HIER BEGINNT DER DRITTE TEIL DES BUCHES VON DER STADT DER FRAUEN, IN DEM ERZÄHLT WIRD, AUF WELCHE WEISE UND MIT WESSEN HILFE DIE HOHEN ZINNEN DER TÜRME VOLLENDET UND WELCHE EDLEN FRAUEN DAZU AUSERSEHEN WERDEN, DIE GROSSEN PALÄSTE UND HOHEN WEHRTÜRME ZU BEWOHNEN.
DAS ERSTE KAPITEL BERICHTET, WIE FRAU GERECHTIGKEIT DIE HIMMELSKÖNIGIN DER STADT DER FRAUEN ZUFÜHRT.
I.
Sogleich schritt Frau Gerechtigkeit in ihrer ehrfurchtgebietenden Weise auf mich zu und richtete die folgenden Worte an mich: »Christine, mir scheint, du hast wirklich nach bestem Wissen und Vermögen, unterstützt von meinen Schwestern, mit ganzer Kraft an der Errichtung der Stadt der Frauen gearbeitet. Nun ist es an der Zeit, daß auch ich mein Versprechen einlöse, mich um die letzten Dinge kümmere und der Stadt ihre hochehrwürdige Königin, die seligste aller Frauen, zuführe, auf daß sie dort eine Wohnstätte finde. In ihrem Gefolge befinden sich andere vornehme Frauen; die ganze Stadt soll unter ihre Herrschaft gestellt und von den zahlreichen Edelfrauen ihres Hauses und Hofes bewohnt werden. Ich sehe nämlich, daß die Paläste und mehrstöckigen Häuser schon in vollem Schmuck bereitstehen und alle Straßen mit Blumen bedeckt sind, um sie und ihre ehrwürdige und vortreffliche Gefolgschaft zu empfangen.
Nun bitte ich die Fürstinnen, Edelfrauen und alle anderen Frauen hervorzutreten, um in allen Ehren und in großer Ehrfurcht jene in ihrer Mitte aufzunehmen, die nicht nur ihre Königin ist, sondern auch über die höchste Form von Einfluß und Macht verfügt — dank ihres einzigartigen Sohnes, dem Sohn Gottes, des Vaters, den sie vom Heiligen Geist empfing und den sie austrug. Es ist also nur recht und billig, wenn die Gemeinschaft aller Frauen diese hochgeborene und verehrungswürdige Fürstin darum bittet, es möge ihr in ihrer Demut und ungeachtet ihrer Erhabenheit, die alle Frauen winzig erscheinen läßt, gefallen, hier unter ihnen, in ihrer Stadt und ihrer Gesellschaft, zu leben. Ohne Zweifel werden es ihre unvorstellbar große Demut und ihre Sanftmut, die jene der Engel übertrifft, nicht zulassen, daß sie es ablehnt, ihren Platz an der Spitze der Stadt der Frauen einzunehmen und den ihr bereits von meiner Schwester, Frau Rechtschaffenheit, erbauten Palast zu beziehen, der ganz aus Ehre und Ruhm besteht. Deshalb bitte ich alle Frauen, gemeinsam mit mir vorzutreten und folgende Worte an sie zu richten:
>Wir begrüßen Dich, oh Himmelskönigin, mit dem Gruß des Engels, dem Gruß, den du allen anderen vorziehst, und sagen Dir: Ave Maria. Das gesamte fromme Geschlecht der Frauen bittet Dich untertänigst, es möge Dir nicht widerstreben, aus Gnade und Barmherzigkeit in seiner Mitte zu weilen, als seine Verteidigerin, Beschützerin, als sein Schild gegen die Angriffe der Feinde und der Welt, damit sich die Frauen am Quell der Tugend, der in Dir entspringt, so sehr laben und erquicken, daß sie jede Form der Sünde und des Lasters verabscheuen. Nun steige herab zu uns, Du himmlische Königin, Tempel Gottes, Hort der Dreifaltigkeit, Entzücken der Engel, Du rettungsverheißender Leitstern der Verirrten und Hoffnung der wahrhaft Gläubigen! Oh Herrin, welcher Mann könnte es angesichts Deiner Majestät wagen, das weibliche Geschlecht in Gedanken oder Worten zu schmähen? Denn selbst wenn alle übrigen Frauen von einer abgrundtiefen Bosheit wären, so überstrahlt doch der Glanz Deiner Vollkommenheit alles so sehr, daß das Schlechte keinen Bestand mehr hat. Und da es Gott gefiel, seine vortreffliche Braut aus eben jenem Geschlecht zu erwählen, müssen sich Dir zu Ehren alle Männer nicht nur hüten, die Frauen zu verunglimpfen, sondern sie außerdem hoch verehren.'«
Die Heilige Jungfrau erwiderte darauf folgendes: »Gerechtigkeit, du teure Freundin meines Sohnes, mit großer Freude will ich inmitten meiner Schwestern und Freundinnen, den Frauen, wohnen und weilen, denn Vernunft, Rechtschaffenheit, du selbst und die Natur, sie alle geben mir dies ein. Da die Frauen mir ohne Unterlaß dienen, mir huldigen und mich ehren, bin ich das Haupt des weiblichen Geschlechts und werde es für alle Zeiten sein. Dies entspricht im übrigen von jeher der Absicht des göttlichen Vaters, die vom Ratschluß der Heiligen Dreifaltigkeit verhandelt und angeordnet wurde.« Daraufhin antworteten Gerechtigkeit und alle anderen Frauen mit gebeugten Knien und gesenkten Köpfen: »Dank und Preis gebühren Dir, oh Herrin, bis ans Ende aller Zeiten. Errette uns, Herrin, und halte für uns Fürbitte bei Deinem Sohn, bei dem Du alles vermagst.«
VON DEN SCHWESTERN UNSERER LIEBEN FRAU UND ÜBER MARIA MAGDALENA
II.
Nun weilt die unvergleichliche Herrscherin unter uns, ob das nun den männlichen Schandmäulern passen mag oder nicht. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, ihr ihre gesegneten Schwestern und Maria Magdalena zuzugesellen, die ihr in unverbrüchlicher Treue neben dem Kreuz zur Seite standen, als ihr Sohn seinen Leidensweg beendete. Oh über welch starken Glauben verfügten die Frauen, die den von allen seinen Aposteln verlassenen Gottessohn weder im Leben noch im Tode jemals verließen! Allem Anschein nach mißbilligte Gott keineswegs diese gewaltige weibliche Liebe und war mitnichten der Auffassung, diese sei, wie manche behaupten, ein schwächlich Ding; vielmehr versah er selbst das Herz der gebenedeiten Maria Magdalena und anderer Frauen mit dem Funken dieser starken Liebe, die er so sehr guthieß.
VON DER HEILIGEN KATHARINA
III.
Nun soll die gesegnete Himmelskönigin und oberste Herrscherin über die Stadt der Frauen Gesellschaft bekommen. Zu diesem Zweck müssen wir den gebenedeiten Jungfrauen und den heiligen Frauen eine Wohnstätte in ihrer Nachbarschaft geben[1] und auf diese Weise in aller Deutlichkeit zeigen, wie sehr Gott auf der Seite der Frauen steht. Genau wie den Männern hat er nämlich zarten und jungen Frauen genügend Standhaftigkeit und Kraft verliehen, um für seinen heiligen Glauben schreckliche Qualen zu erdulden. Diese Frauen ziert die Krone des Ruhms; es bereitet Vergnügen, ihren Lebensgeschichten zu lauschen, die für eine jede Frau das lehrreichste aller Exempel darstellen, und deshalb werden eben jene Frauen die mächtigsten Herrinnen unserer Stadt sein.
Beginnen wir mit einer herausragenden Frauengestalt, der gesegneten Katharina, der Tochter des Königs Costus von Alexandrien. Jene glückselige Jungfrau blieb im Alter von achtzehn Jahren als Alleinerbin ihres Vaters zurück; sie verhielt sich, wie es sich für ihren Stand ziemte, und verwaltete klug ihr Erbe. Da sie dem christlichen Glauben angehörte und ihr ganzes Leben Gott geweiht hatte, lehnte sie jede andere Form
von Bindung ab. Nun geschah es aber, daß der Kaiser, Maxentius in der Stadt Alexandria eintraf. An einem hohen Festtag der dort verehrten (Götter ließ er alle Vorbereitungen für ein feierliches Opfer treffen. Katharina hielt sich in ihrem Palast auf und vernahm das Geschrei der Tiere, die man für das Opfer herrichtete, ferner laute Geräusche, die von den Geräten herrührten. Sie sandte ihre Leute aus, um zu erfahren, welches die Ursache hierfür sei, und als man ihr mitteilte, der Kaiser befinde sich bereits im Tempel, um ein Opfer darzubringen, begab sie sich sogleich dorthin und begann, dem Kaiser in wohlgesetzten Worten von diesem Irrweg abzuraten. Da sie eine sehr gelehrte und wissenschaftlich gebildete Frau war, schickte sie sich an, dem Kaiser in einer philosophischen Beweisführung darzulegen, daß es nur einen Gott, den Schöpfer aller Dinge, gebe und deshalb dieser und kein anderer angebetet werden müsse. Als der Kaiser die Worte jenes jungen Mädchens vernahm, das so vornehm, anmutig und gelehrt war, fehlten ihm vor lauter Staunen die Worte, was ihn jedoch nicht daran hinderte, sie ohne Unterlaß anzustarren . Kurze Zeit später ließ er nach den weisesten Philosophen Ägyptens, das damals eine Hochburg der Philosophie war, aussenden, und bald darauf standen rund fünfzig Philosophen vor ihm, die jedoch murrten, als sie erfuhren, weshalb man sie gerufen hatte: sie sagten, es sei töricht gewesen, sie aus weit entfernten Ländern herbemüht zu haben, um ein Streitgespräch mit einem jungen Mädchen zu führen.
Um die Geschichte abzukürzen: am Tage der Disputation setzte die gebenedeite Katharina ihnen derartig mit Argumenten zu, daß sie alle vollkommen überzeugt wurden, hatten sie doch Katharinas Fragen nichts entgegenzusetzen. So sehr der Kaiser auch gegen sie zürnte — es war vergeblich, denn dank der Gnade Gottes bewirkten die heiligen Worte der Jungfrau die Bekehrung der Philosophen, und sie bekannten sich zu Jesus Christus. Aus Wut darüber ließ der Kaiser sie verbrennen. Die heilige Jungfrau spendete ihnen jedoch Trost in ihren Qualen, versicherte ihnen, es werde ihnen unvergänglicher Ruhm zuteil und betete zu Gott, auf daß dieser sie im rechten Glauben bestärke. Auf diese Weise wurden jene Männer durch Katharina zu gesegneten Märtyrern. Außerdem ließ Gott ein Wunder an ihnen geschehen: das Feuer verschonte sowohl ihre Körper als auch ihre Kleidung, so daß sie nach dem Tod in den Flammen immer noch unversehrt waren, nicht ein einziges Haar verloren hatten und ihre Gesichter so aussahen, als weilten sie noch alle unter den Lebenden. Der Tyrann Maxentius, der Katharina aufgrund ihrer Schönheit sehr begehrte, begann nun, ihr mit allerlei süßen Worten zu schmeicheln, um sie sich gefügig zu machen. Als er jedoch die Vergeblichkeit seiner Versuche erkannte, verlegte er sich aufs Drohen, dann sogar auf die Anwendung der Folter. So ließ er sie auspeitschen und dann zwölf Tage lang einkerkern, wobei ihr jede Art von Besuch versagt blieb: auf diese Weise wollte er sie den Hungertod sterben lassen. Aber die Engel Unseres Herrn standen ihr bei und spendeten ihr Trost. Als Katharina dann vor den Kaiser geführt wurde und er sah, daß sie gesünder und frischer als zuvor war, glaubte er, jemand sei zu ihr gekommen und befahl, die Gefängnisaufseher zu foltern. Katharina jedoch, die Mitleid mit diesen verspürte, versicherte nachdrücklich, sie habe lediglich himmlischen Beistand erhalten. Nun wußte der Kaiser nicht mehr, auf welche Weise er sie noch stärkeren Qualen aussetzen sollte, und so ließ er schließlich auf Anraten seines Vogtes mit Messern gespickte Räder anfertigen, die sich gegeneinander drehten, so daß alles, was zwischen sie geriet, zerschnitten wurde. Dann ordnete er an, die nackte Katharina, die während der ganzen Zeit zu Gott betete, zwischen diesen Rädern zu befestigen, woraufhin die Engel vom Himmel niederstiegen und mit so gewaltiger Kraft die Räder in Stücke schlugen, daß die Folterknechte dabei ums Leben kamen.
Als die Gemahlin des Kaisers von den Wundern erfuhr, die Gott für Katharina vollbrachte, vollzog sich bei ihr ein Gesinnungswandel. Sie tadelte den Kaiser für seine Taten und besuchte die heilige Jungfrau im Kerker, damit diese für sie zu Gott bete. Als der Kaiser davon hörte, ließ er seine Frau foltern und ihr die Brüste ausreißen. Da sprach die Jungfrau zu ihr: >Fürchtet Euch nicht vor der Folter, hochgeborene Herrscherin, denn noch heute wird Euch die immerwährende Freude zuteil werden.< Der Tyrann ließ seine Frau und eine große Anzahl von Menschen, die sich bekehrt hatten, enthaupten. Nun fragte der Kaiser Katharina, ob sie seine Frau werden wolle, und als er sah, daß sie allen seinen Bitten standhielt, befahl er schließlich, ihr den Kopf abzuschlagen. Sie sprach ihr letztes Gebet und betete für alle diejenigen, die sich ihrer Leiden erinnern und für jene, die sie in ihren eigenen Qualen anrufen würden: und eine Stimme kam vom Himmel und sprach, ihr Gebet sei erhört worden. Auf diese Weise beendete sie ihren Leidensweg, und ihrem Körper entströmte Milch statt Blut. Die Engel ergriffen ihren heiligen Körper, um ihn zu dem zwanzig Tagereisen von dort entfernten Berg Sinai zu bringen und ihn daselbst zu bestatten. Am Ort dieses Grabes vollbrachte Gott zahlreiche Wunder, die ich hier um der gebotenen Kürze willen übergehe; ferner quillt aus diesem Grab ein Ol, das mancherlei Krankheiten heilt. Den Kaiser Maxentius bestrafte Gott jedoch auf eine schreckliche Weise.
VON DER HEILIGEN MARGARETE
IV.
Aber auch die gesegnete heilige Jungfrau Margarete sollten wir nicht vergessen. Ihre Legende ist hinreichend bekannt; sie war das Kind vornehmer Eltern aus Antiochia und wurde in ihrer zarten Jugend von ihrer Amme bekehrt, deren Schafe sie jeden Tag in aller Demut hütete. So geschah es, daß Olibrius in Liebe zu ihr entbrannte und sie zu sich holen ließ. Als sie, um es kurz zu machen, ihm weder zu Willen sein noch dem Christentum abschwören wollte, ließ er sie erbarmungslos auspeitschen und ins Gefängnis werfen.
Da sie sich dort Versuchungen ausgesetzt fühlte, bat sie Gott, er möge dem, der ihr so übel zusetze, eine Gestalt verleihen. Daraufhin erschien plötzlich eine Schlange, die sie gewaltig erschreckte und sie zu verschlingen drohte. Margarete jedoch schlug ein Kreuz und tötete so die Schlange. Gleich darauf erblickte sie in einem Winkel des Kerkers ein Gesicht, so dunkel wie das eines Äthiopiers. Margarete aber griff ihn furchtlos an und brachte ihn zu Fall; sie setzte ihren Fuß auf seine Kehle, und er flehte mit lauter Stimme um Gnade. Als sich die Zelle wieder mit Licht füllte, trösteten die Engel sie. Dann wurde sie erneut vor den Richter geführt, der sie schlimmer als zuvor foltern ließ, als er erkannte, daß all seine Ermahnungen nicht gefruchtet hatten. Der Engel Gottes jedoch griff ein, um die Folterqualen zu unterbrechen; das junge Mädchen überstand sie, ohne irgendwelchen Schaden genommen zu haben, wodurch eine große Volksmenge bekehrt wurde. Als der böse Tyrann dies sah, gab er den Befehl, sie zu enthaupten. Sie aber sprach zuvor ihr Gebet und betete für alle, die ihrer in ihrem Leiden gedächten und sich in ihren eigenen Prüfungen an sie wendeten, ferner betete sie für die Schwangeren und die Gebärenden. Und der Engel Gottes stieg vom Himmel herab, um ihr zu verkünden, ihr Gebet sei erhört worden und sie werde im Namen Gottes seine Siegespalme erhalten. Daraufhin bot sie ihren Hals dar, wurde enthauptet, und die Engel trugen ihre Seele davon.
In ähnlicher Weise ließ jener falsche Olibrius die heilige Jungfrau Regina im zarten Alter von fünfzehn Jahren peinigen und enthaupten, weil sie ihm nicht zu Willen sein wollte und sich aufgrund ihrer Predigten viele Menschen zum Christentum bekehrten.
VON DER HEILIGEN LUCIA
V.
Die gebenedeite heilige Jungfrau Lucia, die in Rom geboren wurde, darf in unserer Aufzählung nicht fehlen. Sie wurde von dem Barbarenkönig Aucejas geraubt. Als dieser wieder in seinem Lande war und sie vergewaltigen wollte, begann Lucia auf ihn einzureden; dieser ließ dank der Allmacht Gottes von seinem Vorhaben ab und staunte sehr über ihre Klugheit. Er verkündete, sie sei eine Göttin, ließ ihr in seinem Palast große Ehre zukommen, wies ihr und ihrem Gefolge eine sehr vornehme Bleibe an und befahl, niemand dürfe ihr irgendwelche Schwierigkeiten bereiten. Jene jedoch fastete und betete ohne Unterlaß; sie führte ein heiliges Leben und bat Gott, er möge ihren Gastgeber mit dem Licht des Glaubens erleuchten. Der König -wiederum beriet sich in allen seinen Angelegenheiten mit ihr, und alle ihre Ratschläge gereichten ihm zum Vorteil. Wenn er in den Krieg zog, bat er sie, sie möge ihren Gott für ihn um Beistand bitten. Daraufhin segnete sie ihn, und er kehrte als Sieger zurück, weshalb er sie wie eine Göttin anbeten und ihr Tempel errichten lassen wollte. Sie jedoch erwiderte ihm, er solle sich hüten, dies zu tun, denn es gebe nur einen einzigen Gott, zu dem man beten müsse, und sie sei nichts als eine einfache Sünderin. Nachdem sie zwanzig Jahre lang auf diese Weise gelebt hatte, offenbarte Unser Herr ihr, sie müsse nach Rom zurückkehren, um dort ihr Leben in Qualen zu beenden. Als sie dies dem König mitteilte, wurde er sehr traurig und erwiderte ihr: >Oh ich Unglücklicher, wenn du dich von mir trennst, dann werden meine Feinde mich angreifen, und ohne dich wird mir das Schicksal nicht mehr günstig sein.< Sie jedoch sprach zu ihm: >Komm mit mir, König, und verzichte auf dieses irdische Reich, denn Gott hat dich dazu bestimmt, ein ungleich kostbareres Reich, das nie enden wird, zu besitzen.< Jener ließ sofort alles zurück, um mit der heiligen Jungfrau aufzubrechen, und zwar nicht als Herrscher, sondern als Untertan. Sie kamen nach Rom, wo sie sich als Christin zu erkennen gab und deshalb sogleich gefangengenommen und zur Folter geführt wurde. Den König Aucejas schmerzte dies sehr; er kam herbeigelaufen und hätte sich am liebsten auf ihre Peiniger geworfen, aber sie untersagte es ihm. Da weinte er bitterlich und rief, jene, die die Jungfrau Gottes peinigten, seien böse Menschen. Und als man dann Anstalten machte, die heilige Jungfrau zu enthaupten, da legte er seinen Kopf neben ihren und rief: >Ich bin Christ und schenke mein Haupt dem lebendigen Jesus Christus, zu dem Lucia betet.< So wurden sie gemeinsam enthauptet und ruhmvoll gekrönt; zugleich wurden zwölf andere durch das Beispiel der gesegneten Lucia bekehrt, und ihrer aller Fest wird an der siebten Kaiende des Juli gefeiert.
VON DER GESEGNETEN JUNGFRAU MARTINA
VI.
Auf keinen Fall darf die gesegnete Jungfrau Martina vergessen werden. Jene Glückselige, die sehr schön war, stammte von sehr vornehmen römischen Eltern ab. Der Kaiser wollte sie zwingen, seine Frau zu werden, worauf sie ihm entgegnete: >Ich bin Christin und gehöre dem lebendigen Gott, der sich an einem keuschen Körper und einem reinen Herzen erfreut; ihm weihe ich mich und begebe mich in seine Obhut.< Aus Zorn über diese Worte ließ der Kaiser sie zum Tempel führen, um sie dazu zu zwingen, die Götterbilder anzubeten. Jene kniete dort nieder; mit zum Himmel gerichteten Augen und gefalteten Händen wandte sie sich im Gebet an Gott. Sogleich stürzten die Götterbilder um und zerbrachen, und die Priester wurden von ihnen erschlagen. Der Teufel jedoch, der in dem höchsten Götzenbild hauste, schrie und gestand, Martina sei eine Dienerin Gottes. Um seine Götter zu rächen, setzte der tyrannische Kaiser Martina grausamen Folterungen aus, während derer Gott ihr erschien und sie tröstete. Sie aber betete für ihre Folterknechte, die daraufhin und durch das Verdienst der Martina gemeinsam mit vielen anderen Menschen bekehrt wurden. Angesichts dieser Vorgänge wurde der Kaiser nur noch verstockter und ließ sie auf immer grausamere Weise quälen. Jene aber, die sie folterten, riefen aus, sie sähen Gott und seine Heiligen vor der Jungfrau stehen, woraufhin sie um Gnade baten und bekehrt wurden. Da Martina sich in ihren Gebeten bei Gott für sie einsetzte, umgab ein Lichtkreis ihre Folterer, und vom Himmel ertönte eine Stimme, die sprach: >Um der Liebe zu meiner über alle Maßen geliebten Martina willen verschone ich euch.< Und weil sich diese Männer also bekehrt hatten, rief ihnen der Richter zu:< Oh ihr Narren, ihr seid von Martina, dieser Zauberin, betrogen worden!< Jene antworteten jedoch, ohne auch nur eine Spur Furcht zu zeigen: >Und dich, dich hat der Teufel, der in dir wohnt, betrogen, denn du erkennst noch nicht einmal deinen Schöpfer an!< Außer sich vor Wut gab der Kaiser den Befehl, sie zu hängen und ihre Leiber zu zerstückeln; jene Männer aber erlitten freudig ihr Martyrium und priesen Gott.
Daraufhin ließ der Kaiser Martina entkleiden, und die Schönheit ihrer lilienweißen Haut versetzte alle Anwesenden in Erstaunen. Und nachdem der Kaiser, der sie begehrte, lange Zeit auf sie eingeredet hatte und ihm bewußt geworden war, daß sie ihm nicht zu Willen sein wollte, ließ er sie zerstückeln. Aus ihren Wunden aber floß Milch statt Blut und verströmte einen durchdringenden Wohlgeruch. Daraufhin wütete er noch mehr gegen sie, ließ ihre Glieder strecken und sie an Pfählen befestigen und ihren ganzen Körper so lange auseinanderreißen, bis die Kraft der Folterknechte erschöpft war. Aber Gott bewahrte sie vor einem schnellen Tod, auf daß ihre Folterer und das Volk einen Grund zur Bekehrung hätten. Jene Männer begannen zu rufen: >Majestät, wir können nicht mehr, denn die Engel schlagen mit Ketten auf uns ein!< Dann traten neue Henker auf den Plan, um Martina zu quälen; sie starben jedoch sogleich, und der verwirrte Kaiser wußte sich keinen Rat mehr. Er ließ sie strecken und ihren Körper mit brennendem Ol in Brand setzen, aber jene wurde nicht müde, Gott zu rühmen, und ihr Mund verströmte einen sehr intensiven Wohlgeruch. Und nachdem ihre Henker sie so lange gequält hatten, daß sie selbst ganz erschöpft waren, warfen sie sie in ein finsteres Verlies. Eumenes aber, der Vetter des Kaisers, beobachtete sie heimlich im Kerker und sah Martina inmitten von Engeln auf einem kostbar geschmückten Thron sitzen; große Helligkeit umgab sie, und es ertönte wohlklingender Gesang. Sie hielt eine goldene Tafel in der Hand, auf der geschrieben stand: >Süßer Herr Jesus Christ, über Deine gebenedeiten Heiligen verbreitet sich der Ruhm Deiner Werke.< Dies versetzte Eumenes in große Verwunderung, und er brach auf, um es dem Kaiser zu erzählen, der ihm jedoch antwortete, er habe sich von Martinas Zauberkräften täuschen lassen. Am folgenden Tag ließ der Tyrann sie aus dem Kerker holen, und jedermann war sehr verwundert, war ihr Körper doch ohne die geringste Verletzung; daraufhin wurden zahlreiche Menschen bekehrt.
Danach ließ er sie in den Tempel führen, um sie zu zwingen, den heidnischen Götzenbildern zu opfern. In diesem Augenblick begann der Teufel, der sich im Götzenbild verbarg, laut zu schreien: >Oh ich Unglückseliger! Ich gebe mich geschlagen!< Die Jungfrau befahl ihm, herauszukommen und sich in seiner ganzen Häßlichkeit zu zeigen. Sogleich ertönte ein gewaltiger Donner, und vom Himmel fuhr ein Blitz, der das Götzenbild zerstörte und die Priester verbrannte. Nun wütete der Kaiser nur noch stärker gegen sie, ließ sie erneut ausstrecken und ihr mit eisernen Kämmen das Fleisch vom Körper reißen, aber jene betete ohne Unterlaß zu Gott. Und als er sah, daß sie immer noch nicht starb, ließ er sie wilden Tieren zum Fraß vorwerfen. Ein großer Löwe, der seit drei Tagen nichts gefressen hatte, lief auf sie zu, ging vor ihr in die Knie, legte sich dann, einem Hündchen gleich, an ihrer Seite nieder und leckte ihr die Wunden. Jene aber pries Unseren Herrn und sprach: >Gelobt seist Du, oh Gott, in dessen Macht es liegt, die Grausamkeit der wilden Tiere zu mildern!< Der Tyrann, den dieses Ereignis erzürnte, gab den Befehl, den Löwen in seine Grube zurückzubringen. Dieser jedoch richtete sich wütend auf, machte einen Satz und tötete Eumenes, den Vetter des Kaisers, dem dies einen großen Schmerz zufügte. Er befahl, Martina in ein riesiges Feuer zu werfen, und als sie mit heiterer Miene inmitten der Flammen stand, ließ Gott einen starken Wind aufkommen, der das Feuer von ihr wegblies und ihre Folterknechte verbrannte.
Nun befahl der Kaiser, man solle ihr das lange prächtige Haupthaar abschneiden, denn er meinte, in ihrem Haar steckten die Zauberkräfte. Da sprach die Jungfrau zu ihm: >Du nimmst mir das Haupthaar, das nach den Worten des Apostels die Zierde einer Frau ist; Gott aber wird dich deines Reiches berauben und dich verfolgen, und du wirst in qualvollen Schmerzen deinen Tod erwarten.<
Er ordnete an, sie in einem seinen Göttern geweihten Tempel einzuschließen; er selbst verschloß die Tür und versiegelte sie eigenhändig mit seinem Siegel. Nach drei Tagen kehrte er wieder zu diesem Tempel zurück und fand seine Götzenbilder umgestürzt, während die völlig unversehrte Jungfrau mit ihren Engeln spielte. Der Kaiser fragte sie, was sie denn mit seinen Göttern angestellt habe, worauf sie erwiderte: >Die Allmacht Jesu Christi hat sie vernichtet.< Daraufhin befahl er, ihr die Kehle zu durchschneiden, und in diesem Augenblick ertönte eine Stimme, die sprach: >Jungfräuliche Martina, da du in meinem Namen gekämpft hast, halte nun mit den Heiligen Einzug in mein Reich, um bis in alle Ewigkeit und in Freuden an meiner Seite zu leben!< Auf diese Weise starb also die gebenedeite Martina. Nach ihrem Tode eilten sogleich der Bischof von Rom und die gesamte Geistlichkeit herbei, und man bestattete ihre sterblichen Überreste in allen Ehren in der Kirche. Am gleichen Tage jedoch fuhr ein solcher Schmerz in den Kaiser, der Alexander hieß, daß er sich selbst zerfleischte und sich in seiner gewaltigen Angst selbst biß.
ÜBER EINE WEITERE HEILIGE JUNGFRAU NAMENS LUCIA,
FERNER ÜBER ANDERE HEILIGE JUNGFRAUEN, DIE DEN
MÄRTYRERTOD ERLITTEN
VII.
In der Stadt Syracus lebte eine andere Heilige, die ebenfalls Lucia hieß. Als jene am Grabe der heiligen Agathe für ihre kranke Mutter betete, erschien ihr die heilige Agathe, umgeben von Engeln und mit kostbaren Juwelen geschmückt, und sprach zu ihr: >Lucia, meine Schwester, du gottgeweihte Jungfrau, weshalb erbittest du von mir etwas, was du selbst deiner Mutter geben kannst? Ich verheiße dir, daß die Stadt Syracus durch dich in dem gleichen Maße an Bedeutung gewinnen wird, wie ich es für Catania bewirkt habe, denn mit deiner Reinheit hast du Unserem Herrn Jesus Christus gar köstliche Kleinodien geschenkt.< Da erhob Lucia sich, und nachdem ihre Mutter geheilt war, schenkte sie ihren ganzen Besitz Gott und beendete ihr Leben als Märtyrerin. Sie mußte sehr viel erleiden; unter anderem drohte ihr der Richter damit, sie zur Stätte der ehrlosen Frauen führen zu lassen, auf daß sie dort, ungeachtet ihres Gatten, vergewaltigt würde. Sie jedoch antwortete: >Die Seele wird nur dann Schaden nehmen, wenn in Gedanken ein Einverständnis besteht, und wenn du mich mit Gewalt zu einem sündhaften Verhalten zwingst, so wird sich meine Keuschheit und folglich mein Sieg nur verdoppeln.< Als man sie nun aber zu jenem Ort führen wollte, da wurde sie auf einmal so schwer, daß man sie weder mit Hilfe von Ochsen noch verschiedener anderer Tiere, die man ihr vorspannte, vom Fleck bewegen konnte; schließlich befestigte man Stricke an ihren Füßen, um sie fortzuschleifen — sie jedoch war so unbeweglich wie ein Berg. Als dann die Stunde ihres Todes gekommen war, da prophezeite sie die künftigen Geschicke des Reiches.
Eine ähnlich große Verehrung gebührt der ruhmreichen heilige n Jungfrau Benedicta, deren Wiege in Rom stand. Sie lebte in Gemeinschaft mit zwölf anderen Jungfrauen, die durch ihre Predigt bekehrt worden waren. Da sie durch Predigten zur Ausbreitung des christlichen Glaubens beitragen wollte, brach sie in Gesellschaft ihrer Anhängerinnen auf, und jene gesegneten Jungfrauen zogen durch viele Länder, ohne auch nur die geringste Furcht zu empfinden, denn Gott war mit ihnen. Unserem Herrn gefiel es, eine jede dann eigene Wege gehen zu lassen, und sie verteilten sich in verschiedene Gegenden, auf daß eine jede von ihnen nutzbringend handeln könne. Nachdem die heilige Jungfrau Benedicta mehrere Länder zum christlichen Glauben bekehrt hatte, errang sie am Ende ihres Lebens die Märtyrerkrone, und ähnliches geschah ihren heiligen Gefährtinnen.
Die heilige Fausta, eine vierzehnjährige Jungfrau, war von ähnlicher Vollkommenheit. Als sie es ablehnte, den Götzenbildern zu opfern, gab der Kaiser Maximian den Befehl, sie mit einer Eisensäge zu zersägen. Da jedoch die damit beauftragten Männer von der Stunde der terza bis zur Nona[7] ohne Unterlaß sägten, ohne sie zu verletzen, sprachen diese zu ihr: >Wie schaffst du es nur, uns mit deinen Zauberkräften hier so lange festzuhalten, ohne daß wir dir auch nur das Geringste anhaben können?< Fausta aber begann, ihnen von Jesus Christus und dem christlichen Glauben zu predigen und sie so zu bekehren. Der Kaiser war darüber sehr aufgebracht und ließ sie Folterqualen verschiedener Art unterwerfen; unter anderem ließ er in ihren Kopf tausend Nägel schlagen, als wäre dies der Helm eines Ritters. Jene jedoch betete für ihre Peiniger, und der Vogt wurde bekehrt, denn er erblickte die geöffneten Weiten des Himmels und Gott, umgeben von seinen Engeln. Als man nun Fausta in einen Kessel mit kochendem Wasser warf, rief der Vogt: > Heilige Dienerin Gottes, brich nicht auf ohne mich!< und sprang in den Kessel. Wie nun die beiden anderen Männer, die sie bekehrt hatte, dies sahen, sprangen sie ebenfalls in den Kessel, dessen Wasser brodelnd kochte; Fausta berührte sie, und alle Schmerzen verflogen. Sie aber sprach: >Wie der Früchte tragende Weinstock, so stehe ich in der Mitte. Und wie sagte Unser Herr: >Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.< Und eine Stimme ertönte, die sprach: >Kommt her, ihr Glückseligen, den Vater verlangt es nach euch.< Jene, die dies vernahmen, starben in Freuden.
VON DER HEILIGEN JUSTINA UND ANDEREN JUNGFRAUEN
VIII.
Justina, eine heilige Jungfrau aus Antiochia, die sehr jung und über die Maßen schön war, überwand den Teufel, der von einem Zauberer beschworen worden war und sich damit gebrüstet hatte, i hm würde es gelingen, sie einem Manne gefügig zu machen, der sehr in sie verliebt war und ihr keine Ruhe ließ. Als dieser Mann erkannte, daß er weder mit Bitten noch mit Versprechungen an sein Ziel gelangen würde, meinte er es mit dem Feinde versuchen zu müssen. Das nützte i h m aber gar nichts, denn die ruhmreiche Justina vertrieb mehrere Male den Teufel, der verschiedenerlei Gestalt annahm, um sie zu versuchen; jedes Mal jedoch wurde er von ihr besiegt und mußte gedemütigt den Rückzug antreten. Sie bekehrte durch ihre Predigt den Mann, der sie so maßlos begehrte, desgleichen den Zauberer, der Cyprianus hieß und ein Mann von schlechtem Lebenswandel war, von ihr jedoch wieder auf den rechten Weg gebracht wurde. Viele andere Menschen wurden ebenfalls aufgrund der Zeichen, die Unser Herr an ihr offenbarte, bekehrt. Am Ende schied sie durch den Märtyrertod aus der Welt.
Gleiches gilt für die aus Spanien gebürtige selige Jungfrau Eulalia, die sich im Alter von zwölf Jahren von ihren Eltern fortstahl, die sie, da Eulalia ohne Unterlaß von Jesus Christus sprach, eingeschlossen hielten. Sie floh mitten in der Nacht, warf die Götzenbilder des Tempels auf den Boden und rief den Richtern, die die Märtyrer verfolgten, zu, man habe sie getäuscht, und sie selbst wolle als Christin sterben. Auf diese Weise wurde sie in die Reihe der Gottesstreiter aufgenommen und erlitt Foltern verschiedener Art. Viele Menschen wurden aufgrund der Zeichen, die Unser Herr an ihr offenbarte, bekehrt.
Eine andere heilige Jungfrau, die Macra hieß, wurde ebenfalls ihres christlichen Glaubens wegen grausam gefoltert: unter anderem ließ man ihr die Brüste ausreißen. Dann jedoch, als sie sich im Kerker befand, sandte ihr Gott seinen Engel, der ihre Genesung bewirkte. Darüber war der Richter am nächsten Morgen aufs höchste verwundert, was ihn aber nicht davon abhalten konnte, sie noch verschiedenen anderen grausamen Folterqualen auszusetzen. Schließlich gab sie ihren Geist zurück an Gott. Ihre sterblichen Überreste liegen in der Nähe der Stadt Reims.
Die selige heilige Jungfrau Fida erlitt in ihrer Kindheit ebenfalls das Martyrium und zahlreiche Qualen. Am Ende krönte Unser Herr sie vor aller Augen durch seinen Engel, der ihr eine mit kostbaren Steinen besetzte Krone überbrachte. Gott offenbarte an ihr viele Zeichen, aufgrund derer zahlreiche Menschen bekehrt wurden.
Gleiches gilt für die selige Jungfrau Marciana, die sah, wie man das trügerische Abbild eines Götzen ehrte. Daraufhin ergriff sie jenes Götzenbild, warf es zu Boden und zerschmetterte es. Zur Strafe schlug man sie so lange, bis sie halbtot auf dem Boden lag; dann sperrte man sie an einem Ort ein, wo ein abgefeimter Diener glaubte, sie des Nachts vergewaltigen zu können. Dank der Gnade Gottes entstand jedoch zwischen diesem Mann und ihr eine so hohe Wand, daß er sie nicht erreichen konnte; am nächsten Morgen erblickte das ganze Volk diese Wand, und viele Menschen wurden aufgrund dieses Ereignisses bekehrt. Marciana erlitt zahlreiche grausame Qualen, aber sie wurde nicht müde, den Namen Jesu Christi zu verbreiten. Schließlich bat sie Gott, er möge sie zu sich nehmen, und sie verschied, während man sie folterte.
Um des Namens Jesu Christi willen erlitt die heilige Eufemia ebenfalls große Qualen. Sie war sehr edler Abstammung und sehr schön, und der Richter Priscus forderte sie auf, die Götzenbilder anzubeten und Jesus Christus abzuschwören. Sie aber antwortete ihm so wortgewaltig, daß er klein beigeben mußte. Von einer Frau besiegt worden zu sein, versetzte ihn in gewaltige Wut, und er ließ sie verschiedenen unmenschlichen Folterqualen unterwerfen. Obwohl ihr Körper aufgrund zahlreicher Quälereien schwer verletzt war, nahm ihr Verstand nur zu, und aus ihren Worten sprach der Heilige Geist. Und während man sie folterte, stieg der Engel Gottes vom Himmel herab, zerbrach die Folterinstrumente und folterte die Folterknechte. Jene Jungfrau aber ging mit heiterer Miene und völlig unversehrt davon. Daraufhin ließ der niederträchtige Richter ein Feuer entfachen, dessen Flammen vierzig Ellen hochschlugen, und ließ Eufemia in dieses Feuer werfen. Sie sang mitten in der Feuersglut Gottes Lob, und zwar mit so wohlklingender und starker Stimme, daß alle sie vernehmen konnten, und als das Feuer ausgebrannt war, kam sie heil und gesund heraus. Der immer wütender werdende Richter ließ nun glühende Zangen herbeischaffen, um ihr die Glieder auszureißen, aber die Männer, die damit beauftragt waren, wurden von so großer Angst ergriffen, daß niemand Eufemia zu berühren wagte und man die Folter abbrechen mußte. Schließlich ließ der heimtückische Tyrann vier Löwen und zwei weitere wilde Bestien herbeiführen, mit dem einzigen Resultat, daß jene Tiere der Jungfrau huldigten. Da die glückselige Jungfrau nun den Wunsch verspürte, zu ihrem Gott zu gelangen, bat sie diesen, er möge sie zu sich nehmen. Auf diese Weise starb sie, ohne von irgendeinem der wilden Tiere auch nur berührt zu werden.
VON DER JUNGFRAU THEODOSINA, DER HEILIGEN BARBARA
UND DER HEILIGEN DOROTHEA
IX.
In diesem Zusammenhang ist es gleichfalls angebracht, an die Standhaftigkeit zu erinnern, die die selige Theodosina während ihres Martyriums bewies. Diese Jungfrau war achtzehn Jahre alt, von sehr edler Abstammung und sehr schön. Sie verfügte ebenfalls über eine erstaunliche Klugheit und legte sich mit dem Richter an, der ihr mit der Folter drohte, falls sie Jesus Christus nicht abschwören würde. Da sie ihm jedoch mit göttlichen Worten antwortete, ließ er sie an den Haaren aufhängen und mit aller Gewalt schlagen. Jene aber sprach zu ihm: >Es ist ohne jeden Zweifel ein Zeichen niedriger Gesinnung, über andere Menschen herrschen zu wollen, wenn man noch nicht einmal sich selbst beherrscht! Schmach über denjenigen, der alles daran setzt, sich selbst mit Fleisch vollzustopfen, den jedoch die Hungernden nicht dauern; verflucht sei der, der es warm haben will und der die vor Kälte Sterbenden weder wärmt noch mit Kleidung versieht; Schmach über denjenigen, der selbst die Ruhe sucht und die anderen peinigt; verflucht sei derjenige, der alle Dinge sein eigen nennt, obwohl er sie doch aus Gottes Hand empfangen hat; und Schmach über denjenigen, der für sich Wohltaten will und der selbst alle Schandtaten begeht!< Auch während der Folter unterließ es die Jungfrau also nicht, würdige Worte zu sprechen. Was ihr jedoch im Innersten ihres Herzens sehr zu schaffen machte, war die Scham, die sie empfand, weil ihr ganzer Körper völlig nackt den Blicken des Volkes ausgesetzt war, woraufhin Gott ihr eine weiße Wolke sandte, die sie ganz umhüllte. Als Urban ihr nun immer stärker zusetzte, sprach sie zu ihm: >Du wirst mich um kein einziges der Gerichte des Mahls, das man mir bereitet, bringen.< Nun drohte ihr der Tyrann damit, sie ihrer Jungfräulichkeit zu berauben, worauf sie ihm entgegnete: >Da Gott in ehrsamen Herzen seine Wohnstätte hat, drohst du mir vergeblich damit, mich zu schänden.< Von immer größerer Wut ergriffen ließ der Richter einen schweren Stein an ihrem Hals befestigen und sie ins Meer werfen. Jener aber standen die Engel bei, und sie wurde von ihnen singend an Land gebracht; den Stein, der schwerer als sie selbst war, hielt die Jungfrau mit ihren Armen umschlungen. Dann ließ der Tyrann zwei Leoparden auf sie hetzen, die jedoch lediglich um sie herumsprangen und ihr huldigten. Schließlich befahl der Tyrann, der mit seinem Latein am Ende war, sie zu enthaupten, und ihrem Körper entflog, vor aller Augen, ihre Seele in Form einer strahlend weißen Taube. 1 n der nämlichen Nacht erschien Theodosina ihren Eltern; sie leuchtete heller als die Sonne, trug eine kostbare Krone, wurde von Jungfrauen begleitet, hielt ein goldenes Kreuz in der Hand und sprach zu ihnen: >Seht den Ruhm, dessen ihr mich berauben wolltet!< Daraufhin bekehrten sich diese.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der seligen Jungfrau Barbara, die von edler Abstammung und unvorstellbar schön war und deren Tugend zur Zeit des Kaisers Maximian erstrahlte. Ihr Vater hielt sie aufgrund ihrer Schönheit in einem Turm gefangen. Da sie plötzlich vom Glauben an Gott ergriffen wurde und niemand anders sie taufen konnte, nahm sie selbst Wasser und taufte sich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Ihr Vater wollte sie sehr vornehm verheiraten, sie jedoch lehnte lange Zeit alle Heiraten ab. Aber schließlich gestand sie, Christin zu sein und ihre Jungfräulichkeit Gott geweiht zu haben, worauf der Vater sie töten wollte; sie aber floh und entkam ihm. Und da ihr Vater sie in der Absicht verfolgte, sie umzubringen, fand er sie schließlich dank der Auskunft eines Hirten, der daraufhin sogleich gemeinsam mit seinen Tieren verdorrte. Nun zerrte der Vater sie vor den Richter. Weil Barbara sich all seinen Befehlen widersetzte, ließ er sie verschiedenen sehr grausamen Folterqualen unterwerfen und sie an den Füßen aufhängen. Sie aber sagte ihm: >Du Jämmerling, merkst du denn gar nicht, daß mir die Folter überhaupt nichts anhaben kann?< Außer sich vor Wut ließ jener ihr die Brüste ausreißen und sie in diesem Zustand in die Stadt bringen — sie jedoch pries ohne Unterlaß Gott. Da sie sich wegen der Nacktheit ihres jungfräulichen Körpers schämte, sandte ihr Unser Herr seinen Engel, der alle ihre Wunden heilte und ihren Körper in ein weißes Gewand hüllte. Nachdem man sie hinreichend gefoltert hatte, brachte man sie vor den Richter, der völlig außer sich geriet, als er sie ganz unversehrt und mit einem sternenhellen Antlitz sah. So ließ er sie erneut foltern, so lange, bis die Kraft ihrer Folterknechte erschöpft war. Zu guter Letzt ordnete er voller Wut an, man möge sie aus seinem Blickfeld entfernen und ihr den Kopf abschlagen. Die Jungfrau sprach ihr letztes Gebet und bat Gott darum, all denjenigen beizustehen, die ihn im Gedenken an sie und an ihr Leiden um Beistand anflehten. Als sie ihr Gebet beendet hatte, ertönte eine Stimme, die sprach: >Komm, du meine geliebte Tochter, um im Reiche deines Vaters Ruhe zu finden und die Märtyrerkrone zu empfangen; und deine Bitten sollen dir gewährt werden.< Als sie nun den Berg ihrer Hinrichtung erklommen hatte, schlug ihr der niederträchtige Vater eigenhändig den Kopf ab. Beim Herabsteigen von diesem Berg fuhr jedoch das Feuer des Himmels auf ihn nieder, so daß er zu Asche zerfiel.
Ähnlich gelagert ist der Fall der seligen Jungfrau Dorothea, die in Kappadokien ebenfalls Folterqualen verschiedener Art erduldete. Da sie keinen Mann heiraten wollte und ständig von ihrem Gatten Jesus Christus sprach, verspottete ein Schulmeister namens Theophilus sie und sagte ihr, als man sie zur Hinrichtung führte, sie solle, wenn sie bei ihrem Gatten weile, ihm wenigstens Rosen und Äpfel aus dessen Garten schicken. Dies versprach sie ihm. Kurz nachdem sie ihr Martyrium beendet hatte, geschah es, daß ein über die Maßen anmutiges, etwa vierjähriges kleines Kind zu Theophilus kam, um ihm ein Körbchen mit unvorstellbar schönen Rosen und wohlduftenden, makellosen Äpfeln zu überbringen und ihm auszurichten, dies schicke ihm die Jungfrau Dorothea. Nun war es an Theophilus zu staunen, denn dies geschah im Wintermonat Februar. Aus diesem Grunde wurde er bekehrt und erduldete später im Namen Jesu Christi Folterqualen.
Wenn ich dir von allen heiligen Jungfrauen erzählen wollte, die dank ihrer Standhaftigkeit während des Martyriums im Himmel sind, so wäre das eine sehr lange Geschichte: denk nur einmal an die heilige Cäcilia, die heilige Agnes, die heilige Agathe und unzählige andere. Willst du mehr über diese Frauen erfahren, so genügt ein Blick in den Miroir historial: dort wirst du zahlreiche andere Beispiele finden. Ich will dir nur noch von der heiligen Christine erzählen, und da sie deine Namenspatronin und eine Jungfrau großer Würde ist, will ich dir ausführlicher von ihrem vorbildlichen und frommen Leben berichten.
HIER IST VON DEM LEBEN DER HEILIGEN JUNGFRAU CHRISTINE DIE REDE.
X.
Die gesegnete heilige Jungfrau Christine stammte aus der Stadt Tyrus und war die Tochter des Urban, des obersten Ritters. Da sie sehr schön war, hielt ihr Vater sie in einem Turm verschlossen, und in ihrer Gesellschaft befanden sich zwölf Jungfrauen. In der Nähe von Christines Gemach hatte ihr Vater einen sehr kostbaren Altar aufstellen lassen, denn er wollte die Jungfrau zur Anbetung der Götter bewegen. Obgleich diese jedoch noch ein Kind im Alter von zwölf Jahren war, erfüllte sie bereits der Glaube an Jesus Christus, und aus diesem Grunde beachtete sie die Götzenbilder überhaupt nicht, worüber sich ihre Begleiterinnen sehr wunderten und weshalb sie sie häufig ermahnten, ein Opfer darzubringen. Sie aber nahm Weihrauch, als wolle sie den Göttern opfern, kniete dann jedoch an einem nach Westen gerichteten Fenster nieder, blickte gen Himmel und opferte dem unsterblichen Gott Weihrauch. Den weitaus größten Teil der Nacht verbrachte sie an eben jenem Fenster stehend; sie blickte auf zu den Sternen, seufzte, rief in ihrer Frömmigkeit Gott an und bat ihn, er möge sie im Kampfe gegen seine Feinde unterstützen. Die jungen Mädchen aus ihrem Gefolge, die sehr wohl merkten, daß ihr Herz Jesus Christus gehörte, knieten oft mit gefalteten Händen vor ihr nieder und flehten sie <m, sich keinem fremden Gott anzuvertrauen, sondern den Göttern ihrer Eltern zu huldigen, denn wenn jemand von dem erführe, was sie tue, so würde dies ihr und allen anderen zum Verhängnis. Christine antwortete ihnen, sie seien den Täuschungen des Teufels erlegen, der sie dazu anhalte, so viele Götter anzubeten, während es doch in Wirklichkeit nur einen einzigen gebe.
Als zu guter Letzt ihr Vater von der Weigerung seiner Tochter erfuhr, die Götzenbilder anzubeten, schmerzte ihn das sehr, und er tadelte sie scharf. Daraufhin entgegnete sie, dem Gott des Himmels wolle sie mit Freuden opfern. Der Vater, der meinte, es handele sich um Jupiter, war überglücklich und wollte sie küssen; sie aber rief aus: >hüte dich, meinen Mund zu berühren, denn ich will vollkommen rein sein, wenn ich dem himmlischen Gott ein Opfer darbringe!< Das wollte der Vater noch gelten lassen. Dann betrat Christine ihr Gemach, verriegelte die Tür und fiel auf die Knie, um Gott weinend ein heiliges Gebet darzubringen. Und der Engel Unseres Herrn stieg vom Himmel herab, tröstete sie und brachte ihr weißes Brot und Fleisch, von dem sie aß, denn sie hatte seit drei Tagen kein Fleisch mehr zu sich genommen. Da sie kurze Zeit später einige arme Christen erblickte, die am Fuße ihres Turms bettelten, sie jedoch nichts besaß, was sie ihnen hätte geben können, ließ sie die goldenen und silbernen Götzenbilder ihres Vaters holen, schlug sie kurz und klein und verteilte die einzelnen Stücke an die Bettler. Als ihr Vater davon erfuhr, schlug er sie aufs grausamste; sie jedoch sagte in aller Offenheit, er sei einem Irrtum erlegen, wenn er jene Trugbilder anbete, denn es gebe nur einen einzigen, dreifaltigen Gott, und allein diesem gebühre Verehrung. Zu diesem bekenne sie sich und werde keinen anderen anbeten, auch wenn sie deshalb sterben müsse. Voller Zorn gegen seine Tochter ließ ihr Vater sie nach diesen Worten in Ketten legen und sie, während er auf sie einschlug, über die öffentlichen Plätze führen und schließlich einkerkern. Er beharrte darauf, in dieser Angelegenheit selbst Richter zu sein, ließ sie sich am nächsten Morgen vorführen und drohte ihr mit allen Folterqualen, falls sie nicht die Götzenbilder anbeten wolle. Als er aber merkte, daß er weder mit Bitten noch mit Drohungen einen Gesinnungswandel herbeiführen konnte, ließ er sie ganz nackt an den Armen und Beinen ausstrecken und sie so lange schlagen, daß zwölf erwachsene Männer sich dabei erschöpften. Immer wieder fragte sie der Vater, ob sie es sich nicht anders überlegt hätte, und sagte ihr: >Meine Tochter, ein natürliches Gefühl des Mitleids ergreift mit aller Macht mein Herz, wenn ich dich, mein eigen Fleisch und Blut, so quäle. Aber das bin ich der Ehrfurcht vor meinen Göttern, die du so sehr erbost, schuldig.< Darauf antwortete die heilige Jungfrau: >Tyrann, dem ich die Bezeichnung Vater versagen muß, weil er ein Feind meiner Glückseligkeit ist, nur zu, quäle ruhig das Fleisch, das du selbst gezeugt hast, denn das steht durchaus in deiner Macht! Den Geist jedoch, den mein himmlischer Vater erschaffen hat, vermagst du mit keiner Form der Versuchung zu rühren, denn Jesus Christus, mein Erretter, wacht über ihn.< Der grausame Vater ließ daraufhin ein Rad, das er hatte anfertigen lassen, herbringen. Er befahl, jenes zarte Kindchen auf dieses Rad zu binden und unter ihm ein Feuer anzuzünden; dann ließ er große Mengen kochenden Öls über Christines Körper gießen. Nun begann sich das Rad mit ihr zu drehen und riß sie in Stücke.
Gott jedoch, der barmherzige Vater, verspürte Mitleid mit seiner Dienerin und schickte seinen Engel, der alle Folterwerkzeuge zerbrach, das Feuer löschte und die Jungfrau, die heil und unversehrt war, befreite; zugleich tötete er mehr als tausend niederträchtige Bösewichter, die ihr ohne einen Hauch von Mitleid zusahen und dabei den Namen Gottes lästerten. Ihr Vater fragte sie: >Sag an, wer lehrte dich solches Teufelswerk?< Sie aber entgegnete: >Oh du erbarmungsloser Tyrann, habe ich dir nicht erklärt, daß mich mein Vater Jesus Christus die Geduld und den rechten Glauben an den lebendigen Gott lehrte. Aus diesem Grunde verachte ich die Schar deiner Folterknechte, und mit Hilfe des göttlichen Beistands werde ich aus allen teuflischen Attacken siegreich hervorgehen!< In seiner Schwäche und Verwirrung ließ jener sie in ein ganz besonders abscheuliches finsteres Loch werfen. Und als sie dort lag und über die gewaltigen göttlichen Mysterien nachdachte, da kamen, umflossen von viel Licht, drei Engel zu ihr, brachten ihr Nahrung und trösteten sie. Urban wußte nicht, was er sonst noch mit ihr anstellen sollte und sann Tag und Nacht darüber nach, auf welche Weise er sie noch quälen könnte. Schließlich wurde er der Angelegenheit überdrüssig und ließ ihr, um sie ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, einen schweren Stein um den Hals binden und sie ins Meer werfen. In dem Augenblick, als man sie hineinstieß, ergriffen jedoch die Engel Christine, und sie verschwand mit ihnen über das Wasser. Nun richtete sie ihre Augen gen Himmel und erbat sich von Jesus Christus, es möge ihm gefallen, daß sie mit eben jenem Wasser die heilige Taufe empfange, nach der sie sich so sehr sehnte. Daraufhin stieg der leibhaftige Heiland, umgeben von zahlreichen Engeln, vom Himmel herab, taufte sie auf seinen Namen »Christine«, krönte sie, schmückte ihr Haupt mit einem funkelnden Stern und brachte sie ans Land. Urban jedoch wurde in eben jener Nacht vom Teufel heimgesucht und verschied.
Die glückselige Christine, der Gott es gewährte, sie nach ihrem Wunsch aufgrund ihres Martyriums zu sich zu nehmen, wurde von den Schurken in ihren Kerker zurückgebracht. Ein neuer Richter namens Dius, der wußte, was man ihr angetan hatte, ließ sie zu sich kommen und begehrte sie ihrer großen Schönheit wegen. Als er jedoch erkannte, daß er mit schönen Worten nicht weiterkam, ließ er sie aufs neue foltern. Er befahl, einen großen Kessel mit Öl und Pech zu füllen, unter diesem ein Feuer anzuzünden und Christine mit dem Kopf zuerst hineinzuwerfen; vier Männer bewegten sie mit großen Eisenhaken hin und her. Die heilige Jungfrau jedoch brachte Gott mit wohlklingender Stimme Gesänge dar, verspottete ihre Folterknechte und drohte ihnen mit Höllenstrafen. Und als der niederträchtige und wütende Richter einsah, daß er so nicht weiterkam, ließ er sie vor aller Augen auf dem Marktplatz an ihren langen goldblonden Haaren aufhängen. Da stürzten sich die Frauen auf sie, die vor Mitleid weinten, als sie ein so zartes Kind so unmenschlichen Folterqualen ausgesetzt sahen, und schrien dem Richter ins Gesicht: >Du grausamer Schurke, grausamer als eine wilde Bestie, wie kann ein Menschenherz der Hort einer so gewaltigen Grausamkeit gegen ein so schönes und zartes junges Mädchen sein?< Alle wollten sich auf den Richter werfen, der es jedoch mit der Angst zu tun bekam und zu ihr sprach: >Christine, teure Freundin, laß dich nicht länger quälen, sondern geh mit mir und laß uns den höchsten Gott, der dir ein so großer Beistand war, anbeten.< Er meinte damit Jupiter, den er als den obersten Gott betrachtete, sie aber verstand seine Worte völlig anders und entgegnete ihm: >Sehr wahr hast du gesprochen; ich gewähre es dir.< Er ließ sie herunterholen und führte sie, gefolgt von einer großen Volksmenge, zum Tempel. Als er sie, in dem Glauben, sie würde diese anbeten, vor die Götzenbilder geführt hatte, kniete sie nieder, blickte gen Himmel und betete zu Gott. Dann erhob sie sich, wandte sich an das Götterbild und sprach: >Böser Geist, der du in diesem Götzenbild hausest, ich befehle dir im Namen Jesu Christi, komm heraus!< Und sogleich sprang der Teufel heraus und machte ein gewaltiges, schreckliches Getöse, das alle Anwesenden so furchtbar erschreckte, daß alle zu Boden fielen. Nachdem sich der Richter wieder erhoben hatte, sprach er: >Christine, du hast es verstanden, unseren allmächtigen Gott zu rühren: da er Mitleid mit dir verspürte, ist er herausgekommen, um sein Geschöpf zu betrachten.< Die Jungfrau aber geriet über seine Worte in Zorn und tadelte ihn mit scharfen "Worten für seine Verblendung, weil diese ihn die Macht Gottes verkennen lasse. Sie bat Gott darum, das Götterbild möge auf den Boden fallen und zu Staub werden, und eben dies trat ein. Mehr als dreitausend Menschen wurden durch die Worte und die Zeichen der Jungfrau bekehrt, worauf der entsetzte Richter sprach: >Wenn es dem König zu Ohren käme, welche Schmach unserem Gott durch Beweisführungen jener Christine angetan wird, dann hätte meine letzte Stunde geschlagen!< Da wurde der Richter so sehr von Angst gepackt, daß er den Verstand verlor und starb.
Auf ihn folgte ein dritter Richter namens Julianus, der Christine festnehmen ließ und sich damit brüstete, daß er sie schon zur Anbetung der Götter bringen werde. Aber trotz aller Gewalt, die er aufbot, gelang es ihm nicht, sie vom Fleck zu bewegen, und deshalb ließ er um sie herum ein gewaltiges Feuer anzünden. In diesem Feuer blieb sie drei Tage lang, und während dieser Zeit hörte man aus dem Feuer süße Melodien. Die Folterknechte erschraken sehr angesichts der wunderbaren Zeichen, deren Zeugen sie wurden, aber als man dies dem Julianus hinterbrachte, glaubte er wahnsinnig zu werden. Nachdem das Feuer ausgebrannt war, sprang sie völlig unversehrt heraus. Nun ließ der Richter zwei gewöhnliche Nattern (dies sind sehr bösartige und sehr giftige Schlangen) herbeibringen und dann noch zwei Giftnattern, aber diese Schlangen rollten sich mit gesenkten Köpfen und ohne ihr etwas zu tun vor Christines Füßen zusammen. Dann ließ man zwei weitere gräßliche Schlangen, die Vipern heißen, auf sie los, die sich jedoch um Christines Brüste wanden und das Mädchen lediglich leckten. Da blickte Christine zum Himmel auf und sprach: >Ich danke dir, göttlicher Herrscher, Jesus Christus, daß Du in Deiner Heiligkeit mich so sehr hast erhören wollen, daß die schrecklichen Schlangen in mir Deine Würde anerkennen.< Der verstockte Julianus, der diese Wunder mit eigenen Augen sah, schrie dem Schlangenwärter zu: >Auch du scheinst mir von Christine verhext zu sein: denn weshalb vermagst du die Schlangen nicht auf sie zu hetzen?< Jener, der den Richter fürchtete, war nun so vermessen, die Schlangen auf Christine loszulassen, aber diese warfen sich auf ihn und töteten ihn. Als nun alle große Angst vor diesen Schlangen hatten und sich ihnen niemand zu nähern wagte, befahl Christine ihnen im Namen Gottes, dahin zurückzukehren, von wo sie gekommen waren und niemandem Leid zuzufügen, was sie denn auch taten. Dann rief sie den loten ins Leben zurück, und dieser warf sich sogleich zu ihren Füßen nieder und wurde bekehrt. Der Richter aber, den der Teufel so sehr verblendet hatte, daß er des göttlichen Mysteriums nicht gewahr wurde, sagte zu Christine: >Jetzt reicht es mir aber mit deinen Zauberkünsten!< Sie jedoch antwortete völlig außer sich: >Wenn du Augen im Kopf hättest, um die Allmacht Gottes zu erkennen, dann würdest du dich überzeugen lassen!< Jener ließ ihr daraufhin wutentbrannt die Brüste herausreißen, und sogleich floß aus den Wunden Milch anstelle von Blut. Da sie ohne Unterlaß den Namen Jesu Christi aussprach, ließ er ihr die Zunge abschneiden — sie jedoch sprach besser und deutlicher als zuvor von den göttlichen Offenbarungen, pries Gott und dankte ihm für die Wohltaten, die er ihr erwies. Dann begann sie ihr Gebet zu sprechen und bat ihn, er möge sie zu sich nehmen, auf daß sich die Krone ihres Märtyrertums vollende.
In diesem Augenblick ertönte aus dem Himmel eine Stimme, die sprach: >Christine, du Reine und Unberührte, die Himmel öffnen sich dir; das immerwährende Reich ist dein, und die gesamte Gemeinschaft der Heiligen preist Gott um deinetwillen, hast du doch von Kindesbeinen an den Namen deines Herrn Jesus Christus verteidigt.< Sie aber rühmte Gott und erhob ihre Augen gen Himmel. Noch einmal vernahm man die Stimme, die sprach: >Komm, Christine, du meine über die Maßen geliebte und auserkorene Tochter: empfange in meinem Namen die ewige Krone und die Belohnung für dein leiderfülltes Leben.< Als der niederträchtige Julianus diese Stimme hörte, tadelte er die Folterknechte und sagte, sie hätten Christines Zunge nicht kurz genug abgeschnitten, und er befahl ihnen, sie so zu beschneiden, daß es Christine nicht mehr möglich sei, so viel von ihrem Christus zu erzählen. Nun rissen ihr diese die Zunge heraus und schnitten sie ihr bis zur Kehle ab; sie aber spuckte den Schnipsel ihrer Zunge dem Tyrannen ins Gesicht, worauf er auf einem Auge erblindete. Sie aber sprach zu ihm mit ebenso klarer Stimme wie zuvor: >Tyrann, was nützt es dir schon, mir die Zunge abgeschnitten zu haben, um mich am Gotteslob zu hindern, wird doch mein Geist ihn immerdar preisen, während deiner ihn ewig verfluchen wird! Und da du meiner Rede keinen Glauben geschenkt hast, geschieht es dir ganz recht, wenn du durch meine Zunge erblindet bist!< Sie, die bereits Jesus Christus zur Rechten seines Vaters sitzen sah, beendete ihren Leidensweg durch zwei Pfeile, deren einer ihre Seite und deren anderer ihr Herz durchbohrte. Einer ihrer Verwandten, den sie bekehrt hatte, bestattete den heiligen Leib und zeichnete ihre ruhmreiche Legende auf.
»Oh gesegnete Christine, du würdige und dank Gott glückselige Jungfrau, du ruhmreiche, auserwählte Märtyrerin, um der Heiligkeit willen, die Gott dir geschenkt hat: bete für mich Sünderin, die ich deinen Namen trage, und sei mir eine gewogene und mitleidige Namenspatronin. Wahrlich, ich bin sehr glücklich, einen Anlaß zu haben, deine heilige Legende in meine Schriften einzufügen, und um dich zu ehren, habe ich deine Geschichte besonders ausführlich wiedergegeben. Wenn es dir genehm ist, so bete für alle Frauen, denen dein heiliges Leben ein Vorbild dafür abgeben möge, ihr eigenes Leben in Frömmigkeit zu beenden. Amen.«
»Schöne Freundin, was soll ich dir noch erzählen, damit sich unsere Stadt mit ähnlicher Gesellschaft füllt? Mit ihrer gewaltigen Schar von elftausend Jungfrauen komme die heilige Ursula; sie alle erlitten im Namen Jesu Christi den gesegneten Märtyrertod und wurden enthauptet, als sie, um verheiratet zu werden, auf die Reise geschickt wurden. Sie gelangten in ein von Heiden regiertes Land, wo man sie dazu zwingen wollte, dem Glauben an Gott abzuschwören: sie aber wählten lieber den Tod als auf ihren Erretter Jesus Christus zu verzichten.