Wer bin ich? Wie soll ich sein?

Wir alle sind in unserem Selbstbild davon abhängig, wie andere uns sehen.
Und der erste und wichtigste »Spiegel« sind die eigenen Eltern.
Was sieht ein Sohn, wenn er sich durch die Augen seiner Mutter,
seines Vaters sieht? Kann er sich später überhaupt davon befreien?

Wer bin ich? Wie bin ich? Eine erste Antwort auf diese Frage suchen Kinder in den Augen ihrer Eltern. Sie suchen sich Selbst, ihr mögliches Selbst. Und sehen oft nur ein Zerrbild, ein Wunschbild, ein Klischeebild.

Im Spiegel der Mutter

Von Virginia Woolf stammt die Beobachtung, Frauen hätten für Männer in der Geschichte ihres Zusammenlebens stets die Funktion von Spiegeln erfüllt: und zwar von fantastischen Zauberspiegeln, in denen sich der Mann in doppelter Lebensgröße bewundern konnte. Für Männer dürfte das wirklich Schmerzhafte, das wirklich Unerträgliche an der weiblichen Emanzipation daher gewesen sein, daß sie sich fortan brutal zurechtgerückt, abrupt auf ihre tatsächlichen Maße und Dimensionen zusammengeschrumpft erleben mußten, weil die Frauen nunmehr Besseres zu tun hatten, als zu ihnen aufzuschauen. Bleiben wir beim Bild des Spiegels. Auch als Mütter haben Frauen, und hier sogar legitimerweise, die Funktion eines Spiegels. Ein Säugling, ein Kind hat noch keine konkrete Vorstellung, noch kein deutlicheres Bild von sich selbst. Es weiß nicht, was es ist und wie es ist, nicht, wie es sein sollte. Dieses Selbstbild muß sich erst entwickeln, und das geschieht in einem komplizierten Wechselspiel zwischen dem Kind und den anderen. Unter den ersten und wichtigsten anderen, mit denen Kinder es zu tun haben, kommt der Mutter eine Sonderstellung zu. Zunächst erlebt das Kind sie, wenn wir den Entwicklungspsychologen glauben dürfen, als Teil von sich selbst oder sich selbst als Teil von ihr und kann noch keine Grenze unterscheiden. Viele der Spiele, die ganz kleine Kinder so gern und so ausdauernd spielen, drehen sich um diese Abgrenzung, um das Thema Trennung und Wiederannäherung. Nicht nur Säuglinge und Kleinkinder, wir alle sind in unserem Selbstbild davon abhängig, wie andere uns sehen - bzw. davon, wie wir glauben, daß sie uns sehen. Frauen haben oft ein sehr bescheidenes Selbstbild, oder sie leben in der Angst, daß andere sie nicht akzeptieren werden, wenn sie nicht bescheiden, nett, lieb und entgegenkommend sind. Wichtig wäre nun, daß Frauen sich nicht nur in den Augen von anderen sehen und danach einschätzen, sondern auch ein stabiles eigenes Bild von sich haben. Und daß sie in ihrem Zusammenleben mit Männern aller Altersgruppen auch wirklich sehr genau wissen, was sie selbst widerspiegeln. Der Umgang von Frauen mit der Männlichkeit ihrer Söhne ist sehr subjektiv, teilweise noch sehr stereotyp. Sie haben eine bestimmte Anschauung, und in diese Anschauung passen sie ihre Söhne ein. Wie es zu welcher Anschauung kommt, hat viele Ursachen: ob die Frau ausschließlich Söhne hat oder auch Töchter; ob der Sohn ihr willkommen war oder ob sie keine geschlechtsbezogene Präferenz hatte; ob sie aus komplizierten biografischen Gründen ganz besonders gerne einen Sohn oder viel lieber eine Tochter gehabt hätte; welcher Beziehungssituation dieser Sohn entstammte und wie ihr Verhältnis zu seinem Vater war und ist, wie es ihr insgesamt gerade geht und unzählige andere Faktoren. Es gab eine ganze Reihe von Punkten, in denen wir bei den
interviewten Frauen überhaupt keine Einigkeit erzielen, in denen wir sogar kaum ein Muster erkennen konnten. Zwar waren sehr viele Frauen anhand ihrer eigenen Kinder zu dem Schluß gelangt, daß manches wohl tatsächlich »angeboren« war, obwohl man es vorher ausschließlich für anerzogen gehalten hatte. Häufigste Nennungen in dieser Kategorie: Interesse für Autos und Geräte, Freude am Raufen und Kräftemessen, Ablehnung von Mädchen in bestimmten Altersstufen. Doch das waren eher oberflächliche Beobachtungen. Bei den wirklich grundsätzlichen Fragen herrschte kein Konsens, konnte man nicht einmal so etwas wie die wichtigsten Denkrichtungen identifizieren. Waren Söhne irgendwie »fremder« als Töchter? Gab es typische Charakterzüge, typische Verhaltensweisen im Zusammenleben? Waren Söhne emotional anders, verschlossener, autonomer? Hierzu hatte, wie es schien, jede Frau ihre eigene Meinung.

Die 33jährige Antonia, Mutter von einem 12jährigen Mädchen und einem 10jährigen Sohn, ist felsenfest davon überzeugt, daß Mädchen sensibler und gesprächiger sind:
»Was mir wirklich auffällt im Unterschied Mädchen-Junge, ist, daß ich mit dem Mädchen immer schon eine innigere Beziehung gehabt habe, weil sie die typische weibliche Neugierde, das Redenwollen, ein Mitteilungsbedürfnis, alles das, was wir Weiber sichtlich mehr haben, hatte. Der Sohn war von Anfang an nicht so. Der Sohn ist ein wahnsinniger Egoist. Ich bewundere ihn, weil er für mich ein kleines Genie ist. Er werkelt vor sich hin mit diesem, was weiß ich, elektrischen Lego-Zeugs. Er teilt sich darüber nicht mit, während die Sophie in einem fort geplappert hat. Schau Mama, jetzt leg ich die Puppe ins Bett, und jetzt hab ich ihr Zöpfe gemacht, etc. etc. Währenddessen hat der Josef Flugzeuge gebaut. Der war zu beschäftigt, um sich mir mitzuteilen. Die Sophie ist die wesentlich Oberflächlichere. Sie war immer schon so eine kleine Tratschen, und auch ihre Freundinnen sind gekommen und haben mit mir geredet. Der Josef und seine Freunde, die waren viel weiter weg, und ich war sozusagen ehrfürchtig vor seinem Talent, das er ja hatte, vor seinem angeborenen Interesse. Wohl war er verschmuster, die Sophie hat nie mit mir geschmust. Irgendwie, ich weiß nicht, körperlich war da zwischen uns nichts. Aber so inhaltlich, da konnte der Josef mit mir nicht viel anfangen. Da war immer das große Warten auf seinen Vater, nicht aus Liebe, sondern weil ihm dann endlich einer sagen kann, wohin die Batterie gehört. Mich braucht er da gar nicht erst zu fragen, das weiß er. Einmal hat er zu mir gesagt, Mami, warum bist du so dumm. Aber was soll ich auch für eine Ahnung haben von Volt und Watt.«
Für Antonia scheint klar, daß ihr Sohn und ihre Tochter vom Wesen her grundverschieden sind und daß sie sich in ihrem Verhalten lediglich auf diesen von außen vorgegebenen Unterschied eingerichtet hat. Doch schon während des Gesprächs vermuten wir, daß es zumindest zum Teil umgekehrt gelaufen ist. Denn Antonia hat ein sehr ausgeprägtes Weltbild, zu dem ein sehr konventionelles Geschlechterbild gehört. Sie glaubt an die männliche Überund die weibliche Unterlegenheit. Frauen sind, wie sie glaubt, gefühlvoller, an zwischenmenschlichen Dingen interessierter, gleichzeitig aber weniger wertvoll, weniger ernsthaft. Auch die eigene Tochter schließt sie in diese Abwertung mit ein. Zu der hat sie zwar das innigere Verhältnis, sie kann besser mit ihr reden, aber das ist ja nur typisch für »uns Weiber« und ein Beweis, daß dic-Tochter von ihren Kindern die »oberflächlichere« ist. Männer und ihre Belange sind dagegen seriöser. Mit ihrem Sohn hat sie wenig Gesprächsbasis, weil sie seine Interessengebiete für sich selbst als »Off-limits«, als zu schwierig definiert. Sie ist es eigentlich, die sich distanziert, und nicht der Sohn. Der kommt sowieso immer wieder mit seinen Batterien und seinen Projekten, blitzt aber ab. Das »was weiß ich, elektrische Lego-Zeugs«, vom
Hersteller konzipiert für 8- bis 12jährige, würde das intellektuelle Fassungsvermögen der durchaus intelligenten Antonia bestimmt nicht überschreiten, aber sie will es ja gar nicht verstehen.

  • Jungen - das ist ein anderer Planet. Neulich fuhr ich mit meinem 5jährigen Neffen im Bus. Er sah aus dem Fenster und bemerkte, daß der Bus seinen Schatten auf die Straße warf und daß dieser Schatten uns begleitete. Sein nächster Gedanke war: Wer ist schneller, wir oder unser Schatten? Die Fahrt wurde für ihn zu einem Wettrennen, und er war ganz versessen darauf, daß »Wir«, im Bus, siegen sollten. Ein ganz einfaches Alltagserlebnis, doch für ihn ging es um Sieg oder Niederlage.
  • Anna

An Antonias Beispiel können wir auch erkennen, welchen Unterschied lebensgeschichtliche Details spielen. Würden wir in ihrer Kindheit Nachforschungen anstellen, so würden wir herausfinden, daß sie die älteste Tochter eines Vaters war, der sich sehnlich einen Sohn gev"ünscht hatte. Die zweite Tochter bemühte sich, indem sie sich für Sport und technische Dinge begeisterte, dem Vater als Ersatzsohn zu gefallen. Antonia aber war die Tochter ihrer Mutter, durfte und sollte weiblich und mädchenhaft und lieb sein. Auch die aktuelle Lebenssituation prägt. Würde Antonia sich nicht vielleicht anders verhalten, wenn sie Alleinerzieherin wäre und es keinen Vater gäbe, auf dessen abendliches Heimkommen sie den Sohn vertrösten kann? Wie wäre ihre Beziehung zu dem Sohn, wenn er ein Einzelkind wäre und es keine Tochter gäbe? Einen vollkommen anderen Standpunkt hat Ulla. Ulla ist 32 und hat drei Kinder - zwei Töchter und einen Sohn. Seit der Geburt des ersten Kindes ist sie zu Hause.
»Die ersten beiden Kinder waren Töchter. Als ich erfuhr, daß das dritte Kind ein Junge wird, habe ich komisch reagiert. Mein erster Gedanke war: Um Gottes willen, jetzt brauch ich lauter neue Babykleidung. Mein zweiter Gedanke war, da wird die Oma sagen, >Na endlich habt's einen Buben<. Ich habe mir überlegt, wie ich darauf reagieren sollte. Sie hat es dann auch wirklich gesagt. Mit dem Max war es von Anfang an anders. Das war mein Kind. Die Mädchen waren nie so meine Kinder; ich weiß nicht warum. Ich war stolz auf die beiden, ich war total happy, sie waren bildschöne Babies. Aber ich habe nie gespürt... da war nie so... ich weiß nicht, diese Mutter-Kind-Einheit irgendwie. Der Max war von Anfang an mein Kind, und das ist er jetzt noch. Er kuschelt sich an mich. Er hat sich das erste Jahr von mir überhaupt nicht trennen lassen. Ich konnte mich nicht einmal wegdrehen. Er liebt schon auch seinen Vater, aber eigentlich gibt's für ihn nur mich. Er hängt wirklich besonders an mir. Zum Beispiel kommt er unglaublich gern zu mir ins Bett kuscheln. Mein Mann und ich schlafen in einem Doppelbett, aber er liegt nie auf der Hälfte vom Hans. Er liegt immer nur auf meiner Hälfte. Am liebsten hält er sich dann an meinen Haaren fest. In jeder Hinsicht bin ich es, die für ihn wichtig ist. Außer, wenn es um Fußball geht oder um Skifahren, da bin ich nicht so wichtig, da will er den Papa. Aber so für das Tägliche... Wenn die Frage auftaucht, wer ihm sein Getränk macht, wer ihm den Himbeersaft macht, da bin ich ihm lieber. Das freut mich schon sehr. Manchmal mache ich mir Sorgen, ob mir das nicht einmal abgehen wird. Das hört ja zwangsläufig auf, mit der Zeit; vielleicht sogar schon bald. Ob ich zu ihm anders bin? Gut, man ist zu jedem Kind anders. Sie kommen einem ja auch anders entgegen. Der Max hat sich von Anfang an derart breitgemacht in meinem Leben... Das haben die Mädchen nie. Also, sie haben sich schon auch breitgemacht, aber anders, viel aggressiver. Die Sarah z. B. war total aggressiv. Als Baby schon; sie hat gebrüllt wie am Spieß. Der Max hingegen ist mehr fürs Kuscheln und Anschmiegen. Er sagt ja selber von sich, >ich bin so gemütlich<. Die Mädchen sehen mich sehr verschieden. Für die Große bin ich ein totaler Aggressionspunkt, glaube ich. Wir sind ständig im Clinch. Die Mittlere hätte es gerne, wenn ich öfter mit ihr alleine wäre. Die hat mich, glaube ich, irrsinnig gern. Aber sie ist mehr so in der Warteposition, d. h. sie wartet, bis sie etwas kriegt. Sie ist auch sehr verständnisvoll. Trotzdem sehen mich beide, glaube ich, mehr als das Dienstmädchen an. Ich bin dazu da, Mahlzeiten anzubieten. Der Max betet mich meistens an. Manchmal ist er böse auf mich, dann droht er gleich mit Liebesentzug. Dann sagt er gleich, >jetzt hab ich dich nicht mehr lieb, ich habe jetzt den Papa lieber<. Das passiert dann, wenn ich irgendwie nicht funktioniere, wenn ich ihm z. B. ein Eis verweigere. Oder wenn ich ihm eine Semmel ohne Schinken gebe. Aber ich weiß, für ihn bin ich wahnsinnig wichtig.«
Der Kontrast zwischen beiden Frauenstandpunkten zeigt, wie subjektiv die Wahrnehmung der Mutter-Sohn-Beziehung ist, wie sehr sie von der Frau definiert wird auf der Grundlage ihrer Erwartungen. Für Ulla ist der Sohn der Emotionsträger; diese Erwartung filtert ihre Beurteilungen. In beiden Familien zieht es den Sohn bei substantiellen Interessen wie Sport und Hobbies zum Vater - die erste Mutter erlebt das als Abwendung, der zweiten ist es egal. Wenn ihre Töchter von ihr Mahlzeiten beanspruchen, erlebt Ulla sich als »Dienstmädchen«; wenn aber der Sohn seinen Himbeersaft von ihr serviert haben will, wertet sie das als Liebesbeweis. Forderndes Verhalten von ihren Töchtern erlebt sie als »aggressiv«, sogar im Babyalter. Beim Sohn amüsiert es sie, wenn er sich mit allen Mitteln durchsetzen will. Ulla sieht, daß ihre Töchter sehr verschieden sind, daß die zweite Tochter eigentlich genauso anschmiegsam und liebesbedürftig wäre wie der Sohn - doch diese Tochter blitzt bei ihr ab. Wenn sie die Ablehnung akzeptiert, wird sie als »vernünftig« gelobt; beim Sohn hingegen macht Ulla sich manchmal Sorgen, daß er »so gutmütig bleiben wird, wie er jetzt ist« und dadurch im Leben als Mann benachteiligt sein könnte. Frauen sollen nicht durchsetzungskräftig sein, sonst wirken sie »aggressiv«. Ulla hält sich für eine emanzipierte Frau, macht sich lustig über die traditionellen Ansichten ihrer Schwiegermutter, daß ein Sohn etwas Besseres, etwas Besonderes sei. Doch in Wahrheit hängt Ulla dem konservativen Weltbild an. Das sind alles sehr klare Botschaften, die ihre Wirkung auf die Kinder nicht verfehlen - der verhängnisvolle Subtext der Erziehung. Im Alter von viereinhalb hat Ullas Sohn bereits gelernt, daß Liebe im Umgang mit Frauen eine kaufkräftige Währung ist, daß sie gerne dienen, daß man als männlicher Mensch etwas besonderes ist. Das Geschlecht hält oft her als Erklärung für etwas, das ganz andere Ursachen haben kann. Frauen, die zwei Söhne haben, von denen der eine kooperativer und häuslicher und emotionaler ist und der andere bochiger und weniger zugänglich, schreiben diesen Unterschied ihren jeweiligen Persönlichkeiten zu. Auch andere Erklärungen hörten wir. Frauen meinten dann, der Verlauf der jeweiligen Geburt hätte die Persönlichkeit der beiden Söhne entscheidend geprägt, und derjenige mit der langen umständlichen Geburt sei jetzt der Geduldigere und Kooperativere, während derjenige mit der leichten, schnellen Geburt auch danach stets erwarte, daß alles in seinem Leben ganz leicht und problemlos zu sein habe. Andere fanden in der Geburtsreihenfolge die Erklärung, wobei die Erklärungen aber keineswegs konform gingen. Der Erstgeborene konnte als der weichere, nachgiebigere, weniger verwöhnte angesehen werden, was sich die Mutter damit erklärte, daß sie zu ihm ein exklusiveres und daher innigeres Verhältnis aufgebaut hatte. Außerdem habe er als der Ältere gelernt, die Bedürfnisse eines Kleineren anzuerkennen. Genausogut aber konnten diese Eigenschaften dem Zweitgeborenen zugeschrieben werden mit der Erklärung, daß dieser sich in ein bereits vorgegebenes System hatte einfügen müssen, daß er als Baby mehr Aufmerksamkeit bekam usw. Sobald es in einer Familie Töchter und Söhne gibt, rückt die Geschlechtszugehörigkeit als zentrales Erklärungsmodell in den Mittelpunkt. Nicht selten garantiert die Kraft der Erwartungen schon deren Bestätigungen - wenn wir das Erklärungsmuster für das Verhalten unserer Kinder schon parat haben, dann wird es sich auch bewahrheiten. Oft erzählen Frauen, ihr erstes Kind sei so vernünftig, so entgegenkommend, so hilfreich; das zweite hingegen sei viel schwieriger, viel eigensinniger, viel schwerer zu lenken. Wenn das erste Kind ein Mädchen ist, liegt die Erklärung auf der Hand: Jungen sind eben anders. Sind beide Kinder Söhne, greift man auf die Persönlichkeit der Kinder oder auf die Geburtsreihenfolge als Erklärung zurück. Interessanterweise sind auch heute noch, bei allem Wissen über geschlechtsspezifische Sozialisation, Eltern eher bereit, ihre eigene unterschiedliche Einwirkung hinsichtlich der Geburtsreihenfolge zu reflekt*leren als hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit. Sie geben bereitwillig zu, daß sie das jüngste anders behandeln als das Älteste, wollen aber nicht glauben, daß sie Söhne und Töchter verschieden behandeln. Wie überhaupt in der Erziehung, so hängt auch hier sehr viel davon ab, ob das Wesen des Kindes mit den Vorstellungen der Eltern übereinstimmt bzw. inwieweit Eltern und Kinder in ihren jeweiligen Charakteren zusammenfinden und zusammenwachsen können. Ein flexibler, neugieriger Mensch kann gut mit einem Kind zusammenleben, das ganz anders ist, als er erwartet hat, und das von seinem Wesen her nur schwer mit seinen Lebensgewohnheiten zu vereinbaren ist, weil er den Unterschied anregend findet und sich gern auf etwas Neues einstellt. Es gibt Eltern, für die der Bewegungs- und Entdeckungsdrang ihrer Kinder ein Zeichen von Aufsässigkeit und Ungehorsam ist. Dazu gehört der Vater, für den ein Spielzeugauto bloß eine potentielle Delle auf dem exquisiten Parkettboden darstellt. Aber es gibt auch andere: »Mir hat das gefallen, ich wollte immer so ein Kind, das sich bewegt, wo man merkt, das lebt, und da tut sich was.« Dieselben persönlichen Unterschiede spielen in der Mutter-Sohn-Beziehung eine Rolle. Es gibt Frauen, denen es gefällt oder die es zumindest amüsiert, wenn ihre Söhne ganz andere und ganz neue Sachgebiete in ihr Leben hineintragen, wenn sie plötzlich ganz viel über Baseball lernen und in die Ästhetik des Baggers eingeweiht werden. Und dann gibt es andere Frauen, die solche Themen von vornherein als fremdartig ablehnen und davon nichts wissen wollen. Die erste Gruppe sieht die bubenspezifischen Interessen ihres Sohnes als eine Ergänzung ihrer mädchenspezifischen Sozialisation oder nimmt diese neuen abstrusen Wissensgebiete zumindest mit interessiertem Humor zur Kenntnis. Die zweite Gruppe erblickt darin eine unüberwindbare Fremdheit zwischen Mutter und Sohn. Viele Frauen halten sich für modern und aufgeschlossen, und sie würden energisch verneinen, daß sie Söhne und Töchter unterschiedlich behandeln, anders erziehen. Doch wenn sie dann über ihre Kinder, über ihre Söhne sprechen, zeigt sich, wie stark die alten Bilder noch in ihnen nachwirken. Es gibt drei Bereiche, in denen sich das ganz besonders deutlich zeigt:

  • die Erwartungen
  • die Interpretationen
  • die Zielvorstellungen.

Wie wird es sein, einen Sohn zu haben? Welche Art von Beziehung werden wir zueinander haben? Was bedeutet sein Verhalten? Wie ist seine Persönlichkeit? Wie soll er einmal werden? Welche Eigenschaften wünsche ich ihm? Diese Fragen steuern, bewußt und unbewußt, die Art und Weise, in der wir unserem Kind begegnen. Die Antworten sind sehr subjektiv und stehen miteinander in starker Wechselbeziehung. Wenn wir z. B. erwarten, daß ein männliches Kind fordernder und durchsetzungskräftiger sein wird als ein weibliches, dann interpretieren wir schon sein erstes Weinen und Schreien als kraftvoll und zornig. Beate ist 30 Jahre alt. Sie arbeitet in einem Reisebüro, hat ei nen 5jährigen Sohn und ist seit zwei Jahren geschieden. Sie schätzt sich selbst als eine Frau ein, die sehr viel Wert auf Unabhängigkeit legt und der es wichtig ist, in der Beziehung zu dem Sohn das richtige Maß zu halten. Keine Rabenmutter, aber auch keine Glucke möchte sie sein, traditionell will sie ihn nicht erziehen, aber auch nicht alternativ; kein Macho soll er werden, aber in der Welt, auch in der Männerwelt, soll er eines Tages akzeptiert werden. Was bei ihrem Interview aber am deutlichsten herüberkommt, ist eine große Orientierungslosigkeit. Ihre pädagogischen Vorstellungen in bezug auf einen Sohn bestehen aus einem Sammelsurium von kaum reflektierten Lehrsätzen. Sehr stark ist der Einfluß ihrer männlichen Verwandten; ihre drei Brüder und deren Gedanken über die richtige Erziehung von Söhnen sind ihr um so mehr ein Leitbild und eine ständige Verunsicherung, als sie sich als Alleinerzieherin von vielen Risiken umgeben fühlt. Bezeichnend für diese große Unsicherheit ist, daß sie sich im Zweifelsfall an jeden Strohhalm klammert: Schon ein Illustriertenbild von einer amerikanischen Schauspielerin ist im Notfall als Orientierungshilfe geeignet. Beate fühlt sich zerrissen zwischen dem Wunsch, ein Kind nach eigenem Geschmack und Gefühl zu erziehen, und dem Imperativ, als Mutter dem Sohn gegenüber bloß keine verhängnisvollen Fehler zu machen. Wie nahe darf der Sohn der Mutter sein, ohne als Muttersöhnchen zu enden? Wieviel Emotion soll ein männlicher Mensch zeigen dürfen, ohne in der Welt später als Schwächling dazustehen? Für Beate haben diese ominösen Fragen eine ständige pädagogische Gratwanderung zur Folge. »Ich hatte mit Kindern sehr wenig Umgang, das Mutterwerden war für mich eine total neue Situation. Ich hätte sehr gern ein Mädchen gehabt, weil ich einen sehr engen Kontakt zu meiner Mutter habe und es schön gefunden hätte, das fortzusetzen. Bei Söhnen weiß man ja, daß man sie später an die Familie der Freundin oder zukünftigen Frau verliert. (Erwartung: Zu einem Sohn wird man keine richtig enge Beziehung haben.) Auf keinen Fall will ich ein Muttersöhnchen haben. Man hört ja immer wieder von diesen Männern, die sich ein Leben lang nicht von der Mutter lösen können, die sich nicht abnabeln konnten. Aber ich glaube nicht, daß das beim Vinzent passieren kann. Ich habe einen Sohn, der einen sehr starken und festen Charakter hat und sehr dem Vater nachgerät, in der Form, daß er sehr dominant ist, selbstbewußt, daß er seinen Weg zu gehen weiß. (Die Scheidung von ihrem Mann fand statt, weil dieser in der Beziehung zu Beate zu dominant und absolut kompromißunfähig war.) Kurze Zeit allerdings hat Vinzent Ansätze zum Schwächling gezeigt. Da war ich schon besorgt, denn ich möchte einen erfolgreichen Jungen haben, in dieser Beziehung bin ich schon sehr ehrgeizig. Und er hat sich von seinen älteren Cousins zu sehr dominieren lassen. Er konnte sich in keinster Weise mehr gegen die verteidigen. Teilweise war es ja verständlich, durch den großen Altersunterschied, er konnte sich ja eigentlich nicht gegen die verteidigen. Wenn drei oder vier größere Kinder über ihn hergefallen sind, weil er von seinen Spielsachen nichts abgeben wollte, dann konnte er nicht viel machen. Aber das hat sich Gott sei Dank gebessert, weil er älter geworden ist. Er versucht jetzt, einen eigenen Weg zu finden und sich nicht nur bei der Mama auszuweinen. Denn gerade bei einem Einzelkind muß man einfach aufpassen, daß er kein Schwächling wird, der von der Mutter immer beschützt wird. (In der Zeit, über die Beate spricht, war ihr Sohn gerade drei Jahre alt, aber sie erwartet von ihm bereits »männlichen« Kampfgeist und Durchsetzungsvermögen.) An und für sich muß ja da kein Unterschied sein, aber bei einem Mann wird so manches in der Berufswelt immer noch als Schwäche ausgelegt. Der Vinzent hat schon so anhängliche Phasen, wo er sehr verschmust ist. Am Anfang waren wir da ein bißchen streng. Das Kind sollte in der Nacht nicht in unser Bett kommen, er sollte selbständig sein. In letzter Zeit passiert es immer wieder, daß er plötzlich einen Anfall bekommt, mich umarmt und küßt, und ich denke mir, es ist ja egal, ein Bub kann genauso verschmust und anhänglich sein, ohne daß es den Anschein hat, daß man eine Glucke ist.« (Für Beate sind hier weder ihre eigenen Empfindungen maßgeblich noch die Bedürfnisse des Kindes, sondern die fantasierte externe Beurteilung ihrer mütterlichen Haltung.) »Was er sehr gerne hat, in den letzten eineinhalb Jahren, ist, daß ich mich am Abend zu ihm ins Bett lege. Ich denke mir, ich gehe ihm halt ab den ganzen Tag, und wenn er noch ein bißchen Nestwärme braucht, dann ist das doch in Ordnung. Da kommt mir das tolle Bild in Erinnerung aus der Zeitschrift >News<, wo die Demi Moore mit ihrem Kind so schlummert. Das ist doch etwas sehr Beruhigendes und ein toller Tagesausklang.«

Im Spiegel des Vaters

In der Literatur lassen sich die Experten oft darüber aus, wie schwer die Identitätsfindung gerade für einen Jungen ist. Eine Tochter kann sich mit der Mutter identifizieren, doch der Sohn muß sich von ihr lösen. Schon allein dazu braucht er, laut Meinung dieser Experten, dringend seinen Vater - als Verbündeten und Fluchthelfer sozusagen. Es entspricht auch unseren Beobachtungen, daß männliche Identitätsfindung sehr schwierig sein kann, infolge der Armut des Angebots in puncto Vorbilder. Und der Vater ist leider allzuoft weit davon entfernt, eine Instanz der Befreiung oder der Orientierung zu sein. Nicht selten ist er, ganz im Gegenteil, nur ein ranghoher Beamter der Geschlechterpolizei.
Beginnen wir mit den guten Nachrichten. Immerhin gab es bei unserer Umfrage [1] eine kleine Minderheit von jungen Männern, die den Vater positiv erlebt hatten. Das war zwar weniger als ein Fünftel der Befragten, und ihre Definition eines guten Vaters war eigentlich eher bescheiden und realistisch. So konnte ein Vater in den Augen seines Vaters etwa durch seine »Warmherzigkeit und sein Verständnis« die »Aggressionsausbrüche« kompensieren, die er »selten, aber doch« gegen seine Familie richtet. Vielleicht in noch jüngeren Jahren, aber nicht mehr in dem Alter unserer Interviewpartner stellen Kinder Perfektionsansprüche, finden sie in jedem Fall etwas, das sie an ihren Eltern bekritteln müssen. Mit 25 trifft das nicht mehr zu. Auch die positiv beschriebenen Väter durften Mängel, sogar erhebliche Mängel haben. Was ihnen dennoch eine freundliche Bewertung einbrachte, waren ihre menschlichen Eigenschaften. Die »guten« Väter zeichneten sich durch einige gemeinsame Merkmale aus: Sie hatten keine starren Vorstellungen davon, was und wie ihr Sohn einmal werden sollte, sie drängten ihm nicht ihr eigenes Weltbild auf, und sie waren emotional anwesend. Das kann etwa so aussehen: »Negativ: Mein Vater ist eher kleinbürgerlich. Positiv: Er kümmert sich doch um mich. Und er ist ein lustiger Mensch.« »Was mich stört, ist seine Sportbesessenheit. Aber er ist auch vertrauenswürdig, zärtlich und verständnisvoll.« Vor allem in den Vorstellungen darüber, wie und was der Sohn einmal werden soll, unterschied sich diese kleine Gruppe dramatisch vom Pest der Väter. Während die Mehrzahl der Väter offenbar sehr konkrete Berufs- und Leistungsvorstellungen an den Sohn richtete, waren die Vorstellungen dieser Gruppe viel unbestimmter, was die Söhne als Erleichterung empfanden. »Mir sind keine konkreten Erwartungen bekannt«, schrieb ein 19jähriger. »Gesund und intelligent soll ich wahrscheinlich sein. Nicht kriminell und nicht drogensüchtig.« Die »Fähigkeit (des Vaters), unkomplizierte Liebe zu geben«, gefällt ihm. Der Vater darf sogar bestimmte Vorstellungen haben, solange er auch andere Ideen gelten läßt:

»Ich sollte auf die Wirtschaftsuni, dort und im Leben erfolgreich sein. Er war nicht zufrieden, als ich beschloß, Musiker zu werden. Er hat sich jedoch bald damit abgefunden und ist jetzt sogar einverstanden. Bedingung: Ich muß es ernst meinen mit der Musik.«

Diesen Sohn stört am Vater dessen »Übergenauigkeit«; als positiv empfindet er seine Toleranz. Die guten Eigenschaften, die bei den Vätern besonders hervorgehoben werden, sind nicht geschlechtsspezifisch bzw. sind im konventionellen Denken sogar die eher »weiblichen« Tugenden. Gelobt wird der Vater wegen seiner »Warmherzigkeit« und daß er »sich kümmert«. »Er ist hilfsbereit.« »Sehr familiär.« »Geduldig.« »Kreativ.« Ein 21jähriger glaubt, den Erwartungen des Vaters meist gerecht zu werden, »da er kaum welche hat, zumindest stellt er keine Forderungen an mich«. Die Beziehung zu seinem Vater kommentiert dieser junge Mann zufrieden mit: »Ich komme gut mit ihm aus. Mich stört nichts!« Für die Mehrheit der von uns befragten jungen Männer sah es leider anders aus. Die Mehrheit wuchs auf mit dem Gefühl, den Erwartungen des Vaters nicht gerecht zu werden. Im »Spiegel« des Vaters konnte der Sohn sich nicht wiedererkennen; er sah nur das strahlende, unerreichbare Porträt des perfekten, stereotypen jungen Mannes, der er nie sein konnte. In knappen Sätzen, die nicht selten den dahinterliegenden Schmerz verrieten, erläuterten junge Männer die Hintergründe dieses Gefühls, in den Augen ihrer Väter zu versagen.

Wie hätten Sie, laut Vater, sein sollen?
Unter dieser Rubrik werden von den Söhnen kaum irgendwelche menschlichen Eigenschaften genannt. Nicht von einem einzigen Vater glaubte zum Beispiel der Sohn, dieser würde ihn sich »glücklich« vorstellen oder »kreativ« oder »zufrieden«. Alle Erwartungen waren formeller Natur, die meisten bezogen sich auf die Leistung. Vermutete Zielvorstellungen des Vaters? »Intelligent, gehorsam, erfolgreich, ihn bewundernd, von ihm lernend.« Hat man dieses Ziel denn erreicht? »Nein. So gut wie nie. Ich war unkonzentriert, faul. Er war mit keinem von uns zufrieden, wir sind drei Brüder, und niedergemacht wurden wir alle im gleichen Maß.« »Ich sollte erfolgreich, hart, durchsetzungsfähig sein, ohne Schwächen, mit einem perfekten Äußeren. Sollte überall nicht nur mittun können, sondern der Beste sein. Ich hatte kaum das Gefühl, dem gerecht zu werden. In der Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen hatte ich, weil ich es nicht schaffte, immer ein Gefühl der Unterlegenheit.« »Seine Erwartungen erfüllte ich nicht, vor allem in puncto Mädchen. Ich war einfach kein Aufreißertyp.« »Er erwartete: Teilen seiner Weltanschauung; Respekt allein aufgrund der Vaterrolle; Berufswahl, die seinen Vorstellungen entspricht. Ich habe nirgends entsprochen. Monatelang hat er mit mir die Kommunikation abgebrochen, weil ich Zivildienst machte. Ich habe Theologie und Psychologie studiert statt Jura. Ich habe ihm widersprochen.« »Ich sollte erfolgreich sein in Schule und Beruf. Er glaubte, ein Kind entwickelt sich von selbst, und seine Aufgabe bestünde darin, zu mahnen und zu rügen. Ich habe ihm nie gefallen. Er betont ständig seine eigenen hervorragenden Leistungen, die ich nie erreichen kann.«

»Er will Erfolg, einen Herzeigsohn. Aus seiner Sicht bin ich scheinbar mißraten.«

»Er erwartet, daß man keine Schwächen hat bzw. sie nicht zeigt. In der Schule und im Sport war er mit mir zufrieden, aber seinen anderen Erwartungen konnte ich nicht gerecht werden.«

»Er wollte vielleicht einen Stammhalter. Zufrieden war er nie mit mir, Identifikation mit ihm war nie da, und in der Pubertät hat sich das noch erhärtet.«

»Was er will: angepaßt, leistungs- und lernfähigst, einen Durchbeißer. Ich hatte fast nie das Gefühl, seinen Erwartungen gerecht zu werden.«

Die meisten der von den Söhnen wahrgenommenen Erwartungen bezogen sich auf berufsorientierte Leistung: gute Noten, rationales Denken, Durchsetzungsvermögen. Erschreckend häufig war die Verbreitung sozial rigider Vorstellungen bezüglich des Lebensweges, den ein heute 20jähriger Mann einschlagen soll. Mehrere Männer hatten ihre Väter dadurch enttäuscht, daß sie sich für »Musik« interessierten; andere hatten ihre Väter erfreuen können, indem sie im Sport gut waren, ein klassisches Kriterium für den Herzeigsohn. Sehr viele Väter vertreten ein starres, konformes Bild von Männlichkeit. Theoretisch könnte sich der Sohn dagegen abgrenzen, so, wie er sich ja auch gegen die Weiblichkeit der Mutter abgrenzt. Theoretisch könnte er die Art von Männlichkeit, wie der Vater sie vertritt, ablehnen und gerade durch diese Ablehnung seine Freiheit, seine Unabhängigkeit, seine Einzigartigkeit erreichen. Doch das ist unrealistisch, eine krasse Überforderung. Identität' kann nicht rein durch Abgrenzung erfolgen, sie braucht auch positive Bausteine, Ermutigung, Lob. Das Urteil wichtiger Personen läßt sich nicht schadlos abschütteln. In Ermangelung anderer, besserer Ideen geraten die meisten Männer ihren Vätern nach - im Wissen, daß diese Väter nicht glücklich waren, im Wissen, daß sie den angestrebten Standard nie erreichen werden, im Wissen, daß dieser Standard ihnen gar nicht wirklich gefällt. Ein 22jähriger Mann füllte einen Fragebogen in einer Art und Weise aus, die eigentlich alles sagte. Was stört ihn an seinem Vater? »Die Engstirnigkeit, Männlichkeit in Anführungszeichen; er ist autoritär, intolerant.« Was gefällt ihm an der Mutter? »Ehrlich, offen, spontan, tolerant, lieb.« Die Beziehung der Eltern? »Unausgewogen, gehemmt, kompliziert, gespannt.« Wie hat sich der Vater seinen Sohn vorgestellt? »Auf jeden Fall Doktortitel.« Der Vater hat negative Eigenschaften, zu denen seine »Männlichkeit« gehört; die Mutter hat positive Eigenschaften, ist aber eine Frau. In der Ehebeziehung »siegt« der Vater, d. h. die Beziehung unterliegt den Blockaden, die er in sie hineinbringt; die Ehe ist nicht »spontan« wie die Mutter, sondern gehemmt wie der Vater, nicht »offen« wie die Mutter, sondern kompliziert und gespannt wie der »engstirnige« Vater. Der Vater siegt - und zerstört damit alles. Er siegt auch über den Sohn, der ohne Alternativen - vor den Ansprüchen der »Männlichkeit« kapitulieren muß, denn was soll er sonst werden, wenn nicht ein »Mann«? Bei der Antwort des 22jährigen auf die letzte Frage hört man im Geist, wie die zaghaft keimende Identität eines jungen Mannes in den Sarg gelegt und der letzte Sargnagel eingeschlagen wird: Hat er das Gefühl, den Erwartungen des Vaters gerecht zu werden?

»Lange Zeit nicht... jetzt fühle ich mich so, wie er wollte, daß ich bin.«