Nachwort der Übersetzerinnen

Arbeitsauskunft

»Streng genommen gibt es in Speculum keinen Anfang und kein Ende, die Architektonik des Textes, der Texte bringt jene Linearität eines Vorhabens, jene Teleologie des Diskurses, in welchen es für das >Weibliche< keinen möglichen Ort gibt, es sei denn den traditionellen des Verdrängten, des Zensurierten, aus der Fassung. Übrigens, mit Freud >anfangen< und mit Plato >aufhören<, das heißt schon, die Geschichte >umdrehen<. Im >Innern< einer solchen Umkehrung aber kann die Frauenfrage sich noch nicht artikulieren, so daß man sich mit ihr nicht einfach zufrieden geben kann. Deshalb diese Gliederung, die bewirkt, daß in den in der >Mitte< stehenden Texten -- die wiederum mit Speculum überschrieben sind offensichtlich die Umkehrung keinen Platz mehr hat. Das Entscheidende dabei ist, die Montage der Repräsentation gemäß ausschließlich >männlichen< Parametern aus der Fassung zu bringen. Das heißt, gemäß einer zwangsläufig phallokratischen Ordnung, die es nicht umzukehren - das würde letztlich auf das Selbe hinauslaufen -, sondern, ausgehend von einem teilweise ihrem Gesetz entzogenen >Außen<, zu stören und zu untergraben gilt.«[1]

Das Buch Speculum de l'autre femme von Luce Irigaray ist 1974 in Frankreich erschienen. Erst sechs Jahre später liegt es in deutscher Sprache vor. Diese Verzögerung hat ihre Ursache nicht zuletzt in der Schwierigkeit der Übersetzung. Die Vielschichtigkeit des Textes, die Metaphorik, die Wortassoziationen und Wortspiele, die in ihm enthalten sind, die spezifische Syntax oder, genauer, die Durchbrechung und Auflösung der vorgegebenen Syntax der französischen Sprache lassen eine genaue Übertragung ins Deutsche zunächst als fast aussichtsloses Unterfangen erscheinen. Wenn wir nun trotzdem eine Übersetzung vorlegen, von der wir hoffen, daß sie der Intention und dem Inhalt des Buches im ganzen gerecht wird, so erscheint es uns wichtig, auf einige Probleme - und auch Entscheidungen —, die in sie eingingen, hinzuweisen. Wir haben uns bemüht, einen lesbaren deutschen Text herzustellen, der gleichwohl die Bedeutungsgehalte des französischen Textes im einzelnen wiederzugeben vermag.
Luce Irigaray verfolgt ihre Intention, die »Linearität« und die damit verbundenen hierarchischen Strukturen des Diskurses aufzusprengen, bis in die Syntax der Sprache: sie durchbricht sie, bringt sie durcheinander und versucht auf diese Weise, Bedeutungskontexte sichtbar zu machen, die von eben dieser »Linearität« verdeckt werden. Sie benutzt also keineswegs ein willkürliches Darstellungsverfahren, sondern bezieht sich genau auf die ihr in der französischen Sprache vorgegebenen grammatischen und semantischen Strukturen. Sie beschreibt dieses Verfahren ziemlich einprägsam in dem Kapitel Jede Theorie des Subjekts ... Es schien uns unmöglich, ein solches Verfahren in der deutschen Übersetzung unmittelbar zu wiederholen, da beide Sprachen sehr verschiedene syntaktische Strukturen haben. Seine formale Übertragung oder Nachahmung wäre willkürlich geworden. Um die spezifischen Formen von »Linearität« und Hierarchisierung syntaktischer und semantischer Strukturen in der deutschen Sprache aufzulösen und damit hervortreten zu lassen, hätte man ein eigenes Buch schreiben müssen. Als einzig gangbarer Weg schien uns daher, die durch die Irigaraysche Methode auch innerhalb formaler Strukturen sichtbar gemachten Bedeutungszusammenhänge und freigewordenen Assoziationskontexte möglichst differenziert mit den herkömmlichen Mitteln der deutschen Sprache wiederzugeben und zu erhalten.
Ein ähnliches Problem stellt sich für die Übertragung der Metaphorik, deren theoretischer Stellenwert in der strukturalistischen Sprachtheorie begründet ist (s. die Begriffe der Metapher und der Metonymie etwa bei Jakobson und Lacan). Die Metaphorik ist keine bloße Illustration theoretischer Zusammenhänge, sondern ein Teil der begrifflichen Anstrengung selbst. Genauer, die begriffliche Anstrengung setzt sich auf der Ebene der Bildsprache fort und eröffnet damit neue Erkenntnisdimensionen im wissenschaftlichen Diskurs. Die Übertragung der Metaphorik, die stets an spezifische Assoziationen der jeweiligen Sprache gebunden ist, war nicht immer möglich. Auch hier haben wir versucht, die Bedeutungs- und Assoziationsgehalte inhaltlich wiederzugeben.

Zweifellos steht Luce Irigaray in der Tradition der Lacanschen Theoriebildung. Gleichwohl wollten wir sie durch die Art der Übersetzung ihres Buches nicht auf die Rolle einer Schülerin Lacans festlegen. Wir haben die Auseinandersetzung mit Lacan, die in dem Buch unverkennbar enthalten ist, nicht explizit in den Vordergrund gestellt. Das heißt, wir haben nicht versucht, die besondere Sprache Lacans, wie sie in den bisher vorliegenden deutschen Übersetzungen seiner Schriften angedeutet ist, einfach zu übernehmen, und wir haben auch auf einen ausführlichen Anmerkungsapparat dazu verzichtet. Zentrale Begriffe Lacans hingegen haben wir in der Übersetzung ihrem wissenschaftlichen Gebrauch entsprechend verwendet, um die Auseinandersetzung mit diesem Theoriekomplex deutlich zu machen. Es ist allerdings möglich, daß wir nicht alle Anspielungen und Verweise auf die Lacansche Theorie bemerkt haben, ebenso wie uns sicherlich manche Assoziationen und Wortspiele überhaupt entgangen sind. Insofern handelt es sich hier um eine »offene« Übersetzung, die korrigierbar und ergänzungsbedürftig bleibt.
Aus den angeführten Gründen hat der deutsche Text im Verhältnis zum Originaltext an Eindeutigkeit eher gewonnen. Das mag die Lektüre zwar erleichtern, läßt aber notgedrungen und leider etwas von der Komplexität des französischen Textes verloren gehen.
Ein wesentliches Merkmal des Irigarayschen Textes, das in der deutschen Übersetzung erhalten bleiben sollte, ist die Vielschichtigkeit der Diskursebenen. So werden etwa im Zusammenhang der Frage nach dem Funktionieren der »sexuellen Differenz« und nach dem »Ort« des Weiblichen im philosophischen Diskurs verschiedene Theorien gleichzeitig dargestellt und miteinander verwoben, wobei die Bedingungen der Möglichkeit ihrer »Systematizität« und also ihrer Kohärenz im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen. Bedingungen der Möglichkeit sind, wie Irigaray sagt, etwa »die >Materie<, von der das sprechende Subjekt sich nährt, um sich zu produzieren und zu reproduzieren, aber auch die Stenographie, die die Repräsentation so, wie sie sich in der Philosophie definiert, ermöglicht, also die Architektonik ihres Theaters, ihre raum-zeitliche Rahmung, ihre geometrische Ökonomie, ihre Kulissen, ihre Akteure, sowie deren Stellung zueinander, deren Dialoge, ja sogar deren tragische Beziehungen, nicht zu vergessen den Spiegel, der, zumeist versteckt, dem Logos, dem Subjekt erlaubt, sich zu verdoppeln, sich zu reflektieren. Das alles sind Eingriffe in die Szene, die, solange sie nicht interpretiert worden sind, ihre Kohärenz sichern«.[2] Unter diesem Anspruch thematisiert Luce Irigaray zum Beispiel im ersten Teil nicht nur die Freudsche Theorie zur weiblichen Sexualität, sondern ebenso und gleichzeitig die szenische Anordnung der psychoanalytischen Situation sowie, als quasi fortgeschrittenste Form »dieses alten Traums vom Selben«, die Lacansche Interpretation. Die weibliche Sexualität erscheint nicht mehr nur als Lücke oder ergänzungsbedürftiger Teil der Theorie, sondern ihre Funktion und ihr Funktionieren in und für die Theorie selbst werden sichtbar. Diese Art der Darstellung strukturiert in ihrer formalen und inhaltlichen Komplexität alle drei Teile des Buches. Sie sind so dicht miteinander verwoben, daß im gesamten Buch die »Linearität« des Textes aufgehoben wird. Die einzelnen Teile bilden eher eine Konfiguration, die von allen Seiten zu lesen ist. Explizite und implizite Zusammenhänge, nicht aber lineare Argumentationsfolgen ergeben sich aus der modifizierenden Wiederkehr einzelner Thematiken. So wird etwa die Thematik des Blicks als Ausdruck eines Herrschaftsverhältnisses im Rahmen der Platonischen Philosophie ausgeführt und inszeniert, aber sie wird auch in der psychoanalytischen Theorie reflektiert und bis in die psychoanalytische Anordnung hinein verfolgt.
In der bisherigen Rezeption der Schriften von Luce Irigaray setzt sich ein auffälliges Mißverständnis durch. Eine vermeintlich kritische Position konstatiert theoretische Inkonsistenz, Substantialisierung und Mystifizierung des Weiblichen, ahistorische Betrachtungsweise, unwissenschaftliche Analogiebildungen. Alle diese Vorwürfe gehen freilich an Irigarays Intention vorbei. Ihre analytische und darstellerische Verfahrensweise orientiert sich nicht am Ideal methodischer Abstraktion. Sie steht konträr zu jedem wissenschaftlichen Denken, das auf feste, fixierte Resultate zielt. Bei dem Versuch, in die philosophischen Systeme einzudringen, ihre Kohärenz zu zersetzen und das Funktionieren ihrer Ökonomie als eines kenntlich zu machen, das sich der geleugneten sexuellen Differenz verdankt, beschreitet Luce Irigaray den, wie sie selbst sagt, »einzigen Weg, der dem Weiblichen historisch zugewiesen ist«: Mimesis. »Mimesis zu spielen bedeutet [...] für eine Frau den Versuch, den Ort ihrer Ausbeutung durch den Diskurs wiederzufinden, ohne sich darauf einfach reduzieren zu lassen. Es bedeutet - was die Seite des >Sensiblen<, der >Materie< angeht —, sich wieder den >Ideen<, insbesondere der Idee von ihr, zu unterwerfen, so wie sie in/von einer >männlichen< Logik ausgearbeitet wurden; aber, um durch einen Effekt spielerischer Wiederholung das >erscheinen< zu lassen, was verborgen bleiben mußte: die Verschüttung einer möglichen Operation des Weiblichen in der Sprache.«[3]
Irigarays Zugriff auf die philosophischen Diskurse ist also keine Analyse im hergebrachten Sinn; es ist kein Schreiben über Texte oder Theorien, sondern der Versuch, durch Paraphrasieren und Kommentieren, durch spielerisches Wiederholen in Form von modifizierenden Fragen Textordnungen und Textstrukturen aufzubrechen und die in ihnen wirksamen Mechanismen aufzudecken. Dabei gehen interpretierender und interpretierter Text oft gleitend, fast unmerklich ineinander über, ohne daß es dadurch zu einem Verlust an Präzision käme; das Verfahren setzt im Gegenteil größte Genauigkeit voraus. Wo von ihren Kritikern vermeintliche theoretische Inkonsistenz konstatiert wird, geht es vielmehr darum, die Kohärenz bestehender Theorien aufzulösen. Dabei »erscheint« in den Theorien ein Denken in Analogien, Symmetrien, Dualitäten und Oppositionen. Die Analogien, die Luce Irigaray aufzeigt, sind daher nicht ihr, sondern den Theorien geschuldet, in denen sie, auch wenn Analogiebildung explizit verworfen wird, stillschweigend und unerkannt die theoretische Konsistenz sicherstellen.
Man sollte sich nichts vormachen, das von Irigaray versuchte mimetische Verfahren ist Arbeit, eine spezifische Arbeit, die, wie sie sagt, den einzig möglichen Zugang des Weiblichen zum philosophischen Diskurs eröffnet. Entgegen dem Vorwurf der Substantialisierung des Weiblichen wird es von ihr immer als besondere Produktionsweise und damit stets historisch gedacht. Es geht ihr nicht um die Setzung eines »weiblichen« Gegensystems oder die Bestimmung eines weiblichen »Wesens an sich«. Ihre Form der Darstellung, ihre »Inszenierung« der weiblichen Produktionsweise auf der Ebene des Textes sollen die Möglichkeit der Konstruktion weiterer Zusammenhänge provozieren und verschüttete Assoziationskontexte freisetzen. Das mimetische Wiederholen, das Nachplappern verzerrt, vexiert, karikiert den pietätvollen Ernst wissenschaftlicher Theorie. In der ständigen Wiederkehr des Gleichen, dem »alten Traum vom Selben«, deckt sie geschichtslose Momente der Theorie auf; das Weibliche erscheint in ihnen als Materie, als Matrix, die als geleugnete konstitutiv für alle bisherige Theorie ist. Die »Geschichtslosigkeit der Frau« bekundet sich als unhistorisches Moment und als Bedingung der männlichen (Theorie-)Geschichte selbst.
Die inhaltlichen Probleme des Textes, die sich auch auf der Ebene der Begriffe abzeichnen (z. B. im Begriff vom Selben, im Begriff vom Ursprung) möchten wir der Diskussion anvertrauen, die der Band auslösen sollte. Fraglos setzt dies eine sehr genaue, wohl auch mühevolle Lektüre des Irigarayschen Buches und die Beschäftigung mit den von ihr reflektierten Theorien voraus.

Bei der sehr schwierigen Arbeit der Übersetzung ist uns mancherlei Hilfe zuteil geworden. Wir danken Chris Bezzel für altphilologische Beratung. Eine wesentliche Orientierung gab uns die ausgezeichnete italienische Übersetzung des Speculum durch Luisa Muraro, die uns als zusätzliches Korrektiv diente. Besonders aber möchten wir Günther Busch für die geduldige Unterstützung bei der langwierigen Übersetzungsarbeit danken.