Dezember

Mittwoch 1ten
R. will sich zur Arbeit zwingen, allein es geht nicht, er ist leidend, dazu Klavierstimmerleiden. Ich wie gewöhnlich mit den Kindern. Nachmittags nimmt R. mit Pohl den 3ten Akt von Siegfried vor. Abends die Biographie. - Beim Gute Nacht gestehe ich R., daß mich die Anwesenheit eines jeden Menschen mit Wehmut erfüllt; ein jeder, welcher mit der Welt in Verbindung steht und Notizen von ihr bringt, trübt den ruhigen Lauf des hiesigen Lebens, oder vielmehr bringt in mir eine melancholische Stimmung hervor. -
Donnerstag 2ten
Abreise des Dr. Pohl. R. nicht sehr wohl, besorgt Briefe. Ein Herr Köhler hatte ihm in Bezug der Meistersinger in Königsberg geschrieben und den Brief mit dem Wunsche beschlossen, R. möchte das schönste Lebensglück gewährt [sein]. Dieses Schlusses wegen antwortet ihm R. und sagt ihm, sein Wunsch sei buchstäblich eingetroffen. Kindertisch; abends Brief von Claire, ich soll an den Grafen Flavigny[1] wegen dem Gelde schreiben, sogleich beginne ich den Brief. An Judith geschrieben. Abends Kratylos mit R. gelesen.
Freitag 3ten
R. an seine Arbeit, ich in der Denkstube; lasse die Kinder etwas für ihren Vater aufschreiben. Bei Tisch sprechen wir über das Merkwürdige der Deutschen, wie z. B. an R. Pohl, der in so elender Stellung (Redakteur des Baden-Badener Journal) mit so schrecklichem Umgang doch so weit Deutscher geblieben ist, daß er eine Korrespondenz für das englische Athenäum nicht annahm, seiner künstlerischen Überzeugung wegen. Nur der Deutsche hat in künstlerischen Dingen eine Überzeugung, die anderen betrachten das als Kindereien. - Bei der Bemerkung schlechten Umgang sagte ich: »Davor werde ich Fidi bewahren«, [R.:] »Dann wird er ihm erst recht preisgegeben sein; negativ ist nichts zu machen, nur positiv. Ihm den Sinn für das Ideale wecken, daß er männlichen Widerstand leistet, das ist das einzige. Wenn er das Auge sinnend auf etwas heften wird, dann hat das Sinnliche, das Gemeine keine Gewalt über ihn. Ich weiß, mein Vater und meine Mutter, so unruhig und kärglich es auch dort herging, haben doch diesen idealen Sinn in mir angespornt. Ist das geschehen, dann kommt auch brav der Ekel vor allem Niedrigen, denn ich habe alles Schlimme erfahren, was man nur erfahren kann.« -Nach Tisch geht R. in die Stadt und bringt einen Brief der Jenenser Studenten; diese haben nach der Aufführung der MSinger in Weimar auf W.'s Wohl einen Salamander getrunken. - (Diese Nacht träumte ich von Hans, daß er bleich und verstört durch die Stube ging). - Abends »Kratylos« mit weniger Freude, weil die philologische Untersuchung R. etwas kindlich erscheint.
Sonnabend 4ten
R. an der Arbeit; hernach sehr aufgeregt. Ich mit den Kindern. Nach Tisch in die Stadt, um Weihnachtsbesorgungen zu machen. R. erkältet sich dabei und kehrt sehr angegriffen heim. Er befürchtet, morgen nicht arbeiten zu können. Abends überlege ich mein Leben und endige mit dem Gebet: »Verzeih mir, was ich im Leben und an diesem Tage Übles getan, und gewähre mir die Gnade, Gutes noch zu tun.«
Sonntag 5ten
R. hat von mir geträumt, daß ich nach München mußte und so angegriffen aussah. Der Kummer über diesen Traum, sagt er, hat eine völlige Diversion zu seinem Zustand gemacht. Gestern schrieb ihm sein alter Freund Pusinelli[2] aus Dresden und gratulierte zu seiner Verlobung mit Doris Brockhaus. - R. arbeitet, ich spiele Kasperl-Theater mit den Kindern. Großer heiterer Kindertisch. Ankunft von Kant's Werken für R. zu Weihnachten. Gegen Abend Laterna Magica, Domino, Lotto mit den Kindern. Abends wiederum Versuch, mit dem »Kratylos« fertig zu werden. - (Der Mutter geschrieben).
Montag 6ten
Brief Marie Muchanoff's, welchen ich sogleich beantworte; die Nacht war übel; die wehmütigen Gedanken überfluten mich nachts, ich schlafe nie ohne Tränen ein, die zu Träumen sich wandeln. Seltsam! Hans war eigentlich dem Weihnachtsfest unhold und jetzt, wo ich ihn allein bei dieser Feier im voraus mir denke, überfällt mich bei jeder Vorbereitung eine unaussprechliche Wehmut. R. immer unwohl, die Kinder dagegen munter.
Dienstag 7ten
Arbeit mit den Kindern, R. an seine Skizzen, er klagt aber über stetes Unwohlsein. Brief des Pr. Nietzsche, er kommt zu uns zu Weihnachten, abends liest mir R. aus »Tristram Shandy«,[3] wobei die Auslassungen gegen die Ernsthaftigkeit mir viel Freude machen, indem ich sie auf die Mucker, die Schumannianer anwende. Über Mendelssohn mit R. gesprochen. Vergleich mit dem Kristall, die Hebriden-Ouvertüre so klar, so glatt, so klangvoll, so sicherer Form wie Kristall, aber auch so kalt; solch ein enormes Talent wie Mendelssohn ist beängstigend, hat in unsrer Entwicklung der Musik nichts zu tun. Landschaftsmaler, unfähig einen Menschen darzustellen. (Ich beschäftige mich mit Semper's Textil-Kunst, wobei R. lacht und mich »du Kunstseele« nennt). Am Morgen warf mir R. vor, daß ich nicht zu ihm kam, während er arbeitete, es habe ihm die Stimmung verdorben. Kummer hierüber.
Mittwoch 8ten
Eröffnung des Konzils,[4] unbefleckte Empfängnis. Auf Tribschen nichts als Konfusion, alle Männer zur Kirche, dadurch kein Dienst und R. böse. Sein Arbeitsmorgen verdorben; ich bringe Lusch zur Gr. B., wo sie eingeladen ist. Zu Mittag Ankunft eines in Berlin verfertigten Medaillons von R., sehr ungenügend und unerfreulich. Der Parnasso italiano auch angekommen. Cornelius schickt ihn mir; abends meinen Stuhl fertig gemacht. In »Tristram Shandy« gelesen. Wie mich beim Abschied R. lange betrachtete, flossen mir die Tränen über die Wangen; weine nicht - sagte er -, denn soeben fielen mir die Worte von Siegfried zu Brünnhilde ein, und er holte seinen Bleistift und setzte das Thema auf. (Über Parcival gesprochen, erster Kuß der Liebe, Ahnung des Todes).
Donnerstag 9ten
Schönster Tag, blauer Himmel und Sonne; R. arbeitet, ich fahre zur Stadt für Weihnachtsbesorgungen. Kindertisch. Nachher Brief [des] Gfen Flavigny, er nennt sich mein Onkel, schickt mir aber mein Kapital nicht. Abends »Tristram Shandy«. Bei Besprechung der Büste von der Schröder-Devrient,[5] welche R. immer rührt, sagt mir R.: Sie war nicht mehr sehr würdig, als ich mit ihr in Verkehr trat, aber bei einem solchen Wesen mit dieser furchtbaren Begabung gab es nur ein Gegengewicht, die Sinnlichkeit, ohne diese hätte sie es nie aushalten können. (An Pr. Nietzsche geschrieben).
Freitag 10ten
Wiederum Nebel, R. kann nicht arbeiten, ich fahre wieder zum Christkindchen. Abends Geschäftsbriefe. (Graf Flav., Rothschild u.s.w.). Spät »Tristram Shandy«. R. sehr aufgeregt, »ein Musiker ist ein wahres Vieh«, sagt er.
Samstag 11ten
Sehr hübschen Brief des Pr. N.* (*Nietzsche) an R. - R. kommt in der Frühe an mein Bett, die Ordre des Tages zu holen, ob ich wohl bin, dann will er üppig sein. Wir beschließen den Knecht Ruprecht und das Christkindchen zu Weihnachten. Er arbeitet und ist zufrieden; in der Scene zwischen Brünnhilde mit Siegfried aus der Götter-Dämmerung kommt kein Thema von der Liebesscene mehr vor, weil alles durch die Stimmung, nicht den Gedanken bedingt ist und die Stimmung eine andere ist als im heroischen Idyll im Siegfried. - Bei Tisch Scherz über das Konzil, wo sie sich alle nicht verstehen sollen wegen dem verschiedenen Latein. Freude an den Kindern, ihr jauchzender Tumult auf der Treppe unterbricht unser Tischgespräch. Ich stets der Gottheit dankend, daß sie gesund seien; R. sagt mir, er könne nicht beten, aber dieses Dankesgefühl gestalte sich in ihm zu einem brünstigen Wunsch der Vernichtung der eigenen Individualität. - Wie leide ich stets um Hans! Vor ihm möchte ich sterben, damit er erführe, daß ich zu jeder Stunde mit ihm gelitten habe, durch alles Glück und allen Segen. -
Sonntag 12.
All die Tage war ich mit Daniel beschäftigt, der am 4ten Dezember 1859 starb! Ich sorge um sein Grab. Kinder Kinder, haltet an einander, Bruderliebe, Schwesterliebe, nichts ersetzt sie euch. - R. beendigt die Bleistift-Skizze des Vorspieles zu der Götterdämmerung. Das Bild des Onkel A.W.* (* Adolph Wagner) kommt. Ich mit den Kindern spazieren, Mariechen B. entgegen, die bei uns speist. Abends Laterna Magica, dann die Kleine ihrer Mutter zurückgeführt. Nach dem Tee Fortsetzung von »Tristram Shandy«. - R. arbeitet weiter an seinem Aufsatz, und zwar mit immer größerer Aufregung, der musikalischen Zustände in Deutschland eingedenk.
Montag 13ten
Weihnachtskram und Arbeit, R. lacht, daß mich dies einzig beschäftigt. Er arbeitet immer, sowohl an Siegfried und Brünnhilde als an seinem Aufsatz. Nachmittags Erdkunde mit dem Studenten Abends liest mir R. aus einem Band von Heine vor (posthume Sachen) Wie immer Sachen von unvergleichlicher Genialität (mit der schlimmen Resede laß ich mich nicht ein), und sehr widerwärtige Dinge. »Er ist das böse Gewissen unserer ganzen Zeit«, sagt R., »das Unerquicklichste und Demoralisierendste, was man sich vorstellen kann, und doch fühlt man sich ihm näher als der ganzen Sippschaft, die er ganz naiv aufdeckt «
Dienstag 14ten
Stets üble Nächte, Gedanken an meinen Tod. Dann an Schiller gedacht, daß nach seiner Dichtung nur noch das musikalische Drama möglich war, zu welchem er gleichsam den Übergang bildet Mit den Kindern gearbeitet. Nach Tisch Weihnachtseinkäufe gemacht Abends Nüsse vergoldet, während mir R. aus »Tristram Shandy« vorliest Loulou macht mir Kummer durch großen Trotz. - Seltsam, wenn ich dieser Welt und ihrer Menschen gedenke, ist es mir, als gäbe es nicht Tadel und Übles genug für mich, gedenke ich höherer Welten und höherer Wesen, so weiß ich, bin ich dort geliebt. Gern will ich das Böse hier tragen.
Mittwoch 15ten
Vreneli machte mir heute viel Freude, sie sagte: »Nun weiß doch der Herr, warum er arbeitet«, indem sie auf mich und Fidi deutete. Das Christkindchen kam, ein ganz armes Mädchen aus Bamberg, wir wollen es schön ankleiden, daß es nach dem Knecht Ruprecht die Kinder ruft, und es dann auch bescheren. R. arbeitet, ich immer sehr schwach; die Kräfte werden wohl nie wiederkehren, ich muß nur sorgen, daß R. nicht merkt, wie schwach ich mich fühle. Nachmittags zur Gr. B. mit Lusch. Abends Weihnachtskram. (Brief Claire's, meine neue Heirat macht bedenklich, mir mein Kapital auszuzahlen! Während ich vorschlage, daß man es dort mir anlegt! Sehr hübsch!)
Donnerstag 16ten
R arbeitet an der Skizze des Zwischenspiels; wie ich so selig über sein geistiges und herzliches Gedeihen bin, fürchte ich stets, ich möchte Hans' Leiden vergessen. Ich rufe mir dasselbe dann immer ins Gedächtnis. - Mit den Kindern bei Tisch. Wir kommen mit R. auf »Tristram Shandy« zu sprechen; R. hebt hervor, wie merkwürdig dieses unbehagliche Buch sei, indem alles auf die Zeugung und die Geburt zurückgeführt wird, und wiederum diese Geburt erklärt, daß Tristram Shandy sich nicht anders als in dieser verzwickten Weise ausdrücken kann. Daß der Vater Shandy auf Mutterwitz besteht, auf dem Witz, den einer von sich selbst hat, bezeugt, daß das auf Genie geht. - Nach Tisch geht R. zur Stadt, ich bleibe im unteren Salon und vergolde Nüsse. Föhnfarbiger Sonnenuntergang, letztes Glimmen des Kaminfeuers, dunkler Glanz des Goethe-Rahmen, Schimmern der Nüsse in der Dämmerung; »die bessere Seele« wird wach, ich gedenke meines Lebens. Konnte ich anders tun, soll ich meine Liebe zu R. verwerfen?... Nimmermehr; und wenn nicht, durfte ich auch nicht anders handeln. Doch da einer darunter leiden mußte, so erkenne ich tief an mir diese Sünde des Gehorsams und will sie sühnen und büßen wie ich nur kann.
Freitag 17ten
Föhnluft, immer R. nicht wohl, arbeitet nicht an seiner Skizze und ist trübgemut. Besuch des Obersten Am Rhyn, Besprechung der Anlegung der Ersparnisse für die Kinder. Böses Wetter, Loldi unwohl, R. leidend. Abends Weihnachtsnamen gemalt.
Samstag 18ten
Zur Stadt am Morgen, um Weihnachtseinkäufe zu tun. R. und ich, wir hatten eine sehr üble Nacht, R. krank, ich trüben Gedanken hingegeben.- Am Morgen Brief des Fürsten Hohenlohe,[6] Zusendung des Iftekhar-Ordens durch den Bei von Tunis, eine große Silberblech-Brosche, welche R. gleich für die Decke des Puppentheaters bestimmt und deren Empfang er gar nicht bescheinigen will, da es zu lächerlich ist, um es abzuschlagen. R. immer unwohl. Abends, wie ich zwischen ein Gespräch mit den Kindern trete, meint er, ich sei in Sorge um einen Konflikt, und ereifert sich mißverständnisvoll gegen diese vermeinte Sorge. Dadurch kümmerlicher Abend! Zeitungen lesen, sagte ich heute zu R., das heißt für mich, sich in Dinge mischen, die einen nichts angehen, auf den Bericht [der] Leute hin, die sie nicht wissen.
Sonntag 19ten
Brief Richter's an R., der Lohengrin wird in Brüssel Mitte Januar zur Aufführung kommen. Kindertisch, Kinderspiel, abends Lusch einige Scenen aus »Iphigenie« (Prosa) von Goethe vorgelesen, weil sie gerade diesen Sagenkreis lernt. Freude an Eva, die unglaublich lebhaft und intelligent ist. Abends »Tristram Shandy« wieder aufgenommen.
Montag 20ten
Immer üble Nächte, ob es der Föhn ist oder die wehmütigen Empfindungen. Gewiß niemals hätte ich den Schlaf wiedergefunden, wenn ich R. seinem öden trostlosen Schicksal überlassen hätte, und jetzt bringt mich der Gedanke an Hans' einsames Dasein um die Ruhe. Aber ich beklage mich nicht, denn ich finde es gut so. - Könnte ich euch, meine Kinder, die Seele mit meiner Erkenntnis durchtriefen, so daß ihr ohne Erfahrung und also fröhlich und sündenfrei jeglichem Glück hienieden entsagtet! »Wer keine Seele sein nennt,[7] der schleiche sich aus unsrem Bund«, fiel mir die Nacht in Gedanken an R. ein. Loulou, mein Kind, übernimm es, deinem Vater zu leben, ihn für alles Verlorene zu entschädigen. - Es war mir eigentümlich wehmütig, von Loulou abends zu hören, wie sie betrachtete, daß sie gern Kinder bekommen möchte und sich verheiraten. - Die Illustrirte Zeitung bringt ein Portrait Beethoven's vom Jahre 1805; es sieht sehr unschön aus, aufgedunsen, beinahe ohne geistigen Ausdruck. »Ja die Musiker müssen garstig sein, bei ihnen ist das Herz alles; wie das Weib clairvoyant durch das Gangliensystem wird, so er durch das Herz, das freilich auch sein Gehirn hat. Menschen sehen, sich
bewegen und handeln tut der Musiker nicht, alles ist ihm Tempo, Struktur etc.« Er schreibt an seinem Aufsatze und liest mir, was er geschrieben. Nachher Besprechung der Ruprecht-Erscheinung. Dann zur Stadt mit ihm. Heim den Studenten und die Notiz, daß Ed. Devrient plötzlich seine Entlassung erhalten hat. Woher das kommt? Ob doch R.'s Wort auf den Großherzog einen mittelbaren Einfluß gehabt? Abends bei Betrachtung Fidi's sagt R., er habe die glänzenden Wälsungen-Augen, das bringt uns auf die Edda, dann auf die Götterdämmerung, er zeigt mir in seinem Kompositionsheft Zeilen, welche Brünnhilde statt: »Selig in Leid und Lust« singen sollte und auf welche der Chor einfallen sollte und eine Art Ritual der Verbrennung Siegfrieds [hat] stattfinden sollen. Aber er
hat es - mit Recht - aufgegeben als nicht in den Stil des Ganzen gehörig. »Und solche Sachen wie ein Schluß-Chor u.s.w. haben bei diesem Werke nichts zu sagen.« - Abends »Tristram Shandy« mit vielem Vergnügen.
Dienstag 21ten
Bescherungssorgen; ob die Wohltat, andren Freuden zu bereiten, den Kummer aufheben kann, Leiden verursacht zu haben? Gewiß nicht, doch die Freude bleibt rein und groß. Nachts kam mir der Gedanke an ein Lustspiel, wovon ich den ganzen ersten Akt ausführte. Nachmittagsausgang mit R. Abends Brief Judith's, welcher meldet, daß nach einer ersten schlechten Aufführung der Meistersinger eine große Opposition sich kund gab, worauf ein junger Mann ihr ein paar hübsche Verse auf R. mit großer Aufregung in die Hand gedrückt habe. Pasdeloup wiederholte stolz und kühn das Vorspiel am nächsten Sonntag, und ein wahrer Sturm (vive Wagner) der Begeisterung soll sich erhoben haben. - R. arbeitet an seinem Aufsatz. Abends »Tristram Shandy«.
Mittwoch 22ten*
(* Im Original irrtümlich »23ten« datiert)
Nicht geschlafen; die Köchin von München schreibt an Hermine, Hans gefalle sich in Florenz, sei aber krank gewesen. Wie ich nachts an die Freude der Kinder denke, überlege ich mir ein Christabend-Gebet. Dann arbeite ich in Gedanken mein Lustspiel aus. Am Morgen wieder zur Stadt, Puppenhaus möbliert. Den ganzen Tag Christbeschäftigungen. Am Morgen Brief R. Pohl's. R. angegriffen. -
Donnerstag 23ten
Während ich meine Äpfel vergolde, wird mir ein Brief des Legationsrat Bucher[8] übergeben. Es war mir eine große Freude; ich dachte, er gehöre auch zu jenen meiner früheren Freunde, die den böswilligen Dingen über mich Gehör gegeben. Nun schrieb er freundlich und aus keiner andren Veranlassung als der meines Geburtstages; da ich ihn hochschätze, so war mir dieses freundliche Lebenszeichen höchst willkommen. Abends den Baum so schön geputzt als ich nur kann. R. in heitrer Laune dabei. Am Tage hatte ich einen kleinen Kummer. Die Schwester Cäcilie schickte an R. die Papiere, um die ich sie gebeten hatte; sie läßt mich nicht grüßen und schreibt stumpf und häßlich. Das hat mich geschmerzt, es wäre wohl besser, wenn R.'s Schwester mit mir empfunden hätte.
Freitag 24ten
Großes Arrangement. Alle Namen (des ganzen Hauses) habe ich sorgfältig gemalt und sie in der Stube verteilt. Es galt, ohne Tische die Bescherung zu Stande zu bringen. Professor Nietzsche kommt am Morgen und hilft mir, das Puppentheater mit Iftekhar herzurichten. Nachmittags muß ich noch einiges besorgen, während dem macht R. die Probe von Knecht Ruprecht und Christkindchen. Ich komme heim, es wird begonnen. Ich mit dem Professor bei den Kindern, fordere Loulou auf, den »Kampf mit dem Drachen« vorzusagen um ihre Geisteskräfte in Anspruch zu nehmen; sie sagt es bis zum das Kirchlein kennst du, Herr, da tritt Hermine herein und sagt, sie habe so brüllen hören, plötzlich ist unser Knecht Ruprecht da und brüllt; furchtbarer Schrecken der Kinder, R. besänftigt ihn allmählich, er wirft seine Nüsse aus, großer Jubel der Kinder. Während sie aufklauben, steht das Christkindchen glänzend beleuchtet da. Stillschweigend folgt das ganze Haus, ich voran mit den Kindern; das Christkindchen winkt mit dem Baum und wandelt langsam die Treppe hinunter, es verschwindet durch die Galerie, die Kinder, verblendet von dem Glanz des Baumes und der Spielsachen, sehen es nicht verschwinden. Nach der Bescherung bete ich vor dem ausgelöschten Baum mit den Kindern. Professor Nietzsche gibt mir die Widmung seines Vortrages über Homer. (Abends »Der Bethlehemitische Kindermord«.[9])*
(* Es folgen anderthalb Seiten mit Entwürfen zum Gebet und zu Weihnachtsversen. Der Text der Gedichte ist nicht auswertbar, da die Zeilen und Notizen zum Teil nicht zusammenhängen zum Teil wieder gestrichen sind. Die Reinschrift des Gebets (»Unser Gebet für das Christkindchen 1869«) befindet sich auf der letzten Seite dieses Heftes (II) der Tagebücher nach der Eintragung vom 12. August 1870 und lautet: »Liebes Christkindchen, Du bist zu uns gekommen und hast uns beglückt, wir danken Dir, indem wir an alle Unglücklichen denken und Dich herzlich bitten, an diesem Abend sie heimzusuchen und zu segnen. Den armen Hungrigen, die kalt und dunkel haben, schenke Deine Nahrung und Dein Himmelreich, den Armen, die ohne Freund, allein sind und weinen, bringe Deinen Trost und sage, daß sie selig sind, die Kinderchen grüße, denen keine Mutter den Baum anzündet, und sage ihnen, daß Du ihr bester Freund bist. Wie Du uns die vielen Lichterchen beschert hast, schenke allen Dein großes Licht daß sie sich glücklich fühlen wie wir.«)
Samstag 25.
Am Morgen entwarf ich die kleinen Gedichtchen. Dann trat Loldi zu mir, R. hatte sie gesandt, mit einem Heft Manuskripte und zwei Bogen der gedruckten Biographie. Sehr erschüttert namentlich von ersterem, da R. mit Überwindung sie gewiß hat gewinnen müssen. Tränen. Eine sehr hübsche Sendung von Frau Schure an die Kinder (allerlei Spielsachen). Den Kindern sage ich, daß die Puppen, die sie am meisten gefreut, von ihrem Vater kämen. Kindertisch; nachher mit Pr. Nietzsche Parzival gelesen, erneuerter furchtbarer Eindruck. Dann erhabenes Gespräch R.'s über die Philosophie der Musik, das er hoffentlich ausführen wird. - Brief Lenbach's. Abends aus der Biographie. - R. immer mit seinem Aufsatz über das Dirigieren beschäftigt. - Große Müdigkeit.
Samstag (?) 26ten
Kinder zur Kirche, dann Kindertisch; später Komödie von mir für sie gespielt. Brief der Tante an Lusch, sie verlangt beinahe, daß ich sie schicke, soll ich es tun? Größerer innerer Kampf. Boni abends unwohl, ich schreibe dies im Nebensalon der Kinderstube und setze das Christkindchen-Gedicht auf.