Donnerstag 1ten
R. und ich, wir arbeiten an der Biographie, immer noch - Loldi bei uns. Kindertisch; nachmittags Besuch von Frau Landgraf, dann mit R. spazieren gegangen; abends singt Herr Diener aus Tannhäuser und versucht die Schmiedelieder.[1]
Freitag 2ten
Drolliger Weise träumte ich von Sainte-Beuve[2] und Schure, wie ich dies R. erzähle, sagt er, daß er gerade auch am Morgen an Schure gedacht und sich seine hohe Meinung von den Franzosen dadurch erklärt, daß er eine so hübsche Erfahrung an Se Beuve gemacht (der ihn an die Revue des deux mondes brachte). Wir arbeiten an der Biographie und kommen bis zur Ankunft Minna's in Paris, wo R. jetzt sich unterbrechen will. - Nachmittag in die Stadt mit »Stirb-Stirb« (Lulu erzählt uns, daß unser Bauernkutscher im Dorfe so heißt, weil er alle Abende betrunken singt, wenn ich stirb, stirb, stirb, dann soll'n sechs Jungfrauen mich begraben). Besuch des Dekan, wahrhaft von den Toten auferstanden, und der durch seine Güte, seine Lebhaftigkeit des Geistes uns wirklich entzückt und einzig in uns das wehmütige Gefühl erweckt, ihn so spät erst haben kennen gelernt; er liest das Nietzsche'sche Buch und ist ganz entzückt davon, sagt, es seien Dinge darin, die zum Besten gehören, was unsere Literatur besäße. Er erleichtert mir die Frage meines Übertrittes sehr, sagt mir, daß er beim ersten Anblick in meinen Augen vieles gelesen habe und für Ehre und Frieden meines Hauses besorgt sein wolle. Sehr gerührt scheiden wir von dem herrlichen Mann, den wir kaum gewonnen, fast schon verloren, und nun, wieder erobert, so kurz wohl nur werden genießen dürfen. »O dieses Menschenleben!« - Von ihm zu unserem Hause, das hübsch empor steigt, dann zu Feustels; viel Freude wieder an ihm und dem Bürgermeister. - Gegen 9 Uhr mit »Stirb-Stirb« heim. Einen Brief von Franziska vorgefunden, und zu Bett. (»Hier ist viel verschüttet.«)
Sonnabend 3ten
R. singt eine Kantilene aus den »Puritanern«,[3] dabei bemerkend, daß Bellini solche Melodien gehabt, wie sie schöner nicht geträumt werden können. Dabei gedenkt er Rubini's, wie wundervoll er dies gesungen, und meint: »Auf ganz andre Wege müssen unsere deutschen Sänger sich begeben, diese Begabung haben sie nicht; durch das, was ihnen versagt ist, müssen sie sich zu Unerhörtem aufschwingen, wie Wieland durch die fehlenden Füße zum Fliegen gebracht wurde.« R. blickt nach dem Frühstück etwas in die Jordan'schen »Nibelungen« und muß über ein naives Stehlen lachen, »die Friesin Ortrud«, sagt Jordan, während R. den Namen Ortrud erfunden und seine Gestalt zur Friesin gemacht hat. - R. kommt auf die Idee, seine Götterdämmerung »Göttergericht« zu nennen, da er soeben in einer neuen Schrift gelesen hat, daß Ragnä Rökr Göttergericht heißt; er sagt: »Götterdämmerung ist sehr schön, wenn es unzweifelhaft feststeht, daß das Wort das heißt, es klingt geheimnisvoll; wird der Ausdruck bezweifelt, so ist er auch nicht präzis genug, und Göttergericht wäre sehr gut, denn Brünnhilde hält das Gericht über sie.« - Gesangsübung mit dem Tenoristen; unangenehme Charaktererfahrungen an Herrn R.* (*Rubinstein) Abends die letzte Scene von der Walküre vorgenommen. - Wie wir mit R. über das Shakespeare'sche Theater sprechen und die Beteiligung der Zuschauer daran, inmitten welcher die Schauspieler standen, sagt R., man merkt es den Gestalten Shakespeare's an, daß sie von allen Seiten gesehen wurden, sie sind so detailliert; während die Erscheinungen der griechischen Tragödie wie Schattenbilder waren.
Sonntag 4ten
Regnerisches Wetter; die Kinder aber in die Kirche geschickt; Briefe geschrieben; R. beginnt eine theoretische Arbeit. Nachmittag Besuch des Bürgermeisters mit Tochter und Sohn. Aufklärung über Julius Fröbel gegeben. Abends mit Hülfe des Pianisten und des Tenoristen musiziert. - Sehr hübscher Brief des Rektors aus Eisleben, welchem R. einige Zeilen des Dankes geschrieben; er will einen würdigen Empfang R.'s vorbereiten und bittet um genaue Angabe der Zeit des beabsichtigten Besuches. - Wiederum ist eine Schmähschrift (Dr. Mohr, Köln[4]) gegen R. erschienen. R. bemerkt es, weil er sich nicht genug darüber wundern kann, daß in der Erwiderung Herr Stade Herrn Paul Lindau als taktvollem u.s.w. u.s.w. den devotesten Vorwurf macht, die Schrift zu rühmen. Und R. entsinnt sich, den Herrn Paul Lindau von sich als unverschämt und ungebildet gewiesen zu haben. »Damit ist alles gesagt«, bemerkt R. - Einen reizenden, die ganze italienische Urbanität dokumentierenden Brief schreibt der Buchdrucker Bonfantini.
Montag 5ten
Loldi immer noch leidend; was mich sehr betrübt. Ich korrigiere einige Blätter aus R.'s Biographie, während er an seinem Aufsatz arbeitet. Nachmittags gehen die Kinder zum Eckersdorfer Pfarrer und ich bleibe bei Loldi, während R. nach der Gegend des Sophienberg hin sich verliert, wo er mehrere Dörfer besucht. Abends liest er mir zum Spaß den ersten Akt von den Hebbel'schen »Nibelungen«; unglaublich schlechtes Machwerk. - Die Mutter schickt den ersten Band ihrer Geschichte der Niederlande.[5]
Dienstag 6ten
Stürmische Nacht; keinen Schlaf gefunden und ziemlich leidend, weil lange nicht mehr aus gewesen. Gestern besprach R. unsre Theaterbesichtigungs-Reise im Oktober; mir bangt vor dem Gedanken, die Kinder zu verlassen und überhaupt in die Welt zu treten. R. arbeitet an seinem Aufsatz über Schauspieler,[6] um den 9ten Band zu vervollständigen, behauptet aber, daß er jetzt viel lieber an den Aufsatz über deutsches Wesen gehen würde, angeregt durch die Bücher, die er gelesen. Nachmittags Überraschung durch Richter; der aber nur zwei Tage hier bleiben kann. Abends die jungen Leute und Svendsens. Depesche von Niemann, ob er Mitte August kommen kann, für den Siegmund! - Brief von Mme Lucca, daß wir nach Mailand zum Lohengrin kommen müssen.
Mittwoch 7ten
R. riet gestern eingehend dem Herrn Svendsen, in Bezug auf Instrumental-Musik möglichst heitre Themen und Stimmung sich zu wählen; sonst suche man zu sehr nach dem Gegenstand und überhöre die Musik; das Exzentrische müsse durch das Drama erklärt werden. - Richter frühstückte mit uns. Nachmittags geht R. in die Stadt mit ihm; sehr starkes Gewitter. Abends unsre Musikanten. Freude an Chopin'schen Werken. Brief einer Dame aus Köln, sehr enthusiastisch - bittet aber R., ein Geibel'sches Gedicht zu komponieren, damit er den Beweis führe, daß er andrer Gedichte komponieren könne.
Donnerstag 8ten
Abschied von Richter, der nach Pest zurückkehrt und mir immer wert ist, als Zeuge der Tribschener Tage und als bewährter Mutiger. - Brief Marie M.'s, sie hat mit Niemann Tristan vorgenommen. R. bemerkt zu allem, was ihm bevorsteht, »ach! nun wir uns haben, ist nur noch die Plage des Lebens miteinander durchzumachen!« - Wie wir Fidi ansehen, gedenken wir des Momentes, wo wir ihn zum Kriegsdienst werden hingeben müssen, »fast möchte ich so egoistisch sein und wünschen, daß dann kein Krieg mehr wäre«, sagt R.; und dann: »Wie gut, daß man ein Vaterland hat, so daß man mit Enthusiasmus das furchtbare Opfer bringen kann!« - Nachmittags nimmt R. ein wenig die »Götterdämmerung« vor und verändert eine Modulation in der Scene zwischen Waltraute und Brünnhilde, die er zu heftig findet, er sagt, man könne sich sehr leicht zu sehr in das Detail verlieren. - Ich schreibe an Mme Lucca, um zu versuchen, ob wir uns von dem Mailänder Engagement befreien können. Großes Gewitter. Wir gehen dann spazieren durch die große schöne Straßen-Allee, die nach Bamberg führt, schöner Blick auf die Kornfelder und weiter auf Bayreuth. Ergreifende Begegnung eines Mannes, der mit dem Eisernen Kreuz und zwei Verdun-Medaillen uns um ein Almosen für seine Reise bittet, er ist Eisengießer und geht zu Fuß nach Straßburg; R. wird ernst, gibt ihm einige Gulden, mir sagend, daß er es den Leuten nie vergessen könne, was sie für uns gestritten. - Herzliches Lachen über den Ozon; »jetzt weiß ich doch, was ich gestern eingeatmet habe, wie ich gestern aus dem Petroleum-Laden [trat], in den ich beim Sturm geflüchtet, das B. Tagblatt sagt, eine von Ozon angefüllte Luft!« Er muß auch sehr lachen über eine Berliner Anekdote von einer trostlosen Witwe, die sich schließlich über den Tod ihres Mannes beruhigt, indem sie sagt: »Nun weiß ich doch, wo er nachts bleibt!« Große Freude an dem Ländchen hier; hohe dichte Bäume, schöne Felder, gute Gesichter, wie das unsres armen Mannes. Abends lesen wir Döllinger's Festrede[7] bei der Münchner Feier, die sehr interessant ist. - Wie wir schon uns zu Bett begeben haben, müssen wir sehr über die Hebbel'schen »Nibelungen« lachen (Siegfried - Münchhausen; die Helden, die in den Kulissen Heldentaten ausüben und dann erscheinen und höhnisch darüber sprechen; Hagen, der den todverwundeten Siegfried verhöhnt).
Freitag 9ten
R. hatte gestern Herzbeklemmungen, die sich denn in einem Traum ausdrücken; er träumt sich im Wagen mit mir und den Kindern, und durch Loldi darauf aufmerksam gemacht, sieht er einen an einem Teich angebundenen Esel, der immer tiefer versinkt, bis er tot da schwimmt, ohne daß R. ihm zu Hülfe gehen kann. - Gestern erinnerten [wir] uns unter Tränen der kleinen Freunde Kos und Fitzo! - Ich träumte vom Vater, dessen Verhalten gegen mich mir zu sinnen gibt. Nachmittags kommt Herr Diener, und R. ist wahrhaft über seine Fortschritte erfreut. - Was mich aber sehr erschrickt, sind R.'s Herzbeklemmungen. (Gegen Mittag liest mir R. den Anfang seines Aufsatzes über Schauspieler vor; er erwähnt darin ironisch Emil Devrient[8] und muß in der Zeitung abends lesen, daß er soeben gestorben). Abends unsre kleine Gesellschaft, welcher R. zu unsrer größten Erheiterung die Kasperl-Vorstellung von Heidelberg erzählte. - Wie wir gestern über die Hebbel'schen »Nibelungen« sprachen, sagte R.: V. Hugo ist der Vater all dieser deutschen Stücke; in den gräßlichsten Situationen sagten die Leute sich noch Pointen; und wie trocken alles Grauenhafte hier geschieht; während Shakespeare alles zu Hülfe ruft, den Sturmwind, das Lied eines Narren, die Erscheinung eines Dolches u.s.w., wird hier alles so platt und nackt einem vorgebracht. -
Sonnabend 10ten
Brief des Herrn Voltz, mit gar merkwürdigen Dingen von dem Meser'schen Geschäft in Dresden. Von Herrn Schott die Partitur der Walküre zurück. R. arbeitet an seinem Aufsatz weiter und
bemerkt lachend, daß er mir nie etwas mitzuteilen habe, daß er nur seine Gespräche mit mir abspräche. - Mit den Kindern in die Schweizerei; abends nach langer Unterbrechung wieder in unsrem Gibbon gelesen. (Erste Gamasche für R. fertig gestrickt, wobei ich ihm lachend bemerke, daß mich früher kein Gott zu solcher Arbeit bewogen hätte).
Sonntag 11ten
Briefe geschrieben (Lenbach, M. Much.); R. an seinem Aufsatz, Kindertisch; Loldi's Auge etwas wohler. Sonntag Spaziergang; schöne Ruhe. Briefe: Wesendoncks laden zur Vermählungsfeier ihrer Tochter ein; Frau Lehmann meldet ihre Ankunft mit ihrer Tochter, und Kmeister Levi seinen Besuch.
Montag 12ten
Brief an Marie Schl. - R. arbeitet an seinem Aufsatz. Mit den Kindern im Garten; viel Scherz über den für heute angesagten Weltuntergang. In die Stadt gefahren; die Götterdämmerung, von Herrn Rubinstein sehr schön abgeschrieben (III. Akt) und gerade am Weltuntergangs-Tag fertig, wird zum Buchbinder für den König gebracht. (Orange-Sammet). Dann unser emporwachsendes Haus, das sehr hübsch wird, besucht. Darauf zu Feustels; neue Not in Bezug auf das Theater, der Herr Brückwald scheint auch unzuverlässig. Beim Heimgang Bemerkung, daß der alte Mantel von Zürich, der mich sowohl als R. oft bedeckt (»schier 30 Jahre bist du alt!«), uns gestohlen worden ist - was mich recht betrübt. Abends beim Mondschein heim; trauriger Eindruck durch Loldi's Auge, das R. wie blöde findet! — Die Leute erzählen, daß ein Herr von Hagen[9] mit seiner Mutter da war, sich als enthusiastischster Verehrer zu erkennen gab, nur die Arbeitsstube zu betreten wünschte und auch nach Fidi frug. - Mit einem tiefen Gefühl von Lebensmüdigkeit begebe ich mich zu Bett.
Dienstag 13ten
R. träumte, daß Hans bei uns wäre und daß ich ihm meldete, ich habe das Nervenfieber, es würde aber nichts sein! - Wir lasen gestern in einer Zeitung, daß Hans ein Konzert für Bayreuth in München dirigieren wollte, was auch durch Marie Muchanoff bestätigt wird. - R. arbeitet an seinem Aufsatz, ich mit den Kindern im Garten. Nachmittag Besuch der Familie v. Hagen, der Sohn, Studios. phil., hat sich die Reise nach Bayreuth zu seinem Geburtstag gewünscht. Es wird musiziert, der dritte Akt der Götterdämmerung bis zu Gutrune's Auftreten; ganz herrlich, mir im Zusammenhang selbst neu. - Abends im Mondschein spazieren gegangen; traurige Meinungsverschiedenheit zwischen R. und mir, »das dümmste was vorkommen kann«. R. spricht - indem er in der Zeitung von einem Mann liest, der zwei silberne Hochzeiten gefeiert - von der Möglichkeit unsrer silbernen Hochzeit und sagt: »Das würde ein Fest wie kein andres! ach! ich möchte viel jünger sein, nicht etwa um Vergangenes neu zu erleben, sondern um die Gegenwart länger zu genießen!«
Mittwoch 14ten
Besuch unseres guten Dekans, der uns immer Freude bringt; er übernimmt es, bei Frau Svendsen die Taufe zu halten. Nachmittags Fortsetzung des dritten Aktes; übermächtiger Eindruck; mir geht es dabei auf, daß alle Gestalten der wahren Dichter Rätsel sind wie die Erscheinungen auf den Bildern der großen Meister; es ist als ob der Dichter vor allem Gestalten sähe und die Sprache ihm nur ein unvollkommenes Werkzeug sei, um diese Gestalten ganz wiederzugeben, wie er sie sieht, er sieht sie gehen, stehen, handeln, leiden, Motive kennt er eigentlich nicht, so steht er über der Kausalität. Warum der Franzose bessere Theaterstücke schreibt als der Deutsche (der mediokre!), das ist, weil, wenn er auch keine inneren Gestalten sieht, er doch vor seinem leiblichen Auge seine Schauspieler hat, deren er gedenkt, denen er die Sachen anpaßt. Unsre deutschen modernen Dichter aber, bei denen alles aus Büchern gemacht ist, sehen weder innere noch äußere Gestalten; bei ihnen gibt es
auch keine Rätsel, alles eine klare und zugleich seichte Un-Tiefe. - Abends ärgert uns unser Wachtmeister durch die Meldung, daß unser eigenes Haus sehr feucht sein wird; R. sagt: »Wie die Leute einem doch gern Übles sagen.« Ich begreife es, sie bewahren sich so vor dem Neid. - R. liest jetzt gern in A. W. Schlegel's kritischen Aufsätzen. - Große
Freude an Fidi's Güte des Herzens. (Ankunft der Medaille für den König). - Wie wir über das Spiel Josef Rubinstein's sprechen, sagt R., es sei merkwürdig, wie die Juden eigentlich kein Thema heraushören noch spielen, er erinnere sich, daß Levy in Dresden[10] (nicht der Wiener) den ganzen Holländer durchgespielt habe, ohne das Thema des Holländers zu erkennen.
Donnerstag 15ten
Früh in die Stadt mit den drei ältesten, um 10 Uhr die Taufe von Frau Svendsen und ihren Knaben, R. und ich (Pate) sehr ergriffen. - Weinend bemerkt R., daß jedesmal, daß die Worte ausgesprochen werden, das ist mein Fleisch u.s.w., unser Herz förmlich zerrissen wird. Der Dekan sehr gerührt und rührend. Dann Wohnung und Haus besucht, gegen 2 Uhr heim; unsere Wäscherin zieht zu Ehren der neuen Christin eine Pistole und schenkt Blumen! - R. sehr müde; wandeln durch den schönen Park; verschiedene Plätze aufgesucht. Abends in Gibbon gelesen. - Üble Nachrichten vom Architekten Brückwald, der lässig ist; dagegen guter Brief des Dekorationsmalers Hoffmann in Wien, der seine Aufgabe zu verstehen scheint. - Der Dichter Herr Hartmann taucht wieder mit einer »Päpstin Johanna« auf und zugleich als Captatio benevolentiae mit dem Vorschlag einer Krönung R.'s wie Petrarca — elend!
Freitag 16ten
Da ich R. alle meine Gedanken über Dicht- und Schauspielkunst mitgeteilt, sagt er: »Immer beschäftigen uns dieselben Gegenstände, und unser Verstand ist so eins, daß immer der eine des andren Einfälle ausdenkt und bereichert.« Ich schreibe mehrere Briefe, schicke unter andrem Herrn Hartmann seine »Päpstin Johanna« zurück. R. arbeitet an seinem Aufsatz. Nachmittags in die Schweizerei mit 7 Kindern. Briefe von A. Frommann und einen sehr interessanten von einem Violoncellisten Herrn De Severt aus Berlin, welchen Wilhelmj für das Orchester von Bayreuth gewonnen hat und der sein Ausbleiben bei der 9ten Symphonie dahin erklärt, daß Herr De Ahna - mit der Werbung in Berlin betraut und früher Wagnerianer - durch Joachim derart eingeschüchtert und umgewandelt sei, daß er 1. die guten Kräfte der Kapelle gar nicht geworben, 2. im letzten Augenblick absagte; was uns allerdings sehr bedenklich damals erschien. - Letzter Abend mit Svendsens; herzlicher Abschied von den vortrefflichen, sehr gut gebildeten Leutchen, die nun nach Christiania wandern.
Sonnabend 17ten
Wir lasen noch gestern in dem Roman »Um Szepter und Kronen«[11] und müssen mit Staunen die Wahrhaftigkeit der Darstellung anerkennen; zwei Wesen, die wir kennen, Klindworth und Beckmann, sind wie photographiert; auch scheint die Motivation der Ereignisse von 66 sehr plausibel. R., nicht sehr wohl, unterhält sich mit dem Buch. - Nachmittags Herr Niemann und Kmeister Levi, ersterer nimmt einen Teil des Siegmund mit R. vor; letzterer erzählt von einem Brief des Herrn Weißheimer, darin dieser ihm 1000 Thaler und Wein für alle Zeiten anbietet, wenn er den »Körner« in Karlsruhe bringen wollte! - Böse Nachrichten von Bayern; der König hatte den deutschen Kronprinzen bei seiner Durchreise nicht gesehen, und man spricht von Herrn Windthorst; der Haupt-Ultramontane als Minister für Bayern. Sehr schlimm.
Sonntag 18ten
Die Kinder in der Kirche, ich mit Fidi im Garten, schreibe Briefe, an M. Meysenbug und A. Frommann. R. ist angegriffen, arbeitet aber doch etwas an seinem Aufsatz. Kindertisch. Nachher die Musikanten - fünf an der Zahl - R. spielt den 3ten Akt der Götterdämmerung vor, welcher die Leute förmlich erschreckt. Herr Niemann sagt, daß keiner es je würde so vortragen können wie R. selbst. Beim Abendessen bemerkt Kmeister Levi, daß, wenn er in allem mit Bismarck gegangen wäre, er mit dem Jesuitengesetz nicht mit könnte, worauf R. sehr außer sich geriet und den Schaden, den die k. Kirche Deutschland zugefügt, in lebhaften Worten darstellt. Dann kommt man auf die jammervolle Weise, in welcher die deutschen Siege in Deutschland, besonders in Berlin, gefeiert worden wären; bald nach Metz habe Louis Schneider[12] an Niemann telegraphiert, sich eine Scene Barbarossa's Erwachen zu bestellen, was H. N. sehr erstaunt habe - und wirklich habe er später den Barbarossa geben müssen, mit lebenden Bildern und jämmerlicher Musik. Er sagte, er habe sich geschämt, diese Farce vor den Helden darzustellen. - Abends, wie die Herren sich zurückziehen, komme ich auf den Einfall, R. zu bitten, die »Kapitulation« zu lesen, was er auch tut. Beim Abschied sagte mir Km. L., er sei förmlich froh zu gehen, denn er fühle sich hier vollständig als Null, er müsse nun suchen sich wiederzufinden; seltsame Art - mich deucht, daß man sich erst recht findet, wenn man dem Großen gegenübersteht und sich verliert. - R. ist abends sehr müde und klagt, daß er sich meiner - unsrer Vereinigung - so wenig freuen könne, immer käme eine Sorge, eine Aufgabe dazwischen. Mich dünkt, es ist wie ein Traum, der nichts ist als eine Störung - so ist es im Traum des Lebens; in Sehnsucht zehrt man sich auf, ist das Ersehnte erreicht, darf man es nicht genießen.
Montag 19ten
Brief des Herrn v. Gersdorff; sehr Übles vom Akademischen Verein in Berlin berichtend; dazu eine Sendung von Kostüm-Zeichnungen für den Ring von einem Herrn in Nürnberg, die so arg sind, daß sie wirklich belustigend wirken. Wie ich im Garten mit den Kindern arbeite, werde ich abberufen, Frl. Lehmann[13] ist da; R. läßt sie aus Lohengrin singen, die Stimme ist schön, und sie ist gut musikalisch, aber die Unarten des Vortrages sind unglaublich. Sie und ihre Mutter, die R. seit mehr als 40 Jahren kennt, bleiben zu Mittag; wir erschrecken allerdings über die Gespräche, die da geführt werden; der Umgang des deutschen Kaisers mit Mme Lucca, die ihn auf der Bühne duzt und sich von ihm ihre Kleidungen heften läßt, stimmt uns traurig. Das ist keine Würde mehr der Krone noch der Kunst. Um fünf gehen die Frauen fort; R. sehr sehr müde. Spät abends Herr Niemann - seltsames Gespräch mit diesem Mimen -alles ein Studium, doch kein sehr erfreuliches. Die Roheit dieser Wesen ist wahrhaft erschreckend, - doch in N. steckt ein wuchtiges Naturell - Schnorr aber werden wir nie mehr finden! - Ich lese noch einiges R. in dem Roman von Samarow vor; mit großem Kummer gehe ich zu Bett, denn R. ist sehr angegriffen, ich fürchte, daß er die Anstrengungen gar nicht wird ertragen können!
Dienstag 20ten
R. hatte eine sehr üble Nacht; ich bin sehr traurig! - Herr Hartmann schreibt mir böse, daß ich sein Stück ihm ohne große Expektorationen zurückgeschickt, er glaubt nicht, daß R. es nicht gelesen habe! R. setzt die Widmung der Götterdämmerung für den König auf und schreibt einige schöne Zeilen an Myrrha Wesendonck zu ihrer Vermählung. Aus Amerika meldet sich ein Quartett Club als Richard Wagner Club. R. arbeitet an seinem Aufsatz; »Faust« das eigentliche deutsche Theaterstück. - Nachmittags Herr Niemann, um den Siegmund zu studieren, er gibt sich Mühe. Wie ich aber abends mit R. darüber sprechen will, sagt er: »Sprechen wir nicht, du verstehst mich ja so, wir haben uns nichts zu sagen — mir geht es wie Wallenstein, die Freude ist, was diese Sache betrifft, für mich dahin, ich werde ihn nie wiedersehen.« (Schnorr). - Niemann ladet uns zu morgen ein mit den Kindern; wie ich R. sage, daß die Annahme mir schwer gefallen ist und ich mich entschuldigen möchte, ruft er mir zu, »nun, Reue ist der beste Koch«. - Herrlich war R. heute, als er sowohl angab als selbst vormachte; roh und flach erscheinen alle ihm gegenüber. - Prachtvoller Mondschein.
Mittwoch 21ten
Brief von Marie Dönhoff und Pr. Nietzsche; letzteren beantworte ich sogleich. R. hat Ärgerlichkeiten mit seinem Schwager Wolfram,[14] der, ohne ihn zu benachrichtigen, mit dem Theater-Direktor in Chemnitz einen Vertrag geschlossen hat. Um ein Uhr in die Stadt gefahren, die Kinder kommen mit »Stirb-Stirb« nach und erwirken uns eine gute freundliche Stimmung. Ausfahrt nach der Eremitage (»da zischt's und pischt's in tausend Kleinigkeiten«!), wo R. eine große Freude an dem Laufen der Kleinen, ihrem Rufen und Lachen hat. - Unsre Stimmung bleibt heiter und ruhig, selbst unter den Mißverständnissen des guten Mimen, der Bayreuth lieber in Berlin sehe! Nur ist R. sehr müde, das anhaltende Sprechen strengt ihn sehr an. Brief Richter's, daß er nicht nach Italien kommen kann. Brief Karl Brandt's, er konferiert endlich mit dem Baumeister Brandt* (*Verschrieben, gemeint ist Brückwald (s. Montag, 26. Aug.) - scheint nicht für den Dekorationsmaler Hoffmann eingenommen zu sein, ohne jedoch einen andren zu wissen. R. singt und spielt aus der Götterdämmerung vor, was uns entzückt — allein ich bin um ihn besorgt!
Donnerstag 22ten
Sie sagen alle, R. sähe viel besser aus als vor Jahren, und Niemann konnte sich über seine Jugendlichkeit und seinen Humor nicht genug wundern - ich allein bin besorgt, wenn ich auch der Heiterkeit R.'s nicht widerstehen kann. (Hier hat ein Mann seinen Compagnon verloren, sagt er, wie wir vor einen Laden fuhren mit der Aufschrift Anton Pausch; der Compagnon war Bogen; dann von einer Frau, von der ich meinte, daß sie an Zahnschmerzen litt, sagt er: Dann sind es Zahnschmerzen aus Sympathie, aus Mitleiden, denn sie hat fremde Zähne!). Ich befürchte die riesigen Anstrengungen, die vor ihm liegen. Lusch hat wiederum arge Zahnschmerzen, das arme gute Kind. R. meint, ich sollte mit ihr nach einer großen Stadt zu einem Zahnarzt reisen. - Es ist jetzt die Zeit der Vögel-Eindrücke; gestern fanden die Kinder eine kleine Lerche im Gras, legten sie in ein leeres Nest auf einen Baum und füttern [sie]* (*Statt »es«) - heute war das Nest leer; gestern abend flog eine Fledermaus zu uns herein, was mich sehr erschreckt - so töricht ich diese Angst selbst finde; und das Kanarienweibchen ist uns krank geworden. - Gegen Mittag kommt Herr Niemann, um Abschied zu nehmen, er küßt R. die Hand, was R. nötigt, ihm die Wange zu reichen. Wie wir gestern in die Stadt fuhren, besann sich R. seiner Erfahrungen mit diesem Sänger, wie er ihn in Paris verraten, wie, als R. vor einigen Freunden diese selbe Walküre [vortrug], die Niemann jetzt begeistert vorsang, der Tenorist gekichert habe und nicht habe erwarten können, daß er zu Ende käme. »Nun«, sagt R., »das ist so lange her, daß er mir ein vollkommen neuer Mensch ist, es ist so gut wie vergessen, nur werde ich nie mit ihm leidenschaftlich werden, er kann sagen was er will.« - R. arbeitet an seinem Aufsatz und korrigiert an der Biographie; Lulu's Zähne etwas besser, die älteren Kinder machen mir dadurch Freude, daß sie den kleinen Unterricht geben. - Abends belästigt der junge Rubinstein R. sehr; es ist eine wahre Not mit diesen jungen Leuten, die nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen. - Abends viel Freude an Fidi, der am Tage durch Müdigkeit uns Sorge machte, nach einem Schlaf von 4 Stunden aber frisch und munter aufsteht und uns entzückt.
Freitag 23ten
Brief des Hofrat Düfflipp, daß er wegen einer ihm unbekannten Schuld keinen mündlichen Vortrag mehr beim König habe, und daß der König seinen Geburtstag in Hohenschwangau bei seiner Mutter zubringe, also R. nicht würde empfangen können. - Unser Vögelchen ist tot - was die ganze Kinderstube sehr traurig macht. - R. arbeitet; ich bei den Kindern, schreibe an M. Schleinitz. Regentag. R. liest mir seine herrliche Abhandlung vor. Nach Tisch fällt ihm Beethoven's Sonate 111 ein; von einer Variation sagt er, »da ist es einem, als ob man dies gleich in unzählige Blätter, Millionen von Schmetterlingen umsetzen könne. Ach! so einem begegnen wie B.! Das war die Sehnsucht meines Jünglingsalters; das nicht können, einen solchen wie Shakespeare und B. nicht mehr sehen können gab mir ein Gefühl von Melancholie für das ganze Leben mit. Und keiner meiner Mitlebenden hätte mir den Eindruck eines wahrhaft Großen - >Natura lo fa e poi[15] rompe lo stampo< - geben können. - Schopenhauer! den habe ich verfehlt; wie ich in Bieberich mich niederließ und der Verkehr zwischen uns so ergiebig hätte werden können, starb er. Dein Vater sah ganz nach Großem aus — aber!«... Abends kommt der Tenorist Diener, der durch seinen ernsten Fleiß R. recht befriedigt, er läßt ihn mir aus Lohengrin vorsingen. Der junge Mann könnte jetzt 600 Th. monatlich in Köln sich gewinnen, zieht es aber vor, bei R. zu arbeiten. - Abends uns über den Roman »U. Sz. u. K.«* (*»Um Szepter und Kronen«) unterhalten, dessen politischen Teil wir für sehr gut halten.
Sonnabend 24ten
Gestern erhielt R. eine Antwort von der Dame (die ihn bat, ein Geibel'sches Gedicht zu komponieren) in Bonn, die wirklich über alle Maßen dumm ist; R. hatte ihr von seinen »Stümpereien« gesprochen, darauf erwidert sie, er möchte seinen Wert nicht verkennen! »Der Grad des Cretinismus«, sagt R., »ist wirklich unermeßlich.« R. arbeitet an seinem Aufsatz; ich schreibe an Gräfin Dönhoff und Marie M., welche wiederum das Kapitel des Besuches beim Vater beginnt, sie rät mir sehr uns anzumelden - doch [da] der Vater seit dem Besuch von Frau v. M.** (**Frau von Meyendorff) hier gegen mich schweigt, so halte ich dies nicht für tunlich. Nachmittags der Tenorist Diener, mit welchem R. so zufrieden ist, daß er ihn bald entlassen zu können glaubt. Spaziergang mit den Kindern; Schweizerei und Wolfsschlucht. Abends wiederum einmal in Gibbon gelesen. R. zeigt mir dann eine Depesche, die er an den Pfarrer Tschudi schickt mit der Anzeige der Gratifikation für die Kirche: »Das ist das einzige, was ich dir zum morgenden Tag schenken kann.«
Sonntag 25ten
Schöner heller Tag; R. kommt morgens zu mir, mir zu gratulieren; wir gedenken unseres Trauungstages; wir sprechen den Kindern nicht davon und feiern nur des Königs Geburtstag. Mit den Kindern am Morgen spazieren zum Siegesturm, während sie »Entdeckungsreisen« machen; Lulu »Fortunatus« vorgelesen. Kindertisch; Königs Gesundheit, wir feiern unseren Tag dadurch, daß wir zusammen bleiben, R. und ich; er liest mir, was er an seiner Arbeit gemacht, dann gehen wir zu der Bank vor dem Spielplatz mit den Kindern und träumen miteinander; dann in die Schweizerei und in die Wolfsschlucht, wo mich R. gegen 6 1/2 Uhr verläßt in der Besorgnis, es könnte jemand zu Hause sein; ich verbleibe, und während die Sonne untergeht und die Tannenstämme erglühen, gedenke ich dankend meines Glückes - wie hätte es mir werden können, verachtet, von meinen Kindern beraubt, mit R. ungetraut könnte ich mich verbergen, nun darf ich als sein Ehgemahl ihm beistehen und darf meinen Kindern leben - unsägliches Dankgefühl - Segen über Hans, der dies alles ermöglichte. Gegen 8 Uhr heim; ich sei ein Waldweibchen, sagt mir R.; Brief Marie M.'s, die meldet, daß Herr von Perfall sich an ihn*** (***Gemeint ist: Hans von Bülow) gewendet, um ihn mit W. zu versöhnen!! - Wir lachen und staunen, er muß wahrscheinlich durch dieses Manöver Hans, den er haßt, fernhalten wollen, wie er auch zu diesem Zweck Levi engagierte. - R. liest mir den Prolog des »Faust«, anknüpfend an das, was er in seiner Schrift über die Bedeutung des »Faust« gesagt hat. - Über den schönen Tag freute er sich und sagte: »Alles was wir sind, alle unsere Freude, alles kommt uns doch von dem Licht, ohne es sind wir nichts.« Als ich R. gestern sich hinter dem Gebüsch im Wald entfernen sah, kamen mir wie im Schwall alle meine Gefühle zu ihm, und die Seele eilte ihm nach, während der Körper festgebannt blieb. - Wir müssen herzlich über Scenen aus der »Brünnhilde« von Geibel lachen, die nun R. auch vorgenommen; das ist nun der Akademiker und Klassiker, der, alles Nebenwerk verachtend, nur die Heldin sich nahm, um ein Stück wie »Medea«, »Sappho«,[16] »Phädra« etc. zu schaffen; während Hebbel der Romantiker ist - beide so platt und erbärmlich, daß man staunt, nicht über sie, sondern über die Leute, die.das ertragen oder gar loben. - Wir sprechen von Lebensbeziehungen, und R. schließt damit: »Du bist das einzige Wesen, das mir etwas gegeben hat, dem ich gern und aufmerksam zuhörte; du und Onkel Adolph; sonst hat mir niemand etwas gebracht.«
Montag 26ten
Kirchweih! Gestern schon hörte ich durch den Wald viel Sing und Sang, der mir gar wohl gefiel, heute ist der Lärm noch größer, Bauerntanz bis bei uns im Hause. R. muß heute früh in die Stadt; es ist mir gar wehmütig, ihn gehen zu lassen; Brückwald und Brandt sind aber da, da muß konferiert werden! Den Tag über mit den Kindern; Vormittag gearbeitet, Nachmittag in das Salamander-Tal mit ihnen. Abermals Briefe von Marie M., sie betrübt mich durch die Notiz, daß Hans leidenschaftlich gern in München bliebe. Sein Konzert für Bayreuth (Sonaten) soll abermals glänzend gewesen sein. Abends gegen 7 Uhr R. heim; ganz heiser! Er bringt auch Geld mit; ich bin traurig, daß so viel verbraucht wird, ach! und besorgt, daß wir in ein neues Haus ziehen, besorgt, daß unsere Ausgaben sich immer vermehren und die Einnahmen nicht, besorgt, daß R. sich in seine Unternehmung verwickelt, bevor die Scheine gezeichnet sind. Da hilft nur der dankbare Glauben, daß Gott, der uns bis jetzt beschützt, [uns] auch fernerhin beschützen wird! R. ist mit seinem Maschinisten sehr zufrieden. Er ist aber sehr müde!
Dienstag, 27ten
R. ist so angegriffen, daß er mich ersucht, in die Stadt zu fahren, die Pläne anzusehen und ihn bei den Bauräten zu entschuldigen, was ich tue und zugleich unser Haus besuche. R. arbeitet. Herrn Brückwald zu Tisch, was uns ein wenig beschwert, worüber wir aber schließlich viel scherzen. Abends über die Reise des Kronprinzen durch das Bayernland gesprochen, sehr demütigend für den König, und doch wie ändern? - Besprechung des üblen Standes der Schullehrer und Pastoren; Jammer, daß es so stünde, Notwendigkeit einer großen breiten Reform - wer denkt daran? — Brief von der Mutter, sie scheint ganz wohl.
Mittwoch 28ten
Abermals bittet mich Marie M., den Vater zu besuchen! Unerfreuliche Besprechung mit R.; große Befürchtungen, diese Reise scheint uns eine Torheit - Gott weiß, was wir beschließen; in beiden Fällen werden wir beunruhigt sein. - R. arbeitet, ich mit den Kindern; schreibe an Marie M. über Herrn von P.* (*Perfall) und meine Bedenken gegen die Reise. Nachmittags lese ich in der Mutter Geschichte von den Niederlanden. R. in A. Schlegel's Schriften, die ihn sehr interessieren. Abends ist der junge Rubinstein bei uns, und ich ersuche R., uns seine Arbeit im ganzen vorzulesen, was er zu meiner großen Freude tut. - Mit den Kindern war ich in die Schweizerei gegangen, dort trafen wir R. mit Rus, Milch trinkend - Fidi sehr launisch; R. bemerkt, daß er ihm gern einen Spielkameraden wüßte, um ihn aus dem beständigen Frauenumgang zu bringen.
Donnerstag 29ten
Brief des Herrn Schäfer,[17] das Konzert in München hat 1400 Gulden eingebracht! Erneutes Gespräch mit R. über den Besuch in Weimar; er wird heftig, ich bitte ihn, den Gegenstand nicht mehr zu besprechen. Zu Mittag sagt er mir, er habe zu mir kommen wollen, mich zu umarmen und mir zu sagen, daß ich nach Weimar reisen sollte und daß er mich abholen würde. Das scheint mir gut** (**Mitte der Seite verschmutzt, angemerkt: »Werk Fidi's!«), doch da R. ironisch beim Kindertisch von dieser Reise spricht; »Ja, man muß diplomatisieren«, u.s.w., so bitte ich ihn wiederum, an die Sache nicht mehr zu denken, wir würden alles auf sich beruhen lassen. Er entschließt sich dann, an den Vater zu schreiben, was er gleich tut, ihm unsre Bereitschaft ihn zu besuchen anmeldend, von ihm aber ein Wort verlangend und die Episode des Besuches seiner Freundin berührend. Der Brief ist prächtig und klärt auf einmal die Situation auf. - Mit den Kindern in die Schweizerei, R. trifft uns dort; durch den Wald heim, Fidi: »Aber Mama, das ist ein komischer Weg.« - Abends der gute Josef R., der uns wohl ein wenig lästig ist; wir lesen die Gespräche von Schlegel über die Sprache; indem ich hervorhebe, was er über die Einfalt Homer's sagt, bemerkt R.: »Es sind trostlose Zeiten, wenn man über derlei schreibt - wenn unser Theater blühte, so würde ich gewiß nicht über Schauspieler und Sänger schreiben.« Er bemerkt, wie Goethe und Schiller durch ihre kritischen Untersuchungen von ihrem eigentlichen Dichterberuf zerstreut worden seien; »Elpenor«, »Braut v. Messina« Resultate dieser kulturhistorisch bedeutsamen, aber dichterisch unproduktiven Periode, bis Schiller nur Theaterdichter sein wollte und Goethe zu seinem »Faust«, den er ästhetisch nicht sonderlich achtete, zurückkehrte. »Die Musik ist die einzige naive Kunst - bis zu Mendelssohn. - Beethoven hat über das Wesen der Symphonie nicht nachgedacht.«
Freitag 30ten
R. hatte eine üble Nacht - »ach! was ich gesund sein nenne, ist, seinen Neigungen leben können, und meine Neigung ist Produktivität; jetzt müßte ich des Morgens herumlaufen, anstatt da zu sitzen und arbeiten«. Wie ich ihm mitteile, wie froh mich sein Brief an den Vater gemacht, und wie ich ihn liebe, sagt er: »Ich dich aber noch viel mehr, und du bist schöner und vollkommener als ich«!! Wie wir von jener Frau* (*Gemeint ist: Mathilde Wesendonck) sprechen, die nach langem Umgang mit ihm sich so wenig seine Ansichten zu eigen gemacht, daß sie nun Literatur-Dramen schreibt, sagt R.: »Solche Beziehungen waren ein beständiges Rühren meinerseits; was daran ist, kann man einzig beurteilen, wenn das Rühren aufhört und der Boden sich setzt.« - Schöner Brief des Königs, er bezieht die Worte Marke's auf den Nibelungen-Ring; »dies wundervolle Werk, das mein Wunsch etc.« -, was R. außerordentlich witzig findet. R. arbeitet; nachmittags in die Stadt gegangen, für den Fall, daß der Vater uns beruft, Besorgungen gemacht; auch für Fidi eingekauft. Wir müssen am Morgen sehr über Fidi lachen, wir hatten ihm verboten, seine Füße auf den Tisch zu legen, nun legte er sie darauf und schlug sie, sagte: »Füße, geh weg«, und drohte mit der Rute, dabei behielt er sie oben und sah uns schlau an. Brief von Malwide, dazu einer von Herwegh, erstere hatte ihn für die Herzen'schen Kinder[18] um die Briefe der Mutter an Herwegh gebeten, nun erfolgt eine grobe abschlägige Antwort, und da Malwide ihm gesagt, daß sie mit R.'s Zustimmung sich an ihn wendete, schreibt H. auch hier; »er trieft nun vor Wichtigkeit«, sagt R. Armselige Wesen! Abends macht R. Korrekturen.
Sonnabend 31ten
Briefe von Chigaco (R. wird eingeladen, zur Feier der Wiedererweckung der Stadt das neue Opernhaus einzuweihen), von Herrn Löser - wiederum Vorschläge! Und allerlei Unsinn. R. arbeitet an seinem Aufsatz und liest mir das neu Hinzugekommene nachmittags vor. Ich schreibe die Antwortbriefe, die er unterschreibt. Abends in die Schweizerei mit den Kindern, R. kommt uns entgegen, J. Rubinstein mit ihm, den er aus Mitleiden aufgesucht, der ihm durch sein unruhiges jüdisches Wesen sehr antipathisch ist, neulich bei der Lektüre konnte er keinen Augenblick still sein, »und«, sagt R., »wenn das Rauschen des Kleides einer geliebten Frau als Zeichen der Bewegung ihrer gespannten Aufmerksamkeit einen entzückt, so ist dieses männliche Gebaren nicht gerade erfreulich«. - R. liest einiges aus der Rezension Schlegel's über Bürger[19] und gibt ihm recht gegen Schiller. Die Geschichte der Niederlande von meiner Mutter interessiert mich sehr und dünkt mich sehr gut. - Ich hatte halb und halb eine Depesche des Vaters erwartet, sie kommt nicht. (Fidi's neuer Hut »der Helm des Mambrino«.)* (*( ) Am Rand nachgetragen)