1456 Die Untersuchung in Paris und Rouen

Die Untersuchung beginnt im Dezember 1455 in Rouen, im Januar in Paris. Neunzehn Zeugen dort - von denen zehn bereits 1452 vernommen worden waren -, zwanzig hier. Sie werden im April und Mai erneut vorgeladen. Die Liste der Fragen wurde nicht zu den Akten genommen, aber sie läßt sich leicht rekonstruieren. Die Richter wollen über den Ablauf des Verurteilungsprozesses Klarheit haben. Alles andere kümmert sie wenig.
Über die militärische Tätigkeit, die zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung von geringer Bedeutung ist, kommen die beiden wichtigsten Beiträge von Mgr. Jean, Herzog von Alencon, damals zweiundfünfzig Jahre alt, und von Bruder Jean Pasquerel, Eremit der Augustiner, der Johannas Kaplan geworden war; er war ihrer Mutter 1429 auf der Walfahrt nach Puy begegnet. Der Herzog spricht vor allem von Johannas Sicherheit, die ihn in wunderbares Staunen setzte:

Da es dem Zeugen verfrüht dünkte, so schnell anzugreifen, sagte Jeanne zu ihm: »Habt keine Angst, jetzt ist die Stunde, da es Gott gefällt«, und daß man handeln müsse, wenn Gott es wolle: »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott«, sagte sie dann zu dem Zeugen: »Ah, lieber Herzog, hast du Angst? Weißt du nicht, daß ich deiner Frau versprochen habe, dich heil und gesund zurückzubringen?« Wahrhaftig, als der Zeuge seine Frau verlassen hatte, um mit Jeanne ins Feld zu ziehen, sagte seine Frau zu jener Jeannette, sie habe große Angst um ihn, denn er sei schon einmal in Gefangenschaft geraten, und man habe soviel Geld aufbringen müssen, um ihn loszukaufen, daß sie ihn arn liebsten gebeten hätte, diesmal zu bleiben. Da antwortete Jeanne: »Madame, habt keine Angst. Ich werde ihn Euch heil und gesund zurückbringen, genauso oder noch besser, als er sich heute befindet.«
Er sagt auch, daß Jeanne während des Angriffs auf die Stadt Jargeau zu Am weg ah m an einem bestimmten Platz stand, er solle sich von dort zurückziehen, sonst »wird diese Maschine dich töten«, und sie deutete auf eine Wurfmaschine, die in der Stadt aufgestellt war (mehrere Zeugen hielten Johannas Sachkenntnis auf dem Gebiet der Artilleriefür wunderbar). Er trat zurück, und kurz darauf wurde an eben der Stelle von der er sich gerade entfernt hatte, durch jene Maschine ein gewisser Mgr. du Lude getötet; der Zeuge bekam einen großen Schrecken und bewunderte Jeannes Worte sehr, die er als Vorhersagen deutete. Sodann ging Jeanne zum Angriff über und er mit ihr. Als die Kriegsleute angriffen, ließ der Graf von Suffolk ausrufen, daß er den Zeugen zu sprechen wünsche; doch er wurde nicht gehört, und sie stürmten weiter. Jeanne stand auf einer Leiter und hielt ihre Fahne in der Hand, die getroffen wurde, und Jeanne selber wurde von einem Stein am Kopf getroffen, der ihren Helm zerbrach. Jeanne wurde zu Boden gerissen; sich aufrichtend sagte sie zu den Soldaten: »Freunde, Freunde, auf, auf. Unser Herr hat die Engländer verdammt. In dieser Stunde sind sie unser; habt Mut!« Und in diesem Augenblick wurde die Stadt Jargeau eingenommen, die Engländer zogen sich auf der Brücke zurück: die Franzosen verfolgten sie; und bei der Verfolgung töteten sie mehr als elfhundert von ihnen.
(...) Viele von den Leuten des Königs hatten Angst und sagten, es wäre gut, Pferde vorzuschicken. Aber Jeanne sagte: »Im Namen Gottes, Ihr müßt gegen sie kämpfen; und sollten sie an den Wolken hängen, wir werden sie kriegen, denn Gott hat sie uns geschickt, damit wir sie bestrafen«, und sie versicherte, sie sei des Sieges gewiß: »Der gnädige König wird heute seinen größten Sieg erringen. Mein Ratgeber hat mir gesagt, daß sie alle unser sind.«
Auch Jean d'Alencon versichert, daß er im Feld manchmal zusammen mit Jeanne und den Soldaten auf dem Strohsack schlief Gelegentlich sah er, wie Jeanne sich herrichtete, und manchmal sah er ihre Brüste, die schön waren; dennoch hatte er nie ein fleischliches Gelüst nach ihr. [5]

Für den Kaplan zählt allein, daß Johanna auch in Waffen fromm blieb.
(...) gegenüber Gott und der himmlischen Maria; sie beichtete fast täglich und kommunizierte häufig ...
In Blois, auf dem Weg nach Orléans sagte sie dem Zeugen, er solle ihr eine Fahne machen und das Bild unseres gekreuzigten Herrn darauf malen lassen; was er auch tat. Unter dieser Fahne ließ Jeanne zweimal am Tag, morgens und abends, alle Priester versammeln; sie sangen Antiphone und Hymnen an die Jungfrau Maria, und Jeanne war unter ihnen; sie wollte nur solche Soldaten unter den Priestern dulden, die an diesem Tag gebeichtet hatten. (...)

Doch über Johannas Frömmigkeit hatte man schon viel gesprochen. Was die Anbetung betrifft, die ihrer Person galt, die Leute, welche die Hufe ihres Pferdes umfaßten und ihre Hände und Füße küßten, die Soldaten, die sie fast wie eine Heilige verehrten, und die guten Frauen, die Paternoster und andere Bildnisse brachten, damit sie diese berühre, so hörten die Richter ganz offenkundig lieber, daß sie darüber unmutig war oder lachte, wobei sie dem Zeugen sagte: »Berührt sie selber, denn sie sind ebensogut, wenn sie von Euch statt von mir berührt sind.« Und natürlich kam es niemandem in den Sinn, von auferstandenen Kindern zu sprechen. Die Fahne, soviel stehtfest, machte den Soldaten des Königs Mut, während sie die Engländer in die Flucht schlug. Aber wenn die Pucelle sie in Händen hielt, so deshalb, weil sie nicht töten wollte. Wenig Neues über ihren schönen Tod. Der beste Zeuge indes ist da, der Henker, der hochachtbare Mauger le Parmentier, Kleriker ... sechsundfünfzig Jahre alt, der Johanna die Folterwerkzeuge gezeigt hatte. Er präzisiert: im Feuer festgebunden, rief sie mehr als sechsmal: Jesus, und noch mit ihrem letzten Atemzug rief sie mit lauter Stimme: Jesus.
Über Johannas Unterwerfung unter die Kirche sind alle Vernommenen einer Meinung, außer Marguerie, der sich versteift: sie antwortete, daran erinnert er sich sehr gut, daß sie in bestimmten Dingen niemandem glauben würde, weder ihren Prälaten noch dem Papst, weil sie es von Gott habe. Bezüglich der Männerkleider wiederholt man zwei Dinge: dqß sie sie unter Zwang wieder anlegte, denn wegen der mit vielen verknoteten Schnüren befestigten Beinkleider war es schwieriger, sie zu vergewaltigen; und daß man sie deswegen nicht als Ketzerin hätte verurteilen dürfen.

Die Prüfung der Jungfräulichkeit

Neugieriger zeigten sich die Richter im Hinblick auf die Jungfräulichkeitsprüfung. Hat sie im Verlauf des Prozesses wirklich stattgefunden? Thomas de Courcelles sagt aus, er habe in den Beratungen nie sagen hören, daß Jeanne untersucht werden müßte, damit festgestellt werde, ob sie Jungfrau sei oder nicht, obgleich er es für wahrscheinlich hält, und er glaubt es, weil er den Herrn Bischof von Beauvais hat sagen hören, daß ihre Jungfernschaft erwiesen sei. Und er glaubt, wenn es anders gewesen wäre, so hätte man es im Prozeß nicht verschwiegen.

Für Jean Pasquerel besteht kein Zweifel; er weiß, daß man sie untersuchte, um zu erfahren, ob sie Mann oder Frau sei, und daß man sie als Frau erkannte, aber jungfräulich. Jean Monnet, Domherr von Paris, erinnert sich daran, weil man bei der Untersuchung bemerkte, daß Jeanne an den unteren Teilen durch das Reiten verletzt worden war.

Und Guillaume de La Chambre, Arzt, sagt aus, er habe damals gehört, daß man Jeanne untersucht hatte, um festzustellen, ob sie Jungfrau war oder nicht, und sie wurde als solche befunden. Der Zeuge weiß, daß sie unberührt und jungfräulich war, weil er es infolge der Kunst der Medizin festgestellt hatte und er sie, als er sie wegen einer Krankheit untersuchte, so gut wie nackt sah; er befühlte ihre Lenden, sie war sehr schmal, soweit er feststellen konnte.

Im Grunde geht es dem Gericht nicht so sehr um Johannas Jungfräulichkeit, sondern darum, ob die Richter des Verurteilungsprozesses ihr Amt gut versehen haben und alle erforderlichen Untersuchungen vornehmen ließen. Tatsächlich gilt der Kern des Verhörs in Paris und Rouen nicht der Person der Pucelle, ihren Worten und Taten, sondern der gerichtlichen Instanz, die das Urteilfällte. Und wenn man sich nicht bei der Absicht aufhält, den König von Frankreich in Verruf zu bringen, da sie offenkundig ist, so kommt man auf die Voruntersuchungen zurück. 7homas de Courcelles hat sie weder gesehen noch gehört, ebenso wenig Manchon und Guillaume Colles. Ein einziger sagt, er habe Wind davon bekommen, aber sie hätten nur Gutes über Jeanne erbracht.

Das Gefängnis

Eine der Fragen bezieht sich auf die Haftbedingungen. Man erfährt nichts Neues, außer von den beiden Ärzten:

Bezüglich ihrer Krankheit sagt der eine aus, daß der Kardinal von England und der Graf von Warwick ihn holen ließen (...) mit Magister Guillaume Desjardins, Magister der Medizin, und anderen Ärzten. Der Graf von Warwick sagte zu ihnen, daß Jeanne krank sei, wie man ihm berichtet habe, und beauftragte sie, sich ihrer anzunehmen, denn der König wolle um nichts in der Welt, daß sie eines natürlichen Todes stürbe; denn dem König lag viel an ihr, er hatte sie teuer gekauft, er wollte nicht, daß sie stürbe, außer durch Richtspruch verbrannt; sie sollten sie also mit Sorgfalt untersuchen und heilen. Der Zeuge und Magister Guillaume Desjardins gingen mit anderen zu ihr. Der Zeuge und Desjardins befühlten Jeannes rechte Seite und fanden sie fiebrig; darum beschlossen sie einen Aderlaß; sie teilten dies dem Grafen von Warwick mit, der zu ihnen sagte: »Nehmt Euch in acht bei dem Aderlaß, denn sie ist listig und könnte sich töten.« Trotzdem wurde sie zur Ader gelassen und ward sofort geheilt. Als sie geheilt war, erschien Magister Jean d'Estivet, der Jeanne beschimpfte; er nannte sie Hure und Dirne; Jeanne empörte sich darüber derart, daß sie erneut Fieber bekam und wieder in ihre Krankheit fiel. Nachdem dies dem Grafen zur Kenntnis gebracht war, verbot er d'Estivet, Jeanne künftig zu beleidigen.

Der zweite, Magister Jean Tiphaine, Domherr der Sainte- Chapelle zu Paris, hat nach der Ursache des Leidens geforscht:
(...) er fühlte ihren Puls und fragte sie, was ihr fehle und wo sie Schmerzen habe. Sie antwortete, daß der Bischof von Beauvais ihr einen Karpfen geschickt hatte, sie hatte davon gegessen und meinte, das sei die Ursache ihrer Krankheit. Da fuhr jener d'Estivet, der anwesend war, sie an und sagte, daß sie schändlich rede: »Du Hure, du hast Salzheringe und andere Dinge gegessen, die dir nicht bekommen.« Worauf sie antwortete, das hätte sie nicht getan. Und jene Jeanne und d'Estivet tauschten beleidigende Worte. Doch dann hörte er, da er mehr über Jeannes Krankheit erfahren wollte, von einigen Anwesenden, daß sie sich mehrmals erbrochen hatte. (...)

Aber auch für die Engländer interessiert sich das Gericht nicht mehr so stark wie 1452. Jedermann weiß, daß sie Johanna verbrennen wollten. Herr Aimond de Massy, Ritter, braucht nichts weiter darüber zu berichten, als daß der Graf von Ligny, der die Pucelle in ihrem Gefängnis in Rouen aufsuchte, zu ihr sagte:
Ich bin gekommen, um Euch gegen ein Lösegeld freizugeben, unter der Bedingung, daß Ihr versprecht, nie wieder gegen uns die Waffen zu erheben. Sie antwortete: »Im Namen Gottes, Ihr spottet meiner, denn ich weiß wohl, daß Ihr dazu weder den Willen noch die Macht habt«; diese Worte wiederholte sie zweimal, weil der Herr Graf darauf beharrte, und sagte weiter: »Ich weiß wohl, daß die Engländer auf mein Sterben aus sind, denn sie glauben, sie könnten nach meinem Tod das Königreich Frankreich gewinnen; aber auch wenn sie hunderttausend goddams mehr wären als jetzt, sie werden das Reich nicht haben.« Bei Auen Wnen wurde der Graf von Stafford sehr zornig und zog seinen Degen halb aus der Scheide, um Jeanne zu schlagen, aber der Graf von Warwick hielt ihn zurück.

Die Richter

Noch einmal: es gilt, den Prozeß zu annullieren: deshalb müssen die Richter, Beisitzer und Notare der Schlechtigkeit überführt werden. Über einige - die Toten steht das Urteil der Öffentlichkeitfest: Gott hat sich bereits an ihnen gerächt. So an dem Promotor d'Estivet, ein schlechter Mensch, der während des Prozesses immer darauf aus war, die Notare und jene, die er dem Gesetz entsprechend verfahren sah, zu schikanieren; er warf Jeanne viele Beleidigungen entgegen, indem er sie Hure, dreckiges Weib nannte. Der Zeuge glaubt, daß Gott ihn am Ende seiner Tage bestraft hat, denn er endete elendiglich: man fand ihn tot in einem Taubenschlag vor dem Tor von Rouen.
Derselbe Zeuge, der Notar Guillaume Colles, weiß mit Bestimmtheit, daß die Richter und die am Prozeß Beteiligten sich in den Augen des Volkes mit Schande bedeckten, denn als Jeanne verbrannt worden war, zeigten die Leute mit Fingern auf sie und wandten sich mit Abscheu von ihnen ab. Und ihm wurde versichert, daß alle, die für Jeannes Tod verantwortlich waren, einen scheußlichen Tod starben: zum Beispiel wurde Magister Nicolas Midi wenige Tage später von der Lepra befallen, und [6] der Bischof starb plötzlich, als er sich den Bart scheren ließ.

Doch einige leben noch. Jene gilt es zu vernehmen. Daher die Bedeutung der Aussage von Magister Thomas de Courcelles, Professor der heiligen Theologie, Bußprediger und Domherr von Paris, dessen Rolle bekannt ist. Man weiß bereits, daiß er die Voruntersuchungen nicht gesehen hat.

Er sagt auch, er erinnere sich gut, daß er in der ersten Beratung nie erklärt hat, daß Jeanne eine Ketzerin sei, wenigstens nicht ohne Einschränkung, es sei denn, sie hielte hartnäckig daran fest, sich nicht der Kirche zu unterwerfen. Und in der letzten Beratung scheint ihm, soweit er es nach bestem Gewissen vor Gott bezeugen kann, daß er gesagt hat, sie sei so wie früher, und wenn sie früher eine Ketzerin war, so sei sie es auch heute, aber niemals hat er mit Bestimmtheit behauptet, sie wäre eine Ketzerin. Er sagt auch, daß es in der ersten Beratung einen großen Streit gab und Meinungsverschiedenheiten, ob Jeanne eine Ketzerin genannt werden dürfe. Er versichert auch, daß er nie dafür gestimmt hat, Jeanne eine Strafe aufzuerlegen. (...) Er sagt, daß viele Beisitzer der Meinung waren, daß Jeanne in ein kirchliches Gefängnis gebracht werden müsse; aber er erinnert sich nicht, ob in den Beratungen darüber gesprochen wurde.
Auch an die Verhöre erinnert er sich nicht:
(...) Er sagt aus, er erinnere sich gut, daß nach mehreren Verhören einmal beschlossen wurde, die anderen vor wenigen Leuten durchzuf-ühren; aber er weiß nicht, wer das veranlaßte und in welcher Absicht; ihm scheint jedoch, daß Magister Jean de la Fontaine einer von denen war, die den Auftrag hatten, sie zu verhören ...
Was die Unterwerfung unter die Kirche betrifft, verweist er auf den Prozeß.

(...) Er sagt aus, daß man aus Jeannes Geständnissen und Antworten einen Auszug von zwölf Artikeln machte; wie ihm scheint, wurden sie aller Wahrscheinlichkeit nach von dem verstorbenen Magister Nicolas Midi verfaßt. Über diese zwölf Artikel wurde beraten. Doch weiß er nicht, ob man über Korrekturen beriet, noch ob sie korrigiert wurden. Er weiß lediglich, daß er Magister Nicolas Loiseleur mehrmals sagen höre, er habe in eher Verkleidung häufig mit Jeanne gesprochen, aber er weiß nicht, was er ihr sagte; doch sagte er dem Zeugen, daß er sich Jeanne als Priester zu erkennen gäbe. Er glaubt auch, daß erjeanne die Beichte abnahm.
(...) Gefragt, wer das Schriftstück der Abschwörung verfaßt hat, das im Prozeß enthalten ist und beginnt: »Du, Jeanne«, sage er, daß er es nicht weiß; er weiß auch nicht, wer es Jeanne verlas oder zu verstehen gab. Er sagt weiter, daß sodann in Saint-Ouen von Magister Guillaume Erard eine Predigt gehalten wurde; er selbst befand sich auf dem Gerüst, hinter den Prälaten; doch er erinnert sich nicht, was der Prediger sagte, nur an die Worte: »die Anmaßung dieser Frau«. Er sagt, daß der Bischof danach das Urteil zu verlesen begann; aber er erinnert sich nicht, was zu Jeanne gesagt wurde, noch was sie antwortete. Indessen erinnert er sich gut, daß Magister Nicolas de Venderès ein Schriftstück verfaßte, das begann: Quotiens cordis oculus; ob jedoch dieses Schriftstück im Prozeß enthalten ist, weiß er nicht. Auch weiß er nicht, ob er dieses Schriftstück in den Händen des Magisters Nicolas vor oder nach der Abschwörung der Pucelle gesehen hat, aber er glaubt, daß er es vorher gesehen hat. Er hat zwar gehört, daß einige Beisitzer mit dem Bischof sprachen, da er sein Urteil nicht zu Ende las und Jeannes Widerruf zuließ; aber an die Worte und wer sie gesagt hat, erinnert er sich nicht. [7]

Thomas de Courcelles hat ein kurzes Gedächtnis - vielleicht weil dieser Mann der Wissenschaft ehrlich ist und nur gestehen will, was er sicher weiß, auch weil er ehrenwert ist und es sich verbietet, seine Freunde zu belasten. Jean Massieu dagegen hat ein sehr gutes Gedächtnis. Woran sich die anderen nur undeutlich erinnern, hat er, fünfundzwanzig Jahre später, alles behalten; er kann jederzeit ganze Sätze wiedergeben, Szenen schildern, deren Details im Laufe seiner verschiedenen Verhöre immer genauer werden. 1431 hatte das Verhör, wie man sah, in Johannas Einbildung Formen entstehen lassen und gefestigt; auf die Erinnerung der Zeugen, die 1450, 1452 und 1456 vor Gericht erschienen, hat die Untersuchung die gleiche Wirkung. So sieht man, wie in den Köpfen der Richter und jener, die sie vorgeladen haben, ein allmächtiges Vorstellungssystem entsteht; es mag sich um einige Verzierungen bereichern, doch sein Gerüst gelangt zu solcher Festigkeit, daß keine neue Aussage es mehr zu erschüttern vermag. Zusammen mit dem Notar Manchon war Jean Massieu einer der aktivsten Erbauer dieser Konstruktion. Dieser beiden Zeugen bediente sich das Gericht bei seiner Aufgabe, den Angriff auf vier Hauptpunkte zu konzentrieren.

Nicolas Loiseleur

Die Inquisition verschmähte es nicht, dem angeblich Verderbten einen falschen Freund zur Seite zu stellen, der den Auftrag hatte, ihn zu verführen und zum Geständnis zu bewegen. Dieses allgemein übliche Verfahren schien legitim: der Zweck heiligte die Mittel. Johannas Jugend indessen erlaubte es, es in Frage zu stellen. Der verstorbene Nicolas Loiseleur wurde also schwer belastet. Einer der Zeugen sagte sogar, daß die heilige Katharina durch seinen Mund im Gefängnis gesprochen hatte. Die Richter schenkten dem Bericht von Guillaume Manchon große Aufmerksamkeit, der immer hartnäckig die französische Minute verteidigte.

Der Herr von Warwick, der Bischof von Beauvais und Magister Nicolas de Loiseleur sagten dem Zeugen und dem anderen Notar, daß sie Wunderbares über ihre Erscheinungen berichtete, und um die volle Wahrheit zu erfahren, sollte Magister Nicolas Loiseleur vorgeben, er sei von der Partei der Lothringer, zu der Jeanne gehörte, und dem König von Frankreich ergeben, er sollte in kurzem Gewand in das Gefängnis gehen, die Wachen sollten sich zurückziehen und sie allein lassen. In einer danebenliegenden Kammer war ein Loch angebracht worden; sie befahlen dem Zeugen und seinem Kollegen, sich dorthin zu begeben, um mitzuhören, was Jeanne sagen würde. jener Loiseleur begann Jeanne auszufragen, indem er Neuigkeiten über das Befinden des Königs und über ihre Offenbarungen erfand. Jeanne antwortete ihm in dem Haubeg daß er aus ihrer Heimat stamme und dem König ergeben sei. Als der Bischof und der Graf dem Zeugen und seinem Kollegen sagten, sie müßten diese Antworten aufzeichnen, antwortete der Zeuge, das dürfe er nicht tun, und es sei nicht anständig, den Prozeß auf diese Weise zu beginnen (1450 sagte er nichts dergleichen), aber wenn sie im Prozeß dasselbe sagen würde, wolle er es gern aufzeichnen. Er sagt, daß Jeanne großes Vertrauen zu besagtem Loiseleur hatte, so sehr, daß er ihr mehrere Male die Beichte abnahm und daß Jeanne nicht in den Gerichtssaal gebracht wurde, wenn sie nicht vorher mit diesem Loiseleur gesprochen hatte.

Die XII Artikel

Zweite Schwachstelle des Verfahrens: die Diskrepanz zwischen Johannas Antworten und dem Text der Anklage in zwölf Artikeln. Über diese Artikel hatte die Universität von Paris beraten, die man gern reinwaschen möchte. War sie nicht getäuscht worden? Manchon sagt aus, daß, lange bevor die in dem Prozeß enthaltenen Artikel verfaßt wurden, Jeanne viele Male verhört worden war und zahlreiche Antworten gegeben hatte; aus den Fragen und Antworten wurden nach dem Rat der Beisitzer jene Artikel zusammengestellt; das tat der Promotor, damit das verworrene Material in Ordnung gebracht werde; danach wurde sie über alle diese Artikel befragt; die Berater, die zumeist aus Paris gekommen waren, entschieden, man solle der Gepflogenheit gemäß von allen diesen Artikeln und Jeannes Antworten kurze Artikel anfertigen, die Hauptpunkte exzerpieren, um das Prozeßmaterial zusammenzufassen, damit besser und schneller beraten werden könne. Deshalb wurden diese zwölf Artikel angefertigt; aber der Zeuge hat sie keineswegs verfertigt, und er weiß nicht, wer sie zusammengestellt oder die Auszüge gemacht hat.
Gefragt, wie man so viele Artikel und Antworten auf zwölf Artikel zusammenziehen konnte, deren Form von Jeannes Geständnissen so sehr abweicht, daß man kaum versteht, wie so bedeutende Männer solche Artikel zusammenstellen konnten, sagt er, daß er glaubt, er habe in dem ursprünglich in französischer Sprache geführten Prozeß die Fragen und Artikel des Promotors und der Richter sowie Jeannes Antworten wahrheitsgetreu wiedergegeben; aber bezüglich der zwölf Artikel verweist er auf jene, die sie zusammengestellt haben; weder er noch sein Kollege hätten gewagt, ihnen zu widersprechen.
Ferner gefragt, ob er, nachdem die zwölf Artikel aufgestellt waren, diese mit Jeannes Antworten verglichen hat, um zu sehen, ob sie mit den Antworten übereinstimmen, sagt er, daß er sich nicht erinnert.
Die Artikel wurden ihm vorgelesen und gezeigt, und der offenkundige Unterschied klar erkannt; man zeigte ihm auch eine Notiz von seiner Hand. Guillaume Colles und Nicolas Taquel, Notare des Prozesses, wurden vorgeladen, damit sie diese vom 4. April 1431 datierte Notiz bestätigten; diese in französischer Sprache abgefaßte Notiz besagte ausdrücklich, daß die zwölf Artikel nicht gewissenhaft verfertigt worden seien und zum Teil sogar den Geständnissen zuwiderliefen und deshalb berichtigt werden müßten; man sah darin eingefügte Korrekturen, und manches war gestrichen worden; trotzdem wurden nicht alle Artikel nach dieser Notiz korrigiert. Deshalb fragte man die drei Notare, warum die Korrekturen nicht gemacht worden waren; wer das beschlossen hatte; und wie man sie ohne Korrektur in den Prozeß und das Urteil einfügte; und wie sie der beratenden Versammlung vorgelegt wurden: mit oder ohne Korrekturen? Der Zeuge und die beiden anderen Notare antworteten, daß diese Notiz von der Hand Manchons stamme; aber wer die zwölf Artikel verfaßt hat, wissen sie nicht.
(...) Sie meinen, daß die Artikel unkorrigiert von d'Estivet übermittelt wurden.
(...) Gefragt, ob diese zwölf Artikel Jeanne vorgelesen wurden, antwortet er: nein.
Gefragt, ob er keinen Unterschied zwischen diesen Artikeln und Jeannes Aussagen bemerkte, sagt er, daß er sich nicht erinnert, weil jene, die sie vorlegten, sagten, es sei üblich, derartige Artikel auszuziehen; der Zeuge hat nicht darauf geachtet und hätte auch nie gewagt, so bedeutende Männer zu widerlegen.
Ferner zeigte man ihm die Akte der Verurteilung, von ihm und den anderen Notaren unterzeichnet, worin diese Artikel enthalten sind; gefragt ob er diese Akte unterzeichnet hat und warum er die zwölf Artikel und nicht die Eingabe des Promotors aufnahm, antwortet er, daß er diese Akte mit seinen Kollegen unterzeichnet hat; was die Abfassung des Urteils angeht, so verweist er auf die Richter, und was die Artikel angeht, so hat es den Richtern gefallen, zu tun, was sie wollten.[8]

Das Schriftstück der Abschwörung

Ist es wirklich jenes, das das lateinische Protokoll enthält? Hat Johanna nicht unter Zwang eine sehr viel kürzere Formel unterschrieben, deren Sinn sie nicht deutlich verstand? Alle Zeugen sind sich einig: der französische Text umfaßte nicht mehr als sechs bis acht Zeilen. Johanna war überrascht und lachte - lächelte, sagte Manchon -, denn sie schien nicht an den Ernst der Sache zu glauben, von den Bitten aller Umstehenden genötigt, so zu handeln, und aus Angst vor dem Feuer, als sie den Henker mit seinem Karren warten sah. Massieu ist in diesem Punkt weitschweifiger:

Als Nicolas Erard seine Predigt hielt, hatte er ein Schriftstück der Abschwörung in der Hand und sagte zu Jeanne: »Du wirst abschwören und dieses Schriftstück unterschreiben.« Dann wurde dem Zeugen dieses Schriftstück übergeben, und er las es Jeanne vor. Er erinnert sich sehr gut, daß es in dem Schriftstück hieß, sie werde fürderhin keine Waffen mehr tragen, keine Männerkleider, keine kurzen Haare mehr, und noch andere Dinge, an die er sich nicht erinnert. (Was die Lossagung von den Irrtümern betrifft, so läßt Massieu sein außergewöhnliches Gedächtnis im Stich.) Er weiß genau, daß dieses Schriftstück nicht mehr als ungefähr acht Zeilen umfaßte. Er weiß mit Bestimrntheit, daß es nicht jenes ist, das man in dem Prozeß erwähnte, denn jenes, das er vorgelesen und das Jeanne unterschrieben hat, ist ein anderes als jenes, das sich in den Akten befindet. Er sagt außerdem, daß, als Jeanne ersucht wurde, besagtes Schriftstück zu unterschreiben, sich ein lautes Murren unter den Anwesenden erhob, so daß er den Bischof zu jemandem sagen hörte: »Ihr werdet Euch bei mir entschuldigen«, man hätte ihn beleidigt, und er werde nicht fortfahren, ehe man sich nicht bei ihm entschuldigt hätte. Unterdessen warnte der Zeuge Jeanne vor der Gefahr, die ihr drohte, was die Unterschrift des besagten Schriftstücks betraf; er sah wohl, daß Jeanne weder das Schriftstück noch die unmittelbar drohende Gefahr verstand. Gedrängt zu unterschreiben, antwortete Jeanne: »Das Schriftstück soll von Geistlichen und von der Kirche gesehen werden, in deren Obhut ich gegeben werden muß; wenn sie mir den Rat geben, es zu unterschreiben und zu tun, was man von mir verlangt, dann will ich es gerne tun.« Darauf sagte Magister Erard: »Tu es jetzt gleich, sonst wirst du noch heute durch das Feuer umkommen.« Da antwortete Jeanne, sie wolle lieber unterschreiben als verbrannt werden; in diesem Augenblick gab es einen großen Aufruhr unter dem Volk, und Steine wurden geworfen, aber von wem, weiß er nicht. Als sie das Schriftstück unterschrieben hatte, fragte Jeanne den Promotor, ob sie nun unter die Obhut der Kirche käme und an welchen Ort sie sich begeben müsse. Der Promotor antwortete ihr: ins Schloß von Rouen, wohin sie in Frauenkleidern zurückgeführt wurde.

Die letzte Kommunion

Daß Johanna am letzten Morgen kommuniziert hat, ist das stärkste Argument gegen ihre Verurteilung. Denn hätte sich Johanna der Kirche nicht unterworfen, womit sie in ihrer Todsünde verharrte, dann hätte ihr der Leib Christi nicht gereicht werden dürfen. Wurde er ihr gereicht? Wenn ja, dann hat man sie nicht für eine Ketzerin gehalten. Das endgültige Urteil, in dem es heißt, sie habe ein verstocktes Herz, wäre also unbegründet. Aber die Kommunion hat tatsächlich stattgefunden, vor dem Urteilsspruch. Thomas de Courcelles selbst, der nicht dabei war, ist davon überzeugt. Seine Aussage hat großes Gewicht, denn in dem von ihm verfaßten lateinischen Protokoll kann man lesen, daß die Angeklagte Reue geheuchelt hat und in ihrem Verbrechen verharrte. Vor dem Urteilsspruch, versichert auch Martin Ladvenu, der nicht mehr zweifelt, und mit Erlaubnis und auf Anordnung der Richter. Das Wichtigste und Neue: Cauchon und einige Beisitzer haben darüber beraten. Was Massieu und dann Manchon bestätigen.

Nachdem Jeanne gebeichtet hatte, schickte Bruder Martin Ladvenu den Zeugen (Massieu) zum Herrn Bischof, um ihm mitzuteilen, daß sie gebeichtet habe und um das Sakrament der Eucharistie bitte. Der Bischof rief aus diesem Anlaß einige Personen zusammen; nach der Beratung beauftragte der Bischofden Zeugen, Bruder Martin zu sagen, er solle ihr das Sakrament spenden sowie alles, wonach sie verlange.
Und Manchon, gefragt, wie man ihr das Sakrament der Eucharistie spenden konnte, da man sie doch für exkommuniziert und häretisch erklärt hatte, und ob man ihr die Absolution in kirchlicher Form erteilt habe, sagt, daß die Richter darüber beraten hätten, ob man ihr das Sakrament der Eucharistie, wonach sie verlangte, spenden und ihr vor dem Bußgericht die Absolution erteilt werden solle; doch hat er nicht gesehen, daß ihr eine andere Absolution erteilt wurde.

Ihre Barmherzigkeit rettet die Richter von 1431. Aber sie vernichtet ihr Urteil. Doch nun erhob sich eine andere Frage: hatte Johanna, um Vergebung zu erhalten, ihre Stimmen verleugnet? Daher die Frage an Manchon: wurde ihr in forma acclesiae die Absolution erteilt? Manchon gibt die erwartete Antwort: es gab nur eine einzige Absolution, in derpersönlichen Beichte, vor dem »Gewissen«, wie das kanonische Recht sagt; die andere, die einen öffentlichen Widerruf verlangt hätte, hat nicht stattgefunden. Doch in der Akte befindet sich der Text der posthumen Ermittlung, und er istformell. Und störend. Die Notare haben bereits erklärt, dqß sie sich weigerten, ihn gegenzuzeichnen. Aber er enthält die eidliche Aussage von Martin Ladvenu, der Johanna im Gefängnis gedrängt haben will, zuzugeben, daß ihre Stimmen trügerische Einbildungen seien. Er ist da. Gehorsam macht er einen Rückzieher:

Er sagt auch, zu diesem Punkt befragt, sie habe bis zum Ende ihrer Tage immer versichert, daß ihre Stimmen von Gott kamen und daß alles, was sie getan hatte, auf Befehl Gottes geschah, und sie glaubte nicht, daß ihre Stimmen sie getäuscht hätten; und daß ihre Offenbarungen von Gott kamen. (...)
Noch einmal appelliert man an Jean Massieus Gedächtnis. Er war bei der Hinrichtung dabei. Er sammelte die Asche und das, was von ihr verblieben war, und warf sie in die Seine.[9] Er hörte auf dem Scheiterhaufen nicht den Namen Jesus rufen, doch vorher, auf dem Gerüst, empfahl sich Johanna, wie er bezeugt, »dem heiligen Michael, der heiligen Katharina und allen Heiligen«. Sie ist also bis zum Ende ihrem >Ratgeber< treu geblieben. Jenem Ratgeber, von dem die hundertfünfundzwanzig Zeugen des Rehabilitationsprozesses fast nichts gesagt haben.

Die Verschweigungen

Dieses Verschweigen ist vielsagend. Und nicht das einzige. So wurde die Prüfung von Poitiers nicht erwähnt, obwohl Johanna selbst gebeten hatte, man möge sich darauf berufen. Vor allem zwei Aussagen bringen sie Zur Sprache. Gobert Thibault, Oberstallmeister des Königs von Frankreich, hatte damals die Pucelle kurz gesehen.

Sie wohnte, wie er oben gesagt hat, im Haus von besagtem Rabateau, wo Versailles und Erault im Beisein des Zeugen mit Jeanne sprachen. Als sie zu jenem Haus gelangten, ging Jeanne ihnen entgegen und klopfte dem Zeugen auf die Schulter und sagte, daß sie gern viele Männer vom Schlage des Zeugen hätte. Da sagte Versailles zu Jeanne, sie seien vom König zu ihr geschickt; sie antwortete: »Ich glaube wohl, daß ihr geschickt seid, mich zu verhören«, und sagte: »Ich weiß nicht A noch B.« Sie wurde nun von ihnen gefragt, warum sie gekommen sei. Sie antwortete: »Ich komme vom König des Himmels, um die Belagerung von Orléans aufzuheben und den König nach Reims zu seiner Krönung und Salbung zu führen.« Und sie fragte, ob sie Papier und Tinte hätten, und sagte zu Magister Jean Erault: »Schreibt, Was ich Euch sage. >Euch, Suffort, Classidas und La Poule, fordere ich im Namen des Königs des Himmels auf, nach England zurückzugehen.<« (...) Weiter sagt er, er habe den verstorbenen Beichtvater des Königs sagen hören, er habe geschrieben gesehen, daß eine gewisse Pucelle käme, um dem König von Frankreich zu helfen ... Er hörte den besagten Beichtvater und andere Doktoren sagen, sie glaubten, daß Jeanne von Gott gesandt sei und daß sie es sei, von der die Prophezeiung sprach [10] ...

Aber Bruder Seguin, Dekan der theologischen Fakultät der Universität Poitiers, hatte selbst an der Untersuchung teilgenommen, die ernsthaft geführt wurde.
(...) Zu den Beratern gehörte auch der Herr Erzbischof von Reims, später Kanzler von Frankreich. Sie bestellten den Zeugen, die Magister Jean Lombart, Professor der heiligen Theologie an der Universität Paris, Guillaume Le Marie, Domherr von Poitiers, Bakkalaureus der Theologie, Guillaume Aymeri, Professor der heiligen Theologie, vom Orden der Predigerbrüder, Bruder Pierre Turrelure, Magister Jacques Maledon und mehrere andere, derer er sich nicht mehr entsinnt; sie sagten ihnen, sie seien vom König bestellt, um Jeanne zu befragen und dem Rat des Königs zu berichten, was sie von ihr hielten. Sie schickten sie zum Haus des Magisters Jean Rabateau in der Stadt Poitiers, wo Jeanne wohnte, um sie zu examinieren. Als sie angekommen waren, stellten siejeanne viele Fragen. Unter anderem fragte Jean Lombart, warum sie gekommen sei: der König wolle wissen, was sie dazu getrieben habe. Sie antwortete: als sie das Vieh hütete, war ihr eine Stimme erschienen, die ihr sagte, daß Gott großes Mitleid mit dem französischen Volk habe, und Jeanne müsse nach Frankreich gehen. Als sie das hörte, war Jeanne in Tränen ausgebrochen; da sagte ihr die Stimme, sie solle nach Vaucouleurs gehen, dort werde sie einen Hauptmann finden, der sie sicher nach Frankreich zum König führen würde, und sie solle keine Angst haben. So habe sie getan, und sie sei ungehindert zum König gekommen. Magister Guillaume Aymeri fragte sie: »Du hast gesagt, die Stimme habe dir gesagt, daß Gott das französische Volk aus seiner Not befreien will. Wenn er es retten will, bedarf es doch keiner Soldaten.« Da antwortete Jeanne: »Im Namen Gottes, die Soldaten werden kämpfen, und Gott wird den Sieg verleihen.« Mit dieser Antwort war Magister Guillaume zufrieden.
Der Zeuge fragte sie, in welcher Sprache die Stimme zu ihr spreche. Sie antwortete: in einer besseren als der des Zeugen, der den Dialekt des Limousin sprach. Ein anderes Mal fragte er sie, ob sie an Gott glaube: sie antwortete, ja, mehr als er selber. Da sagte er zu Jeanne, Gott wolle nicht, daß man ihr glaube, wenn nicht etwas erschiene, das anzeige, daß man ihr glauben dürfe; sie könnten dem König nicht raten, ihr bloß auf ihre Versicherung hin Soldaten zu geben und diese in Gefahr zu bringen, es sei denn, sie weise anderes vor. Sie antwortete: »Im Namen Gottes, ich bin nicht nach Poitiers gekommen, um Zeichen zu tun; aber führt mich nach Orléans; ich werde Euch Zeichen geben, daß ich geschickt bin«, man möge ihr Leute geben, soviel sie für gut fänden, und sie würde nach Or16ans gehen. Dann sagte sie zu dem Zeugen und den anderen Anwesenden vier Dinge, die kommen würden und die dann auch eingetroffen sind. Zuerst würden die Engländer geschlagen, die Belagerung von Orléans aufgehoben und die Stadt von jenen Engländern befreit; zuvor werde sie selbst sie dazu auffordern. Zweitens sagte sie, daß der König in Reims gesalbt werde. Drittens, die Stadt Paris werde an den König zurückfallen und der Herzog von Orléans nach England zurückkehren. Alle diese Dinge hat der Sprechende eintreffen sehen.
Das alles berichteten sie dem Rat des Königs und waren der Meinung, daß angesichts der Bedrängnis und der Gefahr, in der die Stadt Orleans sich befand, der König sich ihrer bedienen und sie nach Orléans schicken könnte. Der Zeuge und die anderen Beauftragten stellten Nachforschungen über Jeannes Leben und Sitten an und fanden, daß sie eine gute Christin sei, als Katholikin lebte und daß man sie nie untätig traf. Um besser in Erfahrung zu bringen, wie sie sich betrug, wurden ihr Frauen beigegeben, die dem Rat berichteten, was sie tat und wie sie sich verhielt. Der Zeuge glaubt, daß Jeanne von Gott gesandt war, wenn man bedenkt, daß der König und seine Untergebenen keine Hoffnung mehr hatten ...[11]

Die Schlußfolgerungen der Kommission wurden im Prozeß nicht angeführt. Ist das verwunderlich? Wiederholen wir: es ging nicht um Johanna, sondern um ein Urteil, das der königlichen Ehre Abbruch tat und das es aufzuheben galt.
Man begreift auch mühelos, daß mit keinem Wort das >Zeichen< erwähnt wurde, das in die Kammer des Königs gebracht worden war und von dem vor ihren Richtern zu sprechen Johanna sich hartnäckig geweigert hatte, auch nicht das traumhafte Zeremoniell, das sie, in die Enge getrieben, schließlich beschrieb, weder die wunderbare Krone noch die Rolle des Engels, die sie am letzten Tag, wie die Erklärungen der posthumen Ermittlung berichten, selbst gespielt zu haben gestand, die seltsame und faszinierende Szene, deren genaue Beschreibung man in den Anklageartikeln lesen konnte. Hier ist die Verwerfung total.
Und die Fragesteller selbst spielen das Spiel: im dreiundsiebzigsten der hundertein Artikel ihrer Untersuchung unterstellen sie, daß Jeanne ihre Richter in die Irre führen wollte, und entschuldigten sie dafür:
auch wenn es nicht erlaubt ist zu lügen, so ist es doch erlaubt, die Wahrheit je nach Ort und Zeit zu verbergen, indem man durch Fiktion oder mit Vorsicht antwortet.[12] In den Berichten von Jean d'Alencon und Pasquerel wird die Unterredung von Chinon einfach, natürlich, irdisch. Der Herzog sagt bei seinem Eid aus, daß der König, ah Jeanne zu ihm kam, in der Stadt Chinon weilte und er selbst in Saint-Florent; er war auf der Wachteljagd, als einer seiner Boten zu ihm kam und ihm mitteilte, daß eine Jungfrau zum König gekommen sei, die behaupte, sie sei von Gott gesandt, um die Engländer zu vertreiben und die Belagerung jener Engländer vor Orléans aufzuheben. Darum begab sich der Zeuge anderntags zum König nach Chinon und traf besagte Jeanne an, wie sie mit dem König sprach. Als er sich näherte, fragtejeanne, wer er sei, und der König antwortete, das sei der Herzog von Alencon. Da sagte Jeanne: »Ihr seid herzlich willkommen. je mehr solche vom königlichen Blut Frankreichs beisammen sind, desto besser.« Am Tag darauf kam sie zur Messe des Königs, und als sie den König erblickte, verneigte sie sich, und der König führte Jeanne in ein anderes Gemach. Mit ihm war der Zeuge und der Herr de la Tremouille; der König hielt sie zurück und bat die anderen, sich zurückzuziehen. Darauf stellte Jeanne dem König mehrere Forderungen, unter anderem, er solle sein Reich dem König des Himmels darbringen; der König des Himmels werde nach dieser Schenkung mit ihm verfahren wie mit seinen Vorgängern und ihn in seinen früheren Stand wieder einsetzen; bis zur Mahlzeit sprach man noch von vielen anderen Dingen, an die sich der Zeuge nicht erinnert.
Als der Dauphin sie erblickte, sagt Pasquerel, fragte er Jeanne nach ihrem Namen; sie antwortete: »Edler Dauphin, ich heiße Jeanne, die Pucelle; und der König des Himmels tut Euch durch mich kund, daß Ihr in der Stadt Reims gesalbt und gekrönt und Stellvertreter des Himmelskönigs sein werdet, der König von Frankreich ist.« Nach vielen vom König gestellten Fragen sagte Jeanne abermals: »Ich sage dir im Auftrag des Herrn, daß du der wahre Erbe Frankreichs und Sohn des Königs bist; er schickt mich zu dir, um dich nach Reims zu führen, damit du die Krone und deine Weihe empfängst, wenn du es willst.« Nach diesen Worten sagte der König zu den Umstehenden, daß Jeanne ihm ein Geheimnis anvertraut habe, das niemand kenne und nicht kennen könne außer Gott; deshalb habe er großes Vertrauen zu ihr. All das hat der Zeuge von Jeanne selber gehört, denn er war nicht dabei.[13]

Was das >Geheimnis< betrifft, das zu erwähnen man sich 1456 hütet, so hatte der Verfasser des Manuskripts von Orléans sagen und erzählen hören, und nicht nur einmal, sondern oftmals von hochgestellten Persönlichkeiten Frankreichs: nachdem der König besagte Pucelle hatte sprechen hören, wurde ihm von seinem Beichtvater oder anderen geraten, er solle im geheimen mit ihr sprechen und sie fragen, wie er Gewißheit haben könne, daß Gott sie zu ihm geschickt habe, damit er ihr vertrauen und ihren Worten Glauben schenken könnte. Was der Herr auch tat. Worauf sie antwortete: »Sire, wenn ich Euch Dinge sage, die so geheim sind, daß nur Gott und Ihr sie wissen könnt, glaubt Ihr dann, daß ich von Gott geschickt bin?« Der König antwortete: ja. Die Pucelle fragte ihn: »Sire, erinnert Ihr Euch, daß Ihr letztes Jahr an Allerheiligen in der Schloßkapelle von Loches in Eurem Gebet Gott um drei Dinge gebeten habt?« Der König antwortete, er erinnere sich gut, ihn um gewtse Auge gebeten zu haben. Da fragte ihn die Pucelle, ob er diese Bitten seinem Beichtvater oder anderen enthüllt habe. Der König sagte: nein. »Und wenn ich Euch die drei Bitten nenne, die ihr tatet, werdet Ihr dann meinen Worten glauben?« Der König antwortete: ja. Da sagte ihm die Pucelle: »Sire, Eure erste Bitte an Gott war, er möge Euch, falls Ihr nicht der wahre Erbe Frankreichs seid, den Mut zu seiner Eroberung nehmen; damit Ihr den Krieg nicht fortsetzen müßt, von dem soviel Unheil kommt. Die zweite war, daß, falls die großen Unbilden und Widrigkeiten, die das arme Volk von Frankreich erleide und so lange erlitten habe, die Folge Eurer Sünde sei, er das Volk aufrichten möge, und Ihr allein bestraft würdet, sei es durch den Tod oder eine andere Strafe, die ihm gefiele. Die dritte war, daß er, falls das Volk schuld an besagten Unbilden sei, diesem Volk verzeihen und seinen Zorn besänftigen möge ... « Der König erkannte, daß sie die Wahrheit sprach, und schenkte ihren Worten Glauben, daß sie von Gott geschickt sei; und er hatte große Hoffnung, daß sie ihm helfen würde, sein Königreich wiederzuerlangen. (...)[14]

1456 war weder dem Papst noch dem Inquisitionsgericht, noch dem französischen Hof daran gelegen, daß man sich auf das Gebiet des Wunderbaren, Unsichtbaren wagte, ob es nun segensreich oder unheilvoll war. Johanna sollte zwar fromm, aber nicht engelsgleich erscheinen. Ihre Stimmen konnte man nicht verschweigen. Aber es ist weniger beunruhigend, die Engel zu hören, als Kronen tragend mit ihnen herumzuziehen. Es genügte, daß man die Pucelle für zu Unrecht verurteilt erklärte.