Vorwort

Innerhalb der Reihe »Frauen in der Geschichte« stellt dieses Buch ein Novum dar. Denn bisher wurden jeweils in einem Band zahlreiche Einzelbeiträge zu einem wichtigen Aspekt der Frauengeschichte vorgelegt. In diesem Sinne ist etwa in Band 1 und Band 2 durch eine Vielzahl von Einzelaufsätzen der historische Zusammenhang von Frauenrechten und gesellschaftlicher Arbeit beleuchtet worden. In ähnlicher Weise galt es in den weiteren drei Bänden, durch einschlägige Einzelbeiträge in die Geschichte der Weiblichkeit, in die Bildungsgeschichte von Frauen oder in das Spannungsverhältnis von Weiblichkeitsbildern und Frauenrealität einzuführen.

Mit dieser Veröffentlichung wird aber dieser Weg der Darstellung verlassen. Denn diese Monographie von Eva Walter bündelt alle die eben genannten Teilaspekte eines bürgerlichen Frauenlebens in Deutschland um 1800 zusammen. Hier fügen sich die einzelnen Mosaiksteinchen des weiblichen Lebenszusammenhangs durch die zusammenfassende Sicht der Verfasserin zu einem Gesamtbild der alltäglichen Existenz von Schriftstellerinnen um 1800 zusammen. Somit haben wir es in dieser Reihe erstmalig mit einer geschlossenen, sozialgeschichtlichen Darstellung, mit einer Sozialgeschichte deutscher Schriftstellerinnen um 1800, zu tun.
Nicht von ungefähr wird in diesem Vorwort auf das Neuartige dieser methodischen Vorgehensweise besonders hingewiesen. Denn in dieser Darstellungsweise sehen wir eine Weiterentwicklung der Gesamtkonzeption dieser Reihe. Diese Reihe versteht sich ja als ein Versuch, auf das gewiß sehr ehrgeizige Ziel hinzuwirken, Frauengeschichte als unverzichtbares Moment unserer Gesellschaftsgeschichte sichtbar zu machen. Unter dieser Zielsetzung kommt dieser Sozialgeschichte deutscher Schriftstellerinnen um 1800 von Eva Walter eine besondere Bedeutung zu.
Eva Walter selbst versteht ihre Arbeit als eine sozialgeschichtliche Darstellung, als die »Erforschung von Entstehung und Wandel weiblicher Existenz« im Kontext einer »Allgemeingeschichte'*. Zu Recht stellt sie fest, daß wir in »allgemeingeschichtlichen« Darstellungen Frauen vergeblich suchen. Sie will sich aber - wiederum, wie ich meine, zu Recht - nicht mit einer »additiv-kompensatorischen« oder einer »kontributiven« (Bock 1983) frauengeschichtlichen Betrachtungsweise begnügen, die den Bezugsrahmen der männlichen Geschichtsschreibung - gewollt oder auch ungewollt - akzeptiert. Von diesem Anspruch her kann hier von einem neuen, vielversprechenden Weg der Frauengeschichte als Sozialgeschichte gesprochen werden, einem Weg, der uns dem Ziel einer neuen Sicht der Gesellschaftsgeschichte ein ganzes Stück näherbringt. Versuchen wir daher diese sozialgeschichtlichen Ansätze etwas näher zu umschreiben.
Induktiv von Selbstzeugnissen deutscher Schriftstellerinnen ausgehend, gelangt Eva Walter zu einer umfassenden Sicht weiblicher Lebensbereiche, Bereiche, die in der Soziologie oder ihr folgend in der Geschichtswissenschaft meist nur als getrennte Sphären erscheinen. Die Arbeit der schreibenden Frauen im Haushalt, ihr Leben als liebende Gattin, als Gebärende und als Mutter, die Kommunikation unter den Frauen und der Umgang mit der politischen Welt und den weiblichen Rollenbildern der Zeit gehören alle zu diesem weiblichen Lebenszusammenhang, den Eva Walter in Anlehnung an Ulrike Prokop als »weibliche Produktivität« begreift. Den spezifischen Vorteil der Methode hebt Eva Walter selbst hervor:

»Mit dieser Methode kann die Frage nach der weiblichen Produktivität nicht spekulativ, sondern konkret für eine Gruppe von Frauen und für einen Zeitabschnitt beantwortet werden.«

Wird in diesem Band eine fruchtbare Weiterentwicklung früherer Bände dieser Reihe gesehen, so gilt es, an diesem methodischen Ansatz anzuknüpfen. Denn gerade diese konkrete Erfassung weiblicher Produktivität kann in der jetzigen Diskussion sowohl um die Frauengeschichte als auch um eine feministische Gesellschaftspraxis weiterführen. In den letzten Jahren hat sich die Beschäftigung mit der Frauengeschichte immer mehr auf das 19. und 20. Jahrhundert konzentriert. Bei dieser Forschungsorientierung blieb es nicht aus, daß die Ideologie der Geschlechterstereotypen, die seit dem 19. Jh. die Dignität einer geschlechtsspezifischen Gesellschaftstheorie gewann, sich auch in der Frauengeschichtsforschung als Parameter für Frauendenken und -handeln einschlich. Somit bewegte sich allzu oft die Frauengeschichtsforschung und die Diskussion um die emanzipatorische Frauenpraxis in den engen Grenzen der von der Geschlechterideologie suggerierten gesellschaftlichen Wirklichkeit und der quasi Naturhaftigkeit der geschlechtsspezifisch getrennten Bereiche. Aus dieser Verwechslung der Ideologie der Geschlechterbeziehungen mit der Realität von Frauenleben und -handeln sind immer wieder falsche Antithesen: wie Frauenemanzipation durch Erwerb, nicht durch Ehe und Familie, entstanden, während die sozio-ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Strukturen, die zur sozialen Ungleichheit der Frauen in unserer Gesellschaft führen, unerkannt blieben.
Die Arbeit von Eva Walter weist in eine andere Richtung. Aus dieser Darstellung geht hervor, daß die weibliche Produktivität sich nicht in die vorgegebenen, gesellschaftlichen Kategorien und in das Modell der Geschlechterstereotypen pressen läßt. So stellt etwa die Arbeit der Frauen in der Hauswirtschaft für Eva Walter eine ökonomische Tätigkeit dar, die in den Kontext von notwendiger Eigenproduktion und Zwang zum Gelderwerb eingespannt ist. Eva Walter zeigt den Wandel dieser Tätigkeiten von Frauen in der Hauswirtschaft und beim Gelderwerb, beim Gebären und im zwischenmenschlich/partnerschaftlichen Bereich auf; sie versucht jedoch nicht, sie in ein neues Deutungsschema zu pressen.
Eva Walter ist zuzustimmen, daß es noch weiterer Forschungen zum weiblichen Lebenszusammenhang im 17. und 18. Jahrhundert bedarf, um die Entwicklungslinien der Frauengeschichte der Neuzeit auch im gesellschaftstheoretischen Kontext zu erfassen. Auch ist letztlich ohne eine feministische Geschichts- und Gesellschaftstheorie dieses Deutungsmuster nicht zu gewinnen. Dabei weist die Arbeit von Eva Walter in einer zweifachen Weise weiter:

  • Nicht die imaginierte Weiblichkeit, sondern die sozialgeschichtlich erschlossenen Formen weiblicher Existenz weisen uns auf die Lebensweisen und die Handlungsmöglichkeiten von Frauen in der Neuzeit hin.
  • Die strukturellen Bedingungen von neuzeitlichem Frauenhandeln sind in der vor-industriellen Zeit zu suchen, als sich die expandierende kapitalistische Ordnung neben dem Markt eine neue Ökonomie schuf.

Gewiß: Die Logik dieser zweiten, weiblichen Ökonomie gilt es noch zu entschlüsseln. Dieses Buch bietet aber wichtige Einblicke in die Wirkungsweisen weiblicher Produktivität. Daher verstehen wir es als einen wichtigen Beitrag zu dem noch fernen Ziel einer Gesellschaftsgeschichte der Neuzeit, die die Frauen nicht einfach als eine unhistorische Naturressource begreift. Die Bibliographie von Ute Daniel dient diesem gleichen Ziel.

Bonn, im April 1985
Annette Kuhn

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Vorwort