3. Teil Die Frauen in China Ende des 19. Jhs.

Die Lebensbedingungen der Frauen, wie Qiu Jin sie angeprangert hat

Ihr ganzes Buch hindurch führt Qiu Jin immer wieder ihren Leserinnen und Lesern die Bedrängnis, in der die chinesischen Frauen zu Ende des Jahrhunderts leben, vor Augen, indem sie sich einfacher, anschaulicher Beispiele bedient, die jede Frau ansprechen, da jede von ihnen tagtäglich solche Situationen erlebt. Sie läßt das ganze Leben der Frauen, von ihrer Geburt bis zum 'I'od, an ihnen vorüberziehen, und vergißt dabei auch nicht die kleinste Kleinigkeit. Sie schreckt nicht davor zurück, wie in einer Litanei immer wieder, beinahe auf jeder Seite, die Leiden, die Einsamkeit, die Trauer und die Verzweiflung der Frauen darzustellen. Sie zwingt ihr Publikum durch eine große Redundanz ihrer Ausdrucksmittel dazu, all die unerträglichen Seiten des Elends der Frauen mitzuerleben. Es lohnt sich gewiß, an dieser Stelle einige Wesenszüge der traditionellen chinesischen Kultur darzustellen, die Qiu Jin nicht eigens in ihrem Text hervorhebt,[1] da sie sich an eine Leserschaft wendet, die sich in dieser Tradition auskennt.

Geburt und Kindheit

Schon von Geburt an steht das Leben einer Frau unter ungünstigen Vorzeichen. Zunächst gilt die Geburt eines Mädchens bei den Eltern als enttäuschende Tatsache, da die einzig wirkliche Freude die Geburt eines Sohnes ist. Warum ist das so? In einer Gesellschaft, die sich völlig auf die Vorherrschaft des Mannes stützt, kann die Frau nicht irgendwelche Werte verkörpern, die von der Gesellschaft anerkannt werden. Ein Mädchen bringt ihrer Familie nicht nur nichts ein, sie bedeutet im Gegenteil darüber hinaus einzig ein Mehr an vergeblichen Geldausgaben, da es ihre letzte Bestimmung ist, verheiratet zu werden und dadurch einer anderen Familie anzugehören. Man muß sie großziehen, um sie einer anderen Familie zu überlassen. Sie muß eine Aussteuer erhalten. Ihr ganzes Leben lang wird das Mädchen die Auswirkungen dieser ersten Enttäuschung ihrer Eltern am eigenen Leib erleben, und sie wird sagen, nachdem sie all das Elend erlebt hat, das ihrer Situation als Frau innewohnt: "Fluch dem Schicksal, das mich als Frau hat zur Welt kommen lassen." Dennoch ist die frühe Kindheit zweifellos die einzige Zeit, in der das Mädchen ihre Minderwertigkeit weniger stark erfährt. Bis zum Alter von sieben Jahren werden Jungen und Mädchen gemeinsam erzogen, dann beginnt die Zeit der Unterweisung, während derer der Junge auf sein zukünftiges Dasein als Mann vorbereitet wird. Er wird immer weniger mit den Frauen des Hauses zu tun haben. Für das kleine Mädchen dagegen beginnt eine harte Lehrzeit als Frau mit der Verstümmelung des eigenen Körpers.

Das Bandagieren der Füße

Vom Alter von sieben oder acht Jahren an erlebt das kleine Mädchen in China, wie seine Füße im Namen einer Tradition verstümmelt werden, die sich im Lauf der Jahrhunderte fest verwurzelt hat. Man umwickelt die Füße mit engverschnürten Binden. Der große Zeh wird umgebogen und die vier anderen gegen die Fußsohle gequetscht. Der Druck wird langsam gesteigert, bis man einen spitzen Winkel zwischen Fußwurzelknochen und Mittelfußknochen erzielt hat.

a) Qiu Jins Anklage

  • Qiu jin weist in ihrem Buch in erster Linie auf die dramatischen direkten und indirekten Auswirkungen hin, die diese Praxis auf das tägliche Leben der Frauen hat. Selbstverständlich erzeugt der Prozeß des Bandaglerens der Füße für das kleine Mädchen ungeheure Schmerzen, diesen Schmerzen gegenüber muß die Mutter unerbittlich bleiben, da die Zukunft ihrer Tochter vom Erfolg dieses Unternehmens abhängt. "Wenn man eine Frau heiratet, so heiratet man in erster Linie ihre kleinen Füße" und so will es das Schönheitsideal, daß die Füße, nachdem sie einmal bandagiert worden sind, auch so klein wie möglich werden. [2] Eine Folge der bandagierten Füße ist die nahezu totale Unbeweglichkeit der Frau. Das Gehen ist sehr schmerzhaft und selbst wenn die Schmerzen mit der Zeit nachlassen, besitzen die Frauen nur ein erheblich verringertes Vermögen, sich aus eigener Kraft fortzubewegen. Sie brauchen eine Stütze, sobald sie weiter als einige Schritte gehen wollen. Diese Untätigkeit hat gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Frauen: einen schlechten Allgemeinzustand, ein schlechtes Aussehen im Gesicht, Magerkeit, Muskelschwund, ein verringertes Widerstandsvermögen gegen Krankheiten, insbesondere gegen die Tuberkulose, schwierige Geburten und psychosomatische Leiden.
    Wenn Qiu jin die bandagierten Füße als "echte Geißel" anklagt, so bedeutet das für sie, sich gegen eine Sitte aufzulehnen, die sehr behaftet mit symbolischen Bedeutungen ist und schon seit vielen Jahrhunderten einen wichtigen Bestandteil der chinesischen Gesellschaft darstellt.

b) Geschichte dieser Sitte

  • Der historische Ursprung [4] dieser Sitte ist sehr umstritten. Die kleinen Füße wurden stets als eine gute Eigenschaft angesehen, als ein Beweis von Adel, Anmut und guter Herkunft sozusagen. Große Füße hingegen gelten bei Frauen, wie auch bei Männern, als Zeichen einer niedrigen sozialen Herkunft.
    Die Frage, wann diese Tradition der bandagierten Füße entstanden ist, wird seit der Zeit der Song-Dynastie (960-1279) häufig diskutiert. Einige Stimmen behaupten, daß die letzte Shang-Kaiserin (12. jh. v. Chr.) von Geburt an sehr kleine Füße gehabt haben soll und diesen Mangel in ein Modediktat verwandeln wollte. Andere meinen, daß besagte Kaiserin in Wirklichkeit eine Füchsin war und daß einzig und allein ihre kleinen Füße ihr wahres Wesen verrieten. Auch in diesem Falle hätte sie versucht, diese Tatsache zu verbergen, indem sie sie zur Norm erklärte. Man hat die Sitte der bandagierten Füße auf alle Dynastien zurückführen wollen, aber es gibt keinen gültigen Beweis, daß dieser Brauch vor dem zehnten Jahrhundert existiert hat. Es spricht im Gegenteil alles dafür, daß die Frauen der TangDynastie (618-907) unverkrüppelte Füße hatten. Die zeitgenössischerr Gemälde zeigen kräftige Frauen, die fest auf ihren Beinen stehen. Man weiß, daß sie reiten und Polo spielen konnten.[5] Aus einigen Quellen geht hervor, daß sie die gleichen Schuhe wie die Männer trugen, und bei den Tang-Dichtern finden sich häufig dichterische Passagen, die unverkrüppelte Füße beinhalten. Die chinesische Tradition [6] führt den Ursprung dieser Sitte des Bandagierens auf den Kaiser Li Yu aus der Dynastie der südlichen Tang (961-975) zurück, der einen Teil des damals geteilten China beherrschte. Li Yu hatte eine sehr begabte Tänzerin zur Geliebten, für die er eine goldene Lotosblüte anfertigen ließ. Sie tanzte für ihn im Mittelpunkt dieses goldenen Lotos, die Füße hatte sie mit weißer Seide bandagiert, damit sie aussehen sollten wie ein Halbmond. Etwa zu jener Zeit entstand im kaiserlichen Palast und für die Tänzerinnen die Sitte, sich leicht die Füße zu bandagieren. Leicht mußten die Bandagen schon deshalb angelegt werden, weil die Art des Füßebandaglerens, die die Frauen verkrüppelt, keine Beweglichkeit mehr zuläßt. Sobald diese Sitte zur Verstümmelung entartet ist, hat sie im übrigen den Tanz zum Verschwinden gebracht.
    Unter den Song (960-1297) hat sich der Brauch in den gehobeneren Kreisen noch nicht sehr stark ausgebreitet. Mit der Herrschaft der Mongolen (1280-1368) verbreitet er sich immer mehr, und erst unter den Ming (1368-1644) wird er wirklich zum integralen Bestandteil der chinesischen Tradition, bleibt aber immer noch sozial und, wie es scheint, auch geographisch begrenzt. Die Mandschus (1644-1911) waren von Anfang an gegen diese Sitte, und sie versuchten mehrfach, sie per Dekret abzuschaffen, aber ohne Erfolg. Generell waren die nördlichen Provinzen weit mehr davon betroffen als die südlichen. Man sagte, die Frauen von Shanxi und Shenxi hätten die kleinsten Füße in ganz China.

c) Symbolwert des Bandagierens und seine Rationalisierung

  • Das Bandagieren der Füße, das zunächst die Tänzerinnen des kaiserlichen Palastes, dann die Frauen am Hof und in den besseren Kreisen übernommen hatten, wurde schnell zu einem Symbol für Adel und sozialen Status, dem die Menschen aus dem Volk nachahmen wollten. Wenn sie es tun, so erbringen sie den Beweis, daß sie in einer sozialen Stellung leben, die es ihnen gestattet, eine Frau zu unterhalten, die es nicht nötig hat, auf dem Feld oder im Laden zu helfen. Seit der Song-Zeit (960-1279) sind für die Frau Keuschheit und Jungfräulichkeit zu einem gesellschaftlichen Gebot geworden, das man nur um den Preis strenger moralischer Sanktionen verletzen darf, und man beginnt nun, die Sitte des Füße-Bandagierens damit zu rationalisieren, daß sie die Frauen vor Versuchungen bewahre, die gegen die herrschende Moral seien. Außerdem wird das Bandagieren der Füße, ebenso wie auch die Kleider, die Frisuren, das Durchstechen der Ohren, zu einem Mittel, den Geschlechtsunterschied, wie ihn die traditionelle Moral verlangt, noch deutlicher sichtbar zu machen. Es existiert eine reichhaltige Literatur, aus der hervorgeht, daß die bandagierten Füße auf den chinesischen Mann eine gewisse sexuelle Anziehungskraft ausübten und daß sich um die kleinen Füße herum ein ganzer erotischer Kult ausgebildet hat. Erotische Figürchen der Song-Zeit und späterer Epochen zeigen Frauen, die vollkommen nackt sind und deren Scham in allen Einzelheiten dargestellt ist, aber es gibt keine Bildnisse, die die bandagierten Füße einer Frau im unverhüllten Zustand zeigen.[7] Diese unterlagen also einem strengen Tabu, das jahrhundertelang eine wesentliche Rolle in den Beziehungen der chinesischen Männer und Frauen gespielt hat.

Erziehung

Gleichzeitig mit der schweren Prüfung des Füße-Bandagierens erhält das kleine Mädchen und später die Jugendliche eine bestimmte Erziehung, falls ihre Familie zufällig zu den zehn Prozent der Bevölkerung gehört, die dieses Privileg genießt. Es gibt in der chinesischen Mädchenerziehung eine ganze Tradition, die in einer Anzahl von Werken über die Erziehung schriftlich sehr schön festgehalten ist. Unter den Qing wurde jede Jugendliche, die lesen konnte, in den sogenannten nü si shu [8] (den vier Klassikern für Frauen) unterwiesen.
Das nü si shu ist ein Sammelband, der in einem Buch vier Werke vereint. Seine Verfasserin ist Wang Xiang,[9] und es stammt aus der frühen Qing Zeit (1644-1911). Das erste dieser vier Werke ist das nüjie (Gebote für Frauen).[10] Seine Verfasserin ist die berühmte Schriftstellerin Ban Zhao, sie lebte in der späteren Han-Zeit (25-220) und gehörte einer Familie gebildeter Beamter an. Ihr Bruder Ban Gu (32-92) war kaiserlicher Geschichtsschreiber. Beim Tode dieses Bruders läßt der Kaiser Ban Zhao rufen, die einen ausgezeichneten Ruf als gebildete Frau genießt, und bittet sie, das Geschichtswerk fortzusetzen. Man kann aus dem Beispiel Ban Zhaos schließen, daß es bereits damals in den gebildeten Kreisen üblich war, den Mädchen eine Erziehung angedeihen zu lassen. Ihr Buch behandelt in sieben Kapiteln das, was man hinfort Jahrhunderte hindurch als die Grundprinzipien des Verhaltens der Frauen ansehen wird. Diese Grundprinziplen leiten sich ab von der Idee, daß die Frauen sich von den Männern ebenso sehr unterscheiden, wie der Himmel von der Erde. Die Frauen sind selbstverständlich auch Menschen, aber den Männern unterlegen und können keinerlei Gleichberechtigung mit diesen geltend machen. Das erste Kapitel in Ban Zhaos Buch ist der untergeordneten Stellung und der Schwäche gewidmet, die mit dem Dasein als Frau verbunden sind, das zweite Kapitel behandelt die Pflichten der Frau, wenn sie ihrem Mann untersteht, und das darauffolgende versucht, sie davon zu überzeugen, daß sie ihm grenzenlosen Respekt schulde und hält sie zu ständiger Selbstbeherrschung an. Das vierte Kapitel stellt die wichtigsten Qualitäten dar, die eine Frau auf dem Gebiet der Tugend, der Sprache, der Kleidung und ihrer Beschäftigungen haben muß. Eine Frau muß ihrem Mann gegenüber ewig die zärtlichste Zuneigung beweisen. Sie schuldet nicht nur ihrem Mann Gehorsam, sondern auch ihren Schwiegereltern, und sie muß herzliche Beziehungen zu seinen Geschwistern pflegen. Dies sind die Inhalte der drei letzten Kapitel.
Wenn Ban Zhao in ihren Ratschlägen die Unterordnung der Frauen unter die Männer festschreibt, so besteht sie dennoch darauf, daß man den Mädchen das Lesen beibringen muß. Man könnte daraus schließen, daß man das vorher nicht getan hat. Sie fordert, daß Jungen und Mädchen bis zum Alter von fünfzehn Jahren die gleiche Erziehung erhalten sollten, stellt aber klar, daß diese Erziehung in beiden Fällen unterschiedliche Ziele haben muß. Die Rolle der Frau ist es, in allererster Linie eine treue Ehefrau, die sich ihrem Manne unterordnet, und eine gute Mutter zu sein.
" So beginnt die Abhandlung über die Mädchenerziehung: ,Wenn in den alten Zeiten ein Mädchen geboren wurde, so legte man es drei Tage lang ans Fußende des Bettes; als Spielzeug gab man ihm eine Weberspule aus Ton, und nach einer reinigenden Fastenzeit kündigte man den Ahnen die Geburt an. Man legte es ans Fußende des Bettes, um seinen niedrigen Stand sichtbar zu machen: es war seine Rolle, in niedrigerer Stellung als der Mann zu leben. Man gab ihm eine tönerne Spule als Spielzeug, um deutlich zu machen, welchen Eifer es einmal bei der Arbeit würde zeigen müssen: es war seine Rolle, ein Arbeitswerkzeug in Händen zu halten. Man verkündete nach einer reinigenden Fastenzeit den Ahnen die Geburt als Zeichen dafür, daß es seine Aufgabe sein würde, dafür zu sorgen, daß die Opfer nicht aufhören würden. In diesen drei Dingen muß man zweifellos die Grundprinzipien für das Verhalten des weiblichen Geschlechtes sehen.' ... So wurde den Frauen bei Hofe beigebracht, daß sie bescheiden, arbeitsam und fruchtbar zu sein hatten.
Das zweite Werk, das im nü si shu steht, trägt den Titel nü lunyu.[12] Es wurde unter den Tang (618-907), etwa im Jahre 785, von einer Frau namens Song Ruohua [13] verfaßt. Ruohua hatte vier Schwestern, die alle hervorragend gebildet waren und die Literatur liebten. Sie hatten es abgelehnt zu heiraten, weil sie berühmt werden wollten.[14] Was Ruohua den Frauen in ihrem Buch anrät, das setzte eine ihrer Schwestern, Zhuo hao,[15] bei den Prinzessinnen am kaiserlichen Hofe in die Tat um. Das Werk in zwanzig Kapiteln hat das Ziel, jedem jungen Mädchen einzuschärfen, wie es eine musterhafte Frau, Schwiegertochter und Schwägerin wird. Es beschreibt genau, wie eine Frau sich um die täglichen Hausarbeiten zu kümmern hat, wie sie die ehrwürdigen Riten zu beachten hat, wie sie Gäste behandeln und den Besitz eines Hausstandes erhalten muß. Es versäumt auch nicht, dem jungen Mädchen unablässig in Erinnerung zu rufen, daß Unterordnung und Keuschheit hohe moralische Werte sind. Ruohua behandelt all das bis ins kleinste Detail, im Unterschied zu Ban Zhao. Ihr Buch war zu ihrer Zeit weiter verbreitet als das Ban Zhaos, denn es war in einer einfachen und verständlichen Sprache geschrieben.
Als drittes Werk enthält das nü si shu das nelxun der Kaiserin Ren jiaowen.[16] Sie war die Frau des Kaisers Yongle (1403-1425) aus der Ming-Dynastie (1368-1644), sie pflegte ihrer Schwiegermutter, der Kaiserinwitwe, aus dem lienü zhuan [17] vorzulesen. Beim Tod der Schwiegermutter trug Ren jiaowen eine Sammlung zusammen: das neixun, das waren alle die Überlegungen, die dieses Vorlesen bei der Kaiserinwitwe ausgelöst hatte. Die Sammlung diente zunächst der Erziehung der kaiserlichen Prinzessinnen, später, nach Ren jiaowens Tod, gibt Yongie es an die Edelleute an seinem Hof weiter. Wenn es auch nicht so weitverbreitet ist, wie das obengenannte Werk, so war das neixun doch sehr bekannt, als es in das nü si shu aufgenommen wurde. Es faßt in zwanzig Kapiteln alles zusammen, was zuvor über die Erziehung der Frauen gesagt worden war.
Das nüfan Jielu, das als viertes Werk im nü si shu enthalten ist, wurde zu Beginn der Qing-Zeit (1644-1911) geschrieben. Seine Verfasserin ist die Mutter Wang Xiangs [18] selbst. Es nimmt seinerseits wiederum alle Gedanken auf, die bereits vorher geäußert worden waren.
Wenn auch all diese Werke über die Frauenerziehung sich - wo nicht im Detail, so doch in groben Zügen - gleichen, so würde es eine gründlichere Lektüre doch zweifellos gestatten, näher umschreiben zu können, was im Einzelnen in den jeweiligen Epochen das Bild der idealen Frau ausmachte, denn dieses Bildnis ist im Laufe der Zeit immer weiter vervollkommnet worden. So besteht etwa Ruohua unter den Tang - darauf, daß Witwen oder auch Verlobte nicht wieder heiraten dürfen, dieses Verbot findet sich bei Ban Zhao nicht. Dafür besteht letztere auf der Notwendigkeit, Frauen das Lesen beizubringen, während Ruohua das nicht erwähnt. Darf man daraus den Schluß ziehen, daß es inzwischen allgemein üblich geworden ist und nicht mehr eigens erwähnt zu werden braucht?
So haben die Frauen der gebildeten Schichten in der Mehrzahl die Möglichkeit, eine gewisse Bildung zu erwerben. Sie können lesen, schreiben, rechnen. Man führt sie in die chinesischen Klassiker ein, und sie erwerben Kenntnisse in Dichtkunst und Musik. Einige von ihnen haben bleibende Berühmtheit in der chinesischen Literatur erlangt. Die Heldinnen Qiu jins sind unter diesem Gesichtspunkt charakteristische Vertreterinnen ihrer Zeit und ihrer sozialen Herkunft. Es muß jedoch festgehalten werden, daß selbst dieses Wenige an Bildung sich nicht von selbst versteht, da es in nicht institutionallsierter Form vermittelt werden muß, entweder mit Hilfe eines Bruders, um dessentwillen man einen Hauslehrer hat, oder mit Hilfe eines wohlwollenden Vaters oder einer wohlwollenden Mutter. In jedem Falle führt die Erziehung der Mädchen diese nie aus dem Kreis der Familie hinaus.
In der Zeit, in der Qiu Jin ihre Geschichte spielen läßt, d.h. in den Jahren 1880-1890, in der Zeit ihrer eigenen Jugend, steht man der Frauenerziehung allgemein sehr zögernd gegenüber. Wenn es auch völlig normal ist, daß ein Mann gebildet ist, so erscheint doch eine gebildete Frau seit der Qing-Zeit (1644-1911) als etwas höchst Beunruhigendes. So tritt seit dieser Zeit der folgende Leitsatz auf, der vorher nie anzutreffen ist: "Der Mangel an Geistesgaben bei einer Frau ist ihre Tugend". Man muß begreifen, daß dieser Satz bedeutet, daß der Mangel an geistigen Gaben bei einer Frau ihre Tugend gewährleistet. So ist nach und nach der Glaube entstanden, daß die gebildeten Frauen Verlust und Unglück bringen,[19] und manche Familie hat Angst davor, eine solche Frau aus ihrem Schoß hervorgehen zu sehen.
Diese Art zu denken, die so eigentümlich für die damalige Zeit ist, geht sehr deutlich aus dem Buch Qiu Jins hervor. Als der Lehrer des Bruders der Heldin ihrem Vater sagt, daß seine Tochter sehr begabt ist, ruft dieser voll Zorn aus: "Aber für eine Frau ist Unwissenheit eine Tugend, warum soll man ihr Unterricht erteilen? Das ist wieder so eine dumme Idee von ihrer Mutter, warte, ich will ihr gleich deswegen Vorhaltungen machen und darauf achten, daß Jurui nähen lernt. Ein Mädchen braucht nicht lesen zu lernen. " Warum? "Das nützt nichts, wenn man einer Frau das Lesen beibringt. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß sie der Familie Ehre machen wird, wie ein Mann. Selbst wenn sie begabt ist, gibt es etwa offizielle Laufbahnprüfungen für Frauen?"[20] Und nachdem er sich erst einmal hat davon überzeugen lassen, daß es für seine Tochter besser ist, wenn sie weiter unterrichtet wird, stimmt er dem ohne Begeisterung zu, denn " ... selbst wenn Du meiner Tochter eine Erziehung gibst, die aus ihr eine Frau mit einem großen Wissen macht, wird durch sie die Schar der Unglücklichen nur um eine Person vergrößert werden." Es wird also allgemein gezögert, den Mädchen eine Erziehung zu geben, und selbst wenn man ihnen Unterricht erteilt, so schärft man ihnen in erster Linie ein, dem Vater, dem Mann und dem Sohn gehorsam zu sein. Qiu Jin verdammt dieses Gebot des dreifachen Gehorsams schonungslos: "Dieses Gebot ist eine Absurdität, die den Ehemann mit den Würden eines himmlischen Herrschers ausstattet." Nachdem die Frauen das nü si shu gelesen haben, wissen sie, daß sie nie die kleinste Initiative ergreifen dürfen, selbst wenn sie die innersten Angelegenheiten der Familie betrifft. So wurde jahrhundertelang eine kleine Minderheit chinesischer Frauen zuhause von ihrem Vater oder vom Hauslehrer ihrer Brüder, sofern diese einen besaßen, unterrichtet. Aber die Mehrheit der Frauen "genießen keine Ausbildung, verlassen niemals das Haus, sie haben keinerlei Erfahrung mit der Außenwelt und unternehmen niemals etwas ..." " ... sie haben auch das letzte Stückchen von ihrem Zuständigkeitsbereich abgetreten und lassen die Männer den ersten Platz einnehmen ..."
Für die privilegierten Frauen wurde die Erziehung, die sie genossen, von den Männern ihrer Familie bezahlt. Man muß also, wenn man wissen möchte, warum der Erwerb von Wissen niemals ein Faktor gewesen ist, der die Frauen nach mehr Freiheit streben ließ, berücksichtigen, wer ihnen diese Erziehung durch seine Freigiebigkeit ermöglicht. Warum hat das, was die Frauen gelernt haben, sie nicht dazu angespornt, ihre Lebensbedingungen zu verändern? Weil die Beweggründe, die die Männer dazu treiben, ihr Wissen mit den Frauen zu teilen, von ihren eigenen Interessen und Vergnügungen bestimmt sind: sie möchten eine Frau ihr eigen nennen, die sich ihnen unterordnet und die Regeln des traditionellen Familienlebens achten, dabei aber gebildet ist, was es einem ermöglicht, mit ihr gemeinsam literarische und künstlerische Genüsse zu erleben.

Heirat

Wenn man ihm die Füße bandagiert hat und ihm die Grundprinzipien moralischen Verhaltens eingeschärft worden sind, wird das junge Mädchen verheiratet.[21] Die Heirat ist in erster Linie Sache der beiden Familien. Die unmittelbar Betroffenen, nämlich der zukünftige Ehemann und die zukünftige Ehefrau, haben kein Wort dabei mitzureden. Nach dem Gesetz ist die Heirat ein Vertrag wie jeder andere, der von den beiden Familienoberhäuptern unterzeichnet werden muß: dem Vater des Mannes und dem Vater der Frau. Wenn eine Heirat auf ungesetzliche Weise zustandekommt, so werden dafür nur diejenigen zur Verantwortung gezogen, die dazu befugt sind, den Vertrag zu schließen, der Bräutigam und die Braut haben damit nichts zu schaffen.
Die beiden interessierten Familien treten mit Hilfe eines Ehevermittlers oder einer Ehevermittlerin miteinander in Kontakt. Es ist eine Pflicht, die Dienste des Ehevermittlers oder der Ehevermittlerin in Anspruch zu nehmen, und die Überlieferung kennt diese Pflicht schon seit sehr frühen Zeiten.[22] Im allgemeinen beginnt die Ehevermittlerin ihr Geschäft, indem sie den Eltern des Mädchens Geschenke überbringt, die einen Heiratsantrag darstellen. Wenn der Antrag angenommen wird, behält man die Geschenke, und die Familie der Frau händigt der Ehevermittlerin ein Dokument dafür aus, das Jahr, Monat, Tag und Stunde der Geburt des Mädchens enthält.[23] Sie soll feststellen, ob die beiden jungen Leute von ihren Horoskopen her gesehen zusammen passen. Als nächstes schickt die Familie des Mannes noch einmal Geschenke, die jetzt endgültig bindende Wirkung für beide Parteien haben. Nun braucht nur noch der Vertrag unterzeichnet zu werden: die Ehe ist geschlossen.[24] Genau gesagt, kauft die Familie des Ehemannes die Frau. Die Familie der Frau schickt mit dieser der Familie des Mannes Gegenstände wie Möbel, Stoffe, Aussteuer. Ökonomisch gesehen sind Hochzeiten sehr teuer. in den armen Familien nimmt man oft das Geld des Schwiegersohnes, um die Aussteuer der Braut zusammenzustellen, aber oft behält man es auch für die persönlichen Bedürfnisse der Eltern. Indem die Familie für die Frau ihres Sohnes bezahlt, erwirbt sie ein echtes Eigentumsrecht an ihr und kann sie sogar verkaufen.[26] Für manche armen Familien ist der Kauf einer Frau eine Geldausgabe, die sie sich nicht leisten kann. Man kann für seinen Sohn auch billiger an eine Frau kommen, wenn man eine Vereinbarung trifft, die darauf hinausläuft, daß man die zukünftige Frau selbst aufzieht. So kommen bereits kleine Mädchen in die Dienste der Familien ihrer zukünftiger Männer. Sie werden dort praktisch zu Dienerinnen, womit allen Beteiligten gedient ist. die Familie des Mädchens braucht sie nicht mehr zu ernähren, die Familie des Mannes braucht keine Frau mehr zu kaufen. Qiu Jin betont in ihrem Buch immer wieder, wie schlecht solche Kinder behandelt werden, und welch ein Höllenleben man ihnen bereitet: "Diese kleinen Mädchen, die man kauft, um sie später mit dem Sohn des Hauses zu verheiraten, sind in einer Situation, die noch schlimmer ist als alles andere: sie werden grausam geprügelt und müssen illegale Übergriffe ertragen. Sehr viele von ihnen sterben an dieser schlechten Behandlung." Das Gesetz gestattet nur eine offizielle Frau, also nur eine Heiratszeremonie. Aber Gesetz und Sitte erlauben es dem Ehemann, Nebenfrauen oder Konkubinen zu nehmen. Offiziell sind Konkubinen nur dann zulässig, wenn die erste Frau dem Gatten keinen männlichen Nachkommen schenkt, und haben den Sinn, ihm einen solchen zu sichern. In der Realität nehmen sich jedoch die Männer Konkubinen zu ihrem bloßen Vergnügen, die Grenzen werden ihnen hier nur von ihren finanziellen Möglichkeiten gesetzt. Es gibt Konkubinen vor allem in den wohlhabenderen Kreisen. Die Kinder der Konkubinen haben den gleichen legalen Status wie die der Hauptfrau.
Wenn sie erst einmal verheiratet ist, hat die Frau kein Recht, ihren Mann zu verlassen,[27] dieser dagegen kann seine Frau von sich aus verstoßen, wenn einer von sieben Fällen, qi chu, vorliegt.[28] Diese sieben Fälle sind:

  1. Wenn die Frau es an Respekt gegenüber ihren Schwiegereltern fehlen läßt.
  2. Wenn sie keinen Sohn hat.
  3. Wegen Unmoral.
  4. Wegen Eifersucht.
  5. Wegen einer abstoßenden Krankheit.
  6. Wenn sie zu geschwätzig ist.
  7. Wegen Diebstahl.

In den drei folgenden Fällen, san buch, jedoch kann der Mann seine Frau nicht verstoßen:

  1. Wenn sie keine Familie mehr hat, die sie aufnehmen kann.
  2. Wenn sie drei Jahre lang Trauer um einen verstorbenen Angehörigen ihres Mannes trägt.
  3. Wenn der Mann zur Zeit der Eheschließung arm war, im Augenblick da er seine Frau verstoßen möchte, jedoch reich ist.

In ihrem Buch beschreibt Qiu Jin die Folgen einer derartigen Tradition für das tägliche Leben der Frauen. Sie beharrt darauf, daß das System der arrangierten Heiraten zwei Wesen, die sich nicht verstehen, für ein ganzes Leben aneinander bindet, und sie erklärt, wie derartige Mesalliancen die Fähigkeiten hilfloser junger Mädchen zunichte machen können. Sie beschreibt Frauen, die von ihren Männern nicht geliebt werden, und die verraten, einsam und von der Außenwelt abgeschlossen in den zum Kerker gewordenen Frauengemächern dahinvegetieren. Ein Leben in Einsamkeit und Verzweiflung, ein Schicksal ohne Hoffnung, an dessen Ende nur der Tod wartet, den die Frauen oft herbeiwünschen. Die Heirat, so wie der Brauch sie fordert, zwingt eine Frau dazu, ein Leben lang einen Mann, den sie nicht gewählt hat, zu ertragen, und das Übel, was eine solche Institution mit sich bringt, wirft seine Schatten auf die gesamte Organisation der chinesischen Familie. Qiu Jin bringt es fertig, diese Tatsache mit Nachdruck, und ohne irgendjemanden dabei zu schonen, aufzuzeigen. Sie klagt die traditionelle Ehe in all ihren Formen als Unmenschlichkeit an und beschreibt genau, wie aus dieser Einrichtung feindselige Beziehungen unter den Mitgliedern ein und derselben Familie folgen.
Das Konkubinenwesen bringt es mit sich, daß die Frauen aufeinander eifersüchtig sind und untereinander nur feindliche und unangenehme Beziehungen aufbauen können. Die Kinder können den Auswirkungen dieser schlimmen Art der Eheschließung ebenfalls nicht entgehen. Aus dem Vorhandensein von Konkubinen entwickeln sich Rivalitäten zwischen den Kindern der offiziellen Frau und denen der Konkubinen. So ist es vom zartesten Alter an keinem Kind möglich, der schlechten Behandlung und der Feindseligkeit der Erwachsenen zu entgehen. Und nachdem die junge Frau also ein Leben mit Geschwistern, die für einander keine Zärtlichkeit empfinden, mit Müttern, die einander hassen, mit Eltern, die kein Mitleid kennen und nur das eine Ziel haben, sie einem reichen Mann zu übergeben, ertragen hat, geht sie von einem Hausstand in den anderen über und "liefert sich auf Gedeih und Verderb vollkommen dem Himmel aus". Dieses Leben als weiblicher Sklave läßt keine Fluchtmöglichkeit offen. Es kann nur zum Selbstmord führen.

»Der Trauer und Einsamkeit der Frauengemächer könnt ihr nicht enfliehen. Ihr werdet versuchen, ihrer unerträglichen Gewaltherrschaft mit Hilfe von Gift, des Stricks oder des Gangs ins Wasser zu entkommen. Finster und traurig ist die letzte Ruhestätte, wo die Seelen der Opfer der Ungerechtigkeit heulen. Finster und traurig sind die zahllosen Frauengemächer, in denen so viele Frauen als Gefangene leben. Das ist eine wahre Hölle auf Erden, die sich mit der Hölle der Toten messen kann.«