Die Familie als Brutstätte der Revolution

Familienpolitik der Arbeiterbewegung

Einleitung und Fragestellung

Steigende Arbeitslosenquoten, sinkende Reallöhne, einhergehend mit dem Abbau staatlicher Sozialleistungen, das sind die Bedingungen in der Bundesrepublik, unter denen die konservative Regierung den Stellenwert der Familie betont. Die Familie soll die Insel in der verschuldeten, umweltverschmutzten Gesellschaft sein, dort sollen Nestwärme, Sicherheit und Selbsthilfe dominieren und die arbeitslosen Frauen wieder eine Aufgabe erhalten. Der Rückzug ins Private wird von der Regierung propagiert und von den Medien unterstützt. Aber auch die Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung, selbst wenn sie gesellschaftliche Veränderung und die Befreiung von jeglicher Unterdrückung anstreben, machen profamiliäre Politik. Was ist so aufhebenswert an der Familie? Wie paßt eine auf Privatheit und Individualität angelegte Zusammenlebensform in ein sozialistisches Konzept? Wie kam ein sozialistisches Familienbild, das sich kaum von dem der Konservativen zu unterscheiden scheint, zustande?
Mit diesen Fragen gingen wir in die Geschichte, indem wir Referate, Reden und ähnliches auf Begründungen für die Familienform untersuchten. Das Material stammt von Sozialdemokrat(inn)en aus der Zeit von 1892 bis 1928 und von Politiker(inne)n der KPD seit der Spaltung von der SPD (1918) bis 1928. Doch zunächst führen wir vor, wie heute die Sozialdemokrat(inn)en und die Kommunistinnen (der DKP) in der Bundesrepublik für die Familie plädieren.

Vom Sozialismus zur Chancengleichheit — SPD-Familienpolitik heute
»Die Arbeitnehmer und ihre Familien waren und bleiben das Fundament der Sozialdemokratie.« (SPD 1983, 60) Die SPD, ehemals eine sozialistische Arbeiterpartei, redet heute nicht mehr von Sozialismus, aber die Familie ist geblieben, was sie schon zur Jahrhundertwende war: Teil des Fundamentes einer Gesellschaft. Was erhofft sich die SPD heute von der Familie?

  • »Unsere Familienpolitik stärkt und fördert die Familie als sozialen und kulturellen Mittelpunkt der Menschen. Der Staat hat die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ein freies und selbstverantwortliches Zusammenleben der Menschen mit Familien möglich ist. Dazu gehört, daß die Wirtschafts- und Erziehungskraft der Familie gestärkt wird.« (SPD 1983, 34)

All das (Kultur, Sozialbeziehungen u.a.m.), was ansonsten in den gesellschaftlichen Bereichen (z.B. in der Produktion) zu kurz kommt, soll im Privaten — in der Familie — gelebt werden. Die Familie ist die zentrale Erziehungsinstitution; sie wird vom Staat gefördert und soll »die späteren Lebenschancen der Menschen positiv beeinflussen. Das hängt davon ab, wie das Bedürfnis des Kindes nach Geborgenheit, Erziehung und Bildung erfüllt wird« (SPD 1982,11). Die Eltern sollen dafür sorgen, daß aus ihren Kindern »etwas« wird, und zwar in der bestehenden Gesellschaft, da die SPD keine grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen mehr anstrebt (vgl. Regierungsprogramm der SPD 1983-1987). Das bedeutet für die Kinder, daß sie lernen sollen, in dieser Gesellschaft zu überleben, indem sie sich anpassen. Die Väter sollen in die Erziehungsarbeit integriert werden.
»Vorrangig die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit läßt es zu, daß Frauen und Männer sich gleichermaßen um die Familie kümmern und daß ein gefährliches Erziehungsdefizit, die vaterlose Familie, abgebaut wird.« (ASF 1982, 7)
Neben der Familie gibt es die »familienergänzenden Einrichtungen«, das sind Kindergärten, Schulen und ähnliches. Schon das Wort »familienergänzend« deutet an, daß die eigentliche Erziehung in der Familie geleistet werden soll. Das wird besonders offensichtlich an den Aussagen zur Adoption. Die SPD fragt: »Wie kann man Heimkindern ein richtiges Zuhause geben?« (Presse- und Informationsamt der Bundesreg. 1982, 57) Ein staatliches Heim (unter SPD-Regierung) ist demnach kein richtiges Zuhause, nur eine Notlösung bis zur Vermittlung. Adoptionswillige Ehepaare, denen die Bürokratie auf die Nerven geht, werden getröstet: »... bedenken Sie bitte, daß es um die Zukunft eines Kindes geht.« (Bundesreg. 1982, 57) Die Zukunft der Kinder hängt von der Familie ab. Weder der Staat noch unverheiratete Männer und Frauen sind in der Lage, sie zu sichern. Ferner fordert die SPD »eine organisierte Vertretung der Interessen der Eltern in familienergänzenden Einrichtungen« (SPD 1982, 11). Den Eltern wird zwar ein Mitspracherecht eingeräumt, dennoch haben sie nicht die letzt endliche Entscheidungsgewalt, obwohl sie die Hauptverantwortung für ihre Kinder tragen sollen. Für die Mütter bedeutet dies gleichzeitig, nicht nur daheim an die Kinder denken zu müssen, sondern selbst dann, wenn sie von anderen versorgt werden.
Nicht nur für die Kinder soll die Familie sorgen, auch für die Alten. So heißt es zur Pflege älterer Menschen: »Die ambulante Pflege sowie familiäre und nachbarschaftliche Hilfe müssen Vorrang vor der Heimpflege haben.« (SPD 1983, 31) Können staatliche Heime wirklich nicht leisten, was im Privaten, vor allem in der Familie, möglich ist? Oder sind die öffentlichen Einrichtungen nur so unzureichend, weil sie Bedürfnisse befriedigen, für die eigentlich der Familie die Zuständigkeit zugesprochen wird (vgl. Barrett 1982)? »Für uns bleibt es dabei, daß die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu den wichtigsten Voraussetzungen von Gleichberechtigung gehört. Wir ermutigen alle Frauen, über ihre Aufgaben in Familie
und/oder Beruf hinaus sich gesellschaftlich zu engagieren.« (SPD 1983, 30) Was meint die SPD mit »gesellschaftlichem Engagement«? Sind damit die sozialarbeiterischen, karitativen usw. Tätigkeiten gemeint, die schon immer besonders von bürgerlichen Frauen übernommen wurden? Warum ruft die SPD die Frauen nicht dazu auf, Politik zu machen?
Fassen wir zusammen, was die SPD den Frauen direkt und indirekt abverlangt. Die Frauen sind für die Familie zuständig, es gibt zwei Alternativen: entweder Familie und keinen Beruf oder Familie und Beruf. Erwerbstätig oder nicht, die Frauen sollen die Kinder versorgen und erziehen, in den Gremien der »famlienergänzenden Einrichtungen« mitarbeiten, die Alten pflegen und sich »gesellschaftlich engagieren«. Wie die SPD bei dieser zunehmenden Verlagerung gesellschaftlicher Aufgaben in die Familie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie organisieren will, bleibt uns trotz geforderter väterlicher Erziehungsmithilfe unvorstellbar. Die SPD sieht nicht die Berufstätigkeit der Frau als Voraussetzung für Gleichberechtigung an, sondern die Wahlmöglichkeit zwischen Beruf und Familie. Die Familie ist für die SPD die einzige Möglichkeit, für alle ein Zuhause zu schaffen im »kalten« Kapitalismus, mit dem sie sich genauso abgefunden hat wie mit der Unterdrückung in der (bzw. durch die) Familie.

Der Sozialismus fängt in der Familie an — DKP-Familienpolitik
»Die DKP tritt für den Schutz und die umfassende Unterstützung der Familie ein.« (DKP 1978, 327) So stand es im Programm der DKP 1978; daran hat sich bis heute nichts geändert. Das IMSF (Institut für marxistische Studien und Forschung) veranstaltete 1982 eine Frauenkonferenz mit dem Thema: Wir wollen alles! Beruf, Familie, Politik. Es geht also wie bei der SPD um die Vereinbarkeit dieser drei Bereiche, wobei die Berufstätigkeit ausdrücklich gefordert wird. Auch ist der dritte Bereich — Politik — eindeutiger formuliert als das »gesellschaftliche Engagement« der SPD. Die Familienpolitik der DKP ist gekennzeichnet durch einen großen Forderungskatalog an den Staat, bei dessen Verwirklichung ein Großteil der Haus- und Erziehungsarbeit vom Staat übernommen werden und die Frau ebenso wie der Mann ihre Hauptaufgabe in qualifizierten Berufen und in der Politik sehen würde.
Bei der Suche nach Gründen, warum die DKP so sehr für die Familie ist, hatten wir nur wenig Erfolg. Heute sind alle alten Parteien für die Familie, so daß sie wohl keiner expliziten Verteidigung mehr bedarf. Aber die DFI grenzt die kommunistische Familienpolitik gegen die der »Rechten« ab: »Wachsamkeit ist geboten gegenüber allen Versuchen, die längst vom Leben überholte partriarchalische Form der Familie wieder aufleben zu lassen und zu festigen; denn so soll das Heranwachsen einer Generation verhindert werden, die sich nicht gängeln läßt.« (DFI-Aufruf 1980, 276)
Die DFI bestimmt damit eine Form der Familie, die sie nicht will, nämlich eine, die patriarchalisch organisiert ist und die kleine Marionetten heranzieht. Da sie nicht schlußfolgert, eine andere Form des Zusammenlebens finden zu müssen, sondern an der Familie festhält, muß sie diese für einen Ort halten, wo es möglich ist, die Kinder zu Widerständlern statt zu Untertanen zu erziehen. Gegen die patriarchalische Familie setzt sie die partnerschaftliche. Bestärkt in unseren Schlußfolgerungen hat uns ein Leserbrief in der (DKP-nahen) DVZ vom 17.2.1983: »Wir, drei Jungs, eine Schwester und unser Vater, standen auf dem Standpunkt, daß die Gleichberechtigung, der Sozialismus, in der Familie anfängt. ... Wir Jungs sind stolz auf unsere Mutter, denn sie war Mutter und Kameradin. Sie erzog uns zu Sozialisten.« Es wird für möglich gehalten, Kinder in der Familie zu Sozialisten zu erziehen. Überhaupt habe der Sozialismus seinen Anfang in der Familie, schreibt der DVZ-Leser. Betrachten wir, wie sich die DKP das Zusammenleben der einzelnen in der Familie vorstellt. Die Frau soll berufstätig und finanziell unabhängig sein. »Durch die Verteilung der Hausarbeit auf beide Ehepartner kann die Doppelbelastung [der Frau, d. Verf.] gemildert werden.« (DKP 1982, 12) Die bisher in der Regel von Frauen geleistete Arbeit in der Familie soll umverteilt werden auf Mann, Frau und Staat (siehe oben). Die Frau soll es nicht mehr so schwer haben. »Dazu gehört, daß Männer mit alten Gewohnheiten, mit den Privilegien der patriarchalisch organisierten, kapitalistischen Klassengesellschaft brechen müssen.« (Ebd., 6) Die Männer sollen sich ändern.
Die DKP erstrebt gesellschaftliche Verhältnisse, in »denen Ehe, Familie und Partnerschaft nicht durch wirtschaftliche Abhängigkeit, sondern allein durch Zuneigung, Liebe, Vertrauen und gegenseitige Hilfe bestimmt sind. Die neue Gesellschaft freier, gleichberechtigter Menschen, Frauen und Männer, kann nicht allein durch Erziehung zur Solidarität, Gleichberechtigung und Partnerschaft erreicht werden. Sie erfordert den gemeinsamen Kampf gegen gesellschaftliche Verhältnisse, die den Menschen dem Profitstreben der großen Banken und Konzerne unterwerfen.« (Ebd.) Die Sozialbeziehungen in der Familie solidarischer zu gestalten, reicht danach nicht aus, um zum Sozialismus zu gelangen, wird aber fast im gleichen Atemzug wie der antikapitalistische Kampf genannt. Die Familie ist ebenso wichtig wie der politische Kampf.
Unsere revolutionären Vorbehalte gegenüber der Familie Wir haben verschiedene Vorbehalte gegenüber der Familie, unter der wir eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Frau, Mann und Kin-d(ern) verstehen, in der die Kinder in privater Form »für« die Gesellschaft versorgt und erzogen werden. An Michele Barrett anknüpfend, denken wir, daß die Familie gesellschaftliche Ungleichheiten reproduziert, indem sie z.B. aufgrund geschlechtsspezifischer Erziehung und Arbeitsteilung Geschlechteridentitäten immer wieder herstellt (vgl. Barret 1982).
Frauen sind, auch bei Berufstätigkeit,[2] die Hauptverantwortlichen für die Familie und für die damit verbundenen Aufgaben wie Kindererziehung und Hausarbeit. Ist ihre Arbeit beschränkt auf diesen privaten Bereich, bedeutet das zugleich ökonomische Abhängigkeit vom Mann und Ausschluß vom öffentlichen Leben. Im Gegensatz zu den Frauen sind Männer meistens erwerbstätig. Die unterschiedlichen Bereiche (Produktion des Lebens und Produktion der Lebensmittel), in denen Männer und Frauen tätig sind, erfordern jeweils andere Haltungen und Verhaltensweisen. Während der Arbeitsbereich der Männer bestimmt ist von Durchsetzungsvermögen und Konkurrenz, aber auch von Kooperation und kollektiven Tätigkeiten, sorgen die Frauen isoliert in der Familie für Geborgenheit, Harmonie und Liebe. Die spezifischen Verantwortlichkeiten der Frauen und die damit verbundenen Handlungen, die in der Familie gebraucht werden, behindern sie in anderen Bereichen, z.B. wenn es darum geht, Interessen zu formulieren und sich durchzusetzen. Unsere Empörung richtet sich nicht gegen die genannten Handlungen, wir kritisieren aber ihre Zuschreibung auf ein Geschlecht und einen Bereich.
Eine weitere Kritik ist, daß die Familie Bedürfnisse und notwendige Aufgaben erfüllt, indem sie sie privatisiert (vgl. Barrett 1982). Wir wenden uns gegen die momentan noch zunehmenden Versuche der Reprivatisierung gesellschaftlicher Aufgaben von Seiten des Staates. Zugleich denken wir, daß es zuwenig ist, lediglich Forderungen an den Staat zu stellen, damit die genannten Aufgaben von ihm übernommen werden. Wir brauchen für die notwendigen gesellschaftlichen Aufgaben auch neue Formen. Wir sind also nicht gegen Aufgaben wie Kindererziehung und anderes mehr, sondern dagegen, daß sie privat in den Familien, meist auf Kosten der Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen, erfüllt werden.
Unser Standpunkt zur Familie unterscheidet sich von den Positionen der heutigen SPD und DKP insofern, als beide Parteien die Privatförmigkeit gesellschaftlicher Aufgaben nicht angreifen, sondern unter anderem vom Staat Unterstützung zu deren Bewältigung fordern.
Im folgenden wollen wir vorführen, welche Anknüpfungspunkte wir für eine Kritik an der Familie bei Marx und Engels sowie Lenin als den Theoretikern der Arbeiterbewegung gefunden haben.
Positionen von Marx und Engels zur Familie
Wie mit dem Aufkommen der großen Maschinerie ein erheblicher Teil der vordem nötigen Muskelkraft überflüssig und kräftige Männer z.T. durch Frauen und Kinder ersetzt wurden, führt Karl Marx im ersten Band des Kapitals aus. Er schreibt weiter:

  • »Der Wert der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch die zur Erhaltung des individuellen erwachsenen Arbeiters, sondern durch die zur Erhaltung der Arbeiterfamilie nötige Arbeitszeit. Indem die Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Familie. Sie entwertet daher seine Arbeitskraft.« (MEW 23, 417)

Marx geht hier von einem männlichen Brotverdiener aus, und wir stimmen mit Barrett überein, daß dies politische Folgen von größter Wichtigkeit hatte.
»Marxens Blick hat selbstverständlich das Argument begünstigt, daß der Lebensstandard der Arbeiterklasse durch das sogenannte «Familienlohn»-System erhöht wird, wo ein männlicher Lohnarbeiter genug verdient, seine Familie zu reproduzieren, ohne daß Frauen oder Kinder verpflichtet sind, nach Lohnarbeit zu trachten.« (Barrett 1983, 213; Übers. B.K.)
Marx sah eine Auflösung der Proletarierfamilie durch das Kapital, das alle Familienmitglieder in den Produktionsprozeß einbezog und somit den Lohn des Familienernährers quasi auf alle Familienmitglieder verteilte.

  • »So furchtbar und ekelhaft nun die Auflösung des alten Familienwesens innerhalb des kapitalistischen Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter.« (MEW 23, 514)

Marx erhoffte sich von der Berufstätigkeit beider Geschlechter eine neue Art des Zusammenlebens (vgl. Haug 1983). Wie er sich diese neue Form der Familie genau vorstellte, bleibt unklar. Marx' Äußerungen im Kapital weisen nicht nur in eine Richtung: Zum einen werde die männliche Arbeitskraft durch die Lohnarbeit der Frauen und Kinder entwertet, zum anderen böte die Berufstätigkeit beider Geschlechter die Chance für die Entwicklung eines anderen Verhältnisses zwischen Mann und Frau; wobei er allerdings die Frage der Hausarbeit lediglich in einer Fußnote erwähnt. Diese würde durch den Kauf fertiger Waren ersetzt werden müssen. Unserer Meinung nach bleibt fraglich, ob die Hausarbeit dadurch vollständig ersetzt werden könnte. Im Kommunistischen Manifest sprechen Marx und Engels über die

  • »Aufhebung der Familie! Selbst die Radikalsten ereifern sich über diese schändliche Absicht der Kommunisten. Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie? Auf dem Kapital, auf dem Privaterwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen Prostitution. Die Familie des Bourgeois fällt natürlich weg mit dem Wegfallen dieser ihrer Ergänzung, beide verschwinden mit dem Verschwinden des Kapitals.« (MEW 4, 478)

Wenn mit Entstehen des Sozialismus die Familienlosigkeit der Proletarier entfällt und damit die bürgerliche Familie, wodurch sollen dann beide ersetzt werden?
Etwas konkreter äußerte sich Engels, der die Proletarierin in einem Dilemma sah.
»Erst die große Industrie unsrer Zeit hat ihr — und auch nur der Proletarierin — den Weg zur gesellschaftlichen Produktion wieder eröffnet. Aber so, daß, wenn sie ihre Pflichten im Privatdienst der Familie erfüllt, sie von der öffentlichen Produktion ausgeschlossen bleibt und nichts erwerben kann; und daß, wenn sie sich an der öffentlichen Industrie beteiligen und selbstständig erwerben will, sie außerstand ist, Familienpflichten zu erfüllen.« (MEW 21, 75)
Er übertrug dieses im weiteren auf die gesamte Lage der Frauen.

  • »Die moderne Einzelfamilie ist gegründet auf die offene oder verhüllte Haussklaverei der Frau, und die moderne Gesellschaft ist eine Masse, die aus lauter Einzelfamilien als ihren Molekülen sich zusammensetzt.« (MEW 21, 75)

Lohnarbeit und Familie sind nach Engels für die Frauen im Kapitalismus unvereinbar, und Familie und Gesellschaft bauen auf der Frauenunterdrückung auf. Eine wirkliche Gleichstellung beider Geschlechter setze die juristische Gleichberechtigung voraus und

  • »... die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie, und ... dies wieder erfordert die Beseitigung der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft.« (MEW 21, 76)

Engels fordert eindeutig die Berufstätigkeit der Frauen und die Abschaffung der Familie als wirtschaftliche Einheit. Wie sollte dies vonstatten gehen? Durch die Verwandlung von Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum verschwänden nicht nur das Proletariat, die Prostitution und die Erbgesetze, angestrebt würden umfassendere Änderungen:

  • »Die Lage der Männer wird also jedenfalls sehr verändert. Aber auch die der Frauen, aller Frauen, erfährt bedeutenden Wechsel. Mit dem Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig, seien sie eheliche oder uneheliche.« (MEW 21, 77)

Wenn alle diese Aufgaben, wie Hausarbeit, Kindererziehung, aus der Familie herausgelagert werden, ebenso wie die ökonomische Komponente, wird die Familie dann überflüssig? Soll sie durch eine andere Form des Zusammenlebens ersetzt werden? Engels läßt uns im Unklaren. Deutlich wird, daß er die bürgerliche Ehe abschaffen wollte, die er neben der ökonomischen Grundlage noch als einen Vertrag ansah,

  • »ein Rechtsgeschäft, und zwar das wichtigste von allen, weil es über Körper und Geist von zwei auf Lebenszeit Verfügung traf« (MEW 21, 80f).

Für Lenin stand zwei Jahre nach der Oktoberrevolution in Rußland fest:

  • »die Hauswirtschaft ist in den meisten Fällen die unproduktivste, die barbarischste und schwerste Arbeit, die die Frau verrichtet. Es ist eine sich im allerengsten Rahmen bewegende Arbeit, die nichts enthält, was die Entwicklung der Frau irgendwie fördern könnte.« (Lenin Werke 30, 36)

Er zog daraus (an anderer Stelle) den radikalen Schluß, die

  • »Frau in die gesellschaftlich produktive Arbeit einzubeziehen, sie der «Haussklaverei» zu entreißen, sie von der abstumpfenden und erniedrigenden Unterordnung unter die ewige und ausschließliche Umgebung von Küche und Kinderstube zu befreien«. (Lenin Werke 30, 401)

Wie kam es dazu, daß die (ehemals) an die Lehren von Marx und Engels anknüpfenden deutschen Parteien (SPD und KPD) heute ein eher bürgerliches Ehe- und Familienmodell propagieren?

Was sich SPD und KPD von der Beibehaltung der Familie erhofften
Wir stellen im folgenden dar, was sich die Sozialdemokraten und Kommunisten in der Zeit von 1892 bis 1928 von der Familie erhofften, inwiefern sie versuchten, die Vorstellungen von Marx und Engels umzusetzen, und wo sie anders verfuhren.

  • »An die «Abschaffung» der Familie, an die gesetzliche Aufhebung und gewaltsame Auflösung derselben denkt niemand in der Partei.« (Kautsky, 1892, 252) »Wir halten die heute bestehende Form der Familie nicht für ihre letzte und erwarten, daß eine neue Gesellschaftsform auch eine neue Familienform entwickeln wird. Aber eine solche Erwartung ist denn doch etwas ganz anderes als ein Bestreben nach Auflösung jeden Familienverbandes.« (Ebd.)

Ähnlich wie Marx und Engels sah Kautsky, der »geistige Führer des orthodoxen marxistischen Zentrums« (Niggemann, 1981, 312) der SPD, die Familie als eine Form und damit als veränderbar an. Gegen die gänzliche Abschaffung der Familie wendete er sich entschieden. Die Auflösung der Familie, ihrer »positiven Seiten« vor allem, warf er den Kapitalisten vor. Auch Kautsky wollte die ansonsten in der Familie verrichteten Aufgaben, ähnlich wie Engels, vergesellschaften. Die Entwicklung werde »eine der Arbeiten des Haushalts nach der anderen in Arbeiten besonderer industrieller Betriebe ... verwandeln, die Frau aus einer Arbeiterin im Einzelhaushalt zu einer Arbeiterin im Großbetrieb ... machen.« (Kautsky 1982, 252).
Dadurch werde die Frau dem Mann wirtschaftlich gleichgestellt. Auch Kautsky forderte eindeutig wie Marx und Engels die Berufstätigkeit der Frau. Von der Aufhebung der Familie wurde in den folgenden Jahren in der SPD und KPD nicht gesprochen.
Sehr konkrete Vorstellungen zur Vergesellschaftung der Hausarbeit hatte Lily Braun (SPD). Sie wollte die Familie von bestimmten äußeren Belastungen befreien, durch die Einrichtung von Wirtschaftsgenossenschaften, die die Frauen von der Koch-, Wasch- und Putzarbeit erlösen sollten. Sie dachte dabei an große Mietshäuser, mit kleinen Wohneinheiten für die einzelnen Familien, Gemeinschaftsräumen und Kantinen (vgl. Braun 1901). Ihre Genossin Clara Zetkin wollte viele Aufgaben aus dem Einzelhaushalt in Großbetriebe verlegen, während sie ein Nebeneinanderbestehen von »Großhausgenossenschaften« und Ein- und Zweifamilienhäusern für möglich hielt (vgl. Zetkin 1905). Wir halten diese Vorschläge für gute Ansätze, die Vergesellschaftung von Hausarbeit anzugehen. Leider wurden sie von den deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten nicht wieder aufgegriffen. In späteren Ausführungen der SPD (besonders nach dem ersten Weltkrieg) sind es wieder wie selbstverständlich die Frauen, die für die Hausarbeit ihres Kleinfamilienhaushaltes allein verantwortlich sind.

Kindererziehung
Die wichtigste Aufgabe der Familie war bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Kindererziehung. Die SPD ging auf den Vorschlag Engels', die Erziehung zu vergesellschaften, nicht ein. Lily Braun sprach 1901 von der Kinderbetreuung durch andere bei Abwesenheit der Mutter. Die Frau, den Lasten des Haushalts enthoben, sollte den Kindern,  »denen sie einst nur Pflegerin der Säuglingsjahre war, ... Erzieherin und Freundin werden.« (Braun 1901, 281)
Clara Zetkin plädierte fünf Jahre später für eine Ersetzung der Muttererziehung durch die Elternerziehung, schließlich seien Frau und Mann unterschiedliche soziale Wesen, deren verschiedene Eigenarten sich positiv auf die Erziehung der Kinder auswirken würden. Zetkin teilte die Erziehung in zwei Bereiche: Sie sollte an unterschiedlichen Orten stattfinden. Unumgänglich sei eine öffentliche Erziehung, in der die Kinder zu gesellschaftlichen Menschen, mit einem Bewußtsein für die Allgemeinheit erzogen werden sollten. Der Familie käme die wichtige Aufgabe zu, die Kinder zu Individuen, unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Eigenarten, zu erziehen.

  • »Wenn wir die öffentliche Erziehung brauchen, um Bürger zu erziehen, so bedürfen wir der häuslichen Erziehung, um starke Persönlichkeiten zu erziehen.« (Zetkin 1906, 43)

Diese Persönlichkeiten wiederum würden die Gesellschaft bereichern. Die Familie sei dabei die Gemeinschaft, »... welche die Verbindung zwischen der einzelnen Persönlichkeit und der Gesellschaft vermittelt.« (Zetkin 1906,43)
Damit erhält die Familie bei Zetkin eine ganz zentrale Position, denn ohne Familie gibt es keine starken Individuen und ohne diese keine neue Gesellschaft (Sozialismus).
Käte Duncker (SPD) sprach sich ebenfalls im Zusammenhang mit der Kindererziehung für die Familie aus, da es hier am besten möglich sei, Kinder für eine andere Gesellschaft zu erziehen. Sie gab viele kleine Erziehungstips, mit deren Hilfe die Eltern (vor allem die Mutter) die Kinder zu selbständigen, solidarischen und aufrechten Menschen heranziehen könnten. Die Eltern tragen bei allem, was die Kinder betrifft, eine große Verantwortung für die Gesellschaft, im Privaten — in der Familie.
»Wir wissen, die Gesellschaft steht über dem Einzelnen, und auch die Erzeugung von Kindern ist nicht mehr absolute Privatsache der Eltern, sondern diese sind der Gesellschaft für die Qualität ihrer Nachkommen verantwortlich ...« (Duncker 1908, 202)
Dies setzt aber verwandtschaftliche Beziehungen voraus. Auch soll die Familie als Schutzraum dienen, in dem die Eltern die Verantwortung dafür tragen, die Kinder so gut wie möglich vor den herrschenden ideologischen Einflüssen zu schützen und Unvermeidbares abzuschwächen. Besonders schlimm seien die Einflüsse, die Kirche und Schule auf die Kinder hätten. Die Ratschläge, die Duncker den Eltern gab, liefen darauf hinaus, die Söhne und Töchter vom Religionsunterricht, falls möglich, abzumelden, ihnen von den Kämpfen der Arbeiter zu erzählen und solidarisches Verhalten unter den Geschwistern zu fördern. Auch bei Duncker sollten die neuen sozialistischen Menschen, sogar gegen den Widerstand der bestehenden Gesellschaft, in der Familie produziert und geformt werden. Duncker spricht in der Regel von der Mutter, deren Situation sie nicht problematisierte, nur bei größeren erzieherischen Entscheidungen sprach sie die Eltern an.
Für Therese Schlesinger (SPD) war das Ziel, die Knaben und Mädchen im Bewußtsein gleicher Rechte und Pflichten zu erziehen. Ferner ging es ihr um die Gefühle der Eltern ihren Kindern gegenüber. Willentlich unbeeinflußbar käme es vor, daß ein Kind mehr geliebt werde als das andere. Den Eltern obläge nun die Aufgabe, die Kinder davon nichts spüren zu lassen. Die Eltern sollen ihre Kinder nicht unfreundlich behandeln, da dies ein Abstumpfen zur Folge habe und zu immer härteren Strafen führe. Übertragen auf die späteren erwachsenen Arbeiter/innen, müßten sie sich eine gewisse Sensibilität gegenüber rüdem Verhalten ihrer Vorgesetzten bewahren, denn abgehärtete Arbeit er/innen seien schlechter für den Klassenkampf zu mobilisieren (vgl. Schlesinger 1921). Hedwig Kurt (SPD) dachte sich Heim und Familie als »eine Stätte ..., wo der Mann nach des Tages Last und Kämpfen eine Ruhestatt findet, die Frau in Liebe und Glück die Kinder erziehen kann zu wahren, aufrechten Menschen.« (Kurt 1920, 52)
Hier wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung besonders deutlich, der Mann kämpft und arbeitet außer Haus, die Frau bereitet ein erholsames Heim und die Zukunft vor, indem sie die Kinder zu »neuen« Menschen erzieht.
In den sozialdemokratischen Familien sollten die Kinder zu wahren, aufrechten Menschen, zu Sozialisten, erzogen werden. In der KPD wurde nicht so ausführlich über Erziehung gesprochen. Sie beschränkte sich darauf, Kindertagesstätten zu fordern. Wir vermuten, daß die KPD im wesentlichen mit der Erziehung in der Familie einverstanden war, da ihre familienpolitischen Forderungen weitgehend mit denen der SPD übereinstimmten (vgl. Kontos 1979). Wir bezweifeln, daß sich bestimmte Erziehungsziele der Eltern direkt an den Kindern verwirklichen lassen. Die Erfahrung spricht dagegen, daß Kinder, die in Familien (sozialistischer Eltern) aufwachsen, zwangsläufig sozialistisch werden (vgl. auch Holzkamp 1983a und 1983b)

Die veränderten Männer
Im Zusammenhang mit der Kindererziehung galt den Knaben, aber auch den Männern besondere Aufmerksamkeit. So meinte Zetkin, um beide Elternteile an der Erziehung beteiligen zu können, müsse sich der Mann ändern, indem er mehr als bisher Aufgaben der Kindererziehung und im Haushalt übernähme. Dieser Entwicklung käme die schlechte ökonomische Situation vieler Familien zugute, die die Frau dazu zwinge, in die Produktion zu gehen, was eine neue Arbeitsteilung daheim bewirke. Zetkin versprach sich gleichzeitig eine Veränderung in der Bewertung von Männer- und Frauenarbeit zugunsten der letzteren. Auch die geschlechtsspezifische Kindererziehung sollte sich insofern ändern, als der Knabe Aufgaben im Haushalt zu übernehmen lernt. Von der Mädchenerziehung spricht Zetkin in diesem Zusammenhang nicht, offensichtlich sind es nur die Männer und Knaben, die sich verändern sollen.

»Der Knabe wird mit einer gerechten spezialen Wertung des Weibes und seiner Leistungen in das Leben hinausgehen. Dem Weibe aber, der Mutter, dem Mädchen, wird in der Familie wie draußen in der Gesellschaft eine reichere Lebensmöglichkeit, eine reichere Entwicklungsmöglichkeit geschaffen.« (Zetkin 1906, 44)
Auch Schlesinger forderte, daß sich die Männer ändern sollen. Sie will einen Mangel an den männlichen Arbeitern beheben, der im Kampf eher hinderlich als förderlich sei. Sie führt den Hochmut an, »... der dem erwachsenen Arbeiter oft schwer abzugewöhnen ist und der nicht selten die Ursache ist, daß das Zusammenwirken von Männern und Frauen in der Arbeiterbewegung sich nicht immer reibungslos vollzieht.« (Schlesinger 1921, 216)
Die Bewegung benötigte beide Geschlechter. Der Geschlechterkampf sollte durch die Veränderung der Männer, jedes einzelnen Mannes, gelöst werden. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, daß die Parteien der Arbeiterbewegung keine Frauenpolitik mach(t)en. Sowohl die SPD als auch die DKP fordern immer noch partnerschaftliches Verhalten von den Männern. Auch Ina Deter sprüht's an jede Wand: »Neue Männer braucht das Land.« (Deter 1982, Neue Männer braucht das Land, LP) Frauenunterdrückung aufheben zu wollen, indem sich nur die Männer ändern, halten wir für verfehlt. Will man schon solche kleinen Veränderungen als Indiz nehmen, dann zeigt sich, daß sich hier wenig bewegte: Etwa 80% aller bundesdeutschen Ehemänner würden nicht im Haushalt helfen (Allensbach Studie, zitiert im NRDII, Nov. 1983). Nicht einmal das haben die Männer im Laufe der letzten 78 Jahre gelernt. Warum sollten sie auch, solange die Frauen ihr Verhalten und ihre Handlungen nicht ändern? In einem Unterdrückungsverhältnis müssen sich notwendig beide ändern.
Eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Sozialismus war und ist für die Arbeiterbewegung das Produzieren und Reproduzieren neuer, aufrechter Sozialisten. Dazu konstruierte sich die Bewegung einen Rahmen, der dies ermöglichen sollte, die Familie mit der Frau als Verwalterin und Ausführende dieser Aufgaben. Die Sozialdemokrat(inn)en Kautsky, Braun, Zetkin u.a. forderten die Berufstätigkeit der Frau und eine Entlastung von der häuslichen manuellen Arbeit. Dies sollte zu einem tieferen, innigen Verhältnis der Geschlechter und Generationen zueinander führen. Laut Florence Herve gab es ab 1905 »leidenschaftliche Auseinandersetzungen« um die Frage der Frauenerwerbstätigkeit. Anlaß war, daß ein Sozialdemokrat, Edmund Fischer, sich dagegen ausgesprochen hatte und die Frau auf ihre natürliche Aufgabe als Mutter verwies (vgl. Herve 1981). Nach dem Ersten Weltkrieg sollte die sozialdemokratische Ehefrau vorrangig für die Familie zuständig sein. Die KPD hielt im gleichen Zeitraum an der Forderung nach Berufstätigkeit der Frauen fest und hoffte dabei, daß mit zunehmender Industrialisierung immer mehr Aufgaben im Haushalt wegfallen würden und die Ehe damit eine andere Form und einen anderen Inhalt erhalten würde.

  • »Die Stellung der Frau innerhalb der Familie war früher mehr davon beherrscht, daß die Familie eine Wirtschaftsgemeinschaft war; während sie heute mehr und mehr zu einer ideellen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau geworden ist.« (Arendsee 1928, 104)

Wie sich Arendsee diese ideelle Gemeinschaft genau vorstellte, erfahren wir nicht.

Politisierung von Frauen
Die sozialdemokratischen Politikerinnen forderten von den Frauen, neben der Versorgung des Haushalts und der Kinder, sich politisch zu betätigen:

  • »Die Frau, die Mutter wird Ausbeuter und Unterdrücker ihrer Kinder, wenn sie sich nicht politisch betätigt und die Interessen ihrer Klasse erkennt und zu verbessern trachtet.« (Behnke 920, 66)

Die sozialistische Haltung der Frau ist demnach eine wichtige Voraussetzung für eine Gesellschaftsveränderung. Bleibt die Frau unpolitisch, wird sie zur Handlangerin der herrschenden Klasse. Weiter fordert Behnke:

  • »... Mütter können keinen Krieg mehr wollen, sie, die ihr Heiligstes, ihr Frauen-tum unter die Füße getreten sahen. Um des wahren, des Völkerfriedens wegen müssen die Mütter sozialistisch denken lernen!« (Ebd., 67)

Es ist sicherlich sinnvoll, in der Frauenpolitik an alltägliche Probleme anzuknüpfen. Doch engt Behnke das Frausein = Frauentum auf Muttersein ein. Frauen sollen sich somit nicht aus Angst um ihr eigenes Leben für den Frieden engagieren, sondern wieder einmal für andere kämpfen.
Auch Hedwig Kurt fordert eine Politisierung der Frauen über ihre Aufgaben als Ehefrau, Mutter und Hausfrau. Die Frauen sollten helfen, die wirtschaftliche Not zu beseitigen. Sei dies erreicht, dann

  • »kann die Frau Ruhe und Zeit gewinnen, mehr als bisher an allen politischen und wirtschaftlichen Fragen und Kämpfen Interesse zu haben und so in treuer Kameradschaft mit dem Manne stehen. So wird sie sich die Achtung und Liebe erhalten, die in einer guten Ehe notwendig sind. So wird sie sich die Fähigkeiten und Selbständigkeit erringen, die sie so nötig braucht, um als Mutter ihren Kindern nicht bloß Erzieherin, sondern auch Freundin und Beraterin zu sein!« (Kurt 1920, 54)

Gegenüber Mann, Kindern und Klasse ist sie verpflichtet, sich politisch zu betätigen. Die KPD-Politikerin Käthe Pohl vertritt die Auffassung, daß es nutzlos sei, Hausfrauen zu politisieren. Sie ist der Ansicht, daß Industriearbeiterinnen geeigneter für den Klassenkampf seien als proletarische Hausfrauen. Denn die Arbeiterinnen nähmen unmittelbar am wirtschaftlichen Kampf teil, sie vereinigten In sich die Erfahrungen und den Kampfeswillen der unmittelbar ausgebeuteten Lohnsklavin mit der Erfahrung und Erbitterung der Haussklavin. Sie seien gewöhnt an die gemeinsame Arbeit (vgl. Pohl 1924, 12). Demnach können Frauen nur über Berufstätigkeit lernen, sich solidarisch zu verhalten, sich aktiv für ihre Interessen einzusetzen. Pohl hebt hervor:

  • »Die deutsche proletarische Revolution kann ebensowenig ohne die aktive Teilnahme der Industriearbeiterin wie ohne die des Industriearbeiters zum Siege gelangen.« (Pohl 1924, 12)

Frauen und Männer sollen also Seite an Seite für eine bessere Gesellschaft kämpfen. Sie sagt, Frauen seien ebenso mutig wie Männer. Die Frauen zögen in Demonstrationen vor die Rathäuser, um die Schaffung von Schul- und Massenspeisungen und Verteilung von Lebensmitteln an die Streikenden und Ausgesperrten zu fordern. Es ist sicherlich wichtig, daß Frauen ihre speziellen Fähigkeiten im Kampf einsetzen. Allerdings besteht dabei die Gefahr, wie die Erfahrung gezeigt hat, daß sie auf solche Aufgaben, die sich aus ihrer Zuständigkeit für Haushalt und Familie ableiten lassen, festgelegt bleiben, sie als Hilfstruppen der eigentlich Kämpfenden, der Männer, angesehen werden.

  • »Bei allen Kämpfen bedarf man nicht nur der Elitetruppen, sondern auch der großen Gewalthaufen. Das sind in unserem Falle die Arbeiterfrauen. Wenn wir sie nicht gewinnen, haben wir den Feind im Rücken. Der kämpfende Proletarier hat ihn ständig in seinem Heim. (...) Die revolutionären Proletarier sind nicht nur Kämpfer, wenn die große Schlacht ruft. Sie müssen in ihrem Betrieb, in ihrer Umgebung, jeden Tag, jede Stunde ganze Kämpfer sein. Das fordert Opfer, die selbstverständlich auch von der Familie getragen werden müssen. Deshalb müssen die Arbeiterfrauen mit revolutionärem Geist erfüllt werden.« (Zetkin 1926, (141/142)

Zetkin macht deutlich, daß es ihr nicht in erster Linie um die Entwicklung der Frauen, in diesem Fall der Hausfrauen, geht, wenn sie deren Politisierung fordert, sondern ihre Gewinnung sei notwendig, weil sie sonst die Entfaltung der Kämpfe und die Entwicklung der Kämpfer behindern. Die KPD-Politiker/innen gingen von der Annahme aus, daß die Unterdrückung der Frau erst im Sozialismus beseitigt werden könne, dann erst könne ihre wirtschaftliche und politische Gleichberechtigung errungen
werden (vgl. Arendsee 1928, 104)
Zusammenfassend können wir sagen, daß die KPD die Frauen politisieren wollte, damit sie den männlichen Klassenkampf unterstützen konnten, wobei die Erwerbstätigkeit der Frauen Voraussetzung dafür war, daß die Partei ihnen politische Aktivitäten zutraute. Der SPD ging es darum, daß die Frau Haushalt, Mann und Kinder versorgte. Sie solle dabei politisch aktiv, aber nicht berufstätig sein.

Arbeiterinnenalltag und historische Siege der Arbeiterbewegung
Im folgenden prüfen wir abschließend, welche materiellen Bedingungen die Arbeiterbewegung veranlaßten, die Familie als Zusammenlebensform beizubehalten. Wir fragen uns dazu, wie die Arbeiter und ihre Familien, besonders die Arbeiterinnen, gelebt haben. Die tägliche Arbeitszeit betrug vor 1890 mehr als 11 Stunden, die bis 1918 auf 8 Stunden verkürzt worden war; hinzu kam aber für die Frauen, die allein für Haushalt und Kindererziehung verantwortlich waren, noch 7-8 Stunden Hausarbeit. Die Fabrikarbeit der Frauen konzentrierte sich vorwiegend auf Industriebereiche mit besonders niedrigem Lohnniveau, kurzer Anlernzeit und geringer Qualifikation und fand generell unter schlechten Arbeitsbedingungen statt. Doch auch bei identischer Arbeit von Männern und Frauen erhielten die letzteren 30-50% weniger Lohn. Ein besonderer Widerspruch wird deutlich, wenn man bedenkt, daß bürgerlich-konservative Kräfte einerseits die Erwerbstätigkeit vor allem verheirateter Frauen aufgrund ihrer familienzerstörenden Wirkung ablehnten, andererseits aber von ihr profitierten (vgl. Evans 1979), nicht nur wegen der geringen Löhne, sondern auch, weil Frauen solide und zuverlässig wären. Sie hätten eine Familie zu versorgen und müßten somit regelmäßig zur Arbeit kommen (vgl. Unternehmensleitung 1899, zitiert nach Ellerkamp und Jungmann 1983,130). Oft betrachten die Frauen ihre Berufstätigkeit als »lästiges Übergangsstadium« bis zur Ehe (vgl. Saul u.a. 1982, 177). Durch Heirat verbesserte sich ihre Situation jedoch nur selten, da der Lohn des Mannes zum Erhalt der Familie oft nicht ausreichte und so ihre Arbeit lebensnotwendig war. Die hohe Belastung und die Schwierigkeit der Frauen, ihre Berufstätigkeit und ihre häuslichen Aufgaben zu verbinden, werden deutlich anhand eines Tagesablaufs einer Arbeiterin mit Familie 1908/09 (vgl. Saul u.a. 1982, 197).
Gegen 5.00 Uhr mußte sie aufstehen, Frühstück für sich und ihre Familie richten, die Kinder versorgen und eventuell fürs Mittagessen vorkochen, wenn dies nicht schon am Abend zuvor geschehen war. Während der Mittagspause eilte sie nach Hause, um wiederum die Familie zu versorgen. Kam sie nach 18.00 Uhr wieder heim, bereitete sie das Abendbrot, wusch ab und räumte auf. Sonntags wurde oft gründlich geputzt. Alle 8 Wochen war großer Waschtag, der Arbeit bis tief in die Nacht erforderte; tags darauf wurde gebügelt. Auch Kleidung, besonders für Kinder, wurde nicht nur ausgebessert, sondern selbstgeschneidert; Neues kaufen konnte man sich nicht. Die Schreiberin betont weiter, daß Frauen mit Säuglingen es besonders schwer hatten. Sie arbeiteten bis kurz vor ihrer Entbindung und mußten nach wenigen Tagen bereits alle anstehenden Aufgaben bewältigen. Durch die in den Arbeiterfamilien durchschnittlich recht hohe Kinderzahl (um 1900 4-5 Kinder) waren die Frauen ohnehin schon sehr gebunden; auch wenn sie nicht berufstätig waren, blieb ihnen kaum Zeit für außerhäusliche Aktivitäten. Viele Kinder erwerbstätiger Arbeiterinnen waren tagsüber ohne Aufsicht oder lebten als Haltekinder gegen Zahlung von Kost und Unterbringung in fremden Familien. Die Hauptnahrungsmittel vieler Arbeiterfamilien waren Brot, Kartoffeln und Malzkaffee; es gab wenig Gemüse und Fleisch, letzteres oft nur für den Mann. Mit dem wenigen, was vorhanden war, sättigendes, abwechslungsreiches und gut schmeckendes Essen zuzubereiten, war sehr zeitaufwendig. Da räumlich wie finanziell keine Möglichkeit zur Vorratshaltung bestand, mußte täglich und in kleinen Mengen eingekauft werden, was den Einkauf verteuerte (vgl. Saul u.a. 1982, 78, 105). Eine sparsamere Haushaltsführung hätte viel Zeit erfordert, die die Frauen aufgrund ihrer vielfachen Belastungen jedoch nicht hatten. Arbeitserleichterungen im Haushalt, z.B. technische Hilfsmittel, standen ihnen wegen unzureichender finanzieller Mittel auch nicht zur Verfügung.
Zu den bisher beschriebenen bedrückenden Bedingungen kamen noch die katastrophalen Wohnverhältnisse. Die Wohnungen waren klein, in schlechtem baulichen Zustand, mit wenig Licht und Luft. Sie waren oft schon von der Zahl der Familienmitglieder überfüllt, zu denen aber noch fremde Untermieter und Schlafgänger hinzukamen.
Vergegenwärtigen wir uns dieses Leben eines großen Teils der Bevölkerung, so wird verständlich, daß die Arbeiter den Familienraum verbessern mußten. Sie versuchten, ihre Frauen zu schützen vor den harten Lebensbedingungen, vor allem in der Produktionsarbeit, damit die Arbeiterfrauen Kraft und Zeit gewinnen konnten für die Herstellung des Familienlebens. So hatte die Familienform während der Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise u.a. auch die Funktion, einen Schutzraum darzustellen, der die Arbeiter die Produktionsarbeit leichter bewältigen ließ.
Wir denken, daß der Kampf für die Familie historische Berechtigung hatte. Unsere Empörung gilt der Fortdauer dieser Politik bei veränderter materieller Lage der Betroffenen. Heute kann man in den westlichen Industrieländern durchschnittlich nicht mehr von wirtschaftlicher Not und Elend sprechen, von der Notwendigkeit eines nackten Überlebens. Die Frauen haben — gewollt — weniger Kinder, fertige Lebensmittel und technische Haushaltsgeräte. Und immer noch liegt die Produktion des Lebens, die Aufzucht der Kinder allein bei den Frauen und wird in ungesellschaftlicher Form gelöst.

Die zweifach verändernde Kraft der Frauen
Die Familie, mit der Kindererziehung als Hauptaufgabe, war fest in den Vorstellungen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung verankert. Die Arbeits- und/oder Kampfeskraft der Männer sollte in der Familie reproduziert werden. Die männlichen Sozialdemokraten sollten politisch bleiben für den Kampf um eine neue Gesellschaft und die noch-nicht-sozialistischen Menschen — die Kinder — sollten zu solchen geformt werden. Verhaltensweisen wie Solidarität usw., die ansonsten in der Gesellschaft kaum oder gar nicht vorkamen, sollten in der Familie eingeübt und gelebt werden. Ebenso versprach sich die KPD Unterstützung von der Familie im Klassenkampf für den männlichen revolutionären Proletarier. Das Erreichen einer sozialistischen Gesellschaft hing somit zu einem nicht unerheblichen Teil von der Familie bzw. der Frau ab. Für das Funktionieren dieser Institution trug und trägt die Frau die Verantwortung — unabhängig davon, ob gerade ihre Berufstätigkeit gefordert war oder nicht.
Unter dem Primat des sozialistischen Kampfes, in den die Menschen, und nicht Frauen und Männer, eingebunden waren, wurden Geschlechtergegensätze übergangen. Die Orientierung von Männern und Frauen auf dieses gemeinsame Dritte trennte die Geschlechter noch einmal, weil so jedes für sich Alltagsprobleme und Zukunftsentwürfe lösen mußte. So tritt das Leben der Frauen auf als eines im Dienst der Männer, der Kinder und des sozialistischen Kampfes — wobei die Hauptaufgabe der proletarischen Mutter ist, die Kinder zu solidarischen Menschen zu erziehen, die für den Sozialismus kämpfen. Als These läßt sich formulieren: Wenn die Privatheit der Familie Solidarstrukturen erzeugt, die sonst in der Gesellschaft nicht bestehen, sie den genetischen Aufbau des Sozialismus dort herstellt und der Frau dabei die zentrale Position zukommt, dann sind die Frauen hoffnungslos gefesselt. Denn jeder Befreiungsversuch der Frauen wäre — im Effekt — ein Schlag gegen den Sozialismus. Der Widerstand der proletarischen Familie gegen den Kapitalismus würde geschwächt, wenn die Frauen die Familie verließen.
Streiten die Frauen in der alten Form für den Sozialismus, dann kämpfen sie gegen ihre Befreiung. Die Vorstellung einer organischen Einheit von Sozialismus und Familie halten wir für einen Irrtum. Fassen wir als sozialistische Perspektive die gemeinsame und selbstbestimmte Regelung der Lebensangelegenheiten, dann gilt dies nicht nur für die Produktion der Lebensmittel, sondern ebenso für die Produktion des Lebens. Ziel kann nicht nur sein, gegen das Privateigentum zu streiten, sondern gegen »private Verantwortung« überhaupt. Für die Frauen stellt sich die doppelte Aufgabe, zum einen sich selbst aus den Fesseln der Familie zu befreien und zum anderen den »Sozialismus« aus den Fesseln der Familie zu lösen. Die männlichen Arbeiter werden nicht diejenigen sein, die für die Vergesellschaftung aller Bereiche kämpfen werden. Es braucht Zusammenschlüsse von Frauen, die gemeinsam nach nichtprivaten und nichtstaatlichen Lösungen, nach neuen Vergesellschaftungsformen suchen.

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