März

März 1
Schnee-Gestöber, »Winterstürme«, gestern schickte der Pilatus eine kleine Lawine, und heute ist die ganze Landschaft von Schnee gedeckt, der Himmel grau, das Wasser grünlich schmutzig. Jetzt ereilt uns der Winter. R. aber macht sich an sein Werk, die Gottheit segne ihn! Richard sagt scherzend bei Tisch, daß, wenn er die Nibelungen vollendet, ich den Orden pour le merite verdiene. Nach Tisch machen die Kinder wieder Unfug; es ist schwer, eine Kindererziehung durch ein Künstlerleben durchzuführen, allein ich will es unternehmen. - R. erklärt mir auch, warum er am Tag so heftig wurde: >Er habe Musik gemacht für mich, durch mich, mit mir, die Störung, welche das Kind hervorbrachte, habe ihn in dem reizbarsten Zustand angetroffen, und daß, um ihn nicht zu stören, ich mich mit dem Kinde entfernen wollte, habe ihn vollends außer Fassung gebracht, er habe darin erkennen müssen, daß ich es nicht verstanden habe, daß er nur in Vereinigung mit mir die Töne anschlug.« - Bei Tisch meinte er, wir würden unser Schicksal doch besiegen. Mir schweben dagegen allerlei Prüfungen vor, die ich noch zu bestehen hätte, doch erwarte ich sie ruhig, wenn mich nur das Herz der Kinder erkennt! Abends mit R. geplaudert.
2ten
Beim Frühstück sagt mir R., wenn irgend etwas zwischen uns vorfiele, so käme es uns daher, daß wir uns zu sehr liebten und zu sehr voneinander abhingen. Sein gutes Glück, nennt er mich! Er geht an Wotan's Weck-Lied der Wala, ich bei den Kindern, mein Leben besteht aus Erziehen und Überziehen. Ein wilder Föhnsturm tobt draußen. Die Marktleute können gar nicht über den See nach Luzern und warten mit ihren Waren unter unsrem Schiffhaus, endlich müssen sie zu Fuß nach der Stadt und ihre Sachen, Gemüse, Geflügel, Eier auf den Rücken nehmen. Nach Tisch spielen wir vierhändig, R. und ich haben viel Spaß daran. R. sagt im Übermut: »Was ich nur für ein alter glücklicher Esel bin« - wir müssen viel lachen. Abends mit den Kindern lese ich den »Sturm« von Shakespeare. Große, erhaben sittliche Wirkung davon. Die vielen abscheulichen Operntexte hatten mir das Bild des Gedichtes ganz verwischt, nur Nymphen und Geister waren mir im Sinne geblieben. Nun erschien es mir so klar und göttlich! Besonders fiel es mir auf, daß Sh. hier ungemein maßvoll in den Ausdrücken geblieben ist, gleichsam als ob das Exzentrische der Situation und des Rahmens durch die Einfachheit der Rede müßte in's Gleichgewicht gebracht werden, (womit zugleich auch die Einfalt des Naturlebens charakterisiert wird.)* (*  (  ) Am Rand eingefügt) Ein minder Großer hätte gewiß der Liebesscene und der Miranda überhaupt weit mehr Überschwenglichkeit gegeben. Das Begraben des Zauberstabes durch Prospero - unglaublich erhaben. - Später liest mir R. den 3ten und 4ten Akt von Antonius und Cleopatra. Ja! Wer hierüber nur ein Wort zu sagen vermöchte! Ich bin ganz zermalmt. R. findet etwas von seinem Tristan darin wieder - insofern es das absolute Zerfressensein eines Wesens durch die Liebe wiedergibt - bei Tristan gibt es die Zeit naiv und rein, hier erscheint es in der schauerlich wollüstigen Umgebung, doch nicht minder zerstörend. Leider holt R. Marbach's Arrangement des Sh.speare'schen Stückes herauf —. Die ungeheuere Aufregung, welche das Werk des Dichters hervorgebracht, weicht nun aber der unbedingten Heiterkeit. Der gute Mann scheint Sh. versittlichen haben wollen! - Unwillkürlich besprachen wir mit R., wie wohl Sh.'s Leben hat gewesen sein können, da kam R. auf seinen alten Satz zurück, daß man das nicht dichten kann, was man augenblicklich erlebt, denn da kann man es nicht deutlich sehen. - Von der Post bringt R. einen geschmacklosen Brief Mathilden's.
3
R. spielt am Morgen das Duett des zweiten Aktes der Meistersinger und sagt, er könne das nicht spielen, ohne in die Zeit versetzt zu sein, wo er das schrieb und ich Evchen im Schoße trug. Evchen fürchtete sich vor R., weil er eine andre Tracht hat. Ich gehe zu den Kindern hinauf, R. arbeitet bei mir. Bei Tisch aber macht er mir Vorwürfe, daß ich gar nicht zu ihm gekommen, und tadelt heftig liebevoll meine Furcht, ihn zu stören. Nach Tisch spielen wir vierhändig die Faustouvertüre.[1] Dann geht er aus, bei schöner Schnee-Landschaft. Eine große Helligkeit erheitert die Stuben trotz des grauen Himmels am Morgen, und nachmittags kommt selbst die Sonne heraus. Vom Spaziergang bringt er die Pracht-Ausgabe des »Don Quixote« mit, welche Mme Viardot ihm schenkt. Große Freude da seine Bücher-Passion immer zunimmt, worüber er mir scherzend sagt, Er wisse wohl, daß ich sie - wie überhaupt keine Passionen - [nicht] gern sähe. Abends Wiederaufnahme der Diktate. - »Heißt willkommen, was uns als Strafe naht, und straft ihr es, indem ihr es leicht ertragt.« »Verlassen sei, was selber sich verläßt.« Drei Wesen dienen der Gattung, sagt R die Liebe, in welcher die Gattung sein will, das Genie, in welchem sie sich erkennt, der Heilige, in welchem sie die Welt vernichtet.
4  
Immer die Schnee-Landschaft und Sonne dazu, ein heiteres ruhiges Bild. R. an seinen Bleistift-Skizzen, ich bei den Kindern; um die Mittagszeit konnte ich hinunter und höre, was er eben geschaffen hat! - Er sagt, er habe ein Blättchen für mich aufschreiben wollen, auf welchem er seine Liebe mit der Liebe Eduard's,[2] Tristan's und Antonius' zusammengehalten haben würde; er habe in mir das Weib gefunden, das ihm auch als Künstler vollständig folgen könne, und nun solle sein Genie für das Unglück der andren Liebeshelden eintreten und uns zum Glücke verhelfen! - Bei Tisch besprechen wir wiederum das Wunderbare und Geheimnisvolle der Tragödie Shakespeare's; die Cleopatra ganz unbegreiflich und doch so deutlich, so erkennbar, so bestimmt. Das sei eben das Wesen des wahren Dichters, sagt R., einem alles zu zeigen, wie es ist, ohne Deutung und Lösung. Letztere gibt der Philosoph, und jeder müßte sich selbst der Philosoph sein, wenn er solch eine Dichtung liest. - Indem er zu mir spricht, mich belehrt und mich erhebt, fällt mir der Vers am Schluß des Tasso in den Sinn, nur mit ganz andrer Bedeutung. Ich klammere mich an dem Felsen seiner Liebe an, an welchem mein »Ich«, d. h. mein Schlechtes, mein Eigenwilliges, meine sündhafte Schranke scheiterte. Ihm zu leben meine Erlösung - stets denke ich dabei an die fernen Kinder und hoffe, sie bald hier zu sehen. - R. und ich, wir hatten beide gleiche Träume: daß wir Besuche erhielten und in freundlich behaglicher Laune uns einander freuten. Nur ist bei mir Blandine immer dabei. - Der Groß-Neffe Beethoven's bettelt wieder. - Wie wir immer eingehender über die Stücke Shakespeare's sprechen, sagt er, er habe es oft bedauert, daß er nicht in diesen Dichtungen den einen Bestandteil ganz für sich habe genießen können, z. B. Heinrich den IV. für sich ohne Unterbrechung und die Jugend des Prinzen Heinrich als heroisches Lustspiel, es würde so künstlerisch vollkommener sein, allein bei einem Genie wie Shakesp. falle selbst diese Unvollkommenheit so aus, daß sie einem ein getreues Bild der Welt gäbe. - Er meint, man verdanke den Franzosen in Bezug auf die künstlerische Form vieles, daß sie so steif an die Einheitsregeln [sich] gehalten haben, man müßte sich nur frei in diesen Regeln bewegen können und in einem gegebenen Zauberring das Leben einschalten, Sh. hat die ganze Maschinerie gesprengt, und da liegt die Welt nicht in einem Zauberspiegel gesehen, sondern leibhaftig da, daß man erschrickt. - Vieles sagt mir noch R. über das Wesen des Weibes - ich werde traurig, tief wehmütig; wir Frauen können diese Probleme nicht betrachten, nur empfinden können wir, lieben, uns hingeben. Aber wie unwert fühle ich mich R.'s! - Abends Diktat, nachdem die Kinder mir viel Freude gemacht haben. Gute Nacht, Kleine hier und dort, und Großer! - R. meldet noch, daß Rubinstein hier [ein] Konzert geben wird. »Der fehlte auch noch!«
5ter
Von der Mutter geträumt, daß sie eine Broschüre durch Schuré [3] habe publizieren lassen, in welche sie lauter Skandalosa brachte, daß ich von der Großherzogin von Weimar und der Fürstin Wittgenstein beschworen wurde, von R. zu lassen und nicht das schlimme Aufsehen, das die Mutter gemacht, noch fortsetzen. - Meine eigenen Sorgen und Gedanken erscheinen mir in diesem sonderbaren Spiegel! — Rich, arbeitet; ich bei den Kindern; bei Tisch spricht er viel von Wotan und der Wala. - Ich sage ihm, ich glaubte, wenn seine Freunde und Freundinnen wüßten, wie er lebt und was ihn befriedigt, anstatt sich zu freuen, würden sie empört sein und mich verabscheuen. Er meint: doch nicht, und daß - wenn wir nur keine tätige Teilnahme beanspruchten - wir doch Sympathie finden würden. Ich glaube es schwerlich, ich rechne selbst nicht darauf, daß in späteren Zeiten, wenn wir alle in Frieden ruhen, meiner Hingebung und Liebe mit Wohlwollen gedacht werden wird - meine Kinder aber sollen mich kennen. Der Schnee fällt sanft und voll; die Einsamkeit wird glänzend durch ihn; wie ruhig ist es doch hier - wann haben wohl zwei Wesen so abgeschieden von der Welt ineinander und füreinander gelebt? - Von der Post bringt R. die ersten Exemplare der Juden-Broschüre mit und einen Brief Herminen's. Die Kinder sind ziemlich wohl, nur Lusch hat den Husten. Wehmut erfaßt mich - wann werde ich sie wiedersehen, wieder-haben? - Während R. die »Juden« überliest, sehe ich den Katalog der Sammlung des Herrn von zu Rhein mit kleinerem Herzweh durch. Als ich noch der Welt angehörte, hing ich sehr an derlei Dingen. Später Diktat und dann mit R. meinen Plan besprochen, die Kinder mir auf einen Monat zu erbitten. -
6ten März
Große Freude an den Kindern, welche munter und gesund sind; gestern saßen sie beide sich gegenüber auf dem Boden von R.'s Schlafstube und spielten. Loldi zog sich R.'s Schuhe an und Eva kämmte sich mit seiner großen Bürste. R. sagt, er könne das Bild nicht wieder vergessen. - Er hat gute Nachrichten von Kos, wir bekommen ihn wahrscheinlich zu Ostern. - An Hermine geschrieben. R. bei der Arbeit, nach Tisch aber zum Gericht wegen eines Prozesses mit seinem Schlosser. Am Abend großer Schrecken, Eva fällt in Ohnmacht. Man darf nicht frohlocken; wir hatten uns zu sehr über das Wohlbefinden der Kinder gefreut. - Als ich neben dem Bettchen still saß und jede Regung weinend mir untersagte, damit das Kind einschlafe, hörte ich gegenüber in der Stube des kleinen Wilhelm [4] Lachen, Singen und Tändeln. Früher hätte mich dieser Gegensatz bitter gestimmt, jetzt erfüllte er mich mit Trost, daß wenigstens andre sich freuten, während ich in Sorge verging. - R. kam sehr angegriffen vom Gerichtshof: er will nie wieder sich in einen Prozeß einlassen, nichts als Kniffe, Lügen, Ausweichungen, sein Advokat hatte eine Todesangst, wenn er nur den Mund aufmachte, daß er das ganze Lügengewebe durchhiebe. Der Gegenadvokat ein Wucherer, scheußlicher verklausulierender Mensch, R.'s Verteidiger ein Schaf, das versteht sich von selbst. Nun bedenke man - sagt R. -, daß in der ganzen Welt das Gerichtswesen so bestellt ist! Abends Diktat.
7ten März
R. noch immer sehr angegriffen von der Gerichtssitzung, arbeitet aber doch; ich bei den Kindern, welche mit uns speisen. Nach Tisch Spaziergang mit Loldi und R. - Eva ist wieder wohl. Ich bin sehr leidend und muß liegen. R. liest mir ein Kapitel aus Schopenhauer vor (Ethik)[5] - ob ich die Kinder bekommen werde? Ich bin ganz hinfällig.
8ten März
Richard kam heute nicht zu seinen Skizzen, weil er die Korrektur seines Aufsatzes über Devrient zu besorgen hatte; das gibt einen betrübten Tag. Vor- und nachmittags überziehe ich die Partitur-Blätter bei den Kindern. Eva beängstigt mich durch ihren Zorn. Nach Tisch versendet R. die Meistersinger »der Meistersängerin Mme Viardot« und schreibt Briefe. Ich nehme Winckelmann wieder vor. Abends liest R. mir den Schluß des Schopenhauer'schen Kapitels vor. Meine jetzige Stimmung kann ich kaum beschreiben, es heißt alles: Erwartung. Ob ich die Kinder zu Ostern sehe. - Guter Brief Düfflipp's, die Wünsche R.'s werden erfüllt. (Der Vorschuß gewährt, Schott [6]sekuriert und der Neffe Beethoven's unterstützt.)* (* (Am Rand eingefügt)
9ten März
Ankunft der Versendungs-Exemplare der Juden-Broschüre; auch der Galerie berühmter Deutscher, [7]welche Breitkopf und Härtel R. schenken. R. an seine Arbeit. Es ist schönes Wetter. Nach Tisch Spaziergang mit Loldi; da sie mich durchaus nicht verlassen will, halte ich ihr eine Rede; abends beim Schlafengehen sagt sie: »Alles fällt (gefällt) mir von dir«; um mich zu versichern, daß sie alles tun wird, was ich verlange. Da R. gegen das Diktieren immer sehr eingenommen ist, liest er mir vor: »Liebes Leid und Lust« von Shakespeare. R. ist sehr besorgt um mich, und ich muß ihm erzählen, wie schlimm sich andre Frauen in meinem Zustand häufig befinden, damit er sich beruhige. Nachts wache ich auf mit Gedanken an die Kinder - werde ich ihr Los ein wenig erträglich machen können?
Mittwoch l0ten
R. hat einen Brief von Hans, welcher für die direkte Zusendung (durch Weber) der Judenbroschüre dankt und seine Reise nach Wien meldet, wo er beim Baron Sina [8] für 500 Gulden spielt. Der K.* (* König von Bayern) hat Tristan und Isolde für den Mai und Rheingold für den August befohlen. Hans ist von der Broschüre sehr entzückt. - R. freut sich über verschiedenes, das ich sage, und meint, wenn es auch bloß dies sei, daß er tagtäglich mit mir sich unterhalten könne, würde er sich glücklich nennen; er ließe Gott weiß wen im Stich - Shakespeare, wenn er selbst käme, um mit mir zu plaudern. - (Winckelmann über Bernini's Werke, »zum Glück gelangter Pöbel« - Poussin über Raphael: »Ein Engel gegen die Neueren, ein Esel gegen die Alten.«) - Bei Tisch ist R. sehr angestrengt, seine Arbeit regt ihn furchtbar auf, so daß ich mich beinahe scheue, ihn dazu aufzumuntern! Nachher Spazierfahrt im Wagen mit Loldi — nach Hergeschwyl. Rich. klettert auf den Felsen. Im Wagen sagt er, das Eigentümliche [von] des Vaters Naturell habe nur in einem Weibe zum harmonischen Ausdruck kommen können; zu Hause mit den Kindern gespielt. Abends »Liebes Leid und Lust« ausgelesen. Um zehn Uhr zu Bett - und nachts plötzlich aufgewacht in Sorge um R. Tiefes Innewerden, daß ich nur eine Aufgabe habe, ihm das Leben zu erleichtern. Wie es auch kommen möge, ob ich sterbe, ob ich lebe, nichts soll mich weichen machen. Das Los der Kinder beängstigt mich, da ich sie ohne Vermögen dereinst zurücklassen werde, doch hoffe ich auf einen freundlichen Stern wenigstens für eines derselben, und dieses wird die andren beschützen.
Donnerstag 11ten** (**Fälschlich in der Handschrift »12ten« datiert) Kos ist geheilt und wird nun bald wiederkehren - viel Freude darüber. R. arbeitet. Dann meldet er mir Berlioz'[9] Tod; Bilder aus meiner Kindheit kommen mir dabei in den Sinn. Mit R. besprechen wir alle die Toten dieses Jahres; furchtbar ist gemäht worden: Lamartine, Berryer, Genelli, Rossini, Berlioz, um nur die berühmtesten zu nennen! - R. geht spazieren und bringt »meinen Richard Wagner Brief«, in der Liberte gedruckt. R. findet, daß er sich gut ausnimmt, und ist froh, daß er sich in Bezug auf Paris so entschlossen hat. Pasdeloup schreibt, daß alles in schönstem Gange sei - hat er doch ganz neue Kostüme und die ersten Pariser Tänzerinnen engagiert!! - Auch zwei Briefe Mathilden's an R. und an mich, welche über die Meistersinger in Mannheim berichten!
- Ich bin heute trübgemut trotz der schönen Frühlingsluft. Schwer schwer, schwer ist das Leben, meine Kinder, immer muß man es gegenwärtig haben, daß das Leiden unser höchstes Gut ist. - In der Zeitung stand ein Aufsatz über das bevorstehende Concilium, sie wollen die Papsttum-Pagode allmächtig machen und dem Jesuiten-Orden die dreifache Krone aufsetzen. Es ist gewiß gut, daß sie es so treiben. Abends nichts vorgenommen, weil Richard müde ist.
Freitag 12ten
Nachts wachte ich jäh auf, kein übler Traum hatte mich befallen, doch war ich so schwermütig, daß es lange Zeit dauerte, bis ich wieder einschlief. Da bezwang ich mich, nicht nachzusinnen, mir nichts zu denken, möge Kummer auf Kummer sich im Herzen einnisten; wenn es zu voll wird, wird es eben zerspringen. Und es ist unglaublich, wie viel das Herz fassen kann, zuweilen fühle ich das meinige sich förmlich erweitern zur Aufnahme. Am frühen Morgen kam R. herauf und spielte »Ein Engel stieg aus Himmelsäther«,[10] er sagte, er habe mich mit den Kindern in seine Stube eintreten sehen, und dieses sei ihm in den Sinn gekommen - Meine Reklusion ist nun beinahe zu Ende, denn neulich, als wir ausfuhren, begegneten wir dem Oberst Am Rhyn, und als ihn R. gestern wieder traf, mußte er ihm sagen, ich sei da, ich erwartete die Kinder zu Ostern und sei früher gekommen, weil ich später nicht gut würde reisen können
Dieses wird aber an meiner Zurückgezogenheit nicht viel ändern, denn ich scheue mich, Menschen zu sehen. - R. war heute lang bei seiner Arbeit und ist davon furchtbar aufgeregt, ich vermeide es, mit ihm darüber zu sprechen, und lenke das Gespräch auf die Musik im allgemeinen; er sagt bis zu Mozart sei die Musik im vegetabilischen Reich verblieben! von M. aber und namentlich von Beethoven an sei die »anima« dazugetreten. Die Bach'sche Fuge sei wie ein großer Baum, so erhaben und auch ergreifend, doch in ganz andrer Weise als das menschliche Herz. - Das Wetter ist schlecht, und eigentlich zu meiner Freude kann man nicht ausgehen. Winckelmann und die Kinder füllen die Zeit aus; R. nimmt das, was er am Morgen komponiert hat, wieder vor und ist damit nicht zufrieden, er meint, er sei in der Verzweigung der Motive zu weit gegangen. Am Teetisch sagte er, wenn er es sich leicht machen wollte, würde er vom Augenblick an, wo Wotan gesagt: »seit mein Wunsch es will«, das Recitativ eintreten lassen, wodurch allerdings eine große Wirkung erzielt würde, jedoch aber das Kunstwerk aufhören würde. Das habe noch kein Mensch beachtet, mit welcher Kunst er zu allen Mitteln griff, um den Gesang nie unterbrechen zu lassen und doch die romantische Wirkung zu erlangen. - Die Musik verkläre alles; bis zum Gräßlichen des Wortes lasse sie es nie kommen, selbst beim furchtbarsten Gegenstand. Nachher liest er mir verschiedene Gesänge aus der Edda vor: »Sinfiötli«, »Harbard und Thor«, »Wafrudiu« etc. Mich erfreut vor allem der Anblick seines Gesichtes, wenn er mir so gegenüber sitzt, sein Auge dunkel wird und strahlt und seine klangvolle Stimme mein Herz erschüttert. -
Samstag 13ten
»Der Schwan von Leipzig«, so nennen die Signale heute Rich. Viel Spaß darüber. Eine kleine Notiz in der Karlsruher Zeitung kündigt die Judenbroschüre an und meint, daß dadurch, daß er einen ganzen Volksstamm rücksichtslos behandle samt seinem bedeutenden Tonsetzer, und auch alle seine Gegner verächtlich behandle, R. sich und seiner Sache schade!    R. kann leider an seine Arbeit nicht gehen, weil der Klavierstimmer kommt, er ist aufgeregt. Wir besprechen meine Lage und meinen Zustand und kommen überein, eine Wärterin von auswärts zu berufen. Wohl selten haben zwei Menschen so vereinsamt dagestanden wie wir. R. geht spazieren, bringt mir keinen Brief von der Stadt mit. Noch immer weiß ich nicht, ob ich die Kinder wiedersehe! Abends liest mir R. »Ecken's Ausfahrt«,[11] von Simrock übertragen. Dietrich von Bern der ächte deutsche Typus; besonnene Ruhe, durchaus keine Streitlust, und furchtbare Kraft, wenn einmal gereizt. - Die Nekrologe über Berlioz sind alle verlegen.
Sonntag 14ten
Ein armer Soldat aus der päpstlichen Armee kam gestern betteln, er war zu Fuß über den Gotthard gekommen und seine rechte Zehe war ihm erfroren. Gute Zeugnisse hatte er, und als ich ihm fünf Franken geben ließ, weinte er vor Dank und Freude. Da fiel mir der Wunsch ein, den ich als Kind ausgesprochen und noch als Mädchen gehegt, der Armenpflege mich zu widmen. Wie weit bin ich davon ab, und doch, wenn solch Elend mir naht, meine ich im Gemüte, mein Beruf sei nicht erfüllt. - Der Schnee lagert wieder auf der Landschaft, »le linceul«,[12] wie wir es nennen! R. ist um mein Befinden mit Heftigkeit besorgt; wir gehen im Garten spazieren. Dann lassen wir die Kinder tanzen. Abends sagt mir R., indem er mich anblickt: daß er mir doch solche Not gebracht habe, wäre er nicht in mein Leben getreten, ich wäre jetzt ruhig in Berlin, lese Winckelmann in Frieden! Da kann ich nur lachen, aber wie er mir nachher »Minna von Barnheim« vorliest (so töricht dies auch klingen mag), muß ich weinen; ich kann gewisse Empfindungen von seiner Stimme ausgedrückt nicht hören, ohne daß mein Innerstes ganz erbebe; und wenn ich ihn dann ansehe, muß meine Seele erkennen, wie unwert ich seiner bin, und ihm die Treue schwören, die mit Jubel alles Leiden erträgt und nie schwanken kann.
Montag 15ten
Unsre Lektüre hatte uns bis halb ein Uhr gebracht; nun hat R. eine schlimme Nacht gehabt und ist sehr leidend. Dazu kommt die Notiz, daß Pasdeloup heute hier sein wird, um von R. über Rienzi etwas zu erfahren. Da R. behauptet, daß es ihn weniger angreift, wenn ich dabei bin, werde ich auch den guten konfusen Mann sehen. Mein Brief an Judith Mendes hat entschiedenen Erfolg, Truinet [13] findet ihn »parfaite« und Pasdeloup will ihn seinen Kindern als »titre d'honneur« vermachen. Von Hermine einen Brief erhalten, doch sie hat den meinigen noch nicht erhalten, weil Hans in Wien war. Um drei Uhr Pasdeloup da und bis zehn Uhr abends. Dabei war R. so leidend, daß mir das Herz brach. Er erholte sich, oder vielmehr er regte sich auf; Gott gebe ihm eine gute Nacht! Für ein Wesen jeden Augenblick tausendfachen Tod sterben mögen und ihm das Leiden nicht abnehmen können - diese Qual! - Die Post brachte einen anonymen Brief aus Breslau, »im Namen [von] 7000 Juden« - Schmähungen und Drohungen. Mir fällt dabei ein, daß der Mörder des Gr. Bismarck ein Jude war. - In den Kot werden sie uns ziehen, gern will ich alles alles erleiden, nur um an seiner Seite zu stehen, bis in die späteste Nachwelt sollen sie mich verunglimpfen, habe ich nur ihm geholfen, habe ich nur ihm die Hand reichen dürfen und ihm sagen: ich folge dir bis in den Tod! Pasdeloup erzählt, daß, wie in seinem Konzert nach dem Lohengrin-Vorspiel von einigen Leuten gezischt wurde, eine Dame ihrem Nachbar, welcher in einem Schlüssel unaufhörlich pfiff, sagte: »Monsieur si vous ne cessez pas je vais vous casser la tete avec mon petit banc.« Mein einziges Gebet: mit Richard in derselben Stunde dereinst sterben. Mein höchster Stolz, alles von mir gewiesen zu haben, um ihm zu leben. Mein schönstes Glück: seine Freude. - Ohne ihn ist die Welt mir ein Viehstall, wie Cleopatra sagt. - Nun segne ich seine Nacht!
16ten Dienstag
R. hat gut geschlafen! Das Wiedersehen ist dann wie nach langer Trennung. Er bringt einen Brief von Mme Viardot herauf - über die Juden-Broschüre! Ja dieser Unsinn oder dieser tiefe Sinn. Sie ist Jüdin, das ist nun klar. Da ich R. sage, ich würde ihr gerne schreiben, ersucht er mich, ein paar Zeilen aufzusetzen; er findet dieselben gut und schreibt sie wirklich ab. Dann arbeitet er. Ich schreibe an Loulou. Spaziergang im Garten mit Loldi; an die Kinder gedacht! Der Abend wird mit R. verplaudert, weil er noch zu müde ist, um etwas zu unternehmen. An Mathilde spät noch geschrieben. Eine Goldfeder hatte ich für R. von New York kommen lassen - allein die Spitze war zu fein, das gab dann einen kleinen kleinen Kummer.
17ten Mittwoch
R. bringt mir einen Brief des Königs an mich, welchen Hans ihm übersendet hat. Ich kann den Jammer nicht ausdrücken, der mich bei der Lektüre dieser extatischen Phrasen erfaßt! R. hat noch einen Brief von Mme Viardot, sie verlangt eine musikalische Aufklärung, seltsam! R. kommt auf die Vermutung, daß sie ihren gestrigen Brief bereut. - Ich beginne bei den Kindern meine Stick-Arbeit. R. skizziert. Bei Tisch sprechen wir von den Kindern in München, von Loulou namentlich, so gut, so treuherzig. Die trübe Wolkenschicht umlagert beständig mein Herz. Wie leicht entbehre ich die Welt oder vielmehr, wie gar nicht vermisse ich sie, und wie schwer, wie bang fällt mir die Sehnsucht nach den Kindern. - Weber hat Zeitungen geschickt (über die Juden-Broschüre). Alles schäumt, tobt, verhöhnt. Abends Diktat.
Donnerstag 18ten
R. leidend, kann nicht arbeiten. Vreneli nach Zürich, um Kos abzuholen. Anonymer freundlicher Brief über die Judenbroschüre. Brief Richter's, welcher auf Reisen geht, um Sänger zu holen, denn Tristan und Isolde, das Rheingold und die Walküre sind nun einmal für dieses Jahr befohlen! - Von den Kindern aber erfahre ich nichts und bitte daher R., einige Zeilen an Hans zu schreiben, nur damit dieser nicht gereizt sei, keine Antwort auf verschiedene Briefe zu erhalten. Viel gestickt und überzogen, auch viel im Garten; prachtvoller Frühlingstag; »Winterstürme wichen«![14]
Freitag 19ten
Kos ist wirklich da, geheilt, doch sehr verändert. R. arbeitet, ich sticke bei den Kindern. Die Post bringt nur ein Ehren-Diplom (Linzer Gesangverein) und die Signale für R. In letzteren steht, daß R. in einem Briefe geschrieben habe: die Franzosen seien Schneider, er würde nur zu ihnen kommen, um sich seine Röcke machen zu lassen. R. verlangt die Widerrufung der Notiz. - Vreneli erzählt, daß Semper in Zürich gesagt habe: es habe in Wagner's Hand gelegen, das Theater aufführen zu lassen, W. habe aber das Projekt fallen lassen!! - Ich höre immer [noch] nichts von den Kindern. R. sagt mir, es würden es die Leute alle bereuen, die sich gegen uns schlecht benehmen. Selbst das wünsche ich nicht. Meine Kinder aber möchte ich wiedersehen. - Vor sechs Jahren war mir um diese Abendstunde recht übel; übel und elend dabei. Wie stumpf und dumpf brachte ich ohne jeden Beistand das Kind zur Welt; [15]wie gleichgültig wurde es vom Vater empfangen! Einzig war in der Ferne Richard um mich besorgt, und ich wußte es nicht. Wie öde, wie leer, wie innerlich gestört war damals mein Leben! Wie könnte ich es R. jemals genügend danken, was seine Liebe an mir vollbracht? So elend fühlte ich mich damals, daß ich keinem sagte, daß die Geburtswehen über mich kamen und daß das Kind bereits da war, als man die Hebamme rief. Die Schwiegermutter wohnte im Haus, Hans war anwesend, Bedienung war genügend da, und ich wanderte einsam im Salon und wand mich wie ein Wurm und winselte; ein unaufhaltsamer Schrei weckte das Haus, und sie trugen mich auf mein Bett, wo Boni denn auch herauskroch. In jedem Hause ist die Erwartung eines Kindes eine Freude, ich wagte es Hans kaum zu sagen, daß ich schwanger sei, so unfreundlich nahm er es auf, gleichsam wie eine Störung seines Behagens. Niemandem habe ich jemals dies gesagt; jetzt schreibe ich es auf, nicht um Hans anzuklagen (die Mühsale des Lebens waren für ihn groß, und er hat nicht gewußt, was einer Frau wohl- und wehtut, da ich immer geschwiegen), sondern weil ich mit Grauen an diese Nacht in Berlin denke und mir die Erfüllung meines Schicksals an ihr recht begreiflich wird.
20ten Samstag
Die Post bringt nichts außer eine Schmähung aus Breslau (die dritte von daher) und eine große Zeichnung (Sachs und Eva) vom König. Leider ist dieselbe sehr unschön. R. arbeitet etwas; ich sticke und beschäftige mich mit den Kindern, wobei mir ein eigentümlicher Zug in Loldis Auge auffällt und mich bekümmert, es ist wie etwas Falschheit darin. Der Schnee fällt wieder; Frühling und Winter kämpfen miteinander, auch die bösen und guten Geister meines Schicksals. Noch weiß ich immer nicht, ob ich die Kinder wiedersehen werde! Abends Diktat, nachdem wir den Plan zu Odysseus' Haus besichtigt.
21ten Sonntag
Immer nichts von den Kindern! - Am Morgen sagt mir R., er könne gar nicht begreifen, daß wir uns einstens eingebildet hätten, unsre Liebe in die Regeln des gewöhnlichen Lebens einzuschachteln. - Er arbeitet etwas, ich sticke und spiele mit den Kindern. Dann Sonntagstisch. Nachher ein Kapitel über die Dorier von Otfried Müller,[16] dann langer langer Schlaf, denn ich bin müde vor Kummer. Spät noch in den Garten; gegen 6 1/2 Uhr, wie es dämmerte und alles recht grau war und still, zwitscherte ein kleiner Vogel über mir, augenblicklich faßte mich Hoffnung; da krächzte eine Krähe, und meinen kleinen Freund hörte ich nicht mehr. Richard schreibt an den König. - Gestern sagte R., indem er mein aufgelöstes Haar sah, es sei das rechte Genovefen-Haar, und fügte hinzu: Gott! wenn ich dich so in die Wildnis führte! Allein es gibt keine Wildnis mehr, überall Pensionen, je wilder die Gegend, um so üppiger die Pension. - Abends noch in Otfried Müller gelesen.
22ten Montag
Es gibt dem Mißgeschick gewidmete Tage, und öfters in meinem Leben ist es vorgekommen, daß der erste der Woche zu diesen gehörte. Heute z. B. wollte R. sehr früh aufstehen, um seinen Brief zu vollenden und auch an die Arbeit zu gehen. Allein der Kaminfeger wirft alles um. Dann liest er mir seinen Brief, und eine große Wehmut überfällt mich dabei. Ich möchte, er fände eine andere Form für seinen Verkehr, sie könnte ebenso warm sein und dürfte wahrer erscheinen. Er merkt meine Stimmung, obgleich ich sie nicht ausspreche. - Hans hat auch geschrieben und schickt einen Aufsatz aus einem ultramontanen [17] Blatt, für die Judenbroschüre. Ich verteile den düstren Tag zwischen den Kindern, der Stickung und der Überziehung der Partitur. Des Nachts kamen mir wehmütige Gedanken über die Liebe; wenn der geschlechtliche Affekt nicht hineinspielt, ist sie wohl höherer Art. Doch kann ich mir nicht denken, daß eine Liebe tiefer, treuer, reiner sein kann als die meinige zu Richard.
23ten Dienstag
Gar trübe sind diese zwei ersten Frühlingstage gewesen, und ich selbst dabei schwermütig gestimmt. Beim Morgengrauen wache ich auf und sage mir, daß das Leiden gut und heilsam ist und daß wir mutig heiter leiden müssen, still und stumm, dann erst werden wir uns gekräftigter fühlen, als wenn die ganze Welt unserem Dulden Palmen schwänge. Dann auch, aber nur dann steigen sie hernieder, die Engelscharen, und bringen Trost und singen uns das: Heil dem Weinenden, das hehre Wiegenlied des Schmerzes. Der Mensch aber geht schwer an den Kelch und will gern klagen, wenn er auch noch so sehr Strafe verdient. - R. erzählte mir, er sei den Sträflingen, welche auf den Feldern arbeiten, begegnet, die ihn und er sie freundlich gegrüßt, einer unter ihnen selbst mit: »Bonsoir monsieur.« Mit ihren Ketten, sagt R., seien sie eigentlich innerhalb der Gesellschaft, wer für sein Vergehen öffentlich büßt, ist in einem rechtlichen Zustande. - Abends Diktat. (Nachmittags überzogen).
24ten Mittwoch  
Viele Tränen am Morgen, Gott weiß, sie fließen so, ich kann sie nicht aufhalten; verbergen aber tue ich sie so viel wie möglich. Die Post bringt immer nichts, ich werde nun wohl die Kinder zu Ostern nicht sehen. - Mittags spielt mir R. einiges vor (Wotan mit Siegfried, mächtig ergreifend und rührend!). Zu Tisch macht uns Loldi durch plötzliches Unwohlsein einen Schreck - die Bräune befürchtend, holt R. den Dr., es stellt sich aber mit ziemlicher Sicherheit heraus, daß sie aus dem Cognac-Fläschchen etwas getrunken hat und darüber so unwohl geworden ist. Der Arzt erzählt nebenbei, daß er die Judenbroschüre gelesen habe und es ihm sehr angenehm zu wissen, welcher der Grund der unaufhörlichen Anfeindungen gewesen sei. Eine Dame aus Zürich habe die Broschüre als Eisenbahnlektüre mitgebracht. Das macht uns Spaß. - Wie R. von dem Spaziergange heimkommt, besprechen wir meine Lage, er sagt, daß alles in allem genommen wir nur den König hätten, der uns zusammenfasse und uns in eins rechne. Die Kinder werde ich nun nicht sehen. Das muß eben getragen werden. Vielleicht blüht im Herzen mir ein schöner Lohn! Abends in Otfried Müller gelesen.
25ten Donnerstag
Grün oder Grein-Donnerstag. - Am Morgen beklagt es R. heftig, daß ich in seinem Hause so schlecht versorgt und verwahrt sei; mich betrübt es, daß er das, was mir von je so geringfügig erschienen, sich so zu Herzen nimmt. Er arbeitet etwas, ich sticke und spiele mit den Kindern. Nach Tisch schlägt mir R. vor, mit ihm in die Stadt zu gehen, und ist freudig überrascht, als ich ihm zustimme. Zur Stadt also mit den beiden Kindern, in froher Laune. Einen Halt im Hotel gemacht, Kaffee getrunken und Kuchen gegessen, auch Zeitungen durchgeblättert. Dann auf der Post einen Brief Herminen's gefunden. Es ist noch unbestimmt, ob die Kinder kommen werden - die an Hans gewohnte Unschlüssigkeit! Claire schreibt mir auch und meldet, daß die Mutter wieder sehr leidend sei, ein tief zu bemitleidender Zustand! - Mit R. den Abend verplaudert, er ist froh, weil ich einen Brief habe.
26ten Karfreitag
An Hermine und Claire geschrieben. Erstere meldet mir unter andrem, daß Hans die kleine Wohnung aufgeben will, so daß R. seine Sachen kann kommen lassen. Um Mittag kommt die Sonne heraus, was mich tief erfreut. Ruhig wehmütig ist meine Stimmung, wie möchte ich alles froh und wohl wissen! - Gegen Mittag kommen die Broschüren an (Eduard Devrient und sein Stil) und die sämtlichen Lieder Schubert's.[18] Dann gehe ich zur Kirche, schon um das Gemüt der Leute nicht zu kränken, die nicht verstehen, daß man solch einen Tag am besten im stillen Haus zubringt. Es war drei Uhr, als ich mit Loldi in die Barfüßerkirche eintrat; um diese Stunde (sagte man mir als Kind) dürfe man wünschen und es würde einem gewährt; so habe ich denn den Kindern und allen denen, die in nähere Berührung mit mir getreten sind, Glück und Heil und mir die Vergebung aller derer gewünscht, denen ich wehgetan habe; im Geiste habe ich dann allen verziehen, die mir Übles getan und gewollt haben und solches noch bereiten. R. holt mich ein, und wir kehren zusammen heim. Schöner Sonnenschein, heitre Luft, Vögel in den Bäumen zwitschernd. Wie fest nehme ich mir vor, alles zu unterdrücken, jeden Kummer für mich zu ertragen und in jedem Leiden, in jeder Selbstaufopferung das Heil zu suchen. So nehme ich denn teil an dem heiligen Tag und hoffe für die Meinigen. - Zu Hause spielte und sang mir R. aus den Schubert'schen Bänden. (Die Signale haben seine Widerrufung der falschen Notiz nicht aufgenommen - dagegen schreibt der Dr. Lang, daß die Judenschaft in Berlin in großer Gärung ist.) Wundervoller Abend mit zwei Gesprächen von Platon zugebracht (Ion - Hippias).
27ten Samstag*
(* Neben dieser Tageseintragung an den Rand geschrieben: »Wer das Schöne will, muß viel ertragen«.)[19] - R. bringt am Morgen eine neue Nummer der Signale mit seiner Berichtigung. Dann eine Broschüre von einem sentimentalen Juden, Verehrer Rich.'s, doch über »Das Judentum in der Musik« empört. Bei Tisch hierüber gesprochen und dann hauptsächlich wieder über Platon. Meine Augen sind sehr angegriffen, vielleicht von der Stickerei. (Breslau schickt einen 5ten Artikel!) Nachmittags nehme ich die Kinder hinunter und zeige ihnen Bilder (Ring des Nibelungen), R. kehrt heim, findet uns zusammen und freut sich darüber. Er sagt mir, ich könne gar nicht wissen, wie glücklich er sei. Abends gelesen (Hippias der Jüngere).
Sonntag 28ten
R. am Morgen bei mir, sagt: »Du bist nun einen ganzen Winter bei mir, ich kann es kaum glauben; du weißt nichts von mir, weißt gar nicht, wie mir das Herz übergeht, denke ich daran.« — Ja, unsre Liebe ist Wahrheit in dieser Welt von Lug und Trug. - Gestern lasen wir zusammen mit tiefer Ergriffenheit das Sonett von Shakespeare: »Besser schlecht sein als schlecht scheinen«, worin die ganze Bitterkeit eines im Bruch mit der Welt sich fühlenden Wesens sich erhaben ausspricht. - R. hat einen Brief Hans', welcher den Eindruck der Wilhelm Drach'schen Broschüre [20]meldet und auch die weitere Wirkung des »Judentums« - die reichen Juden in München wollen nicht mehr so fleißig die Wagner'schen Opern besuchen; ferner telegraphiert die Theaterdirektion von Breslau an Nachbaur, er möchte eine andere Gastrolle wählen als Lohengrin, weil dieses Werk wegen der Broschüre nicht gut jetzt in Breslau zu geben sei. Dann erzählt Hans, er sei mit einer Orchesterdeputation bei Lachner gewesen, um denselben zu ersuchen, seine neueste Suite (!) selbst zu dirigieren (im Odeonkonzert); das findet nun heute abend statt, und wahrscheinlich werden die Anhänger Lachner's die lächerlichsten Demonstrationen veranlassen. Ich wünsche sehr, daß diese Intrigen endlich gegen Hans aufhören. - Im Garten gewesen und mit den Kindern Eier gesucht; der Morgen war hübsch, der Nachmittag aber brachte Schnee. - Richard war unwohl am Morgen und konnte keine »Linie« zeichnen. - Nachmittags las ich die fr. Übersetzung von Tristan und Isolde. Abends die Schubert'schen Lieder wieder durchgenommen, wie viel müßte man bei Schubert sortieren, um einen reinen künstlerischen Genuß zu erlangen. Nachts Mond- und Schnee-Strahlen; am Morgen hörte ich den kleinen Fink singen, die Amseln kamen auch, sich Federn von den Hühnern zu holen, nun wird wohl alles ausbleiben, da der Schnee wieder gefallen. R. schreibt seiner Freundin Meysenbug und erwähnt meiner in Liebe und Güte. Wie mich das ergreift! Kaum kann ich ihm Gute Nacht sagen, ohne daß mir die Tränen hervorstürzen — er sagt, wir seien glücklich wie die Lämmer; wenn die Wölfe dort außen nicht wären!
Montag 29ten
Ich erschrecke bisweilen über mein Aussehen und frage mich, ob das durch meinen Zustand so übel ist, oder ob ich dem Ende mich nahe, oder ob ich nur gealtert bin - ich glaube, das Alter ist eingetreten. - Loldchen hat ein schlimmes Auge und Evchen eine entzündete Backe, doch ist man froh, wenn man so [über] den Winter wegkommt. Rich, arbeitet, ich verspiele den Morgen mit Loldi, die nicht in [den] Garten gehen kann. Zu Mittag entstand zwischen R. und mir die Frage über den Konfessionswechsel, er sagte: Der Vater würde gewiß gegen unsre Verbindung nichts einwenden, wenn, um sie zu ermöglichen, ich katholisch würde. Darauf frug ich ihn, ob er, um mich zu heiraten, katholisch geworden wäre, falls es notwendig gewesen wäre? Er erwiderte, dies sei eine »verteufelte« Frage, er könne sich's gar nicht vorstellen. Zuerst ward ich verdutzt, da ich augenblicklich es empfand, daß ich doch alles aufgebe, Religion und das übrige noch, um mich ihm zu vereinigen, dann aber verstand ich ihn. Die Frau darf und soll alles dem Geliebten aufopfern, der Mann aber kann und soll einen Punkt haben, wo er nicht weicht noch wankt. Auch ist, wie R. bemerkt, der Übergang vom Katholizismus zum Protestantismus etwas andres als das umgekehrte Verhältnis; vom Protestanten wird das förmliche Bekenntnis der Ketzerei verlangt. - Dieses ganze Kapitel aber stimmte mich sehr ernst; es ist schwer, sofort die Einsicht der Dinge zu erlangen, die uns über einen schmerzlichen Anschein des Unterschiedes der Liebe beim Mann und beim Weib emporhebt; und da bei mir alles langsam geht, habe ich wohl den ganzen Nachmittag an dem Fall laboriert. - Oberst Am Rhyn besuchte mich; das gibt immer eine sonderliche Lage. - Abends »Alkibiades«[21] der Jüngere begonnen.
Dienstag 30ter
Dicker Schnee überall; er blendet die Augen, die sehr schwach sind. Wiederum schweigt München. Dagegen bringt R. den Brief eines Redakteurs der kaiserlichen Wiener Zeitung, Dr. Leutner,[22] welcher sich enthusiastisch über die Judenbroschüre ausspricht, deren »kontemplative Ruhe« und die darin bekundete »Existenz-Verachtung« ihn mit Bewunderung erfüllt. Ein Journal-Artikel aus ich weiß nicht wo nennt R. den Hamann des 19ten Jahrhunderts. R. erzählt, daß, als er neulich irgendwo gelesen, daß er sein Judentum geschrieben habe aus Neid auf Mendelssohn's Genie und Meyerbeer's Erfolge, ihm eingefallen sei: doch nicht auf Hiller's Frau? da er den weder um sein Genie noch um seine Erfolge beneiden könnte. - R. ist etwas unwohl, doch arbeitet er und wird dadurch vergnügt. Das Wetter erheitert sich, ich gehe mit ihm in die Stadt; prachtvoller Sonnenuntergang, das ganze Tribschen bei unsrer Heimkehr verklärt. Mit R. beim Antiquar gewesen, dann auf der Post einen Brief Herminen's gefunden. In acht Tagen werde ich die Kinder wiedersehen! — Abends ist R. leidend, so daß ich meine Freude in mich versenke. - Ich hatte einen fürchterlichen Schreck auf dem Spaziergang, unweit von der Eisenbahn las mir R. einen Brief Pohl's (»nicht gerade einem faulen doch einem gebratenen Apfel gleicht dieser Brief«, sagte R.) vor; plötzlich sehen wir Kos inmitten der Bahn mit einem andren Hunde in Zank, und der Eisenbahn-Zug wie auf ihm, da schien R. wie ein Pfeil, rettet den Kos durch sein Laufen und Schreien und kommt selbst davon wie durch ein Wunder; aber dieser Anblick! - Abends den Alkibiades ausgelesen.
Mittwoch 31ten*
(* Neben dieser Tageseintragung am Rande: »>Der Schönheits-entschlossene Goethe.< Richard«)
Frühlingstag. Ich kann im Garten sitzen und sticken; die Kinder sehr vergnügt, in der Stube den Schneidertanz, draußen viel Springen und Laufen. Zu mir spricht R. von der Herrichtung der Wohnung; sonderbarer Weise werde ich davon traurig; auch habe ich nur die Kinder im Kopf. - R. arbeitet und sagt, er sei nun drin; sein Siegfried eilt durch die Lohe. - Nach Tisch einen Brief von Loulou, seine französische gedrechselte Art mißfällt R., dieser sagt es mir, was mich sehr wehmütig stimmt. Abends Brief Mathilden's - etwas hyperklug. Nach dem Tee »Lyses«[23] von Platon mit unsäglicher Freude gelesen. Sonst Not wegen Kindermädchen.