Die Überlieferung vom Goldenen Zeitalter
entstand aus dem natürlichen Bedauern
der ersten Siedler des alten Volkes, als sie sich
an das glückliche Land ihrer Geburt erinnerten
und es ihren Kindern in glühenden Farben schilderten.
Sylvain Bailly
Die Zeitalter des Menschen
Für die hellenischen Griechen hatte es fünf Zeitalter des Menschen gegeben, von denen alle bis auf das letzte, das hellenisch-dorische Eiserne Zeitalter, matriarchal gewesen waren. Das Eiserne Zeitalter wurde von Hesiod, der in ihm lebte, als der »unwürdige Nachfolger früherer Zeitalter« bezeichnet. Degeneriert, grausam, ungerecht, begierlich, pflichtvergessen, verräterisch, das waren einige der Bezeichnungen, die der Dichter Hesiod, seiner eigenen Zeit gab. Er ist der »erste Heimwehreaktionär der westlichen Kultur« genannt worden, denn er beklagte die neue Ethik von der männlichen Überlegenheit und brandmarkte den Triumph des Patriarchates als den Sieg schamloser Räuberei, der Gewalt und des Zwists,[1] ähnlich wie Gibbon und andere den Triumph des Christentums über die anmutigen Götter und Göttinnen Griechenlands beklagen sollten.
Das erste, das Goldene Zeitalter, war die Zeit des Paradieses auf Erden gewesen, als »es keine Götter« oder Könige gab, und als »die Menschen ohne Arbeit lebten, nie alt wurden, viel lachten, und ihnen der Tod nicht schrecklicher war als Schlaf«.[2] Das war die Zeit der großen verlorenen Kultur, die in der Erinnerung des Menschen nur ein idealisierter, ferner und unwiederbringlicher Traum der Kindheit war, des Menschen »erstes, schönes, sorgloses Entzücken,« als die Unsterblichen in männlicher und weiblicher Menschengestalt über diese Erde schritten.
Das zweite Zeitalter, das Silberne, war die Zeit der mächtigen Frauenherrschaften, die die wiederbelebte Kultur kennzeichneten, nachdem die alte verschwunden war. Diese Epoche währte viele tausend Jahre und endete in geschichtlicher Zeit. In ihr erblühten die großen Kulturen Sumers, Ägyptens und Kretas, und sie war das Stadium der Kultur, das die Dichter das Goldene Zeitalter nennen.
Im Silbernen Zeitalter »waren die Männer vollkommen ihren Müttern untergeordnet, und sie wagten nicht, ihnen gegenüber ungehorsam zu sein, selbst wenn sie hundert Jahre alt wurden«.[3] Sie brachten nie Opfer, führten nie Krieg, und lernten nie, zu jagen und zu töten.[4] Erich Fromm schreibt das Gefühl der Seligkeit, das dieses Zeitalter durchzog, dem Glauben an die Große Göttin zu, der Mutter-Göttin, die all ihre Kinder in gleicher Weise liebte, im Gegensatz zu dem späteren Vater-Gott, dessen Liebe von blindem Gehorsam von Anpassung und unbedingter Erfüllung des väterlichen Gebots abhängig war.[5] »Der Mythos vom Goldenen Zeitalter«, schreibt Graves, »leitet sich von der Tradition der Stammesunterwerfung unter die (...) Göttin ab; (...) der Mythos vom Silbernen Zeitalter bezeugt ebenfalls matriarchale Verhältnisse, wie z.B. jene, die sich unter den Pikten (Schottlands) bis in jüngste Zeit erhalten haben.« [6] (Und nach Terence Powell, der Autorität auf keltischem Gebiet, waren die Pikten reine Kelten.[7]
Das dritte Zeitalter, das dem Silbernen folgte, war die frühe Bronzezeit, eine Zeit, in der Kreta immer noch in der Ägäis und in der ganzen damals bekannten Welt überlegen herrschte. Es war auch die Zeit, als die ersten Griechen um 3000 v. Chr. von Anatolien kommend über das Meer in den Peleponnes einwanderten[8] und den kretischen Kult von der Großen Göttin Potnia übernahmen, die sie offensichtlich mit ihrer alten anatolischen Gottheit gleichsetzten.
Dies waren die Achäer, die etwa 1500 Jahre nach ihrer Ankunft in Griechenland die kretische Kultur absorbierten und die große minoisch-mykenische Kultur auf dem Festland begründeten. Während dieser Epoche lernten die Menschen zum ersten Mal das Fleisch von Tieren essen.[9]
Die späte Bronzezeit, das 4. Zeitalter des Menschen, war das Heldenzeitalter der Griechen. Sein Volk waren Homers Achäer, die mykenischen Helden von Troja. Sein letzter großer König war Agamemnon und seine große Stadt Mykene. Der fünfte und letzte Stamm waren die Dorier der Eisenzeit, die durch Thrakien um 1000 v. Chr., 200 Jahre nach dem Trojanischen Krieg, aus Europa herabfluteten und die minoisch-mykenische Kultur zerstörten, und das Dunkle Zeitalter nach Griechenland brachten. Sie waren, wie die Achäer und Mykener, Indo-Europäer, aber sie brachten im Gegensatz zu diesen frühen Griechen ihren eigenen, neuen männlichen Gott Zeus mit sich. Sie waren es, die den Göttinnenkult ausmerzten und in ganz Griechenland für Zeus und sein Geschlecht Heiligtümer errichteten. In dem geheimnisvollen Land Thrakien war es, wo Zeus und die Dorier ihre ersten Kämpfe gegen die Göttin fochten, eine Tatsache, an die der Mythos erinnert.[10]
Während und nach der Invasion durch die Dorier und des Abstiegs Griechenlands in zeitweilige Barbarei betrachtete man mit tiefem Heimweh das Silberne Zeitalter als Zeit des Friedens und des Fortschrittes. Für die Nicht-Griechen wurde dieser Abschnitt das Goldene Zeitalter. Selbst Hesiod sollte ihn so bezeichnen, und sein Untergang wurde noch Jahrhunderte nachher von Dichtern vieler Nationen betrauert.
Das Goldene Zeitalter
Im Gegensatz zum allgemeinen Eindruck, daß unsere frühen Vorfahren durch Krieg und Gewalttätigkeit lebten, weisen alle Zeugnisse, die geschichtlichen ebenso wie die archäologischen, auf die Tatsache hin, daß vor der patriarchalen Revolution der Mensch friedlich war und es keine Kriege gab. Der Klassik war diese Wahrheit bekannt, obwohl die Griechen und Römer mit ihrer eigenen Vergangenheit weniger vertraut waren als wir heute. Ihre »gynaikokratische Vergangenheit war begraben und vergessen worden«, schreibt Jane Harrison über die Athener;[11] und zu Catos Zeiten wußten die Römer nicht mehr, daß ihre Mütter nicht lange vorher noch im römischen Senat gesessen hatten.[12]
Doch die römischen und griechischen Dichter hatten gefühlt, daß es in einer nicht zu weit zurückliegenden Vergangenheit, und zwar vor der Geburt der Götter, eine Zeit gegeben hatte, während der die Erde ein Halbparadies des Friedens und der Ruhe gewesen war, beherrscht von einer allmächtigen Göttin. In den Eklogen betet Virgil um die Rückkehr des Goldenen Zeitalters, in dem »die Gerechtigkeit (Themis) wieder regieren und die Erde von der unaufhörlichen Furcht befreien wird«. [13] Und Lukrez erinnert an die verschwundene Zeit, in der »Schrecken und Dunkelheit« von der Göttin vertrieben worden waren, »der Mutter der Götter, der einzigen Herrin aller Dinge, ohne die nichts froh oder lieblich sein kann«.[14]
Daß diese Erinnerungsträume der Dichter keine Mythen waren, ist durch die Untersuchung moderner Forschung bewiesen. Anthropologen, Historiker und Archäologen erkennen nun die Tatsache an, daß »die ersten Stufen der Menschheit friedlich und schöpferisch waren«, und fragen sich, warum »Barbarei dem absoluten Frieden der primitiven Menschheit folgte«,[15] James Breasted betont die friedlichen Bräuche der frühen Ägypter. Sie waren »vollkommen unkriegerisch«, schreibt er, bis sie von den einfallenden nomadischen Hyksos im 17. Jahrhundert v. Chr. Gewalttätigkeit gelehrt wurden.[16] Und Sir Arthur Evans steht in gleichem Maße für die Friedfertigkeit der alten Kreter ein. »Die Minoer führten ein angenehmes Leben unter friedlichen Bedingungen«, schreibt er. »Nichts haben wir gefunden, was auf Krieg hindeutet, nichts, was auf Bürgerkrieg oder selbst Verteidigung gegen fremde Raubzüge hinweist«.[17] Dieser Zustand dauerte bis zur Zerstörung von Knossos durch das große Erdbeben und Feuer des 15. Jahrhunderts.
Sir Leonard Woolley fand bei der Ausgrabung der vorsintflutlichen Stadt Ur den Beweis für eine »Kultur von erstaunlich hohem Rang«. »Von anderen Ausgrabungen von Persien bis an die Küsten des Mittelmeeres wissen wir« fügt Cottrell hinzu, »daß diese vorsintflutlichen Völker beträchtlich fortgeschritten«[18] und beachtenswert unkriegerisch waren. »Seltsamerweise gab es nie irgendwelche Waffen«, schreibt Woolley vom frühen Alalakh,[19] und man hat bis zum Ende des 3. Jahrtausends, als die patriarchalen Nomaden zum ersten Mal in die »bestellten Länder des Fruchtbaren Halbmondes« einfielen, in keiner der alten Städte des nahen Ostens irgendein Anzeichen für menschlichen Streit oder menschliche Gewalttätigkeiten gefunden.[20]
Die prähistorischen Bewohner Britanniens, sagt Massingham, besaßen keine Grenzen, keine Festungen, keine Waffen und keine Kriegerklasse, denn sie brauchten keine.[21] Und August Thebaud, der fest davon überzeugt war, daß nichts Gutes vom »Heidentum« kommen konnte, gibt widerstrebend zu, daß die prähistorischen, vorchristlichen Iren einen »sehr hohen kulturellen Stand erreicht hatten«, in dem Friede und Ruhe vorzuherrschen schienen.[22]
»Von alters her besaß die Religion in allen Ländern bestimmte allgemeine Dinge, die zum Glaubensbestand aller Völker gehörten und offensichtlich von der ursprünglichen Überlieferung der Menschheit herrührten. So z.B. der Glaube an das Goldene Zeitalter und den Fall nach einem glücklichen Anfang«, schrieb Thebaud 1887.[23] Und der Anthropologe G. Eliot Smith schrieb 1924, noch vor den Entdeckungen der letzten Zeit: »Die sorgfältige Analyse aller verfügbaren Beweise scheint klar zu dem Schluß zu führen, daß sich die Welt tatsächlich einst eines solchen Goldenen Zeitalters erfreute, wie es Hesiod beschreibt.«[24]
Mehr und mehr beweist die Archäologie, daß es in der Tat wirklich ein Goldenes Zeitalter gab, eine gynaikokratische Epoche, die unzählige Jahrtausende andauerte, bis über die Dämmerung der geschriebenen Geschichte herauf. Wenn es keinen anderen Beweis gäbe, wären die kürzlichen Ausgrabungen bei Mersin und Catal Hüyük in Anatolien ausreichend, um die Tatsache seiner weiblichen Wesensart zu belegen. Der Mann war friedfertig, die Gottheit weiblich und die Frau überragend. Frieden und Gerechtigkeit herrschten unter einer allbarmherzigen Göttin, und die langen Kleider der Priesterinnen sind bis zum heutigen Tage das Gewand der männlichen Priester, die später folgten.
Der Monotheismus, von dem man einst glaubte, Moses oder Echnaton habe ihn erfunden, war in der Vor- und Frühgeschichte überall verbreitet. »Es scheint, Evans hatte recht, wenn er behauptete, daß es ein Monotheismus war, in dem die weibliche Form der Göttlichkeit vorherrschte«.[25] Selbst der allmächtige Jahwe, der Gott des Moses und der späteren Hebräer, war ursprünglich eine Göttin, Iahu-'Anat, deren Name sogar von der sumerischen Göttin gestohlen worden war. Theodor Reik fragt, was eigentlich mit der ursprünglichen Göttin der Juden geschah. Dann gibt er selbst die Antwort: »Die Torah bildet die Grundlage, auf der das Judentum ruht. Sie wird für älter als die Welt gehalten und ihr wird eine kosmische Rolle (bei der Schöpfung) zugeschrieben (...). Selbst in dieser verwässerten Form erkennen wir noch die zuerst weibliche Göttin.«[26] Und Robert Aron macht sich Gedanken über die vormosaischen Juden. Er fragt, wen sie vor Jehova verehrten. Und dann kommt er zu dem Schluß von Reik: Torah, die älter als Gott ist.[27]
Wie jeder aufmerksame Leser des alten Testamentes feststellen kann, kam es das hebräische Volk hart an, die Verehrung der Göttin zu unterdrücken, die das tiefe Heimweh nach den alten Tagen des Friedens und der Fülle verkörperte. Raphael Patai weist auf vierzig Stellen im Alten Testament hin, in denen die Göttinnenverehrung unter den Hebräern erwähnt ist,[1] selbst nach all den späteren patriarchalen Ausgaben. In der Zeit des Jeroboam teilte die Göttin den Tempel mit Jehova. Und der Grund, warum Jezebel solch einen schlechten Ruf unter Christen und Juden hat, ist der, daß sie für die Göttin und gegen Jehova war und König Ahab zu ihrem Glauben an die Göttin bekehrt hatte.
»So tief war der Göttinnenkult in Palästina verwurzelt«, schreibt E.O. James, »daß er alle drastischen Reformversuche von Seiten der Jahwisten bis zum Ende der Königsherrschaft überdauerte.« [29]
Selbst nach dem Exil, klagt Jeremias, hielt das Volk daran fest, die Himmelskönigin zu verherrlichen, die »unsere Väter, unsere Könige und Fürsten« immer angebetet haben, »denn damals hatten wir genug, und es ging uns gut, und wir sahen nichts Schlechtes«,[30] wohingegen Jehova böse Zeiten »und nichts als Unglück gebracht hatte.«[31] Die Hebräer und andere Völker auf der ganzen Welt erinnerten sich an das Goldene Zeitalter und an seine Große Göttin; denn im Zeitalter der Entdeckungen stellte man fest, daß diese Überlieferung auch noch bei den Primitiven bestand, die von der Hauptströmung der Kultur seit Tausenden von Jahren abgeschnitten waren.
Zu den von wilden Stämmen bewahrten Resten eines vergessenen Einflusses, die die europäischen Forscher überraschten und erstaunten, gehörte der allgemeine Glaube an ein verlorenes Paradies, ähnlich dem Garten Eden des jüdisch-christlichen Mythos, und der Glaube an die Vorherrschaft der Großen Göttin, die die Schöpferin der Welt und die Mutter aller Götter war.
Die Mutter Gottes
Im ursprünglichen Mythos, einschließlich des jüdischen (und deshalb auch des des Christentums, des Judentums älterem Kind), gibt es eine ursprüngliche Große Göttin, die das Universum, die Erde und die Himmel und endlich die Götter und die Menschheit erschafft. Schließlich gebiert sie parthenogenetisch einen Sohn, der später ihr Liebhaber, dann ihr Gemahl, daraufhin ihr Stellvertreter und schließlich in patriarchalen Zeiten der Usurpator ihrer Macht wird.[32] Doch in den unermeßlichen Äonen ihrer ausschließlichen Herrschaft leitet sie die Kultur in allen ihren Bereichen ein. Unter ihrer Ordnung erfreut sich die Erde eines langen Zeitraums friedlichen Fortschrittes, während dem Städte gebaut, Recht und Gerechtigkeit gestiftet werden, Getreide gepflanzt und geerntet, Vieh wegen seiner Milch und seiner Wolle gezähmt, Feuer entdeckt und benutzt, das Rad erfunden, das Schiff zum ersten Mal gebaut wird und die Kunst der Keramik, des Webens, des Malens und der Bildhauerei beginnt.
Dann plötzlich ist alles zu Ende. Das Paradies verloren. Ein dunkles Zeitalter bricht über die Welt herein, verursacht von einer Sintflut, mit der eine patriarchale Revolution einhergeht. Barbarische und unkultivierte Nomaden, umherziehende Banden von ausgestoßenen, frauenlosen Männern zerstören die kultivierten Stadtstaaten, entthronen die Königinnen und versuchen, an ihrer Stelle zu regieren. Das Ergebnis ist Chaos. Krieg und Gewalttätigkeit erscheinen, Gesetz und Recht entschwinden, Macht tritt an Stelle des Rechts, die Große Göttin wird durch einen unerbittlichen und rachsüchtigen Gott ersetzt, der Mensch wird zum Fleischfresser, Besitzrechte werden wichtiger als Menschenrechte, die Frau wird herabgesetzt und ausgebeutet, und die Kultur beginnt ihren Abstieg, den sie noch immer fortsetzt.
Das ist der Gegenstand aller Mythen, vom Goldenen Zeitalter der Griechen und Römer bis zum Garten Eden der Juden und Christen, den glücklichen Jagdgründen der Indianer und dem Avaiki der Polynesier: Alle enden mit der Vertreibung aus dem Paradies und in vollkommenem Verfall.
Oswald Spengler führt den Verfall der modernen Kultur auf einen »faustischen« Wesenszug im modernen Menschen zurück, der im Gegensatz zu dem steht, was er »apollonischen« Wesenszug des alten Menschen nennt.[33] Seine Definition vom faustischen Menschen stimmt mit unserer vom patriarchalen überein, für den »der Krieg der Vater aller Dinge« ist, während sein apollonischer Mensch unserem alten gynaikokratischen entspricht, für den »jeder Kampf von Übel« war.
»Die Kultur der klassischen Welt«, schreibt Ruth Benedict, »war auf (Spenglers) apollonischem Bild des Lebens erbaut, und die moderne Welt hat in all ihren Institutionen die unmittelbaren Folgerungen des faustischen Bildes entwickelt«. [134] Daher kommt die patriarchale oder maskuline Unordnung der Gesellschaft.
Edward Carpenter zeichnete diesen Unterschied zwischen altem, matriarchalem, apollonischem und modernem, patriarchalem, faustischem Menschen, als er schrieb: »Ihre (der Frau) Kräfte sind besser koordiniert, sie harmonieren besser miteinander, während seine (des Mannes) zusammenhangslos und widersprüchlich sind. Es geht darum, daß der Mann mit seiner ungeordneten Natur während der letzten Jahrhunderte das andere Geschlecht beherrscht und sich selbst zum Beherrscher der Gesellschaft gemacht hat (...). So haben wir natürlich eine Gesellschaft entsprechend seinem Vorbild, die zwar im Bereich technischer Erfindungen fortgeschritten ist, bei der sich aber alles in wirbelnder Unordnung und in Streit befindet, was von der menschlichen Seite her gesehen eine vollkommene Fehlentwicklungist.«[35]
Spengler, Carpenter und all die Philosophen und Dichter seit Hesiod, die den Niedergang der westlichen Kultur beklagt haben, bedauern, wie Gibbon, das Dahinschwinden des matriarchalen Zeitalters und mißbilligen die Gewalt und den Kampf, die unsere moderne patriarchale Gesellschaft kennzeichnen. Was all diese Männer wirklich wollen, ist eine Rückkehr ins Goldene Zeitalter des Matriarchats und die Restauration der Großen Göttin. »Ihr Kult (kommt) bestimmten lebenswichtigen Bedürfnissen der Menschen aller Zeiten entgegen«, schreibt James,[36] und Graves fügt hinzu: »Es kann aus dem gegenwärtigen, mehr als erbärmlichen Zustand der Welt kein Entrinnen geben, (...) bevor nicht schließlich der unterdrückte Wunsch der westlichen Völker nach einer Art Göttinnenkult befriedigt wird.«[37]
Vor einigen Monaten haben ein französischer Künstler [38] und ein amerikanischer Geistlicher [39] Bücher geschrieben, in denen sie die Weltgeschichte als das Ergebnis eines Meisterplanes einer Raum-Hierarchie erklären, die versucht, eine vollkommene Rasse in unserem Sonnensystem zu erschaffen, und die dabei die Erde als Versuchsfeld benützt. Nach dieser Hypothese sind hier verschiedene Versuchsrassen angesiedelt worden, nur um schließlich als Mißerfolge vernichtet zu werden. Zu diesen Mißerfolgen gehörten die vor Adam lebenden Völker, die noch vor Eden, und die Nachkommen Adams des Erdmenschen, die in der großen Flut ausgelöscht wurden. Das wiedererschaffene, nachsintflutliche Geschlecht hätte etwa zu Beginn unserer Zeitrechnung zerstört werden sollen, und Jesus, ein Mensch aus dem Weltraum, wurde gesandt, um die Würdigen vor ihrem drohenden Untergang zu warnen. Paul Misraki schreibt, daß alle Beweise auf die beabsichtigte Vernichtung des Menschengeschlechts um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. hindeuten. Doch dann geschah etwas, das den festgesetzten Plan änderte. Dem Erdenmenschen wurde in letzter Minute Strafaufschub gewährt und eine zweite Chance gegeben. Aber was geschah? Nach Misraki: der »Tod« Mariens. Um das Jahr 50 christlicher Zeitrechnung wurde Maria körperlich zu der Überrasse zurückgeführt, von der sie gekommen war, und sofort begann sie für des Menschen Begnadigung zu bitten. Auf ihre Fürsprache hin wurde das »Ende« hinausgeschoben, und es wird immer noch durch Mariens fortgesetzte Bitten verzögert; deshalb die Erscheinungen in Fatima, Lourdes, usw. Diese Hypothese stimmt gut mit der mancher hervorragender Wissenschaftler, z.B. Agrest, Shklovskii, Sagan, Freeman, J. Dyson, Thomas Gold, um nur einige zu nennen, überein, nämlich, daß die Hauptlinie des Menschengeschlechtes in der Vergangenheit von einem kolonisierenden Volk irgendeines entfernten Sterns hier in verschiedenen Abständen angesiedelt wurde. Nach dieser Theorie wurde die auf die Erde verpflanzte Rasse durch die Vermischung mit den eingeborenen Arten, den Ergebnissen der Evolution über die Affen, von denen der Neandertaler eines war, in ihrer Entwicklung gehindert und zurückgeworfen.
Der Neandertaler, der rohe Höhlenmensch der allgemeinen Vorstellung, starb nicht aus, aber er wurde von den unentwickelten Arten absorbiert, von den angesiedelten Kolonisten, zu denen der Cro-Magnon-Mensch gehörte. Wenn man die Überreste des Neandertalers überprüft und mit denen des Cro-Magnon-Menschen vergleicht, kann man kaum glauben, daß sie sich in derselben Linie und von denselben Vorfahren entwickelt haben könnten. Der Neandertaler war klein, gedrungen, zottig, schmalstirnig, unschöpferisch - mehr Tier als Mensch. Der Cro-Magnon-Mann und auch die Frau, die »plötzlich«, von nirgendwoher, im Südwesten Europas vor etwa 20 000 Jahren erschienen, waren schmal, aufgerichtet, schöpferisch, intelligent; nach der Hirnschale zu urteilen, intelligenter als der moderne Mensch. Während der Neandertaler kinn- und stirnlos war, jedoch vorspringende Kiefer hatte und behaart war, besaß der Cro-Magnon-Mensch ein wohlgeformtes Kinn, eine hohe Stirn, schmale Kiefer und fast keine Körperhaare.
Woher kam er? Wie tauchte er so plötzlich in Südwesfeuropa, nämlich in Spanien und Frankreich auf, offensichtlich ohne Mitteleuropa durchquert zu haben, wenn er aus dem Osten und auch nicht Italien, wenn er aus Afrika kam? Von Afrika über Gibraltar nach Spanien zu gelangen, wäre, wie seit Jahrtausenden, wegen der gefährlichen Strudel und der verborgenen Untiefen der Skylla und Charybdis der Alten, unmöglich gewesen. Einige meinten, er sei aus dem Westen, vom Atlantik, gekommen, andere glaubten, vom Himmel.
Misrakis Hypothese ist deshalb nur eine christliche Auslegung der Ansiedlungstheorie, im Gegensatz zur Evolutionstheorie vom irdischen Ursprung der Menschen. Wenn man Adam, Jesus und Maria aus Misrakis Darstellung wegläßt, so bleiben die verlorene Kultur, das Wiederaufleben der Kultur in Sumer und die Große Göttin als Führerin und Überwacherin des Ganzen. Ist Maria also nur eine neue Offenbarung der Göttin, die nach der Enuma Elisch die »Allschöpferin und Mutter der Menschheit« war?
Denn es ist eine Tatsache, daß nach den Aussagen von berühmten wie auch wenig bekannten Mystikern und Visionären der häufigste Besucher auf Erden eine ,Dame' ist. Christen hielten diese immer für Maria, aber NichtChristen gaben ihr verschiedene Namen. Luzius nannte sie Königin des Himmels, und sie bezeichnete sich selbst, als sie ihm erschien, als »die Mutter aller Dinge, die Herrin und Lenkerin des Universums, die oberste der göttlichen Gewalten, die Königin aller, die im Himmel und in der Hölle wohnen; meinem Willen gehorchen die Planeten des Himmels und die Winde auf den Meeren. Meine Göttlichkeit wird auf der ganzen Welt unter verschiedenen Namen angebetet. Denn die Phrygier nennen mich Mutter der Götter, die Athener Athene, die Bewohner Zyperns Venus, die Kreter Diana, die Sizilianer Proserpine, die Eleusinier ihre alte Göttin Ceres, einige Juno, einige Minerva, einige Hera, andere Bellona, andere Hekate, andere Rhamnusia. Aber die Ägypter, die sich in allen Arten der alten Weisheit auszeichnen, nennen mich mit meinem richtigen Namen, nämlich Königin Isis«. [40]
Und um die Entsprechung dieser heiligen Frau mit der heiligen Maria des Misrakis noch mehr zu betonen, fügt sie als Zeichen ihrer marienähnlichen Vermittlungskräfte hinzu: »Ich allein kann deine Tage über die Zeit hinaus verlängern, die dir von den Schicksalsgöttinnen bestimmt ist.«[41]
Die Übereinstimmung der jungfräulichen Göttin Isis mit der christlichen jungfräulichen Göttin Maria wird von Carpenter herausgestellt: »Die Jungfrau Maria mit ihrem heiligen Kind in ihren Armen kann geradewegs zur ägyptischen Isis mit ihrem Kinde Horus zurückgeführt werden, und von dort zu dem Sternbild der Jungfrau, das am Himmel scheint. In den Darstellungen der Tierkreiszeichen im Tempel von Denderah in Ägypten steht neben der Gestalt der Jungfrau eine kleinere der Isis mit Horus in ihren Armen; und so setzte die Römische Kirche das Fest von Marias glorreicher Himmelfahrt genau auf den Tag, an dem das genannte Sternbild im August verschwindet, und ihre Geburt auf das Datum, an dem dasselbe Sternbild im September wieder erscheint.«[42]
Die im Verlauf der ganzen Geschichte häufigen Erscheinungen einer lieben Frau in »weißen und leuchtenden Kleidern, deren blondes Haar mit einem Blumenkranz umwunden ist«,[43] wie sie Apuleius vor 2 000 Jahren und die Kinder von Fatima vor erst 50 Jahren beschrieben, sind sehr bezeichnend. Warum ist diese Selige immer eine Frau? Warum nicht ein Mann? Die Erklärung kann, wie Graves sagt, in dem unterdrückten Wunsch des westlichen Mannes nach einer Göttin liegen, aber auch in der Tatsache daß die Gesegnete, die Herrscherin des Universums, eine Frau ist, die Große Göttin der ersten Million oder mehr Jahre des Menschen.