Metaphern Lesbisch-Feministischer Identität

ODER
WIE WIR WERDEN, DIE WIR SIND

Inschrift am Eingangstor zu meinen Texten:

Meine Fragen mein Fundament
Ich habe zu sagen, was diese Texte sagen. Mit jedem greife ich eine Frage auf Eine der unzähligen, die sich mir stellen, wenn ich mich in dieser Welt bewege. Darin bewege ich mich und finde meine Fragen. Diese Funde sind mein Angebot.

Inschriften an den Haupttoren:

I Tun, was verdächtig ist
II Schaffen, was uns fehlt: Kulturelle Identität
III    Bizarre Spiegel
IV Lesben im Zeitalter der Telekommunikation
V Das Wagnis, sich als Lesbe zu kreieren
VI Warum ich Auslandskorrespondentin geworden bin
VII Annäherungen an den vielfachen Sinn unseres Begehrens
VIII Wie wir lernen
IX Jetzt sanft zu spinnen, wo ich wild sein will
X In Rissen heimisch
XI Verwandelt

Inschrift am Ausgangstor:

Gehütetes Wissen geteilt

Meine Sinne ahnen viel und verlangen alles / gehütetes Wissen, das nur teilend wächst, sich so vervielfacht. Eine Sprache, die freispricht, was in uns tobt, wird Berge versetzen. Die Magie dieser Wendung findet hier ihren Ursprung.

Inschrift am Eingangstor zu meinen Texten:

Meine Fragen mein Fundament

Ich habe zu sagen, was diese Texte sagen. Mit jedem greife ich eine Frage auf Eine der unzähligen, die sich mir stellen, wenn ich mich in dieser Welt bewege. Darin bewege ich mich und finde meine Fragen. Diese Funde sind mein Angebot.

I Tun, was verdächtig ist

im wald gehen und stehenbleiben, um einen baum zu umarmen, die rauhe rinde zu streicheln, sie sanft zu küssen.
in einem seminar sitzen / als referentin aufstehen / meinen vortrag halten / ein blick in die runde und: du könntest meine schwester sein, du, meine geliebte.
sympathie und begehren zeigen verbindungen - mir trauen. sympathie und begehren / leitfäden für meinen hunger. meinen hunger und darum meine sympathien, darum mein begehren ernstnehmen, mich ernstnehmen - mit leichtigkeit:

»ich mag dich"
oder
"ich begehre dich"
oder
"ich fühle mich zu dir hingezogen"
und
"ich teile etwas mit dir"
- was, das zeigt sich, wenn wir
sprechen.
und doch:
manchmal erkenne ich eine auf
den ersten blick -
und sprechend vergesse ich,
was ich schweigend wußte.

den mut entwickeln, zu sagen, was ich beim ersten blick weiß, das zu zeigen. den mut entwickeln, das nicht zu vergessen. mich auf die suche nach meinem ersten wissen machen.
meiner spur in die tiefe folgen.

ich spüre, ich mag dich.
mein spürsinn leitet mich.
so meinen sinn finden - mich.

Es ist, als hätte ich das Zentrum des Labyrinths verlassen und irrte jetzt durch undurchdringliches WirrWarr. Wie dahin zurückfinden?
Dahin, wo unverstellt pulsierte, die ich bin und unterwegs verlieren sollte. Anpassung über Anpassung. Vergessen über Vergessen. Verstellung über Verstellung. Fast reißt der Faden, der mich leitet. Mit jeder Anpassung, jedem Vergessen, jeder Verstellung bedrohlich mehr.

Jetzt küsse ich die Rinde sanft.
Nicht, ohne mich vorher zu vergewissern, daß mich niemand sieht, meine Aufmerksamkeit ablenkt, nüch so stört. Nicht, ohne mich selbst zu stören. mich vergewissemd.
Dann küsse ich die Rinde sanft.
Schnell manchmal zu schnell / verlasse ich sie, wenn jemand naht, meine Nähe zu stören.
Ein Kuß wie ein Augenblick / unverstellt sprachlos.
Ein Mann steht an einem Baum und pinkelt. Er läßt sich nicht stören, als ich vorbeigehe. Mein Kuß ist verdächtig / in dieser Welt.

Um zu mir zurückzufinden
Um zu werden, die ich bin
will ich spüren, was verdächtig ist, das tun.

SO

Den Momenten jene Bedeutung zurückgeben,
die ihnen genommen worden ist.
Dem Verlust mit Wachsamkeit begegnen.
So den Mangel sichtbar und gleichzeitig erträglich machen.
Sehen, wo die Lücken sind, die wir fiillen können - mit uns.
Die vielen Mängel kennen
und darum wissen, was uns fehlt.
Mir nur geben können, was ich brauche, wenn ich weiß,
was mir fehlt.
Grundlagenforschung betreiben. So.
Darauf bauen, was uns meint.
Eine Theorie davon - zunächst.

Leidenschaftlich visionär, wo mutige Analyse die vielen
Mängel offengelegt hat.

Niemals dem Trugschluß der Väter aufsitzen, der sagt,
ich hätte schon, was ich brauche. Nicht dem vieler Mütter.

Die Welt, nach der ich verlange, ist eine, die meine Brüste würdigt statt mich feilzubieten.
Ich werde sie mir selbst schaffen müssen, und ich tue dies als Lesbe. D. h., als eine, die sich in einer anderen, ihr gleichen, zu spiegeln versucht. Deine Brüste liebend liebe ich mich selbst.

Uns selbst jene Bedeutung zurückgeben, die mann uns genommen hat: Eine Identität der Würde und des Stolzes.
Eine machtvolle Identität.

II Schaffen, was uns fehlt: Kulturelle Identität

oder

Wenn wir uns treffen

wie oft aus dieser Zeit
heraus
in einen Raum größter Intensität
gefallen sein,
der um uns herum und in uns selbst
keine kulturelle Entsprechung
findet.

Darüber bin ich verZWEIfelt!
Das unstillbare Verlangen nach
dieser Intensität
macht mich zur Brückenbauerin,
die Verbindungen schaffen will, wo uns Verzweiflung spaltet.

Der große Hunger nach Identifikationsmöglichkeiten, wo uns der Alltag vor allem daran erinnern will, fremd zu sein.

Aufforderung genug, uns selbst Bilder zu schaffen, die uns meinen. D. h. zu sprechen, was nicht gesprochen werden darf. Zu sehen, was wir nicht sehen sollen. Zu erkennen, was uns fehlt und darüber zu formulieren, was und wohin wir wollen. Uns selbst eine Richtung geben!
Die, meine ich, fehlt uns bisher in vieler Hinsicht. Woran liegt das?
Mir scheint, an einer mangelnden Bereitschaft, sich einem schmerzvollen Prozeß der Enttäuschung anzuvertrauen.
Als Lesbe in einer Welt zu leben, die vorgibt, es gäbe uns nicht, ist eins. Das Andere, sich genau das anzusehen.
Meine Erfahrung ist diese: Nur wenn ich mich dem Schock, das zu sehen, ganz aussetze, werde ich aus meiner dumpfen Lähmung wachgerüttelt. Aus der dumpfen Lähmung wird ein stechender Schmerz, der nach Ausdruck verlangt: ob als Schrei oder schreibend, tanzend oder tobend, heulend oder klagend, singend oder malend dieser Schmerz vertreibt die Lähmung!
Ich behaupte: die bundesdeutsche Lesbenbewegung verharrt in genau dieser Lähmung. Entsprechend ist das, was als ihr Ausdruck nach Außen gelangt, meist eher verhalten als offensiv, eher farblos als schillernd, eher schal als würzig, eher feige als couragiert, eher langweilig als brillant, eher weinerlich als aufbegehrend, eher verschwommen als konturiert, eher richtungslos als zielstrebig und darum eher diffus als vielfältig.
Wo ich keine Antworten habe, wage ich zu fragen.
Sehen, daß ich nicht sattwerde an dem, was mir geboten wird. Spüren, daß ich mehr brauche. Sagen lernen, was es ist.

  • »Lesbische Feministinnen müßten Metaphern entwickeln, die es uns ermöglichen, uns selbst zu spiegeln, uns so zu stärken und entfalten... und das in einer Welt, in der wir angeblich nicht existieren - wörtlich und symbolisch. Wir brauchen Metaphern, die uns helfen, den Schock, das zu wissen, zu überleben.«[1]

Es gibt keine Identität ohne Symbole. Wir aber leben in einer "Welt der Väter" und deren Symbolflut.
Welche Möglichkeiten haben wir, uns angemessene Metaphern/Sinnbilder/Symbole zu entwickeln?

Für den Anfang: ich stehe auf weißem Boden und überlege - den Pinsel in der Hand - wie mein Bild aussehen soll. Die Farbe tropft und - ich erschrecke - ein großer purpurner Klecks. Aha, denke ich und lache. So geht das also. Ich weiß, dieser Klecks meint mehr von mir als alles das, was meine Väter sich in tausend Jahren über mich zusammenphantasiert haben. -

Die Väter sagen: Schuldig ist, die ihrer Samsa folgt - sie als SAMSARA begreift, als roten Faden, der sie durch die Lebenskreise leitet - mit instinktiver Sicherheit dahin führt, wo Verzückung wartet, die sie braucht, um weitergehen zu können. Schuldig ist, die ihre Kraftquellen kennt und sie nutzt - den Vätern zum Trotze sich nimmt, was sie stärkt. Und, nach den Geboten der Väter heißt es: die sich aus ihren eigenen Quellen nährt, sich lustvoll stärkt, macht sich schuldig. Die Frau diene der Lust des Mannes.

Aus der Quadratur der Väter in die Philosophie der Ovale eintauchen / ein Schock heilsam dann, wenn wir das, was wir dort gesehen und gespürt haben, in den Tag hineintragen, den die Väter regieren, heilsam dann, wenn wir Farben finden, die uns unsere Nächte im grellen Licht der Vater-Tage spiegeln. Dann heilend / von der Nacht in den Tag / Kreise malend, wo Kreise sind - nicht Uhrwerk, das die Nacht vom Tag trennt / mit einem Säbelhieb voneinander spaltet, was zusammengehört.

Was ich mir wünsche: Brückenbauerinnen, unendlich viele Brückenbauerinnen!

Jede Lesbe braucht diese Brückenbauerinnen existentiell: Kulturschaffende, Archäologinnen unserer verschollenen Weiblichkeit, Visionärinnen einer uns gemäßen Architektur.

Denn,
was wir in dieser Welt nicht mit Vielen teilen, wollen wir von der Einen und ersticken uns so / alles wollend / wo wir uns nicht alles das geben können, was eine gewachsene lesbische Kultur uns als Boden geben könnte, auf dem wir frei und unbefangen liefen, uns so träfen und voneinander lösten ... in ewigem Wechsel-Spiel.

Jede Lesbe braucht diese Brückenbauerinnen existentiell: jene, die das Vergessen erinnern, die Nacht in den Tag holen, ihr so Gewißheit verschaffen / für sich.
Denn: Verliert eine Lesbe im kulturlosen Raum ihre Geliebte(n), verliert sie ihre(n) einzigen Spiegel.

Jedes Lied, jedes Buch, jeder Film, der unsere Wahrnehmung und unsere Wirklichkeit spiegelt, ist ein unschätzbares Geschenk. Ein Geschenk, das uns helfen kann, unserem Wähnen Sinn zu geben, statt patriarchalem Wahnsinn zu verfallen. Ein Geschenk, das uns befähigt, Geduld mit uns selbst zu entwickeln, wo Lähmung verordnet war. Ein Geschenk, das Stärkung bedeutet und Aussicht auf Gelassenheit verspricht.
Jedes Lied, jedes Buch, jeder Film dieser unserer Art ist ein Schritt hin auf jene, uns so sehr fehlende Kultur. Und, jeder dieser Schritte ist ein Wagnis / so sehr wie jedes Zusammenkommen von Frauen in Offenheit Wagnis ist.

Denn / "Du kannst nicht schreiben »Frauen unter sich«,
ohne gegen die Schrift auf den patriarchalen
Mauern zu prallen, wo alle Gesetze eingemeißelt
sind, die uns von uns selbst trennen, die uns
von anderen Frauen isolieren."[2]

III Bizarre Spiegel

Mann klagt mich des Mordes an. Ich aber weiß, daß jener Mord, dessen mann mich anklagt, von den Anklägern selbst begangen wurde. Ich sage, was ich weiß und sage also: "Ihr wißt, was ich weiß. Ihr wißt, daß Ihr mich eines Mordes anklagt, den Ihr selbst begangen habt!"

Mann wird wütend, brüllt mich an.

Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Ich schweige, und mein Schweigen macht die Männer nur mehr rasend. Da lassen sie die Wände des Gerichtssaales zu Spiegeln werden, die unablässig Bilder zeigen, die ihre Anklage inszenierte Wirklichkeit werden lassen.

Gefangen in ihren Bildern - kann ich was tun?

IV Lesben im Zeitalter der Telekommunikation

oder:

Die Hintergründe patriarchaler Tele-Vision aus lesbisch-feministischer Sicht

In meiner Wohnung gibt es einen Fernseher, der nur zwei Sender schwarz-weiß empfängt. Der Fernseher schweigt die meiste Zeit, steht rot und still im Flur - ausgeschaltet, ausgestöpselt, nicht angeschlossen an das vielzitierte Kommunikationszeitalter. Und das, weil ich kommunizieren will.
Wenn die Bilder flimmern - selten - sehe ich, daß es mich nicht gibt. Ich sehe mich an und es gibt mich. Ich sehe die flimmernden Bilder, die mich verschweigen. Dann lasse ich den Apparat schweigen. Ich weiß, was ich weiß.
Dann setze ich mich hin und schreibe mir die Bilder, die ich gern gesehen hätte. Abenteuerliche Epen, die von Desdemona erzählen, die in der Übergangszeit daran gehindert werden sollte, ihre Geliebte zu finden. Desdemona, die in verschlungenen Mündern lebt, in felsigen Höhlen, die sie immer wieder an das erinnern, wonach sie sucht. Und Andro, jener Mann, der sie heiraten möchte, stellt ihr nach - bis vor die Höhlenschluchten.
Ihm gehört bereits das halbe Reich. Die Desdemonen hat er vertrieben, nur Desdemona ist geblieben. Er will sie, will sie ganz für sich, so liebt er sie, die letzte Desdemone, die geblieben ist.
Vor der Höhle schreckt er zurück, ruft ihren Namen hinein, und Desdemona lacht, lacht ihn aus: "Das halbe Reich hast zu erobert, meine Schwestern vertrieben und traust dich nun nicht in meinen Palast?!"
Andro tritt einen Schritt vor, zögert noch, geht weiter, tastet sich unsicher in die halbdunkle Wirklichkeit vor und versucht auszumachen, woher Desdemonas Stimme kommt die spricht und spricht.
Je weiter er sich vorwagt, umso dunkler wird es und umso deutlicher ist Desdemonas Stimme von allen Seiten zu hören.
"Ich dachte, Du seist die letzte!?" ruft er nach einer Weile. Er hat sich schon verirrt. "Und jetzt höre ich Euch alle!" Desdemona lacht und lacht, und ihr Lachen ist in allen Winkeln ihres Palastes zu hören. -
Diesen Film und wie er ausgeht, will ich nicht verraten. Will nur verraten, daß ich ihn nicht im ZDF gesehen habe, auch nicht in der ARD, nicht im Dritten und schon gar nicht in einem der Satellitenprogramme. Die möchten Desdemona bei Nacht zum "allzeit bereiten Sexhäschen" verkommen lassen, das nur auf Andro wartet, ihr gierige Augen zu machen in jenem künstlichen Dämmerlicht, in das er sie entführt hat, sich sicher zu fühlen, seine Schrecken vor ihr zu vergessen.
Wenn ich auf die Straße gehe, spüre ich die Blicke der Männer an mir haften. Sie haben Desdemona am Vorabend in künstlichem Därnmerlicht gesehen und sehen nun mich da. Ihre Augen gieren nach meinen Brüsten, und ich muß lachen, laut lachen, weil ich Andro in ihnen sehe, der am Höhleneingang steht und sich nicht reintraut. Ich bin eine Desdemone, weiß ich, und wenn ich lache, hört Ihr auch meine Schwestern lachen, die Ihr vertrieben habt. Und, ich sehe, wie Eure gierigen Augen plötzlich Schrecken zeigen und weiß, daß der Schrecken gleich nach mir schlagen will.
Ich verbringe meine Nächte mit Filmen, die Andro unter Verschluß legen ließ. So gut ich mich erinnern kann, schreibe ich sie auf. Wenn ich mich nicht entsinnen kann, treffe ich eine der wenigen Desdemonen, die geblieben sind. Und gemeinsam rekonstruieren wir das alte Skript.
An die Filmförderung wollen wir uns damit nicht wenden. Wir gründen einen eigenen Fond, der uns ermöglichen soll, diesen unseren Film zu drehen - irgendwann. Aber das Skript, erst muß das Skript fertiggestellt werden und - wir werden es fertigstellen.
Andro legt mir Steine in den Weg, wo er nur kann. Was mich tröstet: daß er in seinen Träumen die alten Filme sieht, die er vergessen will und doch nicht kann. Da trifft er mich in jener Höhle, aus dem ihm meine Stimme von überall entgegenschallt, in der er sich verirrt hat.
Andro und ich, wir arbeiten an unterschiedlichen Programmen. Wo er sich in Vergessen übt, will ich mich erinnern. Und, die Produkte seiner Vergessenssuche flimmern tagtäglich über alle Kanäle. Wo ich ihn nicht begehre, will er mich symbolisch und leibhaftig vernichten. Ich trage das Erbe der Desdemonen in mir. Und, wo eine lacht, lachen wir alle. Wo er mich vernichtet, bricht die Erinnerung in einer anderen wieder hervor. Dieses Wissen macht ihn toben.
Andro ist Intendant des ZDF, der ARD, aller Dritten und Satelliten-Programme. Er ist auch Bundeskanzler, Außenminister und Beamter auf Lebenszeit in allen Verwaltungsbehörden. Als Manager eines Multinationalen Konzerns hat er sich ebenso verdingt wie als Arbeiter und Angestellter eines mittleren Betriebes. Er ist Medienfachmann und Gentechnologe und arbeitet in allen Positionen an ein und demselben Strang. Das Vergessen soll perfekt gemacht werden!
Die Höhlen hat er schon vor vielen Jahren gesprengt oder chemisch ausräuchern lassen. Das Erbe der Ovale hat er zerschlagen und ein System organisierter Ecken an dessen Stelle gesetzt. Das Zeitalter der Tele-Kommunikation hat er ausrufen lassen, um mir auch die Sinne der Erinnerung zu sprengen und auszuräuchern.
Nur, der Fernseher schweigt die meiste Zeit, steht rot und still im Flur - ausgeschaltet, ausgestöpselt, nicht angeschlossen an Andros Kommunikationszeitalter.
Ich verbringe die Nächte mit jenen sieben Büchern, die mir geblieben sind. Sieben Bücher von sieben Desdemonen erinnert und aufgeschrieben. Es waren siebentausend. Und bis sie geschrieben sind, muß Andro in meinen Nächten schweigen. Bis sie geschrieben sind, will ich ihn ohne mich flimmern lassen.

V Das Wagnis, sich als Lesbe zu kreieren

Die Lesbe begibt sich in einen Raum, in dem patriarchales Rollenverständnis von Frau seine Gültigkeit eingebüßt hat.
Es gibt nur eine weibliche Rolle, die sich kein Mann ausgedacht, die kein Mann vorgesehen hat: die lesbische!
Für eine Lesbe gibt es kein Muster, keine Konvention, kein Rollenspiel, auf das sie zurückgreifen könnte.
Die Lesbe wird in einen Raum geschleudert, in dem noch alles möglich ist. Sie begibt sich in einen "regellosen Urzustand", der ebensoviele Gefahren wie Chancen in sich birgt. Und alles, was sie dort erlebt und dies - wie auch immer zum Ausdruck bringt, schafft jene notwendige Grundlage, die jede andere Lesbe zur kreativen Auseinandersetzung, zu solcher Identifikation einlädt.
Jede Bewegung, die eine Lesbe in diesem regellosen Raum macht, ist eine Bewegung hin auf die, die sie werden kann...

VI Warum ich Auslandskorrespondentin geworden bin

Auslandskorrespondentin wollte ich werden und war enttäuscht, als ich mich in einer Beziehung statt im Ausland wiederfand.
Also, wohin wollte ich reisen, worüber berichten, wenn nicht dahin und darüber.
Das Unbekannte ist das Eigene - für mich als lesbische Frau.
Mich kennenlernen, mich in Auseinandersetzung mit anderen lesbischen Frauen, mich in Nähe erleben und daran begreifen, wer ich jenseits der engen Grenzen eines vaterdiktierten Frauenbildes bin.
Immer wieder zieht es mich zu Chea mit spürbarer Kraft / obschon da gerade auch schmerzhafte Auseinandersetzungen warten.
Grenzen, die in mir gesetzt sind, Vater-Grenzen, gegen die ich pralle, wenn ich ihr nah sein möchte.
Grenzen in ihr, auch die.
Und, jede Annäherung, jeder Streit und jede Trennung ist eine Mutprobe, der Versuch, Kräfte in mir, in uns freizusetzen, die uns befähigen, eine nächste Grenze zu überschreiten.
Grenzen, die durch Angst markiert sind. Angst-Grenzen, die uns zeigen: bis hierher und nicht weiter. Aber, ich will weiter, weiter bis hin zu jenen verschollenen Zonen in mir, vor die die Väter - wohlweislich - Angstzäune aufbauen ließen, auch von Müttern aufgestellt / oft / in väterlichem Auftrag.
Hinter den Angstzäunen breiten sich Räume aus, wo Verfügbarkeit ein unbekanntes Wort und lesbischer Stolz allgegenwärtige Maxime geblieben ist.
Für meine Reise dahin brauche ich keinen Vater-Paß, für diese Reise brauche ich eine andere als mich, eine, die sich nicht schrecken, nicht beirren läßt, eine, mit der ich so weit gehen kann, den nächsten Angstzaun zu erreichen, eine, die so Angst wie ich - als Richtung begreift, der wir folgen müssen, um - sie überwindend unserem verschollenen lesbischen Stolz Schritt für Schritt näherzukommen.
In der Begegnung mit Chea stoße ich auf jene Grenzen, jene Angstzäune in mir, die mir zeigen, wohin ich gehen muß, wenn ich zu mir will.
Auslandskorrespondentin
wollte ich immer werden. Das Fremde zog mich magisch an. Unbekannte Weiten, die mich lockten, die ich sehen, spüren, mich in ihnen verlierend selbst gebären wollte. Jenen Vorstellungen von Fremde bin ich über Jahre gefolgt, in vielen Herren-Ländern reisend. Über das berichten wollen, was hier noch unbekannt ist. Und, ich begriff, da wie hier ist es das Eigene lesbischer Frauen, das unbekannt und fremd ist, verdammt, verdeckt und verraten.
In diesen Jahren bilde ich mich aus zu der, die ich immer werden wollte. Jeden Tag befasse ich mich mit Unbekanntem, jeder Schritt, den ich wage, ist ein Schritt auf uraltem, jedoch vergessenem und somit neuem Boden. Alles, was ich schreibe, erzählt von diesen Reisen in unbekannte Regionen. Mit dem Blick einer Fremden im eigenen Land bin ich im doppelten, im mir eigentlichen Sinn zur Auslandskorrespondentin geworden.
Ich berichte über jene in uns ausgelagerten Länder.
Die als vertraut dargestellten Räume waren mir seit jeher zu eng. Daher die alte Sehnsucht nach Weite, nach Anderem, nach mir Gemäßem.
Was mir als vertraut dargestellt wurde, blieb mir auf merkwürdige Weise fremd, und was ich mir als Fremde vorstellte, war mir eigentlich vertraut.
Aus dieser mir vertrauten Fremde erreichen mich Lockrufe, denen ich folge und über all das berichte, was ich dort erfahre.
Auf dem Weg dorthin überschreite ich Grenzen, die mann aufstellen ließ, um sie zu verleugnen. Für meine Berichte stellt sich so eine doppelte Aufgabe: zunächst muß ich glaubhaft vermitteln, daß es diese Grenzen tatsächlich gibt, um dann zu schildern, wie ich sie überwunden habe.
Wenn ich aus mir vertrauter Fremde zurückkehre in die vatergläubige Wirklichkeit, ist da kein Stempel in meinem Paß, der belegen würde, daß ich verreist bin und wohin. Und, eine Reihe vatergläubiger Lesben wie Nicht-Lesben steht kopfschüttelnd vor mir und gibt vor, nicht zu wissen, von welchen Grenzen ich spreche. Sie haben beschlossen, das Vater-Exil als Heimat zu nehmen.
Oft habe ich versucht, sie zu überzeugen, ihnen die Enge vor Augen zu führen, mit der sie sich zufriedenstellen, gegen die sie rebellieren müßten ... Und ebensooft ist Chea gekommen, hat mich bei der Hand gefaßt und gesagt: Komm, laß uns keine Zeit verlieren!
Mit ihr habe ich begriffen, daß ich achtsam sein muß, wem ich meine Aufmerksamkeit und Energie schenke, wenn ich die Kraft entwickeln will, zu werden, die ich bin: eine, die über das Eigene berichtet, das unsichtbar scheint, unbekannt, fremd.
In diesen Vater-Tagen mögen meine Texte (noch) Berichten aus einer anderen Welt ähneln...

VII Annäherungen an den vielfachen Sinn unseres Begehrens

Zwischen den Zeiten
berühren sich unsere Hände
fangen den Wind auf, der durch Jahrtausende
geweht kommt - namenlos

Wir sind mutig, uns für eine Lebensweise zu entscheiden, für die wir einen Namen wissen und tausend Gefühle haben, deren umfassende Bedeutung wir jedoch erst vage ahnen.
Die Enzyklopädie der lesbischen Leidenschaft wartet darauf, geschrieben zu werden. Die Intensität dieser Leidenschaft wird uns befähigen, ihre Komplexität, ihren vielfachen Sinn allmählich zu begreifen.

VIII Wie wir lernen

Die große Angst, einander als Frauen unser Begehren zu zeigen. Jene Prügel, die wir für uns selbst und füreinander bereithalten, wenn wir wagen, genau das zu tun.
Nichts ist schlimmer, wurden wir gelehrt, als uns selbst in der Andren - uns gleich wiederzuerkennen.

Nichts verlockender!
Nichts stärkender!

Nichts vernichtender als die strafenden Stimmen der Väter-Mütter, wenn wir unserem tiefsten Verlangen nachgeben!
Wo wir gerade noch an der Intensität unserer Blicke zu verbrennen drohten, erstarren wir plötzlich in fremder Kälte.

Wieviele Tode ist unser Begehren so gestorben?Dann gehen wir und verabschieden uns / jede in ihre Einsamkeit / warten wir, bis die Schläge auf dünner Haut heilen.

Wenn mit den strafenden Stimmen auch die Kälte schwindet / schimmert unter den Wunden die Erinnerung / vage das Bild wilder Blicke / faßt mich und will, daß ich wieder wage!

IX Jetzt sanft zu spinnen, wo ich wild sein will...

die buchstaben reichen nicht, den raum zu füllen, der sich mir öffnet, wenn ich mich öffne. und doch will ich mir die bilder malen / in jenen räumen / ungesehen / und doch da / fast vergessen / erinnert in blutroten träumen / will nür die bilder malen / schützende rahmen / in einer rahmenlosen welt / rahmenlos für diese bilder / noch ungemalt.

züngelnde flamme, die vulkane unter sich birgt / sie verspricht wohin willst du
mit dir
zu mir
raum finden / für uns
ich weiß, was wir verloren haben
weil es noch in mir ist
raumlos
die richtung dahin / sie ist geblieben
nicht weniger
genug, zu wissen, wohin ich gehen muß
meine münder sprechen diese sprache
wenn sie vergessen, was sie lernen sollten
oft schweigen sie / angsterfüllt
manchmal aus vorsicht / auch aus rücksicht
sprechen leise / züngeln vage / öffnen sich
mit behutsamkeit, die flüstert
wo uns der feste boden fehlt / spinn dir die fäden sanft
die sich mit mir verwehen / und lerne langsam laufen -
damit das netz nicht reißt
auf dem wir tanzen wollen, wenn unsere zeit gekommen ist

Die Zeit jetzt
Sanft zu spinnen, wo ich wild sein will

X In Rissen heimisch

nachdem es verboten worden war, die bäume zu schmücken, begaben sie sich in unterirdische höhlen. dort, unter weiten kuppeln, zeichneten sie ihr symbol. tanzend feierten sie, was sie wußten und schworen einander, es nie zu vergessen. in ihren berührungen lag ihre weisheit, die sie von berührung zu berührung weitergaben.
das war vor hundertwieviel jahren. die höhlen sind verschüttet, die bäume müde und gebrechlich und das verbot gilt noch immer / auch der schwur.
in mir häufen sich die worte, türmen sich auf ins unermeßliche. sie sprechen und versprechen viel und sprechen doch nicht meine sprache.
ich bin, die ich fürchte / wortlos bewege ich mich seit ewigkeiten / finde immer meinen platz / in der nacht mache ich mich in rissen heimisch.

XI verwandelt

wie die wolken in dieser nacht / unaufhörlich ziehen sie vorüber / winken nür, nützufliegen wohin auch immer!
wenn ich führe und fände, wohin ich ginge, in jeder stadt, in jedem land, in jedem brunnen, die ich brauche, gerade da / wie weit ich fliegen würde über alle meere hin zu mir!
das fell einer stute zwischen meinen schenkeln reibe ich mich jagend an ihr / wiehern wir gemeinsam / bäumen uns auf gegen jede zähmung.
purpurnes tuch an allen wänden verwandelt schmiegt es sich an sehnende haut / hände tasten sich suchend vor / sehen, wonach ich suche / blind.

Inschrift am Ausgangstor:

Gehütetes Wissen geteilt
Meine Sinne ahnen viel und verlangen alles / gehütetes Wissen, das nur teilend wächst, sich so vervielfacht.
Eine Sprache, die freispricht, was in uns tobt, wird Berge versetzen. Die Magie dieser Wendung findet hier ihren Ursprung.

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Lyrik