In der Schweiz während des amerikanischen Bürgerkrieges

Die Schweiz spielte in der Lebensgeschichte von Fritz und Mathilde Anneke eine bedeutende Rolle. Sie war Zufluchtsort nach der Revolution des Jahres 1849, bevor die Familie nach Amerika auswanderte. Zehn Jahre später kehrte Fritz Anneke zurück, um von hier aus als Reporter amerikanischer Zeitungen über den Freiheitskampf Italiens zu berichten. Im »Tiefen Brunnen«, »unserm alten Exil«, nahm er wieder Quartier. Hier lebte in der Erinnerung noch einmal der entsetzliche Verlust auf, den der Tod des ältesten Sohnes den Eltern bereitet hatte. Es ist erschütternd zu lesen, wie Fritz Anneke an Mathilde von seinen Tränen berichtet, als er jene Plätze wiedersah, wo Fritzchen das Gehen und Sprechen gelernt hatte. In der Schweiz wurde den Annekes noch einmal Glück und Unglück, Freud und Leid in konzentriertester Form zugemessen. Hier wurde Mathilde Anneke in ihren ehrgeizigen Plänen aufs tiefste enttäuscht, als Fritz Anneke aus der amerikanischen Armee ausscheiden mußte. Die Schweizer Periode von 1860 bis 1865 stellt aber auch die fruchtbarste Zeit in Mathilde Annekes literarischem Schaffen dar. Abgesehen von der überwältigenden Fülle journalistischer Reportagen entstanden hier ihre bedeutendsten Erzählungen und Romane.
Einer Tagebuch-Eintragung zufolge landete Mathilde Franziska Anneke mit Mary Booth, deren Töchterchen Lilian sowie ihren eigenen zwei Kindern Percy und Hertha am 19. August 1860 in Bremen, besuchte am 21. August ihren Schwiegervater in Dortmund und kam am 27. August in Zürich an. Nur ganz wenige Briefe sandte Mathilde während des ersten Jahres übers Meer. Wir finden die Familie in Zürich vereint, glücklich und zufrieden, wieder auf dem alten Kontinent zu sein, begeistert von der landschaftlichen Schönheit der Schweiz und der geistigen Anregung, die sie durch den interessanten Freundeskreis empfingen.
Die Namen, die Mathilde Anneke am häufigsten erwähnt, sind Georg und Emma Herwegh, Wilhelm Rüstow, Ferdinand Lassalle, Jakob Molexchott, Graf in Hatzfeldt, Ludmilla Assing, manchmal Gottfried Keller, vor allem aber die Familie Professor Kapp. Kapps waren Nachbarn Gottfried Kellers »auf der Platte« und besonders treue Freunde. Ottilie Kapp stand Mathilde in Notzeiten stets helfend bei, und Cäcilie Kapp, ihre Tochter, zog später mit Mathilde nach Amerika.
Was das beschauliche Familienleben im Hause Herwegh betrifft, das Mathilde Franziska in ihren Briefen schildert, so würde man nie vermuten, daß sowohl Georg als auch Emma Herwegh einst als fanatische Revolutionäre an der Spitze einer bewaffneten Legion 1848 von Paris aus nach Deutschland marschiert waren, um hier die Republik zu begründen. Als der Marsch in Württemberg zum Halten gebracht wurde, waren Georg und Emma Herwegh in die Schweiz geflohen, wo sie fortan lebten. Während der Jahre, in denen Mathilde Anneke mit den Herweghs in Zürich verkehrte, war Herwegh Leiter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in der Schweiz. Sein Haus war Stützpunkt vieler politischer Flüchtlinge. Durch Herwegh lernte Mathilde Ferdinand Lassalle kennen, der seinerzeit, gleichzeitig mit Fritz Anneke, in Köln im Gefängnis gesessen hatte. Im Jahre 1853, also zur Zeit seiner Bekanntschaft mit Mathilde, gründete Lassalle den Deutschen Arbeiter-Verein, der zum Vorläufer der späteren sozialdemokratischen Partei wurde. Darüber lesen wir nichts in Mathildes Briefen. Nur hin und wieder flicht sie eine Reaktion zu politischen Ereignissen in Deutschland oder über Regierungsangehörige und deren Gehaben ein, kaum etwas über die politischen Gruppierungen in Deutschland, über Erfolg oder Mißerfolg sozialistischer Bestrebungen. (Dafür wußte sie um so genauer Bescheid über den Verlauf des amerikanischen Bürgerkrieges.) Merkwürdig ist es auch, daß sie nie etwas über Lassalles Antifeminismus erwähnt, der im intimen Freundeskreis doch sicher zur Sprache gekommen ist. Der folgende Zeitungsbericht Mathilde Annekes deutet jedoch die Kampfsituation an und läßt erkennen, welcher politischen Front sie sich zugehörig fühlte.

Korrespondenz des Herold aus der Schweiz, im Januar 1864

  • Der erste Abend in Köln überraschte mich zu bald mit seiner Dunkelheit. Ich ging noch einmal zum Dom zurück und hielt ein stilles Totenopfer für alle die, welche ich seit meiner fünfzehnjährigen Abwesenheit von hier verloren hatte. Daß diese Reihe keine kleine ist seit dem denkwürdigen Jahre von 1848 - das dürfen Sie mir glauben. Ich meinte unter den Verlorenen nicht jene allein, die die Erde drückt, nein ich meine auch jene, die abtrünnig in der Liebe und Freundschaft, ja selbst in den Grundsätzen dahingingen. Um diese zu trauern an den Denkmälern von ehemals ist viel schwerer, als an den Gräbern zu stehen.
    Ich hielt es kurz, denn mich riefen auch Lebendige noch zu einem fröhlichen Wiedersehen, das wir in einem jener gemütlichen Salons des Kölner öffentlichen Lebens feierten. Frauen und Männer fanden wir uns dort zusammen, alte liebe Sangesgenossen, Dr. Nicolaus Hocker mit seiner braven Gattin, der kleine Fritz Simrock, der wieder von neuem in seine altdeutschen Lyrasaiten gegriffen und den rechten und vollen Ton wieder gefunden, wie jüngst seine neuen Lieder uns gelehrt haben. Moritz Heß, der tapfere und immer noch kämpf gerüstete für die Rechte der Arbeit, er geht mit Lassalle vor die Schranken, wie natürlich alle denkfähigen und aufrichtigen Revolutionäre tun. Die Phalanx der derben Fäuste hinter ihnen wächst, was Sie auch von anderer Seite Gegenteiliges hören mögen. Lassalle will nichts als Selbsthilfe des Dritten Standes, die in einem vom Volke selbst geschaffenen Staate liegt. Er will dieselben Privilegien für die Arbeiter vom Staate, die dieser bisher den Kapitalisten gewährte.
    Am Unterrhein war der Anhang für die neuen Verfechter ihrer Sache groß, aber von der Schwärmerei für Augustenburgs Prinzen hörte ich nicht viel. Diese Bewegung sei nur dafür gut, sie zu benutzen zum Rüsten für den großen Kampf. Das Volk hat sich einen klareren Blick angeeignet, als man glauben sollte.

Im Kreis um Herwegh traf Mathilde ferner Wilhelm Rüstow, der ebenfalls wegen revolutionärer Tätigkeit nach Zürich geflohen war und hier als Professor an der Universität lehrte. Im Jahre 1860 hatte er sich dem Freiheitskampf der Italiener unter Garibaldi angeschlossen und bei Capua einen entscheidenden Sieg erfochten. Von einem Aufenthalt in Alpenhöhen mit dieser Gruppe von Berühmtheiten sandte Mary Booth ihre respektlosen Beobachtungen an Mathilde nach Zürich. An der Züricher Universität lehrte auch Jakob Moleschott, der bekannte Physiologe, dessen Ideen zur damaligen Zeit weite Verbreitung fanden und die auch in den deutschen Zeitungen Amerikas erwähnt wurden. Bis kurz nach Fritz Annekes Abreise gehörte auch Ludmilla Assing zu diesem Kreis. Sie war die Nichte von Varnhagen von Ense, dessen Tagebücher sie um jene Zeit drucken ließ. Über all diese Persönlichkeiten und deren Bedeutung berichtete Mathilde Anneke in ihren Reportagen an die verschiedenen Zeitungen Amerikas, wie Wisconsin Banner, Volksfreund oder Milwaukee Herold.
Die Berufung des Gelehrten Moleschott auf den Lehrstuhl der Physiologie nach Turin und des Dichters Herwegh auf den Lehrstuhl der allgemein vergleichenden Literatur nach Neapel schlägt dem geistigen Leben des schweizerischen Athen, das sich eines seltenen Zusammenflusses von bedeutenden Leuten als Gelehrten, Dichtern, Schriftstellern und Künstlern zu erfreuen hat, tiefe und unheilbare Wunden. Der Dichter freilich gehört seinem stillen und poetischen Kreise an. Sein Verlust wird nur unmittelbar in Freundeskreisen fühlbar. Allein Moleschott, der für das Allgemeine so wirksam war, ihm wird in weiteren Kreisen tief nachgetrauert. Er ist einer von jenen Gelehrten, der dem Volke so nahe steht, durch seine liebenswürdig humane Weise auf seine Umgebung einzuwirken weiß und die Resultate seines Forschens und seiner Wissenschaft zum Gemeingut werden läßt. Moleschott war seit 1835 Professor an der Universität zu Zürich und bekleidete an ihr das öffentliche Lehramt zur Erforschung der Natur des Menschen Einige Tage vor seiner Abreise von hier hatte ich das Vergnügen, mit ihm bei einem Abschiedsfeste im engeren Freundeskreis zugegen zu sein, das mit viel Sinnigkeit von Frau Emma Herwegh bereitet war. Moleschott nahm diese Gelegenheit wahr, der Frau des Dichters seinen Dank auszusprechen dafür, daß sie in der geistigen Atmosphäre ihres Hauses ihn habe die Vorbereitung finden lassen, die ihn nunmehr befähige, seinem Rufe über die Alpen nach dem schönen Italien zu ziehen. Durch Emma Herwegh wurde der Gelehrte angeregt, sich das klangreiche Idiom des Landes »wo die Myrthe still, und hoch der Lorbeer steht«, zu eigen zu machen. Sie war die Lehrerin, die ihn in sechs Monaten jene Sprache lehrte, in welcher er nunmehr den Jüngern der italienischen Akademie seine Wissenschaft verkünden wird.
Herwegh erwartet noch die Bestätigung seines vom Kultusministerium an ihn ergangenen Rufes und glaubt, demselben bis im Frühjahr folgen zu müssen.
Daß Herr Rüstow, der auch als Schriftsteller hier lebt, von Garibaldi dem Herrn Lincoln als »rettender Feldherr« für den amerikanischen Krieg empfohlen sein soll, ist wahrscheinlich mal wieder eine Ente, die großprahlerisch aufgetaucht ist. Rüstows abwertende Urteile über amerikanische Zustände, über die Kriegführung dort etc., so ganz im Sinne eines blasierten Gardeleutnants, sind wahrscheinlich nicht geeignet, davon zu überzeugen, er werde diesem Lande seine Dienste mit Liebe weihen.
Unter den Notabilitäten, die als Zugvögel seit den letzten Wochen auf kurze oder längere Zeit unser Zürich besuchten, nenne ich Ihnen Ludmilla Assing, die Eigentümerin und Herausgeberin des interessanten Briefwechsels zwischen Humboldt und Varnhagen von Ense, dem Onkel der Dame. Sie ist auf dem Wege nach Italien, um den Winter in Palermo zu verbringen.
Ein Werk, das in unserer politisch aufgeregten Zeit eine außerordentliche Sensation erregen wird und das sich zum Erscheinen einen Zeitpunkt gewählt hat, in welchem der Knotenstock des alten Preußentums von neuem über uns geschwungen werden soll, sind die Tagebücher von Varnhagen von Ense. Die zwei ersten Bände sind da; es sollen ihrer, wie ich mir von der Herausgeberin habe sagen lassen, noch vier folgen. Die vor uns liegenden umfassen den Zeitraum von 1835 bis 1844. In kühnen Streiflichtern und in ziemlich ununterbrochener Folge beleuchten sie die Entwicklung der Revolutionsperiode und lassen einen Blick in die preußische Geschichte werfen, wie es kaum ein umfassendes historisches Werk erlauben würde. Die erste Stimme, die sich dagegen erhebt, wird heute in der Augsburger Allgemeinen gestützt auf einen Ausspruch Laubes laut, der in der Wiener Concordia von 1861 abgedruckt ist. Dieser Ausspruch richtet sich zwar nicht direkt gegen die Tagebücher, aber scharf gegen den politischen Charakter des feinen Berliner Diplomaten, den Ludmilla Assing nicht ohne Grund als einen hohen und herrlichen bezeichnet. Die Kreuzzeitung speit Gift und Galle und nennt das Buch nicht anders als das infame Buch. Doch genug darüber; ich will Ihrem geistvollen Berliner Korrespondenten, in dessen Ressort eigentlich dies Ereignis - denn das Erscheinen des infamen Buches ist ein Ereignis - fällt, nicht vorgreifen. Er wird bei seiner scharfen Auffassungsweise, die er, als in der Nähe des Hofes stehend, schon so oft bekundet hat, diesmal mehr noch wie je Gelegenheit finden, Ihnen und uns zu schildern, wie ohnmächtig und fratzenhaft sich die Reaktion gebärdet hat.
Auch Frau Gravenreuth war hier, eine bekannte Persönlichkeit, die durch das Vertrauen, mit welchem sie die Aufzeichnungen ihrer interessanten Lebensskizzen dem Herrn Gutzkow in die Hände gelegt hatte, diesen zu kleinen literarischen stealings verführte, für welche Näschereien, resp. Benutzung, in seinem Zauberer von Rom die Dame ihn später zur Verantwortung zog, worauf derselbe sich mit einer höchst ungeschickten Verteidigung aus der Affaire zu ziehen versuchte. Frau von Gravenreuth, die sich als eine vielseitige Verfasserin dramatischer und Romanschriften seit kurzer Zeit einen Namen in der Tagesliteratur erwarb, sucht auf den Bühnen der Schweiz ihre Schauspiele und Lustspiele in Szene zu setzen. Unter den letzteren zeichnet sich Die literarischen Raubvögel, ein feines, wirksames Konversationsstück aus, das einen Rang erwerben wird, trotz der Herren Laube und Gutzkow, die in ihrer Brüderschaft beide geschworene Feinde der Schriftstellerin sind.
Unter den sonstigen Touristen war auch die ehemals durch ihre Schönheit sowie durch ihre Beziehungen zu dem interessanten Roman Schnapbanski (Fürst Lichnowski, unglücklichen Angedenkens) bekannte Gräfin von Hatzfeldt mit ihrem alten Begleiter Lassalle, renommiert durch den verübten Kassettendiebstahl, der seinerzeit vor den Assisen zu Köln ein ungemeines Aufsehen erregte. Die Frau Gräfin mit ihrem Gefolge, dem sich eine Reihe Schöngeister angeschlossen hatten, setzte die friedliche Alpenwelt des Pilatus und Rigi durch ihr Auftreten in roten Garibaldinosen, einer Tracht, die von der reisenden Welt nach und nach adoptiert werden soll, in große Bewegung[1]

Tagebuch 1860, Dezember

  • Am andern Morgen ist Stöhr in aller Frühe zu Herwegh gegangen und hat ihm erzählt, daß Mary in den letzten Tagen versucht habe, Herweghs Gedichte zu übersetzen, und daß ich den Versuch für vollständig gelungen halte. Mittags kam Frau Herwegh. Ich las ihr den »Gang um Mitternacht« vor. Sie war so erfreut, daß ihr eine Träne ins Auge trat. Wir luden sie und Herwegh zum Abend auf den folgenden Tag ein. Sie kamen beide und zwar in guter Stimmung. Ich hatte einen Hasen braten lassen und beim Tranchieren sagte ich zu Herwegh, »das hätte ich in Amerika nicht gedacht, daß ich noch einmal mit ihm hier zusammenkommen sollte« - »um mit Ihnen einen Hasen zu essen«, ergänzte er. Ich las den »Gang um Mitternacht« in der englischen Übersetzung von Mary vor und las ihm »Ich möchte hingehen«. Es ergriff ihn, den leicht erregbaren Dichter, seine Lieder in diesem fremden Gewande zu vernehmen. »Ich liebe sie wieder«, sagte er, »und möchte sie nun selber wieder aus dem Englischen übersetzen.« Er fand Marys Übersetzung vortrefflich. Später las ich ihm sein Lied »Beranger«, dieses Begeisterung flammende Gedicht, tranken viel Burgunder und blieben bis nach zwölf Uhr beisammen. Herweghs hatten noch einen entfernten Spaziergang bis zu ihrer Wohnung durch die Nacht zu machen.
    Herwegh hatte das feste Versprechen von uns gefordert, noch im alten Jahr einen Abend mit ihnen zu verbringen. Am Abend vor Sylvester ließen wir uns bei ihm anmelden. Es war so festlich, so poetisch in ihren schönen Räumen. Der Weihnachtsbaum stand noch in vollster Glorie, und in dem andern Zimmer die zierlich gedeckte Tafel. Rüstow trafen wir dort. Ich bekam den Platz zwischen ihm und Horace Herwegh angewiesen. Ich war erstaunt über den Eindruck, den dieser Jüngling durch sein nettes, bescheidenes Wesen, sowie durch sein ungemein kluges Gesicht auf jeden machen muß. Mary saß zwischen Fritz und G. Herwegh, Frau Emma Herwegh zwischen Fritz und Rüstow.
    Das nette geniale Wesen, das Rüstow beim ersten Anblick verrät, verschwindet in seiner läppischen Konversation. Er spricht ohne Salz und Pfeffer. Herwegh war nicht aufgelegt, Frau Emma desto besser. Das treue Herz der Frau, ihre rechtliche brave Natur gefällt mir sehr. Ich will noch öfter mit ihr zusammenkommen.

Mathilde
an ihre Mutter
in Milwaukee undatiert
vermutlich Zürich, im Januar 1861

Mein gutes, liebstes Mütterchen!
Die ersten Worte der treuesten Liebe empfing ich in diesem Jahre von Dir. Dein Briefchen und die artigen Zeilen von Emmy Weißkirch kamen gestern morgen an. Die guten Nachrichten haben uns ganz lustig gemacht, wenn wir auch schon guten Humors genug waren, so kann ich doch gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, wenn ich Deine alten lieben Schriftzüge wieder sehe, Dich ziemlich frei von Schmerzen und vergnügt weiß. Aber wie Du eigentlich laufen kannst, ob Du Fortschritte mit oder ohne Krücke machst, das hast Du mir nicht geschrieben, und niemand sonst hat daran gedacht, mir's zu schreiben.
Wir fingen das Jahr mit frischen Arbeiten und Hoffnungen an. Als die Glocke zwölf Uhr schlug, begann das ganze Tal rings um den See herum mit einem so volltönenden Geläute zu widerhallen, daß es einem zum ersten Mal in der Heimat wieder ganz feierlich zumute wurde. Das Glockenspiel dauerte eine ganze Stunde. Ich mußte an Dich und an alle meine Lieben recht viel denken und schlief erst sehr spät ein. War doch das verflossene Jahr einmal frei von großem Kummer dahingerollt. War ich doch wieder in ein Leben zurückgekehrt, das meinem Geiste und meinem Gemüte die Nahrung bietet, ohne welche es mir nicht möglich scheint, leben zu können. Wenn ich einst wieder zurückkehre ins neue Vaterland, dann werde ich mir den Frieden angesammelt haben, der mir für den Rest meines Lebens Ressourcen bietet um nicht wieder verzweifeln zu brauchen. Unser literarisches Streben setzen wir unermüdlich und gemeinschaftlich fort. Im geselligen Verkehr von auserwählten Menschen, umgeben von dieser wunderbaren Natur, zugänglich den reichen Quellen schöngeistiger Wissenschaft, da fühlt man sich täglich neu angeregt, täglich verjüngt. Unsere Wohnung ist ein wahres Zauberschlößchen um das uns diejenigen, die mitten in der Stadt in den prachtvollsten Palais wohnen, beneiden. Von unsern Fenstern aus halten wir Zwiesprache mit den Geistern der Alpenwelt, wagen mit ihnen im Fluge der Phantasie die tollsten Sprünge von Gipfel zu Gipfel und zechen mit ihnen auf den kristallenen Burgen von ewigem Gletschereis beiMorgen- und Abendglühen sowie beim nächtlichen Mondenschein. Jedes Mal wenn ich ans Fenster trete und das Tal und die Höhe in neuem Lichte und immer wieder in neuem Glänze sehe, da denke ich, wie ich es beklage, daß Du niemals diese Zauberpracht gesehen hast. Jetzt liegt ein leichtes Schneetuch über die Landschaft gebreitet, die Höhen stechen in schwarzen Schattierungen und Umrissen von den Schluchten ab und prägen sich seltsam aus. Der Himmel im zartesten Rosenlichte warf diesen Schein heute abend über den Rücken des gerade vor uns vorbeiziehenden Albis-Gebirges; zugleich wurde von diesem Widerschein der ganze See rosenrot gefärbt. Dieser weiße Schleier der Erde, umsäumt von dem zartesten Rosenduft, der menschlichen Sinnen kaum denkbar ist. Dieser Wettstreit in der Natur von Himmel, Erde und Wasser, und doch dieser vollständige Einklang im Siege der vollendeten Schönheit. Als ich so vor diesem Gemälde stand, da trat Dein Bildchen vor mir aus dem Hintergrund und ich meinte, Du müßtest und müßtest mit mir genießen diese Wundermacht. So sei es denn wenigstens in meinen schwachen Schilderungen.
Am Weihnachtsabend schimmerten uns denn auch wieder die Lichter der Heimat in dem dunklen Hoffnungsgrün der Tannenzweige. Unsere Kinderchen waren so selig. Fritz beschenkte uns alle mit überraschenden Dingen. Zu dem großen Reichtum der Kleinen brachte meine alte treue Freundin, die Professorin Kapp, noch für alle drei einen ebenso großen. Einen Abend sahen wir auch das Bäumchen der Herweghs brennen. Der war schöner und kostbarer als der unsrige. Wir aßen bei ihnen zur Nacht, es war der Abend vor Sylvester. Ein Freund, Rüstow, kehrte aus dem italienischen Feldzug heim und brachte Angedenken von Garibaldi mit, z. B. sein Bild für Frau Herwegh, das so gut, wie ich noch keins von ihm gesehen. Denn selbst jenes, das ich durch Mr. Booth Dir zugesandt, ist nicht halb so gut - und Erinnerungen, die viel Interesse haben. In dem Familienkreis des Dichters ist es weit lieblicher, als ich es mir nach den Berichten der Fama gedacht hatte. Frau Emma hat ein so reiches und liebes Gemüt, wie man wohl selten findet. Sie liebt ihren Georg mit der Sorgfalt, womit sie glaubt, ein Dichterherz wie das seine pflegen und warten zu müssen. Er erkennt es mit großer Zartheit an. Ihr ältester Sohn Horaz, ein frischer Jüngling von 16 Jahren, ist der geniale Sohn genialer Eltern, ein echtes Dichterkind, begabt im höchsten Grade. Ada, die einzige Tochter, ist nicht hübsch aber sehr lieb. Der kleine Marcel wird im nächsten Frühling der Freund unserer Kinderchen werden.
Wie gefallen Dir die Übersetzungen Marias? Maria übertrifft mich an Fleiß. Wir schreiben beide an einem Roman, mit dem sie mir schon weit vorausgeeilt ist. Der ihrige wird sehr schön. Ich glaube, der meine ist auch nicht ganz dumm. Bei Cotta wird in den nächsten Tagen das erste von mir gedruckt. Entweder im Morgenblatt oder im Ausland, ich weiß es selbst nicht. In meiner letzten St. Louiser Korrespondenz habe ich über Garibaldi und Capua geschrieben, das wirst Du wohl nicht zu sehen bekommen. Ich kann nicht eine halbe Stunde anhaltend sitzen und schreiben. Es macht mich krank. Fritz schreibt um so mehr. In der Gartenlaube (das Blatt ist auch dort zu haben und sehr für Euch zu empfehlen) werden Soldatenbilder von ihm erscheinen, die höchst anziehend geschrieben sind. Wir sind dort als feste Mitarbeiter engagiert, mit 40 Talern per Bogen. Dieses Engagement ersetzt uns die abtrünnigen amerikanischen Blätter, die, anstatt zu zahlen, betrügen und von denen sich nur wenige sehr anständig benehmen.
Über den republikanischen Sieg herrscht wohl großer Jubel, besonders unter den Deutschen, an der Spitze der Knabe Carl. Er hat seine Lorbeeren wohlfeil, doch gleichviel, etwas Verdienst hat er um sie. Ist Frau Schurz noch Deine Freundin? Dann grüße sie von mir. Ich werde ihr doch mal wieder begegnen auf diesem Erdenrunde.
Fritz grüßt Dich, liebe Mutter; er liebt Dich sehr und wird Dir auch bald schreiben. Seit ich wieder eine ernste Unterredung mit ihm gehabt habe, ist er wieder, zum Glück der ganzen Familie umgewandelt. Er ist sehr liebevoll und höflich gegen mich, und wenn das anhält, wünsche ich nichts weiter. Unser geistiges Band und unser gemeinsames Streben muß uns unsere Freundschaft erhalten, da es die Liebe nicht sein konnte. Er sieht das ein und gibt sich in den letzten Wochen alle erdenkliche Mühe.
Mary gewinnt sehr an innerem Reichtum und klarem Wesen. Ihr großer Schatz von Talent und Auffassungskraft, ihre Energie, werden ihr einmal einen großen Ruf als Schriftstellerin sichern. Sie grüßt Dich mit der alten Liebe, die sie für Dich hat. Ihr Witz bringt mich fort und fort zum Totlachen.
Lebe wohl. Ich bleibe Deine Dich treu liebende alte Tilla.

Mathilde
an ihre Mutter in Milwaukee
Zürich, 21. April 1861  

Meine liebe, gute Mutter!
Der Waldmeister duftet in der bekränzten Bowle für den Nachmittag und selbst die Sonntagskränze, die ich mit meinen kleinen Mädchen gewunden, schmücken unsere Tafel. Nun ist es Zeit, endlich wieder an Dich zu schreiben. Es ist lange her, seit diese »süße Pflicht« wieder auf meinem Herzen liegt. Der Frühling mit all seiner unbeschreiblichen Wunderpracht ist gekommen. Er breitet seinen Zauber nicht nur über Wald und Flur, nein auch über Menschen und Gegenstände aus, die von neuer Laune angehaucht, von neuen Tinten gefärbt scheinen.
In unserer Wohnung ist es paradiesisch schön. Die herrlichsten Blumen-Bouquets füllen unsere Vasen, kleine Büsten und Statuen lauschen zwischen dem Grün hindurch, von den Wänden herab hängen die Guirlanden unserer kleinen Feste und Geburtstagsfeiern, und durch die vielen Fenster hindurch blickt eine Welt, die freilich nur eine einzige auf dieser Erde ist.
Im Anfang dieses Monats hatten wir nur zu »festen«. Am 2. war das Andenken meines Großvaters Geburtstag, am 3. der meine, am 7. der Deinige und am 8. Marias. Mein Festtag war so wundervoll geschmückt, als hätte ich an ihm die Wiederkehr meiner Jugend gefeiert. Herweghs und Kapps nahmen teil daran. Morgens um 10 Uhr brachte Emma eine kleine Vase mit einem der üppigsten und vollsten Veilchensträuße, die ich je gesehen habe. Nachmittags kamen Kapps mit Blumenschalen und Kränzen. Gegen 5 Uhr kam eine große Mailänder Torte - anonym von Herweghs- darauf kam Emma und der Poet selbst und wir alle zusammen, Kapps liebe Töchter nicht ausgeschlossen, blieben bis zwölf Uhr Mitternacht. Meine Geschenke überragten wirklich das Niveau unserer poetischen Dürftigkeit. Mary hatte ein halbes Dutzend schwerer silberner Kaffeelöffel, graviert mit meinem vollen Namen - Franziska Maria -in einer schönen Mundtasse mir zum Morgengruße geboten. Lillichen hatte in ihrer rührenden Anhänglichkeit, die sie zu mir hat, den Golddollar, den ihr der Vater zum Geburtstag im März in einen Brief eingelegt, geopfert und mir ein halbes Dutzend schöner Taschentücher, gutes Leinen, dafür gekauft. Hertha und Percy brachten Glace Handschuhe und holzgeschnitzte Sächelchen. Fritz hatte für elegante Notwendigkeiten gesorgt, neue Stiefelchen, Unterkleider etc. Du glaubst nicht, wie ich auf Marias Kommando herausgeputzt werde.
Der lieben Maria Geburtstag war eine zweite, noch vollendetere Auflage. Er fiel mit dem hiesigen Carneval oder Frühlingsanfang zusammen, an dem die Leute alle noch fröhlicher wie sonst sind. Die schon weiter fortgeschrittene Entfaltung der Blumenpracht erlaubte uns die Ausdehnung der Guirlanden. Hertha und Lilly beide zierlich wie Genien gekleidet, mit Kränzen im Lockenhaar führten die »kleine Mama« an den Händchen zum ausgestatteten Parlor und zu den Kupferstichen, die an der Wand umkränzt prangten als mein Geschenk für sie. Die verhängnisvolle Zahl 30 - so viele Jahre zählt sie an diesem Tage - trat ihr überall entgegen: auf dem Festkuchen, in den Arabesken der grünen Guirlanden, in Blumenwindungen usw.
Meine Freunde, darunter wieder Herweghs und Kapps, taten alles Mögliche, mir das Fest des »Mädchens aus der Fremde« schmücken zu helfen. Sie war so glücklich und vergnügt und sagte, es sei der schönste Geburtstag ihres Lebens. Wahrlich, liebe Mutter, um der Poesie, die wir uns trotz aller Leiden bewahrt haben, könnten selbst die Götter mich beneiden.
Seit einigen Tagen gelangen die amerikanischen Posten wieder flott an; neulich waren wir 14 Tage ohne die geringste Nachricht, das ertragen wir so lange nicht. Jetzt ist die Kunde von der Ernennung Schurz und mancher unserer Bekannten gekommen. Viele Zeitungen, darunter Banner und Home Journal (für welche Mary akzeptierte Mitarbeiterin ist), Tribüne, Criminalzeitungusw. usw. machen uns viel Freude. Heute traf auch schon wieder ein Brief von unserem fleißigen Briefschreiber Booth ein. Wenn ich so viel Aufheiterung von allen Seiten habe, werde ich wohl keine Zeit mehr für meine Krankheit haben, die mich allerdings in der letzten Zeit wieder arg belästigt hat. Ich trinke Carlsbader Brunnen, benütze jeden Augenblick durch Garten und Weinberge zu laufen, allein das eigentliche Leiden erklärt sich permanent. Maria besteht nun darauf, daß ich sechs Wochen nach Carlsbad in Böhmen gehe. Sie hat schon alles eingeleitet, daß das Geld fertig liegt, meine Garderobe schon so vervollständigt - aber ich soll allein gehen, sie will dann bei den Kindern bleiben. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Freilich, wenn ich die Krämpfe behalte, bin ich nichts mehr wert und verlange abgetan zu werden. Mein alter Tätigkeitstrieb erwacht sonst wieder bei all den Aufmunterungen, die mir zuteil werden.
Der Redakteur der Allgemeinen Augsburger Zeitung schreibt mir einen so teilnehmenden eigenhändigen Brief und fordert mich zur unausgesetzten Mitarbeit auf. Speziell hat er mich als Correspondent von hier engagiert. Die alte Westfälische Zeitung, Herr Crävele selbst schreibt ebenfalls einen langen Brief und bittet mich, die Bearbeitung seines Feuilletons gänzlich zu übernehmen; er freut sich wie ein alter Freund, obgleich er mich nie gesehen, daß er mich wieder gefunden hat. Für die Illustrierte Leipziger Zeitung bin ich seit vier Monaten tätig. Wenn ich hier bleibe, habe ich in kurzem meine alte gesicherte Stellung wieder. Aber ich verlange doch noch mal darnach, zurückzukehren. Ich will meine letzten Lebenstage in Deiner Nähe sein und auch bei meiner armen Fanny.
Das Kind macht mir noch die größten Herzenssorgen. Sie geht unter in der für sie so schwierigen Führung ihres Hauswesens und hat nirgends eine Ressource. Ich mag schreiben was ich will, sie antwortet nicht. Und wenn ich einen Brief mal erhalte, so ist der Inhalt dürftig. In dem letzten fragte sie, ob sie von ihrem väterlichen Vermögen nicht etwas erhalten könnte, damit Paul im Geschäft etwas unterstützt würde.
Hertha und Lilly gehen ins Beustsche Institut. Percy hat wieder eine höhere Klasse erklommen, in zwei Jahren kann er das Gymnasium erreichen. Ich arbeite darauf hin, ihn für den praktischen Boden Amerikas vorzubereiten. Fritz, während wir am südlichen Flügel in unserm Arbeitszimmer sitzen, sitzt er in dem seinigen am nördlichen und arbeitet. Er schreibt mit mir vereint für Cottas Ausland und wünscht größere kriegswissenschaftliche Werke zu schreiben.
Jetzt muß ich Dir etwas Interessantes erzählen. Unser Buchhändler Antiquar schickte gestern seinen monatlichen Bücherkatalog - und siehe da - unter H steht Onkel Ignatz' Werkchen.[2] Fritz läuft schnell hin, es mir zu kaufen, und nun lasen wir es - Fritz, Maria und ich mit einem wahren Heißhunger. - Wir können es nicht genug bewundern, wie der Mann vor 40 Jahren schon diesen Überblick sich über die dortigen sozialen Verhältnisse erwerben konnte. Das Buch ist mit einer Umsicht und so spannend geschrieben, daß ihm kein Roman an die Seite gestellt werden kann. Ich erkenne wieder in demselben die ganze noble Erscheinung des Mannes, der mir bis dahin wie ein goldnes Märchen aus meinen Jugendträumen vorschwebte. Ich muß ihn nächstens zum Gegenstand meiner Artikel machen und auch in meiner Lebensabhandlung, die ich auf dringendes Auffordern Marias und hiesiger Freunde schreibe, mit Bildern aus meiner Jugend verweben. Du weißt, wie lieb er mich hatte, der »schöne Onkel aus Amerika«. Komme ich zurück, ich werde nicht nachlassen, bis ich die Spur seines einzigen Kindes gefunden habe. In meiner Correspondenz bereite ich es vor. Weißt Du nicht, wo sein Original-Tagebuch geblieben ist? Wenn ich gesund werde, so muß ich noch mal nach Westfalen, dort alte Familiengeschichten auszukramen. Auffallend ist mir in dem Buche, daß der Onkel nichts von seinen Kindern darin erwähnt. Ich habe es nun vom Anfang bis zum Ende gelesen. Er wohnte zuletzt in Attakaxas in Louisiana. Er ließ, wie mir scheint ein ansehnliches Besitztum, namentlich in Negern zurück, die er, wie er sagt, mitsamt seinen Plantagen seinem Freunde Chevalier de Chomme übertrug. Er verließ am 1. August 1826 Attakaxas. Der Name seines Arztes war Dr. Bulliard. Sonst sind wenige Namen, an die man sich halten könnte zur Auffindung der Zurückgebliebenen, obgleich er mit vielen Menschen in Verbindung gekommen ist. Rührend war mir zu lesen, wie er von dem alten Weisen von Monticello, dem größten Manne Amerikas, wie er von Jefferson zum Mittagessen eingeladen war; und wie er das erzählt, ohne zu ahnen, welche Größe diesem Manne von der Zukunft zuerkannt wurde - daher natürlich auch ohne Prunk. Ich werde das Buch wie ein Familienheiligtum bewahren und es Dir mitbringen, wenn ich zu Dir zurückkehre.
Wolltest Du einmal einen Brief in englischer oder französischer Sprache an eine dieser Adressen vorläufig richten lassen, so tu es. Zündt wird Dir gewiß dabei behilflich sein. Zündt versprach mir zu schreiben, er hat nicht Wort gehalten.
Halte mich lieb, beste gute Großmutter. Percy hat eine sehr schöne Schilderung einer kleinen Tour über die Albiskette geschrieben.
Mit der treuesten Liebe Deine Mathilde
P.S. In alter Freundschaft zu Schurz habe ich einen kleinen Artikel, »Carl Schurz«, in der Beilage der Allgemeinen Augsburger Zeitung geschrieben.

In der Schweiz war den Annekes noch ein einziges, ein letztes Jahr des Zusammenlebens geschenkt. Es bewies, wie das wirtschaftliche Wohlergehen der Familie auf solch gemeinsames Schaffen angewiesen war. Sehr rasch hatten sich die beiden Annekes in der europäischen Presse wieder eingeführt. Und so gestattete das erste Jahr, trotz Umzug und Neuanfang, ein gewisses Wohlleben. Daher konnte Mathilde am 24. Dezember 1861 an ihre Mutter schreiben: Ich muß gestehen, daß mir die Tage dieses europäischen Luxus, nach jenen alles verleugnenden und alles entbehrenden in Amerika, eine ganz interessante Abwechslung boten. Aber kaum hatten sie sich ihrer ersten Erfolge erfreut, trat das Schicksal wieder trennend dazwischen: Die amerikanischen Staaten waren in die schwerste Krise ihrer politischen Existenz getreten.
»Lincoln von Illinois nominiert«, hatte Mathilde Franziska am 14. Mai 1860 an Fritz Anneke nach Zürich berichtet. Im gleichen Jahr, am 6. November, wurde Lincoln zum Präsidenten gewählt. Der Süden faßte das als Provokation auf.
Und schon am 4. Februar 1861 versammelten sich die Vertreter der südlichen Staaten in Montgomery, Alabama, formten eine eigene Regierung und begründeten die Konföderierten Staaten Amerikas. Sie schrieben sich eine eigene Konstitution, worin als Hauptpunkt aufgenommen wurde, daß kein Gesetz erlassen werden dürfe, das Sklaverei verbieten würde; jedem Bürger wurde das Recht zugesichert, seine Sklaven überall dorthin mitzunehmen, wo in der Zukunft die Konföderation neues Land erwerben würde.
Nur wenige Wochen nach diesem Treffen, am 12. April 1861, wurde die Festung Sumter von den Konföderierten bombardiert. Dieser Kanonendonner bildete den Auftakt zum Beginn des Bürgerkrieges.
Im Norden, auch unter den Deutschen, hatte während der Wahlen des Jahres 1860 und bis kurz vor dem Ausbruch des Krieges durchaus keine Einigkeit geherrscht, wie die Sklavenfrage gelöst werden sollte. Briefe aus diesem Jahr, von deutschen Zeitgenossen der Annekes, machen die verschiedenen Auffassungen deutlich:

  • Bekanntlich besitzt die Union noch unerstreckliche Ländereien und die demokrat. Partei hat 1856 den Grundsatz ausgesprochen, daß das Volk, welches dieses Gebiet bezieht, entscheiden solle, ob es Sklaverei wolle oder nicht, und der Congreß kein Recht habe, sich einzumischen. Die republ. Partei verlangt, daß der Congreß die Sklaverei verbieten solle in den Territorien, und jetzt hat sich der südl. Theil der demokr. Partei von der Partei getrennt und verlangt, der Congreß solle die Sklaverei beschützen Wir nördlichen Demokraten stellen uns also in die Mitte und sagen: weder verboten noch beschützt soll in den Territorien die Sklaverei werden, sondern das dortige Volk soll für oder gegen darüber entscheiden. Das practische Resultat würde sein, daß die Territorien, welche vermöge ihres Clima's für weiße Arbeiter taugen, die Sklaverei verbieten und die Sklavenhalter die zu heiß gelegenen Gegenden occupieren, denn sonst bliebe das Land am Ende doch eine Einöde

Und ein halbes Jahr später schreibt August Frank an seinen Vater:

  • unsere politischen Verhältnisse haben nun zu einem Bürgerkrieg geführt und in Folge unsere materiellen Verhältnisse derart ruiniert, daß wir bereits schwere Verluste in Folge der Entwerthung unseres Papier-Geldes und völligen Mangel an Gold erlitten haben und größeren Verlusten entgegensehen .
    Über die Veranlassung zu unserm Kriege werden Eure Zeitungen alles enthalten. Trotzdem daß Milwaukee eine große demokratische Mehrheit hat und ich selbst auch ein steifer Demokrat bin und trotzdem wir der Erwählung Lincoln's (resp. der Erhebung der Anti-Slavery-Party) auf's eifrigste opponirten, so ist jetzt doch die Erhaltung der Union das eine Wort, das alle beseelt, und dem Aufruf des Präsidenten, zu rüsten, wird von allen Seiten willigst entsprochen.
    ...Überall weht das Sternenbanner. Alles mögliche Militär marschiert vom Lande herein und bietet den Anblick wie bei Euch 1848 die Freischaren - jeder hat eine andere Bekleidung, und es sieht recht buntscheckig aus und man müßte fast lachen, wenn es nicht so traurig wäre an diesen höchst unöthigen Krieg zu denken, der durch die Wahl Lincolns und die Wühlereien der Republicaner in Betreff des Sklavereihumbugs hervorgerufen wurde, zum großen Unglück der ganzen Union. Ich weiß wohl, Du mein 1. Vater, sympathisierst auch mit den armen Sklaven und deshalb mit der jetzigen Administration, weil das Ding so schön und human aussieht, aber Du würdest, wenn Du hier wärest, bald ausfinden, daß diese humanen Republikaner die Befreiung der Sklaven blos als Aushängeschild benutzen und sich im Übrigen nicht viel um das Wohl der armen Schwarzen bekümmern[3]

Auch die Geschichtswissenschaft unserer Tage bestätigt die Tatsache, daß es dem Norden nicht allein um Moral und Ideal ging. Zu einem Urteil über Gründe und Ursachen des Bürgerkrieges ist die Forschung bis heute noch nicht gekommen. Mit Sicherheit kann aber wohl behauptet werden, daß die Deutschen, besonders die Republikaner unter ihnen, die aus Überzeugung dem Kriegsruf gefolgt waren, sich keinen persönlichen Gewinn erhofften, sondern in dem amerikanischen Bürgerkrieg eine Fortsetzung ihres alten Kampfes um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sahen. Und daher reagierten sie heftiger und selbstgerechter über Fehlschläge, Unfähigkeit, Korruption, die im Verlauf des Krieges zutage kamen, und vermochten nicht, ihre Enttäuschung zu überwinden.
Die Annekes waren überzeugte Republikaner und aktiv gegen die Sklaverei eingestellt. Insofern zählt auch ihre Tätigkeit zu jenen »Wühlereien in Betreff des Sklavereihumbugs«, worüber der Landsmann aus Milwaukee nach Deutschland berichtete. Sofort bemühte sich Fritz Anneke, so viel Geld aufzutreiben, wie für die Überfahrt nötig war, um sich in den Dienst der Union zu stellen. Er hatte beim Ausbruch des Krieges in Zürich ein Buch abgeschlossen, worüber im New Yorker Belletristischen Journal folgender Kommentar zu lesen war:

DER ZWEITE FREIHEITSKAMPF
DER VEREINIGTEN STAATEN IN NORDAMERIKA
von Fritz Anneke

  • Herr Fritz Anneke, gegenwärtig in Zürich lebend, der sich aus gewissen Gründen außer Stande sieht, nach Amerika zurückzukehren, um seine militärischen Kenntnisse der Republik zur Verfügung zu stellen, sucht seinem »zweiten Vaterlande, der nordamerikanischen Union, dem großen Hort der Freiheit« in Europa durch eine Schrift zu nützen, welche unter dem obigen Titel bei Sauerländer in Frankfurt erscheint.
    Durch zwingende Verhältnisse genötigt, dem Kampf in den Vereinigten Staaten tatenlos zuzusehen, glaubt der Verfasser dieser Arbeit, seinem zweiten Vaterlande, das ihm wie tausenden von Schicksalsgenossen aus den Jahren 1848 und 49 eine gastliche Aufnahme gewährte, wenigstens einen kleinen Dienst dadurch leisten zu können, daß er die Interessen desselben durch die Presse wahrzunehmen und dem deutschen Volk ein richtiges Bild jenes Kampfes darzubieten sich bemüht.
    Da es hier an tüchtigen Offizieren fehlt und Herr Anneke ein solcher ist, wäre es nicht mehr als recht, daß man den leicht zu beseitigenden Schwierigkeiten, welche ihn in Europa zurückhalten, ein Ende macht.[4]

Die in der Zeitungsnotiz erwähnten »Schwierigkeiten« waren finanzieller Natur. Ein Darlehen von Gottfried Kinkel aus England, später eine Geldsendung von Oberst Blenker aus Amerika, machten ihm die Abreise nach den Staaten möglich. Seine Ankunft mit der Saxonia am 23. September 1861 in New York erfuhr Mathilde aus dem Züricher Tagblättchen. Daß sich die Annekes trotz ihrer wiederholten Kritik an amerikanischen Zuständen, die wir aus ihren Briefen lesen, trotz des Mißerfolges, der ihnen in den zehn Jahren ihres Aufenthaltes beschieden war, trotz der besten Aussichten, die sich ihnen in der Schweiz öffneten, als Amerikaner fühlten, geht aus den folgenden Briefen eindeutig hervor. Es ging ihnen wie allen Einwanderern, die sprachlich und kulturell zwischen zwei Welten stehen, sich letzten Endes aber doch für die neue Heimat entscheiden. Doch - das Land darum, mit seinem Fundament für Freiheit, will man doch nicht aufgeben. (Mathilde an Fritz Anneke, 20. Sept. 1863.)
Mathilde Anneke blieb mit ihren zwei Kindern als Reporterin in der Schweiz zurück. Mary Booth und deren jüngstes Töchterchen Lilly wohnten im selben Haushalt.
Die vielen Briefe, die Mathilde während des fünfjährigen Schweizer Aufenthaltes  an  ihren  Mann  nach  Amerika schrieb, sind voller Klagen und Vorwürfe. Freilich war sie häufig krank und stand finanziell oft vor dem Nichts. Und man kann es ihr nicht verübeln, daß sie mit den Taten ihres Mannes nicht immer einverstanden war. Bereits in Milwaukee war eine Entfremdung zwischen den Eheleuten deutlich geworden, wie zum Beispiel Fritz Annekes Brief vom 30. Mai 1859 vermuten läßt und wie es Mathildes Antwort darauf (16. Jänner 1860) bestätigt: Niemand da draußen weiß, was über uns gekommen ist, daß die Liebe sich von uns gewandt, was von seiner Seite dazu beigetragen worden ist, läßt sich nicht mit Bestimmtheit feststellen. Aus vereinzelten Bemerkungen Mathildes könnte man schließen, daß es Fritz mit der Treue nicht ganz genau genommen hat, oder - was wahrscheinlicher ist, daß Mathilde allzu eifersüchtig war. Vielleicht aber war auch Fritz Annekes Italienfahrt daran schuld: Ich darf nicht klagen. Es war stets Dein Wunsch, in den Kampf zu gehen. Wo nur jemals die Trompete erscholl, Du wolltest fort. Es war Dein Wille und so müssen wir es zufrieden sein. (Brief vom 24. November 1862).
Hertha Anneke weiß auch keine Erklärung und vermutet, Mathildes Leberleiden könnte ihr mitgespielt haben. Mathilde scheint sich ihren Kindern gegenüber diesbezüglich nie ausgesprochen zu haben, wie sie ja auch über ihre erste Ehe stets strenges Stillschweigen bewahrte. Ihrer Mutter berichtet sie Anfang Januar 1861, als Fritz noch bei ihr in der Schweiz weilte: Unser geistiges Band und unser gemeinsames Streben muß unsere Freundschaft erhalten, da es die Liebe nicht sein konnte. Er sieht das ein Kein Bruch, sondern ein auf Freundschaft und Loyalität aufgebautes Verhältnis bestand fortan zwischen den Eheleuten. Mathilde entschädigte sich in ihrem Gefühlsleben durch ihre Liebe zu Mary. Auch dies hatte sich in Milwaukee bereits angebahnt. Von dort schrieb sie im August 1859 an Fritz Anneke nach Zürich: Und wie ich nun in einer so ganz anderen Welt stehe, andere Kinder als damals, anders lieben, andere Blumen, andere Fluren, andere Lust, andere Erde, andere Heimat Und immer wieder in Milwaukee und besonders in der Schweiz schreibt sie von »ihrer« Mary, die sie so aus ganzem Herzen lieb habe. Für lange Jahre ist es Mary, die ihr eine Lücke im Gefühlsleben füllt. Als dann Mary ihrer schwindenden Gesundheit wegen nach den Staaten zurückkehrte, trat Cäcilie Kapp an ihre Stelle. Und von nun an war es Cilly, die in unverbrüchlicher Treue und Zuneigung an Mathilde hing und ihr zärtliche Briefe schrieb. Als Mary kurz darauf starb, blieb Mathilde untröstlich.

Gottfried Kinkel
an Fritz Anneke   
Tenby, S. Wales, 18. Aug. 1861

Mein lieber Freund,
Borkheims Brief traf mich nicht in London, ich erhielt ihn hier einige Tage verspätet. Obwohl eine Zahlung für irgend andere Zwecke als streng deutsche außerhalb des Anleihestatuts liegt, fühle ich mich doch, in Anbetracht Deiner als Mann und Offizier für die größte Sache, in der im Moment für die Freiheit geschlagen wird, aber auch in Rücksicht auf die Ausdauer und Treue, womit Du persönlich die Anleihesache unterstützt hast, vollkommen gerechtfertigt, Dir für Deine Reise nach Amerika einen Vorschuß zu machen. Borkheim hat mir schon geschrieben, daß Du bereit bist, das Geld zurückzuzahlen, aHein da Borkheim doch immer eine andere Person ist und ich als Verwalter der Anleihe, im Falle Deines Todes etc. mich sicher stellen muß, so bitte ich um Folgendes: Schreibe mir, ob Du wirklich nach Amerika zu gehen und in die Federal-Armee einzutreten wünschest und lege dem Brief eine ostensible Erklärung bei, daß Du das Geld wünschest zu diesem bestimmten Zweck, und daß Du Dich verbindest, es im Falle Deines Eintritts in die Armee bis Ende des Jahres 1861, im Falle des Gegenteils bis 1. September 1862 der Anleihekasse wieder zurückzuzahlen.
Ich werde Dir dann 2 halb 10 Noten, und, wenn Du mir den Einlauf bescheinigt hast, die andere Hälfte zusenden. Ich hatte keine Ahnung, daß Du in der Schweiz bist; wie geht's Deiner lieben Frau? Melde mir doch ein wenig von Euch.
Mit herzlichem Gruß, Dein Gottfried Kinkel.

Mathilde
an ihre Mutter
nach der Abfahrt Fritz Annekes nach Amerika Sept. 1861

Mein liebes Herzensmütterchen!
Dort oben in dem reizendsten Tale an der St. Gotthardstraße, die in wenigen Stunden nach Italien führt, war ich in der vergangenen Woche. Das kleine skizzenhafte Bildchen gibt Dir natürlich eine schlechte Idee von der dunklen Größe dieses Fleckens. Tief unten die Schatten, hoch oben der leuchtende Schnee. An den schwindelnden Abhängen alle die grünen Matten mit den Sennhütten auf dem Hirtengelände, von denen ich nicht fassen und begreifen kann, wie sie da oben zu thronen den Mut haben. Liebe Mutter, kein anderer Wunsch erfüllt mir mein Herz in dieser erhabenen Wunderwelt als den, daß Du sie möchtest gesehen haben. Ich werde Dir zwar alle meine Eindrücke frisch heimtragen, allein eine Schilderung dieser Natur würdig, das ist mehr als man erreichen kann.
Bei den Gedanken wandelt mich sehr das Heimweh an. Ich möchte, so schön es auch hier ist, Dich doch bald gerne wiedersehen. Ich gehe auch schon stark mit der Idee um, für die Heimreise Pläne zu entwerfen, ein selbständiges Leben, womöglich für den Rest der alten Tage zu gründen, ein Plätzchen Erde zu finden, wo wir frei noch sterben können. Wenn ich Dich und meine arme Fanny, und alle die andern nicht zurückgelassen hätte, ich glaube, ich blieb wohl hier. Aber so ist's doch nicht möglich. Seit wie lange sehne ich mich mal wieder vergebens nach - Briefen
Das ist ein Brief, den ich vor vielen, vielen Wochen mal angefangen hatte, ehe noch ein Gedanke daran war, daß Fritz ihn selber über das Weltmeer entführen werde. So sei uns denn durch ihn gegrüßt und zwar gegrüßt auf diesem Blättchen, das oben das schöne Bildchen trägt. Möge Fritz Euch gesund antreffen und möge er tapfer sein Schwert führen und den Frieden bringen helfen. Wir bleiben einstweilen in den friedlichen Tälern dieses Landes und leben den Kindern und unserer Kunst, die ihre Pforten so freundlich für uns geöffnet hat. Da ich Euch in unserem alten Fritz einen lebendigen Brief schicke, will ich im vorletzten Augenblick auch nicht mich mit einer toten Berichterstattung abquälen. Nur so viel, daß ich herzlich froh bin, daß es uns endlich gelungen ist, Euch einen kampffähigen Arm mehr ins Feld zu stellen. Ich hoffe, Ihr werdet ihn als solchen sehr zu würdigen wissen und ich wünsche, daß Booth auch einmal zeigt, daß er wirklich etwas zu tun imstande ist. Wenigstens hoffe ich von ihm, daß er die Wege vorbereitet hat, auf denen Fritz seine militärischen Kenntnisse zum Besten des Landes verwerten kann. Die Idee Emils hat uns am besten zugesagt, sie ist praktisch. Mögen sich die tapferen Deutschen vertrauensvoll unter der dunklen Fahne der Artillerie, die Fritz, wie ich hoffe, dort erheben wird, scharen. Sie brauchen nicht zu fürchten, von ihrem Führer im Stich gelassen zu werden. Seine alten Waffengefährten, von denen hier noch so viele sind, erteilen ihm das Lob eines tief gebildeten Offiziers, und so darf ich Dir liebe Mutter gestehen, daß ich nicht eher gerastet habe, bis ich wußte, er werde dort sein, wo er so nötig.
Möge uns also ein Los zuteil werden, was da will, gleichviel wo der Kampf geschlagen wird.

Mathilde
an Fritz Anneke
Zürich am 25. September 1861

Mein lieber Fritz!
 Deine Zeilen aus Southampton sind seit Freitag in meinem Besitz. Am Sonntag empfingen wir mit der amerikanischen Post einen Brief Booth', aus dem wir ersahen, daß der Gouverneur Randall von Wisconsin Dir wirklich das Kommando eines Regimentes übertragen. Ich sehe heute im Banner, daß die Leute sich über »die gute Wahl«, die Randall auf Deine Person fallen ließ, freuen.
Die Allgemeine brachte schon am Montag Artikel über Deine Abreise, auch die Kölnische, wie ich höre, ebenso die Züricher.

18. September
Gestern abend brachte mir die französische Post ein Briefchen von Blenker. Er ist ganz von der Inspiration des Moments eingegeben, ganz im Geiste Kinkels geschrieben:
»Hat auch in erster Linie unsere Unionsfahne keinen Sieg, ja sogar Schmach errungen, so lag es nicht an unserer Fahne und deutscher Feigheit oder Unfähigkeit, so wird es bald besser werden; wir hoffen und wünschen es. Um dies zu können, bedarf es der Offiziere. Bitte daher unsern Fritz zur Eile anzuspornen und ihn sofort zu benachrichtigen, daß ich für ihn das Nötige angebahnt habe und heute noch von General McLellan, ein herrlicher, intelligenter Offizier und unser Oberkommandeur, über Fritz' Stellung Gewißheit zu bekommen versuche. Kann Fritz, ohne auf Mittel zu warten, die Reise antreten, desto besser, wo nicht, so wird die kleine Summe, die ich für ihn auftreibe, gut kommen. Ich werde Ihre Adresse zur Sendung benutzen. -«
Vor fünf Tagen wurde mir vom Kriegsdepartment die Gutschrift des Oberkommandos einer deutschen Division, eine Auszahlung, die ich McLellan zu verdanken habe. Wir sehen also, daß unsere deutschen Herzen aus anderm Guß als die erprobten Yankee-Seelen, Booth und Foy an der Spitze.
Herr Booth, der nicht daran denkt, seiner Pflicht nachzukommen, sandte gestern einen Brief, in dem er Mary hochtrabend vorwirft, daß sie ihm nicht die Wahrheit gesagt in betreff Deiner Stellung, Deines Ranges etc. Sie sage, Du habest über dem Herrn Sigel gestanden, Carl Anneke aber sage, Du habest unter ihm gestanden. Wird der Kerl nicht bald lächerlich?

Mathilde
an Fritz Anneke
Zürich, 24. September 1861 

Die heutige Post ist ungemein interessant. Das Volk erhebt sich wieder in seinem Bewußtsein durch die energischen Maßregeln des edlen Pfadfinders (Fremont). Welche Hoffnungen hatten wir nicht auf ihn? Sie soll nicht zu Schanden werden. Auch McLellan gewinnt mein Herz. Er ist kein Nativist, er spricht deutsch und sieht die größte Kraft seines Heeres in dem Arm der Deutschen. Der scharfe Schwertklang am Mississippi, der den gordischen Knoten durchhieb, will am Potomac seinen Nachhall finden. Es geht nicht anders. Wo wirst Du Dich hinwenden?
Von unserem Großmütterchen bekam ich eben einen Brief. Sie erwartet Dich und uns auch. D. Fuchs hat an Carl Anneke geschrieben, es sei eine Professur in Madison vakant, für deren Besetzung er Dich als den tüchtigsten Mann hielte. Er bitte, Dich davon zu benachrichtigen.. .
Maria speit Blut. Ich lasse sie fleißig Selterswasser trinken und will, daß sie die Kur einige Wochen durchmacht, im übrigen ist sie guter Dinge
Die italienischen Prahlhänse sagen, Garibaldi hat das Oberkommando über Euch abgelehnt. Klappka ist es angetragen. Der Tunner
Korrespondent für die Allgemeine hatte jeden Tag eine andere Story. Einmal wollte er nicht annehmen, einmal stellte Garibaldi Bedingungen, die die offiziellen Offertemacher nicht bewilligen konnten usw. usw.   
Der Beobachter am Hudson vom 1. Sept. hat meine »Fahrt nach Stans« abgedruckt. Wenn Großmutter es zu lesen wünschen sollte, weiß sie, wo es zu finden. Doch ich glaube kaum, daß sich jemand dafür interessiert

Mathilde
an Fritz Anneke
Zürich, 17. Oktober 1861

Mein lieber Fritz!
Kannst Du Dir unsere Freude denken, als Sonntag morgen im Züricher Tagblättchen stand: Die Saxonia ist am 23. September nach einer glücklichen Fahrt von 12 Tagen im Hafen von New York gelandet
In der vergangenen Woche war Emma Herwegh einmal hier, nachdem sonntags zuvor Herwegh, Gottfried Keller, Ludmilla Assing und Emma einige Stunden bei uns im Garten zubrachten und Ludmilla ihre Abschiedsvisite machte. Diese Gesellschaft, ohne Keller, hatte die Woche vorher mit Gräfin Hatzfeldt, Lassalle und einer Russin eine Fahrt zum Rigi gemacht. Rüstow war auch dabei

19. Oktober
Moleschotts sind abgereist. Ich schreibe sein Leben und Wirken, für welches er mir das Material selbst gegeben hat. Er war ungemein erfreut. In den letzten 14 Tagen waren wir noch viel zusammen. Ich war einen ganzen Morgen bei ihm zu diesem Zweck. Er war einen ganzen Abend hier und traf mit Herwegh zusammen. Dienstag gaben Herweghs ein brilliantes Abschiedsfest, zu dem wir und Rü-stows und Gottfried Keller und Schwarzenbergs und Familie Moleschott geladen waren. Herweghs gehen auch fort. Auch sie waren so gut und freundlich zu uns. Sein Ruf macht hier viel Aufsehen. Der Lehrstuhl in Neapel für Vergleichende Literaturwissenschaft steht ihm offen. Er hat sich vorbehalten, bis Ende Januar noch hier zu bleiben. Im März kommen seine neuen Gedichte. Willich hat mir bei Gelegenheit geschrieben. Wenn Du ihn siehst, so grüße ihn mir. Nächstens will ich ihm antworten Dienstag fuhr ich mit den Kindern nach Schaffhausen zum Rheinfall. Wie wunderlieblich ist dieser Rheinfall, wahrlich, der alte Vater Rhein ist graziös in allem, was er tut, in seinen Sprüngen und seinen Biegungen, in seinen Tiefen und seinen Höhen. Nach Einsiedeln bin ich nicht gekommen. Ich lasse die alten Mönche allein mit ihrer Mutter Gottes

Mathilde
an Fritz Anneke
Zürich, am 3. November 1861  

Mein lieber Fritz!
Es ist Sonntag morgen. Die Sonne vergoldet unser blankes Tal und die herbstlich angewehten Höhen. Die Alpenhäupter stehen so klar da vor uns, daß man sie mit Händen greifen könnte. Die Blumen sind zwar alle welk geworden, und im Ofen brennt ein tüchtiges Schieferkohlenfeuer. Deine alte Mathilde kommt zu ihrem Fritz, der, wie ich hoffe und wünsche, in der rosigsten Laune ist, gebe ihm einen tüchtigen, derben Kuß, drücke ihn ans alte Herz so recht fest, wie ich den drücke, den ich so recht aus tiefem Grunde lieb habe. Wo bist Du? Wo soll ich Dich finden? Wie ich von Anfang an gewünscht habe, am Potomac vielleicht? Ich will nicht fürchten, daß Dir große Schwierigkeiten für Deine Tätigkeit aufgetreten sind. Wenn aber auch das, ich habe die Überzeugung, daß Du sie mutig überwindest und Deine Stellung Dir selbst den Flachköpfen gegenüber als ein Heros erkämpfst. Dem Kühnen gehört die Welt, der Tapfere aber besitzt sie. Du bist nicht kühn, aber Du bist tapfer. Es liegt an Dir, an Deinem Willen, kühn auf das los zu gehen, was Du tapfer verteidigen willst. Ich werde mich freuen, wenn Du weiter Gelegenheit hast, in Blenker einen »guten Feldherrn« zu entdecken. Freund wird er Dir dann immer sein und bleiben.
Mein »brilliant beendetes Geisterhaus« ist seit zehn Tagen bei Didaskalia, die, da es für das Blatt zu lang ist, den ersten Abdruck annimmt. Für den zweiten oder für die Ausgabe in zwei Bänden habe ich F. W. Grünow in Leipzig, ein renommierter Roman Verlag willig, wenn es zusagt. Und das glaube ich, wird es. So würdest Du denn mein Talent zu loben Gelegenheit haben. Wenn Du mir nicht zu viel Kummer und Sorge im nächsten Winter bereitest, so vollende ich meinen Sturmgeiger, an welchen ich mit viel Courage gehe. In der Allgemeinen habe ich im letzten Monat mit einigen Artikeln Glück gehabt
Nach Kentucky? Mit Deinem Regiment? Wo ist nun Dein Regiment? Per Telegraph von Michigans Ufer so schnell dahin beordert? Ohne Waffen, ohne Uniform? Wie geht das zu? Entweder ist ein Brief verlorengegangen oder Du traust mir die Gabe des Hellsehens zu...
Herr Oberst Rüstow hofft doch noch, Oberkommandeur der Vereinigten Staaten Armee zu werden. Dieser Bernays ist doch ein Schwätzer. Er weiß Wege für den »größten Militärgeschichtsschreiber der Welt«, so nennt er ihn im Anzeiger des Westens. Für Dich, den Bürger und Vorkämpfer dieses Krieges wußte er kein Wort. Mary und ich finden unser größtes Glück im Angedenken an unser Vaterland und in der Sorge um seine Kämpfer.

Mathilde
an ihre Schwester Johanna Weißkirch
in Milwaukee   
Zürich, 10. November 1861

Liebe Johanna!
Ich hoffe, daß meine Zeilen unsere gute Mutter und Euch alle fröhlich und guter Dinge antreffen. Unsere Kleinen leben in liebendem Gedenken an Ida und Alma und haben nur den Augenblick der Wiederkehr vor ihrer kleinen Phantasie. Aber die wird immer weiter in die Ferne gerückt, und wäre man nicht mit tausend Fäden an drüben geknüpft, wer weiß, ob man sich jemals wieder die Seekrankheit holen möchte.
Die letzten Nachrichten von drüben deprimieren mich gewaltig. Ich muß gestehen, ich habe die Hoffnung auf unsere stolze Union aufgegeben. Man führt am Potomac zur Kurzweil etwas gemütliches Kriegsspiel, bereitet langsam die Anerkennung des Südbundes vor, die mittlerweile schon von den europäischen Mächten faktisch anerkannt werden wird - und mit der Freiheit hat's ein Ende, d. h., wir werden natürlich zum Schutz der geretteten halbierten Union ein Heer von Militär halten müssen, werden Revolutiönchen, Annexiönchen und wie die ganze elende europäische Wirtschaft hier heißt, erleben - aber mit der Blüte, mit dem Wohlstand ist's aus. Ich werde es nie vergessen, wie mir vor sechs oder acht Jahren einmal ein alter Herr sagte: »Die Union geht ihrem Untergang entgegen.« Damals hab ich's nicht geglaubt, was sich heute schon teilweise erfüllt hat.
Von Anneke bekamen wir vor einigen Tagen die Nachricht, daß er nach Louisville kommandiert sei und Richmond zum chaplain seines Regimentes gemacht habe. Ich bin sehr froh darüber, daß Fritz einen so energischen und doch genialen Amerikaner zur Seite hat.
Mir geht es recht gut. Ich bin mit meinen Kindern gesund, arbeite mit großer Lust, und freue mich, daß Fritz endlich in eine Bahn getreten ist, die er als sympathisch nennt. Ich wollte, ich hätte erst mal eine ordentliche Nachricht von ihm über all die Dinge da drüben.
Hertha und Lilli lassen Ida und Alma sagen, daß in der kleinen Kindernovelle nächstens eine schöne Episode vom Däumling und dem Fingerlingchen erscheinen werde und auch die Geschichte von dem Wassernixchen am Rheinfall eingeflochten werden solle, die ich heute in meinen Abenderzählungen zu Ende gebracht habe.
Mit treuer, herzinniger Liebe, Deine Schwester Mathilde.

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, am 15. November 1861

Heute morgen hat Mary einen Brief vom Gesandten Foy erhalten. Der Mann hat eine gewaltige Reue über sein Nichtstun bei der Gelegenheit, Dich für's Vaterland zu gewinnen. Er fühlt die ganze Tragik dieses Falls und sagt zu Mary: »Es freut mich, gute Nachricht von Oberst Anneke zu erhalten. Ich hoffe, er wird das Vergnügen haben, eine Schlacht zu erleben. Auch das Vergnügen eines Sieges und einer Auszeichnung in seinem gegenwärtigen Dienstbereich. Ich schulde es Ihnen vielleicht zu sagen, daß ich gegen ihn etwas voreingenommen war, durch eine Quelle, von der ich Information erbat. Hätte ich Sie früher gekannt, hätte ich nirgends anders nach Information gesucht.«
Und diese Quelle? Wir werden sie auch noch von ihm erfahren. Nach unseren Kombinationen finden wir sie in dem großen »edlen« Carlos, der ja selbst seine Wisconsiner Getreuen verraten hat. Diese trübe Quelle wird auch dem Herrn Dayton in Paris maßgebend gewesen sein, ich bin beinahe überzeugt davon. Haben wir erst Sicherheit, dann wehe dem Diplomaten! Mary hatte recht, der Kerl ist eine Schlange.
Ich glaube, Du bist heute in einer Schlacht, oder doch mindestens in einem Scharmützel. Ich hatte diesem Kentucky wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Du kannst denken, wie mein Auge es nun sucht in den Blättern, die übrigens alle sehr leer sind. Der New Yorker Democrat, das einzige Blatt, das mir regelmäßig zukommt; Criminell Zeitung habe ich seit Du fort bist, nicht mehr gesehen. Dennoch fühle ich mich als ihr Correspondent. Der Democrat also ist in Verzweiflung über die dortigen Verhältnisse - ich muß auch gestehen, ich habe die Hoffnung für die alte Union aufgegeben. Wir werden bald mehrere Unionen haben - Der Südbund wird von dem courfähigen Hof in Washington anerkannt - und dann kommen die Schlachten und Kämpfe, Revolutionen und Annexionen - tout comme chez nous ist dann die Tagesordnung der einst so blühenden Union. Die Union ist faktisch untergegangen - Ihr rettet sie nicht mehr! Der Gedanke erfüllt uns allerdings mit Schmerz. Aber wie soll's doch weitergehen?

Mathilde
an Fritz Anneke   
Mein lieber guter Fritz!
Zürich, undatiert, vermutlich Ende 1861

Solltest Du denn wirklich Ähnlichkeit mit dieser schlechten Photographie haben? Herthachen sagt ganz elegisch: »Ich kenne diesen Papa nicht mehr.« Und doch, Fritz, hättest Du das Glück der Kinder und meines gesehen, als endlich diesen Morgen mit einem schleppigen Detroiter Steamer Dein Briefchen, Deine Bilder und unser reiches Geldgeschenk ankamen. Du glaubst gar nicht, wie groß unser Verlangen war. Niemals will ich wieder so sicher hoffen, am wenigsten aber den Kindern mit solcher Bestimmtheit sagen, in so vielen Tagen bekommen wir Briefchen von Papa...
Ich habe kein anderes Interesse mehr als den Krieg. Ich mag nichts anderes lesen als Amerika; und daß ich Deinem Namen nachspüre wie ein treues Hündchen, das ist mal eine ausgemachte Sache. Daß Du Sorgen oder viele Gedanken haben mußt, das sieht man aus dem Ganzen...
Hättest Du Dich etwas aufs hohe Pferd gesetzt als Korrespondent für das bedeutendste Blatt Deutschlands, Du hättest sehen sollen, wie Du die Kerle alle mürbe gefunden hättest. Ich sehe es mal wieder an dem Hanswurst Corvin. Sein erster Brief aus Washington war kurz, bündig und gut. Ich glaubte wahrlich eine lange Zeit, daß Du der Schreiber. Aber o jemineh! jetzt die zweiten und dritten erzählen von des Präsidenten Händedrücken, Herrn Douglas', General Blenkers Festens, Frau Generalins Zigarre usw. usw. Siehe, ich ärgere mich so, wenn der Platz für solche Allotrias benutzt wird, während er der redlichen, ehrlichen Mitteilung offenstand, die so not tut!
Und was für eine Schmach gegen Fremont! Unerhört in der Militärgeschichte aller Völker, einen Feldherrn am Vorabend einer Schlacht abzurufen. Wäre ihm wirklich der Vorwurf der Verschwendung - wären ihm alle anderen Vorwürfe zu machen - sie sind ihm nicht zu machen, das ist klar - so wäre es immerhin schmachwürdig. Ich muß gestehen, daß mir danach die Position aller selbständigen Männer, und somit auch Deine, als sehr prekär erschienen ist. Aber ich sehe, Du hast Dir eine gute Richtschnur gemacht: »Ruhe und Höflichkeit mit Energie und Strenge zu vereinigen«, das wird das Richtige sein, womit Du Deine Burg befestigen kannst. Ich hoffe, Du wirst der Kämpfe nach innen nicht viele mehr haben, damit Du freudig und gestählt jenen nach Außen entgegengehst.
Von meinen Briefen sind Dir manche nicht zugekommen, wie ich sehe. Wenn ich sehe, wie Du nach Mitteilung von uns verlangst, so schreibe ich Dir wöchentlich mit unseren Kleinen. Es ist das Liebste, das ich tue, Dir schreiben.
Meine liebe Mary ist gesünder, wie sie war. Sie arbeitet fleißig. Der im vergangenen Winter begonnene Roman, soweit von Dir übersetzt, schreitet vorwärts. Ich hoffe, daß wir Tauchnitz dafür gewinnen. Mein Geisterhaus ist schon fünf Wochen bei der Didaskalia, ob sie es endlich bringen wird? Mein Sturmgeiger schreitet vorwärts. Die Allgemeine hat so zahme Ansichten über die Sklavenfrage bekommen, daß sie mir meinen gut geschriebenen Artikel über amerikanische Verhältnisse fortgeworfen hat. Das Ausland hat einige compilierte Sachen von mir in letzter Zeit. Unsere Arbeitstische sind alle im großen Zimmer. Da wir nur für uns leben, so sieht es recht wie eine Werkstatt aus. Im Schreibzimmer essen wir jetzt. Der Sonnenschein, die schönen Schneekoppen versüßen  uns das Mahl. An Brennmaterial finden wir die Schieferkohle so praktisch, daß ich drei Zentner davon eingelegt habe und viel billiger damit fortzukommen gedenke als letztes Jahr

Mathilde
an Fritz Anneke
4. Dezember 1861

...Eine der größten Disappointments bereitete mir gestern die Cottasche Geschäftsführung. Sie berechnet mir die Schweizer Artikel als Originale und jene über Douglas, Scott, McClellan, Fremont mit dem halben Satz des Honorars. Da beträgt denn die ganze Rechnung nur 129 Gulden 50 Kreuzer, während sie 250 betragen sollte. Es steckt doch eine empörende Gaunerei dahinter, und es beschleicht mich wieder jenes Gefühl einer unterdrückten Tagelöhnerin, das ich in so reichlichem Maße empfand, als ich nur von diesem Lohn mein und meines Kindes Leben fristete.
Manchmal denke ich, ich müßte reklamieren. Es ist übrigens charakteristisch, wie, seit die Leute wissen, daß Du amerikanischer Oberst bist, ich mehr Geld auszugeben und weniger einzunehmen gezwungen bin. Am meisten ärgert mich diese Steuerprellerei und die Niederlassungsgebühr, die sich auf etwa zehn Franken belauft, die Einkommenssteuer, die 24 Franken beträgt, die Schulsteuer usw. usw. Doch genug von dem Allotria!
»Schlechtmachen« - hm, hm! Ich werde Dich niemals schlechtmachen, lieber Fritz, wenn Du aus Deiner eigenen Anschauung, aus eigener Beobachtung kritisierst. Aber wenn Du mir altes Weibergeklatsch, wiedererzählte Märchen als eine Wichtigkeit gibst, so ist mir das so wenig mit Deinem sonstigen Denken und Handeln vereinbar, daß ich jedesmal unharmonisch in meinen Gefühlen gegen Dich gestimmt werde. Ich wende mich dann gegen die eine Seite Deines Tuns, die nicht Deine ist, die Du als fremdes Ferment aufnimmst, um - nun ja, um mich unbewußt damit zu quälen. Was Du mir z.B. in einem Deiner lieben Briefe, in dem vom 6. über Blenker sagst, das will ich auf Deine mir so gewisse Autorität gleich unterschreiben. Ich glaube nicht nur, nein ich weiß es, welch vortrefflicher Organisator er auch sein mag, zu schnell doch zu einer schwindelnden Höhe gekommen ist, von der er wie von einem Gletscher heruntergleiten wird. Sein Freund Corvin hilft ihm noch dazu, der mit Frau Generalin und Gräfin Pontaler im Wagen, Blenkers Fackelprozession beiwohnt. Es ist gut, daß Du mir sagst, daß Du ihm die hundert Dollar (500 Franken) zurückerstattest. Nun kann ich ihm gelegentlich schreiben und danken.
Lebe wohl, mein lieber guter Fritz. Darf ich Dich ferner schlechtmachen, als ich es näher motiviert neulich getan habe? Bleibe gesund und suche kleine Übelstände zu überwinden, ohne daß Du sie an die Glocke bringst und den Kerlen von der Illinois Staatszeitung Gelegenheit gibst, sich über die »Misere von Fritz Anneke«, die allerdings ewig währt, lustig zu machen. Merkwürdig, man liebt endlich sein eigenes Unglück. Liebe es fort, dann weiß ich, daß Du auch liebst Dein größtes und dickstes Stückchen Pech, Deine Mathilde.

Mathilde
an Cotta
Zürich, 21. Dezember 1861

Ew. Hochwohlgeboren
beehre ich mich den richtigen Empfang einer Draft auf die Exp. der Allgemeinen Zeitung hiemit ergebenst anzuzeigen. In meiner Honorar Rechnung finde ich jedoch in der Klasse der »Bearbeitungen« Aufsätze wie »Douglas«, »Ward«, »Scott« und »McClellan« verzeichnet und es entsteht durch diese Klassifizierung für mich ein derart empfindlicher Ausfall in meinen Einnahmen, daß ich mich genötigt sehe - so ungern ich auch den Geldpunkt für meine geringen Leistungen berühre - Sie zu ersuchen, in gefällige Erwägung zu ziehen, ob Sie nicht jene Berichte mit demselben Rechte wie jene, die ich früher über amerikanische Zustände schrieb und wie solche aus »Zürich« und über Stans zu Originalen zählen dürfen. Einen Nekrolog wie »Douglas« z. B., den ich der Allgemeinen Zeitung fast zugleich mit der ersten telegraphischen Kunde lieferte, - ich arbeitete eine ganze Nacht daran, in meinem Eifer, der Allg. Ztg. dienlich zu sein, - und konnte mein Material aus keiner andern Quelle als aus mir selbst und wenigen Notizen, die ich mir im Westen über diesen wie über andere Staatsmänner aufgezeichnet habe, schöpfen - werden Ew. Hochwohlgeboren nicht, wenn Sie es wissen, wie er entstanden, mit dem geringen Honorare einer Bearbeitung oder Übersetzung gar belohnen wollen.
Wenn bei Aufsätzen, deren Wichtigkeit unverkennbar, mehr oder weniger Material anderer Sprachen gebraucht werden, so kann damit nicht gesagt sein, daß sie Übersetzungen oder Bearbeitungen nur sind, vielmehr sind in der Regel die Stoffe solcher Aufsätze mit größerer Mühe und Unkosten zu erlangen gewesen wie die der einheimischen, obwohl ich auch bei einer Reise nach einem Fest zu Stans wesentlich meine Aufgabe als Berichterstatter im Auge hatte, deren Unkosten durch die Arbeit nicht halb erschwungen wurden. Wollen Sie übrigens desohngeachtet eine strenge Sonderung eintreten lassen, so kann ich in dem Falle ein niedriges Honorar Verhältnis nur für jene Aufsätze über die Sklavereifrage anerkennen, da dieselben allerdings nur Übersetzungen sind. Die Aktenstücke selbst habe ich für den Zweck, für welchen sie benutzt sind, direkt von Gerrit Smith bezogen. Mit welchen Kosten und Mühen mögen Sie ermessen. Den größeren Umfang dieser interessanten Dokumente aus den Händen des großen amerik. Philantropen sollte der Allg. Ztg. für eine spätere Zeit aufbewahrt bleiben.
Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit die Bemerkung, daß Anneke, der Ihnen vor einigen Monaten versprach, direkt vom Kriegsschauplatz in Amerika Berichte zu senden, mit denselben zurückgehalten, nachdem er gesehen, daß Sie Herrn von Corvin als Spezial Korrespondenten hinüber gesandt haben. Ihren beiden geschätzten Korrespondenten von drüben stand Anneke gern nach, umso mehr als seine militärische Stellung ihm wenig Zeit übrig läßt. Anneke, der bis zum 22. November das Kommando des I. Art. Regimentes von Wisconsin hatte und als Oberst in der Armee der Union fungierte, ist seit jenem Tage das Kommando der sämtlichen Artillerie von Indiana übertragen. Unter seinem Kommando im Übungslager zu Indianapolis soll die ganze Artillerie des Nordwestens, die für die Kentuk-ky-Armee bestimmt ist, zusammengezogen werden.
Entschuldigen Sie gütigst meine bescheidene Reklame und zwar hauptsächlich mit dem Umstande, daß ich bis zu diesem Augenblick noch immer genötigt bin, meine und meiner kleinen Familie anständige Existenz zu erarbeiten. Kosten der Überfahrt meines Gatten und höchst kostspielige Equipage, sowie langsame Auszahlung der Solde erleichtern mir meine Situation noch so bald nicht.
Mit hochachtungsvoller Ergebenheit
Mathilde Franziska Anneke[5]

In Beantwortung dieses Briefes schreibt Cotta am 20. Dezember 1861:

Ihnen Anlaß zur Reklamation gegeben zu haben, dürfen wir uns nicht entschuldigen. Sie entheben uns selbst hievon in Ihrem Verehrl. wo Sie anerkennen, daß die als »Bearbeitung und Übersetzung« honorierten Artikel wirklich solche sind.
Anders sind die Gründe, welche von Ihnen geltend gemacht werden, sie gleich Originalien zu behandeln. In Anbetracht der Mühe, die es Ihnen gemacht, die Stoffe zu erlangen, und mehr noch, sie so zeitig als nur möglich für unser Blatt zu bearbeiten, sind wir bereit, Ihrem Wunsche entgegenzukommen.
[6]

Und Cotta sandte Mathilde Anneke eine Nachzahlung von fl. 36.47.

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, am 27. Dezember 1861

...Gestern, am zweiten Weihnachtstage, wurden wir von Konsul Bernays zum Diner geladen. Der Gesandte war ebenfalls erwartet, aber er hatte uns geschrieben, daß er nach Paris müßte. Als wir beim Fest eintrafen, erblickten wir Frau Gräfin Hatzfeldt ohne ihren Rüstow, aber in Begleitung Herweghs und Lassalles. Während mir Lassalle, der mir gegenüber saß, als ein höchst geistreicher, interessanter, ja gutmütiger Mann erschien, fand ich die Gräfin weder interessant, noch schön, noch geistreich, noch liberal, wie Freund Bernays sich ausdrückte - ich fand sie - wie Leichenduft, wie eine geschminkte weibliche Ruine, zu deren Besitz ich allen Männern Glück wünsche. Lassalle kam, wie auch Frau Gräfin mit einer großen Freundlichkeit auf mich zu, ließ sich vorstellen und fragte mit großer Teilnahme nach seinem ehemaligen Kerkergenossen. Beim Abschied bat er mich sehr, Dich zu grüßen und ihn bei Dir in freundliche Erinnerung zu bringen.
Das Verhältnis der beiden merkwürdigen Personen Lassalle und die Gräfin hat auf mich folgenden Eindruck gemacht: Lassalle war ein junger Bursche, als sie ihn verführte. Sein leuchtender Spirit, seine Kraft, die unverkennbar ist und ihr angenehm und nützlich gewesen ist. Er ist jedenfalls ihr Genius gewesen, hat sie immer auf der Oberfläche gehalten, wenn sie am Versinken war, und hat sich endlich verbunden gehalten, in Freundschaft ihr zur Seite zu sein, so lange als notwendig. Er liebt sie natürlich nicht mehr - er lebt, wie Emma sagt, nicht mehr ehelich mit ihr. Er behandelt sie auch von seinem geistigen Kothurn herab etwas sehr en bagatelle. Sie spricht viel schön - namentlich »liberal« - und wird ihre Rede zu sehr Blech, dann ärgert Lassalle sich, anfangs will er es vertuschen, dann kann er es nicht mehr und fängt an, wild drauf los zu dozieren. Mir ist der Kerl interessant im radikalsten Zerreißen alles dessen, was Widerspruch und Nonsense. Dann entwickelt er gelegentlich eine Rechtsphilosophie mit einer Dialektik und einer Schärfe des Verstandes, daß es ein Pläsier ist, ihm zuzuhören. Das ist für unsereinen, der wenig dazu kommt, so was zu vernehmen, ein wahrer Genuß. Ich vergaß Gänsebraten und Hasenpasteten und hörte dem Manne zu. Ich dachte viel an Mutter, die gute alte Frau, die damals von seinen Verteidigungsreden so entzückt war.
Herweghs haben noch immer den Ruf nach Neapel nicht bestätigt. Vierzehn Tage haben wir gar keine Post von drüben.
Von der Allgemeinen Zeitung erhielt ich, auf meine bescheidene Reklamation, die vollständige Leistung von 25 Gulden für alles, was ich geleistet habe, und mit dem höflichsten Schreiben. Dein Schreiben hatte ich in jenem Brief so gut es ging, entschuldigt. Darauf bittet er mich, daß ich der Allgemeinen alles dasjenige, was Du über dortige Zustände mir brieflich mitteilst und für die Öffentlichkeit geeignet ist, doch mitteile. Ich freue mich, uns die Spalten für alle Zeiten geöffnet zu haben. Wenn ich nach Amerika zurückkehre, gehe ich vorher selbst hin, um mich in Augsburg persönlich zu besprechen.
Meine Ansichten über Don Carlos habe ich Dir mitgeteilt. Der große Mann ist nach Washington gereist, um seinem Gouvernement in der bedeutungsvollen Krise vielleicht seinen Rat nicht vorzuenthalten

am 30. Dezember
Die Didaskalia druckt meinen »Elsworth« ab und verlangt wieder, daß ich extra für das Blatt eine Novelle schreibe. Mein Sturmgeigerist zu weit angelegt für das Blatt, aber gut für Einzeldruck.
Gräfin Hatzfeldt hat uns einen Besuch gemacht. Sie scheint sich für uns sehr zu interessieren, und ich muß gestehen, sie gewinnt, besonders wie sie heute erscheint, ohne arge Schminke. Schönere Formen habe ich freilich noch bei keinem Weibe gesehen, die sie ziemlich unverhüllt der Welt zeigt. Wir sind bei ihr zum Diner gebeten und wir, als gute Psychologen haben angenommen. Ich werde Ida in dem nächsten Brief den Eindruck schildern, ich weiß, daß sie sich für die ganze Bande interessiert hat.

Später:
Wir kommen von dem feinsten Diner heim, dem ich seit 20 Jahren beigewohnt habe. Lassalle ein Gesellschafter, wie es keinen zweiten gibt, brachte die Monate im Gefängnis zu Köln mit Anneke, Gottschalk und Willich zum Gegenstände. Wie würdest Du Dich unterhalten haben dabei, und wie würdest Du mit Deinen Beiträgen, von denen ich freilich einige zum Besten gab, die Erzählungen ergänzen können. Lassalle stieß mit mir auf Dein Wohl an und auf die Erinnerungen aus dem Gefängnis. Er trug mir noch einmal mit der größten Wärme Grüße an Dich auf. Als Fotographien herumgereicht wurden, bat ich mir eine von Lassalle für Dich oder für Mutter aus. Ich schicke sie Dir, um sie weiter zu expedieren.

Mathilde
an ihre Mutter in Milwaukee   
undatiert, vermutlich Januar 1862

Meine beste Herzensmutter!
Seit Neujahrstag habe ich Dir täglich schreiben wollen, allein die täglich laufenden Arbeiten, die Sorgen von einem Tag zum andern, die Erziehung der Kinder, - kurz alle die Pflichten, die mir obliegen, ließen mich kaum ein Stündchen zum Plaudern mit Dir, gute Mutter, finden. Und doch versetze ich mich am liebsten an Deine Seite und meine, daß ich mit keinem Menschen auf der Welt, so aus der Seele sprechen könnte, wie mit Dir.
Wie habt Ihr alle denn das Neue Jahr begonnen? Gewiß nicht mit so leichtem Herzen, wie sonst wohl. Ja, die Tage werden ernst, die Weltgeschicke ruhen im dunklen Schoß der Zukunft und unsere eigenen hängen mehr oder minder von jenen ab. Wie sich die Kämpfe der Union abwickeln werden, wer vermag es vorauszusehen. Ob ihre Schlachten auch in unser Familienleben blutig eingreifen werden? Daß Julius zur Kavallerie gegangen ist, daran hat er, ich glaube, recht getan. Ich hoffe, er wird gesund zurückkehren. Luise hängt mit außerordentlicher Liebe an ihm und auch er an seiner ganzen Familie. Durch Booth's Briefe erfahre ich, daß auch Louis dem Schlachtengott das Schwert tragen will. Vielleicht ist es recht, daß jeder Mann in dieser Stunde zum letzten Argument greift. Grüße die Krieger von mir. Ich möchte bei ihnen in der Schlacht stehen, lieber wie in einem Leben, in dem die Sorge um die Geschicke der Menschheit und die kleinlichen im gewöhnlichen Leben uns selbst kleinlich machen
Silvesternacht waren wir bei Herweghs zu einer großen Fete. Dort trafen wir Deinen alten »Geliebten per Distanz«, Herrn Lassalle (er selbst schickt Dir sein Bild) und die noch immer merkwürdig schöne Gräfin von Hatzfeldt. Sie hatte einen Tag vorher Visite gemacht und Mary und mich zu einem großen Diner, welches sie in wahrhaft fürstlicher Weise in ihrem Hotel Bauer am See gab, eingeladen.
Ich muß gestehen, daß mir die Tage dieses europäischen Luxus, nach jenen alles verleugnenden und alles entbehrenden in Amerika, eine ganz interessante Abwechslung boten. Ich mußte oft an Dich denken, und nahm mir vor, die Schilderungen und Beobachtungen dieses Lebens aufzuzeichnen, allein ich habe mich sehr bald wieder ner stillen Muse zugewandt, um endlich einmal Größeres zu enden, mich wieder in meinen Roman Sturmgeiger und Kajütenprinz vertieft. Ich glaube, er wird recht nett. Maria ist entzückt und auch Emma Herwegh und andere, denen ich einzelne Episoden bisweilen vorlese, wünschen das Ende zu erfahren. Am Neujahrsmorgen, liebes Mütterchen, habe ich meinem ziemlich angewachsenem Manuskript die Worte vorgesetzt: »Meiner geliebten Mutter gewidmet.« Seit der Zeit geht meine Arbeit noch viel besser von statten, wie vorher. Dein »Spirit« hilft mir über alle Schwierigkeiten hinweg. Du, wie Du mir stets zu allem den Mut eingeflößt hast, tust es auch weit, weit von mir. Am Neujahrsmorgen, da alle andern Dir ihre Wünsche zu Füßen legen konnten, tat ich's auf diese Weise. Ich hoffe, Du lächelst dazu
Mein Geisterhaus ist schon über zwei Monate in Leipzig. Wann es endlich gedruckt erscheinen wird, die Götter wissen's
Fritz ist gewiß schon mit im Kampf in Kentucky, oder doch in der Nachhut. Nach den heutigen Nachrichten scheinen die Dinge etwas energischer angepackt. Aber noch immer keine Aussicht auf eine Radikalkur. Wie wird das enden!
Für Banner schreibe ich nicht mehr. Märklin schrieb mir zwar, daß er die Berichte ganz gern gelesen habe. Aber ich hatte bereits beschlossen aus Gründen der Bescheidenheit, damit aufzuhören und es mag so bleiben.
Nach Dir, meine liebe Herzensmutter, habe ich oft recht große Sehnsucht. Wenn eine Straße zwischen uns wäre, wenn auch eine recht lange - freilich nicht so lang wie das Weltmeer- ich wäre schon mal wieder bei Dir gewesen. So müssen wir noch ein wenig warten. Mein Schatzkästlein ist noch nicht voll genug von Gelerntem und Gesehenem. Wenn ich aber mit dem heimkomme, bin ich ein ganz tamoses Weib, daran Du Deine Freude haben sollst.
Ich will nicht länger mit der Absendung des Briefes warten, liebe Mutter. Ich hoffe, Du bist vergnügt und denkst bisweilen an uns.
Deine alte treue Tilla

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, den 20. Januar 1862

Mein lieber Fritz!
Gestern abend kam Dein Weihnachtsbriefchen. Ich beginne schon heute die Antwort. Ich denke, daß Dir durch Nachrichten ebenso große Freude wie uns bereitet wird, und daß wir sie uns gewähren, so lange es möglich ist. Es ist ja doch ein hartes Los, wenn man in einer Familie nichts anders kennt als Trennungsweh und Gott weiß welch anderes Weh...
Mary ist seit Weihnachten bedeutend besser. Die Kongestionen nach dem Herzen sind nicht so häufig; auch ist sie wieder fröhlicher und sieht nicht mehr so furchtbar elend aus. Du bist unsere Unterhaltung, Du und die amerikanischen Verhältnisse. Mein Sturmgeiger schreitet tüchtig vorwärts, und Mary hat eine außerordentliche Freude daran. Die darin verwebten Bilder aus Deinem Leben hält Mary für sehr gelungen. Seite für Seite muß ich's ihr vorlesen. Die Didaskalia hat mich vor einigen Tagen wieder um die versprochene Erzählung gebeten. Ich mag den Sturmgeiger nicht abbrechen für eine kleinere Erzählung. Roman-Literatur ist gesucht, das sehe ich. Und wo die Verleger nur etwas Geld wittern, da beißen sie an. Meine Frau Kollegin, Frau von Gravenreuth, eine zweite Ottihe in dem Genre, schreibt täglich zehn bis 15 Schreibbogen drauf los, verkauft sie gut. Aber was ist das auch für ein Zeug! Nein, niemals wollte ich Dir und mir solchen Schimpf antun und das drucken lassen.

Mathilde
an Fritz Anneke
Zürich, 30. Jänner 1862

Der Tribune bringt heute Bericht über die Stärke und Organisation der Armee, des 5. Bataillons aus Indiana unter General Blenker, die »am Abend vor der Schlacht« steht. Ob das die Deinige ist, kann ich aus dem Bericht nicht ersehen. Jedenfalls aber scheint mir der Augenblick des Kampfes auch für Dich nicht mehr fern zu sein. Alle guten Geister Deiner Lieben sind mit Dir, guter Fritz.
Übrigens scheint mir die Wirtschaft drüben eine immer fatalere. Schurz wird wohl die Stelle des Kriegsministers im Kabinett beanspruchen. Man prophezeit hier dem Lande einen Nationalbankrott. Bernays, der Vergötterer von Schurz, geht erst in sechs Wochen nach Helsingör zu seiner einträglichen Konsulstelle.
Herweghs haben noch immer nicht die Bestätigung der Ernennung. Sie grüßen Dich beide. Vor einigen Tagen waren sie hier. Auch von Gräfin Hatzfeldt soll ich Dich grüßen. Sie ist noch immer hier und besucht uns bisweilen ganz ungeniert. Wir gefallen ihr sehr gut, und ich muß gestehen, daß wir unsere Meinung über sie sehr geändert haben. Es ist merkwürdig, eine Frau von 56 Jahren und noch in dieser blendenden Schönheit.
In Bezug auf Schurz' heimtückisches Benehmen kann ich Dir noch nichts Bestimmtes mitteilen als eben meine und Marys begründete Vermutung. Ich werde erst Bestimmtheit erlangen, wenn wir den Gesandten hier haben. Eine briefliche Interpellation würde undiplomatisch sein, wäre sie auch noch so geschickt angebracht.
Foy wartet auf eine bestimmte Einladung von uns. Bis jetzt war ich noch nicht disponiert dazu.

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, den 1. März 1862

Wäre ich meiner Ahnung gefolgt, als Du fortgingst, und wäre ich in ein kleines, bescheidenes Häuschen, vielleicht gar vor Zürich gezogen, ich wäre jetzt nicht in der Not und wäre vielleicht auch nicht vor Sorgen krank geworden. Aber diese Kosten, Steuern und was alles, konnte ich nicht herauspressen aus dem, was mir Herr Kamp zukommen ließ. Wenn er auch mit bombastischen Worten sagte, ich solle mich nicht genieren usw., so wußte ich doch, daß ich nicht wiederkommen dürfe. Wenn uns nicht bald geholfen wird, so sind wir heute in acht Tagen wohl schon aus der Wohnung ausgewiesen. - Wohin denn mit Nichts? - Ich weiß es nicht. Ich kann niemanden bitten - vielleicht in der letzten Not, um fortzukommen. Zellers sind zu eigennützig, um für den Sommer nicht über das Quartier, nach dem viele fragen, gerne zu verfügen. Wir haben jetzt überhaupt kein Geld mehr. Morgen soll Minna zum Antiquar bringen, was möglich ist. Ich lebe jetzt von nichts, d. h. von Schuldenmachen. In den Apotheken konnte ich nicht bezahlen. In dem kleinen Kramladen habe ich wieder ein Buch anlegen lassen, so teuer und schlecht auch dort alles ist. Die Brotrechnung steigt zu einer enormen Höhe, und Frau Spörri ist nicht bezahlt fürs letzte Quartal. Der edle Herr Booth, der wie Mary erwartet hatte, nach seinem Versprechen um diese Zeit Geld senden werde, sagt, er kann nicht. Aber sie soll nicht in Despair darob geraten, sondern auf den Himmel bauen. Wenn Gerrit Smiths Familie kommt, werde ich dem Herrn ein Monument setzen und überhaupt meine Meinung aussprechen.
Deine Mitteilungen bringen mich zur stillen Verzweiflung und immer tiefer in meinen trostlosen Zustand. Der gewissenlose Booth geht systematisch fort in seiner Handlungsweise. Ich glaube, ich werde ihm noch einmal schreiben, aber aus einer Tonart, wie er sie noch nicht gehört. Wenn ich nur erst besser wäre. Ach, es ist so traurig bei uns, und rund um uns her alles so blühend und frühlings-hell.
Und Amalie Struve auch tot! So gehen sie alle so langsam. Heinrich Struve zeigte mir den Tod an. Die armen zwei Kleinen, die sie hinterließ! Nur nicht sterben, bevor die Kinder herangewachsen sind - das erflehe ich mir vom Geschick.
Ich will mich auf die Einzelheiten Deiner Stellung nicht einlassen, das Schreiben wird mir schwer, und ich soll es auch nicht. Stürze Dich nicht voreilig in den Kampf, um Dein Leben in Unmut zu opfern. Laß es Dir für Deine zwei Kleinen zu teuer sein.
In Preußen werden die Zustände gut. Zum dritten Mal die Kammer aufgelöst! Die Neuwahlen sollen nicht gottgefälliger werden. In Italien rührt's sich und in Paris dämmert's. Das Buch Varnhagens kommt zu einem merkwürdigen Zeitpunkt und berührt schwache Seiten im Vaterlande auf die empfindlichste Weise. Ich habe der Criminalzeitung Auszüge gesandt.

Mathilde   
an Fritz Anneke   
Zürich, Sommer 1862
genaues Datum fehlt

Mein lieber Fritz!
Lange habe ich Dich zu den Toten gezählt. Schreiben konnte ich nicht mehr an Dich. Der Gedanke hatte mich zu fest gepackt, und bei meiner Krankheit, die mich nun schon seit vier Monaten zu einem untauglichen Wesen macht, konnte ich mir nicht einmal gestatten, m it Dir schriftlich zu verkehren. Seit 14 Tagen habe ich ein rheumatisches Fieber, in welchem, wie mir der Doktor sagt, das schlimme Gichtleiden aufgehen soll. Wir wollen's hoffen.
Die größte Freude, die ich seit den letzten Monaten hatte, wurde mir durch zwei Briefchen, die ich auf einmal durch die Expresspost der Allgemeinen erhielt, zuteil. Eine aus Willichs Lager vom 14. April, ein anderer vom 21. April von Shiloh Plains. Aus diesen Briefen wehte mich eine frische Energie aus Deiner Seele an, die auch auf die meine überzugehen vermag.
Während Du das künftige Schlachtfeld mißt oder gar schon in blutigem Kampfe stehst, erzähle ich Dir, als ob nichts bei Dir geschehe, von unseren gemütlichen Dingen. Die Blumen von Tennessee - ich werde nur ein kleines Veilchen für mich und Herthachen behalten können. Die übrigen werden mir abgefordert, wie Du denken kannst. Und geben uns die süße Botschaft, daß Du nicht nur an Schlachten und Krieg denkst. Wir danken Dir alle für Deine lieben schönen Blümchen.
Etwas später. Wenn auch die hartnäckigen Gichtschmerzen noch an mir haften, so habe ich doch die damit verbundene geistige Schwäche und Melancholie abgeschüttelt. Ich darf wieder mehr an die Luft gehen, nehme Sitzbäder, gebrauche nur neben der Citronen-kur noch wenig Medizin und habe Hoffnung auf Wiedergenesung. Es ist auch Zeit. Vier Monate fast stets im Bette - und mutlos.
Wie ich mit meiner kleinen Sippschaft durchgekommen, ohne die geringste Hilfe seit jener Zeit, wird Dir ein Rätsel sein. Ich hatte mich nicht eher gelegt, bis ich nicht wenigstens das Letzte getan, versucht, was mir nötig und möglich erschien. So hatte ich seit Anfang des Jahres mit der Didaskalia angeknüpft. Ich sandte und schrieb für sie mit Erfolg. Die Redaktion hatte Gefallen an dem und trug mir eine größere Novelle für sie zu schreiben auf. Die »Sklaven-Auktion« gefiel ihr; ehe sie noch abdruckte, sandte sie mir das Geld, 43 Gulden, l.exow schickte ebenfalls 30 Dollar. Auf das Geisterhaus kam ein Vorschuß von 25 Franken. Mary empfing 80 Fr. von Mrs. Smith (20 Dollar von Booth, das einzigste, was wir von ihm sahen, wovon die höchste Not für Kleidungsstücke für Mary gedeckt wurde). Ich konnte also Frau Spöri bezahlen, konnte auch dem Bäcker einen Teil abtragen und mit der größten möglichen Sparsamkeit bis an diesen Tag kommen. Nun sind freilich Fleischer und Viktualienhändler in großem Kredit, aber wir sind doch so weit in Ehren gekommen. Jetzt ist aber auch alles hin. Manuskripte und Geld. Kapps waren die liebevollsten und hilfreichsten Freunde von allen. Auch Emma Herwegh war voll Teilnahme. Sie lieh mir sogar einmal 50 Franken, die ich ihr bis auf 5 zurückerstattet habe. Obwohl ich keine drei Franken mehr besitze, so bin ich trotzdem nicht besorgt. Kommt Zeit, kommt Rat! Und wollte ich mich gar entschließen, der Gräfin Hatzfeldt meine Verhältnisse mitzuteilen, ich wäre aus jeglicher Not für den Moment. Sie wohnt nämlich seit einigen Tagen im 2. Stock. Sie ist die Freundin und gütige Fee unserer Kinder, die sie mit allem Schönen beschenkt. Sie ist die Herzensgüte selbst
Durch Booth ist die Nachricht gekommen, Du seiest Chef der Division McClernand. Deine Artikel in der Allgemeinen interessieren uns ungemein; durch diese Deine fleißige und mühsame Arbeit, wie auch durch einzelne Artikel von mir, werden wir gewiß wieder aus der ersten Verlegenheit gerettet. Wie oft hat die Feder uns doch schon geholfen.
Lieber Fritz, Dein letzter lieber Brief vom 1. und 4. Mai ist in meinen Händen. Hast also endlich die Dir würdige Stellung gefunden. Bleib uns gesund und lebendig auf dem gefährlichen Posten. Wenn Du kannst, schreib uns. Ich werde jetzt auch wieder regelmäßig Dir Mitteilungen machen können. Die böse Zeit wird ja wohl auch für uns vorüber sein. Die Kinder schreiben Dir oft, aber ich habe nicht die Kraft gehabt, es zu expedieren. An Vater habe ich augenblicklich die Mitteilung Deiner festen Stellung in der Armee gemacht. Ich habe ihm ein paar Mal geschrieben während meiner Krankheit im Bette. Aber er hat von derselben gar keine Notiz genommen
...

Mathilde
an Fritz Anneke   
am.29. Juli 1862

Wenn das Volk drüben nicht aufsteht, wird dann das Militär selbst nicht zu einer Revolution sich erheben müssen? Was wird aus diesem Krieg und aus dieser Kriegführung werden? Dieses Hinschlachten der Menschen und Vergeuden der Mittel, um gewissenlose Halunken General spielen zu sehen. Da hört doch alles auf. Und dazu noch die Unwissenheit der militärischen Kritiker. Als solcher
sich auch einer in der Allgemeinen breit macht, der endlich nach der siebentägigen Schlacht bei Richmond den Vorteil aus diesem Blutbade gesehen haben will, in dem Verzettler McLellan einen großen General zu erkennen. Der Herold bringt Nachricht von Gefechten um Nashville, Tennessee. Da wirst Du vielleicht Arbeit gehabt haben. Wenn Du nur nicht zu früh wieder Deinen halbgeheilten Rippen vertraut hast...
Das Frankfurter Einheitsduselfest hat acht Tage gedauert. Beust sagte, es sei sehr schön gewesen. Er war da. Die Philister haben geredet und geschwärmt, daß sie sich bis zu Tränen gerührt haben. Der Kaiser Wilhelm, der Gartenlauben-Prinz von Coburg, dieser dumme Teufel, hat die Schützenbande gelobt, daß sie Ehrerbietung dem Fürsten, Hochachtung dem Schützenpräsidenten (das ist er) usw. usw. bewiesen haben. Michel muß sich viel gefallen lassen

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich 12. August 1862

Ich habe eine kleine, niedliche bäuerliche Wohnung ab September gemietet. Sie heißt »Zum Obstgarten« und liegt wirklich in solchem, etwas mehr im Tale, Gemeinde Hottingen. Die Schule ist nahe, Hepp ist nicht fern, und Kapps, die ebenfalls dort auf der Platte wohnen, können uns schneller wie hier beispringen. Der jährliche Mietpreis ist 430 Franken. Das ist ein großer Unterschied. Obst und Gemüse und Milch etc. im Hause soll mir für billigen Preis geliefert werden. Die Kinder sollen große Freiheit im Garten genießen, und so hoffe ich, wirklich weniger Sorge und Angst zu haben, wie hier bei den bösen Zellerbauern. Mit wahrem Verlangen sehe ich der Stunde entgegen, wo ich mit allen glücklich dem Hofacker entronnen bin. Ach, ich habe eine schwere Zeit im letzten halben Jahr hier verbracht. Herr Gritzner und eine liebe Familie Fasi Gessner, Enkel von Lavater, waren neben Kapps die einzigen teilnehmenden Freunde. Emma Herwegh freilich auch und zuletzt dann Gräfin Hatzfeldt. In der neuen Wohnung habe ich vier nicht große Zimmer und Küche. Wenig Holz werde ich bedürfen. Die Aussicht ist ebenso schön wie von hier. Ich hoffe still und meiner Wiederherstellung leben zu können...

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, den 4. September 1862

Mein lieber guter Fritz!
So bist Du jetzt schon wieder ein Jahr von uns fern. Ach und wie fern! Wo, wo bist Du? Seit dem 13. Juli datiert Dein letzter Brief, den ich empfing. Seitdem keine Zeile, keine Kunde irgend von Dir. Bist Du vom Feinde umringt? Warst Du in Gefechten, bist Du krank geworden infolge Deines Rippenbruches, den Du zu leicht nahmst? Alles das sind Fragen, die mich mit den tiefsten Sorgen - und heute an dem traurigen Abschiedstag, an dem ich Dich mit Percy morgens früh zur Bahn leitete - mehr denn je erfüllen. Ich ließ Dich mutig ziehen, aber ich wußte ja nicht, wie trostlos diese weite Trennung für uns und die Kinder werden würde, und nun kein Ende von den Kämpfen drüben abzusehen ist.
Die Gräfin Hatzfeldt ist abgereist. Rüstow liegt in den Netzen dieser alten Dame, die in der Tat eine mir unbekannte Macht auf die M änner zu haben scheint. Es gibt doch widerliche Situationen in dem Genre »Liebe« oder wie man es nennen will. Garibaldi hatte den »Helden von Capua« nicht berufen. Das deprimiert ihn total. Gegen Dich hat Rüstow übrigens ein günstiges Urteil, und mehrere Male s.igte er mir, es tue ihm leid, daß Ihr Euch nicht nähergetreten wäret. Daran seien aber Herweghs schuld, die niemals eine Vermittlung abgeben würden zwischen Menschen, die zusammengehörten

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, 21. September 1862

Lieber guter Fritz!
 In der vorigen Woche überraschte Franziska mich. Sie kam von Heidelberg. Hammacher ist mittlerweile in Schottland. Franziska war ganz die alte geblieben. Sie sah noch immer recht hübsch aus. Ich machte ihr nicht viel Freude, ich war ihr zu ernst geworden. Sie mag wohl recht haben. Ich folgte ihrer Einladung zu einer Reise nach Chur und Pfäffers, die zwei Tage dauerte. Die Tamina-Schlucht hat mich derartig überrascht, daß ich noch einmal jubeln konnte. Ein Sommeraufenthalt dort mit meinen Kindern, mit Dir, würde mich glücklich machen...
Die Zeitungen brachten die Depesche von einem glücklich bestandenen Gefecht der unseren bei Bolivar. Ich bin auf der Karte gut zu Hause, und mit Percy verfolgte ich den Gedanken, daß Du dort schlagen halfst. Dein Brief, datiert zuerst aus Bolivar, dann aus Springf ield, zeigte mir, daß Du wiederum am Vorabend des Schlachtgetümmels Platz machen mußtest. In Tennessee war ich nun sicher, daß die Gelegenheit da war, Deine Kriegskunst zu zeigen, aber dennoch nicht. Bald gestehe ich, bin ich schwach genug, mich dem Glauben an Dein böses Verhängnis zu ergeben. In Deutschland, wo - wie mir Beust sagt - man es Dir zum Vorwurf macht, daß Du Rastatt in jenem schlimmen Moment verließest, wagt man auszusprechen, daß Du Dich im amerikanischen Kriege gleichfalls vor der Schlachtengefahr hüten werdest. Ich muß gestehen, eine solche Anschauung der Dinge von ehemaligen Freunden, ein solches Verkennen Deines eigentlichen Wertes, schmettert mich fast zu Boden. Ich interpellierte bei Beust deshalb, ich wollte wissen, was er davon meine. Er antwortete, er würde sich niemals haben in Rastatt einschließen lassen, aber er würde niemals eine Stellung wie Deine von vornherein angenommen haben. Er erzählte mir ferner, daß er, als Becker und Essein ihre Lügenhistorien in die Welt gesandt und gesagt haben, daß Du und Beust im Gefecht bei Ubstadt mit in der allgemeinen Flucht Euch befunden, an Becker geschrieben habe, aus welcher Quelle er schöpfte. Dieser geantwortet, Sigel habe so gesagt. Darauf habe er an Sigel geschrieben, der an Gögg verwiesen habe. Darauf habe er Gögg zur Rede gestellt, und dieser habe bekannt, daß er allerdings dieser Meinung sei. Zur näheren Motivierung habe er angegeben, daß er Euch da und da begegnet sei im allgemeinen Wirrwarr. Beust sagt, es sei richtig, daß Ihr drei einen Rat auf einem Hügel gepflogen und zusammen heruntergekommen und in das Gewühl geraten seid, und daß es möglich sei, Gögg habe so meinen können.
Aber nun bitte ich Euch, solche Irrtümer berichtigt Ihr nicht??!! Nicht dann, wenn es Zeit ist? Jetzt ist es natürlich zu spät. Jetzt kannst Du nur mit dem Schwert in der Faust die Irrtümer auslöschen und nicht dulden, daß Deine Feinde über Dich triumphieren. Ich werde sterben vor Gram, wenn diese Scharte nicht ausgewetzt wird. Ich kann es nicht erleben, daß Deine Feinde und Gegner, Sigel und Schurz, Triumphe neben Deiner Verdunkelung feiern. Ich war niemals ruhmsüchtig - bei allem, was ich liebe, ich war es nicht. Aber die ewige Schmach, wie diese drohende, vermag ich nicht geduldig zu tragen, will ich nicht mit mir ins Grab nehmen. Verlaß Dich nicht auf Deine Tugenden und Verdienste. Die Menschen haben keinen Blick dafür, sie zu würdigen, wenn ihnen nicht auch der äußere Glanz dafür zur Hilfe kommt. Ich bitte Dich auch, suche den kleinen, persönlichen Kriegen auszuweichen. Sie bringen keine Ehren und keinen Gewinn. Die Satisfaktion von einem Narren, der Dich beleidigt, läßt Dein Schwert nicht glänzender erscheinen. Ich fürchte, daß Deine große Reizbarkeit Dich häufiger als nötig in kleine persönliche Konflikte bringt

Mathilde
an ihre Mutter in Milwaukee   
Zürich, am 25. Sept. 1862

Ich habe mittlerweile endlich einen Brief von Fritz vom 2. September aus Springfield, Ill., bekommen. Ich hatte ihn endlich in siegreichen Gefechten geglaubt. Indessen disponiert sein seltsames Verhängnis wieder über ihn nach Gott weiß welchen Gegenden. Schurz - sein guter Stern beleuchtet auch noch die auf seinem Generalshaupt entsprossenen glänzenden Lorbeeren. Wenigstens fehlt es dem Manne nicht an Mut und Geschick, sich in eine Position hineinzudrängen, in welcher er erringen und erreichen kann, was er will. Das ist wahr. Ich bin gerecht genug, ihm den persönlichen Mut, den ich ihm stets zutraute, und den er auf dem Schlachtfelde jetzt bewährt hat, als Sühne für die Arroganz, sich zum General zu machen, gelten zu lassen. Sein Glück verläßt ihn unter Kugeln nicht. Diese sind galant genug, den Hut ihm triumphierend vom Kopf zu schießen, aber seinen Kopf zu schonen. Fritz versteht es nicht, irgendwelches Wagnis zu machen, um darauf mit Sicherheit und Selbstvertrauen sein gutes Glück zu gründen. Er ist ein zu scharfer Mathematiker, der nichts dem Zufall - alles nur der Berechnung gutschreibt. Ich verliere den Glauben an seine gediegenen militärischen Kenntnisse, die das Vaterland in diesem Augenblick mehr denn je nötig hat, aber nicht gebraucht, - nicht. Aber den Glauben an seinen kriegerischen Genius habe ich noch nicht besessen. Ein kühnes, anregendes Wort von Dir, liebe Mutter, ist in solchen Zeiten wie die heutigen ein Heiliges. Schreib es für ihn nieder und sende es ihm, es wird ihn ermutigen und erheben.
Die Nachrichten lauten so betrübt von dort, daß ich weinen könnte. Das Vaterland, das wir uns freiwillig als solches erkoren, und die Freiheit in so ernster Gefahr! Wie tragt Ihr drüben diese schmerzliehen Gedanken; wie werdet Ihr die Schwere des Geschickes selbst ertragen!? Wer leichtsinnig darüber hinweg denken kann, begreift, nein ahnt es nicht, was kommen wird und das Haupt eines jeden einzelnen trifft. Das persönliche Wohl oder Wehe schwindet in diesem Augenblick gänzlich in dem drohenden Verhängnis des Allgemeinen. Manchesmal ist es mir, als wollte ich hinüberfliegen und - ein Tropfen im Meer zwar nur - helfen, was zu helfen gibt. Dann aber spüre ich meine eigene Ohnmacht und Kränklichkeit, und ich muß glücklich sein, weit genug vom Schauplatz der Schrecken weilen zu können. Mary vertraut, wie ihre übrigen Landeskinder, dem blinden Glück der Union. Unser Freund, der Gesandte Mr. Foy in Bern, fängt an zu fürchten. Ich vermute, daß die Kräfte des Westens im Osten zusammengezogen werden und Fritz vielleicht bei dieser Dislogierung ein offeneres Tatenfeld findet. Schreibt mir oft, ich bitte Euch darum, besonders in dieser Zeit, in der man zwar weit vom Schuß, doch die Schrecken nicht minder empfindet.
Von Pauline und den Kinderchen habe ich vor einigen Tagen Briefe empfangen. Sie sehnt sich sehr nach mir. Ich habe gerade etwas preußisches Geld empfangen, das will ich den Kinderchen /um Andenken senden. Wenn ich wieder gesund bin, so kann ich sie öfter erfreuen. Meine Freundin Cäcilie Kapp, die sie in meinem Auftrag besucht hat, ist voll von ihren schönen wohlerzogenen Kinderchen. Louischen strickt für Hertha alle Strümpfchen und sendet sie, wo sie kann. Es hat für sie so etwas Tröstliches, daß wir hier sind.
Von Gerrit Smith empfangen wir oft und liebe Briefe. Wie wahr hat der große Weise das Schicksal der Union vorausgesagt. Hätten die Schwätzer ihn hören wollen, da es Zeit war. Aber sie wollen noch nicht, und der Rassenhaß oder besser die Vorurteile der dummen
Menge, wie sie sich oftmals, wie z. B. in der Korrespondenz des Banner vom 9. Reg. aussprechen, lassen fürchten, daß wir diesen Dummheiten noch manches Opfer tragen müssen. Übrigens redigiert Freund Zündt das Paper mit vielem Geschick, schreibt manche schöne Artikel, die ich wohl erkenne und umschifft die Klippen und demokratischen Sandbänke ziemlich gut. Wenn mir noch Platz bleibt, schreibe ich ihm noch, sonst Grüße und bis zum nächsten. Auch Carl Anneke, an den ich schon lange vorher Briefe angefangen und an seine Familie Grüße. Von Märklin höre und sehe ich nichts, als dann und wann vortreffliche poetische Ergüsse in dem Beobachter am Hudson. Es scheint, der hat Dir die »Sklaven-Auktion« nicht gesandt

Mathilde
an Fritz Anneke   
Herbst 1862

...Hier zulande sieht es übrigens heiter aus. Wenn Ihr nicht bald, bald die Rebellen auf die Häupter schlagt und beweist, daß die Republik Kraft und Macht und Lebensfähigkeit hat, so sind wir hier geschlagen. Geschlagen für Gott weiß ewige Zeiten. So blühend war die Reaktion noch nie In Deutschland ist das Volk so weit zurück, zurück in seinem Nationaldusel, in dem es nicht an seine republikanische Verfassung, sondern nur an seine Kaiserkrönung denkt. Ernst Coburg, der Gartenlaubenkaiser, sieht sich schon auf seiner Ehrenburg. Es hat mich recht amüsiert, wie ohnlängst der deutsche Feldherr Rüstow mit einer Tabakdose in Brillianten von ihm beehrt wurde. Den Hausorden, den er ihm zugedacht hat, hat er ihm doch freundschaftlich zurückgewiesen

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, 25. September 1862

Wie wird es wohl drüben stehen in diesem Augenblick? Ich muß Dir gestehen, daß der Gedanke an unsere erkorene Heimat und an ihre Gefahr mir schmerzlich durch die Seele zieht. Washington kann, wie mir scheint, nicht mehr gehalten werden. Ist Sigel wirklich der große Feldherr und kann er in dem letzten Augenblick der Not das Führerschwert an sich reißen, vielleicht mag es dann noch eine andere Wendung nehmen. Ihm vertraue ich mehr als irgendeinem am Potomac. Mein Wunsch ist, daß Ihr endlich einmal aus diesem westlichen Winkel herausbeordert werdet und Du bei der Gelegenheit auf die Schlachtfelder kommst, nach welchen der Blick der Welt sich richtet...
Von Gerrit Smith's Familie bekommen wir immer liebe Briefe. Gestern teilte die Tochter uns mit, daß sie gerade von Mrs. Stanton einen Brief empfangen, worin die verständige Frau also schrieb:
»möchten die Southerners kommen und plündern dies ganze Nest (Washington). Möchten sie Old Abbe samt Seward und McLellan nach einem ihrer Forts nehmen und so lange festhalten, bis wir hier das Schiff wieder in den richtigen Kurs gesteuert haben.«
...

Mathilde
an Fritz Anneke
Zürich, 12. November 1862

Mein lieber Fritz!
Der letzte Brief von Dir, den ich vor einigen Tagen empfing, ist vom 13. Oktober in Springfield geschrieben. Die beste Nachricht darin ist, daß Du gesund bist. Wenn Du den Kriegspfad wirklich verlassen willst, so ist es ein großer Trost für mich, daß Du heiler Haut geblieben bist.
Ich sehe immer mehr ein, daß Du isoliert stehst in Deinem Denken und Handeln, und daß Dir dies zu Deinem äußeren Glück wie auch zum Erringen einer beglückenden Tätigkeit für die Mit- und Nachwelt stets hinderlich ist. Nur einmal in unserer Vergangenheit, das war in Newark bei der Gründung der Schule, wo Dein Streben durch den Erfolg so herrlich gekrönt wurde, hielt meine Behauptung nicht stand. Dort hast Du Dich mit wahrer Weisheit und Geduld in die Denkweise Deiner oft rohen und stupiden Umgebung so lange gefügt, bis der Moment kam, wo Du das Heft in der Hand hieltest und die Scheide zeigen konntest, mit welcher Du ein Modell formtest, das nicht nur anerkannt wurde fern und nahe, und als solches dienen mußte, sondern auch einen Segen für die Ewigkeit in sich barg.
Ich habe noch nie daran geglaubt, daß Du, mein lieber Fritz, zum Kriegshelden geboren warst Hätten Deine Energien Dich wirklich auf Schlachtfelder gedrängt und Dich mit Lorbeeren dort gekrönt, ich würde es dem Zufall nicht aber Deinem kriegerischen Genius gutgeschrieben haben. Ich glaube, was diesem eigen sein muß, besitzest Du nicht. Und hast Du es jemals zu eigen gehabt, so ist es Dir im Laufe der Zeit und namentlich in den langen Jahren unter preußischer Kriegszucht verloren gegangen. Unter ihr ist eine gewisse Abhängigkeit Dein Teil geworden, mit welcher behaftet Du Dich nicht zu kühnen und genialen Wagnissen aufschwingst, wenigstens die Ausführung Deiner besten Ideen nicht im rechten Momente vollbringst. Es ist ein gewisser Mangel an Selbstvertrauen, an genialem Zugreifen. Es fehlte dies damals allen in Preußen geschurigelten Männern. Keiner von Euch hatte zu sich selbst Mut und Vertrauen genug, die Führung zu übernehmen...
Mit dem großen Sigel ist's noch schlimmer. Der gute, oder wie Kapp sagt, der erste und beste Mann von 48, unter tausend Deutschen der Union, die dort fechten, was hat er getan? Hätte ich die Macht hinter mir, die er hat, ich wollte ihnen das Schwert aus den Händen gewunden haben, wie der schlaue Don Carlos es tun würde, wenn er die Macht dazu hätte, d. h. die Kenntnisse, die kriegerischen
...

Mathilde
an Fritz Anneke
20. November 1862

Danke Butz schon im voraus in meinem Namen für seine Lieder, die er mir senden lassen will. Ich bin ein guter Liederhort, das können die Dichter nur glauben.
Uhland tot!
Kinkel schickt mir auch manche seiner Kinder im Manuskript. Das letzte gab ich der Criminalzeitung zum Besten. Kinkels kleiner Gottfried - an Körper wirklich fast so klein wie ein Däumling, aber an Wissen ein kleiner Riese - besucht mich bisweilen, um mir zu erzählen, wie's in der geistigen Welt aussieht; er geht täglich zum Museum. Eben war er hier, um mir zu erzählen, daß der erste Teil meiner Arbeit im Ausland bereits abgedruckt; es folgen noch drei Teile.
Das böse Jahr ist bald vorbei. Als ich am vergangenen Sylvester von einer Fete bei Herweghs kam, Deine Briefe vorfand, die so viel Trauriges und Hartes enthielten, stürzten mir die Tränen fort und fort aus den Augen. Ich sagte zu Mary: Das wird ein trauriges Jahr - und ach, wie traurig!
In Michigan haben die Republikaner einen Sieg, also hat Emil wirklich den Auditeurposten erreicht. Es freut mich für ihn und die Seinen. Ich kann Dir keinen Rat in Bezug darauf geben, viel weniger noch eine Entscheidung. Du weißt, ich habe das noch nie getan in Dingen, von denen Deine Zufriedenheit abhing. Tu was Dir gut scheint und mit Deiner Ehre und Deiner Liebe zu uns verträglich ist. Wenn ich meine Krankheit überwinde, und Du Deine Kämpfe dort, so hoffe ich dereinst mit Dir die alten Tage im Glück unserer Kinder zu verleben. Übrigens bist Du frei in allen Stücken, auch ehe noch mein Tod Dich frei macht

Edmund Märklin
an Mathilde   
Camp Washburn b/Milwaukee, 10. Januar 1863

Meine liebe teure Freundin Mathilde!
Recht gut können wir uns denken, daß Ihre Erwartungen bezüglich einer Antwort auf Ihr letztes Schreiben höchst gespannt sind, daß Sie ungeduldig einem Brief mit dem Poststempel Milwaukee entgegensehen. Aber die Natur Ihrer Anfrage und Aufträge machte eine lange Pause notwendig. Trotz aller Nachforschungen konnte ich nämlich keine Frauenzeitung auftreiben, und die Nummern in Ihrer alten Kiste im Greveschen Lokal sind mit derselben spurlos verschwunden.
Bei meinem Besuch in dem Greveschen Haus, den ich noch an demselben Tage abstattete, da mir Mr. Barth Ihren lieben Brief überbrachte, wurde mir die überraschende Kunde zuteil, daß Ihre Kiste ausschließlich der Mrs. Reis anvertraut war und von letzterer bei ihrem Auszug aus dem Haus mitgenommen worden sei, daß ferner auch im Falle des Vorhandenseins besagter Kiste die lesbaren Gegenstände als Bücher, Zeitschriften, Manuskripte jedem Menschen zur beliebigen Disposition gestanden, indem der Deckel fehlte, teils entwendet, teils weil das erwähnte Möbel lange Zeit in 4 Fuß tiefem Wasser im Keller geschwommen, vollständig verfault und unbrauchbar geworden sei. (Unleserlicher Rest, Inhalt, daß Frau Reis alles Entbehrliche verkauft habe, daß keine Exemplare oder Manuskriptreste auffindbar; d. Verf.) So leid mir die Nichtgewährung Ihrer Wünsche tut, so bin ich doch fest davon überzeugt, daß Ihr reger und erfinderischer Geist den ärgerlichen Unfall nicht lange bedauern sondern sogar segnen wird. (Es handelt sich um das fertige Manuskript einer Novelle über die Indianerprinzessin Pokahontas, welches Mathilde an eine Zeitung verkaufen wollte; d. Verf.) Die indes längst bekannte Pokahontageschichte nämlich ist, wie Sie bereits wissen werden, von Ereignissen in unserem Nachbarstaat Minnesota gänzlich in den Hintergrund getreten. Im Norden dieses frisch besettelten und rasch aufblühenden Staates hatten sich die Sioux Indianer (Dakotas) ein  hinterlistiger, aber kriegerischer Stamm, durch südliche Agenten aufgestachelt, erhoben, und Mord und Brand bezeichnete die Wege dieser Satane. Durch betrügerische Regierungsbeamte um ihre Jahresgelder und Lebensmittel betrogen, hatte sich der den Sioux sonst feindlich gesinnte Stamm der Chippowas mit jenen verbunden und sengte und mordete auf den Ansiedlungen dem Cottonowariver und dem Mississippi entlang drauf los. Die blühende deutsche Turnerkolonie Neu-Ulm war der Schauplatz zweier heftiger Angriffe von Seiten der Rothäute, nachdem kurz vorher Weiber, Kinder und Kranke nach dem benachbarten Manitowo oder St. Peter geschafft worden waren. Neu-Ulm ist halb zerstört, Mühlen und sonstige Etablissements vollständig abgebrannt oder unbrauchbar gemacht. Von den Bewohnern des Settlements über 20 im Kampf getötet und die dreifache Zahl verwundet. Otto Barth der früher längere Zeit in Milwaukee in Druckereiofficen als Setzer beschäftigt war, Herausgeber und Redakteur des Neu-Ulmer Pionier, flüchtete, von den Rothäuten von seinem Vorposten gedrängt, in eine Scheune, die deshalb von den Kannibalen angezündet wurde. Barth entkam zwar aus dem brennenden Gebäude, aber gebraten und geschunden, in die Linien seiner Kampfgenossen, starb nach 2 Tagen unter den unsäglichsten Schmerzen an seinen Wunden in Mondoto. Die Indianer Minnesotas sind nicht die harmlosen Kinder der Natur, mit dem Schmerz um die teure Heimat auf den Lippen, sondern ein rohes, viehisch, sinnliches Volk, das keine Spur der Cooperschen Ritterlichkeit aufzuweisen hat. Die Zahl der von den Indianern in Minnesota meuchlings ermordeten Weißen beträgt etwa 6 bis 700, wovon eine unverhältnismäßige Zahl wehrloser Frauen und Kinder. Der weitaus größte Teil gehörte der deutschen Bevölkerung an. Die Art und Weise wie mit Weibern und Kindern verfahren wurde, kann nicht beschrieben werden. Nur des Beispiels wegen sage ich schon, daß den meisten Kindern mit dem stumpfen Teil der Tomahawks der Schädel an 6-10 verschiedenen Stellen eingeschlagen wurde und manche noch lebend in diesem Zustand gefunden wurden. So trat z.B. als Zeuge gegen die 300 gefangenen Rothäute ein Knabe von 11 Jahren mit schrecklich massakriertem Kopf, der wunderbarerweise wieder geheilt wurde, auf und zwar speziell gegen seine Peiniger. Von den 300 gefangenen Indianern wurden kürzlich 39 der Haupträdelsführer in Monkato gefangen. Übrigens muß man im Ganzen den größten Teil der Schuld an diesem Unglück der korrupten Verwaltung in den Agenturen zuschieben. So erschienen kurz vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Chippowas mit ihren halbverhungerten Weibern und Kindern vor Fort Swelling und verlangten die längst fälligen Gelder und Lebensmittel in einer gegebenen Frist. Und als diese von den schuftigen und herzlosen Behörden unberücksichtigt verstrichen war, schlugen die Wilden los. Da haben Sie ein Sujet, das in die Gegenwart hereinleuchtend für schriftstellerische Bearbeitung dankbar genug ist. Wie ich höre und lese, interessiert man sich in Europa für diese Kämpfe in unserer Republik auf das Lebhafteste. Behandeln Sie diesen Stoff, dem unser Bürgerkrieg seine historische Folie verlieh, in entsprechender Weise, und ich garantiere Ihnen Ihren Erfolg.
Und was soll ich Ihnen ferner von unserer glorreichen Armee schreiben! Du lieber Gott! Diese glorreiche Armee wird jetzt, wo sie akkurat so weit ist wie im vorigen Jahr, ihre Winterquartiere beziehen und Oncle Sam's Pore + Crackers verspeisen. So lange die Welt steht, hat sich das Verbrechen und die Unfähigkeit nie so breit machen können wie in diesem Krieg. Die von oben herab protegierte Schurkerei hat pyramidale Dimensionen angenommen, und den Gedanken drängt sich täglich die Frage auf, ob ein so durch und durch verdorbenes Volk noch lange der Selbstregierung fähig sei. Trotz der bodenlosesten Betrügerei der Armee-Spekulanten, trotz des erwiesenen Verrats und der allbekannten Unfähigkeit gewisser Heerführer entläßt man diese nicht, sondern überhäuft sie noch mit Ehren. Und dieses Volk hat keinen Tropfen Blut in sich, um sich in Massen zu empören. Das Hinschlachten von Hunderttausenden bereitwilliger Menschen sieht es mit einem Stumpfsinn an, der uns Achtundvierzigern total unbegreiflich ist. Welche Mühe und welche Selbstüberwindung kostet Lincoln nicht die Absetzung McClellans, trotz dessen sprichwörtlich gewordener Undichtigkeit. Das Verdienst hingegen, besonders der im Ausland Geborenen, wird auf eine Weise behandelt, welche deutlich zu erkennen gibt, daß man hierorts lieber die Republik zum Teufel gehen lassen als durch fähige Generäle retten lassen will. Sigel mußte den Kelch der bittersten Kränkungen leeren bis auf die Neige, ehe er Mächtigung erhielt, sein Genie zu entfalten.
Fritz ist wieder nach langer Umfahrt und erfolglosem Hin- und Herstoßen auf einen Posten gekommen, auf dem er viel Gutes wirken kann und auch schon Unglaubliches geleistet hat. Alles gratuliert ihm zu seiner Stellung, wozu ihm seine besten Freunde und selbst sein früherer Chef dringend rieten. Der Weg ist mühsam und mit Chicanen besät, und doch bieten sich Fritz als Oberst eines Infanterieregimentes bessere Chancen, als eine momentan höhere ihm geben kann. Die Presse hat die erbärmliche Coujonage gegen ihn gehörig gegeißelt, und deshalb ist die Satisfaktion, die er als Chef eines Regimentes erhalten, auch mit Freuden begrüßt worden. Sein Regiment geht trotz aller anfänglichen Chicanen der Completierung entgegen und Offiziere wie Gemeine sind nicht wenig stolz darauf, unter ihm zu dienen. So ergeht es auch dem hospital Stewart oder Militärapotheker des Regiments, der die Ehre hat sich als Correspondent der lieben guten Tante Tilla, dieser bestens zu empfehlen. Ja, bei Gott, meine treue Freundin, ich diene wirklich in dieser Eigenschaft im 3ten (oder 34) Milwaukee or Wisc. Regiment und bewohne seit drei Wochen das Hospital auf diesem Camp. Was sagen Sie dazu und Maria? So ein alter Freischärler ist halt unverbesserlich. Und was sagt Linchen dazu, werden Sie fragen? Ja nun diese findet sich in die Notwendigkeit und dies umso mehr als meinem Wunsche, der Republik in der Stunde der Not meine Hand zur Hilfe zu reichen noch finanzielle Bedrängnis zur Seite standen. Wie Sie vielleicht schon wissen, hat Greulich, Carls Brotherr, sein Geschäft verkauft und der letztere seine Apotheke wieder zu verwalten, wodurch wir wieder an die Luft gesetzt wurden. Ich trat deshalb für 135 Dollar als Einsteher ins Regiment, nachdem ich von Fritz die Versicherung erhalten hatte, als Militärapotheker angestellt zu werden. Der Posten trägt freilich wenig, doch ist für den Augenblick der Not gesteuert. Und wer weiß, ob nicht auch für mich und die meinigen bessere Tage anbrechen, wenn dieser unselige Bruderkrieg zu Ende ist.
Gustav entwickelt sich alle Tage lieblicher und wird ein ganz prächtiger Bursche. Franklin, der seinen Papa und seinen Onkel hie und da im Lager besucht, fängt an, fleißiger zu lernen, als das seit Jahresfrist der Fall war. Sehr dankbar bin ich Johanna, daß sie Franklin jetzt gemeinschaftlich mit Ida und Alma durch Zündt unterrichten läßt. Dies scheint ihn zum Fleiß angespornt zu haben.
Carl (Anneke) ist seit Weihnachten mit seinem Arzneikasten nach Walkers Point gezogen und hofft dort ein wohlhabender Mann zu werden. Ich gönne ihm dies von Herzen und wünsche ihm mehr Glück als er in poetischen Versuchen hat. Trotz aller Andeutungen von meiner Seite läßt er sich's nicht nehmen, von Zeit zu Zeit die Wisconsin deutsche Dichterhalle im Banner mit Produkten seiner Muse heimzusuchen, und hat das vorletzte Mal das Sigelregiment besungen, das ich Ihnen hiemit zusende. Sind Sie nicht stolz auf Ihren poetischen Schwager?
Aus einem Gedichtband von Familienliedern von meiner Hand erhielten Sie nur das Geburtstagsgedicht für Gustav, das eine ermunternde Aufnahme beim Publikum gefunden und dem ich das Gleiche von Ihrer Seite wünsche. Wenn Mary Lust hat, es zu übersetzen, so soll sie dies in Gottes Namen tun.
Leben Sie wohl auf längere Zeit, nach deren Verlauf für uns alle bessere Tage anbrechen mögen und nehmen Sie die herzlichsten Grüße von meiner ganzen Familie für Sie und Mary Booth, besonders aber von Ihrem alten Freund
Edmund Märklin

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, 31. Jänner 1863

Ich habe seit vier Wochen unermüdlich von morgens bis abends gearbeitet und in dieser Woche mein Pensum beendet. Keil hat für die Gartenlaube bereits einen Beitrag angenommen, und ich hoffe, diese größere novellestische ebenfalls an ihn zu verkaufen; sie ist bereits in seinen Händen. Für Ausland habe ich mich fort und fort betätigt, aber jetzt habe ich kein Material mehr. Das Novemberheft brachte eineinhalb Bögen allein zu 30 Florin. Die Krankheit habe ich, wie es scheint, überwunden, d. h. mit Offenhaltung einer großen Wunde am linken Arm. Du antwortest mir niemals auf Fragen, die ich an Dich stelle, oder auf Bitten. Ich bat Dich, mir einige Korrespondenzen für drei Dollar zu verschaffen, vielleicht bei der Illinois Staatszeitung oder am Anzeiger des Westens. Wenn der gute Bernays daran ist, so engagiert mich der gewiß für ansehnliches Honorar. Für die Criminalzeitung arbeite ich unermüdlich fort.
Gestern als ich meine Briefe selbst zur Post brachte, sprach ich auch mal bei Beusts vor. Beust ist nämlich seit langem krank. Ich sagte ihm, daß wir Percy ins Gymnasium schicken wollten. Er sagte mir, ich solle mir noch einmal überlegen, ob die Industrieschule nicht vorzuziehen, weil die Kräfte am hiesigen Gymnasium nichts taugten. Man gehe zwar damit um, neue herbeizuziehen, einstweilen seien sie aber nicht viel wert. Hast Du indessen auch daran gedacht, ob es für Percy nicht zweckmäßiger sei, ihn so bald wie möglich ins praktische Fachstudium einzuleiten, anstatt ihn ins graue Altertum zu führen und ihn so länger dem selbständigen Wirken zu entziehen ? Wenn wir die Mittel dafür erzwingen könnten, so wäre es gewiß recht. Aber wenn nicht, dann wäre es desto härter für ihn, die Gelegenheit der guten industriellen Ausbildung vielleicht über jene lateinische verloren zu haben

Fritz Anneke
an Mutter Giesler
in Milwaukee
Columbus, Kentucky, 20. April 1863

Liebe Mutter!
Längst wollte ich schon schreiben und jedenfalls zu Deinem Geburtstag. Aber die Umstände ließen mich nicht dazu kommen. Jetzt habe ich Muße; ich bin unter Arrest seit drei Tagen. Man hat den unruhigen Geist wieder einmal zur Ruhe gebracht. Nimm vor allen Dingen, wenn auch sehr spät, meine herzlichsten Glückwünsche zu Deinem schon vergangenen Geburtstage entgegen. Ich glaube nicht, daß Du ihn bei so prächtigem Frühlingswetter gefeiert haben kannst, wie wir es hier haben. Als Probe davon lege ich Dir ein paar Blumen und Blätter bei. Ich wohne seit einiger Zeit in einem Hause, außerhalb des Fort Halleck, das mir vom General Asboth als Quartier angewiesen ist. Ich habe das Haus weißen und einen kleinen Blumengarten davor anlegen lassen. Zuerst muß ich Dir aber erzählen, wie ich in Arrest gekommen bin.
Seit 6 bis 8 Wochen bin ich systematisch von Wanzen, Flöhen und solchem Ungeziefer, d. h. von Obersten, die per Zufall meine Vorgesetzten sind, und deren Trabanten gepeinigt worden. Die Einzelheiten kann ich Dir nicht erzählen, ich müßte ein ganzes Buch Papier verschreiben. Im Hintergrunde dieser Schweinerei stehen einzelne Offiziere meines Regimentes und mit diesen die Freimaurerbrüderschaft, der hier alle höheren Offiziere, mich allein ausgenommen, angehören. Ich habe natürlich um mich geschlagen. Ich lasse mir nun einmal nicht auf die Zehen treten, nicht beißen, stechen und kratzen. So ist es denn endlich so weit gekommen - nachdem ich dem Oberst Messmore, Kommandeur des 31. Regiments - und des Forts, einem Erzlumpen, in derben Worten die Wahrheit geschrieben, daß eine Anklage gegen mich erhoben worden ist und ich unter Arrest gesetzt worden bin. Man ist so rachsüchtig gegen mich gewesen, daß man mich sogar in strengen Arrest gesetzt, d.h. auf die Grenzen meines Quartiers beschränkt hat, etwas ganz Ungewöhnliches gegen einen Offizier und namentlich gegen einen Obersten. Anfragen bei den hohen Herrn, ob denn das durch die Schwere meines Verbrechens gerechtfertigt sei, werden nicht beantwortet. General Asboth, der Distrikt-Kommandant, Ist ein Glied in der edlen Maurerkette und ist dabei, unter uns gesagt, ein altes Waschweib, dem es vor allem darum zu tun ist, sich in seiner Stellung zu behaupten und deshalb den Amerikanern und Amerikanerinnen zu schmeicheln.*
Ich werde mich genötigt sehen, mich an höhere Behörden zu wenden. Vielleicht komme ich auch noch dadurch aus der ganzen Schweinerei heraus, daß ich mit meinem Regiment zum General McClernand beordert werde. Der würde mich nicht länger im Arrest halten. Ich habe ihm kürzlich in der Sache geschrieben. Ich habe noch so viel Schreiberei vor, daß ich für heute aufhören muß. Bald mehr.
Herzliche Grüße an jung und alt von Deinem treuen Sohn Fritz

  • (* In einem Brief an den Kriegsminister Edwin A. Stanton, der selbst Freimaurer war, beschreibt Fritz Anneke »diese Maurerkette«, durch deren Machinationen seiner militärischen Laufbahn ein Ende gesetzt wurde (Brief vom 22. August 1863 aus Fort Halleck), Mathilde war der irrigen Meinung gewesen, der Kriegsminister sei der Gatte Elizabeth Cady Stantons und hatte deshalb Fritz, geraten, sich an diesen zu wenden. Dieser Brief hatte nichts, eher Negatives zu Fritz Annekes Lage beigetragen: »Von der Existenz dieser Organisation erhielt ich durch einige Offiziere meines Regimentes, kurz nach meiner Ankunft auf diesem Posten, Kenntnis. Sie waren der Organisation aus dem einzigen Grunde beigetreten, persönliche Vorteile zu gewinnen. Fast alle höheren und einige mittlere Offiziere dieses Postens gehörten ihr an; der kommandierende General des Distrikts, der damalige Posten-Kommandeur, der Kommandeur von Fort Halleck, sowie der Chef der Feldpolizei waren alle Mitglieder. Sie betrachten sich als Freimaurer, sind in Wirklichkeit aber nichts anderes als eine gegenseitige Versicherungsgesellschaft für alle Arten von Schurkerei, Vergehen und Verbrechen und eine Gesellschaft für die Förderung der persönlichen Interessen ihrer Mitglieder. Das kann durch zahlreiche Vorfälle bewiesen werden, da Mitgliedern der Gesellschaft besondere Vergünstigungen gewährt wurden und die sich als unantastbar erwiesen, während Nichtmitglieder und besonders Gegner bösartig und systematisch verfolgt wurden. Ich habe mich vom ersten Moment an, da ich von ihrer Existenz erfuhr, der Gesellschaft widersetzt und dies unverhohlen zum Ausdruck gebracht. Ich erklärte den Mitgliedern, daß ich eine Geheimgesellschaft innerhalb einer militärischen Einheit als nachteilig für die Disziplin betrachte, daß ich sie nicht tolerieren würde, wenn ich Befehlsgewalt hätte, und daß sie sich schämen sollten, einer Gesellschaft anzugehören, die als Sprungbrett für Schurkereien diene. Dies brachte Haß und Verfolgung über mich und ist ohne Zweifel Ursache der schlechten Behandlung, die mir zuteil wurde. Diese geheime Organisation erstreckt sich nach Memphis und bis zu dem Kommandeur dieses Korps; wie weit nach oben, weiß ich nicht«)

Mit zitternder Hand schreibt die Großmutter an Mathilde unter diesen Brief:

Meine liebe gute Tilla!
Soeben erhalte ich diesen Brief vom Fritz. Du ersiehst daraus, wie es ihm geht. Es tut mir leid, wird mir aber doch immer klarer, daß es trotz seines Gerechtigkeitsgefühls doch nicht gut möglich ist, ganz im Frieden mit ihm zu leben. Und freue mich für Dich und die Kinder, daß er diese Laufbahn gewählt hat, wo er doch noch am glücklichsten ist, trotz allen Streitens. Versuche doch in Deinen Briefen, ihn zu ermuntern, daß er aushält. Wenn ich nur könnte, würde ich ihm oft schreiben, denn er wird von mir doch wohl etwas annehmen. Leider ist es mir nicht oft vergönnt, meine Hände so viel zu gebrauchen Da gebe ich es lieber ganz auf, um nicht zu traurig zu tönen. Heute ist der erste schöne Frühlingstag, da will ich Dir, Maria und den lieben Kindern meinen innigsten Dank sagen für Eure lieben Wünsche und schönen Kränzchen, - nur Deine Novelle ist noch nicht erschienen. So glaube ich auch kaum, daß Du mein Bildchen, das ich Dir zu Deinem Geburtstag bestimmt hatte, erhalten hast.
An meinem Geburtstage habe ich immer an Euch denken müssen. Wie gerne hätte ich Dich und Pauline noch einmal dabei gehabt. Meine Bekannten und die Kinder haben alles mögliche getan, um mich zu erfreuen. Ich saß unter lauter blühenden Blumen. Ida und Alma spielen schon vierhändige Sachen am Klavier und lernen sehr gut. Du würdest Dich wundern, Lenau deklamieren zu hören, »Die Bürgschaft« von Schiller spricht sie ohne einen Fehler. Meine Hand hat Krämpfe und will nicht weiter. Schreib bald wieder Deiner Dich treu liebenden Mutter.

Mathilde
an Fritz Anneke   
5. Juni 1863

...Ich bin so arm wie die ärmste Tagelöhnerin, die an der Schulecke steht und Obst verkauft. Wie oft ich sie beneide, die Frau, um ihr Los. Sie hat dreizehn Kinder durchgebracht, allein, ohne die Hilfe des Mannes. Ich bin jetzt wieder ziemlich gesund und beklage mich, daß ich meine zwei Lieben nicht durchbringen kann, den Forderungen des »Standes«, der Zeit und den Verhältnissen gemäß. An rastloser Tätigkeit fehlt es mir doch nicht. Wenn mir die Leute meinen Lohn nur zahlten, weil ich ihn verdiene, nicht weil sie Mitleid mit mir haben

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, Am 18. Juli 1863

...Mary ist ins Engadin abgereist. Die Gräfin Hatzfeldt ließ ihr keine Ruhe, sie hatte sie ja schon lange zu einer Reise eingeladen. Der Aufenthalt kann Mary vielleicht helfen, und da er ihr so freundlich geboten wurde, möchte ich, daß sie ihn nützt und St. Moritzer Quellen trinken soll und durch diese und die Luft genesen könne. Ich und die Kinder brachten sie gestern nach Rapperswyl. Hinter Chur wird sie von der Gräfin abgeholt. Die waren sehr vergnügt, namentlich auf dem alten Schloß, beim Nachtwächter, der jede Nacht, trotz seiner 80 Jahre wacht und bläst und am Tage zwanzig mal den Turm hoch steigt. Wir sind so allein. Mary wird drei bis vier Wochen im Engadin bleiben. Sie grüßt Dich herzlich.
Glückliche Nachrichten von drüben bringt das Telegramm. Vicksburg hat sich ergeben. Wo magst Du sein?
Jetzt muß ich Dir auch noch erzählen, daß Herr Zeller zu seinen Waffen gegen uns nicht nur falsche Zeugen, sondern auch falsche Rechnungen vorbrachte. Eine ernstliche Verfolgung wird ihm einen Kriminalprozeß zuziehen. Er wird mit seiner Klage abgewiesen, ich werde von meinem deponierten Geld wohl einige Rappen herausbekommen

Fritz Anneke
an Mathilde   
Columhus, am 27.Juli 1863

Ich habe schon wieder einmal einen Konflikt gehabt, in Folge dessen eine Anklage gegen mich eingereicht ist. Es scheint, daß es mein Geschick ist, mit allem was an Schurkerei und Gemeinheit in meine Nähe kommt, wenn es durch Schulterstreifen höheren Ranges gedeckt wird, in Konflikt zu geraten. Mit der Organisation eines Neger-Regimentes an diesem Platze ist ein Individuum namens Adams betraut, das ich vor 14 Monaten, als ich Artillerie-Chef bei McClernard war, in West Tennessee, während des glorreichen Feldzuges gegen Corinth, als eine nichtssagende dumme Person kennenlernte. Während man zu Offizieren für die Negerregimenter die besten und tüchtigsten Leute, namentlich von Ehrlichkeit und Anstand hätte auswählen müssen, hat man vielfach Günstlinge oder Menschen, die sonst zu nichts zu gebrauchen waren, ausgewählt. Zu der letzten Klasse gehört dieser Adams, bis dahin Oberstleutnant vom ersten Illinois Artillerieregiment. Eine der ersten Handlungen dieses Menschen, als er das Quartier, das ich früher inne hatte, bezog, war die, daß er eine brave, redliche Negerfamilie, die dicht dahinter wohnte, mit der ich immer auf sehr gutem nachbarlichem Fuße stand, aus ihrem Haus vertrieb, ohne ihnen nur Zeit zu geben, sich nach einem andern Obdach umzusehen. Seine »ladies« wollten die »niggers« nicht in ihrer Nähe...

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, 3. August 1863

Ich warte schon drei Monate auf die Antwort bzgl. des Geisterhauses. Mittlerweile ist mir alle Lust zur Verwendung meines Sturmgeigers, von dem Mary schon Kapitel übersetzt und im Daily Life mitgeteilt hat, vergangen. Mary und ich wollten gemeinschaftlich, unter dem Titel Gebrochene Ketten, ein Bändchen amerikanischer Erzählungen herausbringen. Sie ist glücklich im Erfinden, aber nicht im Benutzen des Stoffes. Den verarbeite ich besser, wie die Sklavenauktion seinerzeit, die in vielen Journalen erschienen, gezeigt hat. Marys Reise und ihr Unwohlsein halten uns in den Plänen auf. Ihre meisterhaften Übersetzungen Uhlands und anderer kommen in einer fancy Ausgabe bei Schmitt in Heidelberg heraus. Sie sollten schon im Mai erscheinen, aber erst ein Doppelbogen ist da. Honorar haben wir noch nicht dafür. Erst vom Gewinn soll das verabreicht werden. Schmitt ist auch ein Geldmensch. Du hast wohl recht: Geldphilister bleiben sich überall gleich. Ein kleines Sittenbild aus dem Süden, »Gebrochene Ketten«, kommt im Herold von mir. Ein anderes Sittengemälde meiner lieben Westfälischen Heimat »Als der Großvater die Großmutter nahm«, ein Opus für welches die Kinder ein so lebhaftes Interesse an den Tag legen, daß sie oft fragen ob sie es noch nicht gedruckt lesen könnten, liegt seit März bei der Criminalzeitung. Diese schuldet mir für Korrespondenz allein $ 50. Ich sehe dem jeden Augenblick entgegen. Das Eidgenössische Schützenfest aus eigener Phantasie zu schreiben, fehlt mir bei der Geldlosigkeit Lust und Mut. Meine Zeit ist lediglich meinen schriftstellerischen Versuchen und Berichten gewidmet. Andere Unterhaltungen und Verbindungen kenne ich nicht. Die Alpenblicke haben mich etwas aus meiner Einseitigkeit, die mir gefährlich wurde, gerissen. Ernste Studien kann ich nicht machen aus Mangel an Lehrmitteln. Ich schreibe jetzt nur so viel, wie ich fortwerfe, weil ich mir selbst nicht traue und sonst niemanden habe als Mary, die alles gutheißt. Die Sonntagsschilderung war schon dem Untergang geweiht, als Mary darüber kam und sie rettete. Für die Allgemeine schreibe ich manche kleine Artikel, so daß ich stets beim Ende des Semesters 100 oder auch mehr Franken beisammen habe. Indes mißglückt auch oft etwas, und die wertvollsten Arbeiten gehen verloren. Über die hiesige Kunstausstellung habe ich »mit viel Verständnis«, wie Snell sagt, und mit tiefem Eingehen in die Gedankenwelt der Künstler eine Kritik geschrieben, die wenn sie wieder beiseite geschoben wird, in der Abschrift von Percy nach der Didaskalia wandern soll. Das Blatt nimmt gerne von mir und zahlt 42 Gulden. Ausland hat über die Ersten Entdecker Amerikas - Die Nordländer - einen Artikel, zu welchem ich das Material schon lange gesammelt hatte.
Am Abend.
Extreme berühren sich. Ein ganzes Faß voll Ochsenzungen aus Amerika wird angemeldet. Es ist auf dem Bahnhof gegen Nachnahme von 33 Franken und 35 Rappen (Fracht von Liverpool bis Basel) in Empfang zu nehmen. Und da habe ich doch keinen Menschen in diesem Moment, der mir die Einlösung übernehmen könnte. Wäre Ottilie Kapp hier - aber die ganze Pension ist zum Grießbach in den Ferien. Selbst Ottilia. Wenn nun das große Kapital von $ 200 käme, wäre ich mit einem Mal eine Maus im Schmalztopf. Ich muß geduldig warten, ob das Glück alle, wenn's auch jetzt noch wie der krasseste Gegensatz aussieht. Wäre Mary hier, die wüßte in diesem Falle gewiß Rat. Du weißt doch, daß Booth auf Marys schnurrigen Einfall uns zunächst 60 Kilo Ochsenzungen zugesandt hat - frei Liverpool. Wir haben sie seit Monaten täglich erwartet. Jetzt sind sie da. Ich bin mit dieser Einrichtung sehr einverstanden, wenn ich's erst glücklich im Hause habe. Geht's gut, so sendet er Schinken auch.
Booth hat an Mary geschrieben, daß er hört, der Kriegsgerichtsprozeß entwickle sich zu Deinen Gunsten. Ob er Näheres schon wissen konnte? Vielleicht! Heute habe ich Dir viel geschrieben. Ich bin sehr müde. Die Kinder haben eine nette Gespielin gewonnen. Es ist eine deutsche Familie hier eingezogen, deren Haupt hier sterben soll. Und vielleicht schon in acht Tagen. Das Töchterchen ist glücklich mit unserm, so bin ich ein wenig freier. Gute Nacht, lieber Fritz, bleib gesund und wehre Dich tapfer. Du gewinnst doch. Und wenn auch nicht, darum bleibst Du mir doch, was Du bist. Nicht Dein Erfolg macht Dich mir wert, das kannst Du nicht sagen. Gute Nacht. Da kommt nun ein Beistand. Lehrer Stuver, unser Freund, er geht und löst mir das Faß ein, leiht mir daneben 50 Franken. Der Zufall hat ihn so früh am Morgen zu mir geschickt. Lebe wohl, möge es Dir gut ergehen.
Deine Mathilde

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, am 10. September 1863

Mein lieber, lieber Fritz!
Eine niederschmetternde Nachricht bringt der Korrespondent der Allgemeinen Augsburger Zeitung aus Washington vom 25. August. Vor einer Stunde kommt der alte Herr Fasi, der seit länger als einem Jahr uns mit seiner guten Frau freundlich zugetan ist. Er kommt mit der Vorbereitungsmoral eines echten Totenbitters, ersucht mich, stark und unerschrocken zu sein, er habe einen schweren Gang zu mir gemacht. »Sprechen Sie schnell, mein Sohn ist seit einer Stunde zur Schule, ist er verunglückt?« »Nein, das nicht.« »Ist mein Mann gefallen, haben Sie Nachricht?« »Wann haben Sie die letzte von ihm?« »Am 10. August schrieb er mir die letzten Zeilen.« »Dann könnte es so sein.« »Er ist also tot.« »Nein, vielleicht eine schlimmere Nachricht.« Der Mann hätte recht gehabt, wenn er Wahrheit verkündet hätte. Du solltest wortbrüchig geworden sein. Geflohen sein.
Meine Nerven hatten eine furchtbare Erschütterung erfahren. Noch sind sie leidend von der Nervengicht, die ich erlitten; dazu war ich einige Tage vorher durch einen Fall von der Großen Treppe am Großmünster, auf welcher ich über einer Fruchtschale ausgeglitten, nervös und sehr erregt. Jetzt diese Nachricht! Aber ich konnte aufatmen und ausrufen: »Das ist eine Lüge! Fritz verpfändet sein Wort nicht. Und tut er's, so verliert er sein Leben aber nicht sein Wort - nicht seine Ehre.« Unser Junge, dem ich alles erzählte, was geschehen, rief: »Das ist eine Lüge! Papa floh nicht, er brach sein Wort nicht. Aber er soll auch unter solchen Schuften nicht länger leben und mit seinem Leben unter ihnen fechten.«
Noch habe ich die Ruhe nicht wiedergewonnen, um als Dein Ehrenwächter hier gegen eine solche schurkische Voreiligkeit aufzutreten und offen als Dein Weib an die Geduld derjenigen Menschen, die sich ein Urteil bilden wollen, zu appellieren, so lange zu warten,
bis ich ermächtigt bin, durch Mitteilungen Licht auf diese gräßliche Anklage fallen zu lassen.
Ehe ich dazu übergehe, habe ich an den alten Vater zu schreiben, ihn zu beruhigen, zu trösten mit dem ganzen Herzen, das Dir und unsern Kindern nur schlägt - habe ich an Dich zu schreiben, mein geliebter Fritz, und Dich in Kenntnis zu setzen, daß man Deine Soldaten-, Deine Mannesehre, ob böswillig oder leichtsinnig, mit Kot bewirft und Deinen Gegnern Triumphe in die Hände spielt. Habe ich ferner an Dich zu schreiben, und unser tragisches Geschick zu beklagen. Nein, nein - beklagen, das nicht. Hast Du nicht Deinen lieben treuen Freund, der Dir tragen und streiten hilft? Du wirst, Du kannst nicht mutlos werden. Aber wenn ich doch wüßte, wie es Dir erging. Wie kommt es, daß ich noch keine Nachricht nach diesem Dreizehnten von Dir habe? Es ist natürlich, Du wirst mit Deinem Regiment am 13. nach Wisconsin beordert worden sein, um mit ihm am 15. zur Ausmusterung vor dem Gouverneur einzutreffen. Du bist widerrechtlich zurückbehalten, Du hast von Deinem guten Recht mit starker Faust Gebrauch gemacht. Aber Du bist nicht geflohen, Du wurdest nicht auf Parole zurückbehalten. Dein Freund Asboth war schon von Grant am 8. (laut amerik. Depesche) abberufen - oder abgesetzt; Dein Feind Meßmore irrte ehrlos umher. Wer hielt Dich noch? Tausend Fragen - tausend Möglichkeiten drängen sich mir auf. Ich weiß nicht, was zu denken.
Ich sandte meinen letzten Brief an Dich nach Milwaukee care Weißkirch. Es war am 5., heute ist der 10. Ich teilte Dir mit, daß ich hundert Franken in currency, die Du mir sandtest, richtig empfangen. Auch daß ich die dreihundert Franken in Treasury Notes empfing, durch das Bankhaus in New York.
Ich mag keine Stunde verlieren, um gegen diese Korrespondenz aufzutreten, aber auch von Stunde zu Stunde hoffe ich bestimmt von Dir Nachricht zu bekommen, die mich instand setzt, alles darzulegen, was nötig ist. Morgen wird die Züricher den Auszug bringen. Der arme Percy wird in der Schule davon zu hören haben. Ach Gott, wir haben viel, viel Kummer. Verzweifeln wir nicht! Es kann ja sein, daß Du mit dem Hiobsbrief Deiner neuen Verhaftung vielleicht schon den Trostbrief schreibst. Aber warum Du wohl zauderst? Du verzweifeltest ja nie. Und mit Deinem klaren Verstände konntest Du ja auch nichts unternehmen, was Deine Ehre kompromittierte. Oh, wie verlange ich nach einem Brief von Dir! Dieser geht nicht ab vor Sonntag. Das ist eine lange, lange Zeit! Und wie lange, ehe er Dich erreicht und ehe die Antwort von Dir kommt. Ich hatte Dich bei Mütterchen geträumt. Hatte gehofft, daß Du Dich in dem alten Milwaukee vielleicht erholen werdest von all dem Ärger. Wo magst Du sein? Siegreich über Deine Feinde oder besiegt, gefangen, der Rebell?
Am 1. September feierte ich im stillen, ohne es jemandem zu erwähnen, den Abschied. Schon sind es 2 Jahre geworden, lieber Fritz. Im ganzen sind wir nicht ärmer geworden. Ich habe an mir und den Kindern gearbeitet. Ich bin an Tugend vielleicht etwas besser, an Liebe nicht ärmer und reicher geworden. Du wirst bei der Balance vielleicht ein günstigeres Facit haben - nun, das käme mir dann auch zu Gute. Dein Glück hilft dem meinigen.
Aber dies Dein Unglück! Wenn es wahr wäre, daß Du fälschlich angeklagt wärest der Desertion, des Wortbruchs - wie sollte ich's Dir tragen helfen?
Ich habe die Nacht nicht geschlafen; ich war stets bei Dir in Deiner Gefangenschaft, die wohl sehr eng sein mag. Lieber Fritz, ich glaube es wäre gut, wenn ich hinüber käme. Aber die Kinder - was sollen wir tun? Kein anderes Blatt - ich erhielt den New York Democrat bereits - sagt etwas über die Affaire. Von Booth ist in vier Wochen kein Brief eingetroffen. Deine Mitteilungen über dieses Ereignis bleiben ungewöhnlich lang aus. Lieber Fritz, wenn sie Dich nur nicht zu eng eingeschlossen haben. Aber könnte Dein Freund nicht laut sein, wenn sie Dich stumm gemacht haben? Lieber Fritz, ich drücke Dich an mein Herz und bringe Dir die Küsse von unseren lieben Kleinen.

Später:
Da auch in der Züricher Zeitung eben die Korrespondenz erschienen ist, kommt außer Atem unser lieber teurer väterlicher Freund Dr. Hepp. Er ist ganz einverstanden mit meiner Entgegnung, die hoffentlich morgen in der Allgemeinen erscheinen wird. Auch hat mich die Liebe des braven Mannes und sein Glaube an Dich sehr getröstet. Er ist der einzige vielleicht, den wir hier als Freund nennen dürfen. Ich habe ihn mit allem bekannt gemacht, und er ging eiligst mit meinen Nachrichten zu seiner harrenden Frau. Lebe wohl!

12. September,
Noch immer kein Brief von Dir.
Dieser Zeitungsbericht vom 25. August aus Washington erschien in der Augsburger Allgemeinen vom 9. September 1863:
 »Von den Konskribierten und den Ersatzmännern desertieren viele, und eine Menge werden eingefangen. Man sieht hier häufig eine Anzahl, sämtliche mit Handfesseln und zusammen an eine lange Kette geschlossen, durch die Straßen transportieren. Mit großem, peinlichen Bedauern habe ich einen Fall zu melden, welcher dem deutschen Namen hier keine Ehre bringt. Oberst Anneke war von Anbeginn des Krieges großes Unrecht geschehen, doch kann ich im Augenblick die Details nicht angeben. Zuletzt befehligte er das 34. Wisconsin Regiment, welches aus ausgehobener Miliz bestand. Wegen grober Disziplinarvergehen war er vor ein Kriegsgericht gestellt worden, und General Grant hatte das Urteil dem Präsidenten zur Bestätigung vorgelegt. Unterdessen war Anneke unter Arrest auf Parole. Er brach sein Wort und floh am 13. d. M. zu Land von Columbus (Kentucky) nach Cairo, ward aber dort verhaftet, da der Telegraph überallhin Steckbriefe gebracht hatte. Er sitzt nun, der Desertion und des Wortbruches angeklagt, im Fort Halleck. (Wir werden seine Verteidigung hören, da Anneke bisher überall als ein tüchtiger Mann galt, welcher der Sache der Union aus der Schweiz, wo er sich etabliert hatte, zu Hilfe geeilt war. Seine Frau ist noch in der Schweiz.«
[7])

Mathilde Annekes Entgegnung lautet:

  • »Als Erwiderung auf die Washingtoner Korrespondenz der Allgemeinen Zeitung vom 9. September weiß ich, als die Frau des angegriffenen Obersten Anneke, Ihnen nichts Treffenderes als die hier beifolgende Erklärung Annekes in einer amerikanischen Zeitung zuzusenden. Sie stimmt mit der neulichen und jetzigen Erklärung der Gattin Annekes überein. Sie werden daraus ersehen, welche unglaublichen Chikanen Anneke zu erdulden hatte und welche flagrante Rechtsverweigerung man sich gegen denselben schuldig gemacht. Anneke ist nicht nur kein Gefangener auf Parole gewesen, sondern hat sich im Gegenteil aus Aufopferung für einen Freund freiwillig als Gefangener gestellt. Die Beschuldigung also, mit der man ihm von drüben herüber am meisten bei seinen Landsleuten zu schaden gedachte, er habe sein Ehrenwort gebrochen, ist rein aus der Luft gegriffen. Die Erklärung Annekes bestätigt im vollsten Maß die Vermutung all derer, welche ihn genauer kennen, daß es sich hier einfach um eine Collision zwischen deutscher Ehrlichkeit und transatlantischer Gaunerei handelt. Oberst Anneke beging die >Unvorsichtigkeit<, Schurkereien und Schlechtigkeiten aller Art, die unter seinen Augen verübt wurden, mit gerechter Empörung entgegenzutreten und die Betrüger offen zu brandmarken. Diese >Unvorsichtigkeit< hat Anneke vorderhand im Fort Halleck zu büßen, kann aber der Zukunft getrost entgegensehen. [8]

Fritz Anneke
an Mathilde   
Columbus, Ky, 15. Sept. 1863

Meine liebe Mathilde!
Ich habe Dir heute Günstiges mitzuteilen. Vorgestern erhielt ich endlich mein Urteil - und die erste Errungenschaft, die mir dadurch wurde, ist die, daß ich wieder frei bin, daß ich gehen kann, wohin ich will. Das Urteil lautet zwar auf Kassation, frappierte mich im ersten Augenblick gewaltig. Nachdem ich aber verschiedene Gesetzbücher durchstudiert, habe ich gefunden, daß nach dem amerikanischen Militärrecht »Kassation« mit »Entlassung« aus dem Dienst gleichbedeutend ist, und daß ein kassierter Offizier nur dann unfähig wird, eine Offiziersstelle wieder zu bekleiden, wenn dies ausdrücklich im Urteile gesagt ist. Dies ist in meinem Urteil nicht der Fall, folglich steht meiner Wiedereinstellung nichts im Wege. Ich habe deswegen sofort nach Madison geschrieben und erwarte meine Wiedereinstellung mit Bestimmtheit, mit Cramer als Quartiermeister und meinem Freund Carl als Adjutant. Der einzige Nachteil für mich würde der sein, daß ich wieder der jüngste Oberst der Armee würde. Nun, man kann sich ja auch mal verjüngen!

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, 20. September 1863

Mein lieber Fritz!
Dein lieber Brief vom 25. 8., der gerade ankam, als ich ein kleines Billet als Einlage in Mutters Brief legte, hat mir und Deinen Freunden die Ruhe gegeben, die wir nach solch schmählichen Angriffen nur durch direkte Mitteilung von Dir erlangen konnten. Er hat mich und die Kinder wieder ganz froh gemacht, und selbst der heimtückische Angriff aus dem Hinterhalt, den der edelmütige Herold in einer Nummer, die ich eben durchgelesen habe, erneuert, kann mir die Laune nicht wieder verbittern. Dieses von Dummheit, wie ich ohne Rücksicht auf meine bisherigen eigenen Beiträge zu dem Blatt gestehen muß, zusammengesetzte Paper, in dem der Geist eines honorablen Carl Schurz unverkennbar waltet, sollte sich geschämt haben. Ob Du wohl den Artikel gelesen haben wirst? Der erste war plump dumm. Der zweite voll Niedertracht. Daß ich für das Sudelblatt keine Zeile mehr schreibe, das bedarf keiner Erwähnung. Ich will nur warten, bevor ich ihm das erkläre, ob Du Näheres weißt und was Du tust.
Die Allgemeine Augsburger, der ich so schnell wie möglich die definitive Erklärung gab, daß ihr voreiliger Korrespondent nur für die Weiterverbreitung der Lüge und Verleumdung gesorgt habe, hat wenigstens getan, was ich gewollt habe. Sie hat das Dementi auf Grund Deiner Erklärung gebracht und meine Erklärung aufgenommen. Die Züricher ist, wie ich höre, von Beust gehörig »geohrfeigt«. Ich soll heute den Ohrfeigen austeilenden Artikel im hiesigen Intelligenzblatt von Happ erhalten.
Da habe ich zwei Zeitungen empfangen unter Deiner Adresse. Du lebst also! Für den Louisviller Artikel danke ich dem Verfasser im stillen tausendmal. Ist es unser alter Stierlein, so sollen ihm alle Sünden damit vergeben sein. Gerne schickte ich ihm ein Andenken, irgendein Bildchen von hier als ein Zeichen unserer alten Freundschaft. Bist Du in Verbindung mit ihm oder seiner Frau, so sage ihnen Liebes.
Wir haben schon seit einiger Zeit kühles Nebelwetter. Die kleinen Ausflüge haben wir aufgegeben. Der See ist uns zu unruhig. So unterhalten wir uns hier im Hause mit Spielchen und Weintraubenessen. Diese Pracht von Trauben hast Du wohl nie gesehen. Ich habe eben einen Artikel für die Criminalzeitung geschrieben von »Weinlese und Weinbau«.
Dein Brief erhellt mir, daß von einer Anklage auf Desertion und Wortbruch, wie berichtet wurde, einstweilen noch nicht die Rede ist. Ich hoffe, die Leute werden endlich selbst der Plackereien müde sein. Wie wird es aber Deinem Freunde Karl ergehen? Auf was ist denn der angeklagt? Nun, ich werde es wohl noch früh genug erfahren. Du scheinst also noch immer nicht die militärische Karriere aufgegeben zu haben. Daß sie Dir vollständig verleidet, wäre kein Wunder, weniger als daß sie unmöglich gemacht.
Die Meßmorschen Soldaten gefallen mir, wenn es wahr ist, daß sie erklärt haben, nur in einem von Dir geführten Regiment fortzudienen. Aber Deine Jungen sind doch etwas waschlappig, sonst hätten sie in der Presse doch einmal ihre Meinung ausgesprochen oder einer oder der andere hätte Dir Treubriefe à la Jäcki geschrieben, anstatt Dich vier Wochen ohne irgendwelche Nachricht zu lassen. Ist denn Märklin anderer Ansicht mit Dir? Warum teilt er Dir denn nichts von diesen Sympathien mit? Ach, es ist der Grundsatz, der durch das ganze amerikanische Leben weht: Jeder für sich. In Neu-England soll es anders sein. Ich weiß nicht. Ob es einem noch irgendwo auf dieser Erdenwelt gefallen kann? Alles ist schön, nur der Mensch ist häßlich.
Der Aufenthalt hier in dieser bäuerlichen Region hat für die Kinder unendlich viel Gutes gehabt. Sie haben die Luft genossen wie nirgend. Sie haben eine Freiheit und Glückseligkeit gehabt, wie sie sie nirgend finden konnten. Man hat sie freilich sehr sorgsam wahren müssen. Wir sind nur von äußerst rohen und ungebildeten Menschen umgeben. Dafür bin ich denn auch nur einmal vier Tage von ihnen weg gewesen, als ich mein Escape nach Interlaken machte. A propos Interlaken. Ich hatte einige hübsche Alpenbilder, vier oder sechs geschrieben. Der geistvolle Herold ist schlau genug, sie in einer Korrespondenz geschmacklos zusammenzuziehen. Nun, ich will mich länger über dieses Milwaukee nicht ärgern. Und in dieser selben Nummer der Angriff, der heimtückische, auf Dich!
Herr Booth hat seine Korrespondenz mit Mary, wie es scheint, gänzlich eingestellt. Seit zwei Monaten kein Zeichen von ihm. Die Bedürfnisse für die Erziehung der Kinder, für Mary, werden täglich größer. Marys Tätigkeit für sein Daily Life hat keinen Moment aufgehört. Er hätte sie verhungern lassen, wenn wir nicht gewesen wären. Ich habe mich seit dem letzten Jahre gar nicht mehr um ihn gekümmert. Mary hat fort und fort Berichte für den Herold in New York geschrieben, die er ihr mit fünf Dollar pünktlich honoriert. Das ist alles. Wie es enden soll, sehe ich nicht ab. Wenn er das Kind nur ordentlich ausbilden ließe! Nein, diese Charakterlosigkeit und Ignobilität der Amerikaner, die ich zu kennen die Ehre habe, direkt oder indirekt, ist doch eine Bande. Doch - das Land darum, mit seinem Fundament für Freiheit, will man doch nicht aufgeben.
Was mit dem Korrespondenten in New York anzufangen ist, weiß ich nicht. Der Kerl widerruft seinen Widerklatsch nicht. Du wirst natürlich selbst dagegen einschreiten müssen. Wie glücklich bin ich, zu hören, daß Du gesund bist. Frevle nicht, es wird schon wieder eine Zeit kommen, wo Du Deine Kräfte wirst gut verwenden können. - Wir sind sehr fleißig, die Kinder fröhlich

Mathilde
an Fritz Anneke
Zürich, 23. September 1863

Mein geliebter Fritz!
Heute ist der 23. September, und noch kein Brief von Dir. Auf Grund der Westlichen Post, die mir in zwei Exemplaren mit Deiner Erklärung zukam, habe ich endlich den verleumderischen Gerüchten auch hier entgegentreten können...
Mein lieber Fritz, der Kummer übermannt mich jetzt. Ich habe keine Hoffnung. Denn wäre noch eine für Dich und uns, Du würdest mir schreiben. Man hat Dich untätig gemacht, gefesselt, und Du kannst uns kein Lebenszeichen geben. Soll ich hinübereilen und Dir beistehen, wo ich nur irgend kann? Der Gedanke kommt mir sehr nahe. Ich hätte ja ungefähr Geld genug dazu. Aber unsere Kinder - auch sie könnte ich durchbringen. Und es wäre dann nur um die nächste Zukunft drüben, die Sorge um uns und die fernere für den armen Percy, der in seiner Ausbildung gestört würde.
Aber dann liegt mir die Frage so nahe, werden wir das neue Vaterland, das solche Rechtsmorde in seinem Inneren duldet, nicht auf ewig fliehen müssen? Aber für die Kinder, dann sind auch sie ohne Vaterland. Und wenn ich mich früher tausendmal fragte, was ist Vaterland, so antworte ich jetzt, es ist kein Wahn. Percy sieht es hier schon. Er hält fest an dem seinen. Ach wir sind alle recht, recht arm, das ist wahr. Aber Du erst! Wie Du wohl zu leiden hast von der Roheit. Hätte ich Dich doch niemals ziehen lassen. Aber Du liebtest mich ja nicht, und da mußte es sein. Das war der Grund zu allem Unglück
Der alte Professor Kapp läßt Dich grüßen. Der Mann sagt: »Ich habe es für eine Beleidigung erachtet, wenn bei dieser Angelegenheit irgendwer von Teilnahme sprechen wollte. Die Angriffe sind zu schmachwürdig und in sich selbst zerfallend, als daß man ihnen nur Aufmerksamkeit, geschweige Glauben schenken sollte. Grüßen Sie den braven Anneke und sagen Sie ihm, an seinem Percy werde er seine Freude erleben.«

Mathilde
an Fritz Anneke
am 20. Oktober 1863

Ich bin zur Kindstaufe nach Essen geladen. Ich sollte mit der ganzen Familie kommen, so wollten es Hammachers. Ihre Einladung war wirklich so dringend als herzlich, und wenn ich nicht wegen Percy im Lande zu bleiben hätte, ich glaube, ich hätte mich auf die Wanderschaft begeben. Nun da das nicht geht, hat Franziska mit Mary konspiriert und ich werde infolgedessen expediert.
Aus Essen
Seit einigen Tagen bin ich also wirklich hier, bei meiner lieben alten Franziska. Sie ist unverändert dieselbe geblieben und eine vortreffliche Frau geworden. Das Leben hier ist so großartig in seiner Entwicklung, in seinem industriellen Treiben, daß es mir fast erscheint, als ob es alles überrage, was ich jemals gesehen habe.
Friede, der rastlose, ist zum Abgeordneten für den hiesigen Kreis nach Berlin erwählt. In wenigen Tagen gehe ich nach Dortmund und weiter nach Münster zu meiner Schwester, die eine so große Sehnsucht hat, mich, das einzige Glied unserer zerstreuten Familie, zu sehen. Franziska geht mit mir.
Schreibe mir doch, soviel Du kannst. Grüße mir Deinen Karl und, wenn Dich mein Brief noch in ihrer Nähe findet, die gute Großmutter. Ich schreibe Dir von hier aus noch einmal, wenn ich zurückkomme von Münster und Dortmund. Welch einen großartigen Aufschwung hat dieses Land genommen. Wie sind die Menschen kühn und unternehmend geworden, aber wie fehlt es im preußischen Vaterlande an Männern, an Kapazitäten. Hammacher sollte in 10 Kreisen zugleich gewählt werden. Wieviel könntest Du nützen mit Deinem klaren, ruhigen Erfassen der Dinge. Wenn Du nur die Persönlichkeiten wie die Zustände erfassen wolltest, Du könntest nur siegen. Was die Leute Dir als Unverträglichkeit auslegen, es ist nichts als das unbedingte Verlangen einer gestrengen Pflichterfüllung, von anderen und von Dir selbst. Beurteile die Menschen nicht nach Dir, sondern mache den Verschiedenheiten einige Konzessionen und Du wirst vielleicht nach einigen Kämpfen mit Dir selbst und einiger Selbstüberwindung doch weiter mit ihnen kommen. Vielleicht gibst Du mir Recht, mein lieber Fritz. Halte uns lieb, ärgere Dich nicht zu viel und bleib gesund. Mit der innigsten Liebe, Deine alte Mathilde.

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, den 6. November 1863

Mein lieber Fritz!
 Ich bin seit vierzehn Tagen wieder bei meinen Kleinen. Ich traf sie glücklich an und war froh, wieder bei ihnen zu sein. Meine Reise hat ihre guten Früchte getragen; ich habe buchhändlerische Verbindungen angeknüpft, was mir von hier aus unmöglich, an Ort und Stelle kinderleicht war. Ich habe Franziska in ihrem häuslichen Kreise gesehen, Friede aufs Neue kennen gelernt, Vater in Dortmund begrüßt und, was mir am teuersten war, meine gute, arme, einsame Schwester Pauline ans Herz gedrückt. Ich habe meiner Heimat wieder zugejauchzt, ich habe einen neuen Denkkreis gewonnen und viel Neues gesehen und kennengelernt. Daß Franziska meine Reisekosten, selbst für meine abschweifenden Wanderungen getragen, das brauche ich wohl kaum zu bemerken. Denn daß ich in diesem Augenblick, wo die Kinder Großes bedürfen und uns Verluste auf allen Seiten winken, nicht leichtsinnig fünfzig oder hundert Thaler verreisen würde, das darfst Du mir zutrauen.
Als Franziska und ich in Münster ankamen, hatte Pauline eine Stunde vorher die Anzeige meiner nahen Ankunft eben durch einen Brief von mir erfahren. Sie stand am Bahnhof - ich erkannte sie gleich - sie mich auch. Sie wollte weinen, aber ich litt es nicht
 Franziska brachte mich also nach Dortmund, dort ging ich zu den Eltern, und sie zog weiter nach Essen Zur Feier der Schlacht vom 18. Oktober hatte man Vater frühmorgens ein Ständchen mit der ganzen Stadtmusik gebracht; er ist ja der einzige übriggebliebene Krieger, der bei Leipzig dabei war. Nachmittags war er als Ehrengast zugegen, als am Westtor eine Linde gepflanzt wurde. »Kein Pfaffe und kein Gendarm ließen sich blicken«, sagte er. Ich erzählte ihm, was ich wußte, und sagte ihm, daß er um Dein Geschick kein Leid haben solle, Du werdest Dir noch einmal eine Situation erringen, in welcher Du festen Fuß für alle Zeiten faßtest und Dir selber und der Welt nützen würdest.
Nach Essen zurückgekehrt, fand ich Hammacher mit seinen Vorbereitungen als Abgeordneter nach Berlin beschäftigt. Ich hatte ihn nur wenig gesehen und gesprochen und sollte bald wieder Abschied nehmen. Ich sagte ihm, ich habe Dich von ihm in meinem Brief nicht grüßen können, weil er nicht anwesend gewesen sei. Mit Bewegung sagte er: »Grüße Fritz um so herzlicher im nächsten Brief; sage ihm, daß keiner einen innigeren Anteil an seinem Geschick nehmen könne wie ich es von jeher getan, und daß mich unser Zerwürfnis aufs tiefste geschmerzt habe. Das weiß Zis-«, sagte er zu ihr hinblickend. »Ich habe darüber hinwegkommen müssen.« Hammacher ist eine sehr nervös sensitive Natur; er ist rastlos in seinem Streben und arbeitsam, wie ich nie einen Menschen gesehen habe. Er hat einen gewaltigen Überblick, ein organisatorisches Talent im Großen, wie all die Unternehmungen zeugen, an deren Spitze er steht. Er genießt ein Vertrauen und eine Macht, wie ich selten bei einem so jungen Menschen gesehen habe. Er schaltet wie ein kleiner Diktator in seinem Bereiche, dirigiert sein Büro mit offiziellen und geheimen Schreibern und läßt sich retieren. Er hat sich etwas Vermögen errungen, aber nicht in der Weise, wie Vater Dir wohl sagte. Seiner Noblesse und Rechtlichkeit in Gelddingen wird überall Achtung gezollt. Die Kohlen- und Eisenindustrie in Rheinland-Westfalen verdankt ihm den bedeutendsten Aufschwung. Die Anerkennung ist aber auch fabelhaft. Sieh diese silbernen Denkmäler!
In Duisburg habe ich mit Herrn F. Nieten, Buch- und Verlagshaus, Herausgeber der Rhein- und Ruhrzeitung, Kontrakt abgeschlossen für meine fertigen und zukünftigen Erzählungen. Zugleich sandte Costenoble aus Leipzig mir einen unterschriebenen Kontrakt wegen des Geisterhaus. Mir sagt aber die Verbindung mit Nieten besser zu und habe deswegen Costenoble die letzte Bedingung gestellt - mir nämlich gleich hundert Thaler oder das Manuskript zurück - Er will erst nach dem Erscheinen, den Bogen splendid gedruckt, fünf Thaler - das macht circa hundert Schweizer Franken -zahlen und mich verpflichten, alle meine späteren Arbeiten bei ihm zu verlegen. Dann gefallen mir auch nicht einige weitere Paragraphen über Porto usw. usw. Mit Nieten habe ich mich persönlich benommen, und unser nächstes Geschäft beginnt gleich mit Neujahr. Wenn das Geisterhaus zurückkommt, so druckt er das zuerst, andernfalls bringt er Uhland in Texas, eine Erzählung von Mary und mir, und Als der Großvater die Großmutter nahm. A propos, hat Lexow das Ende denn nicht gesandt? EshatEuch wohl nicht gefallen, da Du mir nichts mehr darüber gesagt hast. Hinter unsere Arbeiten haben Mary sowohl wie ich Dampf gesetzt. Ich glaube nicht, daß in geistigen Dingen jemand eine größere Unermüdlichkeit und mehr Fleiß aufweisen kann als wir.
Herr Colemann hat mir für meine Korrespondenz gerade dreißig Dollar gesandt und mich inständigst gebeten, dem Blatt meine Tätigkeit zu erhalten. Er sei zwei Monate auf Reisen gewesen und entschuldigt damit eine Verspätung. Er will damit zu erkennen geben, daß er persönlich an dem Auftreten des Herold gegen Dich nicht beteiligt war.
Blenker tot. Seine Frau und Kinder in dürftigen Umständen - da mahnt mich ernstlich die Pflicht. Hast Du Deine Teilnahme auch der Frau zu erkennen gegeben? Struve ist amerikanischer Konsul in Thüringen.
Ich bin von meiner Reiseroute abgeschweift. Dr. Nicolaus macht in Literatur und hat sich ein hübsches Haus zusammengeschrieben. Er lebt mit seiner leider kränklichen Frau Elise so weit vergnügt. Ich saß einen Abend mit ihnen beim Hasenbraten beisammen und trank Wein. Es wurde auch der Dichterin Emma Emiliens viel gedacht, und ihrer tiefen Versunkenheit am letzten Ende.
Ich war im Dom, im jetzt fertigen zauberhaft schönen Dom. Ich war wohl zwei Stunden allein darin. Wie harmonisch dies Steingedicht! Du glaubst nicht, wie es mir in dem alten Cöln so wohl gefiel. Ich wollte wohl gerne wieder dort wohnen, meinte ich. Der Geist unseres Fritzchens umgab mich überall.
Keine Stadt hat sich inzwischen so verändert wie Cöln. Am andern Morgen setzte ich meine Reise per Courierzug nach Heidelberg fort. Hier erwarteten mich die guten lieben Schmitts, Tante Rollmann an der Spitze. Im Buchhandel geht's langsam. Marys Gedichte sind endlich fertig, Ihr werdet drüben Freude daran haben. Die Stadt mit dem stolzen Schloß reizend malerisch. Ich möchte dort wohl wohnen. Die gute alte Tante Rollmann lud mich und die Kinder zu einer Fahrt ins Neckartal ein. Ach, wie erfrischend und herrlich das doch wäre! Wie mich die Leute mit Liebe überhäuften! Eine ganze Fracht voll Bücher für meine lieben Kinderchen, allerlei hübsche Spielsachen und Geschenke brachte ich heim zu ihnen. Wie glücklich sie jetzt sind und wie artig und lieb. Es gibt solche gute Tierchen nicht mehr. Franziska hat einen hübschen Jungen und nette Mädchen, aber, mit Ausnahme von einem, sehr unartig. So habe ich denn in den fünf Wochen abgemacht, wozu mich Herz und Sinn trieben. Ich hoffe, Du wirst sagen, ich habe recht getan. Mutter freut sich wohl ganz besonders darob.

Mathilde
an Fritz Anneke   
undatiert

Heute ist Mittwoch. Keine Zeile von Dir. Nirgendwo ein Zeichen. Ich bin sehr bange, daß Du Dich nicht genug rührst, Deinen alten Unmut über Dich hereinbrechen läßt.
Ich sage Dir, Du warst bis jetzt noch kein dramatischer Held, den ich in irgendeiner Tragödie gebrauchen könnte. Du wehrst Dich nicht, kämpfst nicht mit Deinem Schicksal. Du lassest es über Dich kommen und verzweifelst gar, wenn nicht ein glückliches Omen Dich wieder aus Deiner Verzweiflung zieht. Du willst von Dir nicht gern reden hören, aber Du lauschest der Familienvergötterung, hörest kleinliche Schmeicheleien, die verweichlichen und aus dem Heros eine Memme machen. Verzeihe mir, wenn ich mich diesmal wieder geirrt habe, aber sagen muß ich es doch. Es tut Dir in jedem Falle gut. Versäume den günstigen Augenblick nicht mit Denken und Spintisieren über Deine Lage. Greif ein in die Räderspeichen Deines Geschicks und heb den Karren mit Deiner glänzenden Kraft und bewunderungswürdigen Klugheit aus dem Dreck. Halte Dich nie für einen Märtyrer - aber wenn Du wirklich einer bist, zeige es den Leuten nicht. Gib Dich lieber für den Fortunatus selber aus - by and by - Du bist sogar einer.

Fritz Anneke
an Mathilde   
Lansing, Michigan, 15. Dezember 1863

Meine liebe Mathilde!
Endlich mal wieder Nachricht von Dir. Dein lange in der Welt herumgeschleppter, am 30. Oktober in Essen abgeschlossener Brief, kam mir vor einigen Tagen zu, nachdem er sich noch eine Weile in Springfield, Illinois, ausgeruht hatte...
Daß Du die große Reise nach Deutschland gemacht hast, hat mich recht gefreut. Ich hoffe, sie hat viel zu Deiner Erholung beigetragen und Deine gänzliche Wiederherstellung vollendet. Die großartige industrielle Entwicklung in Deutschland, von der Du schreibst, ist mir nichts Neues. Ich kannte sie teils schon aus der Presse, teils hörte und sah ich von ihr bei meiner Durchreise durch Deutschland vor zwei Jahren. Ich bin keineswegs davon überrascht worden, und ebensowenig hat mir die Geschichte imponiert. Aber es hat mich gefreut und zwar deshalb gefreut, weil die Bourgeoisie Periode rascher zur Entwicklung des Proletariats führt und diese schnell aufblühende Bourgeoisie die Gewähr gibt, daß die Revolution in Deutschland nicht bloß eine formell-politische, sondern eine materiell-soziale sein wird. Mein Ex-Freund Hammacher ist ein hervorragender Vertreter der Bourgeoisie. Früher war er das gerade Gegenteil. Du hast Deine Meinung von ihm gewaltig geändert, ich nicht. Du hast Dir imponieren lassen dadurch, daß er nicht allein Erfolg im praktischen Leben gehabt hat, sondern auch einer der hervorragenden Vertreter der liberalen, d. h. der feudal-bürokratischen Regierung gegenüber, oppositionellen Bourgeoisie ist. Mir imponiert nichts. Es waren keine »Mißverständnisse«, die zwischen Hammacher und mir obwalteten. Aus meinem Freund Friede war der liberale Bourgeois, Dr. juris Hammacher geworden, der seinen sich treugebliebenen Freund Fritz nicht mehr kannte oder kennen wollte und konnte. Doch ich will nichts mehr über dieses Thema sagen, wir differieren vielleicht zu sehr darüber. Meine natürliche Aufgabe ist nun einmal der ewige Kampf mit Privilegien, mit Gaunerei, mit Ungerechtigkeit
An die Büro-Oxerei gewöhne ich mich auch nach und nach. Ich kann aber noch nicht mehr als neun Stunden per Tag am Schreibtisch stehen, und damit verdiene ich erst $ 80 bis $ 85 per Monat. Mein ausständiges Oberstengehalt habe ich noch immer nicht bekommen
Kürzlich war ich mit Emil in Detroit, um den Senator Howard zu sprechen Was ich von ihm verlange und was er, der unser Repräsentant dieses Staates und Wisconsins ist, betreiben soll, ist die Revision meines Prozesses zum Zweck der Annullierung des Urteils und meine Ernennung zum Brigadegeneral. Meine Aussicht auf Erfolg ist bis jetzt noch sehr schwach. Möglich, daß sie sich bessert.
Der Geheimbund, mit dem ich zu tun hatte, ist nicht, wie Du vermutest, der Cincinatus, sondern der ganz gemeine Freimaurer-Orden, wie ich Dir das ja schon oft schrieb. Von Geheimnis ist da insoweit keine Rede, als das Gesindel sich offen Freimaurer nennt, seine Versammlungen hält und ankündigt.

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, 10. Dezember 1863

Mein lieber Fritz!
Weihnachten steht wieder vor der Tür, ein Fest, das der Familie gehört und das wir nun schon zum dritten Mal allein feiern müssen. Aber wir freuen uns, daß Du mindestens nicht im kalten Lager den Tannenbaum knistern hörst, sondern unter Kinderchen. Wenn's doch nur die unsern wären...
Dein lieber letzter Brief aus Milwaukee kam vorgestern. Es weht ein etwas besserer Geist über diesen Zeilen Ich weiß, wie teuer einem ein Pferd sein kann. Wohin ich zuletzt in meiner Heimat kam, jedermann gedachte meiner auf der kleinen Isabella, die »Maid von Blankenstein« mit dem Silberpfeil im Haar, wie ich durch Felder und Wälder gezogen kam und so recht lieblich gewesen sei.
Daß Du an die Fortsetzung Deines geschichtlichen Buches denkst, ist sehr recht. Hätte ich das voraussehen können, ich wäre selbst zu Sauerländer nach Frankfurt gegangen, um mit ihm die Sache zu bereden. Denn wohin man selbst kommt, trägt der Bote nicht. Ich habe das auch wieder erfahren. Konnte ich doch von hier gar nicht fertig werden mit den Buchhändlern. All mein Fleiß, alle meine Arbeiten waren good for nothing, bis ich nun selbst in Deutschland mal Einsicht in die buchhändlerischen Verhältnisse bekam. Augenblicklich standen mir also zwei Verleger zu Gebot, Costenoble in Leipzig und Nieten in Duisburg. Costenoble ist endlich auf meine letzten Bedingungen eingetreten und beginnt schon mit dem Druck. Ich habe für die Auflage von 1000 freilich nur hundert Taler. Allein für das erste novellestische Ding ist es schon genug. Es ist ein guter Vorläufer für meinen nächsten großen Roman, daraus Mary schon einzelne Bruchstücke übersetzt hat, die im Daily Life mal erschienen. Seit acht Tagen arbeite ich nun Tag und Nacht an einem kleinen Roman, Uhland in Texas, der bei Nieten (zuerst in der Rhein- und Ruhrzeitung) dann im apart Druck erscheint. Mary hat an diesem auch einen Teil. Sie beschreibt dasselbe Sujet in englisch, während ich es im Deutschen bringe. Einiges daraus übersetzt sie von mir, anderes ich wieder von ihr.
Heute morgen hatten wir die große Freude, in einer ungemein eleganten Prachtausgabe das erste Exemplar von ihrem Wayside Blossoms Among Flowers From German Gardens zu empfangen. Das Buch wird ziehen. Wir wünschen nichts mehr, als es Dir zu Weihnachten überreichen zu können. Wenn Du meine großen Korrespondenzen auch nur zum Teil wirst gesehen haben, so hast Du einen Begriff davon, wie unausgesetzt tätig ich gewesen bin seit den letzten Jahren. Wenn ich dafür auch noch keine sehr großen Schätze geerntet habe, so sind sie doch so viel schon, daß sie mich weiter und weiter aneifern. Vielleicht erfreuen Dich die Resultate auch ein wenig, und so bin ich fröhlich und guter Dinge. Die Kinder haben ein seltenes Interesse an allem, was von Mama kommt. Aber auf den Großvater hoffen sie besonders.
Mein Streben ist unausgesetzt unseren Kindern und der Arbeit gewidmet. Es liegt aber fast zu viel auf mir. Im Winter ist unser kleines Quartier über die Maßen unbequem. Ich werde nun in Sachen Deines Freiheitskrieges an Sauerländer schreiben, sobald ich meinen Uhland in Texas fertig habe, auf den der Drucker wartet. Die erste Hälfte sende ich morgen ab.

Fritz Anneke
an Mathilde   
Lansing, 14. Januar 1864

Von Milwaukee höre ich gar nichts. Es scheint, daß das Nest bei der furchtbaren Kälte, die gegen den ersten Januar eintraf und noch bis jetzt in ihren Nachklängen anhält, total eingefroren ist. Nach den Zeitungsberichten erreichte das Thermometer in Milwaukee 35-40 Grad unter Null nach Fahrenheit.
Mein Gehalt habe ich noch nicht, und mein Fuchs ist noch nicht verkauft. Zum Reiten hab ich jetzt wenig Zeit und Gelegenheit. Wenn ich mein Gehalt bekommen und meinen Fuchs verkaufen werde, gerate ich in den Besitz einer Geldsumme, wie sie uns wahrscheinlich so bald nicht wieder zu Gebote stehen wird. Es wird uns dadurch die Möglichkeit des Wiederzusammenkommens hier oder dort gemacht. Ich wäre gerne wieder in der Schweiz, aber ich verzichte auch gern auf alles. Ich mache gar keine Ansprüche. Außerdem bin ich noch für eine Zeitlang hier gebunden. Vielleicht findet sich endlich auch für mich eine Gelegenheit zu kriegerischer Tätigkeit, und wenn das der Fall ist, muß ich bei der Hand sein. Das Volk in Europa, das nie im Stande sein wird, die hiesigen Verhältnisse richtig zu beurteilen, würde überdies, wenn ich zurückkehrte, mich als einen Ausgestoßenen ansehen, und ich würde genötigt sein, um mir meine soziale Stellung zu erhalten, zu offenen Konflikten, Duellen u. dgl. zu schreiten. So sehr ich bereit bin, und so oft ich diese Bereitschaft schon an den Tag gelegt habe, hier unter diesen spitzbübischen, heuchlerischen Halbbarbaren, die mit Fäusten und Knüppeln sich zu bearbeiten gewöhnt sind, den Säbel oder die Pistole als anständigere Form der Streitschlichtung oder als einziges Mittel zur Beseitigung von lästigen Angelegenheiten zu gebrauchen, so würde ich mich doch im zivilisierten Europa tief gedemütigt fühlen, wenn ich meine Ehre auf eine Pistole oder einen Säbel stützen müßte. Für mich ist dort kein Aufenthalt, solange sich mir nicht die Gelegenheit bietet zu zeigen, was ich als Soldat zu leisten vermag. Der urteilslose Haufen urteilt nach dem Erfolg, und der spricht gegen mich. Sprich Dich in Deinen nächsten Mitteilungen ausführlich aus über unser Wiederzusammenkommen. Ich verlange sehnsüchtig danach, mit Dir und den lieben Kindern wieder beisammen zu sein - und über die Verwendung der Gelder, die mir wahrscheinlich in Kürze, in Monaten oder Wochen zu Gebote stehen werden.

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich 9. Februar 1864

Ich bliebe so gern wie Du vielleicht in Europa. Ich liebe die Natur hier mehr wie dort. Liebe dort nur ein einziges Plätzchen unter dem Zypressenbaum, unter welchem unsere Kinder, unsere lieben unvergeßlichen Kinder liegen. Wären sie, wärest Du, wäre meine Fanny und mein altes Mütterchen nicht drüben, ich würde nie, nie zurückkehren. Ich würde Abschied auf ewig von Mary, meiner geliebten Mary, nehmen und hier in stiller ländlicher Bescheidenheit meine Lebenszeit ausleben.
Was mich dorthin zieht, ist nur ideal, das weiß ich. Was ich lasse, wirklich. Aber ich kann meinem Geschick nicht entgehen. Ich muß dem inneren Drange folgen, für welchen ich nur bestandlose Formen hege. Ich trete also mit unseren zwei lieben noch Übriggebliebenen die Reise übers Weltmeer wiederum an, sobald Du uns rufst.
Aber wo werden wir unseren festen Wohnsitz, haben? Wohin werden wir uns in dem großen Lande drüben wenden? Ich liebe den Osten zumeist. Nicht nur, was die Natur anbetrifft, so reizt mich diese mehr, sondern auch in seinem geistigen Streben, steht man nicht so abgeschnitten von der Zivilisation da. Ich liebe aber auch den Westen in seiner Wildheit, liebe die Nähe meiner Mutter und Marys. Ich werde nur niemals nach Lansing gehen. Überall hin wo ich eine kleine bescheidene aber sichere Heimat finden kann, nur nicht dort. Willst Du die Gründe dafür, so will ich sie Dir geben, und ich zweifle nicht, daß Du es recht und billig finden wirst. Außer diesem ist mir jede Bestimmung maßgebend, von der Du mich in Kenntnis setzen wirst. Die beste Gelegenheit zur Ausbildung und zum Fortkommen unserer Kinder kann oder muß natürlich den Ausschlag bei der Wahl unserer Stätte geben.
Für unseren lieben Percy beklage ich es sehr, wenn er mal wieder aus diesem Erziehungssystem herausgerissen wird. Er ist so wißbegierig, er hat sich, trotzdem er so kindisch noch ist, schon ein hübsches Schatzkämmerlein von Wissen angelegt. Er würde mit Ostern Kadett hier werden. Er würde noch gerne einiges von der schönen Schweiz kennenlernen, die er so sehr wie seine Eltern zu lieben anfängt
...

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, 19. Februar 1864

An die Revolution in Deutschland glaube ich nicht. Der Michel kann zu viele Fußtritte vertragen und fürchtet sich zu sehr vor den Gendarmen. Und wenn er sich auch gerade nicht davor fürchtet, so flößt doch »der Gendarm in der eigenen Brust«, wie jener preußische General sich ausdrückte, ihm einen zu heiligen Respekt ein. Was läßt sich das Volk, was lassen sich die »Spitzen der Intelligenz und des Liberalismus«, was lassen sich die Vertreter des Volkes für Fußtritte gefallen, ohne auch nur mal energisch das Maul aufzumachen. Ich habe nichts Besseres von Deutschland erwartet nach meinen Beobachtungen von 1851 bis 1861. Möglich, daß Frankreich den Michel in den Strudel reißt. Möglich auch, daß liberale Fürsten oder Herzöge, zum Beispiel der Badenser - gegenwärtig der Liberalste, ja in Berücksichtigung seiner Stellung, der radikalste Mann Deutschlands - sich an die Spitze einer gesetzlichen Umwälzung stellt, dann mag's gehen. Hätte der Badenser den Mut, und vielleicht hat er ihn, ich bin überzeugt, die Geschichte würde gelingen. Wenn ich das Glück gehabt hätte wie Sigel, ich wäre jetzt, statt mich mit einem Gnadenbrot zu begnügen, längst aus dem Dienst der Vereinigten Staaten ausgetreten und nach Deutschland gegangen. Der würde leicht dort ankommen und viel leisten können
Wenn die Rebellion zu Boden geschlagen sein wird, werden die Vereinigten Staaten einen ganz unerhörten Aufschwung nehmen. In einigen Jahren wird der Süden hauptsächlich von Soldaten und Industriellen des Nordens dicht bevölkert und von dieser Einwanderung und von freien Negern aufgebaut sein. Ackerbau, Handel und Industrie werden blühen wie nie zuvor. Das ist aber nicht alles. Wir werden bestimmend einwirken auf die Politik Europas und des Erdballs. Wir werden propagandistisch auftreten und die Revolution, wo immer sie auftreten mag, unterstützen. Nur so mag Napoleons Ausspruch, daß Europa in 50 Jahren kosakisch oder republikanisch sein wird, in Erfüllung gehen, d. h. bis 1867 mag es republikanisch sein.

Fritz Anneke
an Mathilde   
Lansing, 5. April 1864

Ich lege Dir zwei Nummern des German-American bei. Das Blatt war bestimmt, die eingeborenen Amerikaner mit dem Leben und Treiben der Deutschen, besonders mit dem deutschen Radikalismus bekannt zu machen. Es erfüllt aber seinen Zweck schlecht, obschon es gerade jetzt dringend nötig wäre, der miserablen deutschen Bedientenhaftigkeit, die sich leider in dem größten Teil unserer Presse breitmachte, ein gebieterisches Halt zuzurufen. Der German-American hat dazu keine Fähigkeit. Was wir in Deutschland erlebt haben an der Bedienten-Presse ist nichts gegen das, was die deutsch-amerikanische Bedienten-Presse in Lincoln Uniform jetzt leistet. Einer der Vorkämpfer und Vorheuler ist Herr Brentano in der Illinois-Staatszeitung. Weil eine große Zahl prinzipgetreuer Deutscher gegen die Wiedererwählung des schwachköpfigen, prinziplosen Menschen sich auflehnt, deshalb brüllt jene extra-loyale deutsche Regierungspresse, die sich an den Brocken von Vater Abrahams Tische nährt, der man tausende von Dollars durch Regierungsanzeigen zu verdienen gibt, gegen die »Radikalen« mit einer ebenso schrecklichen Frechheit wie seinerzeit die deutsche Henkerpresse in Deutschland. Das Gesindel ist aber um so viel verächtlicher, weil es seine ganze Vergangenheit mit Füßen tritt. Meines Wissens gehören auch New York Abendzeitung und Demokraten, deren Redakteure sich nebenbei im New Yorker Zollhaus mästen, zu der miserablen Kläfferbande. Wir haben jetzt glücklicherweise ein Blatt, ein Blatt in englischer Sprache, das europäischen Radikalismus rücksichtslos und mit großem Talent vertritt; eine unerhörte Erscheinung in Amerika. Dieses Blatt, New Nation, erscheint seit dem 5. Mai in New York, wie es heißt unter Fremonts Auspizien. Ich habe drei Nummern desselben und würde sie Dir sofort zuschicken, wenn ich nicht die ausgezeichneten militärischen Artikel, die diese Nummern bringen, mir erhalten möchte. Diese militärischen Artikel, von einem General, einem ehemaligen französischen Offizier geschrieben, stimmen fast durchgängig und häufig Wort für Wort mit den Urteilen überein, die ich über Ereignisse und Personen gefällt habe, bringen aber dabei Tatsachen, die mir noch nicht bekannt waren und die ich sonst nirgend finde. Kann ich ein weiteres Exemplar erlangen, so schicke ich Dir eines zu. Es ist eine wahre Erfrischung, solche Sachen zu lesen, gegenüber der bodenlosen amerikanischen Verlogenheit, der frechen Übertreibung und Entstellung und der kritiklosen Anbetung.

Cäcilie Kapp
an Mathilde   
undatiert
Sonnabend früh, 11 Uhr

Dein Brief liegt da. Warum hast Du ihn geschrieben? Ich verstehe ihn nicht. Er hat mich vor Kälte zittern gemacht. Seit sieben Uhr, da ich ihn las, bis jetzt bin ich nicht aus dem Zittern herausgekommen - doch werde ich versuchen, es zu überwinden, denn was vermöchte nicht der Mensch? vom Größten, wie vom Geringsten lernt er sich zu entwöhnen - denn ihn besiegen die gewaltigen Stunden. Kalt und farblos liegt es da, das Leben, das jüngst leuchtete in den glühendsten Farben.
- Und nie und nimmer willst Du mehr ungerecht sein gegen Eine - selbst in Gedanken nimmermehr - Gott behüte - nein, um Gotteswillen nicht ungerecht. Wenn die »Eine« Mary ist, so beruhige Dich - Du bist nie ungerecht gegen sie gewesen nur gegen mich - auch nie treulos - auch nie auf dem Wege dazu - willst Du, so bekräftige ich es ihr mit einigen heiligen Eiden. Sie ist die Glückliche. Und sollst? - Nein, Du sollst nicht tauchen in mein Herz - nicht sollst - wenn Du es nicht magst und willst - Du brauchst nicht zu sollen - Du sollst nicht sollen. Tauche in Marys Herz - Ach hat es je Dich so geliebt wie - aber nein - ich liebe Dich nicht - auch komme ich nicht zu Dir mehr, Du riefest mich denn. Und selbst, wenn Du nicht so namenlos allmählich Dich versenktest in das andere Herz - ist dabei ein Unheil? Oder hab ich Dich gestört und Du magst gar nicht mehr hineinblicken?
Du sagst mir nicht, daß Du mich liebst, denn ich würde es nicht glauben, und wenn ich es glaubte, - ich würde sterben.
Was meinst Du, wenn Du es wagtest? Was meinst Du, wenn Du den Versuch machtest? Du sagst es mir auch, ich weiß es - und wenn Du es recht, recht oft wiederholst - so werde ich es ja glauben müssen, nicht wahr? Und ich, ich sag Dir's ohne Unterlaß.

Fritz Anneke
an Mathilde   
Lansing, 19. April 1864

Emil Anneke teilte mir bei seiner Rückkehr von Milwaukee mit, daß Großmutter ganz fidel sei und besser aussehe als im vorigen Herbst. Er traf sie beim Kaffee mit der Lektüre des von Karl Geisberg schön eingebundenen Geisterhauses beschäftigt. Krank ist sie allerdings und hat auch neulich einen höchst gefährlichen Anfall gehabt. Allein, ihre Krankheit, ein Krebs oder ein Geschwür im Unterleib, ist der Art, daß sie dabei noch manches Jahr leben kann, während allerdings auch Zufälle eintreten können, welche schon in einigen Monaten die Krankheit zu einer tödlichen machen. Johanna schreibt im Auftrag Großmamas, Du möchtest bald, recht bald kommen und womöglich Pauline mitbringen...
Für unsere miserable Kriegführung haben wir wieder neue, traurige Beweise. Seit Wochen, ja seit Monaten ist West Tennessee und West Kentucky, das wir schon vor zwei Jahren inne hatten, wieder im Besitz des Feindes. Ganz ungestört treiben sich 6000 Mann Rebellen in dem schmalen Landstreifen herum, in dem wir sechs befestigte Plätze und mindestens 15 000 Soldaten haben, vielleicht sogar 20 000. Der kommandierende General in Memphis tut nichts. Er ist nur bange, daß er über Nacht von den Rebellen aus dem Bett gejagt werden könnte, und hat wahrscheinlich alle Hände voll damit zu tun, wie er Bruder Williams, den spitzbübischen Marschall und Profoß von Columbus, nebst Konsorten retten soll. Die Rebellen durchspüren den ganzen Distrikt, vertreiben, hängen und plündern die hundertmal angeführten Unionsleute, sammeln Rekruten, Pferde, Maulesel, Lebensmittel usw., plündern endlich Podurah, heben ein ganzes Regiment in Union City, zehn Meilen vor Columbus, auf und probieren endlich Fort Pillow, wo sie alle Negersoldaten und die Hälfte der Weißen massakrieren. Daran ist niemand schuld als die miserable Holzhacker Administration, die an nichts anderes als an ihre Wiedererwählung denkt, und das jämmerliche Oberkommando der Armee, unter welchem ehrliche Leute und tüchtige Offiziere wie Verbrecher behandelt werden, während Schurken, Diebe, arrogante Schafsköpfe und Faulenzer und A-lecker florieren. Ich möchte nicht mehr in dieser Armee dienen, nämlich nicht unter diesem Generalleutnant
»Gold 69« rufst Du aus. Nun es stand endlich hier auf 89 ist aber jetzt wieder auf 71 herunter. Unsere Stadtpapiere behalten aber immer noch ihren Wert und werden immer mehr in Europa gesucht. Hätte ich nur mehr Geld, ich würde sofort davon kaufen

Fritz Anneke
an Mathilde   
Lansing, 26. April 1864

Meine liebe Mathilde!
Leider muß ich die günstigen Nachrichten über Mutter, die ich Dir in meinen beiden letzten Briefen mitteilte, bedeutend modifizieren, wenn nicht ganz widerrufen...
Von Detroit schreibt Emils Freund, daß der Zahlmeister jetzt Geld habe, daß er aber meine Papiere noch immer nicht habe durchsehen können. Ich kann gar nichts machen, wenn das Gesindel mich noch länger hinhält, und selbst dann nicht, wenn sie mir gar nichts zahlen. »Such is American liberty« - Freiheit der Schurkerei, der Spitzbüberei und Niedertracht ist eine unserer Hauptfreiheiten.

2. Mai 1864
Was uns die nächste Zukunft in politischer und militärischer Hinsicht bringen wird, ist mir noch nicht klar. Alle Drähte werden in Bewegung gesetzt, um den Maulesel Lincoln wieder ans Ruder zu bringen. Der ganze enorme militärische und Zivil-Apparat der Regierung dient wesentlich nur jenem Zweck. Ich sehe aber nicht, daß da auch nur die entfernteste Möglichkeit vorliegt, einen anderen Kandidaten aufzustellen. Und wenn die Möglichkeit da wäre, wo ist ein ordentlicher Kandidat zu finden? Ein Kandidat, der Bildung und Charakter besitzt, der energisch, scharfblickend und ehrlich ist. Unser ehemaliges Ideal Fremont ist auch ein arger Gauner, der sich von Spitzbuben und Humbugern leiten läßt. Butler ist ein Erzspitzbube, Banks, von dem ich lange Zeit viel hielt, ist nicht bloß Know-Nothing, sondern hat auch zur Genüge bewiesen, daß seine Energie und sein Talent bei weitem seiner Schurkerei und Niedertracht nicht gleichkommen. Seine militärischen Operationen sind kopflos. Die armen Neger werden von seinen Agenten schlechter behandelt als von ihren Masters, und gestohlen wird in seinem Department mehr als je zuvor. Es sieht traurig aus in unserer Republik.
Die militärischen Erfolge dieses Jahres sind bis jetzt ganz auf Seiten der Rebellion. Wir haben eine Reihe empfindlicher Niederlagen erlitten und mit einem Teile unserer Armeen eine Reihe zweck-und erfolgloser Bemühungen gemacht, die einer moralischen Niederlage gleichkommen. Wie wenig Vertrauen ich auf den Glückspilz Grant habe, schrieb ich Dir schon früher. Er will jetzt versuchen, den Feind auf dem blutgetränkten virginischen Kriegsschauplatz durch eine ungeheure Überzahl zu erdrücken. Möglich, daß ihm das Glück wieder, wie so oft schon, zur Seite steht. Möglich aber auch, daß sie ihm die falschen Lorbeeren vom Kopfe reißen.
Hier in Lansing dreht sich das ganze Interesse um die Nomination für die nächsten Staatswahlen. Emil namentlich ist ganz davon in Anspruch genommen. Jeder politische Luftzug macht ihn krank. Ist er erst glücklich wieder als Kandidat für sein Amt aufgestellt, so glaube ich, daß er bald wieder ganz gesund sein wird. Im Fall seiner Wiedererwählung will er mich zu seinem Deputy machen, ein Amt, das etwa 1800 Dollar einbringt, mit Hilfe von Spekulationen aber einige tausend einbringen kann.
Brigade-General Willich, dem ich auf seinen Wunsch einen längeren Brief geschrieben hatte, hat mir noch nicht zu antworten beliebt. Er hat Cincinnati wieder verlassen und das Kommando über seine Brigade wieder übernommen. Das 35. Wisconsin unter Herrn Oberst Orff ist nach St. Louis abmarschiert, um von da zur Armee des General Steel in Arkansas zu stoßen. Sonst höre und sehe ich außer den Zeitungsneuigkeiten fast gar nichts von der Welt.

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, den 2. July 1864

Mein lieber Fritz!
Gestern abend spät kam ich mit unserm Herthachen in unser einsam gewordenes Nestchen zurück. Am 29. reisten wir mit Mary und Lilly nach Basel, blieben dort die letzte Nacht zusammen und nahmen am andern Morgen den Zug nach Paris, d. h. für Mary und das Kind, während Hertha und ich sie bis nach Mülhausen begleiteten. Der Schmerz der Trennung hat uns so überwältigt, daß ich nicht darüber wieder nachzudenken vermag. Hertha brach in solche Tränenflut aus, als die Wagen fortrauschten, daß ich genug mit ihrem armen Herzchen zu tun hatte und an das meine gewiß nicht mehr denken konnte. In Mülhausen mußte ich zwei Stunden warten, ehe ich wieder zurückkehren konnte. In Basel nahm sich die Familie des amerikanischen Konsuls Wolf unser an. Dann fuhr ich nach Rheinfelden ins Solbad zu Struve, wo Hertha liebe Kinderchen fand, und ich für einige Stunden Trost und Ruhe.
Ich hätte Mary gern bis Paris oder Havre gebracht, aber es würde unrecht von mir gewesen sein, die Mittel dafür zu verwenden, wo unsere Kinder und unsere ernsten Verpflichtungen gegen Gläubiger strenge berücksichtigt werden müssen. Ich hatte die Beruhigung, daß Friede Hammacher, der Mary nicht wollte scheiden lassen, ohne sie gesehen zu haben, erklärte, er werde sie zum Meere bringen. Mit außerordentlich viel Güte verlangte er von mir, daß ich seine Börse, die er »recht füllen« wolle, in Anspruch nehme. Aber das vermag ich nun einmal nicht. Die Ausgaben würden sich doch auf 300 bis 400 Franken vermehrt haben. Die Reise für Mary kostete mehr als jene 250 Franken, die Booth dafür ausgeworfen hat. Von jenen 500 Franken mehr, die er gesandt hat, ist ein Teil unserer Schuldenlast hier abgezahlt.
Heute wird Mary noch in Paris sein, heute abend aber weiter nach Havre gehen, von wo sie Montag sich zunächst nach South Hampton einschifft. Sie hatte ihre Fahrt auf der am 6. dort absegelnden »Amerika«. Der Konsul in Havre hat es übernommen, sie von dort weiter zu expedieren. Der Agent schrieb mir, daß sie das beste Gemach habe und daß dort überhaupt alles geschehen solle, was zu ihrer Bequemlichkeit dienen könne. Ihr Leiden ist immerfort beängstigend und unser Scheiden - »It may be for years, it may be for ever«.
Der Schmerz hat mich seit einigen Stunden so gepackt, daß ich die Feder habe hinlegen müssen - ich weiß nicht wo ichs suchen soll, was ich für alle Ewigkeit verloren habe. Ja so ist es - denn wenn, wenn wir uns auch wiedersehen sollten - der Traum ist vorbei und, nicht so sanft, wie wir gehofft und geglaubt, hat das unerbittliche Schicksal uns daraus geweckt. Die Schneeberge blicken so leis verschleiert über den See hinweg; sie waren in den letzten Tagen so selten zu sehen
Nach den Alpen können wir nicht so schnell gehen, es kostet doch gar zu viel, und neue Schulden, die wir in den letzten Tagen noch gemacht haben, sollen erst abgetragen werden. Ich möchte nicht gerne so gleich wieder die Treasury Notes verpfänden. Sparsamkeit und Erwerb für alte Tage ist jetzt mein Studium. Ich habe also den registrierten Brief mit 250 Dollar richtig erhalten. Ich glaube, wenn Du mein Hauptbuch einsähest, so würdest Du zufrieden mit mir sein. Meine immer einlaufenden kleinen Honorare helfen gut vorwärts in den täglichen Ausgaben, insbesondere kommen die hundert Taler für das Geisterhaus recht zur Zeit. Ich werde mich nächstens wieder recht in die Arbeit stürzen.
Wie schwer wird es einem werden, ein Land wie die Schweiz meiden zu müssen. Wenn die Menschen in ihrem Innern und Äußern schöner wären, ich glaube, ich würde ewig hier zu bleiben wünschen. Am letzten Sonnabend, es ist gerade acht Tage und um diese Stunde (7 Uhr), da folgten Mary und ich noch einer letzten Einladung von einer amerikanischen Familie hinauf auf den Utli. Mary ritt natürlich, und ich und eine Dame und ein Herr gingen zu Fuß. Wir kamen im Dunkeln hinauf. Tief unten im Tal zeigte sich Zürich nur als ein Sternenmeer (mit seinen tausend Gasflammen). Am andern Morgen vor 4 Uhr sahen wir den Aufgang der Sonne und die Beleuchtung der aus einem dunkeln Rahmen hervortretenden Finsteraarhörner. Gegen 8 Uhr gingen wir wieder herunter. Mary und ich gedachten fort und fort beim Niedersteigen unserer Fahrt damals mit Dir. Es sollte also unsere erste und letzte Fahrt sein. Bei den Felsenblöcken, wo ich damals fast meinen Geist aufgegeben hätte, nahmen wir Abschied von den Bergen.
Wann ich wohl einen Brief von Mary bekommen werde? Und ob sie wenigstens glücklich in Paris ankam? Mir klopft das Herz vor Angst, daß sie Krämpfe bekommt. Dann, dann weiß ich nicht, was werden wird.
Das Allerschmerzlichste bei unserem Abschiede, lieber Fritz, ist das Bewußtsein für mich, daß Mary in der amerikanischen Atmosphäre vergiftet wird. Ihr harmloses Herz hatte von diesem Gift schon zu viel getrunken. Sie kann seinen häßlichen Einflüssen nicht widerstehen, sie wird daran zu Grunde gehen. Vielleicht, daß ihr Genius, wenn er die Hülle nicht braucht, kühne Aufschwünge nimmt, aber der Halt fehlt ihr, und da wo sie ihn sucht - in ihrer Religion, gleitet er ihr unter den Füßen erst recht weg.
Fast glaube ich Dir gestehen zu müssen, daß ihr »Gott der Liebe« uns beide getrennt hat und uns für alle Zeiten getrennt hält. Allerdings kamen Umstände anderer Art, als die Sehnsucht nach ihrem ältesten Kind usw. usw. dazu. Aber mit der Kraft im Herzen, die nur die Überzeugung geben kann, daß man selbst sein Gott ist, wäre vieles zu überwinden gewesen. Genug - ich habe sie nicht mehr.
Es wird dunkel und ich muß weinen!
Die Kinder grüßen und küssen Dich.
Lebe wohl, leb wohl. Deine Mathilde

Mathilde
an Fritz Anneke   
Herbst 1864, genaues Datum fehlt

Mein lieber Fritz!
Es dünkt mich eine Ewigkeit, seit wir den letzten Brief von Dir bekamen. Ich habe wieder so sehr an Leberschmerzen gelitten, daß ich weder meine Arbeiten habe verrichten können, noch Dir schreiben. Seit zwei Tagen bin ich wieder befreit von ihnen. Vorher nur wollten die Leiden mich fast keinen Augenblick verlassen. Man ist ihnen doppelt und dreifach unterworfen, wenn man sich so allein bei den Kindern befindet. Die drängen sich dann noch viel näher an einen heran wie sonst, die lieben Tierchen.
Gestern war ich mit Hertha und Cäcilie zum ersten Mal wieder aus. Als wir zurückkamen, sprang Percy uns entgegen. Ein großer recommandierter Brief, aber Papa hat die Anschrift nicht gemacht. Was kann das sein? Fritz hat ein Unfall betroffen, war mein Gedanke. Bald hatte ich den Brief geöffnet; es war keine Hiobsbotschaft. Es war ein freundliches Schreiben von Lexow mit einer 100 Dollar Obligation und so schmeichelhafter Anerkennung meiner bescheidenen Leistungen für sein Blatt, daß es mich erfreut hat. Etwas Anfeuerung tut bisweilen Not. Ich kann ohne das nichts leisten, weil ich nicht viel von mir selber halte und oft fürchte, den Leuten lästig und zudringlich zu erscheinen. Er sagt, seine Leser würden mich sehr entbehren, wenn ich nicht mehr schriebe. »Ihre Schreibart hat etwas so Anziehendes, Frisches und Sinniges.« So darf ich denn getrost fortfahren. Für die Illinois Zeitung hat es mir an Stoffen gefehlt. Was kann man aus einem einzigen schlechten Blatt - das ist alles, was ich lese und halte - für Anregung und Material schöpfen? Dazu die sitzende Lebensweise, die ich gar nicht mehr aushalten kann. - Es ist schade, ich könnte etwas erschwingen helfen.
Werden wir im nächsten Sommer wieder beisammen sein, hier oder dort? Lebt mein Mütterchen noch, so möchte ich hinübereilen, die letzten Stunden mit ihr zu verbringen.
Was wird Mary, die arme Mary unternehmen? Sie macht mir so viel Sorge wie ein Kind. Ihr Herr Gemahl scheint derselbe unehrenhafte Kerl zu sein, für welchen ich ihn immer halten mußte. Sie klagt, er habe ihr noch nichts an Alimenten zukommen lassen; sie selbst könne auch nichts von ihm annehmen mit »honor«. Etwas ist faul im Staate - was es ist, kann ich nicht ergründen, oder will es nicht
Lexow schreibt mir drei Seiten lang über die augenblicklich gereizte Stimmung drüben und sucht seine Unterstützung Lincolns vor mir zu rechtfertigen. Es ist dies eine indirekte Aufforderung an mich, in meinen Berichten von hier für Lincoln zu streiten. Ich glaube, so wie wir hier die Dinge beurteilen können, würde ich mich unter der augenblicklichen Lage der Sache unbedingt für Lincoln erklären. Aber da Du gegen ihn bist, und wir doch bis jetzt stets in Kardinalfragen vollständig übereins waren, so  muß ich Deinen Motiven - deren ich leider wenige oder gar keine kenne - blindlings folgen. Ich bin für Lincoln, weil ich einen tödlichen Haß gegen McClellan habe. Würde die nächste Convention uns einen Chase oder gar einen Buttler nominieren- ich würde beide Gegner Lincoln und McClellan gleich viel verachten. Aber um einen Verräter zu stürzen - mag doch ein Dummkopf wohl zum Schemel dienen? Wenn das Volk sich nicht zu einem andern erheben kann, so ist das ein trauriges Zeugnis für das Volk. Aber da das Heil der Welt davon abhängt, mag man doch zuerst noch sehen, wie es zu retten ist. Cäcilie Kapp nennt mich sehr konservativ
...

Fritz Anneke
an Mathilde   
Lansing, 5. September 1864

...Die Angelegenheiten der Union haben sich in der letzten Zeit bedeutend besser gestaltet. Die Erfolge Farraguths, Shermans und des Renommisten Sheridan sind von größter Wichtigkeit. Wenn der Generalleutnant durch seine stupide Dummheit nicht wieder alles verdirbt, so muß es mit der Rebellion bald, jedenfalls demnächst zu Ende sein.
Gold ist infolge der Siege und unserer prompten Zinszahlungen von etwa 260 bis auf 200 heruntergegangen. Nach den Veröffentlichungen in der New Nation hat sich Herr Fremont ganz so gemein gezeigt, wie ich es nach früherer zuverlässiger Mitteilung von ihm erwartete. Durch eine hundsgemeine Intrigue versuchte er dem Redakteur das Blatt aus der Hand zu winden Man braucht in Amerika nicht »die Ideale in den Kot zu ziehen«, sie fallen von selbst in den Kot und wälzen sich mit Lust darin herum...
Generalmajor Schurz, der schon lange kein Kommando mehr hat, wurde jeden Tag in Milwaukee erwartet, um Stimmungsreden für Old Abe zu halten. Er kann sich seine $ 6000 nicht ganz umsonst fressen. Auf »Stimmung«, sagte der Seebote reimt sich »Lump«.

15. September
...Die letzte Nummer des Illinois Sonntagsblattes mit Deiner Novelle kann ich Dir nicht mehr verschaffen. Das einzige Exemplar, das ich noch hatte, schickte ich an Fanny
Generalmajor Schurz soll resigniert haben, nachdem man ihm das Kommando über ein Lager von Rekonvaleszenten und unberittener Kavalleristen gegeben hatte. Sigel hatte sich in »edler Resignation«, wie das Illinois Saublatt sich ausdrückte, wieder einmal zum Kommandanten einer Eisenbahn degradieren lassen
Der Rebellion scheint jetzt die Kasse zugeschnürt zu werden, trotz Banks schmählicher Niederlagen und trotzdem Gold wieder auf 195 steht. Sherman und Grant haben große Erfolge erzielt, namentlich der erstere. Grant hat nach den ersten Dummheiten und rücksichtslosen Metzeleien später fest und rasch manövriert. Vielleicht daß die Kritiken der New Nation ihm genützt haben oder ihm ein Mann zu Rate steht, der mehr Talent und Einsicht hat als er.

Mathilde
an Fritz Anneke
Zürich, den 6. September 1864

...Wüßte ich etwas über Dein inneres Leben, das Du seit langer Zeit vollständig vor mir zugeknöpft hältst, wüßte ich etwas über die Pläne der Zukunft, so wäre es ein Leichteres für mich einzutreten, Dir mit Vorschlägen usw. an die Hand zu gehen. Daß das Verhältnis in Lansing, ebensowohl Deinem guten, schwachen Bruder gegenüber, als auch der niedrigen Seele seiner Frau, Dich auf längere Zeit sehr unzufrieden, ja unglücklich machen würde, das war vorauszusehen. Es ist das stets mein Unglück gewesen, daß Du gemeine Naturen mir vorgesetzt hast, und während Du mich immer unterschätzt, jene so weit, weit überschätztest. Wo Du mehr geliebt wurdest als von mir, wirklich geschätzt und wirklich erkannt von schöneren Menschen als ich - da bin ich freiwillig und gern immer zurückgetreten ohne jene Eifersucht, die mir oft ungerecht zum Vorwurf wurde. Wo ich aber Deine Verirrungen in dem Erkennen von Menschen, wo ich sah Dich im Banne gehalten, in Fesseln, die Deiner unwürdig waren, da bin ich sehr unglücklich und elend gewesen. Das ist nun vorüber. Ich kann Dir liebend und mahnend zur Seite stehen, aber meinen Stolz kann ich nicht mehr opfern und Dir gestatten, andere mir vorzuziehen, die es nicht wert sind. Du wirst das freilich nach wie vor tun, mich immer falsch und hart beurteilen, niemals meiner Individualität, die nun mal sehr weit sich aus dem gewöhnlichen Kreis herausgerungen hat, Rechnung tragen. Und ich werde nichts, nichts dagegen machen können, wollte ich es auch noch einmal versuchen, mich meiner ganzen Eigentümlichkeit zu entäußern. Aber das will, das brauche ich Dir hinfort nicht mehr zu gestatten, daß es mich namenlos unglücklich und elend macht. Du hast in mir immer noch das alte treue Herz, das Dich kennt, Dich liebt, Deine Eigenschaften, die guten, hoch verehrt. Aber dies Herz hat nach langer Probezeit endlich seine Unabhängigkeit wieder erlangt, und die will ich mir hinfort zu bewahren streben um Deiner und um meiner Freiheit willen...
Es kommt nun darauf an, wieder eine Heimat auszufinden, wo wir unsern Wünschen und Ansprüchen gemäß leben können. Nachdem Du nicht wieder ins Feld gehen willst, hat es keinen Sinn mehr, daß Du Dich länger dem Glück enthältst, Deine Kinder bei Dir zu haben, nicht wahr? Ich würde Washington gerne sehen, aber wenn meine Mutter noch etwas lebt - doch lieber ihr nahe sein.
Deine alte Mathilde
P.S. In Bezug auf den Tod Lassalles verweise ich Dich auf meinen Artikel in der Criminal-Zeitung. [9]

Cäcilie Kapp
an Mathilde   
Zürich, 21. September 1864

Du bist Dir immer so gleich in Deiner harmonischen Stimmung! Ewig dieselbe reizende Liebenswürdigkeit, die keine Ermüdung und keine Schatten kennt. Ich beneide sie Dir seit vier Jahren, aber ich werde nie dahin gelangen. Was kam heute über mich und hielt mich gefangen? Etwa Deine interessanten Rückblicke in stürmische Vergangenheit? Die Erinnerung an alle die Liebe, die Du gegeben; an Liebe, die Du genommen?
Nein, das alles fesselte mich mehr, wie irgend etwas nur im Stande ist, mich zu fesseln. Es war das, was ich Dir schon öfter erwähnte, eine Todestraurigkeit, die sich wie eine dunkle Wolke über mich legte. Und warum? Weil Du so wunderschön bist. Schön bist und geschmückt und reich wie je ein Weib es auf Erden ist und war. Dein Herz strahlt oft so betäubenden Duft aus auf das meinige, daß ich meine, vergehen zu müssen, weil all meine Liebe nicht ausreichen wird, Dich zu erfassen und fest zu halten und glücklich zu machen.
Das ist die Todestraurigkeit, die ich sonst nirgend gekannt habe, weil vielleicht sonst ich kühn und stolz und siegbewußt gemacht war und mir keine Zeit gelassen wurde, todestraurig zu sein. Laß mich weinen, Mathilde, und nimm meinen Kopf in Deine Hände - ich glaube, ich bin krank - ich sage nicht, mach mich gesund - denn Du kannst nicht anders sein, als Du bist. Du bist himmlisch und einzig und so lind und bezaubernd, daß es nicht in eines Menschen Gewalt ist, reizender zu sein. Ich sage nur: Habe Geduld! - Gute Nacht, liebe Mathilde, liebe, geliebte Mathilde.

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, den 21. November 1864

Mein lieber Fritz!
Noch immer kein Zeichen von Dir. Es ist sehr betrübt mit den Kindern so weit und so allein in der Fremde zu sein, und unter so manchem harten Druck. Ich hatte eben zwanzig Dollar Currency für sechzig Franken eingewechselt; davon werden mir in diesem Augenblick schon wieder 30 Franken für Percys Schulgeld, ferner für Schuhmacherrechnung 25 Franken abgefordert. Was bleibt zum Leben? Ich sitze so sehr in Sorgen und Bekümmernis, daß ich es nicht länger ertragen kann.
Erlaube mir, lieber Fritz, Dir einen Plan vorzutragen, von dessen Gutheißung und Gelingen vielleicht für uns Erleichterung der schwierigen Lage kommen könnte. Mit Deinen Aussichten steht es in diesem Augenblick so hoffnungslos, daß mir ja die Hoffnung auf eine Heimkunft fürs erste nicht blühen darf. Gelingt der Plan, den ich Dir vorlegen werde, so ist damit vielleicht die Möglichkeit Deines Hierherkommens in Aussicht gestellt. Der Plan ist folgender:
Wir geben von hier aus, etwa unter dem Titel Allgemeine Transatlantische Korrespondenz für Amerika Korrespondenz für die deutschen Blätter der Union heraus. Dieselbe bringt einen Hauptartikel, in welchem sie die Situation der Tagesneuigkeiten aller mehr oder minder im Vordergrund stehenden Länder Europas bespricht. Sie nimmt besondere Rücksicht auf die sozialen Verhältnisse und deren Entwicklung; sie liefert eine literarische Übersicht und bringt die Blumenlese von unterhaltendem Stoff; sie zeichnet sich durch Gediegenheit, Vielseitigkeit, Wohlfeilheit aus. Für die geeigneten Mitarbeiter in verschiedenen Ländern wird Sorge getragen. Für den politischen Artikel, den leitenden, anfangs eine literarische Kraft engagiert. Ich schreibe, was zu meinem Fach gehört und was meine Fähigkeiten mir gestatten. - Die Korrespondenz erscheint im ersten Quartal wöchentlich einmal. (Stellt sich nach dem ersten Quartalein größeres Bedürfnis heraus, so kann später der zweimalige Postenlauf nach Amerika in der Woche benutzt werden.) Jede deutsche Zeitung oder Zeitschrift Amerikas ist eingeladen zu abonnieren. Sie erhält für eine vierteljährige Zahlung von 12 Franken zwölf Korrespondenzen in autographischer Schrift in wöchentlichen Zusendungen franko. -
An die betreffenden Zeitungen Amerikas muß sofort ein Circular in Bewegung gesetzt werden. Die Beträge werden gleich beim Abonnement an Dich gesandt. Findet die Sache Anklang, hast Du Vertrauen zu ihr, ist Dir die erste Organisation drüben gelungen - so kannst Du, wenn Du willst, ihre Leitung persönlich an Ort und Stelle in Europa übernehmen. Kannst auch ihren Erfolg für das erste oder zweite Quartal abwarten und dann weitere Entscheidungen treffen; kannst die Correspondenz verdoppeln, das Geschäft erweitern, sie mit einer, englischen Ausgabe vermehren usw.
Über den Ort wo sie erscheinen soll, ob hier oder in Paris wäre weiter zu reden. Ich für meinen Teil wünsche bei einem längeren europäischen Aufenthalt nicht ferner in Zürich zu bleiben.
Willst Du nun die Sache dort in Bewegung setzen, so tue es sogleich. Ich stelle Dir's anheim, Deinen oder meinen Namen dafür zu gebrauchen. Die Firma kann indessen »Die Redaktion« immerhin sein. Die vierteljährigen Ausgaben habe ich auf 1000 Franken für eine Auflage von 200 veranschlagt. Darin ist einberechnet das Honorar für den Hauptmitarbeiter und die übrigen Berichterstatter mit 500 Franken. Das Porto für die Frankatur nach drüben für 100 Correspondenzen mit etwa 150 Franken. Das übrige für Presse und Papier, sowie Bürokosten. Sobald 50 Abonnenten fest sind, gezahlt haben, beginnt die Correspondenz. Ich stelle den Zeitraum auf 1. März. D.h. im Februar müßte der Umzug und die Arbeit beginnen, gegen den ersten März das erste Manuskript dort erscheinen. Ich rechne im Laufe des ersten Quartals auf mindestens 100 Abonnenten. Blätter wie die größeren New Yorker, Cincinnati, St. Louis usw. müssen abonnieren, selbst wenn sie nicht den Abdruck benutzen wollen, so können  auch  englische Zeitungen  darauf aufmerksam gemacht werden.
Für den Fall, daß Du nach der eingeleiteten Organisation wolltest selbst zur Führung der Redaktion und des Geschäftes hierher kommen, so übernähme Louis Scheffer oder noch besser der gediegene Schmittill die Einziehung der Gelder dort und die Aufnahme der Abonnenten.
Ich bitte Dich, lieber Fritz, setze alles in Bewegung, noch einmal für diesen Lebens- und Hoffnungsfunken, der nichts wie unsere augenblickliche Arbeit und Mut fordert. Du glaubst nicht, wie wir hier Gegenstand des Mitleids sind und wie wir alles, alles ertragen und alles aufbieten, um durchzukommen. Willst Du die Sache angreifen, so sage nur gleich, was zu tun ist. Ich werde dabei auf dem Posten sein
Gerne käme ich in die Heimat zurück. Allein kann ich dort erwerben, wie ich es hier für den äußersten Notfall kann? Kann ich die Redaktion eines belletristischen Blattes irgendwo bekommen? Lcxow tut was für mich; wenn es auf einen Puff ankommt, werden mehrere von der Zunft nicht zurückstehen. Ich will arbeiten, aber ich will auch ohne diese nagenden Sorgen dafür leben. Ich will für die Kinder mindestens die Mittel erzielen, die nötig sind, ihnen Gutes und Schönes lehren zu lassen. Ich will uns gut kleiden können und Wärme und Nahrung haben. Das alles geht uns ab. Frage Deine Bekannten, frage meine, ob es nicht so ist. Deine Schuld ist es nicht, die meinige auch nicht. Aber es würde meine unverantwortliche Schuld sein, wenn ich in diesem Zustande länger verbliebe. Ich mußte leider damit beginnen, den Dollar für drei Franken zu verkaufen; und das war ein Zufall.
Meine Novelle steht gegenwärtig im Feuilleton vom Bund und gefällt. Ich bekomme 8 Franken für jede Nummer und fülle doch nur einen geringen Raum. Hätte ich etwas interessanteren Stoff von dort, ich würde noch mehr bringen.
Eben kommt die Nachricht von Lincolns Erwählung. Besser das Schlechte als das Schlechteste. Rom ward auch in einem Tag nicht erbaut.
Kennst Du Elisa Farnham's Woman and her Era? Hätte ich's, ich glaube, ich würde es zur deutschen Herausgabe übersetzen. Was hältst Du von dem Buch?

Mathilde
an Fritz Anneke
den 24. November, 1864
12 Uhr Mitternacht vorüber

Lieber Fritz!
Ich habe nun einmal den Plan wegen der autographischen Korrespondenz niedergeschrieben.
Dein Brief vom 1. November, worin mir das Anerbieten, das Dir durch Mr. Fuchs nach Dubuque gemacht ist, kund wird, läßt mich die Erfüllung so mancher Wünsche und Lebenspläne für die älteren Tage möglich erscheinen, daß ich fürchte, es ist zu schön, um wirklich zu sein oder verwirklicht zu werden. Nach dem schönen Mississippi, den ich als gute Amerikanerin nicht einmal kenne, nach Iowa, das mir stets vor Augen geschwebt, nach Dubuque - Galena gegenüber, wo ich auf dem Wege dahin, in Elgin ein kurzes, aber das einzige wahre und schöne amerikanische Idyll ausgelebt habe. - Und dort ein gesichertes Leben, dem Schönen und Guten gewidmet, führen zu können! Dort die Zukunft unserer zwei vorbereiten zu können in der Nähe der Blumenprärien - in der Nähe des Urwaldes -das wäre wohl ein Ideal! Dennoch aber, es könnte ja wiederum eine Täuschung sein, wie so vieles im Leben es war. Jedenfalls aber denke ich an den Fortzug von hier und habe darum bereits meine Wohnung gekündigt.
Ich teile Cäcilie, die in Paris glücklich angelangt ist und dort sich nach allen Seiten noch in diesen Monaten zu vervollkommnen sucht, besonders in italienisch und in den Feinheiten der französischen Sprache, Deine Nachrichten mit. Die Familie muß von ihrem Vorhaben einstweilen nichts erfahren, denn der Vater hat ihr nur eine Erlaubnis für drei Monate erteilt. Im Institut wird ihre Abreise nur als Ferien- und Erholungsreise angegeben

Fritz Anneke
an Mathilde   
St. Louis, am 30. November 1864

...Betreffs Korrespondenzen fällt mir ein, daß Du bei der Augsburgerin einmal anfragen könntest, ob sie Korrespondenzen aus St. Louis von mir haben will. Dieselben würden sich hauptsächlich um die Entwicklung des neuen Freistaates Missouri - ein Freistaat wird es zu Anfang des nächsten Jahres werden - und um das hiesige Deutschtum, gelegentlich auch um allgemeine politische und militärische Verhältnisse in den Nachbarstaaten drehen...
Es wird Dich interessieren zu erfahren, daß Herr Sobolewsky Direktor der hiesigen Philharmonischen Gesellschaft ist und in dieser Gesellschaft von Zeit zu Zeit Konzerte gibt, die von allen Musikkennern für äußerst brilliant erklärt werden So viel kann ich übrigens direkt behaupten, daß St. Louis reich an guter Musik ist. In vielen Bierlokalen kann man täglich gute Musik hören. In dem größten und besten Bierhaus spielt jeden Abend ein ausgezeichnetes Orchester von 14 Instrumenten - gratis...
Wir haben heute hier Sommerwetter, etwa plus 20 Grad Reaumur, währenddem in Milwaukee oder in anderen nördlicheren Teilen von Wisconsin schöne Schlittenbahn ist und das Thermometer minus 14 Grad Reaumur zeigt.
Unsere politischen und militärischen Verhältnisse sehen nicht sehr ermutigend aus. Vater Abraham ist zwar wieder gewählt, aber seine Generäle erreichen nichts. Herr Grant fährt fort, vor Rich-mond das Maul aufzusperren. Herr Sherman hat zwar den Feind im Shenandoah Tal unendlich oft »vernichtet«, ist aber keinen Fuß breit weitergekommen, und hat seine militärische Unfähigkeit durch die scheußliche Verwüstung des prachtvollen Shenandoah Tales - eine Verwüstung, wie es seit den Zeiten der Hunnen und Vandalen ihresgleichen nicht mehr gehabt hat - zu demaskieren gesucht. (Doch mir fällt ein, daß wir ähnliche Verwüstungen während des Dreißigjährigen Krieges und den sogenannten Reunionskriegen durch Ludwig XIV. in der Pfalz hatten.) Unsere stupide Presse schweigt zu allen Dummheiten, zu allem Nichtstun, zu allen Greueltaten unserer Generäle. Wie Herrn Shermans fabelhafter Zug enden wird, ist sehr fraglich. Jedenfalls gibt er durch das willige Aufgeben von Tennessee, Kentucky, Mississippi und Nord-Georgia dem Feinde mehr preis, als er ihm durch seine Verwüstungen und Plünderungen entzieht.

Mathilde
an Fritz Anneke
am 5. Dezember 1864

Mein lieber Fritz!
Von Dir noch kein Brief da, aber von unserer lieben Freundin Cäcilie aus Paris. Ihre Teilnahme und ihre Liebe hilft mir etwas, den Mißmut der entsetzlichen Einsamkeit zu zerstreuen. Auch meine gute treue Franziska, die mir stets und fleißig schreibt, hat manchen Trost für uns und in dieser argen Zeit auch Hilfe. Durch ihr letztes Geschenk war's mir möglich, alle die vielen Wünsche unseres Herthachens zu erfüllen. Wie wir aber noch bis zum Ende des Winters kommen werden, sehe ich nicht ab. Am 7. März ist der Mietzins wieder fällig und die traurige Möbelmiete schon übermorgen. Dabei habe ich noch keinen Centime. Die wenigen fälligen Honorare reichen kaum für zwei Wochen täglichen Lebens hin.
Ich bin in großer Spannung auf Deinen nächsten Brief, der mir von dem festen Engagement Deiner Stellung Meldung geben soll. Wird der Traum am Mississippi sich erfüllen oder wird nicht zuvor eine »transatlantische Korrespondenz« noch als ratsam und ausführbar erscheinen.
Ich möchte Ende Februar nach Paris. Es ist dort so billig existieren wie hier in dieser trostlosen, ländlichen Abgeschiedenheit. Meine Miete hört mit dem 7. März auf. Die Kinder werden in der französischen Sprache gewinnen, in der englischen ebenfalls. Ich finde Cäcilie dort wieder, sie die unsere Kinder sehr liebt, würde mir bei deren fernerer Ausbildung sehr hilfreich sein. Wir bereiteten uns so zusammen für unsere nächste Zukunft am Mississippi vor. Geld aber müßte ich viel, sehr viel verdienen. Cäciliens Beschäftigung ist Stunden geben. Cäcilie hat mich sehr lieb, und ich habe sie sehr sehr lieb, allein sie mußte uns verlassen, um sich für ihren größeren Schritt vorzubereiten. Hatte ich hier auch manche Sympathien erregt, bei näherer Berührung mit der »Ketzerin« wichen die zarten Seelen zurück. Ach, ich bin oft ganz verzagt. Mir ist die Liebe der Menschenherzen, mir ist der Umgang mit Menschen so notwendig.
 Du wolltest bei der Westlichen Post wegen Wiederabdruck des Geisterhauses agitieren. Das wäre gut. Ein viel besserer Roman, etwas länger als dieser von Mary und von mir - die Anlage ist zumeist von Mary - sie wollte immer ihre englische Edition nach meiner deutschen übersetzen - ist Uhland in Texas. Der war bereits angenommen, sollte aber erst nach einem Jahre in Druck kommen. Hätte ich's damals nur akzeptiert, so erschiene er jetzt. Kurzum er liegt da im Manuskript. Was soll ich damit anfangen? Etwa für die Illinois Staatszeitung?
Deine Tilla

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, den 21. Dezember 1864

Lieber Fritz!
Krank und traurig vor allem Warten auf Nachricht von Dir - trifft in diesem Augenblick Dein Brief vom 30. November ein, mit einem so reichen Geschenk für uns und manchen Mitteilungen, die Freude bergen. Das Fehlschlagen der beiden Stellungen sollte Dich nicht entmutigen, so lange die »fröhliche Kunst«, d. h. die Literatur noch lebt. Du weißt, sie war immer mein Anker, wenn alles andere schwand. Aber wenn Du nur noch etwas in St. Louis aushalten möchtest! Anfangs war ich dafür, daß Du Dich nach New York wandtest; nun Du aber nach St. Louis gingst, war's auch gut, und schade, wenn Du die Probezeit dort wiederum verlörst. Schreibst Du von St. Louis über Missouri Zustände, oder über westliche überhaupt, so bist Du ein willkommener Korrespondent für die Allgemeine. Denke Dir doch, daß ich aus den Blättern, die Du mir von dort sandtest, meine allbekannten Artikelchen schmiedete und sie durchbrachte. Sie brachten mir zum Lohn einen Wechsel, der mich aus der verzweifeltsten Not riß. Schriebst Du daher von dort - so bezöge ich hier den Lohn in deutschem Gelde, während Du meinen dort für Dich verwenden könntest.
Ein Roman liegt fertig - N.B. nur in einer Abschrift - eine zweite wird mir zu teuer und zu lange Zeit rauben - darum schicke ich ihn, nur aber wie? Mary schrieb auch, daß ich ihn senden solle, sie wolle ihn in Englisch und Deutsch - dazu mit Illustrationen von ihrem Artisten sofort an Frank Leslie verkaufen und mir das Honorar für beide Arbeiten senden. Leider sind die hiesigen Buchhändler hier jetzt auch so schlau geworden, in ihren Kontrakten von vornherein die Klausel zu machen: »Das Recht des Verlags wird übergeben für Europa und Amerika.« Ich war in meinem Kontrakt mit Costenoble vorbeigeschlüpft, aber hinterher kam er brieflich damit. Mein Sturmgeiger wird gut - drei Bände - auf den Costenoble schon rechnet. Wie ich's mit dem mache? Du rätst! Der vorliegende Roman, Uhland in Texas, ist so lang wie das Geisterhaus. Er war ursprünglich für eine deutsche Ausgabe bestimmt und auch verkauft für hundert Taler. Allein, da der dumme Buchhändler, der mittlerweile mit dem Schleswig Holstein Schwindel Spekulation trieb, ihn mindestens acht Monate zurücklegen wollte, so zog ich ihn zurück. Das traf gerade in die Zeit, wo die Verleger ihre Wahl für Oster- und Herbstmessen schon getroffen, und es ging mir wie Dir, zu spät für das eine wie für das andere zu kommen. Der Roman, Uhland in Texas, hat wirksame Effekte. Ob er aber für Amerika mit seinen Lizenzen gerade sehr günstig sein wird, ist fraglich. Mein Sturmgeiger jedenfalls, denn der schildert getreu echt amerikanische Situationen. An Uhland in Texas hat Mary teil - namentlich in der Erfindung - in der Anlage, die nicht gerade meisterhaft ist. Die Ausführung gehört mir. Wie sie es mit der Autorschaft will gehalten haben, kannst Du sie fragen. Ich habe auf dem Titel: Ein deutsch-amerikanisches Lebensbild aus Texas von M. F. Anneke und Mary Booth. Ein kleines Vorwort sollte das erklärt haben bei einer Ausgabe als Buch.
Mit diesem Brief geht mein zehnter Brief an Illinois Staatszeitung. Willst Du mein Honorar einziehen? Ich schreibe regelmäßig, jede Woche fast. Weniger als alle Wochen einen Brief übernehme ich keine Korrespondenz mehr. Ich kann in regelmäßigen Reihenfolgen mein Material besser ordnen und benutzen.
Cäcilie ist in Paris. Sie hofft und hofft, daß ich auch hinkomme. Es handelt sich indes alles nur um die Frage, wird es für Percy gut sein? Sie schlägt mir vor, ein vortreffliches Institut, mit welchem sie in Verbindung steht, für ihn zu benutzen. Die hiesige Industrieschule halte ich nicht für länger tauglich.
Du wirst sehen, daß ich für Belletristisches Journal unausgesetzt arbeite. Meine Lieder sind auch angewachsen, und bis zum künftigen Jahr werde ich ein Bändchen erscheinen lassen. Wenn Du Gelegenheit hast meine Dythyrambe »Vor Marseille«, die zur Zeit der Anwesenheit Kossuths in Amerika in dem Sonntagsblatt der Staatszeitung in New York - ferner in der damaligen Arbeiterzeitung -ferner in der Illinois Staatszeitung nachgedruckt wurde, zu requirieren, so tatst Du mir einen Gefallen. Ich habe wirklich keinen Vers davon, weder im Gedächtnis noch in Abschrift.
Von meiner Mutter hatte ich ein Bleifederbriefchen. Sie scheint sich noch recht wacker zu halten, die gute Mutter.
Ich hoffe, Du wirst auch bereits eingesehen haben, wie rastlos ich in dem letzten Jahre war, ohne die geringsten Hilfsmittel. Selbst ein Schiller und Goethe fehlt.
Die Kinder sind selig, daß sie Weihnachten feiern können. Ich soll Papa vielmals danken. Heute war keine Zeit mehr zum Schreiben geblieben. Jetzt sind wir aus aller Not. Vom Bund werde ich auch noch mein Honorar vor Weihnachten bekommen.
Deine alte Mathilde
P.S. Warum konnte mit dem Geisterhaus, gleichviel ob es dort und dort angekündigt, nicht das gleiche Verfahren eingeschlagen werden wie Lexow mit dem schlechten Professoren Roman von Freytag, den er eben für schweres Geld im Belletristischen veröffentlicht?

Mathilde
an Fritz Anneke
17. Jan. 1865

Lieber Fritz!
Wir schauen seit acht Tagen mit Sehnsucht nach Briefen von Dir aus. Vergeblich. Die Zeit unseres Auszugs rückt heran, und noch wissen wir nicht, was zu machen, wohin zu gehen. Gräfin Hatzfeldt schreibt mir heute zum zweiten Male, daß sie mich nicht verlieren wolle, ich dürfe nicht nach Amerika zurück, ich solle ihr nahe bleiben. Sie käme in kurzer Frist - nicht nach Zürich -nein, nur nach mir. Sie möchte gerne, daß sie zusammen mit mir leben könne; aber das geht nicht. Cäcilie erwartet uns in Paris. Sie hat eine angesehene Stellung in Faubourg St. Germain und eine Wohnung für uns angesehen in ihrer Nähe, die um 300 francs, also um vieles billiger als hier zu haben sei. Wenn Du uns endlich mitteilen wolltest, was zu erwarten, was zu tun und beginnen sei.
Ich bin in außerordentlicher Tätigkeit. Mein Operntext geht gut vorwärts, der erste Akt ist beinahe komponiert. Für das Lassalle Album soll ich einen Nachruf in Versen schreiben. Für den ersten Mai in Essen, Hammachers Geburtstag, soll ich ein Festspiel liefern; für die Allgemeine gibt's viel Material - aber wo bleibt das Ende Deines interessanten Artikels? - kurzum, ich kann den Kopf kaum aus dem Fenster strecken, um die schöne weiße Welt zu sehen. Denke nur, daß wir eine ungewöhnliche Schneetiefe von 20 Fuß hier haben. Die Landschaft kommt mir ganz neu vor - wunderbar jungfräulich. Wenn die Firnen mir in die Fenster leuchten, bin ich zufrieden und denke, wie ich dereinst Heimweh nach ihnen haben werde. Hertha und ich trösten uns, daß wir die Berge und Gletscher besucht haben und daß ihr majestätisches Bild nimmer aus unseren Herzen schwinden wird.
Gute Nacht, mein lieber Fritz, Deine Mathilde

Mathilde
an Fritz Anneke   
Zürich, 24. Januar 1865

Mein lieber Fritz!
Gestern empfing ich einen Brief von Gräfin Hatzfeldt, worin sie mich wiederholt auffordert, ihr einen Nachruf an Lassalle zuzusenden für das Buch, das sie und seine Freunde ihm widmen und das Aufklärung über die letzten Tage seines Lebens geben soll. Es wird viel Aufsehen machen, wird es doch mit Ungeduld erwartet. Aber eben weil es zu viel Spektakel macht, und ich, bzw. meine Muse, ein scheues singendes Waldvöglein bin, so schweige ich. Sie besteht darauf, daß mein Name unter denen seiner Freunde sei. Ich habe für den Denker - seine letzten zwölf Schriften kenne ich - große Hochachtung gehabt. Die Gräfin appelliert an meine Freundschaft, ihr die nächsten Monate zu widmen. Gewiß soll ich mit ihr in Bädern verweilen, so hätte sie es gern. Aber ich kann nicht. Sie ruft alle guten Geister an, fleht mich bei der Wohlfahrt meiner Kinder, bei der gründlichen und besseren Erziehung für Percy, den sie so gerne hat, an, nicht nach Amerika zu ziehen während des Krieges. Aber ich muß fort von hier, von Zürich. Ich muß andere Eindrücke haben, muß andere Luft schöpfen, vielleicht, daß ich körperlich wohler werde. Ich bin krank. Einen Arzt gebrauche ich freilich nicht. Ich erwärme die Brust mit heißen Steinen, und da wird's bisweilen besser.

Mathilde
an Fritz Anneke
Paris, 14. Februar 1865

Mein lieber Fritz!
Den letzten Brief aus der Schweiz wirst Du bekommen haben. Ich sagte Dir, daß wir Dir gleich nach unserm Umzug Nachricht geben wollten. Seit Sonnabend sind wir in den Mauern von Paris. Wir reisten am frühen Morgen, es war kaum drei Uhr von unserem »home« ab. Die Frau Müller, unsere Wirtin pflegte uns noch mit warmem Frühstück, packte uns ein, gab uns ihren besten Segen mit auf den Weg. Auch unser Mädchen bewies noch rührende Anhänglichkeit. Die Kinder waren sehr heiter über den Umzug nach Paris. Vor dem Hauenstein regte sich noch einmal ihre Liebe und Bewunderung für die schönen Schweizertäler und  Schneeberge. Die Schneelandschaft war wirklich reizend. Dann ging's durch den schaurigen Tunnel und weiter durch Basel auf der französischen Bahn. Und endlich in das traurige Land Frankreich hinein. Percys Beurteilung des Landes, seine Verwunderung über die gänzlich vernachlässigte Kultur hier, seine Reflexionen über die Einrichtungen in einem Kaiserreich und einer Republik - die ihm einleuchtenden Tatsachen, daß ein elender Kaiser nichts für das Land und die Menschheit tue, sein frischer Humor - alles das würde Dich unendlich erfreut haben an unserm lieben Jungen. In der Schweiz hatten wir einen geheizten Wagen, aber in dem traurigen Frankreich nicht. Wir fuhren nämlich auf der billigen Klasse. Die Kinder litten arg an der Kälte, aber ich hüllte sie gut ein, pflegte sie mit Wein, Wurst, Eier und Brot. Dann, um Mittag, schien auch die Sonne in unsern kleinen Kerker. Wir hatten die ganze Reise über einen Wagen für uns allein. Percy, der wieder auflebte, machte den maitre de plaisir, und so kamen wir glücklich abends um zehn Uhr auf dem Bahnhof de
Strasbourg in Paris an, woselbst die gute Cilly uns in Empfang nahm und gleich in die Pension führte, in der wir unser kleines Quartier alles recht gut und comfortable fanden.
Die Pension der Familie Carre besteht also aus einem Knaben-und einem Mädcheninstitut. Im letzteren bin ich mit Hertha eingezogen. Es ist ein geräumiges, zwischen Gärten und Bäumen gelegenes Haus, mit welchem die Schulgebäude in Verbindung stehen. In dem Haupthause, wo ich auch wohne, sind die Speisesäle der jungen Mädchen und die Wohnungen einiger stiller Frauen und Lehrerinnen.

Mathilde
an Fritz Anneke
Paris, Februar 1865

Mein lieber Fritz!
Percy fängt schon ganz hübsch an, französisch zu sprechen, während Hertha mit hartnäckiger Konsequenz bei ihrem Englisch und Deutsch bleibt. Die Lehrerinnen in dem Institut sprechen alle neben ihrem Französisch auch die englische Sprache. Sie hatte sich die englisch redenden Kinder in dem Pensionat herausgepickt und so bleibt sie dabei. »Ich bin ja auch ein amerikanisch Kind«, sagt sie. »Wozu soll ich dann französisch lernen?« Ich kann auch aus meinem Urdeutsch nicht heraus. Gestern abends war ich mit Cäcilie bei einem Vortrag von Alexander Dumas. Es war mehr Neugier als Wißbegier von mir, den Mann reden zu sehen. Er sprach über das Thema des Tages »Julius Cäsar«. Ich verstand nichts. Mehr hingegen von einer begeisterten sozialen Rede, die ein flammender junger Sozialist hielt über das ewige Thema: la femme. Als die Vorrede zu dem kaiserlichen Werk, das noch nicht erschienen ist, bekannt wurde, habe ich das seltsame Aktenstück gleich für die Illinois Staatszeitung übersetzt hingesandt. In der Tat, eine verwegene Herausforderung! Ob sich der Autor des Märzen-Idus nicht fürchtet und ob seine Wahrsager ihn nicht gewarnt haben? Dies Frankreich ließe sich zu viel der Schmach bieten, ertrüge es das! Wo wären alle die Gedanken seiner Geister von ehemals, wenn man das darin aufgestellte Prinzip als das richtige gelten ließe! -
Es sind, seit ich anfing Dir zu schreiben, acht Tage hingegangen, in denen ich mich sehr unwohl fühlte und nicht in der Stimmung war, Dir zu schreiben. Seit zwei Tagen bin ich wieder frei von den bösen Krämpfen, die mich noch nicht gänzlich verlassen haben, vielmehr sich bei Mondes- und Witterungswechsel noch einige Male einstellen. Erst einen einzigen Brief, den ich Dir bereits beantwortet habe, empfingen wir während unseres hiesigen Aufenthalts von Dir. Ich sehne mich recht nach einigen Worten von Dir und daß Du etwas sagen wirst über unsere Zukunftspläne. Das Material am hiesigen Platz für die amerikanischen Zeitungen wächst einem hier über den Kopf; das sehe ich schon. Unter einigermaßen guter Verwendung und Verwertung, könnte man den Aufenthalt, solange es für die Kinder notwendig und wünschenswert erscheint, nützen können. Ich versäume keine Gelegenheit

Mathilde Anneke
an ihre Schwester Johanna Weißkirch
in Milwaukee   
Paris, 10. März 1865

Liebe Johanna!
Mein Gruß zum schönsten Frühlingsfeste wird für unser gutes Mütterchen kaum noch zeitig eintreffen. Ich habe schon seit Jahren bei dem Festreigen ihrer Kinder gefehlt, und es müßte mir fast zum Troste gereichen, daß sie mich beinahe nicht mehr vermissen wird, wenn ich nicht die Hoffnung hätte, sie in diesem Sommer vielleicht wiederzusehn. Ja, mich und meine Kinder treibt es zur Heimat wieder, die in unserem Gemüte stets am Michigan See festgehalten wurde.
Ich will nicht zu weit ausholen und Dir gestehen, daß ich auf den Vorschlag von Fritz, nach St. Louis zu ziehen, nicht eingehen kann. Mein Leberleiden würde mich töten dort. Ich wünsche mich selbständig in einer Stadt niederzulassen, in der ich vereint mit Cäcilie Kapp arbeiten und meine Existenz sichern kann. Es wäre dies für mich in Europa möglich. Allein zum besten der Kinder, die nicht wie die Mutter den Fluch der Heimatlosigkeit tragen sollen, kehre ich mit ihnen in ihr Vaterland zurück. Ich kehre zurück, weil ich dort meine lieben Lebenden und meine unvergeßlichen Toten habe. Willst und kannst Du mir beistehen durch Ratschläge für meine zukünftige Stellung, die ich mir in Verein mit Cäcilie Kapp zu gründen hoffe, womöglich in Milwaukee. Die Errichtung einer Lady's Academy würde ich zwar lediglich Cäcilie überlassen und mich nur dabei betätigen, soweit ich nützlich wäre. Jedenfalls aber würden wir zusammen unser »home« haben. Ich würde nebenbei meine literarischen Arbeiten fortsetzen und, nachdem ich Percy versorgt, das Nötige zum Leben für Hertha und mich erschwingen können. Die Frage in betreff des Instituts hast Du wohl die Güte, schnell möglich zu beantworten. Dabei natürlich etwaige Vorschläge zur Unterstützung des gemeinnützigen Werkes, wobei Ihr Mütter ja alle besonders interessiert sein müßt, uns zu geben. Der anliegende Brief an eine ehemalige Bekannte Cäciliens, Frau Quentin, bitte ich Dich womöglichst selbst zu übergeben und die Frau - die ich durchaus nicht kenne - die als Begüterte wahrscheinlich Einfluß hat, mit ins Interesse zu ziehen, ihre Unterstützung und insbesondere auch sofortige Antwort zu versichern.
Cäcilie hat die gediegensten Kenntnisse. Sie spricht nicht nur alle drei Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch sehr fließend, sondern versteht auch Italienisch, spielt Klavier, kurz, ist eine bedeutende Erscheinung und, was das meiste: eine erfahrene Pädagogin, auf welche Requisition man in Milwaukee schon stolz sein könnte. Warum ich bei dem Unternehmen im Hintergrunde bleiben möchte, ist, weil vielleicht meine radikalen Ansichten nicht förderlich erscheinen dürften, Cäcilie aber praktisch und klug genug ist, den gemäßigten Weg einzuschlagen. Sie ist keineswegs wie ich eine Heidin, vielmehr ziemlich religiös, doch so, daß es mich in unserem Freundschaftsverkehr nicht unangenehm berührt.
Meine Übersiedlung von Zürich hierher hatte zunächst die Ausbildung meines Percy in der französischen Sprache zum Grunde. Das Kind macht mir sehr viel Freude. Gestern ließ der Direktor des Instituts mir sagen, daß er noch niemals einen Zögling gehabt, der so gründlich, so schnell und so rein die französische Sprache als Fremder erlernt habe. In einigen Monaten ist er fertig mit ihr. Meine ganze Hoffnung geht darauf hinaus, Percy augenblicklich in eine praktische Lebenskarriere zu bringen, damit er nicht ins Träumen und Philosophieren über Unglückssterne usw. kommt. Vielleicht, wenn der Weg offen und gebahnt liegt, wird Fritz nichts dagegen einwenden; vielleicht - oder wahrscheinlich gar nicht gestatten wollen, daß er in die Erwerbspraxis wie ein Amerikaner eintritt. Es würde mir entsetzlich sein, wenn ich mich von dem Knaben insofern trennen müßte, als in St. Louis die Lehranstalten gepriesen werden, und der Vater darauf bestände, ihn den Weg theoretischer Ausbildung noch verfolgen zu lassen. Die ihm angeborenen Eigenschaften würden unter dem Regime von Fritz sich nicht vorteilhaft für sein Leben entwickeln. Meine großen Sorgen und Bemühungen um die Erziehung Percys würde ich, wenn auch nicht für gänzlich verloren, doch sehr wirkungslos erachten.
Hertha ist auch ein leibhaftig Annekescher Charakter, kann indes recht lieb sein. Sie ist ungemein weit fortgeschritten. Von Paris habe ich wenig noch kennen gelernt. Das Wetter ist so rauh, daß man nicht auszugehn wagt. Seit ich Zürich und seine Nebelregion verlassen habe, bin ich von der Gicht befreit, die mich zu töten drohte, den ganzen Winter hindurch. Auch mit meinem Leberleiden geht es besser.
Ich könnte mir hier in Paris meine Existenz besser denn irgendwo sichern. Aber ich könnte auf die Entwicklung der Kinder doch nicht das verwenden, was notwendig für sie ist. Fritz läßt mich dabei sehr im Stich.
Mein Erwerb würde sich hier mehr und mehr erweitern. Aber ich darf in Hinblick auf Percys Zukunft nicht daran denken, die Rückkehr noch hinauszuschieben. Glaubst Du nicht auch? Willst Du darüber mal einen Rat halten und mir umgehend das Resultat sowie die Aufschlüsse über Cäciliens Aussichten mitteilen? Halte aber meinen Brief für Dich, ich möchte nicht gerne, daß aus meinen Worten ein Klatsch gemacht wird. Ich weiß, Du verstehst mich. Die Fragen in betreff des Instituts wären: Welche Aussichten sind da zur Gründung eines Instituts für Ausbildung für Töchter deutscher und englischer Familien? Würde ein solches lediglich als Töchterschule, lediglich für Externe oder auch als Internat für Interne, d.h. für im Hause lebende Pensionärinnen bestehen können? Würde es willkommen sein, die französische Sprache besonders vertreten zu sehen? Oder würde es ratsam sein, daß Cäcilie sich einer dort bestehenden englisch amerikanischen Akademie anschlösse, sie gar erweiterte? Wo lägen die Anknüpfungspunkte dafür? Nimm Dir die Sache zu Herzen, liebe Johanna, und hilf ein Werk fördern, das vielleicht Deinen Töchtern und Enkeln zu Gute kommt. Über Wohnung, Lokal für das Institut gibst Du mir wohl auch Deine Ideen an. Antworte bald, ich bitte Dich, da die Zeit der Abreise eilt. Was hältst Du von Cincinnati, das uns wegen des Protektorats von Willich und Stallo empfohlen wurde. Ist ein Bedürfnis an irgendwelchen Lehrfächern fühlbar, so teile das mit. Man könnte sich für den Fall mit Lehrern vorsehen. Lebe wohl, liebe Johanna,
sei versichert der Liebe Deiner alten Mathilde

Mathilde
an Fritz Anneke   
Paris, den 26. April 1865

Die Nachrichten von drüben, die großen welterschütternden und die mein Gemüt und Herz bestürmenden, kommen Schlag auf Schlag. Dazu der schwankende Boden, auf dem ich mich mit meinen armen Kinderchen befinde.
Hertha kommt eben aus der Klasse zu mir und sagt, daß sie ihr erstes dictee glücklich bestanden hätte. Percy verbrachte den gestrigen Nachmittag mit uns. Ich ging mit den Kindern in den Park, um in dieser ruhigen und schönen Atmosphäre mit ihnen Luft zu schöpfen. Er ist nicht weit von hier. Wir wohnen überhaupt wie auf dem Lande, in einem schönen Garten, in welchem hohe und wunderbare Blütenbäume unser ziemlich hohes Dach überschatten. Ich gehe fast gar nicht aus, nur Sonntags mit Cäcilie und den Kindern, um letztere das Schöne und Merkwürdige so viel wie möglich sehen zu lassen. Sonntag brachten wir sie zum Jardin des Plantes. Alle die fremden Tiere machten großen Eindruck auf die Kinder. Ich bin fortwährend leidend. Die große Aufmerksamkeit und Pflege Cäciliens reißt mich oft aus meinen körperlichen und geistigen Leiden heraus - aber oftmals ist es gar nicht zu ertragen
Daß Louis Scheffer sich Percys annehmen will, daß er ihn gleich in die Erwerbskarriere verhilft, ist mein Hoffnungsanker. Eine bestimmte Lebensrichtung tut ihm Not. Er hat doch von den täglichen Sorgen schon zu viel kennen gelernt. Mag er gleich in die Bahn einlenken, die ihm die Mittel zeigt, womit er ihnen entgegentreten kann. Wenn man das bescheidene Bedürfnis hat, als gebildeter und der menschlichen Gesellschaft nützlicher Mensch, ein ordentliches Kleid zu tragen und ein einfaches Mahl täglich zu genießen, und man kann diese Bedürfnisse nicht einmal befriedigen, dann ist es sehr, sehr traurig um einen bestellt.
Wenn meine Mutter noch lebt, wie ich trauere, nicht sofort zu ihr hineilen zu können.
Wenn Mary Dir noch Lebenszeichen gegeben, so teile mir's mit. Vielleicht, daß wenn ich Mittel erlangt habe, schon keinen Brief mehr von Dir empfangen kann, vielleicht aber auch, daß ich verzweifelnd nicht mehr weiß, was ich machen soll.
Über den Tod Lincolns und Sewards ist man hier entsetzt. Die Anarchie wird uns drüben über den Kopf wachsen. Seltsam, daß Mary mir ohnlängst die Photographie des Edwin Booth als die eines schönen Künstlers senden mußte.
Cäcilie ist den ganzen Tag im Dienst. Sie ist jeden Augenblick bereit, mit mir hinüber zu gehen. Fritz Kapp freut sich auf ihre Ankunft. Sie ist auch ein zu gediegenes Stück, als daß sie drüben nicht viel nützen könnte.
Ich weiß Dir nicht mehr zu sagen, lieber Fritz. Es tut mir leid, daß ich Dir immer von neuem zu sagen gezwungen bin, wie traurig es ist, nichts für unsere Kinder zur Erziehung verwenden zu können. Kaum, daß der Lebensunterhalt von Tag zu Tag, von Woche zu Woche bestellt werden konnte - aber mit welchen Sorgen, die Du auf meinen Schultern zu schwer ruhen ließest. Du hättest es anders wenden können.
Deine Mathilde

Mathilde
an Fritz Anneke   
Paris, am 15. Mai 1865

Mein lieber Fritz!
Meine geliebte Mary ist nicht mehr. Dr. Rufus Brown, der sie bis zum letzten schweren Atemzug unterstützt hat, teilte die Todeskunde Mathilde Kriege mit, die dann in treuer alter Freundschaft sie mir von Berlin sandte. Sonst habe ich so wenig von Booth noch von der Mutter Mitteilung. Mein armes liebes Lillychen schrieb mir an meinem Geburtstag, den 3. April. Mary selbst legte die letzte Zeile ihrer Hand an Cäcilie bei, die in ihrer liebenden Sorgfalt mir den Tod meines braven Bruders anzeigen sollten. Die Schilderung des Kindes von dem Zustande ihrer Mutter belehrte mich, daß ihre Lebensfrist nur noch nach Stunden zu zählen sei. An ihrem Geburtstage, den 8. April, dem schon gebrochenen Herzen noch einmal, legte ein Zeichen meiner Liebe für sie in einem seidenen Bändchen, das ich hier kaufte, ein, - von dem ich aber die sichere Ahnung habe, daß es zu spät, zu spät kommen werde. An welchem Tage sie ihre geknickte Blütenseele in den Lenz ausgehaucht, - ich weiß es nicht. Mir ist alles stumm geworden. Arme, arme, treue Mary. Was ich in den letzten Monaten von all den Schicksalsschlägen gelitten, ich will Dir's nicht schildern.
Was soll ich jetzt machen? Du hast gewünscht, daß ich im Mai zur Abreise fertig sei. Ich bin fertig. Aber Du hast uns gänzlich ohne Mittel zum täglichen Leben gelassen. Und so sind meine Ersparnisse in diesem Jahre beinahe aufgezehrt.
Hammachers wollten mich nicht in der gräßlichen Not lassen und offerierten in großer Diskretion, mir zu geben, was ich für die amerikanischen Obligationen verlange. Ich nahm es hin und verlangte 100 Thaler für 100 Dollar. Hammacher macht kein Geschäft damit
Die Tochter von Gerrit Smith, die liebe Mrs. Miller ist die einzige von drüben, die an mein trauerndes Herz gedacht hat und mir in einem teilnahmsvollen Briefe Marys Tod mitgeteilt. Arme Mary!
Was wohl mein armes Lillychen anfangen mag. Armes, armes Kind! Hertha jammert nach ihr. Die Kinder haben Mary Tränen nachgeweint. Später. Wenn keine andere Bestimmung kommt, werden wir bis zum 10. oder 12. Juni abreisen...
Adressiere meine Briefe an Lexow nach New York. Die französischen Dampfer fordern 500 Franken von hier bis New York II. Klasse, für jeden Platz. Ich werde jetzt sehen, was die deutsche Linie verlangt
Die Kinder grüßen Dich, und Cäcilie grüßt herzlich.
Deine Mathilde

Gräfin Hatzfeldt
an Mathilde   
Berlin, 22. Mai 1865

Liebe, liebe Frau Anneke,
Ihr heutiger Brief war der erste Augenblick der Freude für mich. Denn ich muß danach glauben, daß Sie meinen Brief schon erhalten hatten und meinem heißen Wunsch das Opfer bringen wollen, Ihre Abreise um einige Wochen zu verschieben. Ich komme gewiß und freue mich innig darauf. Vor acht bis zehn Tagen kann ich nicht eintreffen. Ich tue alles, was möglich, um es zu beschleunigen. Was die Wohnung anbelangt, so will ich sie nur auf einen Monat, denn was soll ich dort, wenn Sie nicht mehr da sind. Wenn Sie länger bleiben, was ich gar nicht zu hoffen wage, so bleibe ich auch und kann immer Wohnung haben. Ich wünsche möglich nahe von Ihnen. Wäre es nicht möglich, im selben Hause mich wie Sie in Pension zu geben? Verwöhnt bin ich nicht, oder vielmehr jetzt gar nicht mehr. Das Äußerliche misse ich nicht mehr, aber ich dürste wie das Wild in der Wüste nach Freundschaft und Mitgefühl und verschmachte dann abermals, wenn mir nur Steine gereicht. Es wäre Ihnen, wie ich Sie kenne, auch eine wohltuende Erinnerung, einen ganz darniedergeworfenen Menschen für einige Zeit wieder aufgerichtet zu haben. Schlagen Sie es mir nicht ab! Ich telegraphiere heute an Sie, und in wenigen Tagen telegraphiere ich mit vollständiger Sicherheit über meine Ankunft. Ich denke noch einen Brief von Ihnen zu erhalten. Nach Ihren Briefen zu urteilen, haben Sie sich in Paris ein ruhiges, angenehmes Asyl bereitet. Haben Sie wirklich keine Zweifel, das wieder aufzugeben und wieder ins Ungewisse hinein zu steuern? Für mich selbst nicht, aber für andere, die ich liebe, habe ich manchmal guten Rat, das wußte Lassalle. Gehen Sie nicht fort, ohne mich zu sehen. Ich bitte Sie sehr, sehr darum, es ist das letzte Mal in diesem Leben, und Sie können etwas Gutes bewirken. Telegraphieren Sie mir gleich Ihren definitiven Entschluß. Ich habe so viel Hoffnung auf einen mir günstigen gefaßt, daß es mich sehr schmerzen würde, wenn Sie nicht ja sagten. Warum haben Sie mir Ihre Abreise so spät mitgeteilt! Also auf Wiedersehen, erschrecken Sie nicht, wenn Sie mich sehen, es ist noch immer, wie Lassalle sagte, »das alte treue Herz«. Ich bringe Ihnen ein Bild von Lassalle mit. Zerstreuen Sie mir die letzte Freude und Beruhigung nicht, auf die ich hoffe.
Ihre Sophie

Mathilde
an Fritz Anneke
Paris, am 13.Juni 8865

Mein lieber Fritz!
Der Grund warum ich einige Tage mit meiner Antwort auf Deine beiden letzten Briefe zögerte, war, weil ich von verschiedenen Seiten Antwort haben mußte, bevor ich über unsere Abreise nähere Bestimmungen treffen konnte. Ich habe die Generaldirektion des Norddeutschen Lloyd auf Grund meiner Korrespondenz für amerikanische und deutsche Journale um Ermäßigung des Passagepreises für uns gebeten. Hatte mit Hammacher über den Rest meiner Kapitalien zu delibrieren, hatte von verschiedenen Seiten freundschaftliche sowie geschäftliche Briefe abzuwarten. Lloyd hat sehr höflich geantwortet und mir den Beschluß seines Verwaltungsrates dahin mitgeteilt, daß er mir für die Plätze der Ersten Kajüte nur die Preise der zweiten berechnen wolle. Für meine Finanzen macht das natürlich keine Änderung, die zweite Kajüte wäre gut genug gewesen. Indes, für meinen Komfort macht es Wesentliches aus. Hammacher hat sich bei der Einlösung meiner Wertpapiere wieder nicht anders als ein nobler Freund bewährt. Endlich alles genau zu berichten, ist ja Zeit genug. Korrespondenz auf solch weite Entfernung dient mehr dazu mißzuverstehen, als zu verstehen. Ich hoffe noch Platz in der am ersten Juli segelnden »Amerika« zu bekommen. Wenn nicht, ich habe deswegen heute geschrieben, so muß ich Passage mit der am 15. Juli segelnden  »New York« nehmen. In Deinem nächsten und letzten Brief von hier werde ich das sicher angeben. Den Betrag des Wechsels von 560 Franken habe ich empfangen. Das Geld dient dazu, die Pension im Institut zu zahlen sowie Anschaffungen zu machen, die wirklich zum einigermaßen anständigen Ankommen nötig sind. Was nach der Abtragung von Schulden in Zürich bleibt, werde ich weislich verwenden.
Unsere nächste Zukunft in Amerika ist mir gar nicht klar. Du hast mir kein Bild in irgendwelchen Zügen vorgezeichnet. Als mir aus Deinen Briefen erschien, daß in St. Louis Dein Bleiben ein sehr problematisches ist, habe ich Dir zu erkennen gegeben, daß ich mich an den Gedanken, dort zu leben, nicht gewöhnen könne. Du weißt sehr wohl, daß ich aus eigener Erfahrung das Klima von St. Louis nicht kenne, denn Du weißt, daß ich nie dagewesen bin. Du und jedermann wissen es, daß es ein gefürchtetes Klima ist, besonders für Fieber- und Leberkranke. Dann reizt mich der alte Sklavenstaat Missouri auch nicht. Dahingegen der Mississippi wieder sehr. Ida und ihre Familie wiederzusehen, würde mich freuen. Nachdem es mir bisher sehr fraglich erschien, daß Du dort zu einem Dir passenden und uns genügenden Wirkungskreis kommen würdest, habe ich mittlerweile meine Augen immer auf anderes Terrain gerichtet. Namentlich hatte meine Phantasie dabei einen wesentlichen Stützpunkt an Gerrit Smith. Ich habe nämlich die teilnehmende Liebe der ganzen Familie. Sie erwartet mich in Peterboro bei meiner Ankunft. Sowie auch unsere Freunde in New York, Kapp, Lexow usw. Am liebsten möchte ich nämlich in oder bei New York mein künftiges »home« gegründet wissen. Alle anderen Plätze in den Vereinigten Staaten werden mich stets unzufrieden lassen. Zunächst kann ich aber auf meine Wünsche keine Rücksicht nehmen, da es mich zu Mutters letzten Tagen treibt. Sie erwartet mich sehnenden Blickes immer schon Anfang Juli. Bei all diesen Fragezeichen für unsere nächste Zukunft hatte ich somit auch Johanna aufgefordert, Vorbereitungen zur Gründung eines Instituts im Sinne Cäcilies zu treffen. Milwaukee scheint mir zumindest für den Anfang als unumgänglich notwendige erste Station im neuen amerikanischen Leben zu sein.
Nach der Schweiz werde ich mich ewig zurücksehnen. Lassen ihre freiheitlichen Institutionen auch noch alles zu wünschen übrig, der Mensch kann dort bei solidem Leben und Streben zu einem günstigen Lose kommen. Und für manche Entbehrungen entschädigt endlich die Natur reichlich. Die Zukunft der Kinder, ihr Bedürfnis, ihr Verlangen nach Dir läßt uns fort von hier ziehen.
Ich sehne mich jetzt unaussprechlich nach einer geeigneten und lohnenden Tätigkeit. Ob ich da drüben wohl wieder Gelegenheit finden werde wie hier? Gestern bekam ich die Aufforderung vom Redakteur des weit verbreiteten Berliner Bazar, für sein neugegründetes Blatt Frauenwelt zu arbeiten. Das Blatt erscheint zugleich in Leipzig und Berlin deutsch, hier in Paris französisch, in Madrid spanisch, in London englisch. Ich werde auch für die Börsenzeitung in Berlin Korrespondenz von drüben liefern. Sie druckte einen Artikel von mir für 16 Thaler. Andere Engagements sind mir noch nicht gelungen, so sehr ich mich darum bemüht habe. Was die Allgemeine Augsburger von Dir gedruckt hat, wird sich bei der Abrechnung diesen Monat finden. Der Artikel Missouri aus St. Louis war von Dir.
Der Anzeiger des Westens gefällt mir in seiner jetzigen Haltung viel besser. Über seine Politik kann ich weniger urteilen, da ich überhaupt etwas unwissend geworden bin. Die friedliche Stimmung sagt mir zu. Die Schimpferei in den vorhergehenden Blättern als »Zotenreißer Lincoln« war doch zu empörend.
Wie werde ich Fanny mit ihren Kinderchen finden? In dem traurigen Newark, wo nichts als Kummer, Leid und Not uns traf, werde ich sie in irgendeinem Winkel, der dort dem armen arbeitenden Proletariat vergönnt ist, aufsuchen müssen. Sie habe zweimal einen Blutsturz gehabt, und wie Mary mir zuletzt schrieb, war die Gefahr immer noch nicht vorüber. Störger war in Cuba, von wo aus er genügend Mittel für die Familie zu senden im Stande war.
Hast Du denn Deiner Freundschaft mit der armen Luise Giesler nicht mehr gedacht? Jetzt in ihrem unsäglichen Leid? Ich höre, Emil Weißkirch nimmt sich ihrer an. Sie hat drei Kinder und sitzt so weit von allen entfernt. Hertha denkt nur an Lilly und wo sie sie wiedersehen soll. Mir ist noch von keinerlei Seite etwas Authentisches über Marys letzte Lebensaugenblicke zuteil geworden. Die gräßliche Mutter, noch der Gatte haben es für nötig gehalten, mir nur den Tod anzuzeigen
Bleibe gesund und sei herzlich gedankt und gegrüßt von Deiner

Mathilde

Wie aus den Briefen Fritz Annekes an seine Frau zu ersehen ist, war er wiederholte Male mit seinen Vorgesetzten und auch mit seinen Untergebenen in Konflikt geraten. Er hatte wahrscheinlich meistens recht, denn die Mißstände in der Unionsarmee sind inzwischen hinlänglich bekannt geworden. Andererseits zeichnet sich Fritz Anneke in seinem Charakter und seiner Persönlichkeit als rechter Michael Kohlhaas ab. Mathilde hatte das erkannt; in ihren Briefen versuchte sie immer wieder - oft allzu vorwurfsvoll - ihn zur Einsicht zu bringen. In einer Tagebuch-Eintragung macht sie ihren Gefühlen grollend Luft: Es ist erbärmlich, immer in der nämlichen Jacke umherzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen. Es ist erbärmlich, so ein armseliges Instrument zu spielen, auf dem eine Saite immer nur einen Ton gibt. Das ist nicht zum Aushalten. Du bist ein toter Heiliger - eine Relique. Es ist empörend, sittsam dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andere schlechter zu finden als sich. Es ist so eitel, immer in den Busen zu greifen und den Leuten zu zeigen, daß man reine Wäsche hat. Hast Du ein Recht, aus der öffentlichen Meinung einen Waschzuber zu machen für die unreine Wäsche anderer Leute ? Polizei-Soldat des Himmels.
Daß Fritz Anneke aus seiner Selbstgerechtigkeit bis an sein Lebensende nicht herausfand, macht den Unterschied zwischen seiner und Carl Schurzens Karriere aus. Der Name Carl Schurz erscheint immer wieder als Vergleich im Hintergrund vieler Briefe. Als »Don Carlos« oder als »der Knabe« wird er nicht gerade freundschaftlich genannt. Später bediente sich Fritz Anneke einer noch viel abfälligeren Ausdrucksweise. Carl Schurz hat in seinen Lebenserinnerungen Fritz Anneke als Vorgesetzten und Mitkämpfer in der Revolution erwähnt.[11] Allerdings ist aus einzelnen Schilderungen eine gewisse Zurückhaltung zu erkennen, die darauf schließen läßt, daß er Fritz Anneke nicht allzu hoch einschätzte. Bei der Darstellung eines militärischen Unternehmens, dem Marsch nach Siegburg, den Fritz Anneke als verantwortlicher Offizier leitete, kritisiert Schurz Anneke nicht ausdrücklich und nicht bei Namen, doch liest man zwischen den Zeilen und aus dem Schlußparagraphen, daß dieser »schmachvolle Ausgang« dem Befehlshaber zuzuschreiben sei. An anderer Stelle registriert Carl Schurz: »Anneke und andere durchwegs sehr tüchtige Leute sind aber mehr geeignet für die Führung fertiger Truppenkörper im Felde, als für die Schöpfung einer Armee in einem Lande, dessen Bevölkerung dem an stramme Disziplin und rasches Gehorchen gewöhnten preußischen Offizier nicht recht verständlich war und diesen mit seinem kurz angebundenen Wesen nicht besonders sympathisch fand.[12] Diese, seinerzeit auf das Land Baden bezogene Feststellung, besitzt für Annekes Einsatz in den Vereinigten Staaten eine noch höhere Relevanz.
Sollte daher der amerikanische Gesandte Foy in Bern bei Schurz um Auskunft über Fritz Anneke gebeten haben, wäre es durchaus möglich, daß diese nicht günstig ausgefallen ist. Schurz hätte dann aus gutem Gewissen ein Urteil ausgesprochen, das seine ehrliche Meinung zum Ausdruck brachte.
Dieser Vorgang wird in den Briefen von Mathilde und Mary erörtert. Man kann in dieser Angelegenheit von Mathilde nicht erwarten, daß sie sich objektiv verhalten würde. Und so stimmt sie mit Mary überein, daß Carl Schurz »eine Schlange« sei (15. November 1861). Zu einem offenen Bruch zwischen den Familien ist es aber nie gekommen. Im Jahre 1858 schreibt Carl Schurz, daß die Annekes gerade bei ihm auf Besuch gewesen wären, als er von Johanna Kinkels Tod erfahren habe: »Wir haben alles aus den Zeitungen erfahren; wir saßen in meinem Zimmer mit Anneke und dessen Frau, als ein Bekannter mich hinausrief, mir ein Blatt mit dem vollständigen Bericht gab. Kein anderer Schlag hätte uns so unerwartet treffen können.«[13] Und Mathilde veröffentlichte in der Schweiz einen Artikel über Schurz »aus alter Freundschaft« zu ihm. Erst in späteren Jahren, während seiner Tätigkeit als Journalist in St. Louis, begann Fritz Anneke, sich Schurz gegenüber merkwürdig zu benehmen. Damals ergriff Mathilde für Schurz Partei und versuchte, die Beweggründe zu verstehen, die ihn leiteten. Als aber die Westliche Post, die den Namen Schurz als einen ihrer Herausgeber anführte, antifeministische Artikel publizierte, war auch Mathilde verärgert.
Carl Schurz gehörte jener Gruppe von radikalen deutschen Republikanern an, die sich am 14. Mai 1860 im Deutschen Haus zu Chicago trafen - zur selben Zeit und in derselben Stadt, wo die Republikanische Partei ihre große Versammlung zur Nominierung des Präsidentschaftskandidaten hielt.[14] Die Deutschen betrachteten sich als Zünglein an der Waage zwischen den beiden Parteien, der Republikanischen und der Demokratischen. Schurz stimmte damals gegen die Kandidatur Lincolns. Als dann aber Lincoln als Kandidat der Republikanischen Partei aufgestellt wurde, fand er in Carl Schurz seinen eifrigsten Wahlredner. Während seiner vierjährigen Regierungszeit erwies sich Lincoln als Repräsentant der gemäßigten Mitte. Die radikalen Republikaner rückten während dieser Zeit immer weiter von ihm ab. Sie stießen sich an seinem Vorgehen in der Sklavenfrage, speziell als er erklärt hatte: »Ich bin nicht gewählt worden, um die Sklaverei abzuschaffen, sondern um die Union zu erhalten.« [15] Das war auch das Ziel, wofür er den Krieg geführt hatte. Und dafür waren auch die Demokraten zu gewinnen. Obwohl Lincoln und seine Anhänger die Sklaverei als ethisch schlecht betrachteten, wollten sie eine Einmischung in diese Angelegenheit vermeiden, es sei denn, daß deren Abschaffung einen direkten Einfluß auf die Rettung der Union nehmen könnte. Carl Schurz war Lincolns Parteigänger und bewegte sich in der Folgezeit immer mehr - zum Mißfallen seiner radikalen deutschen Freunde - in eine gemäßigte Richtung. Es wurde daher von ihm gesagt, »wäre er in Deutschland geblieben, er wäre ein treuer Untertan geworden, der sich mit dem alten Regime versöhnt hätte«. [16] Von allen in Amerika eingewanderten Deutschen - abgesehen von Henry Kissinger in jüngster Zeit - brachte es Carl Schurz allerdings politisch am weitesten. Er hatte verschiedene Gesandtschaftsposten inne, war General im Bürgerkrieg und schließlich Innenminister.
Dem gemäßigten Flügel in der Partei stand eine starke Opposition gegenüber, die Radikalen und die extremen Abolitionisten. Nach ihrer Meinung war die Sklaverei die Wurzel allen Übels und deren Abschaffung eine Lebensnotwendigkeit. Sie betrachteten Lincolns Vorgehen als Halbheit und forderten die sofortige Emanzipation der Neger.[17] Und so lesen wir auch in Fritz Annekes Briefen manch abfällige Bemerkung über Lincoln. Aber Fritz trat nicht mehr aktiv ins politische Leben ein. Wohl bewahrte er seine alten politischen Auffassungen und fällte nach diesen seine Urteile, aber er schloß sich keiner der Aktivgruppen an. Die Begeisterung und Einsatzbereitschaft, die er in Newark seinerzeit gezeigt hatte, wo immer es um Dinge der Überzeugung, des Idealismus ging, waren vorbei. Er war bitter und pessimistisch geworden.
Mathilde Anneke vermochte sich aus der Ferne kein Urteil über die politische Entwicklung in den Staaten zu bilden. Instinktiv war sie auf Lincolns Seite, aber sie verließ sich auf die Ansichten ihres Mannes, mit dem sie sich, wie sie sagte, politisch immer im Einvernehmen gefunden hatte. Die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahre 1864 brachten eine sichere Mehrheit für Lincoln. Am 11. April des folgenden Jahres ergaben sich die Truppen der Südstaaten und setzten damit dem Bürgerkrieg nach genau vierjährigem Kampf ein Ende. Drei Tage später, am 14. April 1865, traf Lincoln die tödliche Kugel. Der Attentäter war nicht, wie Mathilde vermutete, jener Edwin Booth, von dem Mary kurze Zeit vorher Mathilde eine Photographie gesandt hatte (Brief vom 26. April 1865). Es handelte sich dabei um eine zufällige Namensgleichheit. Die »große, welterschütternde Nachricht« vom Tode Lincolns und Sewards erreichte Mathilde zusammen mit der ihr Gemüt und Herz bestürmenden über den Tod ihres Bruders Julius als Opfer des Krieges. Und nur wenig später erhielt sie die Nachricht vom Tode ihrer geliebten Mary. Mathilde befand sich damals in Paris, völlig im ungewissen, was nun mit ihr und ihren Kindern geschehen sollte.
Ihr Vorschlag, in Europa ein internationales Korrespondenzbüro zu begründen, war nicht so sehr ein letzter Versuch, auf dem alten Kontinent zu bleiben, sondern war eine der Alternativen, die Mathilde für ihr zukünftiges Berufsleben in Erwägung zog. Denn Journalismus war das einzige Gebiet, in dem sie einige berufliche Erfahrung aufzuweisen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Mathilde Franziska Anneke 48 Jahre alt. Allzu viele Möglichkeiten standen ihr - zumal in jenen Zeiten - nicht offen. Übrigens hatte auch Fritz Anneke während seines Schweizer Aufenthaltes ähnliches erwogen: »Mein Plan ist nun dieser: Ich suche so viel als möglich literarische Verbindungen in Deutschland anzuknüpfen, um uns einen ausreichenden Erwerb zu sichern ...« (Fritz an Mathilde, 1. Mai 1860). Und das war ihm, wie später auch Mathilde, so ziemlich gelungen. Dann aber kam der amerikanische Bürgerkrieg und sein Ausschluß aus der amerikanischen Armee.
Während des amerikanischen Bürgerkrieges hatte sich Mathilde vor allem als Frau des amerikanischen Obersten Fritz Anneke gefühlt und erwartet, daß Fritz, ähnlich wie Schurz, Sigel, Blenker u. a. in Kürze einen steilen Aufstieg erleben würde. Und sie war emsig dabei, die Sache, der er diente, in ihren Artikeln und Reportagen zu unterstützen. Sie fühlte sich anscheinend auch verpflichtet, Gesicht zu wahren, und in ihrem Tun und Lassen jene gesellschaftliche Stellung einzunehmen, die der Frau eines künftigen Generals der amerikanischen Armee zukam, den Forderungen des Standes gemäß. Durch den Ausschluß Annekes aus der Armee sah sie sich schließlich in den Erwartungen, die sie in ihn gesetzt hatte, enttäuscht. Auf Grund dieser Erfahrung war sie fest entschlossen, ihr zukünftiges Leben und das ihrer Kinder auf die eigene Kraft zu stützen. Sie war daher nicht bereit, planlos und unbeschwert nach Amerika zurückzukehren, um in die Arme ihres Gatten zu eilen.
Einer ihrer Pläne war, zusammen mit Cäcilie Kapp irgendwo in den Staaten eine deutsche Schule zu gründen. Obwohl sie Fritz Anneke zunächst die Wahl des Aufenthaltsortes überlassen hatte, geht aus den Briefen klar hervor, daß sie bestimmte Ziele im Auge hatte. Selbstverständlich war zunächst Milwaukee der Ort, wohin sie wegen ihrer sterbenskranken Mutter ziehen wollte. Darüber hinaus war auch wichtig, daß sie mit Cäcilie Kapp beisammen bleiben und sich dort niederlassen wollte, wo sich für Cilly und damit für die Begründung einer Mädchenschule Aussichten boten. Wollte sich Fritz Anneke ihnen anschließen - gut. Auf keinen Fall aber wäre sie ihrem Mann irgendwohin ins Ungewisse gefolgt. Ausschlaggebend war nicht die Persönlichkeit Cillys, sondern die Tatsache, daß sie sich durch und mit Cilly ein selbständiges Berufsleben erhoffte. Diese Möglichkeit schien in Milwaukee gegeben. Und so kehrte Mathilde Franziska nach Milwaukee zurück, das fortan ihre endgültige Heimat wurde.
Die Schweizer Jahre bedeuteten für das Leben Mathilde Annekes eine Periode der Läuterung und der Reife. Sie hatte nicht weniger als ihr Mann tiefste Demütigung erfahren und Entbehrungen getragen und hatte dabei ihre eitle Ehrsucht zu überwinden gelernt. Aber sie hatte nicht - wie Fritz - resigniert und aufgegeben. Sie zog die Konsequenzen und ging aus der Niederlage mit neuen Kräften und Zielen hervor. Als neuer Mensch begann sie in Milwaukee ein neues Kapitel ihres Lebens.