Freitag 1ten
Herr Hartmann schickt seine »Propheten« mit vorangehendem Brief von R. und »Neidhart« mit Brief von mir, was mir wahrhaft entsetzlich ist, da meine Abneigung vor Druck und Öffentlichkeit immer größer wird. R. findet meinen Brief gut und sagt scherzend, ich hätte noch den Vorzug, daß in dem meinigen keine Druckfehler, während in dem seinigen solche Sinn entstellenden vorgekommen seien. Er arbeitet an seiner Broschüre über die Geschichte des Ring des Nibelungen. Abends Brief von Frau Wesendonck, die mich nicht verstanden hat und mich über Weltgeschichte belehrt, ihr Ton ärgert R. so, daß er will, daß ich ihr für Dienstag abschreibe. Brief von Gräfin B., es scheint, daß Lulu hartnäckig gelogen hat, ich bin sehr traurig darüber und überlege, was zu tun, wie zu strafen. Abends Schopenhauer; mit großer Freude. - Nachmittags wollten wir ausgehen, allein der Schrecken vor dem Draußen hielt uns daheim. R. wollte lieber mit mir bleiben und Schönes, Liebes mir sagen; abends aber schilt er mich, daß ich es so ernst mit Frau W. nehme, »du bist doch dumm«, sagt er, »aber das Verzweifelte daran ist, daß du bei deiner Dummheit so gescheit bist!«
Sonnabend 2ten
Mit den Kindern gesprochen, viel Kummer. Dazu allerlei Briefe (Gerson,[1] Rothschild, Frau Tausig, Graf. B., Marie Schi.). R. arbeitet an seinem Expose. Bericht aus Italien, Verdi der Aufführung von Lohengrin beigewohnt, vom Publikum deshalb bejubelt, jedoch nicht von dem Hintergrunde der Loge hervorgegangen, um nicht [von] dem Ernst der Aufführung abzulenken. Wir lesen immer in Schopenhauer. Erhebung über das Dasein.
Sonntag 3ten
Die Kinder werden sehr ernstlich vorgenommen, mit ihnen geweint, gebetet, sie so weit gebracht, daß sie mich um Strafe bitten. (Nebenbei sehr Unangenehmes von Herrn Spiegel erfahren). Wie ich mit ihnen spreche, kommt ein Brief von Hans; er bittet mich, die Kinder die größte Zurückhaltung gegen Großmutter und Tante beobachten zu lassen, die Familie quäle ihn (mir die Kinder zu entziehen), er mache taubes Ohr. Dann, daß der Vater meinen Entschluß, mit den Kindern zum Protestantismus überzugehen, billige. Wichtige Dinge! Daß die Familie, ärgerlich darüber, daß man mir Achtung entgegen getragen, mir den Schimpf gern antun möchte und dabei das Interesse der Kinder vorgibt, dasselbe gänzlich außer acht läßt, wundert mich nicht; ich bin aber betrübt darüber und begehe das große Unrecht, es R. erkennen zu lassen! Wie schwach sind wir Armen. - In Mainz entsteht ein Wagner-Verein, unter der Egide des Weinhändlers R.'s! In der Musikalischen Zeitung steht aus München, daß das Orchester immer gut die W.'schen Sachen [spielt], dagegen immer schlecht die klassischen, es sei dies nicht recht; die guten Leutchen vergessen nur das eine, daß R. und Bülow diese ersteren gut gehenden einstudiert, dagegen die jetzigen Herren die klassischen! - Meine Stimmung hat sich auf R. übertragen, er ist traurig. Nach und nach aber erheitern wir uns wieder, und ich hoffe zu Gott!
Montag 4ten Nikolaus-Tag[2]
Schnee und Frost, R. ruft mir zu: »Du bist ein philosophischer Begriff, causa efficiens und finalis, Grund und Ursache des Lebens.« Große Freude über die Ankunft Anna Stadelmann's für die Kinder. Hoffnung, daß bessere Ordnung eintritt. An Ottilie geschrieben. Mit den Kindern gearbeitet und gespielt; Brief von M. Muchanoff, Frl. Liszt u.s.w. Abends Schopenhauer. Lucca schreibt, daß die Truppe von Bologna nach Florenz nun geht, um den Lohengrin zu geben. (R. schreibt an den König).
Dienstag, 5ten
Keine Briefe, weder erhalten noch geschrieben; R. arbeitet. Um 2 Uhr Besuch der Familie Wesendonck; er, der gute Mann, recht schwer und lästig, sie aber freundlich und gut, wir versprechen, das Neujahr bei ihnen zuzubringen. Abends sind wir müde und können nur ein wenig von Vergangenheit und Zukunft sprechen.
Mittwoch 6ten
R. sagt: »Selbst wenn wir noch viel vom Leben zu leiden hätten, wir könnten nicht mehr unglücklich werden.« Er arbeitet an der Nibelungen-Geschichte und wird bald fertig; die Kinder umgesiedelt, um sie von den Leuten oben gänzlich zu trennen und zu einer besseren Entwickelung der Dinge zu kommen. Gott gebe seinen Segen. Ich schreibe an den Vater. - Besorgungen in der Stadt, Boni's Photographie u.s.w. - Abends Brief von Dr. Kafka, ob R. wirklich am 2ten, 4ten Februar nach Wien kommt, wir hatten nichts davon gehört! Abends Schopenhauer.
Donnerstag 7ten
Häusliche Not, in welcher sich gar manches Häßliche ausspricht. Ein Jammer, daß R. von derlei erfährt; das einzige, was ich tun kann, ist jede Verstimmung zu unterdrücken. An M.M.* (* Hier unklar, ob Mathilde Maier, Malwida Meysenbug oder Marie Muchanoff) geschrieben. R. beendigt seinen Bericht an den Wagner-Verein; er ist etwas gekränkt, daß ich es unterlasse, ihn um die Mitteilung des Schlusses zu bitten; ich bin aber so müde und auch so traurig (die Kinder wiederum gelogen!), daß ich vielleicht zu entschuldigen bin. Soll ich Lulu nach Mannheim doch mitnehmen, trotzdem ich als Strafe für die neuliche arge Versündigung das Zurückbleiben auferlegt habe?? - Diese Frage beschwert mich.
Freitag 8ten
Vorbereitungen zur Abreise R.'s. Dazu andauernde Hausnot; es ist durch Güte viel eingerissen und eingewurzelt. Moral Fr.'s des Großen in dieser Beziehung anzuwenden. R. liest mir seinen Bericht vor; ich schreibe an R. nach München, obgleich er noch hier ist! Unruhiger trauriger Tag; dazu ein trostloser Brief Math. Maier's; sie scheinen ihr kleines Hab und Gut gänzlich verloren zu haben. - Abendbrot mit den Kindern. Dann oben; R. sagt mir, es würde alles noch gut gehen, das Schicksal würde doch nicht aus der Rolle fallen! Es sei uns ja gut gewesen. Wie er zu Bett geht, sagt er: In solchen Stimmungen fallen ihm immer Volkslieder ein, jetzt »heute rot, morgen tot, Morgenrot, Morgenrot«.
Sonnabend 9ten
Um fünf Uhr R. nach dem Bahnhof gebracht; grimmige Kälte; letzter Kummer. Allein heim, zu Bett. In Gottes Namen sei alles ertragen! Um 10 Uhr Depesche R.'s aus Zürich, Brief ankündigend. Mittag mit den Kindern. An Hans geschrieben, nachher meinen Brief mir geholt; er kam und später noch eine Depesche aus Lindau! - R. hat aber kalt gehabt, sehr kalt, nur >sein Herz hat ihn gewärmt<. Frau W. schickt Puppen. Loldi diktiert einen Brief, ich schreibe an R. - Depesche Lucca's aus Florenz, daß Lohengrin dort fanatisiert hat! - Alles mit den Kindern geteilt.
Sonntag 10ten
Öder Tag, Sehnsucht und Schwere! - Von R. eine Depesche, daß er wohlerhalten angekommen ist und daß er sogleich mir einen kleinen Brief geschrieben. - Brief von Clemens, ich kann niemandem schreiben und lasse Lusch antworten. Weihnachtskatalog durchgesehen. Mit den Kindern ausgegangen. Mit ihnen gelesen, gespielt, gespeist, alles, nur mit mir allein getrauert. Das Herz ist mir schwer, schwer, schwer. Ich schreibe an R., weiß aber nicht, wo der Brief ihn trifft! - Zeitung aus Florenz, daß die Nationalgarde die Lohengrin-Bologneser Truppe am Bahnhof empfangen hat.
Montag 11ten
Enttäuschungen am Morgen, weil kein Brief von R. - Um Mittag einige liebe teure Zeilen mir geholt. Dann Weihnachtsbesorgungen. Kinderlärm und Kinderarbeit. Brief von Herrn Pecht. - Abends an R. geschrieben (nicht abgeschickt). Sehnsucht!
Dienstag 12ten
Brief des Reichenhaller Magistrat, sie wollen erfahren haben, daß man sich mit Bayreuth nicht verständigte, und bieten ihr Nest an, schicken eine Photographie, wo mit einer kleinen deutschen Fahne das Terrain angegeben ist, das sie schenken wollen! - Nachmittag Weihnachtsbesorgungen zu machen; mir zuerst meinen Brief erobert! Himmlischer Brief!! R. ist mit Düffl. zufrieden und sitzt für Lenbach. Stolz, Glück, Sehnsucht und Demut im Herzen wandle ich dahin, ach! unsre Liebe!...
Mittwoch 13ten
Etwas unwohl, doch immer rüstig genug, um mit den Kindern zu arbeiten. Gegen Mittag Depesche von R., daß alles bewilligt und daß er sehr befriedigt nach Bayreuth heute abend verreist. Ich telegraphiere einen Dank noch nach München. Einige Stunden später Brief R.'s vom Montag, der noch nichts von mir erhalten und mir viel von seinen Sitzungen im Lenbach'schen Atelier erzählt.
Donnerstag 14ten
Früh zur Stadt. Nachricht von M. Meysenbug, daß der Lohengrin in Florenz beispiellosen Erfolg hatte; Brief eines italienischen Impresarios, der die Städte Italiens und Deutschlands durchreisen will (mit Lohengrin!). Telegamm R.'s aus Bayreuth, dann Brief; etwas traurig. Ich von Sorge um ihn genagt, je näher das Wiedersehen, um so schwerer beinahe die Trennung! - Den Dr. gerufen, Fidi hat eine kleine Flechte, und sein Leib ist sehr aufgetrieben. Versendung der zweiten Bände der Schriften, abends noch an R. in Mannheim geschrieben. Banger Tag - Gott helfe mir - warum bin ich so in Sorge?
Freitag 15ten
Von R. einen kleinen Brief aus München, dann eine Depesche aus Bayreuth, daß alle Besorgungen vortrefflich seien. Erhalte auch einen Fasan und einen Baschlik, die er gesendet. Mit den Kindern gearbeitet, dann zur Stadt gegangen. Brief von der armen Mathilde Maier, die in förmlicher Not nun photographieren lernt! Nichts zu melden außer Beschäftigung mit den Kindern. Großer Kummer, daß ich Lulu nicht mitnehme, Gott gebe, daß dadurch die Unwahrheit ihr für ewig aus dem Herzen getrieben werde. Mein einziger Trost ist, daß die Kälte so groß ist, daß die Strafe am Ende vorsichtig ist. Gott stehe mir bei in allem; nichts fällt mir leicht.
Sonnabend 16ten
Vorbereitungen zur Abreise; um 5 fort, Abschied von den Kindern, im Wartesaal noch einige Zeilen von R. gefunden. In Basel um 9 Uhr; Abend mit Fritz Br. und Pr. Nietzsche.
Sonntag 17ten
Kaffee mit den zwei Basler Professoren, um 3 Uhr, nachdem ich beständig in Schlegel's »Vorlesungen über Geschichte«[3] gelesen, Ankunft in Mannheim. Drei Herren, die in meinem Coupe saßen, steigen vor mir heraus, so daß mich R. nicht sieht; ich warte unter dem Perron, endlich findet er mich! Langes Scherzen über diesen Zufall, R. sagt: Ich hätte dagestanden wie die Sage, so ernst und groß! - Gute Berichte über alles, »ich habe meine Geschäfte gut besorgt«; viel Gutes von Feustel und allen Bayreuther Leuten, auch Gutes vom König. Abends Besuch des Wagner-Verein; vortreffliche Leute (Heckel, Koch, Zeroni).
Montag 18ten
Nicht geschlafen, doch heiter; R. sieht sehr gut und herrlich schön aus. Erste Probe; Mißvergnügen, Leute haben nicht gegessen, wollen die A dur Symphonie[4] lieber nicht probieren; Ahnung, daß dies [das] letzte Konzert sei, das R. dirigiere. Im Hotel de l'Europe sehr schöne Wohnung; Diner mit R. allein; nach Tisch Besuch von Bonin Reden-Esbeck, Ungarin, in Szegsgard gesehen, die an einen Baritonisten in Mannheim verheiratet ist. Dann Frl. Reis. Abends Probe, Zauberflötenouvertüre und A dur Symphonie - unbeschreiblicher Eindruck - leider Mme Seroff sich bei mir gesetzt, was R. sehr ärgert. Tränen, daß unser Zusammensein in den Tönen durch solche Fratzen gestört werden kann! Ankunft von Pr. Nietzsche, der förmlich von Basel fortgelaufen. - Gestern erzählte mir R. von einem Traum, den er in Bayreuth gehabt, er habe mich gesehen und ich hätte so glänzende Zähne gehabt wie Opal, er habe mich da »zerküßt«. - Nach jeder Probe R. zu Bett, weil so angegriffen.
Dienstag 19ten
Morgenprobe (Lohengrin, Meistersinger, Tristan); herrlich, höchste Befreiung der Seele. Briefe der Kinder, es geht ihnen gut. Während R. sich ausruht, durch die öde Stadt gewandert. Besuch eines Kapellmeisters aus Preßburg, der Soldat geworden und R. bittet, ihm zu helfen! - Ankunft Ritters, die R. in Würzburg schon gesehen. Abends Generalprobe, wundervoll. R. aber sehr müde, schläft nicht mehr und ist erkältet. - Abends Pohl, Ritters und Nietzsche.
Mittwoch 20ten
R. träumt von vielen Monden, die er plötzlich am Himmel sieht und die er lange betrachtet, bis er entdeckt, daß es das Siebengestirn in kolossaler Größe sei, das er also sehe; plötzlich sich abwendend gewahrt er einen Schatten (ich!), der abwärts davonschleicht. Probe, das Idyll, großer Kummer meinerseits, es vor vielen Fremden aufgeführt zusehen, aber schönstes Erklingen. Nach Hause. Diner mit Ritters, Pohl, Nietzsche; R. aufgeregt, spricht vom Idyll, tut mir dabei sehr weh. Dazwischen Kommen eines Schneiders mit Gilet und Gesuch der Protektion bei dem König von Bayern für seinen Sohn, dazu Rechnung von 23 Gulden für ein Gilet, große Aufgebrachtheit R.'s. Sie legt sich. Ankunft Betty Schott's,[5] durchaus erheiternd. Abends 6 Uhr Konzert!* (* Programmzettel dieser Seite beigelegt, s. Anm.) Großherzog und Großherzogin, sonst viele Juden. R. ärgert sich schon in der Hauptprobe über den landüblichen Erfolg des Lohengrin-Vorspiels! - Abends Festessen; sehr schöner Toast von Dr. Zeroni, der R. hinreißt, ihm trotz großer Heiserkeit zu antworten. Übriges Gerede, und namentlich Männer-Gesangsständchen, sehr traurig. Viele Hochs und Hurras, wobei R. erzählt, daß, wie er in Mannheim angekommen, er von den Herren mit Hochs empfangen worden, sein Reisegefährte plötzlich erschrocken sei in der Annahme, er sei mit einem fürstlichen Herren gereist, und lebhaft aufgestanden sei und tief gegrüßt habe, wie er aber R.'s gemütliches Händeschütteln der Hochrufenden bemerkt habe, sich beruhigt gefühlt habe! - (In der ersten Probe am Montag hatte Kmeister Lachner, der sonst sein Leben in Intrigen gegen R. zubringt, es verlangt, R. den Orchestern vorzustellen; dabei hielt er die absurdeste Rede; R. erhaben ruhig dastehend, er sich windend, ihn einmal mit dem deutschen Kaiser vergleichend, dann von seiner künstlerischen wie literarischen Tätigkeit sprechend, die seit Jahrzehnten die Welt in Spannung erhielt; Franz Moor, der beten will, sagte Dr. Zeroni.) - Nach dem Konzert erzählt mir R. sein Gespräch mit dem Großherzog und der Großherzogin, welches vor dem Publikum in der Zwischenpause des Konzerts stattgefunden; entsetzliche Seichtigkeit, Großherzog blutrot werdend, wie R. den König von B. erwähnt und sagt, daß er ihm es danke, sein Nibelungenwerk vollendet zu haben.
Donnerstag 21ten
Nicht geschlafen wir beide; spät auf, Friseur, der Tristan und Isolde in München gesehen und vor allem liebt. Abfahrt um 12 Uhr, von allen Freunden eskortiert. - Sehr wenig befriedigender Brief von Bon Loen. Mit Kmeister Levi und Pohl gereist; von ersterem sagt R.,
daß er ihn schon deshalb respektiere, weil er sich kurzweg Levi nenne, nicht Löwe oder Lewin u.s.w. Abend in Basel mit Neffen und Freund. Viel Bayreuthisches von R. erzählt; Grundsteinlegung auf 22ten Mai verlegt; Stuckberg-Terrain[6] R. von der Stadt geschenkt. Bürgermeister mich und Fidi leben gelassen. R. sagt, das wird unsre Schöpfung, du wirst Markgräfin von Bayreuth!
Freitag 22ten
Nach Tribschen! Tag mit den Kindern, R. gerührt, glücklich, viel selige Tränen, Heiterkeit, Wehmut, Freude, Hoffnung!
Sonnabend 23ten
Zur Stadt wegen Weihnachten; Ankunft unsres Neffen. Abends Punsch und Baumputzen. (Fidi herrlich; »wohlwollend«.)
Sonntag 24ten
Brief von Hans mit Photographien und Geldsendung für die Kinder. Wehmut. (Während meiner Abwesenheit hat die Großmutter Lulu geschrieben, fragend nach Religionsunterricht und Hermine!!) Bescherung vorbereitet, abends Christbaumfreude, nur R. ist traurig, das Bild von Lenbach, das er für mich bestimmt, kommt nicht an; es betrübt ihn dies tief; er glaubt auch, daß die Mannheimer Freude - seine eigentliche Geburts[tags]gabe für mich - mir verdorben worden sei. Langes zärtliches Gespräch bis über die Mitternacht. Dann zur Ruhe.
Montag 25ten
Die Kinder gratulieren, R. aber erklärt, ich bliebe noch 33 Jahre bis zu Sylvester. - Ich schreibe an Hans, um ihm zu danken, er ist traurig, Italien zu verlassen. Zwei Hildesheimer Schalen von L. Bucher; auch einiges von Marie M.; stiller ruhiger Tag. Sehr angenehmer Umgang mit unsrem Neffen, den wir immer lieber gewinnen. (Besuch von Gräfin B. mit Sohn, der es für klug hält, neu-katholisch zu sein.) Kinderspiel, Kindermittag, alles froh und heiter. Ich nachdenklich wie immer an meinem Geburtstag. Schöner Brief von Pr. Nietzsche, der mir eine Komposition geschickt hat.[7] R. liest uns seinen Neujahrsbrief für Fritzsch vor. Hübscher Plauderabend mit unsrem Neffen.
Dienstag 26ten
Briefe geschrieben, mit den Kindern gespielt; R. macht Geschäfte ab; viel Zusammenleben mit unsrem Neffen. Friedliches Dasein, Tribschner Glück! Mich küssend sagt R.: »Das ist mein Urta-Quell, aus dem ich Weisheit schöpfe.«
Mittwoch 27ten
R. schreibt an den König, ich vielerlei Briefe. Professor Hirzel[8] zu Tisch, ein früherer Bekannter R.'s. Angenehme Unterhaltung den Tag über. Am Morgen Brief von Herrn Lindau, R. zur Mitarbeiterschaft zu einer Revue einladend; R. genügt schon das Wort »Essays«, das er gebraucht, und »Review«. - Herr Bratfisch schickt Andenken vom armen Tausig.
Donnerstag 28ten
Guter Brief meiner Mutter. Viele Briefe geschrieben. Loulou an den Vater. R. an die Stadträte von Baden, Reichenhall etc. Zusammenleben mit unsrem lieben Neffen; alles mögliche durchbesprochen, und immer in gleicher Gesinnung. Hübscher Aufsatz in der Mannheimer Zeitung. - Abends liest R. Fritz aus der Broschüre »Über das Dirigieren« vor. R. bringt uns sehr zum Lachen mit der Bemerkung, daß er sich schändlich darüber ärgere, daß ich so schön und so jung, und er schon so graue Haare habe. Dann sagt er, in Berlin bei der Empfangs-Matinee sei es das einzige Mal [gewesen], daß dies ihn nicht geniert habe, denn da, wie er von vielen begrüßt und bejubelt worden, habe er sich gedacht, man gönne ihm wohl auch sein Glück. - Er sagt von Bayreuth: »Wartet nur, das wird wie die Entdeckung Amerikas sein, die die Hansestädte tot machte, unser elendes Kunstwesen wird endlich auch brachgelegt werden.« Mir fällt noch ein, daß ich ganz vergaß, das Bedeutende zu notieren, das R. uns über die »Zauberflöten«-Ouvertüre in Mannheim gesagt; dies reizende Werk machte auf uns einen unbeschreiblichen Eindruck, und R. erzählte, daß in einer schlaflosen Nacht das Bild dieser Ouvertüre ihm gekommen sei; Nachtgewimmel, nagende kleine Welt, Ratten und Mäuse, durch die Flöte gebändigt, nach der Flöte tanzend, dazwischen Erscheinung der Sonne, des Tages (Sarastro) in seiner milden Pracht.
Freitag 29ten
Brief Claire's; auch des Vaters, wehmütig kurz. Ankunft des Lohengrin-Kuchen und Se Gral's Brot aus Bologna! - R. sagt, daß er seine Zeit vertrödelt; wir verplaudern auch wirklich einen guten Teil des Tages mit unsrem lieben Neffen. Abends hübscher Brief von Clemens.
Sonnabend 30ten
Immer Briefe geschrieben, während R. zur Stadt mit den Kindern Einkäufe für mich zur Neujahrs-Bescherung besorgt! Der himmlisch gute! Sie kommen alle aufgeregt heim, hätten eine heiße Chocolade heruntergeschluckt und viel Schönes mitgebracht! Freundlicher Nachmittag trotz Hausnöten; unser Wirt, Herr Am Rhyn, der sich sehr schlecht benommen, fühlt sich doch gedrungen, R. zu besuchen und gleichsam sich zu entschuldigen. Abends langes Gespräch über Balzac,[9] R. liest die Arrestation Vautrin's aus dem »Pere Goriot« und bewundert die Meisterschaft Balzac's.
Sonntag 31ten Heiliger Sylvester
die Kinder und wir recht heiter; R. hatte zu seinem Schrecken bemerkt, daß er acht Tage lang einen Brief von mir an Frau Wesendonck (Absage) hatte liegenlassen, weshalb ich noch einmal schreibe; auch dem Sanskrit-Professor in Florenz, Herrn De Gubernatis,[10] schreibe ich, und R. unterzeichnet; er will ihn nicht kopieren, er sagt, es sei ihm ganz recht, daß die Leute wissen, was ich ihm sei. Hübscher Brief des Wagnerverein in Mannheim; »der Gemaßregelte, der Tribschner, der Ceremonienmeister, der Sprecher und der Stratege«! Der König schickt Photographien nach Tristan! Nachmittags zünden wir den Baum wieder an und tanzen um ihn herum; Richard spielt uns auf. Abends bis Mitternacht aufgeblieben, unser Jahr überblickt und es gut befunden; herzliche Glückwünsche. Zwischen eins und zwei begeben wir uns zur Ruhe.