Technischer Fortschritt und realer Sozialismus

Staatsplan versus Marktkonkurrenz

Eine ordnungstheoretische Erklärung der Innovationsschwächen von Ökonomien des sowjetischen Typs

1. Der reale Sozialismus und der technische Fortschritt: das meint Nettotechnologieimporte großen Stils aus dem Kapitalismus, dauerhafte Produktivitätsrückstände und größte Schwierigkeiten bei der Diffusion des technischen Fortschritts.[1] Welche Struktur wird man von sozialistischen Theorien erwarten, die die obigen Phänomene zu erklären versuchen? Es werden Theorien sein, die die Defizite des technischen Fortschritts mit Faktoren erklären, die trotz der Existenz des Sozialismus auftreten (vgl. z.B. Wagener 1982). Demgegenüber haben Gunnar Heinsohn und Otto Steiger eine Theorie vorgelegt, die die Defizite des Technischen Fortschritts kausal aus der Existenz der sozialistischen Wirtschaftsordnung erklärt, natürlich handelt es sich um eine Marx- und Marxismus-kritische Theorie. Mit ihr befasse ich mich im Folgenden.[2]

2. Heinsohn/Steiger erklären die für den Kapitalismus typische Dynamik des technischen Fortschritts aus der Existenz von Geld und diese aus der Existenz von Privateigentum. Es handelt sich um eine wirtschaftsW-storische Argumentation: Die Ablösung tribalistisch bzw. feudal organisierter Gesellschaften durch Privateigentümergesellschaften hat zur fundamentalen Folge die Existenzunsicherheit der Privateigentümer, die durch keinerlei soziale (stammesmäßige oder feudale) Solidarsysteme geschützt sind. Sie müssen daher private Sicherungssysteme bilden, was ökonomisch heißt, daß sie Sicherheitsvorräte an Gütern anlegen, die sie in unvorhergesehenen Notfällen nutzen. Treten solche Notfälle ein und sind die Vorräte verbraucht, muß sich der Privateigentümer bei anderen Privateigentümern verschulden: er erhält Güter gegen das Versprechen, diese zu einem zukünftigen Zeitpunkt zurückzugeben, und zwar inklusive eines zusätzlichen Güterbetrages als Preis für die zeitweise Überlassung der geliehenen Güter. Es wird also ein (Natural-)Kreditvertrag geschlossen; der (Natural-) Zins ist die erste Form von Geld, das auf diese Weise aus Gläubiger/-Schuldner-Verhältnissen entsteht (vgl. detailliert H 1984, Kap. 4; HS 1983, 11 ff.). Der Schuldner steht dann wegen seiner Zinsverbindlichkeiten unter dem Druck erhöhter Produktionsanstrengungen: im Fall seiner (Rück-) Zahlungsunfähigkeit droht ihm der Verlust des Privateigentümerstatus — im antiken Griechenland wird er dann etwa zum Sklaven. Der Privateigentümer hat also wegen der mit der Uberschuldungsgefahr verbundenen Existenzunsicherheit ein vehementes Interesse an möglichst ökonomischer Produktion, kurz: am technischen Fortschritt.
Die Begründungskette lautet demnach: Privateigentum — Gläubiger/Schuldner-Verhältnisse — Zins — Geld — Interesse an Produktivitätssteigerungen. Dieses Interesse kommt erst recht zur Geltung im modernen Kapitalismus: einer monetären Produktionsökonomie. Darunter verstehen Heinsohn/Steiger die prinzipielle Freiheitsgarantie auch für überschuldete Privateigentümer: der Bankrott führt im modernen Kapitalismus nicht in den Status eines Unfreien (Sklaven oder leibeigenen Bauern), sondern in den eines »doppelt freien« Lohnarbeiters, der daher juristisch zur Neugründung eines Unternehmens in der Lage ist. Das heißt, die Produktion ist insofern monetarisiert, als Firmengründungen einzig davon abhängen, ob es jemandem gelingt, eine entsprechende Summe an Geldkapital aufzubringen — typischerweise durch Aufnahme eines Kredits. Seine potentiellen Gläubiger, die Geldbesitzer, werden ihm umso bereitwilliger Kredit einräumen, je höher ihre Erwartung in die Rentabilität des zu gründenden Produktionsunternehmens, das heißt ceteris paribus: je produktiver und kostengünstiger seine Technik ist. Die Produktivitätsdynamik des modernen Kapitalismus ist in der Welt.
Wird nun als Folge einer Revolution das Privateigentum abgeschafft, so entfällt mit der Existenzunsicherheit der Privateigentümer einerseits der Stachel zu Produktivitätssteigerungen/Kostensenkungen zwecks Liquiditätsvorsorge, andererseits die Bereicherungsmöglichkeit von Privateigentümern, die Produkt- und Prozeßinnovationen per Gründung einer privaten Firma einführen. Der Staatssozialismus kennt daher nicht die Innovationsdynamik des Kapitalismus (vgl. HS 1981, 183ff., 1983, 38ff.).
3. Meine Kritik an Heinsohn/Steiger gliedert sich in drei Komplexe: im ersten Abschnitt wird gezeigt, daß man die Produktivitätsdynamik von Märkten ohne Rekurs aufs Geld, sondern allein aus der Konkurrenz erklären kann. Damit wird zugleich ihre Kritik an der tauschtheoretischen Erklärung von Geld stark relativiert. Im zweiten Abschnitt thematisiere ich das Verhältnis historische vs. theoretische Analyse und zeige, daß die Wirtschaftstheorie wie auch die kapitalistische und sozialistische Wirtschaftspraxis in dem Sinn modern sind, daß sie Institutionen, die historisch in einer bestimmten und vermutlich nicht zufälligen Entwicklung entstanden sind, durch »künstliche« Konstruktionen ersetzen können, für welche letztere dann die historischen Entwicklungs- und Erklärungslogik nicht mehr gilt. Im dritten Abschnitt lege ich eine eigene Erklärung für die Innovationsschwächen staatssozialistischer Ökonomien vor, die die Innovationsdefizite aus der staatssozialistischen Wirtschaftsordnung erklärt.

Tausch, Konkurrenz und technischer Fortschritt

4. Es soll in diesem Abschnitt gezeigt werden, daß die Dynamik des technischen Fortschritts, wie wir sie aus dem neuzeitlichen Kapitalismus kennen, ökonomisch [3] aus der Marktkonkurrenz und insofern aus dem Tausch [4], [5] erklärt werden kann. In Tauschökonomien mit Konkurrenz werden die Privateigentümer in ein spezifisches gesellschaftliches Verhältnis zueinander gebracht, das systematisch und dauerhaft Situationen hervorbringt, in denen bestehende Vermögen entwertet werden können. Gegen diese Entwertungsgefahr, die ein endogen verursachtes Überschuldungsrisiko darstellt, können sich die Privateigentümer nur durch permanente Produkt- und Prozeßinnovationen schützen.
Die Vorstellung, daß »die Konkurrenz« die privaten Unternehmen zu Produktivitätssteigerungen »zwingt«, ist bei den klassischen Ökonomen durchaus konventionell. »Die Konkurrenz« drückt sich dabei in einem dem einzelnen Anbieter vorgegebenen Marktpreis aus; der »Zwang« ergibt sich daraus, daß Produktivitässteigerungen zu Kostensenkungen führen, die sich in einem sinkenden Marktpreis niederschlagen sollen. Wer seine Produktivität nicht erhöht, dem drohen (relative) Verluste, wie umgekehrt einem Anbieter mit überdurchschnittlicher Produktivität Extraprofite winken. Das Konzept, das hinter dieser Vorstellung steht, soll hier für den Mengenanpasser auf dem vollkommenen Markt herausgearbeitet werden. Es zeigt sich, daß der Konkurrenzmarkt die Struktur eines nicht-kooperativen Spieles, und zwar des Gefangenen-Dilemmas aufweist (zum formalen Beweis vgl. Anhang).
5. Gegeben sei ein vollkommener Markt mit »vielen«, etwa 100, Anbietern, die sich als Mengenanpasser verhalten, also den Marktpreis px (und den Faktorpreis py) als Datum hinnehmen. Jeder von ihnen biete die gleiche Menge, nämlich 1/100 des Gesamtangebots an. In der Ausgangssituation verwenden die Anbieter sämtlich dieselbe Technologie 0, repräsentiert durch eine individuelle Produktionsfunktion f0 mit positiven und abnehmenden Grenzerträgen. Wir betrachten nun komparativ-statisch eine weitere Situation, in der mindestens ein (im Extrem: alle) Anbieter eine andere Technologie 1 verwenden, repräsentiert durch die individuelle Produktionsfunktion f1 mit ebenfalls positiven und abnehmenden Grenzerträgen. Die Technologie 1 soll »produktiver« als die Technologie 0 in folgendem Sinn sein: mit jeder positiven Menge v eines Produktionsfaktors läßt sich bei Anwendung von 1 eine größere Outputmenge produzieren als bei Anwendung von 0 (vgl. Abb. 1).
Daher sind für jedes gegebene Outputniveau die variablen und die Grenzkosten bei Technologie 1 geringer als bei Technologie 0. Ob bzw. für welche Outputniveaus dies auch für die Gesamtkosten gilt, hängt von der Höhe der mit der jeweiligen Technologie verbundenen fixen Kosten cq bzw. Cj ab. Generell soll Cq nicht größer als Ci sein, das heißt, wir stellen uns vor, daß der produktivere Faktoreinsatz bei Verwendung der Technologie 1 durch höhere fixe Kosten — typischerweise verursacht durch Einsatz eines teureren Kapitalgutes — erkauft wird. Gesamt- und Grenzkostenkurven zeigen die Abbildungen 2 und 3. Da der Mengenanpasser nach der Regel Grenzkosten = Preis anbietet, gilt für einen gegebenen Marktpreis: die gewinnmaximale Menge, die der Verwender der Technologie 1 anbietet, ist größer als die Menge, die der Verwender der Technologie 0 anbietet. Ich nenne letzteren einen Konservativen, den Verwender der Technologie 1 einen Innovator.
Da die Gesamtangebotsfunktion die Summe der individuellen Angebots- bzw. Grenzkostenfunktionen ist, folgt: je mehr Anbieter sich innovativ verhalten, desto stärker wird sich — bei gegebenem Marktpreis — die Gesamtangebotsmenge erhöhen, was zu einer Rechtsdrehung der Gesamtangebotsfunktion führt. Verhalten sich alle 100 Anbieter konservativ, so gilt die Angebotsfunktion xs(10°); verhalten sich alle innovativ, so gilt die Angebotsfunktion xsl°i. Dazwischen liegt eine Schar möglicher Angebotsfunktionen, die durch das Verhältnis N = Zahl der Konservativen zu M =Zahl der Innovatoren charakterisiert wird. (Zur Charakterisierung der Situation genügt wegen M = 100—N die Angabe von N in geschweiften Klammern.)
6. Vergleichen wir nun komperativ-statisch die Ausgangssituation (100), in der sich alle Anbieter konservativ, mit der Situation (50), in der sich je 50 Anbieter konservativ bzw. innovativ verhalten. Da die Gesamtange botsfunktion xsf50) rechts von der ursprünglichen Funktion xsl10°l liegt, ist die neue Situation bei gegebener (und elastischer) Nachfragefunktion da durch gekennzeichnet, daß der Marktpreis von pf10°l auf pf5°l sinkt, die Gleichgewichtsmenge hingegen steigt (vgl. Abb. 4).
Was bedeutet das für den einzelnen Anbieter? In der Situation (50) wird ein Konservativer wegen des gesunkenen Marktpreises weniger anbieten als in der Ausgangsposition; folglich sinkt auch sein Profit. Der Innovator wird hingegen im neuen Gleichgewicht eine höhere Menge anbieten als in der Ausgangssituation. Seine individuelle Angebotsmenge in der Situation [50] besteht aus drei Komponenten: 1. aus seiner Angebotsmenge in der Ausgangssituation, als er selbst zu den Konservativen gehörte; 2. aus seinem Anteil an (d.h. 1/50) der Gesamtangebotsexpansion xs(5°l — x^100); 3. schließlich aus seinem Anteil an (d.h. 1/50) der Angebotsminderung der konservativ Gebliebenen. (Diese Substitution der Angebotsminderung seitens der Konservativen durch eine Angebotserhöhung seitens der Innovatoren ist gemeint, wenn man sagt, der Innovator verbessere sich »auf Kosten« bzw. »zu Lasten« seiner Konkurrenten.) Dieser Mengenexpansion des Innovators steht gegenüber, daß (a) der Preis niedriger ist als in der Ausgangssituation und (b) die Kosten infolge der Produktionsausdehnung gestiegen sind. Ob daher sein Gewinn in der neuen Situation [50] größer, gleich oder kleiner ist als der Gewinn in der Ausgangssituation, als er sich wie alle anderen konservativ verhielt, kann man zunächst nicht sagen.
7. Wir wollen nun die Fälle individueller Abweichungen, also N:M = 99:1 bzw. N: M = 1:99 betrachten. In diesen Fällen weicht ein Anbie ter dadurch vom Verhalten der übrigen Anbieter ab, daß nur er innovativ bzw. nur er konservativ sich verhält. Die Profite bei elastischer Nachfrage sehen wie folgt aus:[6]
In den Feldern der Tabelle sind jeweils die individuellen Gesamtprofite der Anbieter aufgeführt. Der Gesamtprofit ist definiert als Profit minus fixe Kosten, der Profit als Erlös minus variable Kosten. Der Sinn dieser Unterscheidung ist es, zunächst von den fixen Kosten abstrahieren zu können. In den Feldern (0,0) bzw. (1,1) findet keine Abweichung statt: hier verwenden alle die Technologie 0 bzw. 1. In den Feldern (0,1) bzw. (1,0) sind die hier interessierenden Fälle der konservativen bzw. innovativen Abweichung aufgeführt. Von den jeweils zwei Profitgrößen, die in einem Feld der Tabellen aufgeführt werden, steht an erster Stelle der Profit des Abweichenden, an zweiter Stelle der eines zur jeweiligen Restgruppe der 99 Anbieter gehörenden Anbieters.
Innovatorisches Abweichen wird positiv durch hohe Extraprofite, konservatives Abweichen negativ durch starke Profitreduktion sanktioniert. Es ist sofort klar, daß es sich vom Standpunkt des einzelnen Anbieters um ein Spiel handelt, und zwar um eines von der Struktur des Gefangenen-Dilemmas. Das Individuum fragt sich, ob es die Technologie 0 beibehalten oder die Technologie 1 einführen soll. Wenn alle übrigen Anbieter konservativ bleiben, lohnt sich die Innovation, denn sie führt zu einem hohen Extraprofit. Wenn alle übrigen Anbieter innovieren, lohnt sich die Innovation für den einzelnen ebenfalls, weil sie ihn vor einer Profiteinbuße, das heißt einer Kapitalentwertung schützt. Die Innovation stellt also eine dominierende Strategie für den Einzelnen dar. Nun spielt zwar der einzelne gegen alle übrigen Anbieter, aber nicht eine Koalition aller übrigen Anbieter gegen den einzelnen: auf dem vollkommenen Markt gibt es ja kein abgestimmtes Verhalten. Im Prinzip ist aber jeder Anbieter in der Position eines atomisierten Einzelnen, der gegen den Rest der Welt spielt und für den daher die Innovation eine dominierende Strategie ist. Aber wenn alle Einzelnen das tun, was sich vom individuellen Standpunkt lohnt, und innovieren — dann ist das Resultat leicht eine Situation, in der sich alle gegenüber der Ausgangsposition verschlechtern: das typische Gefangenen-Dilemma.
Berücksichtigt man nun noch die fixen Kosten, so ist leicht eine Situation möglich, in der abweichendes konservatives Verhalten nicht nur zu einer Profitreduktion, sondern zu einem echten Verlust führt. Für gewisse Werte von Cq und Cj, in unserem Zahlenbeispiel etwa Cq = 30 und q =35, können im Gleichgewicht, in dem alle innovieren, Verluste auftreten. Nicht nur in diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß die Gesamtprofitrate gegenüber der Ausgangssituation sinkt.
Wenn dieses Modell die Konkurrenzsituation auf einem vollkommenen Markt zutreffend beschreibt, und wenn »Konkurrenz« etwas Charakteristisches für Marktökonomien ist, dann ist klar, woher der Druck zu Innovationen und zu den mit ihnen verbundenen Produktivitätsfortschritten kommt: eben aus dem Konkurrenzverhältnis. Man beachte, daß die gesamte Argumentation an keiner Stelle auf die Existenz von Geld rekurriert: alles Gesagte gilt auch für reine naturale Tauschwirtschaften. Daher ist in Marktwirtschaften die Tauschkonkurrenz Ursache des technischen Fortschritts.

Empirische versus theoretische Erklärung.
Kritik der »logisch-historischen« Ableitung Heinsohn/Steigers

8. Ihre Entwicklungskette: Privateigentum — Geld — Produktivitätssteigerung bezeichnen Heinsohn/Steiger als »empirische und logische« Begründung (HS 1982, S. 343). Sie erklären nun im Umkehrschluß die mangelnde Produktivitätsentwicklung im Sozialismus aus dessen nichtmonetären Charakter, »weil die ... Überschuldungsgefahr für die Privateigentümer wegfällt, wenn es solche Leute nach der Revolution nicht mehr gibt« (ebd., 355; Hervorh. d.Verf.). Diese »negativ-monetäre« Erklärung ist freilich nur stichhaltig, wenn Heinsohn/Steiger dreierlei zeigen können: Erstens müsssen sie einen Geldbegriff formulieren, der »Geld« nicht schon definitorisch an die Existenz von Privateigentum knüpft. Anderenfalls wären ihre Hypothesen zur (historischen) Geldentstehung einfach eine Begriffsexplikation, keine Erklärung, die richtig oder falsch sein kann. Folglich wäre auch der behauptete nichtmonetäre Charakter sozialistischer Ökonomien trivial. Zweitens müssen Heinsohn/Steiger nachweisen, daß die Existenz von Privateigentum bzw. Geld nicht nur eine hinreichende, sondern die notwendige Bedingung für permanente Produktivitätssteigerungen ist. Drittens schließlich müssen sie nachweisen, daß in den realsozialistischen Ländern kein Geld existiert.
Auf die Punkte eins und drei komme ich anläßlich meiner eigenen Erklärung der Innovationsschwächen staatssozialistischer Ökonomien zurück (vgl. Abschnitt 17). Hier interessiert lediglich der Punkt zwei. Die Erklärung der Produktivitätsdynamik aus der Existenz von Privateigentum hat folgende logische Struktur:
(A) Wenn Privateigentum, dann Produktivitätsfortschritte. Die Erklärung der mangelnden Produktivitätsfortschritte aus der Nicht-existenz von Privateigentum hat die Struktur:
(B) Wenn nicht Privateigentum, dann nicht Produktivitätsfortschritte. Die Aussage (A) finde ich von Heinsohn/Steiger historisch-empirisch ebenso wie theoretisch begründet. Die Aussage (B) jedoch nur empirisch. Die theoretische Begründung von (B) glauben sie zu liefern, indem sie (B) aus (A) folgern: vergleiche das »weil« in ihrem obigen Zitat. (B) ist aber keine Folgerung aus (A), sondern eine ganz eigenständige und daher neu zu begründende Aussage, was sich sofort zeigt, wenn man sie umformu-liert. Bekanntlich ist (B) äquivalent mit (Q Wenn Produktivitätsfortschritte, dann Privateigentum. Die behauptete Folgerungsbeziehung von (B) = (Q aus (A) ist ein kapitaler logischer Fehler, der sich nur aus der Fehleinschätzung der Rolle wirtschaftshistorischer Erklärungen für die Wirtschaftstfieorie erklären läßt.
9. Um zu erläutern, was ich meine, ein Gedankenexperiment: man erkläre, warum es im perikleischen Griechenland so gut wie keinen zivilen Luftverkehr gab. Ein zeitgenössischer Grieche hätte das vielleicht so erklärt, daß die Menschen nicht fliegen können, weil sie keine Flügel haben, das heißt, weil sie keine Vögel sind. Diese Vogel-Hypothese ist eine zutreffende Erklärung, wenn mit ihr gemeint ist: »wenn die Menschen Vögel sind, dann können sie fliegen« (vorausgesetzt, daß alle Vögel fliegen können). Dies nenne ich eine traditionelle Erklärung. Demgegenüber ist die Flugzeug-Hypothese eine moderne Erklärung: die damaligen Griechen konnten nicht fliegen, weil sie keine Flugzeuge bauen konnten. Was ist der Unterschied zwischen der traditionellen und der modernen Erklärung, die Richtigkeit beider einmal unterstellt? Dabei argumentiere ich unter der Fiktion, beide Erklärungen wären im perikleischen Griechenland vorgenommen worden: was wäre damals der Unterschied gewesen?
Ein erster Unterschied ist der, daß die traditionelle Erklärung definitiv ist: verständigt man sich darauf, daß Menschen immer Menschen bleiben, nie zu Vögeln werden, dann ist mit der Vogel-Hypothese die — genauer eine, nämlich die traditionelle — Wahrheit entdeckt worden; der Wissenschaftsprozeß ist damit zu Ende. Dagegen fängt mit der Flugzeug-Hypothese der wissenschaftliche Prozeß eigentlich erst an: um sie zu falsifizieren, müßte man »logisch-historisch« die Unmöglichkeit einer Flugzeugkonstruktion nachweisen, also — wie wir heute wissen — eine falsche Theorie entwickeln; oder man müßte so lange forschen — bis man irgendwann tatsächlich ein Flugzeug konstruieren kann.
Zweitens kann die traditionelle Hypothese für sich in Anspruch nehmen, realistisch zu sein, während 'die moderne Theorie in der Antike nicht nur unrealistisch, sondern geradezu metaphysisch gewesen wäre: sie transzendiert die existierende empirische Realität.[7]
Drittens formuliert die traditionelle Hypothese Bestandswissen, insofern sie ihren Objektbereich als gegeben respektiert. Die moderne Hypothese formuliert dagegen konstruktives oder Produktionswissen. Ihre Wahrheit kann letztlich nur erwiesen werden, indem ihr Objektbereich verändert wird: »die Menschen«, die heute fliegen können, sind veränderte, nämlich solche, deren Wissen und Produktionsmethoden den Bau von Flugzeugen eben ermöglichen. Das moderne wissenschaftliche Wissen ist wesentlich konstruktiv.[8]
10. Der nicht-definitive, die Realität transzendierende und das jeweilige Untersuchungsobjekt (mindestens potentiell) ändernde Charakter moderner wissenschaftlicher Theoriebildung gilt nicht nur für die naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen, sondern auch für die sozialwissenschaftlichen. Bei der hier zu untersuchenden Behauptung Heinsohn/ Steigers, daß Nichtprivateigentümer-Ökonomien generell Innovationsschwächen aufweisen, ist diese Form der konstruktiven Argumentation von Wagener vorgetragen worden: er fordert ein noch nicht existierendes System von Sanktionen und Anreizen, so daß die sozialistischen Betriebe »bei wirtschaftlichem Fehlverhalten auch die Folgen zu spüren bekommen« (1982, 321). Ungemein charakteristisch kommentieren Heinsohn/ Steiger diese Forderung so: »wir können (dazu) nur sagen, daß er dieselbe Sache lediglich in anderer Formulierung vorträgt«, nämlich in einer, die »das schlimme Wort Privateigentum« vermeide (HS 1982, 355). Damit weiten sie den Privateigentumsbegriff unzulässig aus, indem sie behaupten, (der Bau von Flugzeugen bedeute »in anderer Formulierung« die Vo-gelwerdung des Menschen bzw.) negative Sanktionen für unterlassene Produktivitätsfortschritte im Staatssozialismus bedeute die Einführung von Privateigentum. Der Gehalt dieser Aussage soll am Beispiel des sowjetischen Patentrechts überprüft werden.
11. Das sowjetische Patentrecht [9] scheint Heinsohn/Steigers Position zu belegen: ein Erfinder kann seine Erfindung patentieren lassen, und dieses Patent ist dann sein Eigentum, dessen Nutzung er vergütet bekommt. Allerdings wird dieses Privateigentumsrecht durch die Wirtschaftsordnung praktisch weitgehend ausgehöhlt: denn da die gesamte (industrielle) Produktion verstaatlicht ist, kann er seine Erfindung nicht produktiv nutzen, das heißt er ist darauf angewiesen, sie an die staatlichen Betriebe zu verkaufen. Seine Verhandlungsposition gegenüber letzteren dürfte daher eher schwach sein; es kommt hier entscheidend auf die Rechtsprechung der Gerichte an, die im Nichteinigungsfall über die Höhe des Kaufpreises (also der Lizenzgebühr) entscheiden. Weigert sich der Erfinder, seine Erfindung nutzen zu lassen, kann er — gegen eine Entschädigung — enteignet werden.
Einen eigenständigen Beitrag der Sowjetunion zum rechtlichen Schutz intellektuellen Eigentums stellen dagegen die Urheberschaftszertifikate dar. Erwirbt ein Erfinder für seine Erfindung nicht ein Patent, sondern ein solches Zertifikat, so erhält er eine Erfindergebühr (in Höhe von maximal 20.000 Rbl.), und zwar unabhängig davon, ob irgendjemand seine Erfindung praktisch nutzt oder nicht. Er verliert das Eigentum an seiner Erfindung, das bei Ausstellung des Zertifikats automatisch auf den Staat übergeht. Das Interessante an dieser Urheberschaftszertifikation ist, daß mit ihnen ein Institut zum Schutz intellektueller Produkte geschaffen wurde, das im Sinne einer iVivateigentumsgarantie funktioniert, aber gerade ohne eine solche zu konstituieren; die Erfindung geht eben in Staatseigentum über. Es handelt sich also um den typischen Fall, daß die in Privateigentümer-Ökonomien historisch entwickelten (Privat-)Eigentumsrechte ersetzt werden durch eine gewissermaßen »künstliche« Konstruktion: nämlich durch eine Anreizregelung (die nicht erfolglos zu sein scheint: Pi-sar berichtet, daß 1964 von 100.000 Erfindern nur zwei Patente, der Rest Urheberschaftszertifikate beantragten; 1970, 328).
12. Dieser Exkurs in das sowjetische Patentrecht sollte lediglich demon strieren, daß Anreize zur Innovation auch in Nicht-Privateigentümer- Ökonomien gegeben werden können. Die methodische Schwierigkeit einer Position wie der Heinsohn/Steigers, die aus der empirischen Innovations- schwäche der UdSSR deren Notwendigkeit folgern zu können glaubt, besteht darin, daß alle Anreizregelungen nicht definitiv sind, sondern geändert, sprich: verbessert werden können. Dadurch wird auch ein Plausibilitätsargument entkräftet, das der Heinsohn/Steigerschen Argumentation ihre Überzeugungskraft zu verleihen scheint: sind nicht jene Profite, die ein Erfinder-Unternehmer durch Nutzung seiner patentierten Erfindung machen kann, ungleich höher als zum Beispiel die maximal 20.000 Rbl. Prämie für die angemeldete Urheberschaft? Und ist nicht das Risiko des Bankrotts eines Privateigentümers im Falle unterlassener Produktivitätssteigerungen eine ungleich härtere Sanktion als die Prämienkürzung eines sozialistischen Managers im analogen Fall? Das ist gewiß empirisch (d.h. bezogen auf die existierenden) Anreizregelungen zutreffend — aber überzeugt es auch theoretisch?
Das Vergütungslimit für Urheberschaftszertifikate hat zum Beispiel den unmittelbaren Effekt, daß alle privaten finanziellen Aufwendungen zur Produktion neuen technischen Wissens unter 20.000 Rbl. liegen müssen, wenn der Erfinder nicht einen finanziellen Verlust für seine Erfindung in Kauf nehmen will — ein eher niedriger Betrag, der die privaten Erfinderaktivitäten einschneidend restringiert. Aber warum sollte man nicht die Gesetze ändern und die Höchstgrenze auf 20 Millionen Rubel festsetzen? Es ist eine andere Frage, ob eine solche Änderung — zum Beispiel aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit — wünschenswert ist oder nicht. Aber prinzipiell ist sie möglich, ohne die Wirtschaftsordnung zu ändern. Auch sind negative Sanktionen für unterlassene Innovationen der Betriebe möglich (Kornai 1980, 153 fordert sie z.B.) — ohne daß man die Institution des Bankrotts eines staatseigenen Betriebes einführen müßte.
13. Die sozialistischen Ökonomien, auch die des sowjetischen Typs, sind historisch betrachtet außerordentlich jung — und neu. Sie mußten institutionelle Regelungen erfinden (und werden das auch weiterhin müssen), und dabei können sie nur bedingt auf traditionelle Regelungen zurückgreifen, eben weil diese einer anderen Wirtschaftsordnung angehören. Empirische Studien zur Problematik des technischen Fortschritts in den sozialistischen Ländern kommen denn auch — anders als Heinsohn/ Steiger [10] — eher zu dem Resultat, daß man »nur in beschränktem Maße von einer 'Planung' des technischen Fortschritts sprechen« kann (Knirsch 1965, 224). »Von einer konkreten, wirksamen gesamtwirtschaftlichen Planung des technischen Fortschritts kann somit heute in der Sowjetunion noch kaum gesprochen werden, was hauptsächlich durch das Fehlen geeigneter Plankennziffern für dieses Gebiet bedingt ist.« (Knirsch 1964, 93). »Deshalb wird ein gesamtwirtschaftlicher Plan der technischen Entwicklung der Produktion heutzutage genaugenommen nicht aufgestellt« (der sowjetische Ökonom O. Volkov [1970], zit. n. Hewer 1977, 72, Fn. 142). Hewer selbst bestätigt das ausdrücklich (ebd.).
Die Defizite beziehen sich auf die Planungsmethode,[11] die Organisation von Planung sowie von Forschung und Entwicklung,[12] die Finanzierung von Forschung und Entwicklung [13] und die Anreize zu Produkt- und Prozeßinnovationen.[14] Was immer dazu im Einzelnen zu sagen wäre — außer Frage dürfte jedenfalls die Verbesserungsfähigkeit aller genannten Punkte stehen.

Ordnungstheoretische Gründe
für die Innovationsschwäche im Staatssozialismus

14. Nach allem, was über den Stellenwert historisch-empirischer Argumentationen gesagt wurde, ist es klar, daß eine Begründung der Innovationsschwächen in Ökonomien des sowjetischen Typs aus deren Wirtschaftsordnung nur modelltheoretisch erfolgen kann. Der Clou eines solchen Modells besteht natürlich darin, daß es »Flugzeug-Argumente« antizipiert. Das geschieht in der Form, daß man annimmt, alle Dysfunktionalitäten, die empirisch vorhanden sind und von denen man vermuten kann, sie ließen sich durch sinnvolle Regelungen beheben, seien tatsächlich behoben, auch wenn man noch gar nicht genau weiß, wie so etwas konkret möglich ist. Was so als invariante Struktur übrigbleibt, sind lediglich die definierenden Elemente der Ökonomie, d.h. jene »wesentlichen« Strukturen, die die Wirtschaftsordnung konstitutieren, die es uns also erlauben, von »Ökonomien des sowjetischen Typs« im Unterschied zu anderen Ökonomien zu sprechen. Man muß dann zeigen, daß aus diesen Strukturen die Innovationsschwäche folgt.
Ich interpretiere die Ökonomien des sowjetischen Typs als Staatssozialismus, d.h. als ein sozialistisches System, das sich von möglichen oder tatsächlichen anderen sozialistischen Systemen durch die hervorragende Rolle unterscheidet, die der Staat in ihm spielt. Der Staat ist (a) Eigentümer der Produktionsmittel und (b) das Subjekt der Planung. Er erläßt Mengenpläne, d.h. die Produktionsbetriebe erhalten durch direkte Zuteilung vom Staat die zur Produktion benötigten Ressourcen und produzieren mit ihrer Hilfe diejenigen Produkte, die er ihnen laut Plan vorschreibt. Die Pläne sind für die Betriebe vollzugsverbindlich, d.h. an unterschiedliche Grade der Planerfüllung sind unterschiedliche Sanktionen geknüpft; diese Sanktionen bestehen aus Geldzahlungen (Prämien) an die Betriebe. Die Prämie soll die Betriebe zur Planerfüllung anreizen, und wir wollen annehmen, daß sie ihre Funktion erfüllt, daß also die Betriebe maximale Prämien und d.h. möglichst »gute« Planausführungen wollen.
15. Die erste Folgerung, die wir aus diesem Modell (vgl. im einzelnen Lohmann 1985, Kap. 2) ziehen können, lautet: es ist eine einzige Klasse von Prämienregelungen, die im Staatssozialismus zur Anwendung kommen kann, nämlich die Klasse all jener Regelungen, die die Prämienhöhe von einem Soll —Ist— (d.h. Plan - Planausführungs-) Vergleich abhängig machen; denn anders ist die Vollzugsverbindlichkeit der Pläne via Prämierung nicht durchsetzbar. Natürlich können solche Regelungen sehr verschieden ausgestaltet sein. Ich argumentiere hier — lediglich zu Zwecken der Illustration — mit folgender Regelung:
B = B(x/v;y/w) = ßy/v/ - a|y/w - x/v|  mit 0|>/ß|>o.
Dabei bedeuten: B der Bonus, x bzw. y die Ist- bzw. Planmenge an Outputgütern, v bzw. w die Ist- bzw. Planmenge an Inputgütern. Folglich hängt die Prämie vom Vergleich der Größen y/w = geplante Faktorproduktivität und x/v = Istfaktorproduktivität ab.
Der erste Term ßy/w honoriert eine möglichst hohe Planproduktivität: je höher y/w, desto höher die Prämie. Der Betrieb wird also an einer möglichst hohen geplanten Faktorproduktivität interessiert gemacht. Aber die Planproduktivität soll nicht unsinnig, sprich: unerfüllbar hoch sein; daher bestraft der zweite Term jede Abweichung der Ist- von der Planproduktivität. Wesentlich ist hier, daß a größer ist als ß. D.h. es lohnt sich weder, einen unerfüllbar hohen, noch einen niedrigen, leicht übererfüllbaren Produktivitätsplan anzustreben, weil in beiden Fällen der Prämienabzug — das ist der mit a bewertete Absolutbetrag der Planabweichung — größer ist als der Vorteil beispielsweise eines hohen Plans. Mit einem Wort: Die Prämienregelung stimuliert den Betrieb, den höchsten, gerade noch erfüllbaren Produktivitätsplan anzustreben.
Das führt uns zum ersten Ergebnis: in einer staatssozialistischen Ökonomie ist es prinzipiell möglich, über eine geeignete Anreizregelung den technischen Fortschritt (i.S. von Produktivitätssteigerungen) »hervorzubringen« und zu stimulieren. Präferenztheoretisch läßt es sich jedenfalls nicht begründen, daß die Aussicht auf Prämien einen schwächeren Anreiz für den Prämienmaximierer bedeutet als die Aussicht auf Profit für den Profitmaximierer.
16. Um nun die Barrieren gegen den technischen Fortschritt in staatssozialistischen Ökonomien zu erklären, müssen wir die bisherige, rein statische Betrachtungsweise verlassen und uns der Dynamik von Planwirtschaften des sowjetischen Typs zuwenden. Die Dynamik kommt dadurch ins Spiel, daß die Planaufstellung Zeit benötigt: der Plan für eine beliebige Periode t wird in der Vorperiode t -1 aufgestellt. Aber in t -1 sind nicht alle für die Planung relevanten zukünftigen Größen sicher bekannt. Insbesondere ist die Produktivitätsentwicklung mit großer Ungewißheit behaftet. Daher behilft sich die Zentrale bei der Konstruktion des Planes damit, daß sie aus den (bekannten) Daten der Vergangenheit die Plandaten der Zukunft berechnet, etwa für den Output:
yt = (1+A)x1_1 , X >0.
Der zukünftige Planoutput soll also um 100 X Prozent über dem Istoutput der Vergangenheit liegen.[15] Der Sinn dieser als »ratchet-Prinzip« bezeichneten Planungsmethode besteht darin, daß die Zentrale die Betriebe zwingt, alle Anstrengungen zu unternehmen, um in Zukunft einen Output zu produzieren, der zumindest nicht unter einer bereits in der Vergangenheit einmal erreichten Produktionshöhe liegt. Diese an sich einleuchtende Planungsmethode führt nun bei den Betrieben — so sie nur das Verhalten der Zentrale durchschauen, und das tun sie natürlich — zu einer Gegenreaktion: Wie die Zentrale einer niedrigen Planausführung durch einen hohen Plan yt einen »Sperriegel« vorschiebt, so können die Betriebe einem allzu hohen zukünftigen Plan durch eine niedrige Planausführung X(_i ebenso einen Sperriegel vorschieben (»ratchet-effect«). Der Betrieb täuscht also die Zentrale, indem er z.B. weniger produziert als es ihm tatsächlich möglich wäre.
Wie geht die Täuschung konkret vor sich? Der Betrieb erhält v Inputgü-ter, womit er f(v) Outputgüter produzieren kann (f sei die Produktionsfunktion des Betriebes); seine tatsächliche Produktivität beträgt also f(v)/v. Er produziert nun weniger, als es ihm maximal möglich wäre, nämlich x < f(v). Die Größe x/v ist die von der Zentrale gemessene oder die vom Betrieb berichtete Produktivität; sie allein taucht in der Prämienregelung auf. Offenbar ist x/v < f(v)/v. Durch diese Manipulation gelingt es dem Betrieb nicht nur, seine tatsächliche Produktivität vor der Zentrale zu verschleiern, sondern darüber hinaus, eine geheime Reserve anzulegen. Denn sein Faktorverbrauch ist wegen x < f(v) kleiner als er es bei seiner maximalen Produktion wäre, so daß der nichtverbrauchte Rest seiner Inputgüter auf Lager bleibt. Wir stoßen also bei diesem Täuschungsprozeß auf das Phänom der geheimen Reserven.
17. Von theoretischem Belang ist dabei folgendes: Erstens stellt die Ökonomie des Täuschens (d.h. der geheimen Reserven) einen integralen Bestandteil der staatssozialistischen Ökonomien dar. Zweitens, die gehei men Reserven sind Geldgüter. Als Geld kann jeder (ohne allzu hohe Ko sten) lagerfähige Vermögensbestand gelten, mit dessen Hilfe die in der je weiligen Wirtschaftsordnung relevanten Wirtschaftskontrakte eingelöst werden können. In Marktwirtschaften sind dies, wie gewohnt, die gesetzli chen Zahlungsmittel, weil die relevanten Kontrakte Tauschkontrakte sind. In staatssozialistischen Ökonomien bilden die konventionellen Zahlungs verpflichtungen allenfalls sekundär die relevanten Kontrakte der Betriebe; im Kern handelt es sich vielmehr um die in den Betriebsplänen fixierten Produktionsverpflichtungen; die geheimen Reserven sind in diesem Sinne Geldgüter, weil sie eine bestimmte Produktionsfähigkeit verkörpern.[16]
Hält der Betrieb k Einheiten seines Inputgutes als geheime Reserve und verfügt er über entsprechende Kapazitätsreserven, so kann er u.U. auch einen »angespannten« Betriebsplan erfüllen, d.h. einen, dessen geplante über der tatsächlichen Produktivität liegt. Durch Mobilisierung der geheimen Reserven produziert der Betrieb dann maximal f(v + k). Seine berichtete Produktivität — die Zentrale weiß ja nichts von der Existenz und Höhe seiner Reserve, da diese geheim ist — liegt dann mit f(v + k)/v über seiner tatsächlichen (und dadurch entstehen kumulative Effekte).
18. Die Ökonomie des Täuschens konstituiert nun eine entscheidende Barriere für den technischen Fortschritt in Planwirtschaften. In einer Marktwirtschaft wird die Produktinnovation dadurch gesichert, daß der Erfinder ein raumzeitlich begrenztes Monopol an einer Erfindung/Inno vation erhält (Patent). Die typische Konstellation in einer hochindustriali sierten und arbeitsteiligen Ökonomie ist dabei die, daß der Erfinder seine Innovation i.d.R. nicht selbst nutzt, sondern sie gegen Entgelt Dritten zur Verfügung stellt. Wie gesehen, sorgt die Marktkonkurrenz dafür, daß genügend Firmen solche Erfindungen, wenn sie nur ihre eigene Produktivität erhöhen, nutzen wollen.
Exakt dieselbe Konstellation ist auch für Planwirtschaften typisch: ein Betrieb A realisiere eine Produktinnovation; er produziere eine neue oder verbesserte Maschine, die ein Betrieb B verwendet, bei B also zu einer Prozeßinnovation führt. A muß zu der Produktinnovation speziell angereizt werden. Wie auch immer die Form des Anreizes aussieht (in den sozialistischen Ländern ist es z.B. üblich, dem A bei verbesserter Produktqualität einen höheren Verkaufspreis zu gewähren) — immer kommt eine Kommunikation zwischen A und der Zentrale zustande: A muß nämlich die mit der Innovation verbunden Qualitätsverbesserung nachweisen, damit die Zentrale die positiven Sanktionen hierfür genehmigt. Entscheidend für die Höhe der Gratifikationen, die die Zentrale dem innovierenden Betrieb A gewährt, dürfte im Falle eines Investitionsgutes nicht zuletzt die mit der Innovation verbundene Produktivitätssteigerung sein. D.h. der Betrieb A teilt der Zentrale die tatsächliche Produktivität und Kapazität der neuen und verbesserten Maschine mit. Da diese nun aber Inputgut für B ist, kennt die Zentrale die tatsächliche Produktivität von B. Und damit ist der entscheidende Grund genannt, warum es im vitalen Interesse von B liegt, externe Prozeßinnovationen zu verhindern oder doch mindestens hinauszuzögern. — Realisiert der Betrieb B die externe, nämlich durch A induzierte Prozeßinnovation, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß seine gesamten in der Vergangenheit unternommenen Täuschungsanstrengungen auf einen Schlag zunichte gemacht werden — einfach deshalb, weil die Zentrale von dem Betrieb A korrekt über die tatsächliche Produktivität und Kapazität von B unterrichtet wird. (Mehr noch: Betrieb A hat ein Interesse daran, die Zentrale ebenfalls zu täuschen: nämlich hinsichtlich der Qualität — d.h. bei Investitonsgütern i.d.R.: hinsichtlich der Produktivität — des neuen Produkts. Dies ist ihm auch leicht möglich, da es der Zentrale schwer fallen dürfte, die exakte Produktivität des neuen Produkts ihrerseits zu prüfen. D.h. in diesem Fall haben wir die Möglichkeit kostenlosen Täuschens seitens des innovierenden Betriebes A. Dadurch erhöht sich für B das mit einer Prozeßinnovation verbundene Risiko.)
Die mit externen Prozeßinnovationen verbundene Gefahr der Entwertung der geheimen Reserven bilden den Grund für die ablehnende Haltung der Betriebe gegenüber solchen Produktivitätssteigerungen.
19. Die Diagnose lautet also: in staatssozialistischen Ökonomien haben die Betriebe (bei geeigneten Prämienregelungen) ein Interesse an Produktivitätssteigerungen — aber nicht an allen: sie favorisieren betriebsintern generierte Prouktivitätssteigerungen, weil dadurch ihr Informationsvorsprung (und damit ihr Täuschungspotential) gegenüber der Zentrale wächst. Sie werden betriebsextern erzeugte Produktivitätserhöhungen zu verhindern suchen, weil die Zentrale über diese besser informiert ist und ihre Information zu einem angespannten Plan verarbeiten kann.
Diese Diagnose hat den Vorzug, mit der Empirie übereinzustimmen: in den realsozialistischen Ökonomien scheint es nicht so sehr an neuen Erfindungen und Produktinnovationen zu mangeln; was vielmehr eine Schwäche dieser Ökonomien ausmacht, ist die mangelnde Diffusion solchen technischen Fortschritts, verursacht durch Widerstände gegen (betriebsex-tem generierte) Prozeßinnovationen. Die Gründe hierfür sind im ratchet-Prinzip bzw. in der mit ihm verbundenen Gefahr angespannter Pläne zu suchen. Um noch einmal auf Heinsohn/Steiger zurückzukommen: es ist nicht die Abschaffung des Privateigentums schlechthin, die für die Produktivitätsprobleme des Realsozialismus verantwortlich wäre, sondern seine Abschaffung zugunsten des Staatseigentums bzw. des mit ihm verbundenen staatssozialistischen Planungssystems: es konstituiert eine Ökonomie der Kontrolle »von oben«, die dann ihrerseits »unten« eine Ökonomie des Täuschens begründet.

                  

Ökonomische Theorie, historiographische Empirie
und technischer Fortschritt

Erwiderung auf Karl-Ernst Lohmann

I. Wirtschaftstheorie und Geschichtsschreibung

Karl-Ernst Lohmann vertritt in seiner Arbeit (1985) die Überzeugung, daß ein »kapitaler logischer Fehler« vorliege, wo eine »wirtschaftshistorische Erklärung für die Wirtschaftstheorie« (1985, These 8) herangezogen werde. Er zielt damit auf unseren Versuch der Begründung einer wissenschaftlich haltbaren Theorie der monetären Produktionswirtschaft. Welche Rolle spielt in diesem Versuch nun die Wirtschaftsgeschichte? Wir betreiben sie als Historiographie, d.h. als Vorhaben einer genauen Beschreibung desjenigen Stoffes, der nach Theorie verlangt. Für die Antike erbringt diese Beschreibung etwa, daß im archaischen Griechenland des späten 8. Jahrhunderts v.u.Z. eine Gesellschaft von Privateigentümern gegeben ist, daß zinsbelastete Kredite existieren und daß schließlich nominale Schuldendeckungsmittel geschaffen werden. Mit dieser Beschreibung verfügen wir nun keineswegs bereits über eine »Erklärung«, gewinnen aber einen Blick auf die Strukturen, der den besten Historikern und Ethnologen mit ihrem Verweis auf die Rätselhaftigkeit dieser menschheitsgeschichtlich neuen Elemente immer wieder verschwimmt. Unsere Präsentation des historischen Stoffes ist also unverzichtbar, weil die herrschenden Varianten der ökonomischen Theorie nicht allein beim Erklären, sondern bereits beim Darstellen des theoriebedürftigen Stoffes versagen. Sie konstruieren nämlich eine Geschichte des Tauschens, die nicht verifizierbar ist und bringen mit dem Prestige ihrer Disziplin sogar Historiker dazu, diese fabrizierte Geschichte dort in ihre Analysen einzuschalten, wo sie als Hi-storiographen im Dunkel tappen. Insofern gibt es zwischen unkritischen Historikern und den herrschenden ökonomischen Theorien eine aus dem wirklichen historischen Stoff nicht zu rechtfertigende gegenseitige Bestätigung.
Die von uns präsentierte Empirie zeigt — wie gesagt — Privateigentum und Zins und Geld etc. Damit haben wir noch nicht gezeigt oder auch nur behauptet, daß zwischen diesen Phänomenen ein notwendiger Zusammenhang besteht. Für die Untersuchung eines möglichen Zusammenhanges zwischen ihnen betreiben wir Theorie bzw. unternehmen wir einen Erklärungsversuch. Die Theorie richtet sich also nicht auf etwas Vergangenes, für das sie dann auch noch richtig sein könne, sondern lediglich auf das erstmalige Auftreten einer Empirie, die auch heute bzw. nach dem europäischen Mittelalter von neuem gegeben ist. Die Theorie kann demnach nicht historiographisch kritisiert werden, sondern ist daraufhin zu überprüfen, ob sie denn einen Zusammenhang zwischen Privateigentum, Zins und Geld tatsachlich plausibel herzustellen vermag, wo immer und aus welchem Grunde auch immer diese Phänomene gegeben sind. Die Theorie macht also keine Aussagen über alle Wirtschaftsstrukturen der Menschheitsgeschichte, sondern nur über Privateigentum, Zins, Geld etc.
Nun geht es uns allerdings auch darum, die Entstehung von Privateigentum in Antike und« Neuzeit zu erklären. Damit liefern wir durchaus etwas, das als historische Erklärung bezeichnet werden kann. Wiederum handelt es sich aber nicht um die ökonomische Theorie der Privateigentumswirtschaft. Wir rekonstruieren lediglich das Aufkommen einer sozio-ökonomischen Struktur, die theoretische Bemühungen erforderlich macht. Wenn wir zeigen, daß in Antike und Neuzeit das Privateigentum aus der Revolution von Leibeigenen gegen feudale Herren entsteht, bedeutet das aber keineswegs, daß es nicht auch einmal anders entstehen kann — z.B. durch die Entscheidung des Politbüros einer herrschenden kommunistischen Partei, das dem Glauben nicht mehr anhängt, alle Springquellen des Reichtums würden aufgerissen, wenn man nur das Privateigentum abschaffe. Hätten wir beispielsweise tatsächlich behauptet, Privateigentum entstehe nur dann, wenn Leibeigene Revolution machen, dann hätte Lohmann nun wirklich ein passendes Beispiel für seine Polemik, daß wir einer »traditionellen oder ... logisch-historischen Erklärung« (»Vogelhypothese«; 1985, These 9) aufgesessen wären.
Man kann mit uns also sowohl über die korrekte Beschreibung und historische Erklärung der Wirklichkeit in Vergangenheit und Gegenwart, die nach Theorie verlangt, als auch über die Theorie selbst streiten. Lohmann will über die korrekte Historiographie oder Sonographie nicht streiten. Er konzediert: »Soweit ich das ... beurteilen kann, scheinen Heinsohn / Steiger tatsächlich das historische 'Geldrätsel' ... gelöst zu haben. Auch ihre Kritik an der Marxschen Theorie der ursprünglichen Akkumulation... erscheint mir zutreffend.« (1985, Anm. 2) Historiographisch liefern wir aber gerade keine Lösung des Geldrätsels, sondern lediglich eine Zusammenstellung dessen, was historische Spezialisten wohl gesehen, aber nicht zu einer konsistenten Konstruktion verknüpft haben. Erst mit unserer Behauptung eines notwendigen Zusammenhangs zwischen Privateigentum, Zins, Geld, Ware, Markt, Preis, Arbeitsteilung, technischem Fortschritt etc. erheben wir den Anspruch, eine neue ökonomische Theorie formuliert zu haben. Auch unsere Kritik an Marx beschränkt sich keineswegs auf seine »Theorie der ursprünglichen Akkumulation«. Wir zeigen vielmehr, daß er historiographisch und theoretisch die neuzeitliche monetäre Produktionswirtschaft verfehlt. Wir kritisieren ihn also auf den beiden Feldern, auf denen man auch mit uns in die Kritik eintreten muß, wenn man über richtige Geschichtsschreibung und richtige Wirtschaftstheorie streiten will.

II. Monetäre Produktion und technischer Fortschritt

Indem Lohmann offensichtlich die »Produktivitätsdynamik ... ohne Rekurs aufs Geld« erklären will, unterstellt er, daß wir sie aus dem Geld erklärten (1985, These 3). Tatsächlich aber erklären wir Geld und technischen Fortschritt aus dem Privateigentum, aber ganz unabhängig davon, wie Privateigentum jeweils zustandekommt (dazu Heinsohn/Steiger 1985b, passim).
Dabei bestreiten wir keineswegs, daß auch andere Gesellschaftsformen — wie blutsverwandte Stämme oder Befehlswirtschaften — Produktivitätsfortschritte und entwickelte Techniken aufweisen. Wir denken da beispielsweise nicht nur an die europäische Feudal Wirtschaft des Mittelalters, die entgegen einem populären Vorurteil keineswegs stagnierte, sondern auch an das bis weit in die Neuzeit hinein technisch überlegene China oder an die blühenden Städte des Handelskapitalismus. Bei dem von uns zu theoretisierenden technischen Fortschritt handelt es sich jedoch um »einen kumulativen und sich selbst tragenden technischen Fortschritt, dessen Auswirkungen in allen Bereichen des Wirtschaftslebens spürbar« sind (Landes 1973, 17).
Für die Antike begegnet uns ein solcher technischer Fortschritt wesentlich am Beginn der Privateigentumswirtschaft (dazu etwa Nilsson 1936, 6f.), da die Privateigentümer nach Überschuldung — der wesentlich neuen Konsequenz dieser Wirtschaftsstruktur — ihr Eigentum an Produktionsmitteln und an der eignen Arbeitskraft, also ihre Freiheit verlieren und somit die Gruppe potentieller Innovatoren progressiv abnimmt. In der Neuzeit hingegen wird die Zahl der Privateigentümer an Arbeitskraft durch Überschuldung nicht verringert. Sie behalten ihre Freiheit und werden damit immer wieder in die Innovatorenposition genötigt. Adam Smith hat das übrigens soziographisch bereits korrekt gesehen, ohne mit seiner These vom »Hang zur Bequemlichkeit« (Smith 1923, 1. Bd., 13), der Menschen ja überall anhaftet, die Innovationen auch erklären zu können: »Die wichtigsten Verbesserungen im Maschinenwesen oder in der Anordnung und Verteilung der Geschäfte, wodurch die Arbeit erleichtert und abgekürzt wird, sind alle Erfindungen freier Menschen« (ibid., 2.Bd., 551; Hervorh. d. Verf.).
Warum sind nun Privateigentümer potentielle Innovatoren? Sie sind es, weil sie immer mit der Aussicht konfrontiert sind, zinspflichtige Schuldner zu werden. Zum Zins liegt nun in der Wirtschaftstheorie eine konsistente Erklärung nicht vor. Ein Wirtschaftsdenker jedoch, John Maynard Keynes, hat immerhin eine korrekte Beschreibung des Zinses geliefert: Er sagt, »daß der Zinsfuß die Belohnung für die Aufgabe der Liquidität für einen bestimmten Zeitabschnitt ist« (Keynes 1936,140; Hervorh. d.Verf.). Der Zins erweist sich dabei für Keynes als Materialisierung der Liquiditätsprämie, die von privaten Vermögensbesitzern auf ihren Liquiditätsvorrat gelegt wird, wobei er aber weder aufzudecken vermag, warum sie das tun, noch warum sie einen solchen Vorrat überhaupt benötigen, wie seine Diskussion des Anlasses für die Liquiditätspräferenz sehr deutlich zeigt: »In einer statischen Gesellschaft oder in einer Gesellschaft, in der aus irgendeinem anderen Grund niemand irgendwelche Unsicherheit über die zukünftigen Zinssätze hegt, wird die Liquiditätsfunktion L2 [d.h. die eigentliche, vom Zins abhängige Liquiditätspräferenz] oder der Hang zur Hortung ... im Gleichgewicht immer Null sein.« (ibid., 175; Hervorh. d.Verf.).
Keynes sucht hier nach einem Grund für die Liquiditätsprämie bzw. — negativ ausgedrückt — nach einem Grund, der sie hinfällig macht (vgl. ausführlich Heinsohn/Steiger 1985a, Abschn.VII). Der Umstand jedoch, daß eine Gesellschaft statisch ist, führt keineswegs automatisch zur Abwesenheit einer Liquiditätspräferenz. Gleichermaßen ist nicht jede Dynamik dem Vorhandensein einer Liquiditätspräferenz geschuldet. Die von Keynes als Erklärung für die Existenz einer Liquiditätspräferenz favorisierte Unsicherheit über die zukünftige Zinsentwicklung setzt überdies gerade voraus, was auch Keynes selbst erst durch Aufgabe von Liquidität funk-tionalistisch entstehen sieht: den Zins. Den Postkeynesianern vergleichbar, die Geld aus der Unsicherheit privater Vermögensbesitzer entstehen sehen, die ihre Liquidität in die Produktion stecken und dann mit unsicheren Märkten konfrontiert sind, setzt auch Keynes eine monetär organisierte Produktion immer schon voraus. Diese Art von Ökonomie einschließlich ihrer unsicheren Märkte und nicht vorhersagbaren Zinshöhe ist aber — wie noch zu zeigen — erst die Folge einer Privateigentümergesellschaft mit der ihr inhärenten Herausbildung von Zins und Geld. Die für die Erklärung des Zinses relevante Unsicherheit erwächst aus einer Existenzweise, die dadurch gekennzeichnet ist, daß niemand außer dem Privateigentümer selbst sein Überleben absichern wird. Jede Verringerung seines Privateigentums, auf dem allein seine Existenz beruht, steigert sein Risiko — eben als Privateigentümer nicht überleben zu können. Hingegen bedeutet ihm das Festhalten von Privateigentum das Festhalten von Mitteln, auf die er im Risiko zurückgreifen kann. Das festgehaltene Privateigentum wirft ihm als Prämie Sicherheit ab. Diese »Liquiditätsprämie« (Keynes) stellt eine immaterielle, aber existenzentscheidende Größe dar. Der Verzicht des Privateigentümers auf den Sicherheitsertrag, in den er einwilligen muß, wenn sein Privateigentum von ihm zeitweilig getrennt, er also Gläubiger wird, muß vom Schuldner kompensiert werden. Dieser leistet die Kompensation durch das Zinsversprechen.
Schauen wir nun auf den zinsbelasteten Schuldner. Er muß in gegebener Frist an die Mittel herankommen, in denen er seine Schulden und Zinsen vereinbart hat. Wiederum hat Keynes bereits in den zwanziger Jahren richtig gesehen, daß diese in Gläubiger-/Schuldnerkontrakten vereinbarten Mittel Geld, »money of account« (Keynes 1982, 253) sind und keineswegs etwa Münzen sein müssen, sondern beispielsweise »ebensogut Weizen« (Keynes 1936, 190) sein können. Die nominale Münze stellt dann lediglich ein Geld geringster Aufbewahrungskosten dar, wie ebenfalls Keynes {ibid., 200) schon wußte. Um an Geld heranzukommen, versucht nun der Schuldner, sein Produkt für das von Ihm vereinbarte Schuldendeckungsmittel zu verkaufen. Dieser Vorgang erst konstituiert den Markt, auf dem das Produkt auch erst zur Ware wird. Auf dem Markt begegnet der Schuldner unausweichlich der Konkurrenz mit anderen gegen Überschuldung kämpfenden Warenbesitzern, die ebenfalls Schuldendeckungsmittel erlangen müssen, um ihre zinsbelasteten Kontrakte zu erfüllen. In dieser Konkurrenz wird derjenige am ehesten an Schuldendeckungsmittel, an Geld also herankommen, der sich spezialisiert und/oder durch Verringerung der Kosten seine Produktion zu einem günstigeren Preis anbietet.
Lohmanns Beobachtung, daß die Dynamik des technischen Fortschritts mit »Marktkonkurrenz« (1985, These 4) zusammenhängt, erweist sich nun wiederum lediglich als eine Beschreibung, während wir eine Erklärung der Marktkonkurrenz aus dem Versuch verschuldeter Privateigentümer, am aussichtsreichsten an die Mittel für ihre Kontrakterfüllung zu gelangen, vorlegen. Daß Lohmann die Marktkonkurrenz lediglich 'empi-risch-historiographisch' zu erfassen vermag, aber nicht theoretisieren kann, wird umgehend deutlich, wenn er sie »auch für reine naturale Tauschwirtschaften« (1985, These 7) behauptet, von denen er vorsorglich aber gleich anmerkt, daß es sie u.U. nie gegeben habe (1985, Anm.4). Die Kostenrechnung, die er solchen angeblichen Tauschwirtschaften und auch der Sowjetwirtschaft unterstellt, findet sich nun bei den historisch bekannten Tauschern gerade nicht, sondern tritt erst unter zinsbelasteten privaten Schuldnern in die Menschheitsgeschichte ein. Die Notwendigkeit zur Kostenrechnung ergibt sich nämlich aus der Tatsache, daß im Gläubiger-/ Schuldnerkontrakt das jeweilige »money of account« nicht kostenlos, sondern nur mit einem Zinsaufschlag versehen überlassen wird. Durch ökonomisierung seines Aufwandes, seiner Kosten kann nun der Schuldner versuchen, die Kreditkosten, also die Zinslast, in der Weise zu verringern, daß er auch mit einem geringerem Preis bei erhöhter Produktmenge seine Schuldendeckungsmittel am Markt erlangen kann. Der Preis erhält mithin ebenfalls seine Erklärung aus dem privateigentümlichen Zins (vgl. Heinsohn/Steiger 1985a, Abschn.V). Dieser ist es also, der erst eindeutig ökonomisch determinierte Werte in die Welt bringt. Versuche hingegen, bereits den Zins als »Knappheitspreis« (Riese 1985, 82) aufzufassen, führen zu einer tautologischen Erklärung des Wertes oder Preises aus dem Preis (Heinsohn 1985, 90).
Für ihre Aufwandsökonomisierung suchen nun die Schuldner nach technischem Fortschritt. Diese Suche macht den Privateigentümer zum Erfinder, wie bereits Adam Smith beschrieben, aber dann unzulänglich theoretisiert hatte. Verschwindet aber der Privateigentümer, wobei wirtschaftstheoretisch wiederum irrelevant ist, wie und warum historisch solches passiert, dann entfällt auch die innovatorische Notwendigkeit. Das gilt selbst dann noch, wenn — wie in der späteren Antike — das Privateigentum nicht abgeschafft ist und die monetär organisierte Produktion weiterläuft, die Privateigentümer selbst aber bereits zu einer verschwindenden Minorität herabgesunken sind. Für eine solche Privateigentumswirtschaft gilt ähnlich wie für eine feudale Wirtschaft oder den real existierenden Sozialismus: »Die Sorge galt eher der Fügsamkeit der Werktätigen... als der qualitativen Verbesserung ihrer Effizienz durch bessere Produktionstechniken in der Landwirtschaft oder durch die Einführung arbeitssparender Methoden und Geräte. Dies ist der Standpunkt des Polizisten, nicht des Unternehmers« (Finley 1973, 113). Solange hingegen der Privateigentümer — sei es auch nur in seiner Rolle als Privateigentümer der Arbeitskraft — erhalten bleibt, setzt sich die Notwendigkeit fort, ausschließlich aus diesem Vermögen die Schuldendeckungsmittel erwerben zu müssen, die für die Existenzsicherung benötigt werden. Der Zwang, nach technischem Fortschritt zu suchen, wird mithin fortexistieren, solange eine Gesellschaft aus Privateigentümern von Arbeitskraft zusammengesetzt ist. Selbst bei einer völligen Verstaatlichung von Produktionsmitteln kann technischer Fortschritt weitergehen, wenn die Menschen die freie Verfügbarkeit über ihre Arbeitskraft dabei nicht verlieren, d.h. weiterhin eigene Wirtschaftsexistenzen generieren dürfen.

III. Real existierender Sozialismus und technischer Fortschritt

»Daß Nicht-Privateigentümer-Ökonomien sehr wohl technischen Fortschritt generieren können, zeigen die Erfolge der UdSSR auf den Gebieten der militärischen und Weltraumforschung«, wie Lohmann (1985, Anm. 9) wiederum durch eine empirische Beschreibung verständlich machen will. Diese Beschreibung fällt nun so unprazise aus, daß nicht gut erkennbar wird, welche einzelne Innovation denn tatsächlich im sowjetischen Rüstungssektor wirklich eigenständig gefunden wurde. Unseres Wissens gibt es solche Innovationen, die als echte technische Durchbräche zu kennzeichnen wären, gerade nicht. Die Tatsache, daß die Sowjetunion militärtechnisch weniger Rückstand aufzuweisen scheint als in den übrigen Produktionssektoren, dürfte schlicht daraus resultieren, daß der gesellschaftliche Aufwand für die Herbeischaffung von militärisch verwendbarem »know-how« extrem hoch liegt. Die Theorie für diesen technischen Fortschritt im Militärsektor der Sowjetunion wäre also wiederum nichts anderes als die Theorie des technischen Fortschritts in den Privateigentümerökonomien, aus denen die UdSSR ihr Wissen besorgt. (Selbstverständlich kümmern sich dabei die zuständigen Abteilungen des KGB ganz entschieden um »Produktinnovationen« und spionieren nicht nach Verfahren für die »Diffusion« ihrer eigenen Erfindungen in der Sowjetwirtschaft, wie Lohmann suggerieren will [1985 These 19]). Die Abwesenheit von selbstgeneriertem technischen Fortschritt in der UdSSR seit 1917 will Lohmann nun damit relativieren — und eingestehen —, daß der Sowjetsozialismus technischen Fortschritt lediglich langsamer als Privateigentümerökonomien finde, was leider nicht illustrierbar sei, solange die innovatorisch schnellere Privateigentumswirtschaft noch existiere (dazu 1985, Anm. 9) und dann eben zur Abkupferung verführe. Zu einem solchen auf Unbeweisbarkeit sich zurückziehenden Trick sei lediglich auf den sächsischen und böhmischen Maschinenbau verwiesen, der bis 1945 bzw. 1948 die Weltspitze mitbestimmte und nach Beseitigung des Privateigentums ebenfalls keinen genuinen technischen Fortschritt mehr generierte, sondern sogar weit hinter Privateigentümerwirtschaften zurückgefallen ist, die 1945 bzw. 1948 nicht einmal davon träumen konnten, das mitteldeutsche oder tschechische Niveau jemals erreichen zu können. Dabei ist nicht nur an Japan, Hongkong oder Taiwan, sondern etwa auch an Finnland zu denken, wo noch im Jahre 1940 über die Hälfte aller Erwerbstätigen im Agrarsektor beschäftigt war, 1980 aber das Bruttosozialprodukt per capi-ta knapp 30% über dem in der DDR lag (vgl. ausführlich Heinsohn/Steiger 1982, 351).
Da Lohmann diesen Sachverhalt doch irgendwie auch ahnt, schiebt er sicherheitshalber die Erklärung nach, daß die Planung des technischen Fortschritts »deshalb so schwierig« sei, »weil die Ergebnisse von Forschungsprozessen ... nicht sicher, und oft überhaupt nicht prognostizierbar sind«, was für die Sowjetunion »'hauptsächlich durch das Fehlen geeigneter Plankennziffern für dieses Gebiet bedingt ist' (Knirsch)« (1985, These 13). Diese Aussage ist gewiß nicht unkorrekt, gilt aber, wie wir unter Heranziehung der berühmten Arbeit Enrico Barones (1908) gezeigt haben, für jeden technischen Fortschritt. Auch der freie Privateigentümer also kann für sein Innovationsziel keine Plankennziffern aufstellen. Barone hatte ja im Angesicht der Schwierigkeit sozialistischer Technologieplanung, der er sich verschrieben hatte, gesehen, daß es »'grundsätzlich unvorstellbar ist, die ökonomische Bestimmung der technischen Koeffizienten a priori in einer Weise durchzuführen, daß sie der Bedingung der Ko-stenminimierung genügen« (Barone 1935, These 57, 287).
Wohl doch wissend, daß auch die prinzipielle Nichtplanbarkeit technischer Durchbrüche die sozialistische Wirtschaft nicht exkulpieren kann, verweist Lohmann zusätzlich noch auf die Jugendlichkeit der Sowjetgesellschaft und die eben Zeit benötigende Suche nach einem »System von Sanktionen und Anreizen«, für die »nur bedingt auf traditionelle Regelungen« zugegriffen werden könne (1985, Thesen 10 bzw. 13). Unbestreitbar ist hier wiederum, daß Wettbewerb, Prämien und Strafen, die im real existierenden Sozialismus allerdings bereits sehr früh eingeführt wurden, einer effizienteren Produktion ebenso zuarbeiten können wie in jedem Privatunternehmen. Gleichwohl wird man nicht behaupten können, daß diese Stimuli so mächtig wirken, daß sie die Betriebe zur Generierung fortgeschrittener Technologien veranlassen (vgl. ausführlicher Heinsohn/Stei-ger 1981, 188ff.). Deshalb verwundert nicht, daß der in der Volksrepublik China jetzt beabsichtigte Mechanismus zur Produktivitätssteigerung in nichts anderem als »neuen Insolvenzbestimmungen« (Die Tageszeitung vom 7.8.1985, 6) gesehen wird. Solche Regelungen stellen die Überschul-dungsgefahr des Privateigentümers tatsächlich wieder her. Die Sowjetunion will momentan soweit noch nicht gehen, beabsichtigt aber immerhin »Joint ventures« mit ganz traditionell konkursbedrohten westlichen Firmen, um so am technischen Fortschritt leichter und ungebrochener, als das durch Industriespionage möglich ist, partizipieren zu können (vgl. Huber 1985, 21). Dagegen nimmt sich die von Lohmann herangezogene Schaffung eines sowjetischen Patentrechts bescheiden aus. Überdies wird auch damit sehr wohl auf eine »traditionelle Regelung« zurückgegriffen, die Lohmanns Charakteristik von einer »gewissermaßen 'künstlichen' Konstruktion« (1985, These 11) nicht verdient.
Lohmanns ungelöste Schwierigkeit, theoretisch konsistente Aussagen zum technischen Fortschritt zu formulieren, sei abschließend mit seiner Behauptung belegt, »daß ein so komplexes Phänomen wie der technische Fortschritt nicht ausschließlich ökonomisch erklärt werden kann« (1985, Anm. 3). Naturwissenschaft, Bildungspolitik, Eigentumsrechte(sicl), Qualifikationen der Erwerbsbevölkerung etc. will er ebenfalls gewürdigt wissen. Darin ist nun selbst die etablierte Ökonomie weiter als der kritische Ökonom Lohmann, indem sie unmißverständlich zugesteht, daß solche Entwicklungsfaktoren — zu denen sie allerdings die für uns im Unterschied zu Lohmann ökonomisch entscheidenden Eigentumsrechte nicht zählt — nichts weiter als »eine Reihe von Alibis, aber keine Erklärung des technischen Fortschritts produziert hätten« (Robinson 1973,437). Gerade die vier Millionen sowjetischen Ingenieure gegenüber einer Million in den USA zeigt ja, daß dieser Weg zur Generierung von Erfindungen wohl nirgendwo so entschieden beschritten wurde wie in der UdSSR. Die weitgehende Irrelevanz dieser Ingenieursempirie zeigt einmal mehr die Schwierigkeit bei der Suche nach »Flugzeugargumenten«, die statt einer erhofften Relativierung unserer angeblichen »Vogelargumente« bestenfalls bei Schnecken- oder Schildkrötenexperimenten landet. Vorantreibend jedoch dürften die vielen sowjetischen Ingenieure dann werden — ähnlich wie die technischen Hochschulen Preußens für das Aufholen des englischen Vorsprungs —, wenn der Konkursvorstoß der ingenieursarmen Volksrepublik China in der Gorbatschow-UdSSR eine Stein-Hardenbergsche Reform erzwingt, die bekanntlich nicht nur das Privateigentum an Arbeitskraft, sondern auch die freie Verkaufbarkeit und damit Belastbarkeit von Grund und Boden dekretierte.

IV. Sowjetwirtschaft und monetäre Produktionsökonomie

Vom chinesischen Weg würde nun Lohmann den sowjetischen Genossen durchaus abraten, da es in ihrem Herrschaftsbereich »prinzipiell möglich« sei, »über eine geeignete Anreizregelung den technischen Fortschritt ... 'hervorzubringen'« (1985, These 15) — sozusagen als Surrogat für die kapitalistische »Marktkonkurrenz«. Die Chinesen kümmern sich gerade nicht um den Markt, sondern um die Herbeiführung der Konkursgefahr, die Marktverhalten sehr schnell herbeiführen wird. Lohmann ist aber zu konzedieren, daß er seine Marktkonkurrenz immerhin nicht an das Vorhandensein von Rubelgeld knüpft. Er weiß also, daß die Sowjetbetriebe ihre Produktion nicht aufnehmen, um in Rubel ausgestellte und zu verzinsende Schuldkontrakte zu erfüllen. Denn: »Der Staat ist (a) Eigentümer der Produktionsmittel und (b) das Subjekt der Planung« (1985, These 14). Erst die schlechte Erfüllung staatlicher Pläne lasse den Rubel ins Blickfeld der Betriebe geraten. Er konstituiere keine geldwirtschaftliche Produktion, aber als eine Art unspezifizierte Verteilungsanweisung erweise er sich als staatliches Sanktionsmittel. Der Lohmannschen Forderung an uns (Tnese 8) zum Nachweis der Nichtexistenz von im Sozialismus selbst generierten Geld bzw. flüssigstem Privateigentum für Kreditzwecke hat sich übrigens u.a. bereits Thomas Crump (1981, 203) unterzogen, wenn er ein sozialistisches »Geldsystem« wie den Rubel als »wesentlich hierarchisches« Instrument kennzeichnet, das eine Art »'primitiver Rationierung'« darstellt.
Der Staat entzieht nach Lohmann also Rubel, wenn die Betriebe mit ihren Gütermengen in Verzug geraten. Um solche Verluste an Redistribu-tionsrubeln zu vermeiden, legen sich die Betriebe geheime Güterreserven an, mit denen sie gegen Eventualitäten der Planerfüllung besser gerüstet sind. Für diese Güterreserven tauschen die Betriebe bei anderen Betrieben, die ebenfalls Güterreserven halten, ein, was sie für die Planerfüllung benötigen. Die geheimen Reserven erweisen sich mithin als Absicherung gegen eine unsichere Zukunft der Planerfüllung bzw. des Konsumentenrubelbezugs. Aus diesem Grunde konstruiert Lohmann eine Analogie zum privaten Betrieb, der eine Liquiditätsreserve hält, um der — in Abschn. II angesprochenen — Unsicherheit über die Verkaufbarkeit seiner Produktion, um also der Marktunsicherheit begegnen zu können. Die beiden Unsicherheiten sind aber gerade nicht analog in ihrer Struktur, denn der staatliche Plan »fixiert die Betriebsentscheidungen nicht wirklich. Der Betrieb kann die Budgetgrenze ohne gravierende Konsequenzen [etwa Verschwinden des Betriebes] überschreiten. Erleidet er finanzielle Verluste, weil er ungedeckte Ausgaben tätigt, wird der Staat sie früher oder später abdecken« (Kornai 1980, 151). Selbst für Ungarn mit seinen dezentralisierten und eigenverantwortlichen — aber nicht konkursbedrohten — Betrieben gilt, daß »ökonomische Konkurrenz nicht stattgefunden hat: Die Starken und die Schwachen, die Innovativen und die Inkompetenten — alle überlebten« (ibid., 152; Hervorh. d. Verf.). Hingegen erleidet der in Konkurrenz scheiternde Privatbetrieb genau das Schicksal, das bei Staatseigentum auch dann erspart bleibt, wenn der Produktionsplanungszentralismus abgebaut wird.
Gleichwohl ist es nicht die Verkaufsunsicherheit des Privatbetriebes, welche die Geldwirtschaft konstituiert — wie wir in Anschluß an die post-keynesianische Schule im Jahre 1981 implizit noch selber supponiert haben. Die Liquiditätsprämie, die der als Schuldner operierende Privateigentümer in Form des Zinses aufbringen muß, bedingt nämlich erst das von Kornai am Kapitalismus — im Unterschied zum Staatssozialismus — gesehene »harte Budget«. Die postkeynesianische Rede vom Gelde als einem Mittel, das erfunden worden sei, um die Gegenwart mit einer unsicheren Zukunft zu verknüpfen, dürfte Lohmann lediglich als eine funktionalistische Beschreibung, nicht aber als Erklärung für den eigentlichen Ausgangspunkt privaten Wirtschaftens heranziehen. Damit sprechen wir keineswegs prinzipiell dagegen, Realgüter als Geld anzusehen. Lohmann hätte aber bezüglich der Realgüterreserven sozialistischer Betriebe Überlegungen anstellen müssen, warum sie nicht zu nominalen Zahlungsmitteln fortentwickelt werden und warum z.B. nicht einmal der 1974 für die RGW-Staaten geschaffene Transferrubel zu einer konvertiblen Währung voranschreiten konnte, während gleichzeitig der Handel zwischen RGW-Staaten immer stärker mit Geld aus Privateigentumsökonomien abgewickelt wird (dazu etwa Schmitt 1981, 10).
Die Realgüter, die Lohmann als Geld identifiziert, sind gerade kein »money of account« (Keynes). Kein staatssozialistischer Betrieb nämlich muß Kontrakte erfüllen, die etwa über 1000 Tonnen Bandstahl Kredit ausgestellt sind, auf den weitere 100 Tonnen als Zins erwirtschaftet werden müssen. Unter der Bedingung des generellen Staatseigentums — selbst wenn es dezentral organisiert wird, wovon Lohmann sich etwas verspricht — fehlt schlicht die ökonomische Notwendigkeit, einen Vermögensvorrat mit einem immateriellen Sicherheitsertrag, mit einer Liquiditätsprämie zu belegen. So angenehm diese kollektive existenzielle Sicherheit verspürt wird, so nachteilig wirkt sie sich für die Effizienz und damit den — ja gerade von Marxisten — heiß ersehnten technischen Fortschritt aus. Der neue Parteichef der KPdSU, Michail Gorbatschow, klagt denn auch Lohmann zum Trotz, daß die einzelnen Produktionsministerien versucht hätten, »einerseits größtmögliche Investitionsansätze, andererseits möglichst niedrige Produktionsziele einzubringen« (Frankfurter Rundschau vom 21.3.1985, 1).

Replik

In meiner Kritik an Gunnar Heinsohn und Otto Steiger brachte ich im wesentlichen vier Argumente vor: 1. In staatssozialistischen Ökonomien ist es möglich, über ökonomische Anreize technischen Fortschritt endogen zu generieren; für diese Möglichkeit gibt es systematische, d.h. durch die Funktionslogik solcher Ökonomien bedingte, Barrieren, die Tempo und Ausmaß vor allem der Diffusion des technischen Fortschritts unter die entsprechenden Werte für Marktökonomien drücken. 2. Diese Barrieren sind den monetären Grundlagen (der Ökonomie der geheimen Reserven) geschuldet, was insbesondere heißt: diese Ökonomien sind Geldwirtschaften. 3. Dauerhafter technischer Fortschritt in kapitalistischen Ökonomien verdankt sich primär der Marktkonkurrenz, allenfalls sekundär ihrem geldlichen Charakter. 4. Ich hatte Heinsohn/Steiger einen logischen Fehler nachgewiesen: ihr zutreffender Nachweis, daß Privateigentum für die Entstehung von Geld und für technischen Fortschritt eine hinreichende Bedingung ist, berechtigt nicht zu dem Schluß, es sei auch eine notwendige Bedingung.
Daß Heinsohn/Steiger mein 1. Argument über die Möglichkeit innovationsfördernder Anreize — ein methodisches Argument, das ihre rein empirischen Ausführungen relativiert — für einen »Trick« halten, mag man damit entschuldigen, daß für Wirtschaftshistoriker solche methodischen Diskussionen ungewohnt sind (obgleich jener »Trick« auch von Privatunternehmen genutzt wird: angestellte Manager, die nicht Eigentümer des Unternehmens sind, werden durch Anreize wie z.B. Gewinnbeteiligung auf die Ziele der Eigentümer verpflichtet). Möglicherweise haben meine Kontrahenten jedoch wenigstens mit ihrer empirischen Behauptung Recht, alles und jedes an technischem Fortschritt in der UdSSR sei aus dem Westen übernommen. Vielleicht verfügen sie einfach über genauere Informationen, etwa über die Militär- und Weltraumforschung der UdSSR als ich; wahrscheinlich weiß ich es bloß noch nicht, daß z.B. der Sputnik, den die UdSSR 1957 als erste in eine Erdumlaufbahn schoß, entweder überhaupt keine technologische Neuerung darstellte oder, falls doch, eine, die von den USA »abgekupfert« (Heinsohn/Steiger) wurde. — Erstaunlicher ist schon, daß sie mein abstraktes und explikatives Modell, in dem ich den Zusammenhang von Prozeßinnovationen und Konkurrenz im Kapitalismus begründe (3. Argument), als eine »Beschreibung«, und zwar eine »empirisch-historiographisch(e)« bezeichnen — eine nun wirklich privateigentümliche Einschätzung seitens meiner Kontrahenten. — Gewiß ist es auch interessant, von Heinsohn/Steiger über die unterschiedlichen Reformstrategien der UdSSR und der VR China informiert zu werden. Und man mag es mir als Versäumnis anrechnen, daß ich verschwieg, nicht der wirtschaftspolitische Berater von Herrn Gorbatschow zu sein, weshalb ich »den sowjetischen Genossen« (Heinsohn/Steiger) auch keine wirtschaftspolitischen Empfehlungen gab.
Der Kern ihrer Erwiderung sollte jedoch, angesichts ihres theoretischen Anspruchs, in einer Auseinandersetzung mit meiner monetären Argumentation (2. Argument) liegen. Und hier versäumen es Heinsohn/Steiger — wie schon in ihren übrigen Arbeiten —, einen Geldbegriff zu formulieren, der Geld nicht schon definitorisch an das Phänomen des Privateigentums bindet (vgl. Abschnitt 17 meines Aufsatzes). So bleibt der Eindruck einer tautologischen Argumentation erhalten — ein Eindruck, der durch ihre Ausführungen zur Nichtexistenz von Geld in staatssozialistischen Ökonomien eher verstärkt wird.
»Die Realgüter, die Lohmann als Geld identifiziert, sind gerade kein »money of account« (Keynes). Kein staatssozialistischer Betrieb nämlich muß Kontrakte erfüllen, die etwa über 1000 Tonnen Bandstahl Kredit ausgestellt sind, auf den weitere 100 Tonnen als Zins erwirtschaftet werden müssen.« (Heinsohn/Steiger) Aber der Plan von x Gütern (»1000 Tonnen Bandstahl«), der in Periode t zu erfüllen ist, führt — das impliziert das »ratchet principle« — in t+1 zu einem Plan von (1 + A)x, also z.B. zu einem (für A = 0,1) um 10 Prozent höheren Plan (»1100 Tonnen Bandstahl«), weil die Planausführung von x = 1000 nicht nur eine Produktion von Gütern, sondern uno actu eine Information der Zentrale über die betriebliche Leistungsfähigkeit darstellt. Um diesen hohen zukünftigen Plan zu vermeiden, wird der Betrieb z.B. nur 900 Tonnen produzieren (und die nicht genutzten Inputgüter heimlich horten, um die Zentrale zu desinformieren), denn dies führt zu einem zukünftigen Plan von lediglich 900+10 Prozent = 990 Tonnen.
Deshalb haftet den geheimen Reserven (= Geldgütern) eine Liquiditätsprämie an, und der Staat, der die Betriebe zu einem Verzicht auf den Kauf der gelagerten Güter zugunsten eines (Rubel-) geldlichen Darlehens bewegen will, muß dieses Darlehen verzinsen: dieser Zins ist eine Entschädigung dafür, daß die Betriebe auf Liquidität verzichten (vgl. im einzelnen Lohmann 1985, Kapitel 5). Man sieht: Geld entsteht nicht nur aus Gläubiger/Schuldner-Verhältnissen zwischen Privateigentümern, wie Heinsohn/Steiger definitorisch anzunehmen scheinen und auch annehmen müssen, wenn sie ihre dogmatische Fixierung aufs Privateigentum aufrechterhalten wollen.
Unumstritten ist, daß das konventionelle Geld — der Rubel als gesetzliches Zahlungsmittel — seinen Geldcharakter, genauer: die für Geld wesentliche Funktion des Wertaufbewahrungsmittels, verliert. Dies ist nun allerdings schon lange bekannt (und bildet auch den Grund für die Nichtkonvertibilität des Transferrubels). Wie wenig freilich Heinsohn/Steiger den theoretischen Stellenwert von Crumps Charakterisierung der sozialistischen Währungen als hierarchische Phänomene begriffen haben, zeigt ihr Rekurs auf Kornais (1980) Erklärung: die weichen Budgetrestriktionen.[1] Selbst im besten Fall eines konsistenten Mengenplans und mit ihm kompatibler Gleichgewichtspreise — beide zusammen konstituieren die mit Gleichgewicht verträglichen monetären Budgetrestriktionen — hat eine via Kreditgewährung erfolgende Aufweichung dieser Restriktionen zur Folge, daß die Preise zu Ungleichgewichtspreisen werden. Die Essenz ihrer Argumentation bildet somit die Tauschtheorie — und Heinsohn/Steiger reproduzieren damit — worauf bereits Riese (1985, 72) hingewiesen hatte - jene »Dichotomisierung von Geld- und Gütersphäre«, die den Kern der nichtkeynesianischen Geldtheorie bildet. Denn nach Heinsohn/Steiger wären ja die Probleme staatssozialistischer Ökonomien ganz einfach zu lösen: der Staat müßte nur die Budgetrestriktionen hart machen und den Betrieben übermäßige Kredite verweigern, m.a. W. er müßte — und damit wird der quantitätstheoretische Gehalt ihrer Argumentation offensichtlich eine Ausweitung der (Rubel-)Geldmenge verhindern.
Daß er dies nicht tut — obwohl es ihm möglich wäre [2] —, liegt an dem Irrtum, den der staatssozialistische Staat mit Heinsohn/Steiger teilt: wie sie interpretiert er die monetären — aus einer Übernachfrage nach Geld-gutem resultierenden — als güterwirtschaftliche — aus einem Unterangebot an Gütern resultierende — Ungleichgewichte. Indem er den Betrieben gesetzliche Zahlungsmittel zum Erwerb von Inputgütern via Kredit zur. Verfügung stellt, versucht er, das gegenwärtige Güterangebot zu erhöhen.
Daß dieses Kalkül nicht aufgeht — daß also die monetär alimentierte Nachfrage der Betriebe nicht zu der erhofften komplementären Angebotserhöhung führt —, liegt nun gerade an dem Geldcharakter der nachgefragten Güter: weil sie die Wertaufbewahrungsfunktion übernehmen — sie bilden eine Sicherheit gegen zukünftige angespannte Pläne —, werden sie zwar in der Gegenwart nachgefragt, aber zum Zweck erst der zukünftigen Angebotserhöhung gehortet. Diese Diagnose gilt gerade auch unter der Prämisse harter Budgetschranken (vgl. Lohmann 1985). Zu ihr gelangt man durch die Analyse dessen, was Heinsohn/Steiger immer versäumen: nämlich die Analyse des Lageiabbaus durch die Betriebe, der zu kumulativen, also die Ungewißheit enorm verstärkenden Effekten führt.
Wie sehr Heinsohn/Steiger äußerlichen Formen des Geldes — statt seiner Funktionsanalyse — verhaftet sind, zeigt ihre Frage, »warum sie [die geheimen Geldgüter; d.Verf.] nicht zu nominalen Zahlungsmitteln fortentwickelt werden«. Die Antwort lautet: die Ersetzung von Realgütergeld durch Nominalgeld erfordert eine Instanz, die die Akzeptanz dieses Nominalgeldes als Tausch- und Zahlungsmittel hoheitlich erzwingt. Eine solche Instanz könnte nur der Staat sein. Der scheidet nun aber gerade aus: denn die Existenz dieses Geldes soll ja vor dem staatssozialistischen Staat geheim gehalten werden — sonst verlöre es seine Funktion!

Heimliches Geld?

Erwiderung auf Karl-Ernst Lohmanns »Replik«

Durch Tadel wie »Wirtschaftshistoriker mit theoretischem Anspruch« und »dogmatisch fixierte Definierer« auf einen Weg der Gelderklärung gedrängt zu werden, den Lohmann selbst (vgl. etwa 1985a, 3) überhaupt erst im Anschluß an, frühere — und inzwischen verworfene — Überlegungen unsererseits (Steiger 1979, These 13, sowie — bereits abgeschwächt — Heinsohn/Steiger 1981,191) beschritten hat, entbehrt nicht eines gewissen Reizes.
Von jener Position halten wir unverändert fest, daß Rubel und andere sozialistische »Währungen« kein Geld darstellen, so daß ein Restkonsensus mit Lohmann erhalten bleibt. Gleichwohl fixieren wir uns beim Geld keineswegs auf seine »äußerlichen Formen«, sondern haben ausdrücklich hervorgehoben, daß die Gestalt des »money of account« (Keynes) für das Verständnis der geldwirtschaftlichen Produktion nicht essentiell ist (Heinsohn/Steiger 1985, Abschn.IV). Wir betreiben die von Lohmann einmal mehr eingeforderte »Funktionsanalyse« des Geldes — welche materielle Gestalt immer es habe — in voller Absicht nicht, sondern zeigen gerade, daß die Fixierung auf Funktionen, in denen Geld anzutreffen ist, einen theoretischen Irrweg darstellt, auf dem das doch erst zu erklärende Geld immer schon da ist.
Die Herausstellung unseres Konsenses über die Nichtgeldhaftigkeit des Rubels muß nun aber sogleich entscheidend eingeschränkt werden, da Lohmann den als Geld verworfenen Rubel gerade in der Zentralinstanz einer geldwirtschaflichen Produktion — dem zinsbelasteten Kredit — auch in der Sowjetunion am Werke sieht (vgl. etwa Lohmann 1985a, 146, 201, und 1985b, passim). Wie entwickelt Lohmann seine Behauptung, daß Gläubiger-Schuldnerkontrakte und Zins in der Sowjetgesellschaft tatsächlich vorhanden seien? Vorerst erscheint in Lohmanns Konstruktion der sozialistische Staat als unersättlicher Forderer und der Betrieb als gehetzter Leistungserbringer. Um aus dieser Drangsal herauszukommen, verweigert der Betrieb dem Staat die Information über seine wahre Leistungsfähigkeit. Dem Staat bleibt das nicht verborgen und er versucht deshalb auf anderem Wege, den Betrieb zur Produktion auf Basis seiner wirklichen Leistungsfähigkeit anzuhalten, indem er ihn zum Verzicht auf seine geheimen Güterreserven zu bewegen trachtet. Dafür bietet er ihm ein »(Rubel-)geldliches Darlehen« an, das über dem — wie auch immer zu bestimmenden — Wert der geheimen Güterreserven liege und insofern eine Art Zinsleistung einschließe, womit der fordernde Staat vom Beginn des Arguments jetzt als ein Schuldner in Erscheinung tritt. Die Preisgabe der Information über seine wirkliche Leistungsfähigkeit wird dem Betrieb vom Staat durch ein weiches Budget, d.h. durch jederzeitigen Zugriff auf Rubel, honoriert. Da diese Rubel in Wirklichkeit aber kein Geld seien, ist der Betrieb am Ende doch nicht zur Preisgabe der Information über seine geheimen Güterreserven bereit und empfängt insofern — so wäre Lohmanns Konstruk tion zu Ende zu denken — einen Scheinzins für eine Scheininformation. Die Preisgabe der wahren Information müßte nämlich auch mit wah rem Geld honoriert werden, das der sozialistische Staat in Form seiner Rubel gerade nicht anzubieten hat. Lohmanns Behauptung, daß der sozialistische Betrieb auf seine geheimen Güterreserven eine Liquiditätsprämie lege, die prinzipiell identisch mit jener Prämie sei, welche der Privateigen tümer auf sein Vermögen legt, erweist sich mithin als eine unbrauchbare Analogie, da ja nicht ersichtlich wird, wie diese Liquiditätsprämie sich je mals zu einer Leistung des Staates materialisieren kann, die eine wirkliche Analogie zum Zins hergibt. Da der Staat über kein Medium verfügt, das    der Betrieb als seinen geheimen Reserven gleichwertig erachtet, geht sein Kalkül — wie Lohmann durchaus richtig erkennt — denn auch nicht auf. Das liegt aber nicht am angeblichen Geldcharakter der geheimen Reserven der Betriebe, sondern daran, daß der Staat nicht wie ein privater Schuldner durch Produktion, die in Schuldendeckungsmittel zu verwandeln ist, die Betriebe zur Aufgabe von Liquidität verlocken kann. Insofern bleibt unerfindlich, daß wir die Lösung der sowjetischen Produktionsschwierigkeiten in einem harten Budget oder — wie die Quantitätstheorie — in einer Verknappung »der (Rubel-)Geldmenge« sehen würden. Wir haben gerade die Drohung mit Knute, Lagerhaft, Psychiatrie und Konsumkürzung als die einzig zur Verfügung stehenden Mittel der Produktionserzwingung herausgestellt und nicht als unerklärlichen — und am Ende dann doch verschwindenden — Rückfall in eine unangebrachte Barbarei beschönigt. In dieser Interpretation sehen wir uns gar nicht überraschend durch Michail Gorbatschow bestätigt, wenn er — wie jüngst auf einer ZK-Tagung zu Fragen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts am 11. Juni 1985 in Moskau — bei seiner verzweifelten Suche nach einem »Mechanismus, der die Produktion von veralteten und uneffektiven Erzeugnissen unvorteilhaft macht«, nicht auf Argumente ä la Lohmann »über die Möglichkeit innovationsfördernder Anreize«, sondern — systemadäquat — auf »empfindliche« Bestrafungen zurückgreifen will: »Die Partei wird den Kampf um die Ehre des sowjetischen Warenzeichens aktiv unterstützen und diejenigen streng zur Rechenschaft ziehen, die eine passive Haltung einnehmen und die Lösung dieses so dringenden Problems hemmen.« (Frankfurter Rundschau vom 29.6. und 1.7.1985, 10 bzw. 14) In seiner dunklen Thematisierung der Beziehungen zwischen Zentrale und Betrieb im real existierenden Sozialismus liefert Lohmann also keine Analogie zu den Gläubiger-Schuldnerkontrakten der Privateigentumsgesellschaft, sondern unfreiwillig eine Beschreibung der auf Gewalt beruhenden Beziehungen einer feudalen Befehlswirtschaft. Dort gibt es die entsprechenden geheimen Reserven der leibeigenen Bauern, über die der Herr nur zu gerne genau Bescheid wüßte, ohne daß ihnen doch ein ökonomischer Theoretiker Geldcharakter zuweisen würde, obwohl sie zur Vermeidung von Strafen gelegentlich preisgegeben werden müssen.
Da — wie gesagt — eine Geldwirtschaft nicht aus Funktionen eines wie auch immer beschriebenen Mediums Geld erklärt werden kann, sondern in den Kontrakten zwischen Privateigentümern Geld überhaupt erst auftaucht, gibt es im Sozialismus nicht nur kein Geld, sondern auch keine Wirtschaftsbeziehungen, die dem zinsbelasteten Kredit gleichen. Das einzige »geheim gehaltene« Geld im Sozialismus der RGW-Staaten sind die Devisen, die in Privateigentumsgesellschaften gegen Zinszusagen von Schuldnern generiert werden, ohne allerdings jenseits der Grenzen ihrer ganz bestimmten Sozialstruktur eine Geldwirtschaft aus sich heraus hervorbringen zu können.
P.S. (1): Niemand will den Sputnik verächtlich machen. Sein Piepen hat auch uns damals gefreut. Das ändert aber nichts daran, daß die entscheidenden technischen Komponenten, die ihn möglich machten, vorhanden waren und nicht in der UdSSR gefunden wurden. Unter 79 revolutionären neuen Produkten aus den Jahren 1920 bis 1970 werden als originär sowjetische Innovationen die Fernheizung, der Siedlungsbau aus vorgefertigten Platten und die unterirdische Kohlevergasung verbucht (Kornai, 1970, 273ff.).
P.S. (2): Richtig ist selbstverständlich, daß technischer Fortschritt nicht aus irgendeinem »geldlichen Charakter« erwächst, aber es hilft nicht weiter, eine geldfunktionalistische durch eine marktfunktionalistische Technologieerklärung zu ersetzen. Nicht einmal die heftigsten Apologeten der sogenannten Marktwirtschaft würden dieses tun. Wir haben nun gerade gezeigt, daß Marktkonkurrenz lediglich als Ergebnis des Versuches verschuldeter Privateigentümer, aussichtsreicher als andere an Schuldendeckungsmittel zu gelangen, zustande kommt und eben nicht als letzter Grund irgendeiner Erklärung taugt.

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