Freitag 1ten
R. ruft mir zu: »Was ist der Unterschied zwischen Wotan und Siegfried? Wotan heiratete Minna und Siegfried Cosima.« Er erzählt mir dann, er habe von mir geträumt, daß ich schöne goldblonde Locken gehabt hätte. Er arbeitet. Wir gehen nach Tisch spazieren. Abends erhalten wir Briefe, ich einen sehr hübschen von R.'s Schwester Claire, der mich sehr freut, da alles, was mit ihm zusammenhängt, mir das liebste und werteste ist. (Brief von Judith.)
Sonnabend 2ten
R. hatte eine gute Nacht, die er einem späten Glas Bier, wie er meint, verdankt. Brief unseres guten Feustel's. Viel Wirrwarr [mit] neunter Symphonie; anstatt 200 Sänger stellt Herr Stern;[1] dann melden sich Leute aus Schwerin für die Aufführung der Nibelungen, und der Bürgermeister von Schweinfurt bietet sich an als Paukenschläger, dazu die Menschen, die R. bitten, ihnen Wohnungen zu besorgen - viel Unsinn. R. arbeitet. Nachmittags kommt unser Neffe Fritz, ein immer willkommner Gast. Wir verplaudern gemütlich den Abend.
Sonntag 3ten
Brief von Hans Richter, der 1000 Gulden nach Bayreuth schickt, das Ergebnis eines Konzertes, das er dirigiert hat. Auch bildet sich in Pest ein Wagner-Verein. Marie Schleinitz schreibt auch und scheint froh, die israelitischen Konnexionen aufzugeben. R. komponiert nicht, sondern macht seinen 8ten Band zurecht. Er ist anfangs des Tages ziemlich wohl und munter, abends aber ist er angegriffen - Besuche ermüden ihn leider immer. Pr. Nietzsche schickte mehrere Briefe, unter anderem einen von Pr. Ritschl[2] an ihn, sehr ironischen Tones. R. weiß noch immer nicht, wie es mit dem 9ten Symphonie-Projekt steht, da lauter konfuse Briefe ihm darüber zukommen. Der Bürgermeister von Schweinfurt bietet sich zur Pauke an! Der Abend bringt leider das Gespräch auf K. von Holtei; dessen Erscheinung in R.'s Leben wohl das allerwiderwärtigste ist.
Montag 4ten
Brief eines Herrn Dannreuther[3] (sehr schön), welcher die Bildung des Londoner-Verein meldet. Herrlicher Frühlingstag, R. ist aber nicht wohl und sehr unruhig, was mir die blaue Luft und die glänzenden Berge, die sich lockenden Vögel und das Schmetterlings-Flattern vergällt! Viel draußen mit Fritz, der uns am Nachmittag verläßt; R. hat doch etwas gearbeitet. Er ist abends müde, wir lesen ein wenig in Schopenhauer. Gott gebe ihm Kraft und Mut zur Vollendung seines Werkes. Segen über ihn!* (*Ende von Heft IV der Tagebücher. Das nächste Heft beginnt mit der Vorbemerkung: »4tes Heft - Im fünften Jahre meines Glückes - März 1872.« Cosimas Numerierung nicht identisch mit der Zahl der Tagebücher)
Dienstag 5ten**
(**Quer über den Rand geschrieben: »>Papa immer Pomade<, sagt Fidi, wie er zu seinem Vater eintritt und ihn beim Rasieren findet.«
Brief meines Vaters, kurz und unexpansiert. Dagegen schreibt M M.*** (*** Marie Muchanoff? Auch M.v. Meysenbug möglich, vgl. 8. März) unserm Freund Schure scheint des Südens Feuer verderblich geworden zu sein, und wir sollen helfen ihn erlösen. R. ist nicht ganz wohl: Draußen prangt der Frühling. R. sagte gestern, daß, als er den neulichen Vortrag von Döllinger gelesen habe, es ihm aufgefallen sei, daß im 18ten Jahrhundert viele Leute [wegen der] Vertrocknung der protestantischen Kirche zur katholischen Kirche sich wieder begaben; da sei ihm eingefallen, daß, wie der Luther'sche Choral die Seele der Reformation gerettet habe vor dem Staub der Disputationen, so im 18ten Jahrhundert die Bach'sche Musik. - R. und ich, wir fahren aus nach Winkel; im Wagen empört er sich gegen die jetzigen Schriftsteller, Historiker, die z. B. einen solchen Schicksalsmenschen wie Gustav Adolf nicht in seiner ganzen Größe als Retter des Protestantismus gelten lassen, sondern von der Lage der Dinge, Politik u.s.w. sprechen, während ohne seinen heroischen Glauben nicht eine protestantische Seele mehr in Deutschland wäre. - Wir sprechen auch vom Kronprinzen von Preußen, der durch seine Frau plötzlich auch wagnerisch geworden ist und der Joachim'schen Clique angehört.[4] Leider ist R. nicht ganz wohl; wir machen einen langen Spaziergang, und abends lesen wir im Schopenhauer. Wehmütige Gedanken über den Vater.
Mittwoch 6ten
»Ja, das ist meine Frau, die ich immer und ewig liebe«, diesen Hexameter ruft mir R. am schönen Frühlingsmorgen zu. Ankunft eines Medaillons von Neusel, wenig befriedigend. R. arbeitet. Am Morgen viel Freude an Fidi. Nachmittags Ausgang; ich zur Tanzstunde der Kinder, R. für sich. Als ich abends heimkehre, find ich ihn sehr verstimmt; er hat keine Nachricht von Dresden und Wien, und in Karlsruhe treten Schwierigkeiten ein, so daß er noch gar nicht weiß, ob die Sache zu Stande kommt. Viel Ärger; wie soll er da den Kopf frei sich erhalten für seine Arbeit. Er schreibt mehrere Briefe und schickt mehrere Depeschen ab. Abends hilft uns Schopenhauer, dessen Kapitel über die Musik[5] mich besonders entzückt.
Donnerstag 7ten
Viel über das Mittelalter am Morgen gesprochen, das uns beinahe - mit seiner ganz von katholischer Extase beherrschten Erscheinung - so fern steht wie die alte Welt. R. arbeitet und ist Gott sei Dank etwas wohler. Draußen tobt der Föhn, wir gehen nicht aus. Es kommen Briefe, unter andrem ein sehr merkwürdiger von Josef Rubinstein,[6] beginnend: »Ich bin Jude«, und nach Erlösung durch Mittätigkeit an der Aufführung der Nibelungen verlangend. R. antwortet ihm sehr freundlich. Auch eine Depesche von Herrn Hellmesberger aus Wien, daß er dort mit Erfolg Sänger werbe. Abends in Schopenhauer das Kapitel des Genies gelesen. Tiefes Bewußtsein unsrer Liebe; Bitte meinerseits an R., überzeugt zu sein, daß ich gar keinen eignen Willen habe und daß mein einziges Glück in dem Bestreben liege, ihn in der kleinsten Kleinigkeit zu verstehen und ihm zur Seite zu stehen. O könnte ich ihm wirklich helfen. (Am Nachmittag spielte er aus dem ersten Akt der Götterdämmerung; vormittags zeigte er mir das Lachen Hagen's, »was er nicht schmiedete, schmeckte doch Mime«.)
Freitag 8
Unsre schöne Weihnachtskiefer,[7] unter welcher ich so oft gesessen, ist vom Föhn-Sturm zerstört! Neulich starb mir zu größerem Kummer beinahe noch ab die kleine Palme, die vor zwei Jahren mir R. geschenkt! - Warmes Frühjahrswetter - die Kinder draußen, R. sehr anhaltend an der Arbeit, denn er befindet sich wohler. Tiefstes reinstes Glück zwischen uns! - Gestern, wie der Föhn den See färbte, gedachten wir des Märchens der Ilsebill, und R. sagte, er habe daran früher gedacht, es zu dramatisieren, bis er eingesehen habe, daß man alles erfinden müsse und daß es ein großer Irrtum sei, anzunehmen, daß vollendete Erzählungen als Drama zu brauchen wären, sie können nur verdorben werden. -Ich schreibe an M. Meysenbug, R. korrigiert »Oper und Drama«. Viele Rossini'sche Melodien gehen ihm durch den Sinn, durch Schopenhauer's drolligen Kultus angeregt. Er wünscht sich die Klavier-Partituren dieses sonderbar Begabten. Von der »Zauberflöte« sprechend sagte er: Das ist volkstümlich; wenn man uns Deutschen sagen kann, wir hätten keine Kunst, so können wir erwidern: wir haben aber Volkstümlichkeit, zwischen akademischem Wesen und Volkstümlichkeit steht die Kunst, denn seit den Griechen hat es eigentlich keinen wirklichen Künstler gegeben. Dramatischer Künstler war im gewissen Sinn Schiller. - R. sagt mir, daß das Problem der Wiederfindung Shakespeare's durch Garrick in einer Zeit der Französisierung des englischen Geschmacks ihn im höchsten Grade interessiere. Die Einrichtungen, die er getroffen, um das Shakespeare'sche Theater zu ersetzen, dünkten ihm vortrefflich. - Wir gehen spazieren; abends lesen wir in Schopenhauer die Kritik über Kant. - R. rügt es an Schopenhauer im allgemeinen, daß er das Männliche und Weibliche, worin alles auf dieser Welt zerfällt, nicht genügend beachtet habe. - Vor seiner Arbeit sagt er mir, daß er den Namen Siegfried nicht sehen kann, ohne an Fidi zu denken. »Was wird der Junge einmal dazu sagen und denken.« - Bevor wir Kant's Kritik beginnen, liest mir R. das Gespräch zwischen Gustav Adolf und dem Brandenburgischen Gesandten; prachtvoller Einblick in das großartige Wesen des Schweden-Königs! (R. spielt mir das Weltuntergangsthema; »Siegfried kommandiert«.)* (*( ) An den Rand geschrieben)
Sonnabend 9ten
R. erzählt mir, daß er sich an dem Berge in Zürich (der Uetli) sich das Ding an sich klar zu machen gesucht hätte, und wie er mit einem Bekannten (Prof. Eschenburg)[8] ausgegangen wäre, habe er ihm gesagt: »Das ist nun der Uetli, d. h. unter jener Beleuchtung, in dieser oder jener Ferne erscheint er uns so, als Berg, was ist er aber an sich«, so habe sein Begleiter ausgerufen: »Sie sind ja ein heilloser Metaphysiker«; was R. sehr unterhielt. Die Rivista Europea bringt einen hübschen Aufsatz von Schure über das Bayreuther Unternehmen, und in Italien wird nun die Wagner-Subskription eröffnet; das Blatt selbst eröffnet sie mit 150 Franken. R. arbeitet. Nachmittags kommen Briefe, lauter Unzulänglichkeiten. Lauterbach, der Dresdner Konzertmeister, benimmt sich schlecht. Betz sagt für die 9te zu, schreibt aber Niemann's gekränkte Empfindung gegen R. Daß des Lebens ganzer Jammer einen dabei anfällt. Wir gehen spazieren, R. und ich, dann ich zur Tanzstunde. Bismarck's herrliche Rede im Herrenhaus belebt unsren Abend. Dann lesen wir in »Maria Stuart«. - Wobei uns eben Schiller's Schwäche des zu vielen Redens auffällt; R. sagt z. B., daß Mortimer in der Scene mit Maria gar nicht darzustellen sei.
Sonntag 10ten
Endlich schreibt Hellmesberger; die Resultate in Wien sind gut; unser Konzert für den 12ten Mai festgestellt. Gegen 12 Uhr Frau Heim, die ihren Besuch angekündigt hatte, aus Zürich; da ich noch nicht angekleidet war und ich annahm, R. sei mit seiner Arbeit fertig, ließ ich sie hinauf zu ihm führen und störte ihn dadurch in seiner Arbeit, was mich trostlos macht. Übrigens ist der Besuch uns ganz genehm, denn die Frau ist gut und geweckt. Pr. Nietzsche schickt die Polemik von Hase[9] und einen Brief des Vaters an ihn, der Golgatha und Tabor gegen Helikon und Parnaß hervorhebt. Mit den Kindern Charaden gespielt, abends »Maria Stuart« beendet. - Trauriger Eindruck durch den Weggang des Kindes, das Stockers weggaben. - (Briefe geschrieben M. Schl., Schuré etc.)
März 11ten Montag
Briefe geschrieben. R. arbeitet, Gott sei es gedankt! Ich schreibe einige Briefe an Richter, Km. Hellmesberger, Pr. Nietzsche (der mir meldet, daß binnen drei Wochen Hans in Basel sein Konzert gibt). Nachmittags mache ich mich im Kahne auf zu Stocker's Kindchen, dem die Überfahrt schlecht bekommen ist. R. schickt die Tannhäuser-Partitur an Dr. Standhartner, um die erste Scene abschreiben zu lassen. Abends Kritik Kant's durch Sch. - Wie wir gestern abend noch von den Sentenzen der Helden Schiller's redeten, sagte R., schließlich sprechen sie wie Sancho Pansa in Sprichwörtern.
Dienstag 12ten
Etwas leidend, R. behauptet, es seien die Tanzübungen, die ich die Kinder machen lasse und die mich so angreifen, er sagt, ich ließe ihn die Pflicht hassen! Er arbeitet und spielt mir gegen Mittag die herrliche Todessymphonie, »das ist sein Heldengesang, so wird er und seine Ahnen in späten Zeiten besungen«. »Siegfried lebt ganz in der Gegenwart, er ist der Held, die schönste Begabung des Willens.« Wie wir hinunter kommen, finden wir die Pläne zu unsrem Haus, große Freude daran. R. geht allein aus und bringt mir einen Brief Richard Pohl's, welcher Hans in Mannheim gesehen, wo dieser liebenswürdig und heiter sein 40tes Konzert gab; alle Tage gibt er eins und schläft dann in der Eisenbahn. Dies erschreckt mich sehr. - Abends lesen wir »Romeo und Julia«[10] — Romeo als Todesgenie mit der Fackel in das Haus tretend, seine Liebe zu Rosalinde nur wie die Ahnung eines furchtbaren Schicksals, Mercutio's Dahingerafftsein die Flüchtigkeit des Lebens, alles unbegreiflich, unerklärlich wahrhaftig, der Zauber des Dramatikers!
Mittwoch 13ten
Über Romeo sprechend beginnen wir den Tag; R. arbeitet dann, ich mit den Kindern. Zu Tisch sagt er, er sei schändlich neidisch auf Shakespeare, worüber wir dann sehr heiter gestimmt über die Dichtung noch sprechen, welche allerdings nach R.'s Ausdruck durch ihre Wunderbarkeit Stimmungen erweckt, die künstlerisch nicht befriedigt werden. (Wie bei den Griechen). R. geht aus, ich begegne ihm, er hat in der Stadt Bock-Bier gefunden, das hat ihn erquickt. - Erbärmlicher Brief des Herrn Lauterbach, kein Dresdner Musiker beteiligt sich! »So ist es überall, wo ich gewesen bin, gewirkt habe, so benehmen sich die Menschen.« Er schreibt an Hofrat Düfflipp, um ihm zu melden, warum er das Münchner Hoforchester nicht auffordert. Abends »R. und J.« beendet; die kurzen Scenen, das zuweilen pointierte Sprechen (wie Julia zu Paris), das Jammern in Worten, die gesprochene Ausmalung des Apotheker-Ladens durch Romeo - (sehr richtig in der Empfindung) erkälten unsere Stimmung. (Schöne Mondsichel.)
Donnerstag 14ten
R. hatte eine sehr sehr üble Nacht — er wird nicht arbeiten können! - Unser Freund L. Bucher ist in Folge der letzten Schulgesetzkämpfe[11] zum Geheimen Legationsrat ernannt, wozu ich ihm gratuliere. - R. ist sehr unwohl, geht nicht aus, wickelt sich schließlich in Decken ein.- Depesche aus Pest, daß sie dort wieder ein Konzert gegeben haben.
Freitag 15ten
Brief von Hans aus Zürich, daß er die Kinder nicht wird sehen können. Da er mir [von] seiner Reise nach Amerika spricht, ängstigt es mich, daß er gerade mit Rubinstein[12] dorthin reist, welcher einen rasend hohen Kontrakt hat, dessen Kontrahenten also alles tun müssen, um die Konkurrenten zu ruinieren. Ob ich ihm darüber schreibe? - R. ist wohler und arbeitet. Nach Tisch erhält er die merkwürdigsten Aufschlüsse - seitens eines Mitgliedes der Dresdner Kapelle - über Herrn Lauterbach, der, wie es scheint, bloß die Sache hintertrieben hat! R. schreibt Briefe. Abends lese ich ihm die Rede Döllinger's über die englische Kirche; »immer Politik«, sagt R., »ich merke immer nichts von Religion. Vom wunderbaren Dogma der Erlösung gar nichts!« Als ich ihm gestern aus der Polemik von Hase vorlas, sagte er: »Es ist mir, als hörte ich ein Heer von 10 000 Narren; und nur eins wäre zu tun, sich an den Sohn, den Erlöser zu halten und dem Gläubigen zu sagen, der Vater ist des Sohnes Geheimnis, und gewiß muß er von einer andren Welt gewußt haben, da er so willig in den Tod ging.« Frau Heim schickt ein Aquarell von Semper, die Akropolis, und R. wirft mir meinen Hochmut vor, weil ich gleich an Gegengabe denke. - Nach Döllinger lesen wir in »Oper und Drama«. »Schmückt die Rose nur sich selbst, schmückt sie auch den Garten, sagte meine Tante, indem sie sich schmückte«, scherzte R.
Sonnabend 16ten
Herr Riedel aus Leipzig will über 300 Sänger stellen und berichtet von Leuten, die fußfällig um Teilnahme gebeten. R. ist Gott sei Dank wohl. Wie ich bei den Kindern unten sitze, kommt er und sagt: »Eine Verlängerung ist mir gelungen, liebes gutes Weib, das sprach ich soeben mit dir, denn wenn es mir glückt, spreche ich immer mit dir; das wollte ich dir sagen.« - Ich schrieb 4 Briefe (Riedel, Betz, Bachmann, Heim).[13] R. arbeitet; um 2 Uhr bei schönem Wetter nach Weggis, erste Ausfahrt Fidi's in die Welt! Um 5 Uhr zurück, ich in die Tanzstunde. R. nach Hause, wo er seine Einladung redigiert. Abends in »Oper und Drama« gelesen.
Sonntag 17ten
R. sagt, er habe das Komponieren sehr satt, er habe schon so viel gemacht, bei der Ankunft der Leiche Siegfried's könnte er eigentlich auf die Partitur schreiben, vide Tristan III. Akt. - Wir lasen in der Zeitung, daß Fr.herr von Lerchenfeld beim König eine Audienz gehabt, und dies berührt uns unangenehm, da wir wissen, daß gewiß der König den Leuten nicht Mut zu unsrer Unternehmung machen wird! - Ich schreibe an Clemens. R. arbeitet, ist aber sehr leidend, was mich trostlos macht. - Gestern sagte er scherzend zu Fidi: »Deine Jugend sollte die Stütze meines Alters sein, und nun wird wohl mein Alter die Stütze deiner Jugend sein müssen.« - Der Tag ist herrlich, ich gehe mit R. spazieren, die Sonne geht schön unter, »mir ist das alles gleichgültig jetzt, die Berge mögen schön sein, ich beobachte sie nicht mehr. Anders, wenn wir uns entschlossen hätten, ganz hier zu bleiben«. Gestern sagt er mir: »Die Schwärmerei beim Anblick von Mond und Sternen ist doch ganz vorbei, wir werden sie in den Kindern wieder erleben.« R.'s Unwohlsein trübt das ganze Leben, er spuckt etwas Blut, und seine Verdauung ist so schlecht. Er meint, die Arbeit griffe ihn sehr an. Ach! glücklich — wer ist glücklich? Abends still bei R. zugebracht. — Anonymer Brief aus Bayreuth, Railas dort scheinen sich übel zu benehmen. Unangenehmer Eindruck. Herr Betz schreibt, daß Niemann gern das Solo in der 9ten singen möchte.
Montag 18ten
R.hatte eine gute Nacht, ist aber immer sehr angegriffen. Brief des Dr. Kafka, welcher meldet, daß in Wien 99 000 Gulden gezeichnet sind und bis zum Konzert gewiß 50 000 Gulden da sein werden. R. kann nicht arbeiten, womit für mich alles gesagt ist, auch sieht er sehr angegriffen aus. Mit den Kindern in der Stadt; Briefe vorgefunden, einen von Hans, voller Unmut gegen Deutschland und alles Deutsche. - Sendung des Herrn Franz Hüffer aus London mit einem Aufsatz »Richard Wagner« in einer Review. Tanzstunde, Föhnsturm, abends still mit R. zugebracht.
Dienstag 19ten
Ein Graf Deym[14] schickt einen Operntext »Melusine«; R. ist immer angegriffen. Wie ich gestern R. die Photographie Moltke's zeigte, rief er aus: »Er gleicht Fidi«, und es ist wahr, im Blick ist etwas. Sehr hübscher Brief von Clemens, der in Sorge ist, sein voriger habe mich verletzt; Freund Bucher schickt Lulu schöne Marken und einen sehr hübschen Brief. Das Frühjahr ist dahin, Föhnsturm, Schneegestöber, allerlei. Wäre nur R. wohl, dann wäre alles gut; er kann aber durchaus nicht arbeiten. Abends in »Roms Unrecht« von Menzel gelesen.
Mittwoch 20ten
Boni's 10ter Geburtstag; Gratulation, Spieltag, dazu Schnee und Sonne draußen. - Ich teilte gestern R. mit, daß der Herr Hüffer gegen das Auftreten der Ortrud und die Verwandlung des Schwanes im 3ten [Akt] wäre; »daß diese Leute sich keine Vorstellung vom Theater machen«, antwortet er, »wie hätte denn Lohengrin abgehen sollen, ohne daß ihm alles nachlief; es galt hier zu erfinden, daß eine Diversion gemacht würde und sein Fortgang als überraschendes Geschehenes erscheine. Aber so sind diese Menschen, gleich hineinreden; er soll mir nur sagen, wie er sich dies auf der Bühne vorstellt«. - Zu Tisch erzählt er mir, daß er einmal in Dresden seiner Frau gesagt, er müsse sehr früh aufstehen, um noch arbeiten zu können, denn er habe heute die Messe in der Kirche zu dirigieren, und der ganze Tag wurde danach eingerichtet, nach der Arbeit (Tannhäuser) ging er träumerisch an das Fenster, sah den Sänger Wächter,[15] der ihm Dirigier-Zeichen mit Deutungen nach der Kirchenseite machte, R. sah nach der Uhr, es war halb eins, er hatte seine zu dirigierende Messe ganz vergessen, doch war sie auch ohne ihn gegangen. - R. kann arbeiten und ruft mich, um mir zu zeigen, wie er Brünnhilde's Eintritt nach der Erhebung der Hand durch Siegfried bewirkt. - Am Nachmittag spielt er den 1ten Akt der Götterdäm.; ich lausche zwischen Schnee-Gestöber und Flammenwabern; tiefer Eindruck; dann fahren wir aus, ich begleite die Kinder zur Tanzstunde, R. holt sich einen Entschuldigungs-Brief des Herrn Lauterbach. In Karlsruhe bereiten sie zu Pfingsten den »Faust« von Gounod [vor], deshalb können sie R. kein großes Kontingent stellen, was R. sehr bezeichnend findet. Bis dahin hatte es E. Devrient wenigstens verhindert, in Karlsruhe den »Faust« zu geben. Abends in Menzel gelesen.
Donnerstag 21ten
Viel Freude am hellen Fidi; gestern, wie er seine Chocolade verschlang, frug ich ihn, »Fidi, was wünschst du zu deinem Geburtstag«, darauf Eva: »Wünsche dir Appetit!« - Gegen Mittag kommt unser Neffe Fritz zu allgemeiner Zufriedenheit an. R. hat auch gearbeitet; Brünnhilde's erste Worte, »schweigt eures Jammers« u.s.w. Brief von E. Krockow (gleich beantwortet), H. Neumann, und von der Großmama an die Kinder. Herr Lauterbach entschuldigt sich. Viel geplaudert mit unsrem Neffen. R. sagt mir abends: »Ich sage dir gar nicht mehr, daß ich dich lieb habe, weil wir eins und dasselbe sind, da ist es denn töricht, sich das noch zu sagen.« Über das Fem-Gericht mit Fritz viel gesprochen". - Er bringt uns die Vorträge von Pr. Nietzsche in Basel.
Freitag 22ten
Briefe von Herrn Feustel und Neumann an R., auch von Herrn Raila aus Bayreuth. R. ist nicht sehr wohl, doch arbeitet er einiges. Ich unterhalte mich am Morgen mit Fritz. Nachmittags merkwürdige Beleuchtung des Sees, ein Schwarm Stare kommt von dem andren Ufer herüber, und wie mit einem Flügelschlag wirft er sich auf den Baum. »Da sieht man das Gattungsleben«, sagt R., »und der einzelne dabei ist doch ein vollständiges Ganzes für sich.« - R. erzählt uns von seinen Rittversuchen im Bois de Boulogne, auf einem erbärmlichen Gaul, der nicht vorwärts wollte und mit dem er schließlich umkehren mußte, und das in der Tannhäuser-Zeit, in Paris! Abschied von Fr.* (*Fritz Brockhaus)
Sonnabend 23ten**
(**Fälschlich »Sonntag 24ten« datiert)
Brief von E. Schure und vom Verleger Lucca, der zwei Patronatsscheine nimmt. R. arbeitet. Ich mit den Kindern. Nachmittag Brief von Kmeister Lassen,[16] der Großherzog von Weimar bietet seine Kapelle für Bayreuth an. Mit den Kindern in der Tanzstunde, zu Fuß bei schönem Mondschein heim. Abends die zwei ersten Vorträge des Pr. Nietzsche in Basel gelesen.
Sonntag 24ten
Fidi rührt uns durch seine Artigkeit, ich entziehe ihm heute seiner Stärke wegen sein gewohntes Ei, das er noch auf dem Teller sieht, und er sagt nichts! - Briefe von Lenbach, Schäfer etc., in München geben sie Dilettanten-Vorstellungen zum Besten Bayreuths. - Herr Jacques Offenbach wird von den Franzosen als Deutscher verbannt, ein Quid pro quo, über welches man Bücher schreiben könnte, sagt R. - Neulich sprach er über den Brand der Bibliothek zu Alexandrien, »da hatte, sollte man glauben, der Weltgeist sich eine Stätte gegründet der ewigen Erleuchtung, alles war gesammelt, geordnet, die Kultur schien gesichert, und ein Türkenreich macht alles zunicht«. - Kindertisch, Schluß, Gespräch über den Tod, der uns nicht trennen wird! R. habe sich neulich vorgestellt, wie er in meinen Armen sterben würde, nur die Vorstellung meines Schmerzes habe ihn getrübt. - Er erzählt mir einen sonderbaren verwickelten Traum, mit Musikaufführungs-Huldigung, George Sand als Zuhörerin, einem Wagen, der ihm entwischt, und er sagt, man sollte immer seine Träume gleich notieren. Abends den dritten Vortrag des Pr. N. gelesen.[17] - Traurige Erörterung mit R. in Bezug auf die Kinder.
Montag 25ten
Trübe Stimmung; Schneefall - Aufsatz R.'s über Riedel in der Musikalischen Zeitung. - Briefe. Pr. N. meldet seinen Besuch an. R. arbeitet nicht. Der 4te Vortrag[18] ergreift uns sehr.
Dienstag 26ten
Schöner Tag; heitere Überwindung der Nöte; R. arbeitet wieder. Viel im Garten mit den Kindern. Langer Brief von Clemens, der mir die Augsburger Konfession und den Lutherischen Katechismus schickt. Fröhlicher Laune geht R. zur Stadt und kommt mit verändertem Gesichtsausdruck heim; er hat auf der Post einen Brief des Hofrat Düfflipp gefunden! Wir hatten uns nicht getäuscht, als die Audienz des Bon Lerchenfeld uns erschreckte; der König läßt nun erklären, daß er erstens in Erfahrung gebracht habe, daß die Theater-Unternehmung viel höher als 900 000 Th. kommen würde, auch würden die vielen Feste den Bayreuthern viel Unkosten machen, zweitens, daß Bayreuther Blätter von dem Luxus unsres Hauses redeten, was dem König sehr unangenehm sei, 3.s daß der König Siegfried fordere, da er ihn durch Kauf erworben habe. Ich bitte R. sofort, dem König das Haus zurückzustellen, d.h. er ersucht Düfflipp den Ankauf des Grundstücks [drei Worte unleserlich] rückgängig zu machen, dann sagt er, [die] Siegfried-Partitur sei nicht vollendet, schließlich sagt er, er wisse, woher diese Aussagen, von denen er nichts gehört habe, kämen. - So sind wir denn dem alten Elend preisgegeben; lange Beratung mir R., er wird von den Bayreuthern eine Erklärung fordern; fällt diese kleinlaut aus, so geben wir unser ganzes Projekt auf, denn wir können nicht bestehen, wenn der König selbst gegen uns auftritt. Auch würde R. wahrscheinlich sein Gehalt aufgeben müssen und wir sehen, wie wir auskommen.
Mittwoch 27ten
R. wacht früh auf; er denkt daran, alles aufzugeben, mit Schott einen Kontrakt abzuschließen, die Nibelungen für viel Geld hin zu geben und mit mir nach Italien zu reisen. »Dieser stolze Bayreuther Bau fußte auf meiner persönlichen Unabhängigkeit, und diese Wurzel ist schadhaft.« Wir wollen noch den Erfolg der zwei Briefe nach München und Bayreuth abwarten! - Dabei soll er komponieren; doch zeigte er mir ein Thema, das er auch heute früh in seinem Notiz-Buch entworfen. Wir kommen natürlich in unseren Gesprächen beständig auf die neueste Prüfung zu sprechen. - Aus Dresden meldet sich als einziger der Violoncellist Grützmacher,[19] aus Italien auch ein Violoncellist zu den Aufführungen in Bayreuth, und wir fragen uns, ob wir selbst nun noch in Deutschland bleiben werden! - Brief von M. Meysenbug. Abends noch im Menzel.
Donnerstag 28ten
R. ruft mir zu, daß er daran denke, nach dem Wiener Konzert eine Audienz von Bismarck zu verlangen; Straßburg? Schon vor einigen Tagen hatte er seinen Kummer über die Teilnahmslosigkeit Bismarck's ausgesprochen, und ich hatte mich entschlossen, an Lothar Bucher zu schreiben. - Gegen Mittag Ankunft des Professor Nietzsche, welcher Lulu von ihrem Vater 100 Franken-Stücke bringt. Er hat Hans in Basel viel gesehen und ihn behaglich und guter Dinge gefunden. Abends liest er uns den 5ten Vortrag vor.[20] (Ich schreibe dem Vater.)
Freitag 29ten Karfreitag
weiche warme Luft, vor 6 Jahren wanderten wir zum Grütli, R. und ich, »es war eine erhabene Stimmung«, sagt R., dessen gedenkend. Lulu ist unwohl, ich lege sie zu Bett und bleibe bei ihr, während R. mit Pr. N. ausgeht. Abends Plauderstunde. Der Intendant des Stuttgarter Theaters schreibt an R. artig und bewilligt einige Musiker.
Sonnabend 30ten
Vormittag bei schönem Frühlingswetter mit Pr. Nietzsche ausgegangen, während R. arbeitet. Nachmittags musiziert R., Scene der Waltraute mit Brünnhilde. Gestern abends nehmen wir »Templer und Jüdin« vor,[21] um über die »besoffene Unbildung«, wie sich R. ausdrückt, eines solchen unbedingt begabten Musikers uns zu wundern. Nachmittags großer Föhnsturm und infolge dessen das Märchen: »Der Fischer und seine Frau« gelesen.
Sonntag 31ten
Lulu ist wieder aufgestanden, und mit Hülfe des Pr.'s verstecke ich den Kindern Eier. Dann gehe ich spazieren; der Föhn-Wind aber greift mich sehr an. Nachmittags musiziere ich mit Pr. Nietzsche. Schöner Regenbogen. R. bringt eine freundliche Depesche Feustel's mit, welcher einen Brief ankündigt. Richter schreibt auch. R. gerät aber in großen Unwillen über seinen Verleger J.J. Weber, der, wie es scheint, das Recht hat, den Ring des Nibelungen für die gesammelten Schriften zu verweigern. Der schauderhafte Kontrakt, den R. eingegangen ist vor Jahren mit diesem Verleger, läßt ihm den traurigsten Rückblick auf alle seine Beziehungen machen.