2. Kapitel Um 1848

Vormärz und Revolution

1. «Wir wollen lieber fliegen als kriechen.» (Louise Otto)
Emanzipierte und «Femme scandaleuse»

«Die politische Poesie hat die deutschen Frauen aufgeweckt», schrieb Louise Otto in einem ihrer ersten Artikel der «Sächsischen Vaterlandsblätter». Die Dichter und Schriftsteller des Jungen Deutschland, allen voran Heinrich Heine und Ludwig Börne, Karl Gutzkow und Theodor Mundt hatten seit den dreißiger Jahren die Literatur aus dem Himmel der Kunst, des Erhabenen, auf die Erde zurückgeholt und politisch zur Verantwortung gezogen, ihre Prosa und ihre Lieder sollten wirken in ihrer Zeit, waren «tendenziös», oppositionell, politisch engagiert im Kampf gegen den Polizeistaat, für Verfassung, Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit. Andere, Georg Herwegh und Ferdinand Freiligrath oder Alfred Meißner z. B., hatten sich in ihrem Werben für die Einheit und Freiheit Deutschlands ausdrücklich an die Frauen gewandt.

«Traget Ihr ein Schwert in Myrten,
Denn mich dünket: Frau und frei,
Nicht so fremd einander klingen
Diese Worte, diese zwei.»
(G. Herwegh)

Doch die Frauen mußten nun gar nicht mehr gerufen werden. Viele, die bisher nur noch nichts voneinander wußten, waren einzeln bereits in Bewegung und brachten so etwas in Gang. Poesie war eines der Ausdrucksmittel, mit denen sie sich nun —zunächst unter «Veilchen» und «Rosen» versteckt, dann immer offenherziger und offensiver — zu Wort meldeten. Da war die Rede von «Märzveilchen», die nur schüchtern zum Vorschein kamen (Kathinka Zilz), oder von «Wilden Rosen» «in der Freiheit wilder Pracht» (Louise Aston), von «wirbelnden Lerchen» und «Lenzbegeisterungsglut» (Louise Otto) — Bilder und Symbole, die dem Zensor ein Schnippchen schlagen sollten und auch verstanden wurden.
Der Gedichtzyklus «Lieder eines deutschen Mädchens» machte Louise Otto im Vormärz mit einem Schlag berühmt und brachte ihr den Ruf einer «Lerche des Völkerfrühlings» ein. Das heißt, sie muß vielen aus der Seele gesprochen haben, «weil» — wie sie selbst feststellte — «meine Lieder nur von Freiheit tönen», «weil ich ein Weih und doch begeistert bin».[1]
Zwei Themen beherrschen nicht nur die politische Poesie der Frauen, sondern auch ihre Schriften und politischen Aktivitäten. Sie haben anscheinend nichts miteinander zu tun und umschreiben doch das Bündel der Widersprüche im Lebenszusammenhang von Frauen: soziale Mißstände, Ungerechtigkeit einerseits und die Probleme der Ehe als von Staat und Kirche geschützter Institution andererseits. Denn nach der Meinung der Frauen, die sich im Vormärz zu Wort meldeten,[2] war gerade auch die bürgerliche Ehe vor allem anderen durch Ungleichheit, Abhängigkeit und Gewalt gekennzeichnet. Gegen diese Übel klagten sie ihr Selbstbestimmungsrecht als Menschenrecht ein, und zwar das Recht zu gleicher und auch freier Liebe sowie das Recht zur Selbständigkeit und Mündigkeit im Staat.
Der «Fall» der Louise Aston, der deutschen George Sand, ist ein Beleg dafür, wie ein freies Liebesleben nicht nur zu einem «öffentlichen Ärgernis», sondern in einem reaktionären Staat auch zu einem Politikum hochgespielt werden kann. Nach ihrer Scheidung von Samuel Aston genoß Louise, ohne wirtschaftlich abgesichert zu sein, das freie Berliner Leben «in vollen Zügen». Ob sie dabei gelegentlich Männerkleidung trug, Zigarren rauchte oder öffentliche Lokale besuchte, war eigentlich unwichtig. Alle, die sich zu ihrer Person äußerten — in Memoiren, Zeitungsartikeln und Polizeiberichten —, betonen ihre Anmut, ihre geschmackvolle, elegante Toilette, ihren Witz und ihre Intellektualität und den Zauber ihrer Persönlichkeit. Sie verkehrte in Literaten- und Künstlerkreisen und in der Hippelschen Weinstube, einem Treffpunkt der Berliner Linken. Mit der Veröffentlichung ihrer Gedichtsammlung «Wilde Rosen», einem freimütigen Bekenntnis zu freier, sinnlicher Liebe, war ihr Ruf als «femme scandaleuse» und als «Emanzipierte» perfekt - vergleichbar etwa dem heutigen Schimpfwort «Emanze». Sie wurde von der Polizei bespitzelt, anonyme Briefschreiber denunzierten sie beim Polizeipräsidenten oder gar beim preußischen König und forderten das Einschreiten der Staatsgewalt:

«An den Königlichen Polizei-Präsidenten
Herrn von Puttkammer Hochwohlgeboren! (Berlin, Ende Dezember 1845)
Hochwohlgeborener Herr
Eine Sache, die jedem guten Patrioten tief zu Herzen geht, und gehen muß, bekümmert auch mich, und ich sehe mich daher veranlaßt, Euer Hochwohlgeboren dies ans Herz zu legen um so möglich die strengsten Maßregeln dagegen zu ergreifen! - Eine gewisse Asien oder Aston... zieht durch ihre Verführungskünste, und durch entsetzliche Ausschweifungen, Männer jedes Standes und Alters nach sich; nicht genug, daß Männer ihr Einkommen und Vermögen dieser Buhlerin opfern müssen, so hat dies Weib im Verein mit vielen Männern, Dichtern, Künstlern, Offizieren, Juden etc. ein Komplott gegen den Staat, den König und (die) Religion gebildet... Ist diese gefährliche Person nicht in 14 Tagen aus der Stadt, und überhaupt unschädlich gemacht, so geht ein eben solches Schreiben an den König!!!»[3]

Die Aston wurde polizeilich verhört und schließlich trotz persönlichen Einspruchs beim Innenminister am 21. April 1846 aufgefordert, Berlin innerhalb einer Woche zu verlassen. In dem Bericht des Polizeipräsidiums an den preußischen König ist wörtlich nachzulesen, was sie bei ihrer Vernehmung «ohne Scheu» erklärt haben soll:

«... sie glaube nicht an Gott und rauche Zigarren. Sie beabsichtige die Frauen zu emanzipieren und sollte es ihr Herzblut kosten. Sie halte die Ehe für ein unsittliches Institut und erst, wenn der Glaube an Gott und das Institut der Ehe fortfalle, würden die Menschen glücklich sein.»[4]

In der unmittelbar nach ihrer Ausweisung erarbeiteten Schrift «Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung» hat L. Aston ihren «Fall» sorgfältig dokumentiert. U. a. ist da auch das Gespräch mit dem Innenminister protokolliert, das mit der Bemerkung endet: «Nun, Exzellenz, wenn sich erst der preußische Staat vor einer Frau fürchtet, dann ist es weit genug mit ihm gekommen.»[5] Vor allem aber nutzte sie diese Schrift noch einmal zu einer grundsätzlichen Ehekritik, und es wird deutlich, wie der Verdacht, «eine solche Frauen-Emanzipation zu organisieren, gefährliche Ideen ins Leben rufen zu wollen», an den Grundfesten eines patriarchalischen Staates rütteln mußte, also ein politisches Unternehmen war:

«Keiner äußern Gewalt, am wenigsten der Staatsgewalt steht das Recht zu, dies mein innerstes Heiligthum anzutasten, solange ich für diese Ideen keine äußere Propaganda stifte. Ich glaube allerdings nicht an die Notwendigkeit und Heiligkeit der Ehe, weil ich weiß, daß ihr Glück meistens ein erlogenes und erheucheltes ist... Ich kann ein Institut nicht billigen, das mit der Anmaßung auftritt, das freie Recht der Persönlichkeit zu heiligen, ihm eine unendliche Weihe zu ertheilen, während nirgends gerade das Recht mehr mit Füßen getreten wird... Ich verwerfe die Ehe, weil sie zum Eigenthum macht, was nimmer Eigentum, sein kann: die freie Persönlichkeit; weil sie. ein Recht giebt auf Liebe, auf die es kein Recht geben kann; bei der jedes Recht zum brutalen Unrecht wird.»[6]

Der Fall Aston hat zu seiner Zeit Aufsehen erregt, viele Stellungnahmen hervorgerufen, u. a. auch von Mathilde Franziska Anneke:

«Die Stimme dieses Büchleins rief manche Schläferinnen wach, die von dem Brodeln ihres Kochtopfes am Herde noch nicht zu tief eingenickt waren. .. Es gilt auch in diesem Falle, die Stellung des Weibes innerhalb der Gesellschaft zu vertreten..., (und) seine äußeren Rechte gegen die Gewalten dieser Erde offen zu verteidigen.»[7]

2. «Seht ihr sie sitzen am Klöppelkissen...»(Louise Otto)

Die soziale Not, das zunehmende Elend der «arbeitenden Klassen» im Zuge der industriellen Revolution waren der Boden, auf dem am Vorabend der 48er Revolution soziale Proteste, Hungerrevolten und das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer grundlegenden — revolutionären — Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erwuchsen. Ursache der Massenarmut, des sog. Pauperismus, war neben einer ungeheuren Bevölkerungsvermehrung nicht die Industrialisierung selbst, sondern die Tatsache, daß sie erst so spät einsetzte und deshalb z. B. mit dem weiter entwickelten England und der Konkurrenz der dort industriell hergestellten Güter nicht mehr mithalten konnte. Die Folge waren sinkende Löhne für Hand- und Heimarbeit bei gleichzeitiger Teuerung oder überhaupt fehlende Nahrungsquellen für die Masse der ehemaligen Landarbeiter und seit der Bauernbefreiung landlosen Unterschichten. Die Lage wurde in den Jahren 1846/47 verschärft durch eine Mißernte an Kartoffeln, dem Hauptnahrungsmittel zu dieser Zeit.

Soziale Not und soziale Fragen

Bekannt geworden, auch als Gegenstand literarischen und politischen Protests (z.B. in Gerhart Hauptmanns «Die Weber»), ist das Elend der Heimarbeiter durch den Aufstand der schlesischen Weber im Jahr 1844, der mit Waffengewalt, niedergeschlagen wurde. Dieser Aufstand erlangte deshalb soviel publizistische Aufmerksamkeit, weil er beispielhaft war für viele andere Notlagen wie etwa Hungersnöte, örtlich aufflackernde Unruhen und Streiks, und den Klassenkonflikt und die neue «soziale Frage» grell beleuchtete.
Mindestens die Hälfte dieser Weber waren Frauen, Arbeiterinnen, Betroffene, Leidtragende. Besonders Louise Otto hat von Anbeginn mit ihrem Eintreten für die Rechte der Frauen auch die soziale Not der Arbeiterinnen, der «Ärmsten im Volke», zu ihrer Sache gemacht und sich als ihre Anwältin verstanden. Bei Familienbesuchen im sächsischen Erzgebirge, bei Reisen in die Weberdörfer der Lausitz und ins Riesengebirge hatte sie das Heimarbeiterelend der Klöpplerinnen, Weberinnen und Stickerinnen aus nächster Nähe kennengelernt und sich genauestens über das Ausmaß der Ausbeutung und Ungerechtigkeiten informiert.

In ihren Romanen — «Schloß und Fabrik» wurde deshalb zunächst von der Zensur verboten —, in Gedichten und Novellen griff sie die Problematik auf. Sie schrieb in den Zeitschriften ihrer politischen Freunde — in «Unser Planet», im «Leuchtturm», beide herausgegeben von Ernst Keil, weiter in den «Sächsischen Vaterlandsblättern» oder in der «Leipziger Arbeiter-Zeitung» — Reportagen und Leitartikel «Für die Arbeiterinnen».[8] 

 

Das Verhältnis von Lohn zur Kaufkraft

1 Neugroschen = 1/30 Taler entsprach etwa 10 Pfennig. Für einen Tageslohn von 2 bis 3 Groschen konnte sich eine Stickerin allenfalls ein Pfund Schweinefleisch kaufen, aber noch nicht einmal ein halbes Pfund Butter. Billigstes und hauptsächliches Nahrungsmittel war die Kartoffel, ein Kilo Kartoffeln kostete um 1845 etwa 3 Pfennig. Um so verheerender waren die Folgen, als 1846/47 diese Nahrungsgrundlage durch eine Mißernte entfiel. Fast die Hälfte der gesamten Ausgaben einer Arbeiterfamilie wurde für Brot und Kartoffeln ausgegeben. Entsprechend eintönig und arm an lebenswichtigen Nährstoffen war der tägliche Speisezettel:
Da gab es morgens Schwarzbrot und Kaffee —d. h. bei den meisten einen aus der Zichorienwurzel gewonnenen Kaffee-Ersatz —, mittags Kartoffeln und abends wieder Kartoffeln, allenfalls sonntags Sauerkraut und nur an hohen Festtagen ein Stück Fleisch. Selbst wenn man sich die Kartoffeln als «gequellte oder gekränzte», ein andermal als Kartoffelbrei oder -suppe oder als Wassersuppe mil Kartoffelstückchen zu denken hat, konnten doch die besten Kochkünste bei einer derartig ärmlichen und einseitigen Kost nicht viel ausrichten.[9]
Die Löhne von Frauen erreichten in der Zeit der industriellen Revolution in allen Branchen und Berufsgruppen nur einen Bruchteil des Männerlohnes und betrugen z. B. bei den Spinnerinnen und Weberinnen nicht einmal die Hälfte der Männerlöhne.[10]
Immer wieder hat Louise Otto die Aufmerksamkeit auch auf die Probleme eines typischen Frauenerwerbszweiges gelenkt, in dem die Frauen trotz der im 19. Jahrhundert eingeführten Gewerbefreiheit unter der Konkurrenz und den Schikanen der Männer zu leiden hatten: auf die Schneiderinnen oder, wie man damals sagte, «die Schneidermamselln».

«Schafft ab zum ersten die Schneidermamselln,
die das Brot verkürzen uns Schneidergeselln!»

lautet die bezeichnende Zeite eines Spottgedichts von Adalbert v. Chamisso. Zwar durften Mädchen und Frauen nach der Aufhebung 50 der Zunftschranken bei einem Schneidermeister das Schneiderhandwerk erlernen, auch wenn sie in der Regel dafür bezahlen mußten. Doch aus Sorge um das Eindringen von «Emporkömmlingen» oder «Pfuscherinnen» — sprich: aus Konkurrenzangst — hatten die «tüchtigen» Handwerksmeister durchgesetzt, daß Frauen ihre Schneiderei nur im Haushalt der Auftraggeber, d. h. als Tagelöhnerinnen, niemals aber bei sich zu Hause oder als selbständige Handwerksmeisterinnen ausüben durften. L.Otto schildert in ihren Lebenserinnerungen,

«wie damals jene Kleiderverfertigerinnen in Angst und Zittern lebten vor den strengen Herrn Damenschneidern und der Polizei - denn beide vereint, durften bei ihnen an jedem beliebigen Tag Haussuchung halten und die Stoffe oder angefangenen Kleider confiscieren, an denen sie die Schneiderin daheim arbeitend trafen».[11]

In vielen Artikeln machte sie damals auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam, unterzeichnete Petitionen der Schneiderinnen und forderte «Schneiderwerkstätten, in denen nur von Frauen für Frauen gearbeitet wird».[12]
Als im Verlauf der Märzrevolution die Arbeiterfrage auf die politische Tagesordnung kam und die Regierungen unter dem Druck einer neuen politischen Öffentlichkeit sogar Arbeiterkommissionen einrichteten, war ihre «Adresse eines deutschen Mädchens» vom 20. Mai 1848 an den sächsischen Minister Oberländer ein folgerichtiger, aber dennoch ungewöhnlicher Schritt. Der Appell fand weite Beachtung und wurde in vielen Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt...

 

3. «Zum Volke gehören auch die Frauen» (Louise Otto)

Vormärz und Märzrevolution haben ihren Namen von den Ereignissen, die sich im März 1848 überstürzten, viele Erwartungen weckten und zu einer Volkserhebung, ja zum Bürgerkrieg führten. Vorausgegangen waren die sogenannte Februarrevolution in Paris, die Abdankung des Bürgerkönigs Louis Philippe und die Ausrufung der Republik in Frankreich sowie Aufstände und Unruhen in den meisten süd- und mitteldeutschen Staaten. Dann brach zunächst in Wien, wenige Tage später auch in Berlin die Revolution aus.
«Volksversammlungen, Straßendemonstrationen, Sturmpetitionen, Adressen, Deputationen beim Fürsten oder Landtag, viel Unruhe, Wirrnis, hohes Pathos und edle Begeisterung auf Seiten des Volks, auf Seiten der überraschten und... erschreckten Regierungen, die allen Glauben an ihre eigene Sache plötzlich verloren zu haben schienen, meist schnelles, kopfloses Nachgeben und reichliches Versprechen.»[13]

Die Forderungen waren überall die gleichen. Vor allem anderen ging es um Pressefreiheit, Vereins- und Petitionsrechte, um verfassungsmäßige Garantien wie auch die Einführung von Geschworenengerichten, schließlich aber um die Einberufung eines deutschen Parlaments.
In vielen Einzelstaaten wurden jetzt plötzlich innerhalb weniger Tage liberale Männer, die sog. Märzminister, an die Spitze der Regierungen gerufen. Damit wurden die alten Gewalten nicht beseitigt, vielmehr schienen die Fürsten und Monarchen ihre Position durch solche Konzessionen vorerst retten zu wollen. Immerhin wurde der meistgehaßte und gefürchtete Vertreter des alten Regimes, der österreichische Fürst Metternich, durch die Revolution in Wien zum Rücktritt und zur Flucht gezwungen. In Berlin, wo der preußische König Friedrich Wilhelm IV. noch meinte, seine «lieben Berliner» mit dem zögerlichen und widerwilligen Versprechen einer endlich regelmäßigen Einberufung der Vereinigten Landtage besänftigen zu können, kam es in der ersten Märzhälfte verstärkt zu Protesten und Massenversammlungen vor dem Berliner Schloß und  am 18./19. März schließlich zu einem Zusammenstoß zwischen Bürgern und Militär mit Straßenschlachten und Barrikadenkämpfen und vielen Toten. Der König, gezwungen, sich vor den Leichen der 200 Märzgefallenen im Schloßhof zu verneigen, schien sich mit dieser Geste den Zielen der Revolution zu unterwerfen. Er versprach erneut, dem Staat eine Verfassung zu geben und sich selbst an die Spitze der deutschen Freiheits- und Einheitsbestrebungen zu stellen.

Frauen auf den Barrikaden der Revolution

Hier wie überall waren Frauen dabei, auch unter den Toten, denn «zum Volke gehören auch die Frauen». Auffälligerweise begnügten sie sich nicht mit den ihnen zugeschriebenen Rollen: als Zuschauerinnen, Leidtragende, allenfalls als Helferinnen, die für den Barrikadenbau die Steine herbeischleppten, die Kämpfenden mit Nahrung und Trank versorgten oder den Flüchtenden Unterschlupf gewährten. Sie standen auch auf den Barrikaden der Revolution:

«Eine Jungfrau, deren Bräutigam, ein Turner, am ersten Tage gefallen war, hat eine Barrikade drei Tage lang mit Löwen-Mut verteidigt und mit ihrem Pistol viele Soldaten niedergeschossen, bis sie selbst von einer feindlichen Kugel gefallen ist. Man erzählt noch von anderen Mädchen, die im persönlichen Kampf als wahre Heldinnen und durch ihr Beispiel die Männer begeistert haben.»[14]

Diese SchiIderung bezieht sich zwar auf den Aufstand in Dresden im April 1849, doch ähnliches wird berichtet von den revolutionären Kämpfen in Mainz, Wien, Berlin und anderswo. Da ist die Rede von einer Aufrührerin in Bruchsal, die «in einer einstündigen Rede das Volk zur Empörung und Lossagung von Gesetz und Ordnung»[15] aufrief, oder von «kecken Frauen» in Konstanz:

 «Mitten auf den Straßen, an den Ecken der Häuser, wurden Standreden gehalten, für und wider gesprochen, Briefe und Flugschriften vorgelesen, und kecke Frauen waren unerschöpflich an Witz und Spott über die Schläfrigkeit und den Hosenschlotter gewisser Männer.. .»[16]

Vielfältig und bunt waren die Formen des Widerstands und der politischen Meinungsäußerung, die insbesondere Frauen in ihrem Alltag erprobten, denn diese Revolution, die keine Guillotine kannte, bei der überhaupt — wie die Geschichtsschreiber bemerkten[17] — verhältnismäßig «wenig Blut floß», war um so reicher an symbolischen Handlungen und widerständigen Bedeutungen.[18] Der erste Akt, zu dem sich die Regierungen des Deutschen Bundes gleich Anfang März als Antwort auf die Unruhen genötigt sahen, war die Anerkennung von Schwarz-Rot-Gold als Bundesfarben. Als oppositionelle Kennzeichen der Burschenschaften waren sie nun Ausdruck eines neuen nationalen und demokratischen Selbstverständnisses. Es lag daher für politisch denkende Frauen jener Zeit auf der Hand, diese Farben auch modisch zu verwenden bei Bändern, Haarputz und Schals oder auch Briefbögen mit diesen Farben zu verzieren.[19] Als Demonstration galt auch das Anstecken roter Nelken und roter Schals oder das Tragen von Trauerkleidern «um das Vaterland». Die Gräber von Freiheitskämpfern wurden seit dieser Zeit besonders von Frauen auch in der Arbeiterbewegung gepflegt. Daß dieses Bekennertum eindeutig politisch verstanden wurde, wird daran deutlich, daß diese anscheinend harmlosen Handlungen mit dem Scheitern der Revolution zunehmend verfolgt und bestraft wurden:

«In Husum wurden mehrere Dienstmädchen und einige Bürgersfrauen mit Wasser und Brot auf 5 Tage bestraft, weil sie trotz wiederholentlich eingeschärften Verbots die Gräber der gefallenen <Insurgenten> daselbst mit Blumen und Kränzen geschmückt haben.»[20]

Formen weiblichen Widerstands

Eine besondere Form weiblichen Widerstands waren Aufrufe zum Frauenstreik, auch zu Liebes- und Heiratsverweigerungen, die in ihrer Radikalität beunruhigen mußten und — wohl deshalb — in zahlreichen Journalen abgedruckt und kommentiert wurden.[21] Diese Aufrufe provozierten Widerspruch und Spott — auch von Seiten königstreuer Frauen. Das wirksamste Mittel gegen die Vernunft der Frauen war schon damals der Versuch, sie lächerlich zu machen:

«Dies (dieser Streik) könnte allerdings einen großen Teil der Männer für die Republik gewinnen, wenn man nicht wüßte, daß diese so eifrigen Verteidigerinnen der Republik lange schon über die Zeit der Jugend hinaus sind und jetzt nur darum für die Republik sich wärmen, weil sie in den letzten zwanzig Jahren unter den Monarchisten keinen fanden, der sich um Herz und Kuß bei ihnen bewarb.»[22]

Doch es wäre falsch anzunehmen, die deutschen Frauen hätten mehrheitlich auf der Seile der Revolution gestanden. Die politisch engagierten beklagten immer wieder die Gleichgültigkeit und Lauheit, den «Indifferentismus», wie sie es nannten,[23] sowie die mangelnde Bildung und politische Engstirnigkeit der meisten Frauen. Woher sollten sie auch politische Einsichten gewinnen, wenn sie mit Gewalt und mit Hilfe von Gesetzen und Konventionen auf ihre häusliche Rolle und Unterordnung hin erzogen wurden?

«Was es damals für Frauen bedeutete, auf öffentliche Versammlungen zu gehen, läßt sich nur ermessen, wenn die praktischen Schwierigkeiten mitbedacht werden, die dem öffentlichen Auftreten entgegenstanden.»...
«Ein wesentliches Hemmnis in der politischen Betätigung begann bereits zu Hause: beim Ankleiden... Im Unterschied zu den Unterschichtfrauen, die sich von Berufs wegen bei Wind und Wetter draußen bewegen mußten, war die Kleidung der bürgerlichen Frau auf den Sommer und auf schönes Wetter ausgerichtet. Gegen Regen schützte nur eine unelegante Pelerine. Und sowohl der aus England importierte Kaschmir-Schal als auch die. billigeren Wollumschlagstücher der schlichten Bürgerin waren eher ein Provisorium, als dazu geeignet, vor Kälte zu schützen.»[24]

 Deshalb entschied oft das Wetter über die politische Partizipation der Frauen. Da verwundert es nicht, daß jene 48-erinnen besonderes Aufsehen und Empörung erregten, die sich wie Emma Herwegh, Amalie Struve oder Mathilde Franziska Anneke und Louise Aston  als Freischärlerinnen, auch «hoch zu Roß», unmittelbar an den Kampfhandlungen beteiligten. So mißverständlich dieses «Amazonentum» uns Nachgeborenen heute auch vorkommen mag, das — wie selbst Clara Zetkin spottete — «mehr Kostüm als Tat» war,[25] die Bedeutung dieses Auftretens für ein neues Frauenbild und eine andere, selbstbewußte Identität ihrer Zeitgenossinnen ist nicht zu unterschätzen. Denn noch während des ganzen 19. Jahrhunderts hat die angebliche Fehdeunfähigkeil der Frauen, d.h. ihre mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft (?), Krieg zu führen, allen Juristen und Staatsmännern als hinreichende Begründung dafür gedient, Frauen  nicht als gleichberechtigte Staatsbürger anzuerkennen. Und schon damals fand das Erscheinungsbild dieser Frauen, ihre provozierende «Unweiblichkeit» mehr Interesse als ihre demokratischen Motive oder gar ihr lebensgefährlicher Einsatz für politische Ziele. So las man am 5. Mai 1848 in der «Karlsruher Zeitung»:

«Frau Herwegh erschien einigemal in Männertracht und zwar in spanischem Kostüm von blauem Samt mit weiten Beinkleidern, hohen Stulpenstiefeln und weißem Schlapphut. Natürlich fehlten hierbei nicht die Pistolen im ledernen Gürtel. Die Amazone drückte ihren Unmut über die gut getroffenen militärischen Maßregeln und über die Treue der Soldaten, deren Eid ihnen heilig und kein leerer Wahn ist, bei verschiedenen, öffentlich gehaltenen Reden heftig aus, bis sie zuletzt mit ihrer Rede- und Verführungskunst scheiternd, ebenfalls die Flucht ergriff...»

Der Steckbrief gegen E. Herwegh in der «Karlsruher Zeitung» lautete:

«Haare blond, Gesichtsform oval, Gesichtsfarbe blühend, Stirne hoch, Augen schwarzbraun, Nase gebogen, Mund klein, Zähne weiß, Kinn spitz. Sie spricht den Berliner Dialekt. Sie soll jüdischen Ursprungs sein.»[26]

Mehr Karikaturen als Informationen gibt es deshalb auch über die Frauen, die nun zum erstenmal auf insgesamt 200 Plätzen wenigstens auf der Tribüne der im Mai 1848 eröffneten Nationalversammlung als Zuschauerinnen zugelassen wurden. Das allmorgendliche Gedränge vor den Sitzungen des ersten deutschen Parlaments in der Frankfurter Paulskirche und auch das Interesse der «Damen» soll überraschend groß gewesen sein. Doch in dieser ersten Volksvertretung der Honoratioren und Gelehrten von «ungewöhnlich, ja, unerreicht geistigem Niveau»[27] kam niemand, wirklich niemand, auf die Idee, daß diese Volksvertreter auch Frauen sein könnten, ja daß wenigstens auch ihre Interessen zu vertreten seien. Verhandelt wurden die «Grundrechte» und das Wahlrecht «des deutschen Volkes». Doch das hieß nur die Rechte der über fünfundzwanzigjährigen männlichen Volksgenossen, und bitter mußten die Frauen sehr bald feststellen: «Wo sie das Volk meinen, zählen die Frauen nicht mit.»[28]

4. «Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen...» (Louise Otto)

Politische Frauenzeitschriften

Viele wichtige Informationen über die Frauen in der 48er-Revolution, über den weiteren Verlauf und das Scheitern des ersten grundlegenden Versuchs, eine soziale Demokratie in Deutschland zu etablieren, erfahren wir aus den nun zum erstenmal auch von Frauen herausgegebenen politischen Frauenzeitschriften. Nach der —allerdings nur vorübergehenden — Aufhebung der Pressezensur erschien eine Fülle neuer, oppositioneller, fortschrittlicher, insbesondere aber auch satirischer Zeitungen und Zeitschriften, z. B. auch der berühmte und freche «Kladderadatsch» in Berlin. Obgleich die Presse zunehmend wieder gegängelt und zensiert wurde, meldeten sich auch die Frauen zu Wort. Zu nennen sind:

  • Auf Mathilde Franziska Annekes Initiative hin entstand im September 1848 die «Neue Kölnische Zeitung», die sie zunächst gemeinsam mit ihrem Mann, Fritz Anneke, redigierte. Als dieser als angeblicher Anführer der Kölner Unruhen im Gefängnis saß, führte Mathilde, obgleich hochschwanger, die Zeitung allein weiter und gründete nach deren Verbot die «Frauen-Zeitung», die am 27. September 1848 zum erstenmal erschien. Das Programm der ersten Nummer aber zeigt, daß es sich eher um eine verdeckte Fortsetzung der «Neuen Kölnischen Zeitung» handelte als um eine ausgesprochene Frauenzeitschrift mit feministischen Zielsetzungen: «In die Verpflichtungen der beiden Männer (der vorherigen Herausgeber Fritz Anneke und Friedrich Beust) gegen Euch, geehrte Abonnenten, trete ich, ein Weib. Ich bringe Euch anstatt der Neuen Kölnischen Zeitung, die von heute, wie man mir erzählt, nicht mehr erscheinen soll, die <Frauen-Zeitung>. Begnügt Euch mit ihr, solange es geht; ich prophezeie ihr auch kein langes Leben — aber das schadet nicht —, ich trete wieder mit ihr ab von dem öffentlichen Schauplatze, auf den mich die Noth herausgefordert hat, in meinen stillen häuslichen Kreis.. .»[29]
    M. F. Anneke sollte, was ihre «Frauen-Zeitung» betrifft, recht behalten. Schon die dritte Nummer wurde beschlagnahmt und gar nicht mehr ausgeliefert.

Mathilde und Fritz Anneke schlossen sich im Frühjahr 1849 auf der Seite der Revolutionsarmee dem badisch-pfälzischen Feldzug an. Nach der Niederschlagung der Volkserhebung durch preußische Truppen trat das Ehepaar, das inzwischen zwei Kinder hatte, die Flucht an, die sie über Frankreich in die USA führte. Im Gegensatz zu ihrem Mann lebte sich Mathilde, die noch vier weitere Kinder bekam, relativ schnell in der Neuen Welt ein. Sie nahm Kontakt zur amerikanischen Frauenbewegung auf und wurde wieder schriftstellerisch tätig. Ab 1852 gab sie eine «Deutsche Frauen-Zeitung» heraus, in der sie sich für ein freies und gleiches Staatsbürgertum der Frauen einsetzte. Außerdem unternahm sie ausgedehnte Vortragsreisen, besuchte zahlreiche Frauenkongresse und gründete 1865 in Milwaukee eine Mädchenschule, die sie bis zu ihrem Tod am 25.11.1884 leitete. Zu Recht gilt sie als eine der Pionierinnen der amerikanischen Frauenrechtsbewegung.

  • Nach ihrer Teilnahme als Freischärlerin im deutsch-dänischen Krieg, bei dem sie sich eine Schußverletzung der Hand zugezogen halte, gab Louise Aston vom 1. November bis zum 16.Dezember 1848 in Berlin die Zeitschrift «Der Freischärler. Für Kunst und soziales Leben» heraus. Das insgesamt in nur sieben Nummern erschienene Blatt kommentierte den Kampf um Verfassung und Demokratie unverblümt und ließ auch die braven Emanzipationsvorstellungen des «Demokratischen Frauenklubs» unter der Leitung von Lucie Lenz in Berlin nicht ungeschoren, sondern spöttelte über seine «Frauenhemdenverfertigungsmanufaktursubscriptionschöpfungen und dergleichen». Ihre Berichterstattung über den Schleswig-Holstein-Feldzug, insbesondere ihre heftigen Angriffe gegen den preußischen General von Wrangel, der im Auftrag des Deutschen Bundes für den Anschluß Schleswig-Holsteins an Deutschland kämpfte, führten zum schnellen Verbot der Zeitschrift und zu ihrer erneuten Ausweisung aus Berlin.

Louise Aston schrieb noch zwei Romane: «Lydia» und «Revolution und Conterrevolution». Dieses ihr letztes Werk, bereits 1849 erschienen, ist der einzige 48er-Revolutionsroman, geschrieben aus der Perspektive einer politisch aktiven Frau. In der Folge begann für die politisch unliebsam gewordene Frau eine richtige Odyssee. 1850 heiratete sie den Bremer Arzt Daniel Eduard Meier, der wegen seines radikal-demokratischen Engagements, aber auch wegen der «skandalösen» Vergangenheit seiner Frau 1854 seine Stelle als Oberarzt in Bremen verlor. Beide verließen Deutschland, zogen bis nach Rußland, wo Meier am Krimkrieg teilnahm. Weitere Stationen waren Polen, Österreich und Ungarn. Louise Aston starb 1871 in Wangen im Allgäu.

  • Ab Januar 1849 brachte Louise Dittmar, eine bis heule weitgehend unbekannte Feministin und Philosophin — von der nicht viel mehr als ihre Lebensdaten (1807—1884) und ein paar Schriften bekannt sind[30] —, in Leipzig vier Hefte ihrer Zeitschrift «Soziale Reform» heraus. Das Programm dieser Monatsschrift war ebenfalls «vorzugsweise weiblichen Interessen» gewidmet, jedoch «mehr auf philosophischem Gebiet»?[31] Das hieß keineswegs, daß hierin eine weniger deutliche Sprache gesprochen wurde. Im Gegenteil, die Artikel sind sehr grundsätzlicher Art und behandeln — früh feministisch — den engen Zusammenhang zwischen privater und politischer Gewalt. Interessanterweise finden sich auch mehrere Aufsätze über die Französische Revolution und insbesondere über Charlotte Corday, die Mörderin Marais, die als Heldin gefeiert wird.[32] Andere Themen waren: die Monarchie, die männliche Bevormundung, das Wesen der Ehe u. a.

«Der Mann ist der Fürst des Weibes, der absolute Monarch, der unumschränkte Gebieter in ihrem Bereich; nicht einmal die Scheinrechte der konstitutionellen Phraseologie sind auf das Weib anwendbar... Arm und rechtlos, gesetzlich und grundsätzlich unterdrückt, physisch zum Kampfe ungeeignet, geistig verwahrlost, in ihren Rechtsgründen nicht rechtsgültig, in ihren Mitteln beeinträchtigt, verhöhnt, verspottet, mit allem Gewicht einer ihr feindlichen Lebensmoral verdrängt und verfolgt - wo soll sie die Kräfte sammeln, wo pflügen und säen ohne Land? Wächst ihr ein Saatfeld auf der flachen Hand? Und dennoch wird sie pflügen und säen und erndten tausendfältig, wie noch kein Arbeiter im Weinberg des Herrn!»[33]

  • Das wichtigste Dokument und Sprachrohr der Frauen um 1848 ist die «Frauen-Zeitung», von Louise Otto herausgegeben unter dem Motto «Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen». Sie erschien wöchentlich, enthielt auf ihren acht Seiten politische Kommentare, Nachrichten und Korrespondenzen, vorwiegend von Schreiberinnen aus vielen Städten des Deutschen Bundes, sowie Abhandlungen zu frauenspezifischen, ja feministischen Themen neben sog. Novelletten oder Gedichten mit sozialkritischer Tendenz. Beinahe am interessantesten ist auch hier das Kleingedruckte: Im «Blick in die Runde» finden sich viele wichtige Informationen über Fraueninitiativen und Frauenvereine und die neue Art und Weise, in der Politik nun ihren Alltag und ihre Arbeit bestimmte.

 

Als die «Frauen-Zeitung» am 21. April 1849 mit ihrer ersten Nummer erschien, war der revolutionäre Elan der Märzbewegung bereits durch die Gegenwehr der reaktionären Mächte gebrochen. Zwar hatte das Frankfurter Parlament Ende März 1849 endlich die Reichsverfassung verabschiedet. Doch die mühsam errungene «kleindeutsche» Lösung unter der Führung Preußens war nach der Ablehnung der Kaiserwürde durch den preußischen König am 3. April praktisch nicht durchführbar. Es folgte die Abberufung der parlamentarischen Vertreter aus der Paulskirche und bald darauf auch die Auflösung des sog. Rumpfparlaments der übrig gebliebenen Linken in Stuttgart. Die Volkserhebungen, die im Mai 1849 zuerst in Sachsen (insbesondere auch am Verlagsort durch den Dresdener Aufstand), dann in Württemberg und in der Pfalz losbrachen, waren der verzweifelte Versuch, die demokratischen und sozialen Ziele der Revolution zu retten. Doch sie wurden von den inzwischen erstarkten Mächten und ihrem Militär — zuletzt am 23. Juni in der lange verteidigten Festung Rastatt — blutig niedergeschlagen.

Die Zeitschrift der L. Otto spiegelt diese Entwicklung, das Bangen, die Hoffnungen, schließlich die Enttäuschungen und Verfolgungen auch von Frauen, also das Scheitern der Revolution. Welche politische Rolle die Presse von Frauen in diesem Zusammenhang gespielt hat, daß sie als gefährlich oder subversiv von den Regierenden eingeschätzt wurde, ist daran abzulesen, daß als erste Maßnahme der Reaktion auch in Sachsen extra ein Gesetz, eine «Lex Otto» verabschiedet wurde, wonach von nun an, wie in allen anderen Bundesstaaten, Frauen die verantwortliche Redaktion oder Herausgabe einer Zeitschrift verboten wurde. L. Ottos sarkastischer Kommentar:

«Während in unzähligen Gesetzen im allgemeinen >Personen< oder >Staatsangehörigen< oder gar <Untertanen> die Rede ist und es nun meist dem Brauch oder Herkommen überlassen bleibt, ob darunter nur Männer zu verstehen sind oder auch Frauen, enthebt uns der vorstellende Paragraph (des Pressegesetzes) jeder weiteren Frage... Wir loben diese Bestimmtheit und wünschten nur, daß sie sich in allen anderen Gesetzen fände. Denn wir machen uns niemals Illusionen. Wir wissen, daß die Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz bis jetzt noch nicht existiert, was man auch fabeln möge, wir wissen, daß die Gesetze, welche im allgemeinen von <Staatsbürgern> handeln, höchst willkürliche Auslegungen finden in bezug auf die Staatsbürgerinnen, daß diese in dem einen Fall als solche anerkannt werden und mitzählen, im anderen hingegen als gar nicht existierend betrachtet werden, und dies alles infolge einer schweigenden Übereinkunft.»[34]

Durch Verlegung des Verlagsortes von Dresden nach Gera in Thüringen, wo noch kein Presseverbot für Frauen bestand, gelang es L. Otto, die Zeitschrift noch in zwei weiteren Jahrgängen herauszugeben. Nach eigenem Urteil hatte sie auf diese Weise «eine harmlose Zeitung aus dem allgemeinen Schiffbruch gerettet»[35] Möglicherweise war dies aber auch nur eine Schutzbehauptung, denn trotz des gemäßigteren Tons mit versteckten Bildern und Anspielungen blieb sie in der Sache ihren demokratischen und feministischen Anliegen treu. So schrieb sie im November 1851 in einem «Offenen Brief an einige Mitarbeiterinnen und Leserinnen der Frauen-Zeitung»:

«Es ist ein anderes, im Tatdrang und Sturm der bewegten Zeit auch mitzureden, zu schreien, auch nach Tat zu dürsten und aufzulodern zu großen Entschließungen und Bestrebungen — oder im Sklaventum einer kleinen Zeit auch noch mit gefesselten Händen, kaum bemerkt und dennoch verfolgt, rastlos fortzuarbeiten - und wenigstens mit den Ketten zu klirren, die man nicht lösen kann. Dies ist jetzt die Aufgabe unserer Zeitung und aller, die ihr mit mir treu, geblieben sind. Aushalten! ist unsere Losung.»[35]

5. «Assoziation für alle!» (Louise Otto)

Eng verbunden mit dem Scheitern der 48er Revolution ist auch das Schicksal der ersten politischen Frauenvereine in Deutschland, die als An lang einer organisierten Frauenbewegung zu verstehen sind. Nur so ist zu erklären, daß diese organisatorischen Anlange der deutschen Frauenbewegung wieder ausgelöscht, ihre Spuren und Quellen zum größten Teil verschüttet und damit auch aus der historischen Erinnerung völlig verdrängt wurden. Erst allmählich und mühsam, insbesondere durch das Studium der Presse, der Frauenpresse, gelingt es, sich ein Bild von der Vielzahl und Arbeitsweise der Frauenvereine um 1848 zu machen.[37]
Schon vor dem «März» gab es in Deutschland Frauenvereine. Sie waren in den Befreiungskriegen gegen Napoleon entstanden, als Frauen, angeführt von der preußischen Königin Luise, aus patriotischer Gesinnung Lazarett- und Wohltätigkeitsvereine gründeten. Neu an den Vereinigungen von 1848 war ihre politische Zielsetzung, die schon in der Bezeichnung «demokratische Frauenvereine» zum Ausdruck kommt. Gewiß ist der Schritt zur Vereinsgründung nicht ohne den allgemeinen Zug der Zeit zum Vereinswesen zu verstehen und bildete, wie sich zunehmend in den Fraktionen der Paulskirche zeigte, die Vorstufe zu politischen Parteien. Dennoch war eine derartige Initiative für Frauen in der nur von Männern dominierten Öffentlichkeit in jedem Fall ein persönliches Wagnis, das Mut und Organisationstalent erforderte.

«... lassen wir uns aber durch das Geschrei der alt alt Hergebrachte) festhängenden Menge über Emanzipation nicht irre machen, verlieren wir den Mut nicht, wenn man uns lächerlich zu machen sucht, sondern legen wir kräftig Hand an, um die veralteten Schranken niederzureißen... Viele werden mir entgegenhalten, daß es in diesen unruhigen Tagen nicht an der Zeit sei, solche Neuerungen und Reformen zu beginnen, doch ich halte die Jetztzeit gerade für die passendste, weil die Not der Arbeiterinnen jetzt einen so hohen Grad erreicht hat, daß Zögerung Sünde wäre... »[38]

Für die einen war die soziale Not und der Gedanke der «Assoziation für alle» das Hauptmotiv für die Vereinsgründung, für die anderen die Einsicht in die Notwendigkeit politischer Einmischung. Unter der Vielzahl der Initiativen und Zusammenschlüsse, die, wie die Frauen träumten, bald wie ein «diamantener Gürtel das ganze Vaterland umgeben» sollten, lassen sich in etwa drei Typen unterscheiden.

Demokratische Frauenvereine

Die demokratischen Frauenvereine führten in der Rege] den Zusatz «zur Unterstützung hilfsbedürftiger Familien». Obgleich diese Frauenvereine auf den ersten Blick wie traditionelle Wohltätigkeitsvereine wirkten und mit zunehmender Behinderung durch die Reaktion zur Tarnung auch so wirken wollten, waren ihre Ziele doch politische, ja ihre Mitglieder verwahrten sich ausdrücklich dagegen, nur «Wohltätigkeit» zu üben. Denn sie nahmen mit ihrer praktischen Hilfe Partei für die Aufständischen, die «Freiheitskämpfer» und «Vaterlandsfreunde», nach der Niederschlagung der Revolution für die politisch Verfolgten, die Flüchtlinge und ihre Angehörigen. Sie finanzierten ihre Hilfe durch Vereinsbeiträge oder Spenden, die durch öffentliche — oftmals verbotene — Veranstaltungen (durch Konzerte, Bazare oder sog. Banquette) aufgebracht wurden, und hatten daher bei Erstarken der Reaktion mit zunehmenden Repressalien zu rechnen. So wurde Mitte April 1850 von dem überaus regen Dresdener Frauenverein berichtet:

«Das Verbot der Versammlungen des <Frauenvereins für hilfsbedürftige Familien> ist bereits keine Neuigkeit mehr... Man geht jetzt so weit, nicht nur Vereine, sondern auch einzelne. Personen zu überwachen und sie für alles, was sie reden und tun, wenn es nicht ganz ultramontan, reaktionär oder schwarz-gelb ist, verantwortlich zu machen.»[39]

Ein anderer, für kurze Zeit sehr erfolgreicher Frauenverein dieser Arlt war der Mainzer «Frauenverein Humania» unter seiner rührigen Präsidentin Kathinka Zitz, geb. Halein. Ihr war es zu verdanken, daß der Verein in kürzester Zeit rund 1700 Mitglieder zählte, und zwar — so wird betont — «jeglichen Standes»[40] In zwei gefährlichen Reiseunternehmungen brachte K. Zitz ihre Hilfsgüter persönlich zu den Gefangenen in den badischen und pfälzischen Festungen und zu den Flüchtlingen in der Schweiz und verhandelte mit dem Kommandanten der Festung Rastatt über eine Sendung «Leibweißzeug» (= Unterwäsche) für die Gefangenen. Doch auch

«der demokratische Frauen-Verein in Mainz teilt(e) das Schicksal der meisten derartigen Frauenvereine. Früher bestand er aus  1700 Mitgliedern, später, als Kathinka Zitz das Amt der Präsidentin niedergelegt hatte, schmolz er auf 200 zusammen, und jetzt ist er so gut wie aufgelöst, da in Hessen alle politischen Vereine verboten sind.»

Frauenbildungsvereine

Andere Frauenvereine hatten vorrangig die Erziehung und Fortbildung der Frauen und Mädchen zu ihrem Vereinszweck gemacht. Denn die Parole «Wissen ist Macht» mußte gerade auch die bürgerlichen Frauen, die bisher von aller Bildung ausgeschlossen waren, überzeugen. Sie kritisierten ihre Erziehung und die «Redensart von der weiblichen Bestimmung», die schuld daran sei, daß die Frauen «nur bei verschlossenen Türen» von der Freiheit «flüstern».[42] Der profilierteste Verein dieser Art hatte sich in Hamburg gebildet. Getragen von der Hamburger «Freien Gemeinde», einer oppositionellen deutsch-katholischen Bewegung, die sich auch um die Verständigung mit den anderen Konfessionen bemühte und die Gleichberechtigung der Frauen praktizierte, gelang es dem Frauenverein unter der Leitung von Emilie Wüstenfeld, eine Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht einzurichten und bis zu ihrem Verbot Anfang 1851 erfolgreich zu erproben.
Rektor der Hochschule war Professor Karl Fröbel, der Neffe des Begründers der Fröbelschen Kindergärten, ihre berühmteste Dozentin Malwida von Meysenbug. Diese Lehranstalt, die als Pensionat mit angegliedertem Kindergarten theoretische und praktische Ausbildung ermöglichte, wollte «die ökonomische Unabhängigkeit der Frau möglich machen durch die Entwicklung zu einem Wesen, welches zunächst sich selbst Zweck ist und sich frei nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten seiner Natur entwickeln kann».[43] Der Lehrplan umfaßte wissenschaftlichen Unterricht von der Philosophie über Sprachen bis zu den Nalurwissenschaften sowie praktische Übungen in Haushaltsgeschäften, Buchhaltung und erziehender Beschäftigung mit Kindern. Die Anerkennung der Mütter, ja aller Frauen als «Erzieherin des Menschengeschlechts», die neuen, im Sinne Fröbels geführten Kindergärten als Brutstätten demokratischer Opposition — diese Zielsetzung erklärt, warum auch die Fröbelschen Kindergärten 1851 vom Preußischen Kultusministerium wegen «destructiver Tendenzen auf dem Gebiet Religion und Politik» für fast neun Jahre verboten wurden.

Arbeiterinnenvereine

«Assoziation für alle, auch für die Arbeiterinnen», war das Zauberwort, das viele Märzinitiativen beflügelte und gerade auch von der neuen Bewegung unter den Frauen verbreitet und getragen wurde:

«Assoziationen für alle! es ist nicht genug, daß die Männer sich assoziieren, auch die Frauen müssen es tun; sie müssen entweder mit den Männern vereint handeln oder, wo die Interessen auseinandergehen, sich unter sich verbinden.»[44]

Es wird in der «Frauen-Zeitung» von verschiedenen Vereinigungen auch für Arbeiterinnen berichtet, z.B. von der Assoziation der Strumpfarbeiterinnen in Berlin oder der Schneider in Bielefeld, die auch Frauen zuließen. Doch offensichtlich ist das Assoziationswesen bis zum Erstarken der Reaktion über zaghafte Anfänge nicht hinausgekommen.
Die Arbeiterinnenvereine ereilte das Schicksal aller Frauenvereine: Seit der Mitte des Jahres 1850 waren sie zunehmenden Repressalien ausgesetzt durch Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen der Vereinskassen, Verhaftung der Vorstände. Schließlich wurden sie ganz verboten.
Wie sehr die Regierungen offensichtlich diese erste organisierte Bewegung von Frauen in Deutschland fürchten gelernt hatten, zeigt ihre repressive und reaktionäre Politik speziell gegenüber Frauen. Neben den schon erwähnten Pressegesetzen, die Frauen mundtot machten, wurden in allen Staaten des Deutschen Bundes 1850 Vereinsgesetze verabschiedet, die «Frauenspersonen» wie Minderjährigen nicht nur die Mitgliedschaft in politischen Vereinen, sondern sogar schon den Besuch politischer Versammlungen verboten. Diese gesetzliche Form politischer Entmündigung, diese prinzipielle Behinderung weiblicher Politik mit Hilfe von Gesetzen war mehr als ein halbes Jahrhundert (in Preußen und Bayern bis 1908) in Kraft. Sie hat die deutsche Frauenbewegung entscheidend geprägt und in ihrer Geschichte tiefe Spuren hinterlassen.

Lesetips

«Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen». Die Frauen-Zeitung von Louise Otto, hg. v. U. Gerhard, E. Hannover-Druck, R. Schmitter, Frankfurt 1979
Schwestern, zerreißt eure Ketten. Zeugnisse zur Geschichte der Frauen in der Revolution von 1848/49. hg. v. G. Hummel-Haasis, München 1982
Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, hg. v. C. Lipp, Moos, Baden-Baden 1986 )