieler anderer nimmt, seine angenehmsten Gewohnheiten und Wünsche vergißt, und sein Leben und seine Talente zum Besten seines Nächsten verwendet. Aber bei jedem Schritte meines jetzigen Lebens vergrößert sich das Glück meiner genossenen Erziehung, worin mir alles in den richtigen moralischen Gesichtspunkt gestellet wurde. Nach diesem bildete man meine Empfindungen, währenddem mein Verstand zu Beobachtungen über verkehrte Begriffe, und dadurch eingewurzelte Gewohnheiten geleitet wurde.
Wie glücklich ist es für mein Herz, daß mir die Wahrheit: daß vor Gott kein anderer, als der moralische Unterschied unserer Seelen stattfinde; so tief eingeprägt wurde! Was hätte ich in meinen itzigen Umständen zu leiden, wenn ich mit den gewöhnlichen Vorurteilen meiner Geburt behaftet wäre! Wie verehrungswürdig, wie verdienstvoll ist der kluge Gebrauch, den meine geliebte Eltern von der uns allen angebornen Eigenliebe bei meiner Erziehung machten! Wären kostbare Kleider und Putz jemals ein Teil meiner Glückseligkeit gewesen; wie schmerzhaft wäre mir der Anzug meiner gestreiften Leinwand? Reinlichkeit, und wohlausgesucnte Form meiner Kleider lassen meine ganze Weiblichkeit zufrieden vom Spiegel gehen; und was bleibt meiner höchsten Einbildung noch zu wünschen übrig, da ich mich in dieser geringen Kleidung mit Liebe und Ehrfurcht betrachtet sehe, und diese Gesinnungen allein dem Ausdruck meines moralischen Charakters zu danken habe?
Ich stehe früh auf, ich lege mich an mein Fenster, und sehe, wie getreu die Natur die Pflichten des ihr aufgelegten ewigen Gesetzes der Nutzbarkeit in allen Zeiten und Witterungen des Jahres erfüllt. Der Winter nähert sich; die Blumen sind verschwunden, und auch bei den Strahlen der Sonne hat die Erde kein glänzendes Ansehen mehr; aber einem empfindsamen Herzen gibt auch das leere Feld ein Bild des Vergnügens. Hier wuchs Korn, denkt es, und hebt ein dankbares Auge gen Himmel; der Gemüsgarten, die Obstbäume stehen beraubt da, und der Gedanke des Vorrats von Nahrung, den sie gegeben, mischet unter den Schauer des anfangenden Nordwindes ein warmes Gefühl von Freude. Die Blätter der Obstbäume sind abgefallen, die Wiesen verwelkt, trübe Wolken gießen Regen aus; die Erde wird locker, und zu Spaziergängen unbrauchbar; das gedankenlose Geschöpf murret darüber; aber die nachdenkende Seele sieht die erweichende Oberfläche unsers Wohnplatzes mit Rührung an. Dürre Blätter und gelbes Gras werden durch Herbstregen zu einer Nahrung der Fruchtbarkeit unsrer Erde bereitet; diese Betrachtung läßt uns gewiß nicht ohne eine frohe Empfindung über die Vorsorge unsers Schöpfers, und gibt uns eine Aussicht auf den nachkommenden Frühling. Mitten unter dem Verlust aller äußerlichen Annehmlichkeiten, ja selbst dem Widerwillen ihrer genährten und ergötzten Kinder ausgesetzt, fängt unsere mütterliche Erde an, in ihrem Innern für das künftige Wohl derselben zu arbeiten. Warum, sag ich dann, warum ist die moralische Welt ihrer Bestimmung nicht ebenso getreu, als die physikalische? Die Frucht der Eiche brachte niemals was anders als einen Eichbaum hervor; der Weinstock allezeit Trauben; warum ein großer Mann klein denkende Söhne? - warum der nützliche Gelehrte und Künstler unwissende elende Nachkömmlinge? - tugendhafte Eltern Bösewichter? - Ich denke über diese Ungleichheit, und der Zufall zeigt mir eine unzählige Menge Hindernisse, die in der moralischen Welt (so wie es auch öfters in der physikalischen begegnet) Ursache sind, daß der beste Weinstock aus Mangel guter Witterung saure, unbrauchbare Trauben trägt -und vortreffliche Eltern schlechte Kinder erwachsen sehen. Etliche Schritte weiter in meiner Vorstellung stehe ich still, kehre in mich selbst zurück, und sage: Ist nicht die helle Aussicht meiner glücklichen Tage auch trübe geworden, und der äußerliche Schimmer wie vertrocknetes Laub von mir abgefallen? Vielleicht hat unser Schicksal auch Jahreszeiten? Ist es: So will ich die Früchte meiner Erziehung und Erfahrung während dem traurigen Winter meines Verhängnisses zu meiner moralischen Nahrung anwenden; und da die Ernte davon so reich war, dem Armen, dessen kleiner, ungebesserter Boden wenig trug, davon mitteilen, was ich kann. Würklich hab ich einen Teil guter Samenkörner in eine dritte Hand gelegt, um einen magern, dürren Boden anzubauen. Der sanften Freundschaft ist die Pflege anvertraut, und ich werde acht Tage lang die Oberaufsicht haben. Leben Sie wohl!

Madam Hills an Herrn Prediger Br.

Erschrecken Sie nicht, lieber Herr Prediger, daß Sie anstatt eines Briefes von Madam Leidens einen von mir bekommen. Sie ist nicht krank, gewiß nicht; aber die liebe Frau hat mich auf vierzehn Tage verlassen, und wohnt in einem ganz fremden Hause, wo sie viel arbeitet, und - was mir leid tut - auch gar schlecht ißt; hören Sie nur, wie dies zuging! Oh, ein solcher Engel ist noch nie in eines Reichen, noch in eines Armen Hause gewesen! Ich kann das nicht so sagen, was ich denke, und schreiben kann ich gar nicht. Doch sehen Sie: Ihre Frau weiß, wie arm der Herr G. nach Verlust seines Amts mit Frau und Kindern geworden ist. Nun, ich gab immer was; aber ich konnte die Leute nicht dulden; jedermann sagte auch, daß er hochmütig und sie nachlässig wäre, und daß alles Gute an ihnen verloren sei. Dies machte mich böse, und ich redte davon mit der Jungfer Lehne, der ich auch Hülfe gebe; sie arbeitet aber auch; Madam Leidens war dabei, und fragte die Jungfer nach den Leuten; und sie erzählte ihr den ganzen Lebenslauf, weil sie von Kind auf beisammen gewesen waren. Den andern Tag besuchte Madam Leidens die Frau G., und kam sehr gerührt nach Hause. Beim Nachtessen sagte sie mir von den Leuten so viel Bewegliches, daß ich über sie weinte, und ihnen so gut wurde, daß ich gleich sagte: ich wollte Eltern und Kinder versorgen. Aber dies wollte sie nicht haben. Den folgenden Morgen aber brachte sie mir dies Papier. Sie müssen mir's wiedergeben, es soll bei meinem Testamente liegen mit meiner Unterschrift, und ein Lob auf Madam Leidens von meiner eigenen Hand, und noch etwas für Madam Leidens, das ich itzt nicht sage. Sie ging zu ihren Mädchen, und ließ mir das Papier. Ich habe mein Tage nichts klüger ausgedacht gesehen. Zween Fische mit einer Angel zu fangen, und die Leute klug und geschickt zu machen, nun dies versteht sie recht schön. Ich verwunderte mich, und weinte zweimal, weil ich es zweimal durchlesen mußte, um es recht zu fassen. Ich schrieb darunter: »Alles, alles bewilligt, und gleich auf Morgen«, - aber dies sagte ich ihr mündlich, und ich schrieb es auch auf das Papier, wenn ich's zum Testament lege, daß sie mich nicht ihre Wohltäterin nennen soll. Was gab ich ihr dann? - Ein bißchen Essen und ein Zimmerchen. - Aber warten Sie nur, ich will schon was aussinnen; sie soll nicht aus meinem Hause kommen, wie sie meint. Wenn ich nur noch den Bau meines Gesind-hauses erlebe; da laß ich ihren Namen zu dem meinigen in Stein hauen, und da heiße ich sie meine angenommene Tochter, und da wird sich jeder wundern, daß sie mein Geld nicht für sich behalten, und einen andern hübschen Mann genommen habe, und da lobt man mich und sie zusammen, und dies gönn' ich ihr recht wohl. Sie muß mir auch arme Kinder aus der Taufe heben, damit es Kinder mit ihrem Namen hier gibt, und diese sollen, wie meine Ännchens, vorzüglich in mein Gesindhaus kommen.
Meine Brille machte mich müde; ich konnte heute früh nicht weiterschreiben und da mir die Zeit nach Madam
Leidens lang war: so ging ich schnurgerad hin ins Haus der Frau G. Es reute mich, weil mir die Leute so viel dankten, und vielleicht geglaubt haben, ich wäre deswegen gekommen; und es geschah doch bloß, um meine Tochter zu sehen; denn ich sag Ihnen, wenn sie zurückkömmt, muß sie mich ihre Mutter nennen. Ich ließ mein Aufwartmädchen die Türe ein wenig aufmachen, und es war gewiß schön in dem Zimmer durch die Leute darin, nicht durch die Möbeln, denn es sind keine schöne da: - Strohstühlchen und ein paar Tische. In einer Ecke war der Vater mit dem ältesten Sohne, der bei ihm schrieb und rechnete; im halben Zimmer der andre Tisch; Frau G. strickte; Jungfer Lehne saß zwischen den zwo kleinen Mädchen, und lehrte sie nähen; Madam Leidens hatte ein Bouquet italienische Blumen vor sich, die sie für Stühle zum Verkauf abzeichnet. Der jüngere Sohn und die älteste Tochter sahen ihr auf die Finger, und sie redte recht süß und freundlich mit ihnen. Ich mußte über sie weinen, und auch über die Kinder, die sie so lieb haben, und mir so dankten. Der wilde Mann wurde rot, wie er mir dankte, und die Frau lachte ganz leichtsinnig dabei; das tut aber nichts, ich will ihnen, wie es Madam Leidens veranstaltete, aufhelfen, bis sie ganz auf den Beinen sind; und Jungfer Lehne soll den ersten Platz der Lehrmeisterinnen für Kammerjungfern haben. Ich ließ zartes Abendbrot und gutes Obst holen; Sie können nicht glauben, wie die Kinder Freude daran hatten; aber Madam Leidens war nicht damit zufrieden. Sie fürchtet, die geringen Speisen, welche das wenige Vermögen zuläßt, möchten itzt den Kindern nicht mehr so lieb sein; sie sagt: sie wolle sie nicht durch den Magen belohnen, und itzt gebe ich nichts wieder; sie aß auch nur einen Apfel und ein Stück Hausbrot. Ich fragte sie darum, und sie sagte zu der Tochter: »Solche Apfel können wir in unserm Garten ziehen, aber dies Brot kann nur eine Madam Hills backen lassen.« Da hatte ich's! Aber ich wurde nicht böse; sie hatte recht; sie will nicht, daß man Gewöhnliches-Brot-Essen für Unglück halte. - Nun sind acht Tage vorbei, daß sie bei den Leuten ist; künftige Woche kömmt sie wieder zu mir; und da wird sie Ihnen schreiben. Beten Sie für das liebe Kind, und für mein Leben. - Oh, niemals werde ich vergessen, daß Sie mir diese Person anvertrauten; ich war mein Tage nicht so fröhlich mit allem meinem Gelde, als ich es bin, seit ich sie bei mir habe! -

Plan der Hülfe für die Familie G. und die Jungfer Lehne

Meine liebe Wohltäterin hat mir aufgetragen, meine Gedanken der Hülfe für die Familie G. aufzuschreiben. Ich möchte mit diesen aus eigner Schuld elend gewordenen Leuten gerne umgehen wie der Arzt mit einem Kranken, der seine Gesundheit mutwillig verdorben hat; er tut alles, was zur Hülfe nötig ist, aber er verbindet seine Verordnungen zugleich mit Ausübung einer Diät, die er ihm durch Vorstellung der künftigen Gefahr und der vergangenen Leiden augenscheinlich notwendig macht; durch eine langsame, aber anhaltende Kur hilft er ihm zu neuen Kräften, so, daß er endlich wieder ohne Arzt leben kann. Zu sehr stärkende Mittel gleich anfangs gebraucht, würden das Übel in dem Körper befestigen, und also für die Zukunft schädlich sein. Der Familie G. würde es mit großen Geschenken auch so ergehen; wir wollen ihr also mit Vorsicht zu Hülfe kommen, und die Wurzel des Übels zu heilen suchen. Die wohltätige Güte der Madam Hills gibt anfangs die nötigen Kleider, Leinen und Hausgeräte. Von den ersten würden nur die allerunentbehrlichsten Stücke schon verfertigt gegeben; das übrige aber im Ganzen, damit die Frau und ihre Töchter es mit eigner Handarbeit zurech-temachen; und wenn sie damit fertig sind, so bekommen sie einen Vorrat an Flachs und Baumwolle, um selbige zu verarbeiten, und in Zukunft das Abgehende an Leinen-und baumwollenen Zeuge ersetzen zu können, und dieses ist die Sache der Mütter und Töchter. Die Talente und den Stolz des Herrn G. will ich dahin zu bringen suchen, seinen zerfallenen Ruhm durch die Bemühung einer guten Kinderzucht wieder aufzubauen. Erziehung ist er seinen Kindern schuldig; das Vermögen hat er nicht, Lehrmeister zu bezahlen; wie edel war' es, wenn er mit Fleiß und Vatertreue den Schaden des verschwendeten Vermögens ersetzte, und seinen Kindern Schreib- und Rechnungsunterricht gäbe! Für das Latein der Söhne erhalten Madam Hills zween Plätze, welche armen Schülern bestimmt sind; Herr G. hält aber die Lehr- und Wiederholungsstunden selbst mit ihnen; und gewiß würde man einem Mann, der seine väterliche Pflichten so getreu erfüllte, mit der Zeit ein Amt des Vaterlandes anvertrauen. Nun kömmt die Betrachtung, daß die beschuldigte Nachlässigkeit der Frau G. alles wieder zugrunde richten würde; diesem Übel hoffe ich durch die Jungfer Lehne zuvorzukommen. Sie war die Jugendfreundin der Frau G., und hat von ihren Eltern Gutes genossen. Ich denke, sie würde es der Tochter gerne vergelten, wenn sie nicht selbst arm wäre; da sie aber einen vorzüglichen Reichtum an Geschicklichkeit besitzt, so könnte sie dadurch eine Wohltäterin ihrer Freundin werden, wenn sie das Amt einer Aufseherin über den Gebrauch der Wohltaten und der Lehrmeisterin bei den Töchtern der Frau G. verwalten wollte. Madam Hills tun der Jungfer Lehne Gutes, ich weiß, daß sie dankbar sein möchte, und wie kann sie es auf eine rühmlichere Art werden, als wenn sie ihrer eigenen Beschützerin die Hände reicht, um ihre unglückliche Freundin aus dem Verderben zu ziehen? Und mit wie vieler Achtung wird sie von den besten Einwohnern angesehen werden, wenn sie durch die Güte ihres Herzens die Grundlage der Wohlfahrt von drei unschuldigen Kindern befestigen und bauen hilft? Wenn meine teure Frau Hills mit diesen Gedanken zufrieden sind, so will ich sie dem Herrn und der Frau G., wie auch der Jungfer Lehne vortragen; und, dann bitte ich, mir zu erlauben, auf zwo Wochen in dem Hause des Herrn G. zu wohnen, um ihnen zu zeigen, daß diese Vorschriften zu der Verwendung ihres Lebens nicht hart und nicht unangenehm sind. Denn ich will durch gute Worte und Achtung den Mann an sein Haus und an seine Familie gewöhnen, und dann einige Tage die Stelle der Mutter, und wieder einige die Stelle der Jungfer Lehne bekleiden, und daneben die Herzen der Kinder zu guten Neigungen zu lenken, und ihre Fähigkeiten ausfindig zu machen suchen, um sie mit der Zeit nach ihrem besten Geschicke anzubauen. Aber in Kleidung, Essen, Hausgeräte sollen sie noch den Mangel fühlen, und durch dieses Gefühl zu Erkenntnis und Aufmerksamkeit kommen; bis sie durch Genügsamkeit, Fleiß und gute Gesinnungen wieder in die Klasse eintreten können, aus der sie durch Verschwendung und Sorglosigkeit gefallen sind. Vorwürfe werde ich ihnen nicht machen; aber ich werde ihnen durch Erzählung einiger Umstände meines Lebens die Zufälligkeit des Glücks beweisen, und den Kindern sagen, daß mir nichts als meine Erziehung übrig geblieben sei, welche mir die Freundschaft von Madam Hills, und die Gelegenheit gegeben hätte, ihnen Dienste zu leisten. Dann werde ich auch von dem Stolze reden können, der uns bloß führen soll, einen edlen Gebrauch von Glück und Unglück zu machen. Denn ich möchte nicht bloß ihren Körper ernährt und gekleidet sehen, sondern auch die schlechten Gesinnungen ihrer Seele gebessert, und ihren Verstand mit schicklichen Begriffen erfüllet wissen.

Madam Leidens an Emilien

Nun bin ich wieder zu Haus, und wollte Ihnen von der Aussaat reden, wovon mein letzter Brief sagte, daß ich sie einer dritten Hand anvertrauen würde; aber Madam Hills erzählt mir: daß sie Ihnen alles geschrieben habe. O meine Freundin! wie schön wäre der moralische Teil unsers Erdkreises, wenn alle Reichen so dächten wie Madam Hills, die sich freut, wenn man ihr Gelegenheit gibt, ihre Glücksgüter wohl anzuwenden! Sie, meine Emilia, sollen die Beweggründe sehen, die mich dazu brachten, der Jungfer Lehne das Verwaltungsamt zu geben. Sie wissen: wie ich die arme Familie kennenlernte: eben diese Person redte bei Frau Hills von ihren Umständen. Ich bemerkte in ihrem halb mitleidigen, halb anklagendem Ton eine Art von Neid über die Wohltaten, welche jene genossen, und die Begierde, sie allein an sich zu ziehen. Sie sprach zugleich viel davon, wie sie es an der Stelle von Frau G. machen würde. Ich ärgerte mich, so kalte, und übeltätige Überbleibsel einer so stark gewesenen Jugendfreundschaft anzutreffen, und hatte Mut genug den Plan zu fassen, dieses halb vermoderte Herz zu dem Nutzen seiner ersten Freundin brauchbar zu machen. Ich ließ sie nichts von meinen Betrachtungen über sie merken, und sagte ihr nur, daß sie mich in das Haus führen sollte. Der Anblick des Elends, und die Zärtlichkeit, welche ihr die Frau bewies, rührte sie, und in dieser Bewegung nahm ich sie in mein Zimmer, las ihr meinen Plan vor, und malte mit den lebhaftesten Farben die Schönheit der Rolle, die ich ihr auftrüge, worin sie sich das Wohlgefallen Gottes, und die Achtung und die Segnungen aller Rechtschaffenen zu versprechen hätte. Ich überzeugte sie, daß sie mehr Gutes tue als Frau Hills, welche bei ihren Geldgaben nur das Vergnügen genösse, von ihrem Überflusse von Zeit zu Zeit etwas abzugeben; da hingegen ihre tägliche Bemühungen und ihre Geduld die Tugenden des edelsten Herzens sein würden. Ich gewann sie um desto leichter, weil ich ihr das Lob der Madam Hills dadurch zuzog, daß ich sagte: der Einfall wäre ihr selbst gekommen. Mein Plan wurde bewilligt, und ich führte ihn die ersten zwo Wochen selbst aus.
Die Annahme einer Verwalterin schien beschwerlich, aber ich erhielt doch die Einwilligung, besonders da ich sagte, daß ich selbst vierzehn Tage bei ihnen wohnen würde.
Den ersten Tag legte ich ihnen die Geschenke der Madam Hills vor, teilte jedem das Seinige, mit Ermahnung zur Sorgfalt, zu, und sagte ihnen: daß sie durch Schonen, und sparsamen Gebrauch der Wohltaten, teils ihre Dankbarkeit, teils ein edles Herz zeigen würden, welches die Güte, die man ihm beweist, nicht mißbrauchen möchte. Hierauf sagte ich, wie ich ihre Umstände ansähe, und was ich für einen Plan ihres Lebens, und ihrer Beschäftigungen daraus gezogen hätte; bat aber jedes: mir seine Wünsche, und Einwendungen zu sagen.
Ehe ich diese beantwortete, machte ich ihnen einen kurzen und nützlichen Auszug meiner eigenen Geschichte. Ich blieb besonders bei dem Artikel des Ansehens und Reichtums stehen, worin ich geboren und erzogen worden; sagte ihnen meine ehemaligen Wünsche und Neigungen, auch wie ich mir sie itzt versagen müsse, und schloß diese Erzählung mit freundlichen Anwendungen, und Zusprächen für sie. Durch dieses öffnete sich ihr Herz zum Vertrauen, und zur Bereitwilligkeit meinem Rate zu folgen. Die besten Sachen, so eine reiche und glückliche Person gesagt hätte, würden wenig Eindruck gemacht haben; aber der Gedanke, daß auch ich arm sei, und andern unterworfen leben müsse, brachte Biegsamkeit in ihre Gemüter. Ich fragte: was sie an meiner Stelle würden getan haben? Sie fanden aber meine Moral gut, und wünschten auch so zu denken. Darauf ging ich in den Vorschlag ein, was ich an ihrem Platze tun würde; und sie waren es herzlich zufrieden. Oh, dachte ich, wenn man bei Beweggründen zum Guten allezeit in die Umstände und Neigungen der Leute einginge, und der uns allen gegebenen Eigenliebe nicht schnurstracks Gewalt antun wollte, sondern sie mit eben der Klugheit zum Hülfsmittel verwände, wodurch der schmeichelnde Verführer sie zu seinem Endzweck zu lenken weiß: so würde die Moral schon längst die Grenzen ihres Reichs und die Zahl ihrer Ergebenen vergrößert haben.
Eigenliebe! angenehmes Band, welches die liebreiche Hand unsers gütigen Schöpfers dem freien Willen anlegte, um uns damit zu unsrer wahren Glückseligkeit zu ziehen; wie sehr hat dich Unwissenheit und Härte verunstaltet, und die Menschen zu einem unseligen Mißbrauch der besten Wohltat gebracht! Lassen Sie mich zurückkommen.
Am zweiten Tage stellte ich die Frau G. vor, und in ihrer Person sprach ich mit Jungfer Lehne von unsrer alten Liebe, und wie gern ich ihr die Stelle gönnte, die sie in meinem Hause zu verteten hätte, da ich glaubte: sie würde den Gebrauch eines guten Herzens davon machen. Ich sagte, was ich (nach dem Willen der Frau G., mit der ich allein vorher gesprochen hatte) von ihr wünschte, wies die Töchter an sie an, und setzte hinzu: daß wir allezeit alles gemeinschaftlich überlegen und vornehmen wollten. Sodann war ich zween Tage Jungfer Lehne - und die folgenden drei in der Stelle der drei Töchter.
Unter dem Arbeiten machte ich sie durch Hülfe der Religion mit dem beruhigenden Vergnügen bekannt, welches die Betrachtung der Natur in verschiedenem Maße in unser Herz gießt. Frau Hills schaffte Bücher an, die ich ausgesucht hatte, und die beiden Söhne mußten wechselsweise etwas daraus vorlesen, wobei ich die Kinder immer Betrachtungen und Anwendungen machen lehrte. Die zwo ältesten Mädchen haben viel Geschicke und Verstand. Ich lehrte sie meine Tapetenarbeit, und die älteste Zeichnungen dazu zu machen. Ich ermunterte ihren Fleiß durch den Stolz, indem ich ihnen sagte: daß sie diese Arbeit entweder ganz an Kaufleute verhandeln, oder sich um die Hälfte wieder neue Wolle schaffen, und für die andre etwas eintauschen könnten, so ihnen nötig wäre; ich versprach ihnen auch, diese Arbeit sonst niemanden zu lehren. Nun sitzen des Tags die zwo Mädchen und die Mutter daran, weil die Vorstellung vom Verhandeln ihrer Eitelkeit schmeichelt. Jungfer Lehne sagt: daß alles gut fortgehe, und ist selbst ungemein vergnügt, da sie wegen ihrer Aufsicht und Probe einer wahren Freundschaft so sehr gelobt wird. Ich habe das Haus mit Tränen verlassen, und werde alle Wochen zween halbe Tage hingehen. Die vierzehn Tage, die ich da zubrachte, flössen voll Unschuld und Friede dahin; eine jede Minute davon, war mit einer übenden Tugend erfüllt, da ich Gutes tat und Gutes lehrte. Nun bitten Sie Gott, liebste Emilia, daß er diese kleine Saat meiner verarmten Hand zur reichen Ernte für das Wohl dieser Familie werden lasse. Niemals, nein, niemals haben mir die Einkünfte meiner Güter, welche mich in Stand setzten, dem Armen durch Geldgaben zu Hülfe zu kommen, so viel wahre Freude gegeben, als der Gedanke: daß mein Herz ohne Gold, allein durch Mitteilung meiner Talente, meiner Gesinnungen, und etlicher Tage meines Lebens das Beste für diese Familie getan hat. Meine kleinen Zeichnungen sind Ursache, daß der zweite Sohn zu einem Mignatürmaler kömmt, weil der junge Knabe sie mit der größten Pünktlichkeit und außerordentlich fein nachahmte.
Die ganze Familie liebt und segnet mich. Madam Hills läßt bereits die Steine zum Gesindhaus führen und behauen. Denken Sie nicht, beste Freundin, daß sich zu gleicher Zeit dauerhafte Grundteile eines neuen moralischen Glücksbaues in meiner Seele sammlen, worin meine Empfindungen Schutz und Nahrung finden werden, bis der Sturm von sinnlichem Unglück vorüber sein wird, der den Wohnplatz meines äußerlichen Wohlergehens zerstörte?

Madam Leidens an Emilien

Emilia! fragen Sie den metaphysischen Kopf ihres Mannes, woher der Widerspruch käme, der sich zwischen meinen stärksten immerwährenden Empfindungen und meinen Ideen zeigte, als ich von Frau Hills gebeten wurde: ihre liebste Freundin, die schöne anmutsvolle Witwe von C—, zu einem gütigen Entschluß, für einen ihrer Verehrer, bereden zu helfen? Woher kam es, daß ich der Liebe und dem aus ihr kommenden Glück irgendeines Mannes das Wort reden konnte, da die Fortdauer meiner durch die Liebe erfahrnen Leiden mich eher zur Unterstützung der Kaltsinnigkeit der schönen Witwe hätte bringen sollen? Ich kann nicht denken: daß allein der Geist des Widerspruchs, durch welchen es uns natürlich ist anders zu denken als andre Leute, daran Ursache sei. Oder wäre es möglich, daß in einem Stücke meines durch die Hände der Liebe zerrissenen Herzens noch ein Abdruck der wohltätigen Gestalt geblieben wäre, worunter ich mir einst in den heitern Tagen meiner lächelnden Jugend ihr Bild vormalte? Oder konnte wohl der lange Gram meine junge Vernunft zu dem Grade der Reife gebracht haben, welcher nötig ist: mich über die Umstände einer andern Person ohne alle Einmischung meiner eignen Empfindungen nachdenken und urteilen zu lassen? Sie sehen, daß ich über mich zweifelhaft bin; helfen Sie mir zurechte. Hier ist mein Gespräch mit der Witwe. »Vier rechtschaffene Männer bewerben sich um Ihre Gunst, woher kömmt es, teuerste Frau von C—, daß Sie so lange wählen?«
»Ich wähle nicht; ich will meine Freiheit genießen, die ich durch so viele Bitterkeit erkaufen mußte.« »Sie haben nicht unrecht Ihre Freiheit zu lieben, und auf alle Weise zu genießen, der edelste Gebrauch davon wäre aber doch derjenige: aus freiem Willen jemanden glücklich zu machen.«
»Oh, das Glück, wovon Sie reden, ist meistens nur in der feurigen Phantasie eines itzt brennenden Liebhabers, und verschwindet, sobald die erloschene Flamme ihr Zeit gibt, sich wieder abzukühlen.«
»Dieses, meine geliebte Frau von C—, kann wahr sein, wenn die Liebe eines jungen Mannes allein durch die Augen entstanden ist, und an der Seite des blühenden Mädchens lodert, deren unausgebildeter Charakter diesem Feuer keine dauerhafte Nahrung geben kann. Aber Sie, die wegen Ihrem Geist, wegen Ihrem edlen Herzen geliebet werden, Sie sind sicher es unauslöschlich zu machen.«
»Meine Verdienste hätten also die Eigenschaft des persischen Naphtha;[5] aber in welchem meiner Liebhaber liegt das Herz, welches ein gleichdauerndes Feuer aushalten könnte?«
»In jedem; denn Liebe und Glückseligkeit sind der unverzehrbare Stoff, woraus unsere Herzen gebauet sind.«[6]
»Jeder hat aber auch eine eigene Idee von der Glückseligkeit; ich könnte also bei meiner zwoten Wahl wieder just das Herz treffen, dessen Begriffe von Glückseligkeit nicht mit meinem Charakter übereinstimmten, und da verlören wir beide.«
»Ihre Ausflucht ist fein, aber nicht richtig. Zehn Jahre, welche zwischen der ersten und letzten Wahl stehen, haben durch viele Erfahrungen Ihren Einsichten die Kraft gegeben, die Verschiedenheit der Personen und Umstände zu beurteilen, und besonders die Gewalt zu bemerken, mit welcher die letztere Sie in Ihre erste Verbindung hineingezogen.«
»Wie genau Sie alles hervorsuchen; aber sagen Sie, liebe Madam Leidens, wen würden Sie wählen, wenn Sie an meiner Stelle wären?«
»Den, von dem ich hoffte, ihn am meisten glücklich machen zu können.« »Und dies wäre in ihren Augen -« »Der liebenswürdige Gelehrte, dessen schöner und aufgeklärter Geist Ihnen das Vergnügen gewährte, daß nicht die geringste Schattierung Ihrer Verdienste ungefühlt, und ungeliebt blieben, in dessen Umgang der edelste Teil Ihres Wesens unendliche Vorteile genießen könnte, indem er Sie an der Hand der Zärtlichkeit durch das weite Gebiet seiner Wissenschaft führen würde, wo sich Ihr Geist so angenehm unterhalten und stärken könnte. Wie glücklich würde sein gefühlvolles Herz durch das Vergnügen, durch die Verdienste und die Liebe seiner schätzbaren Gattin werden; und wie glücklich würde Ihre empfindsame Seele durch das von Ihnen geschaffene Glück dieses würdigen Mannes sein! Wie süß wäre Ihr Anteil an seinem Ruhm, und an seinen Freunden!« »O Madam Leidens! wir stark malen Sie die schöne Seite! Soll ich nicht sehen, daß alle Stärke dieser schätzbaren Empfindlichkeit sich auch bei meinen wahren, und zufälligen Fehlern zeigen würde, und wohin neigt sich da die Waagschale der Glückseligkeit?«
»Dahin, wo Ihre angeborne Sanftmut, und Gefälligkeit sie festhalten wird.«
»Gefährliche Frau, wie viele Blumen Sie auf die versteckte Kette streuen!«
»Sie tun mir unrecht, ich zeige nur den Vorrat von Blumen, deren Wert ich kenne, und die Ihnen die Liebe anbietet, um eine Kette von Zufriedenheit daraus zu binden -«
»Und übersehen die Menge von Dornen, welche unter diesen Rosen verborgen sind -«
»Darauf antworte ich nicht, ich würde Ihre Klugheit und Billigkeit beleidigen.«
»Werden Sie nicht böse, und weisen Sie mir noch die schönen Farben der übrigen Bänder, wovon Sie mir Schleifen knüpfen wollen.«
»Kommen Sie, vielleicht wird der artige Übermut, den Ihnen Ihre vorzügliche Liebenswürdigkeit gibt, durch die Eigenschaften der Geburt und Person eines der edelsten Söhne des preußischen Kriegesgotts leichter gezähmt als durch die sanfte Hand der Musen: dies Band ist schön, ein glänzender Name, Edelmütigkeit der Seele, wahre Liebe und Verehrung Ihres Charakters ist darein verwebt; goldene Streifen des angesehenen Rangs, des neuen schönen Kreises, in den Sie dadurch versetzt werden, liegen im Grunde, Blicke in angenehme Gegenden, wo Ihnen die Briefe der hochachtungswürdigen Frau von *** zeigen, daß seine Liebe Ihnen schon Freundinnen und Verehrer bereitet hat; und verdiente nicht schon die großmütige Aufopferung aller Vorrechte des alten Adels das Gegenopfer Ihrer Unschlüssigkeit und Ihres Mißtrauens?«
»Zauberin! wie künstlich mischen Sie Ihre Farben!« »Warum Zauberin, liebste Frau von C—? Fühlen Sie den starken Reiz der strahlenden Fäden, womit der Zufall dies Band umwunden hat?«
»Ja, aber dem Himmel sei Dank, Sie schrecken mich just deswegen, weil Sie mich blenden.« »Liebenswürdige Schüchternheit, oh, könnte ich dich in die Seele jedes gefühlvollen Geschöpfs legen, welches von den schönen Farben eines Kunstfeuers angelockt, verblendet, und auf einmal in der grausamen Finsternis eines traurigen Schicksals verlassen wird!« »Liebe Frau! wie rührend loben Sie mich; wie sehr erwecken Sie die mütterliche Sorgen für meine anwachsende Tochter!«
Zärtlich umarmte ich Sie für diese edle Bewegung ihres, von wahrer Güte belebten Herzens; »gönnen Sie mir«, sagte ich, »in diesem, der Empfindung geweihten Augenblicke Ihre Aufmerksamkeit, für die in Wahrheit wenig schimmernde, aber fest gegründete Zufriedenheit, die Sie in dem artigen Landhause des Herrn T. erwartet, worin Sie durch einen edelmütigen Entschluß zugleich drei der heiligsten Pflichten erfüllen könnten; - die sehnlichen Wünsche eines verdienstvollen angenehmen Mannes zu krönen, der Sie nicht um der Reize Ihrer Person willen (denn diese kennt er nicht), sondern wegen dem reizenden Bilde liebt, so ihm von Ihrer Seele gemacht wurde; der, nachdem er allen Ausdruck seiner Empfindungen für Sie erschöpft hatte; mit der edelsten Bewegung, die jemals das Herz eines Reichen erschütterte, hinzusetzte: Ihre Tochter sollte das Kind Ihres Herzens werden, und alles sein Vermögen ihr zugewandt sein. Würden sie nicht dadurch zugleich der mütterlichen Pflicht, auch für die äußerliche Glückseligkeit Ihres Kindes zu sorgen, genug tun? Und konnte die gehorsame Ergebung des Willens Ihrer jugendlichen Jahre dem Herzen Ihres ehrwürdigen Vaters jemals so viele Freude machen, als Sie ihm in den itzigen Jahren Ihrer Freiheit machen würden, wenn Sie seinen Rat, seine zärtlichen Wünsche für eine Verbindung befolgten, wodurch Sie ihm genähert, und in den Stand gesetzt würden, sein väterliches Herz in dem letzten Teile seines Lebens für alle Mühe der Erziehung seiner Kinder zu belohnen? Bedenken Sie sich, liebreiche und gegen alle Menschen leutselige und wohltätige Frau! Ich will Ihnen nichts von der hochachtungswürdigen Hand sagen, die in einer unsrer schönsten Residenzstädte auf den gütigen Wink der Ihrigen wartet, wo eine Anzahl verdienstvoller Personen Ihnen Bürge für die Tugend des Herzens, für die Kenntnisse des Geistes, und für die zärtliche Neigung sind, die einer der schönsten und besten Männer für Sie ernährt, und der darum der glücklichste wurde, weil er in Ihnen die beste würdigste Mutter für seine zwei Kinder zu erhalten hoffte. Sie wissen, daß er ein edler Besitzer eines schönen Vermögens ist, und kennen alle gesellschaftlichen Annehmlichkeiten, die in dieser Stadt auf sie warten. — Aber tun Sie, liebenswürdige Frau von C, was Sie wollen, ich habe Ihnen die Beweggründe meines Herzens gesagt; ich weiß wohl, daß wir alle einen verschiedenen Gesichtspunkt über den nämlichen Gegenstand haben, und unser Gefühl darnach richten; doch ist eine Seite, die wir alle betrachten müssen - die Glückseligkeit unsers Nächsten ebensosehr als die unsrige zu lieben, und sie nicht aus kleinen Beweggründen zu verzögern.«
»Sie haben mein Herz in die äußerste Verlegenheit gebracht (sagte sie mir mit Tränen) aber meine traurige Erfahrung empört sich wider jede Idee von Verbindung; ich wünsche diesen Männern würdigere Gattinnen, als sie sich mich abschildern; aber mein Nacken ist von dem ersten Joche so verwundet worden, daß mich das leichteste Seidenband drücken würde.«
»Ich habe die Bitte Ihrer Freundin erfüllt, und nichts anders bei Ihrem Entschlüsse zu sagen, als daß Sie immer glücklich sein mögen.«
Sie umarmte mich, und ich bat Madam Hills: bei meiner Zurückkunft die liebe Frau ruhig zu lassen; wunderte mich aber in meinem Zimmer über den Eifer, womit ich mich in diese Sache gemischt hatte. Klären Sie mir das Dunkle in meiner Seele darüber auf; es dünkt mich: daß ich lauter unrechte Ursachen hasche.

Lord Seymour an Doktor T.

Bester Freund, geben Sie mir Ihren Rat, um mich in dem Kummer zu erhalten, in welchen ich aufs neue, und, gewiß auf ewig gefallen bin! Sie wissen, daß ich meine Leidenschaft für das Fräulein von Sternheim ganz unterdrückt hatte, weil die Versicherung ihres niederträchtigen Bündnisses mit John ihren Geist und Charakter aller meiner Hochachtung beraubte. Ich fing auch an, eine ruhige und reizende Liebe zu kosten, indem ich meine ganze Zärtlichkeit dem Fräulein von C— widmete, und der ihrigen völlig versichert war: als mein Oheim unversehens den Befehl vom Hofe erhielt, eine Reise nach W. zu machen. Die Empfindlichkeit des liebenswürdigen Fräuleins von C— hatte vieles bei unserer Trennung zu leiden, und ich war ebenso traurig als sie. Mißvergnügt und murrend über die Fesseln, welche mir der Ehrgeiz meiner Familie, und die Zuneigung von Mylord Crafton anlegten, saß ich stumm und finster neben dem liebreichsten Manne, dessen feste Ruhe des Geistes meinen empörten Empfindungen ärgerlich war, so, daß ich der Geduld nicht achtete, mit welcher er meine Unart ertrug. Aber, mein Freund, stellen Sie sich, wenn es möglich ist, die Bewegungen vor, in die ich geriet, als wir den zweiten Tag abends bei sehr schlimmen Wetter, durch Versehen des Postillions, auf ein Dorf kamen, wo wir übernachten mußten, am Wirtshause anfuhren, und eben aussteigen wollten, als die Wirtin auf einmal anfing: »Was, Sie sind Engländer? fahren Sie fort, ich lasse Sie nicht in mein Haus; Sie können meinetwegen im Walde bleiben, aber meine Schwelle soll kein Engländer mehr betreten -« Während dem letztern Worte zog sie ihren Sohn, der wie ein wackerer Mensch aussah, und ihr immer zuredete, beim Arme gegen die Türe des Hauses, so sie zuschließen wollte. Der schreiende Unwille dieser Frau war seltsam genug, um mich aufmerksam zu machen; unsere Kerls schrien und zankten wieder, die Postillions auch. Mylord befahl unsern Leuten zu schweigen, und sagte zu mir: »Hier muß etwas Ernsthaftes vorgegangen sein, da es wichtig genug ist, die gewöhnliche Gewinnbegierde dieser Leute zu unterdrücken.« Er rief der Frau freundlich zu: sie möchte ihm die Ursache sagen, warum sie uns nicht aufnehmen wollte?
»Weil die Engländer gewissenlose Leute sind, die sich nichts aus dem Unglücke der besten Menschen machen, und ich meine Tage keinen mehr beherbergen will; fahren Sie mit ihren schönen Worten nur fort, sie können alle so schöne Worte geben.«
Sie wandte sich von uns weg, und sagte zu ihrem Sohne, der ihr vermutlich wegen dem Gewinn zuredete. »Nein, und wenn sie meine Stube voll Gold steckten, so brech ich mein Gelübde nicht, das ich der lieben Dame wegen tat -«
Ich kochte vor Ungeduld; aber Mylord, der von seiner Parlamentsstelle her gewohnt war, den wütenden Aufwallungen des Pöbels nachzugeben, winkte ganz ruhig dem Sohne, und fragte ihn um die Ursache der Abneigung und der Vorwürfe seiner Mutter. »Vor einem halben Jahre«, antwortete dieser, »führte ein Engländer seine Frau, eine schöne gütige Dame, zu uns; er ging weg und kam wieder, nachdem er viele Wochen weggewesen, indessen hatte die junge Frau, die immer sehr traurig war, meine Basen gekleidet, sie viele hübsche Sachen gelehret, und den Armen viel Gutes getan! Oh, sie war so sanft als ein Lamm; sogar mein Vater wurde sanft, seit sie in unserm Hause war,; wir mußten sie alle lieben. Aber einen Tag, da der böse Lord lange weg gewesen, kam einer seiner Leute geritten, und sagte, er hätte Briefe an die Dame; wir fragten: ob sein Herr bald käme? >Nein< - sagt' er, >er kömmt nicht wieder; hier ist noch Geld für den übrigen Monat<; und dies sagte er wild und trotzig wie ein böser Hund. Meiner Mutter ahndete nichts Gutes, und sie schlich sich in eine Nebenkammer, um auf den Brief zu horchen; da sah sie unsre liebe schöne Dame auf der Erde knien und weinen, und ihrem Kammermädchen erzählen: in dem Briefe stünde: ihre Heurat wäre falsch gewesen: der Bote, der ihn gebracht, wäre in einen Geistlichen verkleidet gewesen, und hätte sie eingesegnet; sie könne hin, wo sie wolle; da ist sie auch zwei Tage darauf fort; aber sie muß unterwegs gestorben sein, so krank und betrübt war sie; da will nun meine Mutter keinen Engländer mehr ins Haus aufnehmen.«
Mylord sah mich gerührt an: »Carl, was sagt dein Herz zu dieser Erzählung?« »O Mylord, es ist mein Fräulein Sternheim«, schrie ich, »aber der Bösewicht soll es bezahlen! Aufsuchen will ich ihn; es ist Derby; kein andrer ist dieser Grausamkeit fähig.«
»Junger Freund«, sagte Mylord dem Sohne der Wirtin; »sag Er seiner Mutter: sie hätte recht, den bösen Engländer zu hassen; auch soll er vom König nach der Schärfe abgestraft werden. Aber mach Er, daß ich ins Haus komme.«
»Steigen Sie aus, ich will meine Mutter befriedigen.« Er lief hinein, und bald darauf kam uns die Frau selbst entgegen: »Wenn Sie den abscheulichen Mann recht strafen wollen, wie Sie sagen, so kommen Sie, ich will Ihnen alles erzählen, wie es war; Sie sind ein alter Herr, gnädiger Lord, Sie können das Unrecht junger Leute gut einsehen, machen Sie ein Exempel aus dem bösen Mann, er könnte noch viele Streiche anfangen.« Still, und langsam folgte ich ihr und Mylorden die Treppe hinauf. »Hier«, sagte sie oben, »hier ist der liebe Engel gestanden, wie ihr Herr das erstemal kam, sie zu besuchen, nun, er herzte sie recht schön, und sie hatte ihre lieben Hände so hübsch nach ihm ausgestreckt, daß mich ihre Einigkeit freute; aber sie redte so sanft und wenig, und er so laut, seine Augen waren so groß, und beschauten sie so geschwind, er rufte auch gleich so viel nach seinen Kerls, daß man wohl daraus hätte etwas vermuten können. Mein Mann war wild, doch hat er im Anfange allezeit leise und freundlich geredt, und geblinzelt; aber man denkt, jeder Mensch hat seine Weise, und wie sollte einem einfallen: daß man ein schönes frommes Tugendbild betrügen könne?«
Nun waren wir im Zimmer, wo ihre Kammerfrau gewohnt hatte; hernach wies sie uns das von der Dame; sie rufte Gretchen, die sich hinsetzen und zeigen mußte, wo die Dame gesessen, wie sie die Mädchen gelehrt hätte; hernach nahm sie ein Bild von der Wand, und sagte; »Da, mein Gärtchen, meine Bienengestelle, und das Stück Matte, wo meine Kühe auf der Weide gingen, zeichnete sie.« Indem sie es Mylorden hingab, küßte sie das Stück, und sagte mit Weinen: »Du liebe, liebe Dame, Gott habe dich selig, denn du lebst gewiß nicht mehr.« Ein einziger Blick überzeugte mich völlig: daß es die Sternheim gemacht hatte; die richtigen Umrisse, die feinen Schattierungen erkannte ich; mein Herz wurde beklemmt; ich mußte mich setzen; Tränen füllten meine Augen; das Schicksal des edlen Mädchens, die rauhe, aber herzliche Liebe dieser Frau rührten mich; es gefiel ihr, sie klopfte mich auf die Achsel: »Das ist recht, daß Sie betrübt sind, bitten Sie Gott um ein gutes Herz, daß Sie niemanden verführen; denn Sie sind auch ein Engländer, und ein hübscher Mensch; Sie können einem in die Augen gehen.«
Nun mußte das Mädchen und der Sohn, und die übrigen Leute erzählen, wie gut die Dame gewesen, und was sie gemacht hatte; dann wies sie uns das Schlafzimmer. »Seit dem Brief«, fuhr sie fort, »ist sie nicht mehr hineingegangen, sondern schlief im Bette ihrer Jungfer; ich denke es wohl, wer möchte noch unter der Decke eines Spitzbuben schlafen? - Hier ist der Schrank, worein sie alle Kostbarkeiten von Gold, von Geschmeide, oh, gar viele Sachen legte, die er ihr mitgebracht hatte, und die ich ihm zurückgeben sollte; denn sie nahm nichts davon mit; zween Tage nachdem sie weg war, kam wieder ein Brief; er wolle kommen, sagte der Mensch; aber ich gab ihm seinen Pack Sachen, und schaffte ihn aus dem Hause.«
Mylord fragte sie noch genauer um alles, was geschehen war; halb hörte ich's, halb nicht; ich war außer mir; und da die Frau nicht sagen konnte: wo die Dame hingereiset wäre; so war mir am übrigen nichts gelegen. Ich hatte genug gehöret, um in Mitleiden zu zerschmelzen, und das geliebte Bild der leidenden Tugend mit erneuerter Zärtlichkeit in meine Seele zu fassen. Ich nahm das Zimmer ihrer Jungfer, weil ich darin den Platz bemerket hatte, wo sie gekniet, wo sie den unaussprechlichen Schmerzen gefühlt hatte, betrogen und verlassen zu sein. Derbys Schlafzimmer gab mir den nämlichen Abscheu wie ihr selbst, und ich warf mich unausgekleidet mit halb zerrütteten Sinnen auf das Bette, worin Sternheim so kummervolle Nächte zugebracht hatte. Trostlose Zärtlichkeit, und ein Gemische von bitterm Vergnügen bemächtigten sich meiner mit der Empfindung, welche mir sagte: hier lag das liebenswürdige Geschöpfe, in dessen Armen ich alle meine Glückseligkeit gefunden hätte; hier beweinte ihr blutendes Herz die Treulosigkeit des verruchtesten Bösewichts! Und ich - o Sternheim, ich beweine dein Schicksal, deinen Verlust, und meine verdammte Saumseligkeit, deine Liebe für mich zu gewinnen! - Vergnügen, ja ein schmerzhaftes Vergnügen genoß ich bei dem Gedanken: daß meine verzweiflungs-volle Tränen noch die Spuren der ihrigen antreffen, und sich mit ihnen vereinigen würden. Ich stand auf, ich kniete auf den nämlichen Platz, wo der stumme zerreißende Jammer über ihre Erniedrigung sie hingeworfen hatte; wo sie sich Vorwürfe über das blinde Vertrauen machte, womit sie sich dem grausamsten Manne ergab, und wo - ich ihrem Andenken schwur: sie zu rächen. O mein Freund, warum, warum konnte Ihre Weisheit meinen Mut nicht stählen? - Wie elend, wie beklagungs-wert war ich, da ich mit ihr jeden Augenblick verfluchte, worin sie das Eigentum von Derby war! alle ihre Schönheit, alle ihre Reize sein Eigentum waren! Sie liebte ihn; sie empfing ihn mit offenen Armen an der Treppe. -
Wie war es möglich: daß die edle reine Güte ihres Herzens den gefühllosen boshaften Menschen lieben konnte? Ich habe das kleine Hauptküssen vom Sohn der Wirtin gekauft; ihr Kopf hatte sich mit der nämlichen Bedrängnis darauf gewälzt wie meiner; ihre und meine Tränen haben es benetzt; ihr Unglück hat meine Seele auf ewig an sie gefesselt; von ihr getrennt, vielleicht auf immer getrennt, mußten sich in dieser armen Hütte die sympathetischen Bande ganz in meine Seele verwinden, welche mich stärker zu ihr als zu allem, was ich jemals geliebt habe, zogen.
Mylord fand mich am Morgen in einem Fieber; sein Wundarzt mußte mir eine Ader öffnen, und eine Stunde hernach folgte ich ihm in dem Wagen, nachdem ich die kleine Zeichnung des Gärtchens geraubt, und dem Mädchen, welches die Schülerin meiner Sternheim gewesen, einige Guineen zugeworfen hatte.
Die Kälte, welche die Politik ohnvermerkt bald in größerem, bald in kleinerem Maße auch in das wärmste Herz zu gießen pflegt, und es über einzelne Übel hinausgehen heißt, gab Mylorden eine Menge Vernunftgründe ein, womit er mich zu zerstreuen, und gegen meinen Kummer und Zorn zu bewaffnen suchte. Ich mußte ihn anhören und schweigen; aber nachts hielt mich mein Küssen schadlos; ich zehrte mich ab, und erschöpfte mich. Mein Schmerz ist ruhiger, und meine Kräfte erholen sich in dem Vorsatze, das Unglück des Fräuleins an Derby zu rächen, wenn er auch den ersten Rang des Königreichs besitzen sollte. Beobachten Sie ihn, wenn Sie nach London kommen, ob Sie nicht Spuren von Unruhe und quälender Reue an ihm sehen. Ewigkeiten durch möchte ich ihm die Marter der Reue empfinden lassen, dem ewig hassenswürdigen Mann! Ich gebe mir alle mögliche Mühe, die Folgen des Schicksals des Fräuleins zu erfahren, aber bis itzt war alles vergeblich; so wie Ihre Bemühungen vergeblich sein werden, wenn Sie ihr Andenken in mir auslöschen wollten; - mein Kummer um sie ist meine Freude, und mein einziges Vergnügen geworden.

Lord Seymour an Doktor T. 2

O Gott, warum hindert Ihre Krankheit Sie, mich auf zween Tage zu sehen! Ich bin dem Unsinn und der Wut ganz nahe. Mein Bruder Rich, den Sie noch aus dem Hause des ersten Gemahls meiner Mutter kennen, ist mit aller seiner stoischen Philosophie, durch eben den Streich zur Erde gedrückt. In zween Tagen reisen wir in die schottischen Bleygebürge, um - o tötender Gedanke! um das Grab des ermordeten Fräuleins von Sternheim aufzusuchen, und ihren Körper in Dumfries prächtig beerdigen zu lassen. - Wie konntest du, ewige Vorsicht, wie konntest du dem verruchtesten Bösewicht das Beste, so du jemals der Erde gabst, preisgeben? Meine Leute machen Anstalten zu unserer Reise; ich kann nichts tun; ich ringe meine Hände wie ein tobender Mensch, und schlage sie tausendmal wider meine Brust und meinen Kopf. Derby, der Elende! hat die Frechheit zu sagen, um meinetwillen, aus Eifersucht über mich habe er das edelste, liebenswürdige Geschöpfe betrogen, unglücklich gemacht, und getötet. Er beheult es nun, der wütende Hund, er beheult es. Seine Ruchlosigkeit hat ihn an den Rand des frühen Grabes geführet, vor welchem er zittert, und das ihn vor der Rache schützt, die ich an ihm ausüben würde. Hören Sie, mein Freund, hören Sie das Fürchterlichste, so jemals der Tugend begegnete, und das Ärgste, so jemals die Bosheit ausüben konnte. - Sie wissen, daß ich vor vier Monaten krank mit Mylord Crafton nach England zurückkam, und gleich zu meiner Frau Mutter nach Seymour-House ging, dem Übel meines Körpers und meiner Seele nachzuhängen. Ich fragte endlich nach Derby, itzo Lord N., man sagte mir, daß er auf seinem Landhause zu Windsor krank liege. Ich wollte seine und meine Genesung abwarten; aber etliche Tage nach meiner Frage um ihn ließ er mich zu sich bitten. Ich war nicht wohl, und schlug es ab. Einige Tage hernach reisete ich zu meinem Bruder Rieh, den ich freundschaftlich ebenso finster fand, als ich es selbst war. Die brüderliche Vertraulichkeit wurde ohnehin schon durch die fünfzehn Jahre gehindert, die er älter ist als ich, und seine trockne Stille munterte mich nicht auf, eine Erleichterung bei ihm zu suchen. Wir brachten vierzehn Tage hin, ohne von was anders als unsern Reisen, und auch dieses nur abgebrochen, zu reden; bis wir endlich in einer Minute zur offenherzigen Sprache kamen, da ein Kammerdiener von Lord N. einen Brief an mich brachte, worin er mich bat, mit Lord Rich zu ihm zu kommen, in einer Sache, welche das Fräulein Sternheim beträfe; ich sollte dem Lord Rich nur sagen, daß es die Dame wäre, welche er bei Lady Summers gesehen, und welche von da entführt worden sei. Ich fuhr wie aus einem schreckenden Traume auf, und schrie nur dem Kerl zu, ich würde kommen. Meinen Bruder packte ich beim Arme, und fragte ihn auf eine hastige Art nach der jungen Dame, die er in Summerhall gesehen. Mit Bewegung fragte er: ob ich sie kenne, und was ich von ihr wisse? - Ich zeigte ihm das Billet, und erzählte ihm kurz von allem, was das ewig teure geliebte Fräulein anging; ebenso kurz, so unterbrochen, erzählte er, wie er sie gesehen und geliebt hätte; ging, mir ein Bildnis von ihr zu holen, und konnte mir nicht genug von ihrem Geiste, von ihren edlen Gesinnungen, von der Traurigkeit, womit sie beladen gewesen, sagen, besonders zur Zeit, da Derbys Heurat mit Lady Alton bekannt worden. Wir waren bald entschlossen, abzureisen, und kamen in Windsor an; Lord Rich tiefsinnig, aber gesetzt; ich voll Unruh, voller Vorsätze und Entschlüsse. Schauer und Hitze eines wütenden Fiebers befielen mich beim Eintritt in Derbys Haus. Mein Haß gegen ihn war so aufgebracht, daß ich seines elenden Aussehens und der sichtbaren Schwachheit, die ihn im Bette hielt, nicht achtete. Mit stummer Feindseligkeit sah ich ihn an; er heftete seine erstorbenen Augen mit einem flehenden Blick auf mich, und streckte seine abgezehrte, rotbrennende Hand gegen mich. »Seymour«, sagte er, »ich kenne dich; aller Haß deines Herzens liegt auf mir; - aber du weißt nicht, wie viel wütende Szenen in dieser Brust wegen dir entstanden sind.« Ich hatte ihm meine Hand nicht gegeben, und sagte mit Widerwillen und trotzigem Kopf schütteln: »Ich weiß keinen Anlaß dazu als die Ungleichheit unserer Grundsätze.« Derby antwortete: »Seymour! diesen Ton hättest du nicht, wenn ich gesund wäre, und der Stolz, mit dem du von deinen Grundsätzen sprichst, ist ein ebenso großes Vergehen als der Mißbrauch, den ich von meinen Talenten machte.« Lord Rich fiel ein: daß von allem diesen die Frage nicht sein könnte, und daß Lord Derby nur Nachricht von der entführten Dame geben möchte. »Ja, Lord Rich, Sie sollen sie haben«, sagte er; »es liegt mehr Menschlichkeit in Ihrer Kälte als in Seymours kochender Empfindlichkeit. Er mag Ihnen sagen, was in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft mit dem Fräulein von Sternheim vorging. Wir liebten sie beide zum Unsinn; aber ich bemerkte zuerst ihren vorzüglichen Hang für ihn, und wandte alles an, ihn zu zerstören. Durch Verstellung und Ränke gelung es mir, sie unter der Verfolgung des Fürsten und der dummen Bedenklichkeit des Seymours durch eine falsche Vermählung in meine Gewalt zu bekommen. Aber mein Vergnügen dauerte nicht lange; ihr zu ernsthafter Charakter ermüdete mich, und ihre geheime Neigung gegen Seymour regte sich, sobald nur meine Gedanken im geringsten von dem ihrigen entfernet waren. Die Eifersucht machte mich rachgierig, und die Veränderung meiner Umstände, durch den Tod meines Bruders, gab mir Anlaß sie auszuüben. Ich verließ sie; doch reute es mich wenige Tage hernach, und ich schickte nach dem Dorfe, wo sie sich aufgehalten hatte, aber sie war fort. Lange wußte ich nichts von ihr, bis ich sie in England bei der Tante meiner Lady fand, wo ich sie nicht lassen konnte, und entführen ließ. Es jammerte mich ihrer schon damals, aber es war kein anders Mittel. - Mein Mißvergnügen mit der Lady Alton brachte die Sternheim in meine Erinnerung zurück. Ich dachte: sie ist mein, und um von dem elenden Leben im Gebürge loszukommen, wird sie gern in meine Arme eilen. Ich dachte es um so mehr, als ich wußte, daß sie mein von der Nancy Hatton zurückgelassenes Mädchen liebreich besorgte und erzog; ich schrieb es einer Art Neigung zu, und schickte ihr darauf mit angenehmen Vorschlägen meinen vertrauten Kerl ab; aber sie verwarf alles mit äußerstem Stolz und Bitterkeit.« Hier hielt er mit Stocken und Bewegung inne, sah bald mich, bald den Lord Rich an, bis ich mit stampfenden Füßen und mit Schreien den Verfolg seiner Erzählung foderte. - »Seymour! - Rieh!« sagte er mit tiefen traurigen Ton, mit ringenden Händen und stotternd, »o wäre ich Elender selbst hin, und hätte ihre Vergebung und Liebe erflehet! Mein Kerl, der Hund, wollte sie zwingen zurückzugehen. - Er wußte, wie glücklich mich ihre Gesellschaft gemacht hätte - er sper-rete sie in ein altes verfallenes Gewölbe, worin sie zwölf Stunden lag, und - aus Kummer starb.« - »Sie starb«, schrie ich, »Teufel! Unmensch! Und du lebst noch nach diesem Mord? - Du lebst noch?« Lord Rich sagt, ich hätte die Stimme und das Ansehen der Raserei gehabt. Er fiel mir in die Arme, und riß mich weg in ein anderes Zimmer, lange brauchte er, mich zu besänftigen und zu dem Versprechen zu bringen, daß ich nicht reden wollte. - Er sagte: »Derby liegt auf der Folter der Reue und der Erinnerung unwiederbringlicher übel verwendeter Lebenstage; willt du deine Hand an den Gegenstand des göttlichen Gerichts legen? Glaube, mein Bruder, aller unser Schmerz ist süß gegen die Pein seiner Seele. - Mein Herz blutet über das unglückliche Schicksal der Sternheim; aber die Tugend und die Natur rächet sie an ihrem Verfolger; laß mich ihn, ich bitte dich, noch fragen, was er von uns gewollt hat; überwinde dich, sei großmütig, sei auch gegen das unglückliche Laster mitleidig!« Ich versprach's ihm, wollte aber bei der Unterredung zugegen sein. - Der elende Mensch heulte, da wir wieder zu ihm kamen, und foderte, daß wir nach Schottland reisen, den Körper des Engels ausgraben lassen, und ihn in einen zinnernen Sarg zu Dummes beisetzen lassen sollten. Zweitausend Guineen will er auf ihr Grabmal verwenden, worauf die Beschreibung ihrer Tugenden und ihres Unglücks neben den Merkmalen seiner ewigen Reue aufgezeichnet werden soll. Er bat uns, nach D. Bericht davon zu geben; übergab uns alle Briefe, die er über sie an seinen Freund B. geschrieben hatte, und flehte uns, ihm zu schwören, daß wir unverzüglich abreisen wollten, damit er noch den Trost erleben möchte, daß dem Andenken der edelsten Seele eine öffentliche Ehrenbezeugung widerfahren sei. - Lord Rich redete ihm hierauf wenige pathetische Worte zu, und ich bezwang meinen mit der Wut kämpfenden Kummer; wir reisten sogleich ab; - morgens gehen wir nach Dumfries. - Was für eine Reise! - O Gott, was für eine Reise! -

Graf R an Lord Seymour

Sie geben mir Nachricht von meiner teuren unglücklichen Nichte. Aber, o Gott, was für Nachrichten, Mylord! Das edelste, beste Mädchen der Raub eines teuflischen Bösewichts! Ich dachte wohl, als Sie mir den Sekretär Ihres Oheims nannten, daß ein gemeiner schlecht denkender Mensch ihre Hand niemals hätte erhalten können. Ein Heuchler, ein die Klugheit und Tugend lebhaft spielender Heuchler mußte es sein, der ihren Geist blendete, und sie aus den Schranken zu führen wußte. Ich flehe den Lord Crafton um seine Beihülfe an, den nichtswürdigen Mann auch unter dem Schutze der ganzen Nation zur Verantwortung zu ziehen.
Nichts als die schlechten Gesundheitsumstände meiner Gemahlin, und meines einzigen Sohns hindern meine Abreise von hier; aber ich habe für das Andenken dieser liebenswürdigen Person doch dieses getan: von dem Fürsten zu begehren, daß er ihre Güter durch einen fürstlichen Rat besorgen lasse. Die Einkünfte sollen ihrer Gesinnung gemäß für die Kinder des Grafen Löbau gesammlet werden; aber der Vater und die Mutter sollen nichts davon genießen, sie, die zuerst das Herz des guten Kindes zerrissen haben, und allein die Ursache sind, daß sie von Angst betäubt ihrem Verderben zulief. - Käme ich nur bald nach D. und hätten wir nur einiges Licht von ihrem Aufenthalt! Aber es geschehe das eine und das andere, wenn es will: so soll der Elende, der ihren Wert nicht zu schätzen wußte, Rechenschaft von ihrer Entführung und Verlassung geben. Ich bedaure Sie, Mylord, wegen der Leiden Ihres Gemüts, die nun durch die wiederkehrende Liebe vergrößert sind. - Aber wie konnte ein Mann, dem die weibliche Welt bekannt sein muß, dieses auserlesene Mädchen mißkennen, und den allgemeinen Maßstab vornehmen, um ihre Verdienste zu prüfen? Unterschied sie sich nicht in allem? Verzeihen Sie, Mylord, es ist unbillig Ihren Kummer zu vermehren! Die Zärtlichkeit meiner nahen Verwandtschaft übertrieb meinen Unmut, und machte mich das Geschehene und Ungeschehene mit gleichem Haß verfolgen.
Fliehen Sie keinen Aufwand, um den Aufenthalt des geliebten Kindes zu erfahren; ich fürchte, oh, ich fürchte, daß wir sie nur tot wiederfinden werden! - Wehe dem Lord Derby; - wehe Ihnen, wenn Sie nicht Ihre Hand mit der meinigen vereinigen, um sie zu rächen! Aber alles, was Sie tun werden, um Ihre edelmütige Liebe, obwohl zu spät, zu beweisen, soll Sie in dem Oheim des edelsten Mädchens den besten Freund und Diener finden lassen. Allen Aufwand teile ich mit Ihnen, wie ich alle Ihre Sorgen und Schmerzen teile. - Hier halte ich alles geheim, weil ich meiner Gemahlin zärtliches Herz nicht mit unmäßigem Jammer beladen will.