Februar

Mittwoch 1ten
Unser Freund Pr. Nietzsche ist krank; der andere Freund, Schure, schickt eine wütende Broschüre (von sich) gegen Deutschland. - Wir fürchten immer Verrat seitens der Franzosen bei der Kapitulation. Wir fahren zur Stadt und erfahren dort, daß 85 000 Franzosen in die Schweiz kommen und Luzern 5000 aufzunehmen haben wird. Höchste Aufregung in dem Städtchen. - Abends wie immer Gibbon.
Donnerstag 2ten
Wir glauben, daß der Friede gesichert ist; seit der Nachricht von der Kapitulation schlafe ich wieder gut. Kindertisch heiter und gesprächig. Antwort an Freund Schure, bündig und aufrichtig; auch an Judith* (* Judith Mendes-Gautier) und Claire** (** Claire Charnace) geschrieben. Ausfahrt im Schlitten, große Angst der Luzerner vor den lieben Franzosen. Abends Gibbon (Ankunft des gravierten Taktstockes des Idyll.
Freitag 3ten
Nichts von außen und im Innern Friede; R. beendigt seine Partitur des Siegfried, binnen einiger Tage wird sie vollendet sein. Lusch von der Schule abgeholt; einen Brief von Marie Muchanoff, welche auch den »Beethoven« für eine Offenbarung erkennt. R. lacht mich aus, weil ich in einem fort in den »Broschüren« lese und meine Freude an allem darin habe. Evchen macht mir Sorge, sie ist schwerblütig und zeigt sich uns fremd.
Samstag 4ten
Brief von Hofrat Düfflipp an mich; es wird mir meine Bitte in Bezug auf die Kostüme gewährt, aber auch zugleich Brief an R., der König läßt nach der Partitur des Siegfried fragen!! Großen Druck auf R.'s Stimmung ruft dies hervor; wie ich es beklage, hier so ohnmächtig zu sein, sagt mir R.: »Deine Liebe, das ist mein Zeichen, in questo signo vincet.« - Ich schreibe an Marie M., daß das Bombardement von Paris nicht barbarisch sei, sondern ein beruhigendes Zeichen höchsten moralischen Mutes. - Daß die schwarz-rot-goldenen Farben für die Fahne nicht angenommen werden, betrübt uns, wie daß bei der Friedensfeier in Berlin die »Wacht am Rhein« angestimmt werden mußte. - R. unwohl, gewiß die Folge des Briefes! -
Sonntag 5ten
Brief von E. O., sehr elegisch; wir kommen darüber ein, daß er nicht freizusprechen ist; alles konnte er durchmachen, nur aber sich nicht von Gramont im Schlepptau ziehen lassen und gegen seine erste Überzeugung den Krieg befürworten. - Von Cornelius kam gestern ein heitrer unterhaltender Brief; unter anderem erzählt er, daß die alte Portiersfrau noch immer dem Kmeister Wüllner im Korridor des Hoftheaters nachschreit: »Sie wo wünschen S' denn hin?« - Diese Kritik der dortigen Zustände hat uns ungemein unterhalten. - Der dicke Fidi wird zum Herkules! - Als ich gestern den Kindern die Geschichte Conradin's,[1] des letzten Hohenstaufen, vorlas, mußten wir alle weinen, und auf Karl von Anjou kommend, ließ uns R. in ihm den Typus der französischen Engherzigkeit und Grausamkeit erkennen; »vornehm waren nur die Deutschen«. Loulou erklärt, sie würde die Päpste für ihr Benehmen gegen Deutschland »auf das grausamste gefoltert haben«, und Loldi wollte sie mit Hülfe Richter's »tüchtig durchhauen«. R. beendigt heute seinen Siegfried, ich weile bei ihm, wie er die letzten Noten schreibt! Dies das Ereignis des heutigen Tages, das mich mit Seligkeit erfüllt. - Das Gespräch beim »Bier« führt uns auf die Eroica und die berühmte Dissonanz, die R. perhorresziert, weil er jede Exzentrizität als solche nicht ausstehen kann; hier erhöht sie nicht den Ausdruck des Gedankens, sondern schadet ihm, leitet davon ab.
Montag 6ten
Hübscher Brief des Malers Pecht über Beethoven. Luise Bülow schreibt einen schönen gefaßten Brief an Loulou. Ihr Sohn fiel, indem er rief: »Lieb Vaterland magst ruhig sein«, so muß denn immer das Erhabene mit einem Gran von Albernheit vermischt sein, sagt R. Ich fahre zur Stadt und treffe Gräf. Bassenheim an, welche die Ankunft der Franzosen erwartet; sie fordert mich auf, auch dieses Schauspiel zu betrachten, ich lehne es ab, dieser Anblick würde mich jammern oder anekeln. - Abends Gibbon. - Ich vergaß gestern zu notieren, daß, wie R. nach dem Abendessen ein wenig frische Luft draußen schöpfen ging, er plötzlich zurückkam und Richter und mich aufforderte, ihm zu folgen, wir taten es, und draußen hörten wir eine sanfte Männerstimme erschallen; aus der dunklen Knechtstube beim Stall kam der Ton, unser neuer Knecht Jakob singt einsam in die Dunkelheit hinein. Es rührt uns sehr; R. ging hin und klopfte, eine rauhe Stimme antwortete, der so freundlich gesungen antwortete in seiner barschen Prosa: »Wer ist da«, freute sich aber über R.'s Teilnahme und bekam »Most«. - (Ich schicke den Brief an Hofr. Düffl. ab.)
Dienstag 7ten
R.'s Tag, den ich diesmal nicht feiern kann, wie ich nichts mehr kann! - Hübscher Brief von Schwester Ottilie, welche Kaviar schickt; Ankunft von der Kirchenmusik aus Regensburg, was R. und mir viel Freude macht. - Fidi wird zum Arzt geschickt, weil sein Leib uns ein wenig aufgebläht erscheint; wie wir ihn herzen und küssen, sage ich: Wenn Fidi es nicht dereinst wird büßen müssen, daß seine Kindheit so geliebkost wurde; R. meint, er wird glücklich sein und alles ernten. Wie seine Stimme uns lieblich erklingt, meint Richter, er würde am Ende Tenor und würde die Sachen seines Vaters singen, mich erschrickt dies furchtbar, und R. sagt: »Ich habe es mir nicht anders gedacht früher, als daß es in unsrem Theater wie bei den Griechen hergehen würde, wo die Edelsten mitwirkten; allein die griechische Welt müssen wir ein für allemal aufgeben, sie ist uns verloren, wir müssen höchstens sehen, wie unsre Theaterkunst auf den Schauspielerstand veredelnd wirken könnte. Aber meinen Fidi neben Herrn Betz sich schminken sehen wäre mir auch furchtbar. Früher dachte ich auch immer, selbst müßte ich meine Rollen geben können, sonst würde es nie gehen!« Abends lesen wir das Stück, welches der junge Dichter Josef Hartmann R. geschickt hat; es enthält ganz ausgezeichnete Scenen und ist zart und witzig, die Schwäche sind die Liebespaare und die 5 Akte, ich glaube, er hätte wohl getan, das Stück in drei Akte zu verkürzen.
Mittwoch 8ten
Frau Wesendonck schickt mir ihren »Friedrich der Große«; R. tadelt durchaus, daß Frauen sich so auf den Markt bringen, und findet darin ein Zeichen von Geschmacklosigkeit. Er erhält eine Einladung aus London, für die Eröffnung der Industrie-Ausstellung eine Kantate zu schreiben. Natürlich geht R. nicht darauf ein, er sagt, er mühe sich genügend mit dem Krönungsmarsch ab, er habe ungeheuer viele Motive, aber die Sammlung fehle ihm zur Wahl. Trübes Wetter; Fidi unsre Sonne. R. schreibt einen schönen Brief an den jungen Dichter der Propheten. Er ist etwas gedrückt durch das Wetter und - den Hofrat Düfflipp!
Donnerstag 9ten
Ich danke Frau W. für die Zusendung ihres Buches; ich vermeide es, das Buch selbst zu loben, spreche aber ernst und warm über den Gegenstand. R., dem ich meinen Brief lese, tadelt mich durchaus und sagt mir: Welche Sprache bleibt uns für das Ächte, wenn wir so das Alberne behandeln? Wie ich ihm erwidere, daß es mir unmöglich ist, Menschen, die ihm Freundliches erwiesen und für die er Teilnahme empfunden, nicht ernst zu behandeln, erwidert [er]: »Wenn es nun gar aus Rücksicht gegen mich geschieht, komme ich mir förmlich degradiert vor. Um hier keinen weichlichen Irrtum bestehen zu lassen, habe ich der Frau ihre Briefe zurückgeschickt und die meinigen verbrennen lassen, wie ich nicht will, daß irgend etwas bestehe, das annehmen lassen könnte, es sei hier eine ernste Beziehung gewesen. Daß ich einmal in dem Ton gesprochen habe, den du in diesem Brief anschlägst, habe ich genug zu büßen gehabt.« - Kindertisch, bei welchem ich bemerke, daß R. betrübt ist; auf meine Fragen meldet er, daß unser Freund Seroff, plötzlich und sanft wie seine Seele, verschieden ist! Einen guten, wahren, kindlich guten Freund unsrer Sache verlieren wir in ihm, und wir können sagen, daß mit ihm sein Land, dessen bester Repräsentant er für uns war, gestorben ist. Mit großer Wehmut erfüllt mich diese Nachricht, »das Leben ist doch traurig«, sage ich zu R. Einzig helfen wiederum die Kinder, um sie meine Wehmut nicht büßen zu lassen, spiele ich wie gewöhnlich mit ihnen, und nach und nach erscheine ich in gewohntem Geleise; was unter diesem Schein sich birgt, erhebt sich zum Gebet! - Wir gehen zur Stadt, weil die Kinder gern die Franzosen sehen wollen. Das Benehmen der Offiziere gegen die Gemeinen ist haarsträubend. - Herrlicher Brief Bismarck's an Ollivier, welcher dem König Wilhelm geschrieben hat, da er an Gott glaube, glaubte er auch, daß er Frankreich retten würde: »Da Sie an Gott glauben, genügt Ihr Leben nicht, um auf Knien ihm Abbitte zu tun für das Unheil, das Sie auf Ihr Vaterland gebracht haben.«
Freitag 10ten
R. ruft mir zu: »Du bist meine gute Hälfte, ich nichts ohne dich, du nichts ohne mich.« - Er hat vom Vater geträumt und gedenkt dessen Wort, daß der Beethoven nicht katholisch sei; »die natürliche Magie, die sich die Welt erklärt ohne göttliche Beihülfe, das fürchten sie«. Von Dr. Herrig wiederum einen grübelnden Brief, R. sagt, der Unterschied zwischen Süd- und Norddeutschland sei an den beiden zu erkennen, der junge Würzburger schreibt ein Stück, der junge Berliner denkt nach, wie das rezitierende Drama zu retten sei, »Schreiben Sie ein gutes, so ist es gerettet«, lacht R. - R. arbeitet an seinem Marsch; ich schreibe an Klindworth, P. Cornelius (für das Geburtstagsgedicht), nach England und an Frau wille. - Die Nachrichten über die fr. Soldaten sind immer schlimmer; mich empört es, daß solche Menschen unsre edlen Deutschen bekämpft haben. R. sagt, wenn man diese Leute ansieht, so kommt einem die menschliche Race wie ein Verfall von der tierischen [vor], als ob gleichsam aus dieser Fäulnis erst der wahre Mensch entstanden war. Besuch bei Gräfin B., die mir auch die traurigsten Einzelheiten über die Leute mitTeilt. Wie immer, wenn ich heimkomme, erfüllt mich die Freude des Wiedersehens, und R. sagt mir, die Hand mir reichend, wir sind doch trotzdem glücklich! Der Abend aber verfiel einer wehmütigen Stimmung; Loldi begann unartig zu heulen, ich mußte sie züchtigen, was mich immer fieberhaft angreift, weil ich es niemals im Zorne tue; ein Brief von Pr. Nietzsche, der nach Italien reist, ohne von mir Abschied zu nehmen, bringt R. auf trübe Vorstellungen, und schließlich: Richter gibt sich uns beinahe als lebensmüde zu erkennen. Uns beide, R. und mich, bringt Wehmut wie Heiterkeit immer näher, nichts kann uns trennen als der Tod und dieser auch nicht; wir geloben uns, uns nicht eine Stunde des Lebens zu trennen. - Abends, wie mich R. zu meiner Stube geleitete, sah er darin Hyazinthen und erzählte: Diese Blume fiele ihm immer mit dem Eindruck von »Manfred« und »Paradies und Peri«[2] zusammen, die er in der Übersetzung seines Onkels Adolph in Leipzig an einem Fenster, wo solche Blumen standen, gelesen. Er hat den Duft nicht gern, ich gleichfalls nicht, doch habe ich diese Stöcke nur aufgenommen, weil es mich rührt, wenn solche überwinterte Pflanzen plötzlich aufblühen, auch war es eine Aufmerksamkeit von Jakob, sie in meine Stube zu stellen, die ich nicht abweisen [wollte]. - Kos unser Moblo!
Samstag 11ten
Eva rührte uns gestern sehr; wie ich Loldi bestraft hatte, ging sie zu ihr und sagte: Ach, Loldchen, ich mußte fast weinen und durfte nicht, hier mein Taschentuch; dafür bekommst du einen schönen Kompotstag (Geburtstag) - außer dem Freund Seroff sind 5 Bekannte gestorben, Fürst Pückler,[3] Bon Eötvös, Pr. Eckardt, Pr. Schwind, Pater Hermann (Cohen!). Wiederum Schnee; dieser Winter will nicht enden. Wir gehen nicht aus, und ich sage scherzend zu R., das sei nicht gut, dann quälte ich ihn mit meiner Liebe, er lacht und sagt: Wenn er nur einen Tag mich nicht hörte ihm sagen, wie ich ihn liebe, würde ihm bang zumute, verlangt er danach. - Anknüpfend an die deutschen Geschichten lese ich den Kindern die Ballade vom Grafen von Habsburg vor, welche ihnen großen Eindruck macht. Abends Gibbon.
Sonntag 12ten
Die Musiker telegraphieren ab, was große Bestürzung unter den Kindern hervorruft. - Gestern erschallten am Nachmittag plötzlich Töne, die uns erschraken und die Kinder bezauberten; fünf deutsche Musikanten standen im Schnee und spielten auf, ohne daß wir ihr Kommen gemerkt haben; R. ließ sie im Vorhaus eintreten, das ganze Haus lagerte sich auf der Treppe, und verschiedenes zum Gaudium der Kinder wurde gespielt, Bier und Geld wurden den Leuten gegeben, und sie zogen freundlich ab, während ich R. sagte, daß kein Auditorium im Bayreuther Theater durch die ersten Nibelungentöne könne gebannter sein als die Kinder, wie im Schnee-Schweigen der Tribschner Einsamkeit die ersten Töne der armen Musikanten erschallten. - Marie Bassenheim kommt zu Besuch, was die Kinder einigermaßen für das verlorene Quartett entschädigt. - Der Franzose Herr Michelet[4] hat ein prachtvolles Buch »La France devant l'Europe« geschrieben, er urTeilt gerade wie Moblos und Turcos hier in den Kasernen. In Österreich haben sie wirklich ein tschechisches ultramontanes Ministerium zu Stande gebracht, es scheint diese Weisheit ganz allein aus dem Gehirn des Kaisers entsprungen zu sein, wohin wird das führen? Unsre alte Freundin Fürstin Hohenlohe ist sehr tätig bei der Niederkunft gewesen! Hoffentlich kommt dies alles Deutschland zugute. - Wir besprechen unsre Berliner Angelegenheit. Ein Brief meiner früheren Dienerin, welcher sagt, daß das Elend des Volkes alles Maß seit dem Krieg überschreite, veranlaßt R., über die großen Städte zu sagen, daß dieselben aufhören müßten, denn dieselben brächten Pöbel hervor und Pöbel sei undeutsch; es sei sehr zu bedauern, daß der erste Reichsrat nach Berlin berufen würde, er wünsche, daß kleinere Städte, Erfurt, Halberstadt u.s.w. wieder Leben gewännen, anstatt daß die großen Städte sich noch immer vergrößerten und unter dem Anschein von Prosperität den ärgsten Krebsschaden des Reiches Bildeten. - Verwunderung R.'s darüber, daß der Kladderadatsch von Juden redigiert würde, da die Juden eigentlich keinen Witz hätten, sie seien vortreffliche Objekte der witzigen Beobachtung, aber sie selbst könnten die Welt nicht beobachten. Heine eine Ausnahme; der Daimon familiaris der damaligen üblen Zustände in Deutschland. - Abends bringt [Richter] das Gespräch auf Gounod, welches [uns] denn eine fürchterliche Musikliteratur durchwandern läßt, »Faust«, »Prophet«, »Hugenotten«, Bellini, Donizetti, Rossini, Verdi, alles hintereinander, mir wird physisch Übel, ich nehme einen Band Goethe (Paralipomenazu »Faust«) und suche Rettung. Doch nichts hilft, ich leide und leide. R. wird es auch zu arg und bittet Richter aufzuhören, nachdem dieser ihm zu beweisen gesucht, daß Verdi nicht schlechter als Donizetti war. Endlich kommen wir, Gott weiß wie, auf die Orgelfugen von Bach! Richter mußte zwei davon spielen, und da waren wir denn im weitesten Feld der Betrachtungen und Verwunderungen. Ich sagte R., daß für meine Empfindung der Unterschied von Bach und Beethoven darin läge, daß ersterer alle meine Kräfte anspanne, ihm zu folgen eine Aufgabe des Geistes und des Charakters sei, während ich Beethoven ohne Anstrengung, willenlos mich hingäbe; R. sagt: »Bach's Musik ist gewiß eine Idee der Welt, seine gefühllosen Figurationen sind wie die Natur selbst gefühllos, sterben und geboren werden, winden, stürmen, sonnen, alles das geht vor sich wie solch eine Figuration, das Individuum ist das Thema, bei Bach immer außerordentlich schön und gefühlvoll, das sich in diesem Hin und Her aufrecht erhält wie der religiöse protestantische Glaube. Ein Bild dieses Gegenüberstehens der zwei Dinge gibt uns Mozart in der >Zauberflöte<, wo die beiden Führer Tamino das ewige Wandeln und Mühen vorsingen; das ist Bachisch empfunden. Und die Orgel gehört dazu, die so gefühllos wie die Weltseele und dabei so mächtig ist. In den Themen wechselt das Tanzmotiv mit dem Choral.« - So spricht R. noch lange, und die italienischen und jüdischen Gespenster sind verscheucht, allein das Unwohlsein blieb!
Montag 13ten
R. rief mich gegen Mittag zu sich und sagte, sein Krönungsmarsch[5] sei in der ersten Skizze in's Klare; er spielt daraus mir vor, und es gefällt mir sehr. Sonnenschein und heitere Stimmung bei Tisch. Wir machen einen Spaziergang und finden auf der Post einen Brief von Frau Wesendonck, sie nimmt unsre Einladung an und bittet uns zu Tisch. - Wir lassen die Kinder heimfahren, was denn ungeheuren Jubel bei ihnen gibt, an uns vorbeizufahren* (* Verstellt: »an uns vorbeifahren gibt«). Drei französische Offiziere sind heute in unsr'em Garten gewesen und haben mit den Kindern gespielt. Boni haben sie 20 Centimes gegeben (!), Eva haben sie auf Rus reiten lassen und Loldi haben sie einen Kuß gegeben! — Wie wir die elenden Soldaten in der Stadt gesehen haben, sagt R., ja der Herr Gambetta hat Armeen zu Stande gebracht wie die Jesuiten in Asien Christen; »man so tun«, wenn man näher hinsah, waren es eben keine. - Abends verzärteln wir die Zeit und kommen nicht zu Gibbon. - Am Morgen hatte ich einiges in »Gottfried von Berlichingen« nachgelesen; mir fiel besonders darin auf die wehmütige Stimmung, die Götz Sickingen ausspricht, der ganze Unterschied einer solchen Natur wie der Wallenstein's fiel mir dabei auf; der Unedle will sich täuschen, »Nacht muß es sein« usw., der Edle erkennt seine üble Lage und bleibt entschlossen wie entsagend.
Dienstag 14ten
Briefe von Paris, Freund Nuitter hat sofort (am 31ten Januar) nach der Kapitulation geschrieben. Jetzt erst kommt der rührende Brief an, er hat während der Zeit immer die kleinen Zahlungen für Lebensversicherungen gemacht! Auch Claire schreibt mir, mit ungemeiner Selbstbeherrschung, erzählt nur Kleinigkeiten, übergeht die ganze Katastrophe. Wie wir über verschiedene Freunde sprechen, die ohne Teilnahme für die jetzige deutsche Entwicklung sind, sagt R.: »Wer hat denn mehr als ich unter den Übelständen des deutschen Lebens gelitten? Ich ging ja bis zur Auflösung des Staates; aber doch immer in der Hoffnung, etwas Neues aufzubauen, und zwar etwas dem deutschen Geiste gemäß. Eine überaus große Freude war es mir, durch Constantin Frantz den Blick in das deutsche Reich zu werfen; und wer sollte jetzt nicht wenigstens Hoffnung schöpfen, wo die Deutschen eine solche Kraft bewähren!« - Später sagte R.: »Man kann die ganze Welt dadurch erklären, daß die Zusammengehörigen getrennt sind und sich suchen, und die Unzusammengehörigen beieinander sind, wie es auch chemisch begründet ist; fände sich alles alles Zusammengehörige, dann wäre [das] die Harmonie, aber auch nicht mehr das Leben, das ist das Nirwana der Buddhisten. Eine große Entzweiung hat in der Natur geschehen müssen, freilich können wir uns dies ebensowenig vorstellen als den Zustand vollkommenster Harmonie, der das Leben ausschließt, daher die Leute volkstümlich sagen: Im Paradies wird man sich langweilen.« - Große Leidenschaftlichkeit seitens R. übt auf mich einen wehmütig stimmenden Eindruck, am liebsten wandelte ich und waltete des hiesigen Lebens, unbeachtet, erntete nur die strahlenden Blicke; ich habe zu viel gelitten, um andere Freuden empfinden zu können!
Mittwoch 15ten*
(*Irrtümlich: »14ten«)
Hin und her mit Zürich; Befüchtung, daß wir mißverstanden worden sind. R. ist unwohl, er sagt mir, »armes Weib, du hast schon viel gelitten, und das verdiene ich nicht«. Er war gestern mit großem Unwillen gegen den Krönungsmarsch eingenommen; »so etwas kann ich nicht machen, wenn ich mir nichts dabei denken kann, und denke ich mir etwas, so geht es in's Grenzenlose. Marsch ist da etwas Absurdes; ein volkstümliches Lied höchstens kann es sein, dabei soll es nicht gesungen werden, es ist aber Unsinn. Ich muß meinen großen Wagen haben, an dem ich meine Musik abwickle, so kann ich nichts machen«. - Gegen vier Uhr kommen unsre Musiker an; wir nehmen die sogenannte große Fuge vor,[6] erkennen bewundernd, daß nur die größten Virtuosen nach langem Studium dieselbe zum richtigen Ausdruck bringen können, und verlassen sie; nehmen dafür das Quartett op. 130 (B dur); wir hätten große Freude daran gehabt (»der erste Teil von unserm Beethoven, Pendulen-Beet-hoven, könnte man sagen, um sich französisch auszudrücken«, sagt R.), wenn Richard nicht unwohl gewesen wäre, so war es für mich eine schöne Studie, aber keine Freude. Wie ich R. sagte, daß das Scherzoso Haydn'sch, das Finale Mozartisch mich dünke, sagt er: »Ja, es ist wie bei Kindern, in denen wir die unerfüllten Velleitäten, welche die Natur im Urahn ausgesprochen hat, plötzlich zum Vorschein kommen sehen, was die wunderbaren Ähnlichkeiten zwischen Generationen hervorbringt, so ist das hier.« Ich sagte ihm, daß mir der Unterschied zwischen Beethoven'scher Musik und der anderen auch mit darin zu liegen scheine, daß seine Melodie ein Ergebnis des ganzen Tongewebes ist, wie die Blume das Ergebnis der ganzen Pflanze, während die anderen mit Mühe oder mit Leichtigkeit ihr Thema auffinden und daran ihre musikalische Arbeit, ihre Fugen, Kanons, Gegenthemen etc. hängen. Wie wir gestern aufschrien ha! Das ist Beethoven, frug ich mich, was nennen wir so? Bei andren, Mendelssohn z. B., wenn wir sagen, das ist er, bezeichnen wir eine Routine, eine angeborene und anerzogene Art, die bei Gedankenlosigkeit sich einstellt; bei Beethoven aber sind es die Geister, die wir erkennen, die er einzig zu bannen vermag.
Donnerstag 16ten
Arbeit mit den Kindern, dann aber eigentlich nur Reisevorbereitungen, große Aufregung unter den Kindern, weil morgen Eva's Geburtstag in Zürich gefeiert wird. Ich schreibe Mathilde Maier. R. schreibt Briefe, arbeitet an dem Krönungsmarsch, macht spät abends noch Korrekturen von der Biographie, während ich den »Gartenunhold« von Calderon beginne, der mich sehr entzückt.
Freitag 17ten
Zürich Kurze Gratulation, um rasch fertig zu werden. Brief von M. Meysenbug, im Waggon gelesen. Schönes Wetter, heitre Ankunft (Nachricht von Beiforts Kapitulation). Im Hotel Baur sich ein wenig gesäubert, dann zu Wesendoncks gefahren, nach sieben Jahren brachte ich Richard wieder hin, es freute mich, daß mir dies gelang. Frau W. freute sich augenscheinlich, R. wieder - und glücklich - zu sehen. Ihr schwarz gewordenes Haar stört R. ein wenig, er fand sich aber hinein und fand sie gutartig freundlich. Die Kinder benahmen sich prächtig, sie ertrugen die lange Tafel mit Geduld und Haltung und spielten hernach mit den W.k'schen Kindern. Um 6 Uhr war in unsrem Hotel Quartett (Es dur, F moll, B dur);[7] Wesendoncks und willes dabei, die Musiker spielten sehr schön, und es herrschte eine gemütliche Stimmung. Nur waren wir ein wenig müde, R. und ich.
Samstag 18ten
Zürich Keinen Augenblick geschlafen, und daher große Mattigkeit, doch gute Laune, die Kinder sehr munter. Wie ich R. sage, daß im Boudoir von Frau W. Rückerinnerungen gekommen wären, »ach«, sagt er, »das waren garstige Grimassen des Schicksals«. - Um 11 Uhr zu willes gefahren; heiterer Tag für die Kinder; das Wesendonck'sche Haus zu schön für sie, Kinder und Spielsachen zu vortrefflich, hier alles freier und lustiger. R. aber ist sehr angegriffen. Frau Wesendonck kommt mit ihrer Tochter, und wir laden sie ein, uns zu besuchen. Dr. wille wie immer sehr gescheit und originell. Frau Wille herzensgut, spricht immer mit schöner Teilnahme und tiefer Erkenntnis zu mir. Die deutsche Sache wird von allen besprochen, und R. faßt seine Ansicht dahin zusammen: »Wir danken es Bismarck, daß er es verhindert hat, daß aus Deutschland ein großes Elsaß geworden wäre.« Um 6 Uhr abgefahren, nachdem sich die Kinder wieder sehr gut aufgeführt haben. R. todmüde, ich froh, wieder heim zu fahren, wir gehören nicht mehr unter die Menschen, wir sind nur glücklich mit uns, bei uns. Begrüßung des »heimischen Hügels«, des Tribschen, hier sind wir aus der Welt! - Ein eiserner Ofen im Waggon war so geheizt, daß er uns beinahe umgebracht hätte, R. empfand die Folgen davon am Abend und sah sehr übel aus. Ich in Sorge und Angst, bald aber kommt Schlaf über ihn, und ich bin sehr beruhigt.
Sonntag 19ten
Wieder auf Tribschen, und herrlicher Morgen, das Frühjahr und Fidi begrüßen uns. »Liebes Weib«, ruft mir R. zu, »den ganzen Morgen denke ich über dich nach, wie gut, lieb, schön du bist, wie niemand mit dir verglichen werden kann.« Ich hatte mir das mit der Meldung, daß ich eine gute Nacht gehabt, gewonnen! - Schreibe für R. Briefe (Hallwachs, Wittstein etc.,[8] auch nach London, weil sie von dort aus wiederholt um den Ausstellungsmarsch gebeten!). R. sagt mir, was ihn so angriffe bei anderen, das sei ihr Reden zu ihm, deshalb fange er so oft wieder an, breit zu werden, nur um sich gewisse Fragen zu ersparen, die wie ein Angriff auf sein Dasein ihm erschienen. Das Versöhnende in seiner Wiederbegegnung mit Frau Wesendonck sei gewesen, sagt er, daß sie ihm als eine gute Person vorgekommen sei, die sich herzlich freue, daß es ihm nun gut ginge. - Kindertisch und dann Spaziergang im Garten, Tribschen prangt! Abends ist R. noch sehr müde, und wir gehen früh zu Bett.
Montag 20ten
Preußen erklärt sich für die Republik gegen die d'Orleans, keinen größeren Triumph könnte es geben all den Absurditäten gegenüber, die man über Bismarck gesagt. R. geht an seinen Marsch und spielt mir den Entwurf, ich glaube, er wird sehr schön. - Herrliches Wetter, ich lasse die Kinder den ganzen Tag draußen spielen. Mit R. zur Stadt, wo ich einen Brief des Bon Rothschild's vorfinde, er schickt mir die 2000 frs, jedoch unter dem Namen Bonin von Bülow; dies empört R. mit Recht, und er fordert von mir, daß ich vom Vater Rektifizierung dieses Verhältnisses verlange; es wird mir schwer, dies vom Vater zu verlangen, nach innerem Kampfe aber entschließe ich mich; R., der meine Physiognomie beobachtet hat, »dein Gesicht strahlt, wie wenn du mir eine Wohltat erweisen wolltest«, und wirklich hatte der Gedanke, ihm ein kleines Opfer zu bringen, so gehoben. Bittere Empfindungen über den Vater. Die Partitur von Siegfried, fertig eingebunden, wird mir von R. geschenkt. Ein neuer Hort in meiner Stube!... Abends Carlyle's »Friedrich II«[9] begonnen; R. bemerkt von Carlyle, er sei kein Schriftsteller, aber ein origineller Kopf.
Dienstag 21ten
Föhn und Brief des Königs, in gewohntem Ton; ich erinnere R. daran, daß die Prophetin Katharina Dangl[10] aus München ihm gesagt, daß der zunehmende Mond seinen Beziehungen zum König günstig wäre, und richtig haben wir jetzt den zunehmenden Mond. R. sagt, man könne bei solchen Verhältnissen nicht mystisch genug sein, der Vernünftigste würde der mystischste sein. Der König fordert R. auf, ihm seine Pläne mitzuTeilen, und klagt über die politische Lage; wir müssen darüber lächeln, daß, während alles seine deutsche Gesinnung bejubelt, er wahrscheinlich nur gezwungen und mit Widerwillen der deutschen Sache dient! - Ich schicke die 2000 frs. zur Sparkasse, jetzt habe ich 7000 frs. bei Seite für die Kinderchen. - Gestern suchte R. den Ursprung des Wortes Garn, und wie er im Dictionnaire fand »von zweifelhaftem Ursprung« , dachte er darüber nach und kam darauf, daß es dasselbe wie Gäa sei und beide aus dem Sanskrit stammen. - Langer Spaziergang mit R. und erst gemerkt, daß Fastnacht ist. Die illustrirte Zeitung bringt Bilder aus dem Krieg, und wir besprechen dabei das Los der Pferde; R. sagt, an diesem könne man die Schlechtigkeit der Menschen am deutlichsten ermessen, man müsse solch einen Lebenslauf verfolgen, zuerst stolz im Stall des Kavaliers, und zuletzt alt und müde einen Karren ziehend, um vor der Grausamkeit des Herrn der Schöpfung zu schaudern! - Abends Carlyle, dessen Stil uns sehr peinigt.
Mittwoch 22ten
Herrliches Wetter, R. sagt: Nun muß man sehen, daß man die innere Sonne auch leuchten läßt, und geht an seinen Marsch. Ich mit Fidi und den andren im Garten. Richter hat einen Brief, worin aus München berichtet wird, daß Porges so schlecht den Lohengrin dirigiert habe, daß er nun nicht mehr taktieren würde! — Hübscher Brief von Md. Weitzmann aus Berlin; R. einen aus Brunn, wo sie Tannhäuser und Lohengrin geben, und aus Leipzig, wo man es gern hätte, wenn R. dort seine Sachen einmal dirigieren wollte. Das Autograph - schreibt Km. Schmidt - ist [für] zehn Louisdor verkauft worden. - R. zur Stadt, ich ihm entgegen; er sagt: >er könne die Franzosen gar nicht ansehen, er blicke weg, es sei ihm ein zu fremdes Element, das er gar nicht studieren wolle, während er jeden Deutschen, selbst den schlechtesten, unsympathischsten, als Studium genau betrachten würde.< - Abends Carlyle, wir übergehen die allgemeinen Kapitel, die zu kindisch sind. Ich lese am Tage im »Gartenunhold«, der mich ungemein anzieht.
Donnerstag 23ten
Lenz! R. erzählt mir am Morgen, daß er seine »Supplik«[11] ausgedacht habe (an den König von Preußen für die Errichtung unsres Theaters). - Seinen »englischen Kupferstich« nennt er mich, den er nie genug ansehen könne! Ich bin wehmütig wie immer, wenn seine Liebe mich überwältigt. Er ersucht mich in seinem Namen an Hofrat Düfflipp zu schreiben, was ich tue. Er bleibt bei seinem Marsch; neulich frug er mich nach einer Wendung und gab meiner Wahl recht, der höchste Stolz für mich, und doch muß ich immer und immer tiefer sagen: »Weiß nicht, was er an mir find't.« - Ich lese nachmittags in Carlyle nach, die Kapitel, die R. übersprungen, und finde zu meiner lauten Freude das Opernhaus von Bayreuth darin erwähnt. Ich erzähle es R., wie ich ihm entgegen gehe am Abend. Heimkehrend, unser Haus begrüßend, sagt R.: »Wir sind zu glücklich und damit punktum.« Ich erzähle ihm darauf, daß, wie ich am Vormittag den gegenüberliegenden Hügel mit den Kindern auf und ab lief und mich die Frühjahrslandschaft mit dem fern jodelnden Hirten förmlich berauschte, ich mit Wehmut des Augenblickes gedachte, in welchem wir diesen Ort verlassen müssen, »so leb' denn wohl du stilles Haus«, sei mir da in den Sinn gekommen. »Wir wollen eine Inschrift machen, wenn wir gehen«, sage ich, worauf R.: »So leb denn wohl du Am Rhyn, mit deinem treuen Knechte Jost, auf Nimmerkehr wir ziehen hin, dies unser einzger Trost!« - Abends Carlyle; das Kapitel über Friedrich Wilhelm I. macht uns viel Vergnügen. - Böse Dinge in Rußland, die wir bei Tisch besprechen, Komplott gegen den Kaiser, weil der deutsch gesinnt ist.
Freitag 24ten
Frühling dahin; übler Nebelmorgen. Freude an Bis-marck, der die französischen Elsässer binnen 48 Stunden ersucht, das Land zu verlassen. Loulou eine Klavierstunde gegeben, weil ihr Lehrer gar zu nachsichtig ist. Ich hole sie dann nachmittags von der englischen Stunde ab, und weil sie mich um fünf Uhr bestellt hat, macht R. einen Riesenspaziergang, um mich noch anzutreffen. Es stellt sich heraus, daß Loulou in der Schule zurückbehalten worden ist, um musikalische Märchen von Elise Polko [12]- und zwar hinter meinem Rücken - zu lesen -, dabei findet die Lehrerin es hübsch, den Ernst meiner Beaufsichtigung Loulou gegenüber zu verhöhnen; ich bin sehr traurig, daß Lusch auf derlei eingegangen ist, und auf R.'s Rat breche ich den Unterricht ab. R. sagt: Zu was nützt dir dann die Sorge, die du trägst, ja der Pedantismus, mit welchem du alles Seichte von den Kindern fernhältst, wenn von der andren Seite du förmlich verhöhnt wirst? Ich frage mich in meinem Innern, ob die Kinder mich nicht dereinst förmlich desavouieren werden, ob sie meine Art und Weise, wie meine Auffassung der Dinge, nun erkennen werden?... In Gottes Namen, ich will alles tragen. Fidi macht uns Sorge, seine Augenzähne kommen schwer, und er hat Fieber. - Eine Gräfin Steinbach (70jährig) ist zum Protestantismus übergegangen; wir besprechen, R. und ich, wann ich dieses vornehmen werde. - Wie wir gestern vom Spaziergang heimkamen, erzählte R., er sei Herrn Stephen Heller begegnet, habe diesen »Verbannten« aber nicht gegrüßt; bei seiner letzten Anwesenheit in Paris habe ihm Giacomelli, der Konzertunternehmer, behauptet, Stephen H. benehme sich so gut, worauf ihn R. besucht, er augenblicklich aber bereut, da er bemerkt, wie viel zu weit er, R., ging und was für ein kaltes seichtes Wesen - wenn auch nicht einer der Schlimmsten - das sei. Da es ihm nun auch schlecht gegangen sei in Paris, habe ihn Stephen Hell, nicht wieder besucht. Bei dieser Gelegenheit erzählt er auch, bei seinem ersten Aufenthalt in Paris habe ihn jemand gegrüßt, und er sei so glücklich gewesen, von einer Seele dort gekannt und gegrüßt zu werden, daß er ungeheuer verbindlich wiedergegrüßt, dann sich aber den Kopf zerbrochen habe, wer das nur sein konnte, und nach langem Bemühen endlich auf den Diener von Frau Viardot sich besonnen habe, was ihn »schändlich geärgert« habe. - Abends Carlyle; R. sagt, er habe Lust, ihm »Kunst und Politik« zu schicken. -
Samstag 25ten
Gestern wachte ich auf, das Menuett-Trio aus Haydn's D dur Symphonie singend, was R. viel Spaß macht, heute Beckmesser's Ständchen, »du bist mein Kothurn, meine Krücke, mein Stolzchen«, sagt mir R. in schöner Laune. Mir ist es, als ob ich immer dasselbe hier niederschreibe; o könnte ich nur unsre Liebe hier festbannen für euch, meine Kinder, daß ihr euch in späteren Zeiten daran laben könntet in dieser lieblosen Welt. - Besprechung unserer Reise; es fehlt an Geld; Hannover, Wien, Dresden tun mit den Tantiemen Abbruch! Wie R. gestern Fidi's Unwohlsein gewahrte, sagt er: »So viel Not tut dir das Beißen, und wenn du beißen wirst können, hast du am Ende nichts zu beißen.« »Steht es so schlimm?« frage ich. »Gott weiß«; erwidert er mit einem Seufzer. Gott weiß — wir werden vielleicht viel Mut und Geduld brauchen, gute Kinder. - Fidi nicht wohl, Kummer. Auch schwere Gedanken in Betreff des einstigen Übertritts der Kinder; ich möchte die Verantwortlichkeit dieses Schrittes auf mich nehmen. Lusch erzählt mir, sie sei den kleinen Cambri-nis begegnet, sie hätten sie nicht gegrüßt, >sie seien so stolz<; ob Deutschenhaß oder Pfarrer-Gebot hier waltet, wer weiß? Für mich fällt es mir so leicht, jedwede Mißachtung zu tragen, fällt sie auf meine Kinder, so prüfe ich mich; wenn nur die Kinder in sich erstarken und in sich alles Heil suchen. R. spielt uns nach Tisch seinen Marsch; Freude darüber. Von der Stadt bringen die Kinder mehrere Briefe; einer erschrickt uns förmlich durch seine Riesenschrift, R. ratet Bismarck, und wirklich ist es Bismarck, welcher ihm für das Gedicht dankt. Ich glaube, R. wäre es eigentlich lieber gewesen, er hätte nicht geschrieben, da er durchaus dies nicht beansprucht hat, mir macht aber das Autograph eine kindische Freude; »wieder ein Schatz für Fidi«. Neugierig schauen die Kinder auf die kolossalen Schriftzüge, R. sagt, ungefähr so wäre »Leubald und Adelaide« geschrieben gewesen. Ein Brief von einem Düsseldorfer Verleger, welcher sich als NichtJude vorstellt und die Partitur des Huldigungs-Marsches herausgeben möchte. Ich sage zu R., daß es doch sehr gut, daß die »Banquiers« bei Namen genannt worden seien. Dritter Brief der Londoner Ausstellungs-Kommission, sie entschließen sich, den Tannhäuser-Marsch aufzuführen, und bitten um R.'s Direktion, wofür sie ihm 20 Pf. anbieten! R. empört, sagt: >Das hätten auch die Juden auf dem Gewissen, daß man alles so schlecht bezahle; sie wären darauf angewiesen, nach außen Lärm und Aufsehen zu machen, und tun so etwas wie diese Direktion für nichts, nur aus Sucht, daran zu kommen und sich bemerklich zu machen. So kann man immer Mendelssohn, Meyerbeer, womöglich Hiller anführen, die für nichts ihren Namen hergaben. Haydn, Jommelli[13] dagegen ließen sich gut bezahlend-Wie wir über die Insolenz der Pariser jetzt sprechen, sagt R.: Die Deutschen merken den Teufel nicht, und wenn er sie am Kragen packt, kann als Mephisto Bismarck sagen. Die Franzosen in der Stadt so frech, daß R. sie förmlich stoßen muß, um mir Durchgang zu erhalten. Einen hören wir sympathisch sagen: »Pas etonnant nos defaites, [ leserlich] ils avaient des lunettes de marine, nos officiers des jumenes d'opera.« - Abends Carlyle, der uns sehr interessiert, mit dessen Stil aber wir uns nicht versöhnen können, R. sagt, Gibbon würde mit Recht fragen-Schreibt denn man jetzt für Kutscher; es ist entschieden für ganz ungeBildete Menschen gemacht, aber das UrTeil ist vortrefflich, und er sieht seine Leute und ist entrüstungsfähig.
Sonntag 26ten
Fidi eine ganz üble Nacht gehabt. R. hat einen üblen Tag; er will nämlich an den König schreiben, und dieses wirft in einen trüben Kreis von Betrachtungen. Alle unsre Münchener Erfahrungen kommen uns bei Tisch durch den Sinn, und ich schließe, indem ich sage, ich danke Gott, daß ich jetzt alle Tage anstatt Pfistermeister oder Düfflipp den Rigi und den Pilatus sehe. - Schöner Tag, R. wandert, ich bleibe [dal-heim und spiele mit den Kindern; er bringt einen Brief vom Vicefeldwebel Nolte mit, kindlich und rührend. Abends Carlyle, der uns durch seine Wahrhaftigkeit freut. - Fidi leidend.
Montag 27ten
Die Nacht war für alle nicht besonders, R. sagt: Wenn man sich zu Bett legt, ist es doch, als ob man sich unterirdischen Mächten preisgebe, einem vollständigen Dämonium, das auf einen lauert. Es ist die Rede, daß Metz nur geschleift wird, was R. sehr unangenehm. »Darum die ganz Hetz, um nur zu schleifen Metz.« R. arbeitet an seinem Brief[14] und sagt mir, es würde mich wundern, es sei eigentlich ein Kunststück. Wir besprechen wieder die Person des Königs, und R. sagt halb im Scherz halb [im] Ernst: »Die guten Gaben der Menschen sind nicht zu begreifen' ihre schlechten sind aber unbegreiflich!« - Besuch von Graf. B., welche die Nachricht bringt, daß die Friedenspräliminarien unterzeichnet seien - Fidi sehr unwohl! - Brief von Math. M.* (* Mathilde Maier)
Dienstag 28ten
Fidi nicht fünf Minuten geschlafen, ich danach kein Auge geschlossen; der Arzt wird gerufen; es sind Aphthen, die er an der Zunge hat, die ihn so plagen. - R. beendigt seinen Brief und liest ihn mir vor, er ist wundervoll, möchte ihn der König nur verstehen! Spaziergang bei weicher warmer Luft, mit R. abends Carlyle.