1. Prinzipienfragen zum »Beruf« der Frau
»... die wahre Bestimmung der Frau ... ist die Ehe und ihre Heimat das Haus, mit allem, was das Leben desselben erfüllt«.
Lorenz von Stein (1875)[1]
Die Diskussion über den »Beruf« der Frau - den »natürlichen«, »heiligen«, »echten« und »wahren« als Gattin und Mutter und den Erwerbsberuf als unabhängige, selbständige Persönlichkeit - trat zu Beginn der 70er Jahre in Deutschland in ein recht lebhaftes Stadium. Die Agitation der zwar noch sehr schwachen organisierten Frauenbewegung und die radikalen Forderungen John Stuart Mills (in: »On the Subjection of Women«, 1869, übersetzt von Jenny Hirsch) hatten offensichtlich die theoretische Erörterung dieses Problems angeregt, das jedoch eine sehr konkrete Grundlage in der ständig wachsenden Zahl der in Erwerbsberufe drängenden Mädchen und Frauen hatte. - Obgleich die Stellungnahme der in der bürgerlichen Frauenbewegung organisierten Frauen zu diesen Prinzipienfragen nie radikale Umformungen erfuhr, läßt sich eine gewisse Akzentverschiebung erkennen zwischen der Anfangsperiode von 1866 bis etwa 1876 und einem längeren Zeitabschnitt beginnend mit den auslaufenden 70er Jahren. Für den Kreis des Allgemeinen deutschen Frauenvereins formulierte 1866 Louise Otto-Peters die prinzipielle Stellungnahme zu diesen Fragen. - Ehe und Mutterschaft, so stellte sie fest, seien nicht der einzige, von der Natur den Frauen vorgezeichnete Beruf, denn was von der Zufälligkeit des Geschicks abhänge, könne nicht Beruf und Bestimmung des Menschen sein.[2] Die Ehe als Institution aber galt ihr als heilig und unantastbar: »auch wir« so betonte sie mit Nachdruck, »halten die Ehe, d. h. nur eine rechte, zu wahrhaft gegenseitiger Ergänzung geschlossene, für das höchste Gut des Lebens und für denjenigen Zustand, in dem alle schönsten Anlagen des Gemütes sich am segensreichsten entwickeln lassen; aber wir finden eben darum in der Ehe eine für beide Teile ganz gleiche menschliche, keineswegs nur eine spezifisch weibliche Bestimmung«.[3] Ebensowenig wie man den unverheiratet bleibenden Mann bezichtige, seine Lebensaufgabe verfehlt zu haben, dürfe man der unverheiratet bleibenden Frau gegenüber diesen Vorwurf erheben; und wie man dem Mann eine größere, weitere Lebensbestimmung als die Ehe zubillige, müsse man auch für die Frau die Anschauungen dahingehend ändern:
- »daß die allgemein menschliche Bestimmung:
Gutes zu tun,
sich selbst zu vervollkommnen
und ein nützliches Glied im großen Menschheitsverbande zu werden,
über die spezifisch weibliche geht:
nur Gattin und Mutter zu werden um jeden Preis«.[4]
Durch diese weite Abgrenzung der weiblichen Lebensbestimmung erfuhr auch der Erwerbsberuf der Frau seine sichere Rechtfertigung: er war ethisch und materiell ein unverzichtbares Mittel zur Entfaltung der selbständigen, im Menschheitsverbande »nützlichen« Frau. Im Bereich des Lette-Vereins, der in seinen Anfängen das Wirken der Frauen in der Familie als ursprünglichste und wichtigste Aufgabe des weiblichen Berufes bezeichnet hatte teilten mit Sicherheit einige führende Köpfe Louise Otto-Peters' Anschauungen. So hatte sich z. B. Louise Büchner (nun führend tätig im Alice-Verein. Darmstadt) weit von ihren früheren Vorstellungen (vgl. Kap. A. II.) entfernt und gab dem »Frauen-Anwalt« im Leitartikel der ersten Nummer des 1. Jahrganges (1870/71) folgenden Leitgedanken mit auf den Weg:
- »Die Befähigung zur Arbeit,
die Möglichkeit zur Arbeit und
das Recht, die Arbeit zu wählen, ...
das ist die allein dauernde Morgengabe, welche der Geist des Jahrhunderts dem weiblichen Geschlecht in die Wiege zu legen sucht.
Die Frau soll hinfort von keiner Art der Arbeit, sei sie mechanischer oder geistiger Natur, mehr ausgeschlossen sein, für welche sie ihre Befähigung tatsächlich bewiesen hat.[5]
Die Ausführungen Professor von Holtzendorffs, des zeitweiligen Vorsitzenden des Lette-Vereins, stimmen in geradezu überraschender Weise mit Louise Otto-Peters' Anschauungen überein. In einem Vortrag*** in Berlin im Dezember 1867 (»zum Besten der Lehrinstitute des Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts») überging Holtzendorff alle Bedenken dieses Vereins gegenüber der »Emanzipation« der Frau, erörterte und bejahte alle Frauenforderungen bis hin zum Frauenstimmrecht und erklärte:
»Alles, was wir für die Frauen fordern, ist: Freiheit und Gerechtigkeit«,[6]...
Er teilte sogar Louise Otto-Peters' 1866 geäußerte Anschauung,[7] daß auch verheiratete Frauen der bürgerlichen Schichten erwerbstätig sein könnten und sollten; beider Ziel war:
- a) die Eheschließungen zu erleichtern (zwei Hände könnten oft eine Familie nicht mehr ernähren, die Ehefrau müsse auch eine »Gehilfin im Erwerb« werden);
- b) die Ehe als Versorgungsinstitut abzuschaffen und Liebesheiraten zu ermöglichen.
Holtzendorff übersah jedoch die sich aus der Vereinigung von Ehe, Mutterschaft und Berufstätigkeit ergebenden Schwierigkeiten; Louise Otto-Peters hingegen dürfte sich ihrer bewußt gewesen sein, denn sie verwies vor allem auf eine beruflich qualifizierte Tätigkeit der Ehefrauen im Rahmen des Hauses: z. B, im Geschäft des Ehemannes, durch Stundengeben oder durch Aufnahme von Pensionären. Im Kreise des »Frauen-Anwalts« und in Berlin dürften diese Gedankengänge hier und da Anklang gefunden haben,[8] - Insgesamt war jedoch eine spürbare Scheu vorhanden gegenüber einer Berufstätigkeit der Ehefrauen,[9] Dagegen bejahte man in den verschiedenen Stellungnahmen beider Organisationen ohne jeden Vorbehalt die Erwerbstätigkeit unverheirateter und auch verwitweter Frauen; zur Begründung verwies man auf die bestehenden Notstände und das Urrecht des Menschen auf Existenz; am häufigsten zitierte man die positiven Rückwirkungen auf die Ehe:
- a) die erzieherischen: das Mädchen werde zur Einsicht und Umsicht geführt; Arbeit erziehe sie zur Pflichttreue, Ordnung und Pünktlichkeit, wecke ihre Arbeitslust, wende ihren Sinn ab von Vergnügungen, Putz und Tand; seltener erwähnte man ihre aus der Kenntnis des Lebens gesteigerten Fähigkeiten als Erzieherin ihrer Kinder und die ebenfalls hieraus erwachsende größere Sicherheit bei der Wahl des Gatten;
- b) die praktischen: die früher berufstätige Frau könne eine bessere Wirtschafterin sein und sei im Notfall in der Lage, hinzuzuerwerben oder nach dem Tod des Mannes die Familie allein zu ernähren.[10]
Als zu Beginn der 70er Jahre die Diskussion über den »Beruf« der Frau diesen Stand erreicht hatte, erschien 1871 John Stuart Mills »On the Subjection of Women« in Deutschland in zweiter Auflage; in den gebildeten Kreisen verbreitete sich die Kenntnis seiner massiven Ehekritik und seiner radikalen Forderungen zur Gleichberechtigung beider Geschlechter. So stellte John Stuart Mill u. a, fest:
»The law of servitude in marriage is a monstrous contradiction to all the principles of the modern world. ... There remain no legal slaves, except the mistress of every house«.[11] «... the principle which regulates the existing social relations between the two sexes - the legal Subordination of one sex to the other - is wrong in itself, and now one of the Chief hindrances to human improvement; and ought to be replaced by a principle of perfect equality, admitting no power or privilege on one side, nor disability on the other«.[12]
Offensichtlich erschreckt ob all dieser Vorgänge griffen die deutschen Männer zu Feder. Überblickt man die verschiedenen Äußerungen, so kann man staunend feststellen, daß es offensichtlich eine Frage gab, zu der die deutsche Männerwelt von den Christlich-Konservativen bis zu den Liberalen, von den Schwarzen bis zur Mehrheit der Roten eine einhellige Antwort fand.
1870 eröffnete der nationalliberale Professor der Geschichte Heinrich von Sybel den Reigen; er stützte sich auf seine Kenntnis der »Natur« und meinte:
»So hat es die Natur gewollt, und so wird es im wesentlichen bleiben,... Das Gebiet der Frau ist das scheinbar Enge und Einförmige des inneren häuslichen Lebens; die Domäne des Mannes ist die weite Welt da draußen, die Wissenschaft, die Rechtsordnung, der Staat«.[13]
Auf dem Mann liege der Kampf des äußeren Lebens für sich und die Seinen, Aufgabe der Frau sei »die innere Beseelung des Hauses«.
Konnte man sich unter »Beseelung des Hauses« noch nichts Genaues vorstellen, im folgenden Jahr (1871) wurde der »Beruf' der Frau von zwei deutschen Männern der Kirche erläutert. Zunächst tat dies Herr Philipp von Nathusius, christlich-konservativer Professor der Theologie; er hielt sich vor allem an die Bibel und stellte fest:
»Die wichtigste aller Frauenarbeiten, auch volkswirtschaftlich, ist, der großen Gesellschaft täglich einen an Leib und Seele erquickten Mann zu schenken und ihr mit jeder Generation wohlgediehene und wohlerzogene Kinder zu schenken.«[14]
Mit einem Seitenblick auf Rosseau meinte er: »Übrigens ist es mit dem Rousseau'schen Satze so schlimm nicht... Er lautet vollständig: die Bestimmung des Weibes sei, >dem Manne zu gefallen und sein Joch zu ertragen<«[15]...
Hermann Jacobi, Herrn von Nathusius' theologischer Kollege in Königsberg, gelangte prinzipiell zu gleichen Einsicht, doch er war etwas galanter und dachte sogar an Aphrodite: die Liebe spiele die Hauptrolle im Leben des Weibes -
»Sie ist es, die die Mehrzahl der Frauen antreibt, sich freiwillig in das vermeintlich so schwere Joch zu fügen, das die Ehe ihnen auferlegt und gerne darin zu bleiben, denn selbst da, wo die weltbezwingende Göttin ursprünglich nicht den Bund geweiht hat, pflegt sie doch als gute Hausfreundin ihre bleibende Stätte aufzuschlagen«[16] ...
Daraus ergab sich für ihn als »Beruf« der Frau:
»Mögen die Frauen den Männern den Kampf und die Arbeit lassen, das ist ihre Freude, das ist ihr Beruf. Mögen die Frauen in der Pflege reiner, warmer und inniger Gefühle, in der Bewachung der Güter, die der Mann erzeugt, in der Ordnung, Leitung und dem Schmuck des Hauses die von Gott ihnen anvertraute Aufgabe suchen! Dem Manne gebührt der Kampf und die Arbeit, aber das Weib wischt den Schweiß von seiner Stirn und stärkt seine Kraft, indem sie durch Sinn und Walten das Haus zu einer Stätte des Friedens, zu einer idealen Welt bildet«.[17]
Nur in Nuancen wich der freisinnige Professor der Nationalökonomie Lorenz von Stein von der Meinung seines theologischen Kollegen ab; in Dialogform erklärte er 1875 dem weiblichen Geschlecht:
»Vergiß es nie, der Mann will in der Braut die Braut, aber in der Frau will er die Frau. Er will ein Wesen, das ihn nicht bloß liebt, sondern dessen Hand ihm auch die Stirn glättet, das in seiner Erscheinung den Frieden, die Ruhe, die Ordnung, die Herrschaft über sich und die tausend Dinge ausstrahlt, zu denen er täglich zurückkehrt; er will jemanden, der um alle diese Dinge den unaussprechlichen Duft verbreitet, der die belebende Wärme für das Leben des Hauses ist«.[18]
Nicht ganz so »poetisch« verstand sich der nationalliberale, dann freikonservative Professor der Geschichte Heinrich von Treitschke vor seinen Studenten auszudrücken, er formulierte:
»Der eigentliche Beruf des Weibes wird zu allen Zeiten das Haus und die Ehe sein. Sie soll Kinder gebären und erziehen. Ihrer Familie soll sie den lauteren Quell ihrer fühlenden, liebevollen Seele spenden. Zucht und Sitte, Gottesfurcht und heitere Lebensfreude nähren und pflegen«.[19]
Und seine Meinung über John Stuart Mill:
»Er hatte einen entsetzlichen Blaustrumpf zur Frau, mit der ich nicht acht Tage hätte zusammen leben können. Das imponierte aber dem gutmütigen Mann, und er kam zu der verflixten Idee, daß die Frau gleichberechtigt sei dem Manne«.[20]
Auch zahlreiche deutsche sozialistisch orientierte Köpfe dürften dieser einhelligen Meinung der Geistesheroen der deutschen Nation noch recht nahe gestanden haben. So stellte z. B. die deutsche Abteilung der Internationalen Arbeiterassoziation 1866 in der Denkschrift fest:
»Den Frauen und Müttern gehören die Haus- und Familienarbeiten, die Pflege, Überwachung und erste Erziehung der Kinder, ... Die Frau und Mutter soll neben der ernsten öffentlichen und Familienpflicht des Mannes und Vaters die Gemütlichkeit und Poesie des häuslichen Lebens vertreten, Anmut und Schönheit in die gesellschaftlichen Umgangsformen bringen und den Lebensgenuß der Menschheit erhöhen«.[21]
Stellt man nun die Frage: woraus erwuchsen der Frau die Kräfte und Fähigkeiten, Frieden, Ruhe, unaussprechlichen Duft, belebende Wärme, Anmut, Poesie und dergleichen mehr auszustrahlen? - so findet man die einhellige Antwort: dies liege in der Natur der Frau; oder auch: Gott, der die Frau erschaffen, habe ihr diese Aufgabe gesetzt und die entsprechenden Gaben verliehen... Der hochberühmte freisinnige Professor der Medizin Rudolf von Virchow unterzog sich der Aufgabe, diese Anschauung naturwissenschaftlich zu untermauern, und führte aus:
»Das Weib ist eben nur Weib durch seine Generationsdrüse; alle Eigentümlichkeiten seines Körpers und Geistes oder seiner Ernährung und Nerventätigkeit: die süße Zartheit und Rundung der Glieder bei der eigentümlichen Ausbildung des Beckens, die Entwicklung der Brüste bei dem Stehenbleiben der Stimmorgane, jener schöne Schmuck der Kopfhaare bei dem kaum merklichen weichen Flaum der übrigen Haut, und dann wiederum diese Tiefe des Gefühls, diese Wahrheit der unmittelbaren Anschauung, diese Sanftmut, Hingebung, Treue - kurz alles, was wir an dem wahren Weibe Weibliches bewundern und verehren, ist nur eine Dependenz des Eierstockes«.[22]
Aus diesem physiologischen Faktum zog man nun den »logischen« Schluß: die Frau gehört ins Haus!
Die Reihe derartiger Stellungnahmen ließe sich sicher um jede gewünschte Anzahl vermehren, - Bei dem hohen Eheideal der organisierten Frauen und dem Stand der Diskussion über die außerhäusliche Erwerbstätigkeit der Ehefrau (vgl. oben), ferner der sicher winzigen Zahl der in den bürgerlichen mittleren und höheren Schichten arbeitenden Ehefrauen (die arbeitenden Frauen und Mütter der unteren Schichten zog man kaum in Betracht) konnten die Männer mit diesen Argumenten nur offene Türen einrennen. Wogegen sich der Sturm der Männer jedoch richtete, läßt sich deutlich an dem ablesen, was man von den Frauen erwartete - nur zu deutlich tragen jene Äußerungen die Merkmale der subjektiven leiblichen und »seelischen« Bedürfnisse des jeweiligen Verfassers; von geistigen Ansprüchen darf wohl kaum die Rede sein. Jener Sturm richtete sich somit eindeutig gegen das von der Frauenbewegung zum Panier erhobene Leitbild der »neuen« Frau: gegen die geistig selbständige, sich ihrer Würde bewußte, im großen Leben leistungsfähige und starke Frau, die dem Mann in der Ehe wie auf allen Gebieten des Lebens eine gleichbefähigte, aber auch gleichberechtigte Gefährtin sein sollte; die ihre häusliche Arbeit als Pflicht erkannte und bewußt erfüllte, jedoch himmel-weit entfernt war von jener »Magdseligkeit«, wie Hedwig Dohm es nannte, die der Eitelkeit, der Herrschsucht und Bequemlichkeit der Männer so sehr entgegenkam und zugleich die häufig zitierte »züchtig waltende« »gute deutsche Hausfrau« zur ersten Magd ihres Hauses erniedrigte. Eben so weit entfernt war diese »neue« Frau auch von jenem poetischen Frauenideal - voller Anmut, Duft, blumenhaftem Liebreiz, pflanzenhafter Innerlichkeit und dgl. Attribute mehr - das die Herzen der Männer erwärmte und ihre Sinne entzückte - und dem man mit dem Vers zu huldigen pflegte:
»Ehret die Frauen, sie flechten und weben
Himmlische Rosen ins irdische Leben«.[23]
Man hätte diese männlichen Selbstzeugnisse in den Bereich der unlösbaren Geschmacksfragen verweisen können, wären sie nicht so gefährlich für die Frauenbestrebungen gewesen durch die Schlüsse, die die Männerwelt aus diesen Wunschbildern ableitete hinsichtlich der Erziehung, der beruflichen Ausbildung und der Berufstätigkeit der Mädchen und unverheirateten Frauen und der rechtlichen Stellung des weiblichen Geschlechts. (Diese Probleme sind in den folgenden Kapiteln zu erörtern).
Die Wirkung dieser und ähnlicher Schriften auf die Frauenbewegung läßt sich nur schwer abwägen. - Von den »Neuen Bahnen« stehen nur die Jahrgänge 1875/76 zur Verfügung; in letzterem findet man einen recht aggressiven Beitrag einer im Allgemeinen deutschen Frauenverein führend tätigen Frau; Stil und Inhalt verraten die Auseinandersetzung mit diesen männlichen Stellungnahmen; sie fordert:
»Macht das Weib stark und geachtet durch Kenntnisse und Bildungswert, durch einen gründlich erlernten Beruf, der ihr Unabhängigkeit sichert auch ohne einen Ernährer, ohne die Tugend-Leibwache, d. h. den Ehemann, Vater, Bruder etc. hinter sich zu haben. ... Bildet es fürs Leben, für die Welt, ... Eine Furcht ist die, daß sich die Frauen, wenn ihnen erst vollständige Gelegenheit geboten sein wird, gleiche Ziele mit dem Mann zu erstreben, nicht mehr zu jener Frauendienstbarkeit und Unterwürfigkeit werden herabdrücken lassen, die man bisher so liebenswürdig, weil so bequem fand. Aber die wahrhaft gebildete, die geistig überlegene Frau tut das, was sie als notwendig, als ihre Pflicht erkennt, wenn auch durchaus nicht mit Demut und Unterwürfigkeit, so doch ganz ebenso bereitwillig ... weil klar von ihrem Geiste steht, was getan werden muß, ... Eine gescheite, kluge Frau braucht eben nicht beherrscht zu werden, sie beherrscht sich einfach selbst. ... Sie braucht nicht zu gefallen, sie kann stolz und unabhängig durchs Leben gehen, denn sie leistet das Ihrige in der Welt«.[24]
Dieser kämpferische Beitrag wurde 1876 in den »Neuen Bahnen« von einigen anderen begleitet; trotzdem darf aus anderen Zeugnissen geschlossen werden, daß der Allgemeine deutsche Frauenverein eine offene, direkte Auseinandersetzung vermied.
Noch vorsichtiger und verhaltener scheint der Lette-Verein reagiert zu haben - nicht ohne Grund. Durch das von ihm geförderte und auch gestützte Viktoria-Lyceum stand er in enger Verbindung mit diesen Professoren und war auf deren Wohlgeneigtheit angewiesen (so eröffneten z. B. die Professoren v. Virchow [25] und von Sybel [26] 1876 resp. 1880 durch Festansprachen die neuen Kurse des Viktoria-Lyceums). Zum anderen hatte in Berlin auch Hedwig Dohm in brillanten Kampfschriften direkt die oben erwähnten männlichen Stellungnahmen angegriffen und großes Aufsehen erregt. Ebenso geistreich wie temperamentvoll führte sie in diesen das Ideal der »guten deutschen Hausfrau« und die philiströsen Argumente der Männer ad absurdum. In rascher Abfolge erschienen in dem hier behandelten Zeitabschnitt folgende Schriften:
1872 »Was die Pastoren von den Frauen denken«;
1873 »Der Jesuitismus im Hausstande«;
1874 »Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau«;
1876 »Der Frauen Natur und Recht«.
Wohl informiert über die anglo-amerikanische Frauenbewegung und mutig genug, auch Hohn und Spott zu begegnen, forderte sie: gleiche Ausbildung für beide Geschlechter von der Elementarschule bis zur Universität, gleichen Zugang beider Geschlechter zu allen Berufen (wobei sie auch vor einer Berufstätigkeit der Ehefrau nicht zurückschreckte), absolute Gleichstellung der Männer und Frauen im privaten und öffentlichen Recht, und sie erklärte das Frauenstimmrecht zur unabdingbaren Notwendigkeit, um die oben aufgeführten Ziele zu erreichen.
Hohn und Spott begegnete Hedwig Dohm im reichsten Maße. Jenny Hirsch berichtet, daß ihre Arbeiten viel Anlaß zu unliebsamen Erörterungen gaben:[27] wenn Hedwig Dohm all dem entgegentreten wolle, was wohlfeil gewitzelt worden sei, müsse sie viele Bände schreiben.[28] -
Die Haltung der dem Lette-Verein nahestehenden Frauenorganisationen gegenüber Hedwig Dohm läßt sich deutlich an Jenny Hirschs Rezensionen ablesen: 1876 betrachtete man endlich ihre Schriften als ein nicht »zu unterschätzendes Ferment«, vorher hatte man ihren Nutzen infrage gestellt. Man pflichtete ihr zwar in einigen Punkten bei, aber wichtiger als das »Was« erschien diesem Kreis offenbar immer das »Wie»; man bescheinigte Hedwig Dohm frischen, kühnen Mut, Überzeugungstreue, Geschicklichkeit, Wahrheitsliebe, Geist und Witz - aber auch Schärfe und rücksichtslose Entschiedenheit, und gerade daran nahmen diese Damane Anstoß; »mancherlei«, bemerkte Jenny Hirsch, »hätte vielleicht in einer milderen und weniger verletzenden Form vorgebracht werden können«,[29]... und: sollten irgendwann einmal einige von Hedwig Dohms Forderungen realisiert werden,
»so sind es doch die guten, bescheidenen deutschen Frauen, die durch ihre Arbeit und ihre Geduld dieses Ziel erreicht haben«.[30]
Für den Kreis des Allgemeinen deutschen Frauenvereins ist wegen der fehlenden Jahrgänge nur 1876 eine absolut bejahende Stellungnahme nachweisbar,[31] allerdings nicht aus der Feder eines Vorstandsmitgliedes. Einige andere Beiträge desselben Jahrganges zeigen jedoch eine deutliche Anlehnung an Hedwig Dohms Argumentation und Ansätze einer gewissen »rücksichtslosen Entschiedenheit« (vgl. oben).
Insgesamt darf man jedoch mit gutem Grund behaupten, daß die deutsche Frauenbewegung zu diesem Zeitpunkt offene, heftige Auseinandersetzungen vermied - Kampf lag ihr nicht; der Mentalität dieser Frauen entsprach es weit mehr, durch Arbeit und mit Geduld für ein Ziel zu wirken.
Gegen Ende der 70er Jahre, etwa 1878 ff., kann man feststellen, daß der sogenannte »natürliche Beruf« der Frau in der Familie auch in der Diskussion der Frauenbewegung wieder stärker hervortrat, wobei seine Bedeutung als »kulturhistorischer Beruf« in den Vordergrund gestellt wurde. Hinter dieser neu anmutenden Akzentuierung verbirgt sich keine neue Konzeption des »natürlichen Berufes»; die Komponenten des »kulturhistorischen Berufes« der Frau waren seit Bestehen der bürgerlichen Frauenbewegung (in Ansätzen schon während der 40er Jahre) in den Rahmen der Frauenbestrebungen eingebettet.
Zum Ausgangspunkt und zentralen Leitgedanken wurde hier die Überzeugung, daß auch die Frau an der Kulturarbeit des Volkes teilnehmen müsse. Gemessen an der historischen Situation war dies eine anspruchsvolle Forderung, in den Bereich des Möglichen wurde sie gerückt
- durch die Vorstellung, daß der Begriff Kultur die Gesamtheit aller Lebensäußerungen eines Volkes umschließe: seine höchsten geistigen, künstlerischen und wissenschaftlich-technischen Leistungen wie auch seine Art zu leben, zu denken, zu fühlen und zu handeln;
- durch die Überzeugung, daß Mann und Frau zwar körperlich und deshalb auch seelisch verschieden, aber dennoch ebenbürtige Geschöpfe seien; der Ausgleich dieser Verschiedenheit vollziehe sich durch die Vereinigung beider zu einem Ganzen.[32]
Dachte man naheliegend hierbei zunächst an die Ehe, so übertrug man diesen Gedanken auch auf die Kulturarbeit; und vollzog man in der Ehe eine Teilung der Arbeitsbereiche, so glaubte man, dasselbe auch in der Kulturarbeit tun zu können.
Aus diesen Vorstellungen folgerte man nun, daß, wo immer auch die Frauen wirken mochten, ihre Tätigkeit Kulturarbeit sei, und zwar eine notwendige und deshalb auch wertvolle, da die Harmonie der menschlichen Kultur und allen Lebens nur erwachsen könne aus dem »Ausgleich« der verschiedenen »Naturen« der Frau und des Mannes; mit dem Blick auf die Kulturarbeit bedeutete dies: gemeinsame Kulturarbeit für ein gemeinsames Ziel unter Anpassung ihres Inhalts und ihrer Methoden an die »spezifisch« weibliche und männliche Individualität.
Diese Gedanken bildeten z. B. auch den Hintergrund eines Referates von Auguste Schmidt auf der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins 1871; sie betonte:
»Allein die Gleichheit (zwischen Mann und Frau, d. V.) sei zu allen Zeiten gegründet gewesen auf die Verschiedenheit der Naturen. Nur wo die Kultur mit der Natur übereinstimme habe sie Bestand. Aber die Arbeit an der Kultur sei eine für Mann und Frau gemeinsame; sie streben beide nach denselben Zielen, aber wenden zu deren Erreichung verschiedene, ihrer Individualität gemäße Mittel an«.[33]
Die Äußerungen des Lette-Vereins stimmen ganz mit diesem Zitat überein.
Da den Frauen die Teilnahme an den höchsten Kulturbereichen durch eine mangelhafte Schulbildung, durch den Ausschluß von Universitäten und höheren Berufen unmöglich gemacht wurde, konzentrierten sie sich in ihrer Kulturarbeit auf den Raum, der ihnen offenstand:
- a) auf die Familie, die nach einhelliger Meinung eine Pflegestätte des Idealen und Schönen und der Ort der Harmonie und höchsten edlen Strebens sein sollte;
- b) auf weitverzweigte Bildungsbestrebungen, die, wenn teilweise auch schwächer entwickelt, von der Bildung der Handarbeiterinnen bis zur Frauenbildung an Universitäten reichten;
- c) auf eine »gemeinnützige« Tätigkeit.
Naturgemäß standen die Bildungsbestrebungen (b) bei der Frauenbewegung an erster Stelle, denn ohne adäquate Frauenbildung war jede Art der Kulturarbeit unmöglich, auch im Kreis der Familie; dieser Gesichtspunkt war deshalb gleichzeitig ein Hauptargument für eine bessere Erziehung und Ausbildung der Mädchen. Unerschütterlich aber war man von der Kulturmission der Familie (a) überzeugt; man betrachtete sie als kleinste soziale Einheit, die im Embryonalzustand all das in sich trage, was sich in der Gesamtheit der Familien, dem Staat (ja sogar der ganzen Menschheit) positiv oder negativ auswirke;[34] so betonte Louise Otto-Peters (und sie äußerte hier eine weit über die Kreise der Frauenbewegung hinaus verbreitete Anschauung):
»nur durch die edlere Gestaltung des Familienlebens, welche die Grundlage des Staatslebens ist, kann dieses selbst sich in würdiger Weise entfalten«.[35]
Und:
»... die Familie sei da um der Menschheit willen, die sich aus ihr nicht nur ergänzen, sondern zu höherer Blüte und Vollendung entwickeln solle«.[36]
Abgesehen von der Fröbelbewegung, die direkt für eine »Veredelung« des Familienlebens wirkte durch eine Vorbereitung der Mädchen auf ihren mütterlichen und hausfraulichen Beruf (und die durch einige in beiden Bewegungen führende Frauen auch in die Frauenbewegung hineingetragen wurde),[37] wirkte man in der Frauenbewegung nach den vorliegenden Quellen bis um 1876 vor allem für eine Hebung des Bildungsniveaus und der beruflichen Fähigkeiten sowie der rechtlichen und allgemein menschlichen Stellung der Frau; und man war überzeugt, daß sich als eine natürliche Folge dieser Arbeit auch die Innenkultur der Familie »veredeln« und ihr kultivierender Einfluß auf das Volksleben intensivieren werde.
Gegen Ende der 70er Jahre und folgend wandte man sich deutlicher der Ehefrau und Mutter und der Bedeutung ihres Wirkens zu; und gerade hier findet man einen neuen Akzent - einen fast »politischen«, für den Marie Calm [38] den Begriff des »kulturhistorischen Berufes« der Frau [39] prägte. Die Ursache liegt auf der Hand: wieder einmal waren die Zeiten gewaltsam laut geworden - Kaiserattentate, Sozialistengesetz, soziale und politische Spannungen, Zarenattentate - Nihilismus, Materialismus, Sittenlosigkeit! Die Frauen erkannten ihre Aufgabe: die Familie mußte diesem Geschehen gegenüber einen »sittlichen Damm« bilden.[40]
Und da man noch immer fest in dem Glauben wurzelte, die größten Menschheitsprobleme vor allem durch Erziehung und »Bildung« lösen zu können, erwuchs daraus den Frauen die »kulturhistorische« Aufgabe zu erziehen, und zwar da, wo man Einfluß besaß: in der Familie und in den Frauenkreisen, mit denen man in Berührung kommen konnte. Obgleich diese neue Aufgabenstellung andeutet, daß man die Einflußlosigkeit der Frauen im großen politischen und kulturellen Leben erkannt hatte, nahm man den »kulturhistorischen Beruf« der Frau wichtig und maß ihm große Bedeutung bei. Als zentrale Erziehungsziele dürften gegolten haben: Sittlichkeit und Vaterlandsliebe.
In den unteren Ständen wollte man »gute, brave Mütter« und »brave, tüchtige« Gattinnen [41] sehen; man wünschte ihre Erziehung zu »Ordnung und Reinlichkeit, Zucht und Sitte«, um sie zu befähigen,
- a) die Töchter im gleichen Sinne zu erziehen und sie fernzuhalten von Putz, Tand und Vergnügungssucht,
- b) »den wilden Sinn der Söhne durch Sanftmut und Frömmigkeit (zu, d. V.) bezähmen«,
- c) »der Roheit des Mannes das Gegengewicht« zu halten; sie »soll ihr Heim zu einem behaglichen machen, damit der Mann sich darin wohler fühle als im Verkehr mit seinen wüsten Genossen«.[42]
Die Mädchen und Frauen der »besseren Stände« sollten erzogen werden zur Wahrheitsliebe, Solidität und Treue, zu häuslichem Sinn, Sanftmut, Sittsamkeit und echt weiblichen Tugenden - und zur Liebe zum Vaterland,
- a) um ihren Kindern (und Dienstboten) eine rechte Erzieherin werden zu können; hierbei sollte »die erste Forderung, die sie an ihre Kinder zu stellen hat, die eines unbedingten Gehorsams« sein, »eines Gehorsams gegen die Gesetze und Leiter der Familie, auf welchem der Gehorsam gegen die Gesetze und Leiter des Staates basiert»;
- b) um den Gatten eine dem Luxus und Vergnügungskult abholende, sparsame Wirtschafterin, aber zugleich verständnisvolle Gefährtin sein zu können, die in ihrer Eigenschaft als »Vertreterin des Idealismus« den Ehemann »zu ideellen Anschauungen und Bestrebungen« zurückführen konnte, falls ihn die Flut des Materialismus fortreißen sollte, und die »durch ihn« ihren Einfluß geltend machte »für Frieden, für Recht und Ordnung»;
- c) um in dem von ihr geleiteten Haus »die Liebe zu dem gemeinsamen Vaterlande« pflegen zu können, denn:
»die Dienstboten eines solchen Hauses werden bessere Untertanen werden, der Sohn, der am Knie der Mutter schon beten gelernt hat für seinen lieben, guten Kaiser, wird als Mann diesem Kaiser treuer dienen»![43]
Andererseits wurde aber dieser »kulturhistorische Beruf« nicht auf Mütter und Gattinnen beschränkt; alle Frauen und ganz besonders die Lehrerinnen und Erzieherinnen waren angesprochen, in diesem Sinne zu wirken, denn die Grenzen dieser Mission wurden weit gezogen und umschlossen den
»Beruf als Priesterin des Hauses, als Erzieherin der Jugend, als Vertreterin der Sitte, als Hüterin der höchsten Güter der Menschheit: des ideellen und religiösen Elementes«.[44]
Auch die Mittel ihrer Einflußnahme wurden dargelegt; die Frau sollte wirken
»mit den sanften Waffen, die ihr verliehen,
dem mahnenden Worte,
der Macht des Beispiels,
der Würde und Anmut ihres Wesens...[45]
So konservativ einerseits dieser Vorgang anmutet, der wie kaum ein anderer die geistige Bindung der organisierten Frauen an die Vorstellungswelt der 40er Jahre verrät, so bedeutsam wurde er für gleichzeitige oder nachfolgende Entwicklungen, die an anderer Stelle zu erörtern sind.
2. Entwicklungen in den höheren Bildungs- und Arbeitsbereichen
Ich fordere:
»Völlige Gleichberechtigung der Geschlechter auf dem Gebiete der Wissenschaft, in bezug auf die Bildungsmittel und die Verwertung der erworbenen Kenntnisse«.
Hedwig Dohm (1874)[45]
a) Mächte der Umwelt
Die Mauern, aufgetürmt aus Egoismus und Vorurteil, waren auf kaum einem Gebiet so anachronistisch und deshalb so hemmend und erdrückend wie auf dem hier zu behandelnden. Parteien in diesem Geschehen waren die Männer und Frauen der gehobenen und höheren bürgerlichen Schichten, in denen man die Männer als »Herren« und die Frauen als »Damen« zu bezeichnen pflegte. Vergleicht man die Entwicklung in Deutschland während dieser Zeitspanne mit den Vorgängen in England, Frankreich, der Schweiz und Nordeuropa, ja sogar in Rußland, wo die höhere Mädchenbildung mehr und mehr auf das Niveau der Knabenbildung angehoben wurde und wo man die Frauen, wenn auch teilweise nach heftigen Kämpfen, zum Universitätsstudium zuließ (nur Rußland ging in letzterem Sonderwege),[46] -zieht man ferner die U. S. A. ins Blickfeld, wo sich zusätzlich auch das Prinzip der Koedukation an Schulen weitgehend durchgesetzt hatte, so können die Parallelentwicklungen in Deutschland nur als erfolglos, schleppend und tastend, ja fast sogar als ängstlich und rückständig bezeichnet werden. Wo sind die Usachen für diese Entwicklungen zu suchen? Erstens in dem Komplex der Egoismen der Männer, den man in zwei Hauptbestandteile zerlegen kann:
- a) in jenes Wunschkonglomerat, das sich auf »echt weibliche« Gattinnen richtete, deren Idealtypus oben bereits geschildert wurde (B. 1.1);
- b) in ein Gemisch aus Konkurrenzneid und Konkurrenzfurcht gegenüber der Frau als Konkurrentin auf lukrativen Arbeitsgebieten.
»Ich glaube, beweisen zu können«, so stellte Hedwig Dohm 1874 fest,
»daß der maßgebende Gesichtspunkt für die Teilung der Arbeit nicht das Recht der Frau, sondern der Vorteil der Männer ist, und daß der Kampf gegen die Berufsarbeit der Frau erst beginnt, wo ihr Tagelohn aufhört nach Groschen zu zählen«.[47]
Einheitlich war deshalb das Bemühen der Herren, die Frauen ihrer eigenen Klasse in niedere Berufe zu drängen, in denen sie nur als (schlecht bezahlte) »Gehilfin des Mannes« fungieren konnten, und ganz besonders dasjenige Berufsgebiet zu negieren, auf dem der jeweilige Sprecher selbst tätig war.
Heinrich von Sybel (nationalliberaler Professor der Geschichte, 1870) pries ihre Überlegenheit auf dem Gebiet des Detailverkaufs, der Gärtnerei und der Krankenpflege; meinte auch weibliche Begabungen entdecken zu können auf dem Gebiet der Medizin, der Diplomatie und der priesterlichen Seelsorge; negierte aber dieselben auf dem Gebiet der Geschichte, der Philosophie und der Jurisprudenz; und er »schüttelt sich« vor einem weiblichen Advokaten, Literaten oder Zeitungsschreiber.
Grund? »Wir sehen den charakteristischen Reiz der Weiblichkeit zugrunde gehen«.[48]
Lorenz von Stein (freisinniger Professor der Nationalökonomie, 1875) war hingegen entzückt von weiblichen Literaten - und Künstlerinnen, »die uns so oft die schweren Stunden versüßen und das Herz erwärmen ...« - Am Pult, am Richtertisch und auf der Tribüne jedoch hörte für ihn die Frau auf, Frau zu sein; Grund? Sie kann hierbei nicht Gattin und Mutter sein.[49]
Theodor L.W. von Bischoff (Professor der Anatomie, 1872) kämpfte gegen weibliche Ärzte:
»Die Überladung des ärztlichen Standes mit unfähigen halbgebildeten weiblichen Handwerkern, wie sei allein von dem weiblichen Geschlechte zu erzielen sind, hemmt und stört die Fortbildung der ärztlichen Wissenschaft und Kunst auf das schädlichste«.
Gefährdet »unter gleichzeitiger unausbleiblicher Verdrängung männlicher Ärzte ... das sanitätliche Wohl des Staates« ...
Er empfahl »das Gebiet der Krankenpflege, in welchem die Frauen jedenfalls vor den Männern sich auszeichnen können«.[50]
Philipp von Nathusius (christlich-konservativer Professor der Theologie, 1871) gestattete die Berufe der Diakonissin, der Hebamme, der »Heilfrau« (einer halbwegs zur Ärztin graduierten Schwester) und der Elementarlehrerin und alle weiblichen Handarbeitsberufe und -arbeiten. Prinzipiell aber meinte er: »jedes Preisgeben an die größere Öffentlichkeit (ist) ein für allemal wider die Bestimmung des Weibes«[51]
... Insgesamt war jener Komplex der Egoismen nur ein hervorragender Nährboden für den zweiten ungeheuer hemmenden Komplex der Vorurteile; auch an diesem fällt sogleich die bereits bekannte Auffächerung auf:
- a) Mit dem Blick auf jene »echt weiblichen« Gattinnen glaubte man, wie Holtzendorff feststellte, »daß ein bestimmtes, wahres, genau festgestelltes Maß von Unwissenheit bei Frauen die Garantie häuslicher Tugenden sei, oder daß nur die in höherem Maße der Verstandesbildung ermangelnden Töchter würdig sind, von den Lyrikern besungen zu werden«.[52]
- Behauptete man gegenüber der Hausfrau, Gattin und Mutter die Notwendigkeit einer gewissen Unwissenheit, so sprach man den weiterstrebenden Frauen gleichzeitig die Fähigkeit zu jeder höheren geistigen Bildung und Arbeit ab - geistig wie auch körperlich.
Im »geistigen« Bereich, so glaubte man einhellig, verkörpere die Frau das Gefühl, sie sei ganz Herz, der Mann hingegen den Verstand; sie sei passiv und rezeptiv, er aktiv und produktiv.
Herr von Nathusius meinte hierzu:
»Logisches Denken, Abstraktion, System ... ist ein für allemal nicht Sache und Stärke der Frauen; und dies ist nicht Ergebnis ihrer Bildung, sondern tiefste Organisation ihrer Anlage. Es ist lauter Güte Gottes«.[53]
Und Herr von Sybel ergänzte:
»So hat die Natur das geistige Interesse der Frau nach einer anderen Seite gewandt, und ihr die methodische Durchbildung des Verstandes durch eine angeborene Feinheit und Schnelligkeit des Gesamtempfindens ersetzt, ... Der Mann gelangt zu einem festen Urteil über eine Erscheinung erst nach der Diskussion ihres Zusammenhanges mit allen anderen Dingen: die Frau ergreift oder lehnt sie ab nach dem unmittelbaren Eindruck auf ihr eigenes Wesen... Es ist die Gabe unvermittelter oder doch unbewußt vermittelnder Anschauung«.[54]
Der Anatom von Bischoff unterstrich die körperliche Unfähigkeit der Frauen:...
- sei das Gehirn der Frau anders gebildet als das des Mannes und sei auf der Waage gewogen leichter als das seinige; wozu jedoch andere Naturwissenschaftler bemerkten, daß bei dem Vergleich des Gehirngewichtes zum Körpergewicht nach Geschlechtern, die Frauen besser abschnitten als die Männer;
- sei der Frau durch Menstruation, Schwangerschaften und Klimakterium der Weg zu jeder höheren geistigen Bildung und Arbeit versperrt.
Zu diesen Argumenten gesellte sich ferner die allgemein verbreitete Überzeugung, daß die Gesundheit der Mädchen untergraben werde, wenn man sie in den Entwicklungsjahren mit geistiger Arbeit »überbürde«.
Das Maß an »Bildung«, das man den Frauen zubilligte, dürfte genau dem entsprochen haben, was man an den Frauen des eigenen Lebenskreises schätzte. Herr von Sybel stellte die höchsten Ansprüche und wünschte auch die Ausbildung der Mädchen in klassischen Sprachen, aber:
»Das Mädchen-Gymnasium soll die Vorbildung zur Hausfrau liefern«,... und nur bis zum 15. -16. Lebensjahre dauern; dann »gibt es für das jetzt zur Jungfrau entwickelte Mädchen naturgemäß nur eine Hochschule und nur einen Professor ... das Elternhaus und die Mutter«.[55]
Herr von Nathusius meinte:
»Das glückliche Vorrecht, in dem sich das Mädchen durch Gottes Gnade befindet, zunächst zu keinem besonderen Berufe gebildet zu werden, sondern ihn aus Gottes Hand zu empfangen, soll man ihnen nicht verkümmern, es soll die Grundlage weiblicher Erziehung bleiben«.
Nämlich:
»Lieben lernen,
sich anschließen,
sich unterwerfen und dienen lernen
(all das, wodurch sie eben zu Herrinnen des Hauses, zu >Frauen<, denn das heißt >Herrinnen<, werden) -...«
»Ihnen gelehrte Bildung zu geben, ist, meiner Auffassung nach, eine Erniedrigung der Frauen, aus einer viel edleren Sphäre heraus, und neben der Verschraubung der Frauen zugleich eine Beraubung der Männer, die in ihrer eigenen Wissens-Plackerei darauf angewiesen sind, eine Erquickung an der ungelehrten und eben deshalb oft klügeren oder weiseren Frau zu haben«. »Ohne Rousseau zu kennen, habe ich an einem anderen Orte ausgesprochen, wie viel tägliches Vergnügen man dem Manne raube, wenn man Mädchen zu gelehrt macht«.[56]
Daß derartige Anschauungen durchaus zu den allgemein anerkannten kulturellen Glaubenssätzen gehörten, beweisen die Thesen der 1872 zum ersten Male stattfindenden Versammlung von Dirigenten und Lehrenden deutscher höherer Töchterschulen [57] in Weimar;
in These II stipulierte man:
»Es gilt, dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit der Art und der Interessen ebenbürtige Bildung zu ermöglichen, damit der deutsche Mann nicht durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit an dem häuslichen Herd gelangweilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen gelähmt werde, daß ihm vielmehr das Weib mit Verständnis dieser Interessen und der Wärme des Gefühles für dieselben zur Seite stehe«.[58]
War hierdurch in Umrissen der Inhalt der Mädchenbildung festgelegt - sie war so zu gestalten, daß sie dem Manne gefiel - so gefiel den Männern keinesfalls das Studium der Frau. Es gab sicher nur eine verschwindend winzige Anzahl unter den deutschen Professoren, die dem Frauenstudium an den bestehenden Universitäten zustimmten; zu ihnen zählten u. a, die Professoren von Holtzendorff (der zeitweilige Vorsitzende des Lette-Vereins) und Julius Pierstorff;[59] zu den Gegnern des Frauenstudiums an den bestehenden Universitäten gehörten auch alle in diesen Kapiteln bereits zitierten Professoren. Die wichtigsten Gegenargumente der Männer wurden oben bereits zum größten Teil geschildert; sie erfuhren hinsichtlich eines gemeinsamen Studiums aber noch eine gewisse Bereicherung:
- trat die Sorge um das Niveau der wissenschaftlichen Leistungen der Universitäten hinzu; man war sicher, daß es durch die Gegenwart der Damen sinken werde, deren minderen geistigen Fähigkeiten sich die Lehrenden anpassen könnten;
- wirkte aber fast noch gravierender die Angst um die Sittlichkeit, weil »jedes Pelemele mit dem anderen Geschlechte von unausbleiblichem Übel« sei, wie es Herr von Nathusius zu formulieren beliebte. Herr von Treitschke rief in Berlin seinen Studenten zu:
»Soll man nun zwei Klassen Studenten haben, eine mit und die andere ohne akademische Freiheit? Soll wegen einer Zeitungsphrase (d.i. das Frauenstudium, d.V.) die herrliche Institution unserer Universitäten korrumpiert werden»?[60]
Die Mediziner vor allem ächzten unter der Last der Vorstellung, weibliche Studenten mit männlichen unterrichten zu müssen - z. B. über Dinge aus dem Bereich der Sexualsphäre! Herr von Bischoff beteuerte, dies sei ein grober Verstoß »gegen Anstand und gute Sitte«, »eine schamlose Preisgebung alles weiblichen Zartgefühls«.
»Ich für meine Person bin aus diesem Grunde vorzüglich fest entschlossen, weiblichen Zuhörerinnen zu meinen Vorlesungen niemals den Zutritt zu gestatten«.[61]
Während die Männer in dieser Weise ihre Abwehrfronten formierten, fanden sie ihren stärksten Bundesgenossen in jener von Konventionen eingeengten, gefesselten Masse der Frauen, von der Nietzsche sagte:
»Der Mann macht sich das Bild des Weibes, und das Weib bildet sich nach diesem Bilde«.[62]
Diese Frauen fühlten, dachten und handelten, wie »man« es von ihnen erwartete, das war weiblich, »sittlich«, erregte Wohlgefallen - und gab ihnen die größte Chance, den Vorsorger zu finden; also wurden auch die Töchter wieder in diesem Sinne erzogen. 1867 richtete sich Holtzendorffs Kritik sofort gegen diesen Mißstand, als er feststellte:
»Es gibt noch überwiegend viel Eltern, denen es allein richtig erscheint, ihre Töchter so recht weiblich fügsam zu erziehen - Geist und Gemüt so weich wie Wachs, damit ihr dereinstiger Gatte sich beides zurechtformen könne, ganz nach Wunsch und Belieben. So allein scheint es vielen in Ordnung, ja man schaudert vor anderen Zuständen zurück und meint: was soll das für Ehen geben«![63]
Die Kritik der führenden Frauen des Allgemeinen deutschen Frauenvereins stimmte mit der Holtzendorffs überein; beide Organisationen wirkten in demselben aufklärenden Sinne, aber nie verstummte vor allem Auguste Schmidts Klage über die Gleichgültigkeit der Frauen; richtiger wäre sicher die Klage darüber gewesen, daß Deutschlands Frauen sich blind der Allmacht der Sitte beugten und die Wünsche der Männer zu den ihrigen machten.
Will man überhaupt zu einer gerechten Würdigung der Vorgänge innerhalb der deutschen Frauenbewegung auf den verschiedensten Gebieten gelangen, und zwar für die gesamte in dieser Arbeit behandelte Epoche, dann muß man immer diese ungeheuren Mauern im Gedächtnis haben; abgebaut wurden sie im Grunde nie, nur der Text der aufgemalten Kampfparolen änderte sich; die Mauern selbst ruhten auf dem sicheren Fundament der Überzeugung, daß die Frau »dienen« müsse - dem Mann, seinen privaten und öffentlichen Interessen - und daß der Mann das Recht habe, die Frau zu zwingen, ihm in diesem Sinne dienstbar, nutzbar zu sein.
b) Höhere Mädchenbildung
Wendet man sich nun dem Geschehen um die höhere Mädchenbildung zu, so erhebt sich zuerst die Frage, warfen diese ungeheuren Mauern einen Schatten auf die Entwicklung der prinzipiellen Anschauungen der organisierten Frauenbewegung? Für die überwältigende Mehrheit der organisierten Frauen muß die Frage bejaht werden, denn diese von »Weiblichkeits»-Postulaten und »Weiblichkeits»-Kult widerhallende Umwelt machte es der Masse der organisierten Frauen schier unmöglich, ihre eigenen Anschauungen über das Wesen der Weiblichkeit einer nüchternen Kritik zu unterziehen: Im Elternhaus und in der Schule erzogen und gebildet im Sinne konventioneller Weiblichkeit, den Normen eines konventionell weiblichen Lebens auch als Erwachsene noch unterworfen inmitten der oben beschriebenen Umwelt (die Zugehörigkeit zu einem Verein der Frauenbewegung konnte faktisch daran nichts ändern), versuchte man nun, jene konventionellen Anschauungen über Wesen und Inhalt der Weiblichkeit mit den Zielen der Frauenbewegung in Einklang zu bringen. So verfestigte sich die Theorie von der physischen und der daraus resultierenden psychischen Verschiedenheit der Geschlechter, die aber gleichwertig seien und somit auch eine gleichwertige, jedoch der jeweiligen »Individualität« angepaßte Kulturarbeit zu leisten hätten (vgl. oben B. 1.1). In einem derartigen Gedankengebäude konnte sich hinsichtlich der Mädchen- und Frauenbildung bei der Masse der Frauen, auch derjenigen der Frauenbewegung, zunächst nur die Forderung einer der spezifischen Eigenart des weiblichen Geschlechts angepaßten verbesserten Erziehung und Bildung durchsetzen, durch welche die echte, wahre Weiblichkeit wie auch die Fähigkeiten der Frau zu voller Entfaltung und Wirksamkeit geführt werden sollten. Genährt und gefestigt wurden gleichzeitig jene Vorstellungen über die »Weiblichkeit« und die spezifisch »weibliche« Erziehung und Bildung durch den Einfluß der Fröbelbewegung, die von einigen in beiden Organisationen führend tätigen Frauen in die Frauenbewegung hineingetragen wurde. Sicher war es verdienstvoll und notwendig, eine Reform der Kindererziehung in der Familie herbeiführen zu wollen und auf eine höhere Gestaltung des Familienlebens hinzuarbeiten. - Doch nach den vorliegenden Zeugnissen zeigte diese Bewegung einen Hang zum Kleinen bei gleichzeitiger Überbewertung der durch die eigene Arbeit erzielten oder auch nur erstrebten Erfolge. So galt den Fröbelenthusiasten als höchstes Bildungsziel die »Ausbildung des mütterlichen Elementes in den Frauen«[64] -zunächst durch eine Ausbildung in der Fröbelschen Erziehungslehre und Kindergartenarbeit, ferner durch eine gründliche hauswirtschaftliche Vorbereitung (u. a. in Kochen, Haushaltsführung, Gesundheitspflege, Gärtnerei etc.). Für die breite Masse der Frauen dürfte eine auf diese Weise entfaltete »natürliche Mütterlichkeit« als höchstes Erziehungsziel gegolten haben; von diesen Frauen erwartete man die Erneuerung des Familienlebens und daraus resultierend auch eine Reform des verrohten, in Egoismus und einseitigem Intellektualismus versunkenen öffentlichen Lebens. Zudem sollte sich über die »natürliche Mütterlichkeit« und ihr zur Seite die »geistige Mütterlichkeit« entfalten, die Henriette Schrader-Breymann (Nichte Friedrich Fröbels, Freundin Helene Langes in Berlin) wie folgt skizzierte:
»Wenn die Frau die geistige Mütterlichkeit sich errungen, dann ist sie frei; d. h. sie erfaßt das Leben groß, sie sieht die Gegenwart und die Zukunft im Zusammenhange, und wenn sie nicht in der Ehe steht, wenn sie keine leiblichen Kinder geboren hat, so ist sie doch nicht als 'ausgelöstes Glied der Kette der Menschheit' zu betrachten. Wir Frauen bleiben eben Frauen, wenn wir persönlich Liebe geben, Liebe wecken; aber damit wir bei aller Persönlichkeit frei werden, brauchen wir die Wissenschaft, die Kunst, nicht um ihrer selbst willen, sondern um sie wieder persönlich zu verwenden. Wir müssen uns alle fühlen als Mütter der Menschheit, als Teil des weiblichen Prinzips, das dem männlichen Wirken für das Ganze seine Ergänzung gibt«.[65]
Der Weg auch zu diesem Ziel führte über die oben beschriebene Fröbelsche »Grundausbildung« und erforderte im weiteren weiblichen Bildungsgang
»die Pflege dessen im Weibe, was gerade das Andere ist im Vergleich mit dem Manne, nicht durch immer größeres Aufheben dieses Anderen und durch Beförderung einer Gleichheit des Wesens der Geschlechter«.[66]
Die Quellenlage für diesen Zeitabschnitt macht es schwierig, den Einfluß der Fröbelbewegung exakt abzuschätzen; er dürfte jedoch zeitweise beträchtlich gewesen sein vor allem auf dem Sektor der Prinzipienfragen über das Wesen der »Weiblichkeit« und den »Beruf« der Frau und hiermit verbunden auf dem Gebiet der Bildungsfragen. Kritische Stellungnahmen zu den Prinzipien der Fröbelbewegung sind aus den Kreisen der organisierten Frauenbewegung nicht nachweisbar;[67] diese Prinzipien wurden akzeptiert, da sie der Gefühlslage und der Geisteshaltung der Frauen entsprachen, und sie fanden ihren Niederschlag in dem von beiden Frauenorganisationen für die Mädchenbildung anerkannten doppelten Erziehungsziel: Bildung für den Beruf der Hausfrau, Gattin und Mutter - und für einen Erwerb. Der Inhalt dieser beiden Bildungsziele ergab vereint die spezifisch »weibliche« Bildung, die man in Berlin definierte als allgemeine Menschenbildung unter Pflege der eigenartigen Frauenbildung.[68] In der Kritik der bestehenden höheren Mädchenbildung stimmten der Allgemeine deutsche Frauenverein und der Lette-Verein völlig überein: sie sei nur eine Scheinbildung, zu oberflächlich, zu ästhetisch, von zu kurzer Dauer; ihr Inhalt werde bestimmt von dem Ziel, daß das Erlernte »Schmuck für den Salon« sein solle; sie bilde weder den Charakter, noch das Gemüt, schule nicht den Verstand und sei vollkommen wertlos für den Kampf des Lebens. Es fällt jedoch auf, daß während der Anfangsperiode von beiden Frauenorganisationen keine umfassenden Reformpläne unterbreitet wurden; man mühte sich um die Klärung prinzipieller Bildungsfragen auf verschiedenen Ebenen:
- a) Auf einer unteren Ebene arbeiteten überall die Fröbelanhänger; sie bereiteten auf den Beruf der Mutter, Hausfrau und Gattin vor; Bildungsziele, Lehrgegenstände und Methoden waren hier schon ausgereift, erprobt und unbestritten; die größten praktischen Erfolge (in Gestalt von Kindergärten, Seminaren, Kochschulen und anderen Anstalten) wurden deshalb auch der Fröbelbewegung zuteil. Der vordringlichste theoretische Beitrag der Fröbelanhänger zur höheren Mädchenbildung bestand in der Forderung, daß alle Mädchen in einem Lehrgang in die Fröbelsche Erziehungslehre und Kindergartenarbeit u. a. m. eingeführt werden sollten. Neben der Vorbereitung für die eigene hausmütterliche Tätigkeit erhoffte man als weitere erzieherische Wirkung, daß das »schnurrbärtige Ideal«[69] aus den Gedanken und Phantasien der Mädchen verschwinden werde; so meinte Henriette Goldschmidt [70] (Vorstandsmitglied des Allgemeinen deutschen Frauenvereins): »Die Phantasie der Jungfrau bleibt im Umgange mit der harmlosen Kinderwelt rein und keusch, und der Unterricht der damit im Zusammenhang sich befindet, flößt der Jungfrau Achtung und eine Art heiliger Scheu in Rücksicht auf ihre erziehliche Aufgabe ein und bewahrt sie vor einer leichtsinnigen frivolen Auffassung der Ehe«.
- b) Auf der weitaus wichtigeren Ebene der schulischen höheren Mädchenbildung erreichte man in der Theorie zu Beginn nur ein Stadium sehr allgemeiner »Grundsatzerklärungen«.
Im Kreis des Allgemeinen deutschen Frauenvereins war zu diesem Zeitpunkt die beste Pädagogin ohne Zweifel Auguste Schmidt, die 2. Vorsitzende, selbst Leiterin eines Mädcheninstitutes und eines Lehrerinnenseminars in Leipzig (in letzterem war Klara Zetkin bis 1878 [71] ihre Schülerin). Auguste Schmidt legte den Finger sicher auf die rechte Stelle, als sie eine erhöhte Verstandesbildung und wissenschaftlichen Unterricht forderte, nur ein solcher könne zu wahrhaft »ästhetischer, intellektueller, sittlicher Bildung« führen.[72] Sie wünschte insgesamt eine harmonische Entfaltung aller im Mädchen ruhenden Anlagen und Fähigkeiten und ihre Entwicklung zu »wahrer Weiblichkeit«, welche bestehe
»in Aufopferungsfähigkeit und Hingebung,
in ernster Arbeit und höchstem Streben,
in Wahrheit und Treue«.[73]
Sie war überzeugt, daß durch eine solche umfassende Verstandes- und Charakterbildung das Mädchen für jeden Beruf - den »natürlichen« und den Erwerbsberuf - am besten vorbereitet werde. - Auguste Schmidts Ziele waren »ideal« genug formuliert, um im Allgemeinen deutschen Frauenverein (ebenso im Lette-Verein) auch von ganz vorsichtigen Mitgliedern vertreten werden zu können.
Im Bereich des Lette-Vereins wirkte Professor von Holtzendorff im gleichen Sinne; zur Vorbereitung für jeden Frauenberuf sei es Aufgabe der Erziehung,
»daß sich die geistige und sittlich freie Persönlichkeit bis zu denjenigen Grenzen ungehindert entfalten könne, die sie zu erreichen befähigt und geneigt ist«.[74]
Mit einem Seitenblick auf die erfolgreich durchgeführte Koedukation in den U.S.A. zweifelte er, ob die geistige Anlage der Frau von der des Mannes so verschieden sei - »Wieder eilt uns da Amerika vor«[75]... * lautete sein sehr fortschrittliches Urteil 1867.
Im Hinblick auf die praktischen Schritte zur Realisierung einer reformierten höheren Mädchenbildung vertrat Holtzendorff die Auffassung daß dies Aufgabe des Staates sei; der Allgemeine deutsche Frauenverein dürfte zu Beginn seine Anschauung geteilt haben. - Hierbei ist jedoch zu bedenken, daß den deutschen Bundesstaaten zu diesem Zeitpunkt die höhere Mädchenbildung völlig gleichgültig war, in Preußen z. B. existierten noch nicht einmal Bildungspläne.[76] Die höhere Mädchenbildung wurde zudem fast ganz den Privatschulen überlassen; so wurden von 1800 - 1870 im Deutschen Reich nur 115 öffentliche Mädchenschulen gegründet (davon 80 in Preußen,[77] 15 in Norddeutschland, 20 in Süddeutschland;[78] zum Vergleich sei Berlin genannt, das 1878 47 höhere Töchterschulen besaß, nur eine derselben war staatlich, die Anzahl der kommunalen wird nicht genannt).
Es ist nun höchst interessant festzustellen, wie die fortschrittlichen Kräfte des Allgemeinen deutschen Frauenvereins im ersten frischen Anlauf 1867 diese Hindernisse in fast »revolutionärer« Weise zu nehmen gedachten - »revolutionär« jedoch nur im Hinblick auf die oben geschilderten Vorstellungen über das Wesen und die spezifische Bildung der »weiblichen Individualität«.
So nahm man auf der Generalversammlung 1867 einstimmig den folgenden Antrag Henriette Goldschmidts an:
»Der Verein wolle sich auf dem Wege der Petition an Regierungen und Kommunalbehörden dahin verwenden, daß die bestehenden Unterrichtsanstalten auch dem weiblichen Geschlecht zugänglich, auch solche für das weibliche Geschlecht besonders gegründet würden, um dasselbe höherer Bildung teilhaftig und besser erwerbsfähig zu machen«.[79]
Mit dem Blick auf die höhere Mädchenbildung konnte das nur bedeuten:
- a) Zulassung der Mädchen zu den bestehenden höheren Bildungsanstalten der Knaben und
- b) Neugründung solcher Anstalten für Mädchen;
ferner verbarg sich in a) zugleich das Prinzip: gleiche Schulbildung für Mädchen und Knaben. - Es fehlt jeder Hinweis auf irgendwelche Petitionen in dieser Richtung; man darf sicher sein, daß auch nicht petitioniert wurde. Die Gründe hierfür lassen sich vermuten: teilweise dürften die Delegierten zuerst nicht die volle Tragweite ihres Beschlusses erkannt haben und drängten nach gewonnener Einsicht den Vorstand zu »reiflicher Erwägung«, eine Haltung, die sich nachträglich auch im Vorstand angesichts der Aussichtslosigkeit dieser Forderungen und der zu erwartenden Anfeindungen und Kämpfe durchgesetzt haben dürfte. Auf der Generalversammlung 1868 wiederholte Henriette Goldschmidt ihren Antrag, aber sie mußte ihn nun schon modifizieren unter Rückgriff auf das Vereinsprogramm und die Statuten und entsprechend den oben angedeuteten Bedenken: Man solle überall auf dem Wege der Petitionen an Behörden, Institute und gemeinnützige Vereine Vorschläge unterbreiten, »deren Realisierung geeignet ist, die der weiblichen Arbeitskraft im Wege stehenden Hindernisse zu beseitigen«. Zu fordern sei:
- die Verbesserung des weiblichen Unterrichts,
- die Umwandlung von Mädchenschulen in Berufsschulen,
- die Zulassung der Frauen zum Medizinstudium.[80]
In den Beschlüssen war man diesmal sehr vorsichtig, man spürt deutlich den Einfluß der zögernden, konventionellen Kräfte:
- erteilte man dem Vorstand die Vollmacht, an den Norddeutschen Reichstag eine Petition zu richten, daß er bei Beratung der Unterrichtsverhältnisse auch den Mädchenunterricht berücksichtige und anordne, daß das Schulamt in ausgedehnterer Weise den Frauen zu übertragen sei unter besonderer Berücksichtigung des Land- und Volksschulwesens und des Handarbeitsunterrichts;[81]
- beauftragte man den Vorstand mit der Ausarbeitung einer Vorlage für die Allgemeine deutsche Lehrerversammlung in Berlin (Pfingsten 1869), daß man bei den Verhandlungen auch die Mädchenschulen und Lehrerinnen berücksichtigen möge; Auguste Schmidt und Marie Calm wurden beauftragt, als Delegierte den Lehrertag zu besuchen, die Vorlage zu unterstützen und als Vertreterinnen des Allgemeinen deutschen Frauenvereins unter den Lehrerinnen zu wirken;
- beschloß man, diese Beschlüsse den Lokalvereinen mitzuteilen und es ihnen zu überlassen, bei ihren Lokalbehörden den Mädchenunterricht so viel wie möglich zu vertreten;
- diskutierte man das Medizinstudium; notwendig sei es, doch wo solle man petitionieren? Da die Situation im Norddeutschen Bund noch nicht als günstig »dafür« empfunden wurde, übertrug man die Angelegenheit dem Vorstand zur Überprüfung, er solle die notwendigen Schritte unternehmen.[82]
Der Wechsel von der Aktionsebene des Jahres 1867 zu der des Jahres 1868 - oder genauer: der Zusammenbruch der gezielten, vorwärtsdrängenden Aktivität ist charakteristisch für das Wirken des Allgemeinen deutschen Frauenvereins während der ersten Jahrzehnte (die Gründe für diese Vorgänge sind an anderer Stelle zu untersuchen).
Wichtig jedoch ist, daß, soweit das Quellenmaterial Auskunft gibt, mit Beschluß 3 das Ende der direkten gezielten Unternehmungen in Sachen höherer Mädchenbildung bis Ende der 80er Jahre erreicht war. Der Allgemeine deutsche Frauenverein wandte sich nun der Schritt-für-Schritt-Methode zu, nämlich der unermüdlichen Klärung dieser Probleme in den eigenen Reihen und der Propagierung seiner Ideen und Ziele nach außen.
Zum gleichen Zeitpunkt dürften auch die fast ausschließlich männlichen Führungskräfte des Lette-Vereins in Sachen höherer Mädchenbildung die Ebene der Diskussion kaum verlassen haben [83] in Kenntnis der Aussichtslosigkeit direkter Verstöße gegenüber den öffentlichen Gewalten (teilweise vielleicht auch aus eigener Skepsis und Abneigung). -Jenny Hirsch berichtet (leider ohne genaue Zeitangabe), daß später unter dem Vorsitz von Frau Schepeler-Lette (1872 ff.) vor allem auf ihren Wunsch hin der Plan einer Schule entworfen worden sei, die planmäßig auf das Abitur und ein Universitätsstudium vorbereiten und zugleich als Muster für andere Orte dienen sollte. Nach lebhaften Debatten im Ausschuß sei der Plan aufgegeben worden, nicht bloß wegen finanzieller Schwierigkeiten, sondern weil die gesetzlichen Hindernisse, mit denen man zu rechnen hatte, unübersteigbar gewesen seien. Trotzdem habe man ein Gesuch an Kultusminister Falk und eines an die städtischen Behörden gerichtet und Staat und Stadtgemeinde ersucht, Lehranstalten für das weibliche Geschlecht zu errichten, die auf ein Examen vorbereiteten, das zur Zulassung an Universitäten berechtige. Beide Gesuche seien abschlägig beschieden worden und auch »spätere Schritte« ohne Erfolg geblieben[84]... was der Lette-Verein, so darf man hinzufügen, als Träger verschiedener Berufsschulen in Berlin und im Besitz profunder »Regierungserfahrungen« auch mit Sicherheit hatte voraussehen können. Die Gesuche dürften nur als Beruhigungspflaster gegenüber dem kampflosen Verzicht auf eigene Schulpläne betrachtet worden sein, für die nur im privaten Rahmen ein Quentchen Hoffnung auf Erfolg bestanden hätte, denn Deutschlands Regierungen, allen voran die preußische, waren in Sachen höherer Mädchenbildung, wenn sie sich überhaupt darum kümmerten, Horte reaktionärster Anschauungen.
Einen winzigen Schritt vorwärts bedeutete die Konferenz, die im August 1873 von Kultusminister Falk zur Beratung über das mittlere und höhere Mädchenschulwesen in Berlin veranstaltet wurde, an der auch 5 Lehrerinnen neben 15 Männern teilnahmen. Die Lehrerinnen dürften mit Sicherheit dem Kreis des »Berliner Vereins für höhere Töchterschulen« (z. T. gleichzeitig dem »Verein deutscher Lehrerinnen und Erzieherinnen») angehört haben, da eine Delegation der erstgenannten Organisation bereits zu Beginn des Jahres 1873 Kultusminister Falk eine Denkschrift (die sog. »Berliner Denkschrift») überreicht hatte. Die hierin dargelegten besonderen Wünsche der Lehrerinnen hinsichtlich ihrer Ausbildung und Verwendung sind im folgenden Kapitel zu behandeln; interessant ist es aber festzustellen, wie stark von diesen Lehrerinnen der Mutterberuf als die Kulturaufgabe der Frau in den Vordergrund gestellt wurde; so betonte eine diesen Kreisen angehörende, sehr rührige Berliner Lehrerin (auf der 19. Allgemeinen deutschen Lehrerversammlung 1870 in Wien):
»Die Frau hat gleich dem Manne eine Kulturaufgabe zu vollziehen, die sich an das Menschheitsganze wendet und die zuvörderst in der erziehlichen Tätigkeit der Frau ihre Lösung findet. ...
Die Erziehung des kommenden Geschlechts ist die eigenweibliche Mission der Frau, ...
In dieser Aufgabe des weiblichen Geschlechts müssen wir den Schwerpunkt suchen, wenn wir die Ziele der Erziehung für die männliche und weibliche Jugend voneinander unterscheiden wollen«.[85]
Und obgleich sie eingestehen mußte, daß der »natürliche Beruf des Weibes« nicht Lebensaufgabe aller Frauen werden könne und daß die Frau wie der Mann auch ihre Arbeitskraft beruflich betätigen müsse, stipulierte sie als Bildungsziel:
- Das weibliche Geschlecht muß durch die Erziehung und den Unterricht bereits auf seine speziell erziehliche Aufgabe nach allen Seiten hin sowohl praktisch wie theoretisch vorbereitet werden.
- Die Erziehung und der Unterricht des weiblichen Geschlechts müssen derart gestaltet sein, daß das Mädchen nach vollendeter Schule ausgestattet ist mit solidem Wissen und Können, daß sie geschult ist in klarem Denken und sittlichem Wollen«.[85]
Mochte nun faktisch ein gewaltiger Unterschied bestehen zwischen dem männlichen Mädchenbildungsziel einer »angenehmen« Gattin und dem weiblichen einer wahrhaft gebildeten und befähigten Mutter, so war die weibliche Konzeption, da man sich auf eine »spezifisch weibliche« und nicht eine »höchste menschliche« Bildung konzentrierte, nicht geeignet, den männlichen Vorstellungen auf der Berliner Augustkonferenz (1873) einen wirksamen Damm entgegenzusetzen; denn so lange man speziell das Weib als Mutter bilden wollte, konnten die Männer behaupten, auch ihr Erziehungsziel bedenke die Mutter, da in der damaligen Vorstellungswelt der Komplex Gattin - Mutter - Hausfrau ein absolut unzertrennlicher war. Von größter Bedeutung war jedoch, daß sich unter den 15 Herren auch solche befanden, die 1872 die berühmt-berüchtigte »Weimarer Denkschrift« unterzeichnet hatten (Mädchenbildung - damit der deutsche Mann am häuslichen Herd nicht gelangweilt werde!). Diesen Männern gelang es, auch in Berlin zu dominieren; die Beschlüsse der Konferenz fielen in ihrem Sinne aus. Wichtig und ein Fortschritt waren jedoch die Bestimmung der Schuldauer (10 Jahre, Schulalter 6-16 Jahre) und die Festlegung auf zwei neuere Fremdsprachen. - Eines offiziellen Erlasses hierüber wurde aber die höhere Mädchenschule nicht für wert befunden; offiziell hieß es, man müsse noch Erfahrungen sammeln. Die Mädchenschulpädagogen hatten somit freie Hand; und der 1873 gegründete »Verein von Dirigenten und Lehrenden höherer und mittlerer Mädchenschulen«, dessen Mitglieder sich aus allen Teilen Deutschlands rekrutierten, konnte sich nun an die Arbeit begeben, um durch Beschlüsse in seinen Versammlungen, durch Zeitschriften und andere Publikationen im ganzen deutschen Reich eine Überarbeitung, Straffung und Vereinheitlichung des Lehrstoffes und des inneren Schulaufbaues anzuregen - und auch durchzuführen, ganz im Sinne konventioneller Frauenbildung und entsprechend dem 1872 in Weimar (neben der Nichtlangeweile des Ehemannes) definierten Bildungsziel:
»Die höhere Mädchenschule hat eine harmonische Ausbildung der Intellektualität, des Gemütes und des Willens in religiös-nationalem Sinne auf realistisch-ästhetischer Grundlage anzustreben«.
Überblickt man die Entwicklung der höheren Mädchenschule von diesem Zeitpunkt an, so gewinnt man den Eindruck, daß dieser Verein mitsamt der Mädchenschulreform wie ein behäbiges Schiff in vertrauten Gewässern alte Bahnen segelte, im Beiboot die um ihre Interessen kämpfenden Lehrerinnen, von den Regierungen beileibe nicht gestört [86] und auch von der Frauenbewegung und den Lehrerinnen nie ernsthaft attackiert - bis zum Jahre 1887/88. Innerhalb der organisierten Frauenbewegung empfing die Diskussion über die höhere Mädchenbildung während der 70er Jahre neue Anregungen aus der lebhaften Erörterung des Medizinstudiums der Frauen; hierbei konzentrierte man sich auf die Zulassung der Frauen zu den bestehenden Universitäten. - Es waren Männer, die nun auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Vorbildung hinwiesen mit dem Fingerzeig, daß ohne eine solche eine »Öffnung der Universitäten« nicht zu erwarten sei.
1878 untersuchte Professor Gneist das System der Koedukation in den U. S. A., lobte es und schlug vor, daß in kleineren Städten die Mädchen in Gymnasien und Realschulen aufgenommen werden sollten, in größeren Städten allerdings verbiete sich dies zumeist durch eine Überfüllung. - Gegenwärtig aber seien Gymnasialkurse mit Abiturientenexamen die Voraussetzung für eine Zulassung der Frauen als Gasthörer (!) an den Universitäten.[87]
1879 blickte Professor Leyden ebenfalls recht wohlgefällig auf die U. S. A. und lobte zusätzlich das Prinzip der gleichen Bildung für Knaben und Mädchen in Rußland (allerdings in getrennten Gymnasien). - Für Deutschland betonte er die Notwendigkeit eines »Frauen-Lyceums«, dessen Unterricht dem der Gymnasien und Realschulen angepaßt sei.[88]
In beiden Vorschlägen wurde offensichtlich eine gymnasiale Ausbildung nach abgeschlossener höherer Töchterschule als der nächstgangbare Weg in Deutschland ins Auge gefaßt. - Das Viktoria-Lyceum in Berlin, das ebenfalls nach abgeschlossener höherer Töchterschulbildung Weiterbildungsmöglichkeiten bot (1875 ff. sogar in klassischen Sprachen), dürfte hierbei als Modell nicht ohne Einfluß gewesen sein.
Die Diskussion dieses Problems in den Frauenorganisationen zeigt die Merkmale eines doppelten Ringens: einerseits war man auf der Suche nach einer adäquaten Vorbereitung zur Universität auf privatem Wege, die Hoffnung auf eine Hilfe der Regierungen hatte man vorläufig aufgegeben; andererseits trug man schwer an der Last der inzwischen immer höher aufgetürmten konventionellen Vorurteile in den eigenen Reihen (denn je zahlreicher, breiter die Bewegung wurde, umso vielköpfiger wurde auch die Masse der rückständigen Mitglieder!), und zudem suchte man entsprechend den Zeichen der Zeit, dem »kulturhistorischen Beruf« der Mutter und Gattin gerecht zu werden (vgl. oben B. I.1).
Das Ringen mit dem letzteren war eindeutig das schwerere. Die Fröbelanhänger forderten wieder laut die Teilnahme aller Mädchen an einem Fröbelkurs als ideale Vorbereitung für den Beruf der Mutter und Gattin. In Berlin schuf Henriette Schrader-Breymann Ende der 70er Jahre eine Fröbelsche Ausbildungsstätte (die sich später zum Pestalozzi-Fröbelhaus entwickelte); in Leipzig erweiterte 1879 der von Henriette Goldschmidt geleitete »Verein für Familien- und Volkserziehung« seine 1872 gegründete »Schule für Theorie und Praxis des Kindergartens« zu einem »Lyceum für Damen«.
Marie Calm (Vorstandsmitglied im Allgemeinen deutschen Frauenverein und eifrige Mitarbeiterin im Lette-Verein) forderte mit dem Blick auf den »kulturhistorischen Beruf« der Frau, daß bei der Mädchenbildung die »Charakter- und Herzensbildung« im Vordergrund stehen müsse, und sie attackierte die männlichen Mädchenschulpädagogen, weil sie der Wissensbildung der Mädchen so großen Wert beilegten.[89] Gleich zweimal duldete der Vorstand des Allgemeinen deutschen Frauenvereins auf den Generalversammlungen 1875 und 1879 Hauptreferate (verschiedener Referentinnen), die die »Vorteile und Gefahren« resp. die »Notwendigkeit und Gefahren weiblicher Bildung« behandelten. Ein Bericht liegt nur für 1875 vor; doch hier rechnete man zu den Gefahren:
»Hochmut und Halbheit,
Verlust des Familiensinnes und Geringschätzung des Standes,
... eine Selbständigkeit auf Kosten der Weiblichkeit« und
die Trennung der »Frau von ihrem eigentlichen Wirkungskreis«.
Und die Vorteile?
»Die Fortbildung gibt Demut und Ganzheit, Vollkommenheit; weckt den Familiensinn und stärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit, macht tüchtig, pflichttreu, wahrhaft weiblich und gibt dem Frauengemüt die edelste Auffassung seiner Aufgabe«.[90]
Es fällt auf, daß man noch immer zuerst die Frage stellte: Wie ist eine Frau? Welche Wirkung hat eine bestimmte Ausbildung auf ihren Charakter, ihr Gemüt, ihre Moral? Dann, wenn überhaupt, fragte man erst nach der positiven Leistung. - Wichtig ist, daß durch diese bei der Masse der Frauen dominierenden Gefühls- und Denkschemata auch ihre Sympathie für die bestehende neun- oder zehnklassige höhere Töchterschule unerschüttert erhalten blieb; nach Meinung dieser Frauen sollten die Mädchen zunächst eine Ausbildung empfangen, die sich auch an ihnen, den Müttern, bewährt hatte, dann könne man sehen, ob sie heirateten oder ob sie sich auf einen akademischen Beruf vorbereiten wollten und ob sie dazu befähigt seien; jene Vorbereitung auf ein Studium konnte sich dann nur zu einem späteren Zeitpunkt auf einem »Sonderweg« vollziehen. Die in Berlin gegebenen Anregungen der Professoren in Richtung »Gymnasialkurse« und »Frauen-Lyceum« dürften deshalb in weiten Kreisen, nicht nur in Berlin [91] und im Bereich des Lette-Vereins, auf sehr fruchtbaren Boden gefallen sein, denn sie kamen den Wünschen all dieser Frauen weit entgegen: sie tangierten einerseits nicht den »bewährten« Erziehungs- und Bildungsgang und boten andererseits die Möglichkeit, den Beginn einer gymnasialen Vorbereitung ganz den individuellen Lebensverhältnissen anzupassen. Eine sehr rege Mitarbeiterin des Lette-Vereins und »Frauen-Anwalts« meinte sogar 1878, daß ein Mädchen vor dem 25. Lebensjahr kein wissenschaftliches Studium beginnen solle, denn:
»Nicht eher erreicht sie die volle physische und geistige Reife, deren sie bedarf, um eine so ernste und anstrengende Arbeit durchzuführen«.[92]
Eine etwas sonderbare Ansicht, die aber in Berlin Schule machen sollte.
Der Gang der Diskussion läßt sich nun andeutungsweise verfolgen. Als man in Berlin und im Bereich des Lette-Vereins die Weichen auf »Sonderausbildung« stellte, dürften im Allgemeinen deutschen Frauenverein Auguste Schmidt und Louise Otto-Peters sofort die Gefahren derselben erkannt haben: einerseits würde der gymnasiale Aufbau nach Abschluß der höheren Töchterschule das Ausbildungsalter der Mädchen überaus erschwerend erhöhen und der höheren Mädchen- und Frauenbildung zudem ständig den Stempel eines Ausnahmezustandes aufdrücken - und andererseits könnten aus letzterem Regierungen, Universitäten und Behörden die »Legitimation« ableiten, auf den höheren Bildungs- und Arbeitsbereichen der Frauen auch weiterhin ein hemmendes Netz spitzfindiger Sonderregelungen zu spinnen, um die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu verhindern. - Tatsächlich lag aber auch ein besserer und wirklich problemgerechter Plan schon in ihren Vereinsakten: 1872 hatte auf der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins ein Schul- und Lehrerinnenseminarleiter Dr. Wendt über ein »Parthenagogium Realgymnasium für Mädchen«[93] referiert, eine Anstalt, die Schülerinnen im Alter von 12 - 18 Jahren zum Abitur führen sollte [94] (die höhere Töchterschule hätten diese Mädchen dann nur im Alter von 6 (7) bis 12 Jahren besucht). 1872 war auch der Antrag gestellt worden, »um die Errichtung solcher Anstalten zu petitionieren»; hierzu berichtet Louise Otto-Peters:
»Der Antrag ward zahlreich unterstützt, nur konnte man noch nicht schlüssig werden, ob man zuerst oder zuletzt an den Reichstag sich wenden wolle und nicht die ersten Versuche bei den Einzelregierungen und Landtagen machen wolle. So blieb die Frage noch eine offene, die erst in gründliche Erwägung zu ziehen«.[95]
Auf diesen Plan griff man in Leipzig zurück, als im Oktober 1880 Auguste Schmidt als Delegierte des Allgemeinen deutschen Frauenvereins am Verbandstag des Lette-Vereins und der ihm angeschlossenen Frauenbildungs- und Erwerbsvereine teilnahm. Sie unterbreitete dieser Versammlung den etwas modifizierten, aber immer noch problemgerechten und fortschrittlichen Vorschlag, an der höheren Töchterschule im 13. /14. Lebensjahr eine Gabelung vorzunehmen und diesen gymnasialen Zweig bis zum (vollendeten) 18. Lebensjahr zum Abitur zu führen und zwar müsse von der Privatschule aus »der Versuch einer Vorbildung für die Universität durch Klassenunterricht geschehen«.[96] Man darf annehmen, daß Auguste Schmidt diesen Ausweg zugleich als Bahnbrecher und Wegbereiter für eine allgemeine Reform der höheren Mädchenschule im schulischen Leben wirken lassen wollte.
Aber Auguste Schmidts Vorschlag dürfte bei den oben geschilderten Frauenkreisen wenig Sympathie gefunden haben; als sie auf der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins 1885 nochmals ausführlicher auf das Thema einging [97] verschob sie den Ausbildungsbeginn nun auf das 15. Lebensjahr und sprach jetzt auch von einem »Gymnasialkurs«, der auf privatem Wege einzurichten sei, dann müsse man eine Regierung finden, die das Maturitätsexamen abnehme und dem Frauenstudium zustimme.
Aber es erfolgten keine konkreten Maßnahmen, wozu besonders bemerkenswert ist, daß dem Allgemeinen deutschen Frauenverein von einem Ehepaar Ferdinand und Louise Lenz von 1885-88 insgesamt 130. 000 Mark [98] für das Frauenstudium und die Errichtung eines Mädchengymnasiums gestiftet wurden; der Verein war hierdurch in der Lage, deutsche Studentinnen an Schweizer Universitäten zu unterstützen (ebenso Mädchen, die sich auf die Schweizer Maturität vorbereiteten), zugleich aber hatte er auch für das Experiment Gymnasialkurse eine solide finanzielle Basis gewonnen. Doch als die letzte Schenkung von 80. 000 Mark speziell für die Errichtung eines Mädchengymnasiums übergeben wurde, schrieb man das Jahr 1888, in dem die entscheidenden ersten Kontakte zwischen den Führungskräften des Allgemeinen deutschen Frauenvereins und Helene Lange - Berlin zustande kamen; die sich hieraus ergebenden Verbindungen und Entwicklungen waren ebenso bedeutungsvoll für die erste und nun älteste der bürgerlichen Frauenorganisationen wie für die deutsche bürgerliche Frauenbewegung in ihrer Gesamtheit.
Helene Lange (1848 - 1930), Oberlehrer in an einer privaten höheren Töchterschule in Berlin und Leiterin der dort eingerichteten Lehrerinnenseminarklasse, hatte im Oktober 1887 zusammen mit fünf anderen Frauen [99] eine Petition an den preußischen Unterrichtsminister und das preußische Abgeordnetenhaus gerichtet bezüglich der wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrerinnen an höheren Mädchenschulen und ihrer Beteiligung am Unterricht. Die Petition (die im folgenden Kapitel zu besprechen ist) hätte selbst kaum Aufsehen erregt, wäre sie nicht durch die von Helene Lange verfaßte Begleitschrift »Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung«[100] zu einer Bombe verschärft worden. Als Sprengstoff wirkte weniger der Inhalt ihrer Forderungen - er war, wie gleich zu zeigen ist, keineswegs neu und überaus konventionell - wie Dynamit wirkte aber die Form, die neue Form der Kritik. Schonungslos, teilweise mit beißender Ironie prangerte Helene Lange das von den männlichen Pädagogen verfochtene »Bildungsziel« an: das Mädchen sei zu bilden um des Mannes willen, auf daß sich der deutsche Mann am häuslichen Herd nicht langweile. Die Begleitschaft machte Furore; aus den vorliegenden Quellen gewinnt man den Eindruck, daß ein Ruck, ein Empörungsschrei durch die Reihen der männlichen Pädagogen ging, denn man spürte sofort den neuen gefährlichen Geist der plötzlich auftauchenden »Widersacherin«.
Außer Hedwig Dohm hatte noch keine Frau die brutalen männlichen Egoismen hüllenloser dargestellt; doch wo Hedwig Dohm mit funkelndem Witz und Geist die Herren ad absurdum führte, erteilte hier eine Lehrerin mit kaltem Sachverstand und nüchternen Erfahrungen den männlichen Pädagogen ihre Zensuren »mangelhaft« und »ungenügend«.
Die bestehenden höheren Mädchenschulen unterwarf Helene Lange einer scharfen Kritik und stellte fest:
»Unsere Schulen bilden nicht, sie erziehen nicht maßvolle Frauen von edler Sitte, sie lehren nur. Wir können... unser Auge nicht davor verschließen, daß auch dieses Lehren vielfach in einer unpädagogischen Überbürdung mit positivem Stoff und einem falschen Systematisieren besteht, und daß das Wissen unserer jungen Mädchen infolgedessen vielfach zerfahren, äußerlich und ungründlich ist. Von allem, was die Männer gründlich lernen, ... erfahren unsere Mädchen ein klein wenig; das Wenige aber selten so, daß das Interesse für spätere Vertiefung rege gemacht oder das Selbstdenken ernsthaft in Anspruch genommen würde, sondern als positive Tatsachen oder fertige Urteile, die ohne Beziehung zum inneren Leben, dem Gedächtnis bald wieder entschwinden und nur das dünkelhafte Gefühl des 'Gehabthabens' und der Kritikfähigkeit zurücklassen«,[101]
Ihre Forderungen:
- An die Stelle dieses Prinzips »hat das Prinzip der Kraftbildung zu treten,... soll die Schule die großen menschlichen Anlagen und Kräfte entwickeln, die Kraft des Glaubens und der Menschenliebe ebensowohl wie die intellektuellen Fähigkeiten»; ... Begründung: In der Hand der Frau liegt vorzugsweise »die Erziehung der werdenden Menschheit, die Pflege der edlen Eigenschaften, die den Menschen zum Menschen machen: Sittlichkeit, Liebe, Gottesfurcht. Wir wollen im Kinde die Welt des Gemütes anbauen, sollen es lehren, die Dinge in ihrem rechten Wert zu erkennen, das Göttliche höher zu achten als das Zeitliche, das Sittliche höher als das Sinnliche; wir wollen es aber auch denken und handeln lehren«.
- Der Unterricht in den »ethischen Fächern« Religion, Deutsch und Geschichte muß in allen Klassen von Lehrerinnen erteilt werden; denn es sind Fächer, »in denen erzogen, und zwar nicht nur im Weibe der Mensch, sondern auch das Weibliche erzogen werden soll«...
- Den Mädchen muß nach Abschluß der höheren Töchterschule »Gelegenheit zu einer weitergehenden Ausbildung gegeben werden ... und zwar,... in richtigen, an die Schule anschließenden Klassen mit beschränkter Stundenzahl«,
Im Vordergrund des Unterrichts sollen stehen:
»Literatur und Geschichte
Pädagogik und Naturwissenschaften; an die sich ferner notwendig ein Kindergarten anschließen müßte, um den jungen Mädchen Gelegenheit zu erster Bekanntschaft mit ihrem späteren eigentlichen Beruf zu verschaffen«.
Bis zu einem gewissen Grad ist es überraschend, welch konventionelle Anschauungen sich hinter der fast als »revolutionär« zu bezeichnenden Form der Begleitschrift verbargen. Ganz eindeutig stand die Erziehung und Bildung der zukünftigen Mutter im Vordergrund der Ziele Helene Langes, wobei sie (vgl. oben) jedoch nur die Tradition des Berliner Lehrerinnenkreises fortsetzte;[102] manchmal gewinnt man sogar den Eindruck, als ob die rd. 40 Prozent der unverheiratet bleibenden Frauen vergessen worden seien; die zehnjährige höhere Töchterschule an sich wurde von Helene Lange nicht angetastet, denn die Reformvorschläge erstrebten keine Neuorganisation mit der Möglichkeit der Vorbereitung auf eine Maturitätsprüfung und ein Universitätsstudium; beides wurde offensichtlich als »Ausnahme« betrachtet und blieb einem Sonderweg überlassen, den Ende der 70er Jahre schon einige Professoren durch Hinweise auf »Gymnasial-Kurse« und ein »Frauenlyceum« (vgl. oben) angedeutet hatten. Helene Lange handelte entsprechend. Zusammen mit Minna Cauer (der Vors. des Vereins »Frauenwohl«, Berlin, mit der sie zu diesem Zeitpunkt noch harmonisch kooperierte) und Fräulein Dr. med. Franziska Tiburtius [103] ersuchte sie am 20.12.1888 den »Wissenschaftlichen Zentralverein« in Berlin,[104] die Einrichtung von »Realkursen für Frauen« zu übernehmen; ihr Zweck sollte sein:
- »Vertiefung bzw. Ergänzung der allgemeinen Bildung«,
- »Vorbildung für eine etwaige höhere gewerbliche oder wissenschaftliche Tätigkeit«.[105]
Die Forderung 2. wurde vor allem von Dr. Tiburtius unterstützt, die wünschte, daß die Realkurse deutsche Mädchen auf die Schweizer Maturitätsprüfung vorbereiten sollten, die für Ausländerinnen in der Schweiz obligatorisch war, wenn nicht anderweitige Qualifikationen nachgewiesen wurden (z. B. höheres Lehrerinnenexamen).[106] - Die Realkurse kamen zustande, denn einflußreiche Berliner Gesellschaftskreise, auch die Kaiserin-Witwe Friedrich, waren daran interessiert; sie wurden am 10. Okt. 1889 in ihrer Gegenwart eröffnet. Helene Langes Eröffnungssprache konzentrierte sich auf Punkt 1. der oben aufgeführten Forderungen und entsprach gedanklich ganz dem Inhalt ihrer Begleitschrift.[107]
Doch zum gleichen Zeitpunkt, als Helene Lange in Berlin im konventionellen Sinne ihre Arbeit begann, hatte endlich auch die von Hedwig Dohm zu Beginn der 70er Jahre erhobene Forderung der gleichen Bildung für beide Geschlechter im deutsch-österreichischen Raum Widerhall gefunden. Im Februar 1888 konstituierte sich ein provisorisches Komitee unter dem Vorsitz von Frau J. (d.i. Hedwig) Kettler, Weimar, dem neben Hedwig Dohm, Berlin, noch sieben weitere Frauen [108] angehörten; am 30. 3.1888 wurde anschließend in Weimar der »Deutsche Frauenverein Reform« gegründet. Seinen Zweck beschränkte dieser Verein mit Nachdruck auf die Erschließung der auf wissenschaftlichen Studien beruhenden Berufe für das weibliche Geschlecht und forderte auf dem Gebiet der höheren Mädchenbildung die
»Errichtung von Mädchengymnasien mit dem gleichen Lehrplan, wie ihn die auf die Universität vorbereitenden Knabenschulen haben»;[109]...
In Berlin war man diesen Vorgängen gegenüber zumindest skeptisch, noch nach mehr als einem Jahrzehnt stellten Gertrud Bäumer und Helene Lange recht distanziert fest:
»Der Ausgangspunkt für seine Forderungen ist die durchaus nüchterne Auffassung der Frauenfrage als einer Brotfrage«.[110]
Diese Beurteilung dürfte jedoch nur zu einem Teil zutreffen. Es ist richtig, daß sich der Frauenverein Reform in der Begründung seiner Forderungen ausschließlich auf den ungemein hohen Prozentsatz unverheiratet bleibender Frauen in den höheren Gesellschaftskreisen stützte und für die Töchter dieser Familien den Zutritt zu denjenigen Berufen forderte, die für die Söhne als selbstverständliche und einzig adäquate ins Auge gefaßt wurden. Man hielt sich nicht auf mit jener Erziehung des spezifisch »Weiblichen«, die Helene Lange gleichzeitig forderte, und hemmte sich auch nicht selbst durch Erörterungen über einen daraus resultierenden »spezifischen« Kulturbeitrag der Frau. Und doch darf man unter Heranziehung und Würdigung der Schriften dieser Frauen feststellen, daß sie keinesfalls die Frau dem Manne »gleichmachen« wollten, sondern von der Überzeugung durchdrungen waren, daß die Frau als Frau in demselben Grade an Vollkommenheit gewinne, in dem sie als Mensch gebildet werde.
»Je höher sie als Mensch steht«, so hatte Hedwig Dohm einst der Fröbelbewegung entgegengehalten, »je höher steht sie als Mutter«[111]
Da die höchsten menschlichen Bildungsgüter und -stätten aber dem männlichen Geschlecht vorbehalten waren, forderte der Frauenverein Reform folgerichtig, daß ebendiese als »männlich« bezeichneten Bildungsgüter in vollstem Umfange auch dem weiblichen Geschlecht zugänglich zu machen seien, um der Frau die höchste »menschliche« Bildung zuteil werden zu lassen.
Der Frauenverein Reform wurde 1888 ff. zum Schrittmacher in Sachen höherer Mädchen- und Frauenbildung. Kaum gegründet, petitionierte er 1888 und 1889 bei den Kultusministerien aller deutschen Bundesstaaten um Zulassung des weiblichen Geschlechts zu Maturitätsprüfungen an Gymnasien und Realgymnasien sowie um Zulassung zum Studium an Universitäten; die Gründung der Mädchengymnasien hoffte der Verein zunächst durch Ansammlung eines Spendenfonds fördern zu können. Die Petitionen zeigten nicht den geringsten Erfolg. Doch während sich Helene Lange »maßvoll« beschied und 1889 Realkurse einrichtete, die höchstens auf die Schweizer Maturitätsprüfung vorbereiten sollten, intensivierte der Frauenverein Reform seine Aktivität gegenüber den öffentlichen Gewalten.
Stellt man nun die Frage nach den Fortschritten im Raum der höheren Mädchenbildung während der hier behandelten Zeitspanne (bis 1889), so muß man zwischen den Fortschritten im konkreten und theoretischen Bereich unterscheiden. - Im konkreten schulischen Raum arbeiteten die männlichen Pädagogen an der »Reform« der höheren Töchterschule; in führender Position wirkte der »Verein der Dirigenten und Lehrenden höherer und mittlerer Mädchenschulen« (später unbenannt in »Verein für das höhere Mädchenschulwesen»). Unter der Leitung männlicher Pädagogen setzte sich allmählich eine gewisse Einheitlichkeit in der inneren Organisation der höheren Mädchenschule durch hinsichtlich der Schuldauer, der Klassenfolge und des Lehrkörpers; man erreichte mehr oder minder auch eine Straffung des Lehrstoffes und eine Verbesserung der Methoden; doch die Reform blieb durch die konventionellen Bildungsziele weit hinter den Forderungen der Zeit zurück: man vermittelte dem Mädchen jene »Bildung«, die später der »gebildete« Gatte erwarten mochte, man »bildete« das Mädchen nicht für den Lebenskampf und schon gar nicht für eine höhere Weiterbildung oder Erwerbstätigkeit.
Der Einfluß der Frauenbewegung auf diese Vorgänge darf nach den vorliegenden Quellenaussagen als äußerst gering bezeichnet werden: man erreichte keine Kooperation und man führte keine Kämpfe, die beide Seiten gezwungen hätten, theoretisch klare Konzeptionen zu erarbeiten. Die Gründe hierfür sind vor allem in jenen allmächtigen, hemmenden Einflüssen der Umwelt zu suchen, die jeden fortschrittlichen Ansatz allein schon durch ihre massive Allgegenwart im Keim erstickten und die es der Frauenbewegung fast unmöglich machten, in der Theorie ein einheitliches, zielstrebiges Bildungsprogramm zu entwickeln; fast möchte man sagen, sie war gefangen in einem Netz geknüpft aus den Vorstellungen über das Wesen der Weiblichkeit, die weibliche Mission und die spezifisch weibliche Bildung für den Beruf der Gattin, Mutter und Hausfrau und für den Erwerb. Fruchtbare Impulse (wie z. B. der des Parthenagogiums 1872 im Allgemeinen deutschen Frauenverein s.o.) reiften langsam, sehr langsam, und nur unter der zwingenden Notwendigkeit, eine adäquate Vorbildung für die Zulassung an Universitäten zu erreichen.
Ende der 80er Jahre waren endlich festere theoretische Konzeptionen entwickelt worden - leider sogleich drei, die aber den inneren Entwicklungsstand der Frauenbewegung treu widerspiegelten:
Das fortschrittlichste und in die Zukunft weisende Programm entwickelte der junge Frauenverein Reform (gegr. 1888); seine Forderung: gleiche gymnasiale oder realgymnasiale Bildung für Mädchen und Knaben.
Eine ebenfalls fortschrittliche, aber den bestehenden Verhältnissen am meisten Rechnung tragende Konzeption erarbeitete die Führungsspitze des Allgemeinen deutschen Frauenvereins; ihr Vorschlag: Gabelung der höheren Töchterschule und Einrichtung eines gymnasialen Zweiges im 13./14. oder 15. Lebensjahr.
Zurück blieben demgegenüber die in Berlin von Helene Lange erhobenen Forderungen, die sich ausschließlich auf die allerdings sehr notwendige Reform der zehnklassigen höheren Mädchenschulen konzentrierten; der von ihr als »Sonderweg« zur Universität ins Auge gefaßte und in den 1889 eröffneten »Realkursen« z.T. realisierte »gymnasiale Aufbau« nach abgeschlossener Ausbildung an einer höheren Mädchenschule entsprach nicht den Notwendigkeiten der realen Situation; dieser Sonderweg hätte nur als zusätzliche provisorische Abhilfemaßnahme für bereits erwachsene junge Frauen, die sich zum Studium entschlossen, projektiert werden dürfen; folgt man aber den zeitgenössischen Quellenaussagen,[112] so dürfte zu diesem Zeitpunkt der Sonderweg des gymnasialen Aufbaus von Helene Lange als der einzig richtige Weg zur Universität betrachtet worden sein.
Die Weichen für die zukünftigen Entwicklungen waren somit innerhalb der Frauenbewegung Ende der 80er Jahre gestellt. Als Erfolg dieser nun festeren Konzeptionen darf z. T. auch die Reaktion der Öffentlichkeit gebucht werden: die höhere Mädchenschule und ihre Reform wurden zum Gegenstand der Diskussion in der Presse, in den Parlamenten, in der Öffentlichkeit; man sah nun die wachsende Anzahl der unverheiratet bleibenden Töchter - vor allem in den höheren Ständen -und spürte meist in den eigenen Familien die Notwendigkeit, ihnen eine adäquate Erwerbsmöglichkeit zu sichern; die Forderungen der Frauenbewegung lieferten deshalb die willkommenen Anhaltspunkte für die Diskussion.
Welche Konzeption würde sich durchsetzen?
Fast als Omen darf man die Reaktion von Theodor Barths »Nation« betrachten; diese in Deutschland führende liberale Zeitschrift engagierte sich 1887 ff. für - Helene Lange![113]
c) Weibliche Lehrtätigkeit
Die Berufsgruppe der Lehrerinnen war für die Frauenbewegung vor allem in ihrem Frühstadium von größter Bedeutung; sie stellte die einzige große und annähernd homogen gebildete Frauenschicht, die bis zu einem gewissen Grade gelernt hatte, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, zu reden und zu organisieren; trotz schlechter Bezahlung waren diese Frauen in finanzieller Hinsicht selbständig und besaßen, selbst wenn man alle beamtenrechtlichen Kautelen berücksichtigt, ein weit größeres Maß an persönlicher Freiheit als z. B. die Ehefrauen. -Während es die Freiheit der Berufswahl den Männern ermöglichte, u. a. »auch« den Lehrberuf zu wählen, wurde der Lehrberuf für die Frauen der höheren und gebildeten Schichten als der einzig standesgemäße betrachtet; der hieraus erwachsende Nachteil eines Zustromes pädagogisch völlig unbegabter Frauen wurde auf der anderen Seite ausgeglichen durch den Gewinn von Kräften, die sich ebensosehr auszeichneten durch eine seltene Begabung wie durch selbständiges Denken, Mut und Tatkraft. Einige der bedeutendsten Führerinnen der deutschen Frauenbewegung waren Lehrerinnen oder hatten ein Lehrerinnenseminar absolviert, so z. B.
- Auguste Schmidt, 1833-1902 (2. Vorsitzende, nach Louise Otto-Peters' Tod 1. Vorsitzende des »Allgemeinen deutschen Frauenvereins»; 1894-1899/1900 1. Vors. des »Bundes deutscher Frauenvereine») und ihre sicher hervorragendste Schülerin,
- Clara Zetkin, 1857-1933, die Sozialistin;
- Helene Lange, 1848-1930, die unbestrittene Führerin der »Gemäßigten« (1. Vors. des »Allgemeinen deutschen Lehrerinnenvereins«, später auch 1. Vors. des »Allgemeinen deutschen Frauenvereins»), und ihre junge Mitarbeiterin und Freundin
- Dr. phil. Gertrud Bäumer, 1873-1954 (1910-1919. Vors. des »Bundes deutscher Frauenvereine»);
- Hedwig Dohm, 1833-1919, die »Nestorin« der »Radikalen«, und
- Minna Cauer, 1841-1925, ihr Sammelpunkt (1. Vors. des »Vereins Frauenwohl«, Berlin; 1. Vors. des »Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine»; 2. Vors. des »Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht»), ebenso ihre jüngere Mitarbeiterin,
- die für die deutsche Frauenbewegung sehr bedeutungsvolle
Dr. jur. Anita Augspurg, 1857-1943 (2. Vors. des »Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine»; 1. Vors. des »Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht»; Vizepräsidentin des »Weltbundes für Frauenstimmrecht»; später eine der Führerinnen des »Deutschen Frauenstimmrechtsbundes« und des »Deutschen Frauenausschusses für dauernden Frieden»).
Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen; und wären die Lebensläufe der zahlreichen lokalen Führerinnen bekannt, so wäre sie sicher sehr umfangreich,[114] denn das Lehrerinnenseminar war bis 1889 die einzige Anstalt, in der Deutschlands Töchter nach Abschluß der höheren Mädchenschule eine mehr oder minder befriedigende Weiterbildung finden konnten. Sehr häufig war die Ausbildung in den Seminaren - für Volksschullehrerinnen wie für die Lehrerinnen an höheren Mädchenschulen - mangelhaft. Die Anzahl der staatlichen Lehrerinnenseminare war für die Kulturnation Deutschland ein Hohn:
1876 besaß Preußen z. B. 5 staatliche Lehrerinnenseminare [115] (1877/78 kamen 2 weitere hinzu),[116] ferner hatten 10 höhere Töchterschulen die Erlaubnis, im Anschluß an die reguläre Schulzeit in Seminarklassen Lehrerinnen auszubilden; gleichzeitig besaß Preußen 101 staatliche Lehrerseminare [117] und die Universitäten für die Ausbildung der Lehrer für das höhere Lehramt.
Die Lehrkräfte an den Lehrerinnenseminaren waren zumeist zweitrangig, was sich z.B. auch am Gehalt der Direktoren zeigte:
der Direktor eines Lehrerseminars verdiente i. D. 1000-1200 Taler im Jahr, der eines Lehrerinnenseminars 600-700 Taler.[118]
Quantitativ und qualitativ standen die Lehrerinnenseminare eindeutig hinter den entsprechenden Anstalten des männlichen Geschlechts zurück. In Preußen wurde sogar erst im Jahre 1874 eine umfassendere Prüfungsordnung für Lehrerinnen erlassen (Mindestalter für die Zulassung: 18 Jahre!). Verwendet wurden die Lehrerinnen in Volksschulen und den verschiedenen Mädchenschulen mit Vorliebe in der Unterstufe; in der Mittelstufe der mittleren und höheren Mädchenschule konnten und durften sie gerade noch in einzelnen Fächern unterrichten; von der Oberstufe waren sie - vor allem an den öffentlichen Schulen - so gut wie ausgeschlossen. - Die Übernahme ins Beamtenverhältnis erfolgte an den öffentlichen Schulen oft erst nach langen Wartezeiten, während denen die junge Lehrkraft ihr Dasein als »Vertreterin« von einer winzigen Vergütung fristen mußte und zumeist nur durch Privatstunden überlebte. -Doch auch die Gehälter der Beamtin waren äußerst niedrig bemessen; durch Alters Zuschläge erhöhten sie sich zwar mit der Zeit, aber sie erreichten doch nur etwa die Hälfte der Gehälter der Lehrer (genaue Zahlen fehlen für die hier behandelte Zeitspanne).
Schlechter ausgebildet und schlechter bezahlt als die Lehrer, wurde die Lehrerin auch schlecht behandelt: die Leitung der öffentlichen Schulen lag immer (die der privaten Schulen zumeist) in den Händen eines Direktors, das Kollegium war überwiegend männlich, und die Lehrerin mußte wie die Gattin oder Tochter zu Hause gehorchen, denn man betrachtete die Schule als eine Fortsetzung des Elternhauses, wenn man sich nicht wie der preußische Herr Geheime Regierungsrat Schneider an das Bibelwort hielt:
»Es ist nicht gut, daß der Mann allein sei, ich will ihm eine Gefährtin geben, die um ihn sei«[119] - wobei er aber in der »Gefährtin« ganz wie Herr von Nathusius die untergeordnete, dienende Gehilfin sah. - Innerhalb des schulischen Lebens dürfte hierbei auch die bekannte psychologische »nach-unten-treten-Reaktion« zur Geltung gekommen sein: wurde man als männliche Lehrkraft an Mädchenschulen von denjenigen an Knabenschulen als »2. Garnitur« betrachtet (und zumeist war man es auch!), dann genoß man das Gefühl, auf eine noch minderwertigere Gruppe hinabzublicken und sie entsprechend behandeln zu können - die Lehrerinnen. Und diese wiederum duckten sich zumeist ohne Widerrede vor den »Schulmonarchen«, ganz wie sie es im Elternhaus getan hatten. - Zusätzlich wurde äußerst rigoros ein christlicher, sittenstrenger Lebenswandel von den Lehrerinnen gefordert; heirateten sie aber, so mußten sie aus dem öffentlichen Schuldienst ausscheiden, während andere europäische Staaten auch verheirateten Lehrerinnen die Berufsausübung erlaubten.
Soweit die Quellen berichten, lehnten sich Deutschlands Lehrerinnen zu diesem Zeitpunkt aber mit keinem Wort gegen das Lehrerinnenzölibat auf.[120]
Ferner war die Verwendung der Lehrerinnen an öffentlichen Schulen beschränkt, ein größerer Prozentsatz war in Privatschulen tätig. Hier waren die Gehälter oft noch niedriger, da man Gewinne durch möglichst billige Lehrkräfte zu erzielen suchte; der Arbeitsplatz war ebenfalls kündbar und es bestanden keine Versorgungsverpflichtungen im Falle der Invalidität oder des Alters. - Denselben und noch größeren Risiken waren die Gouvernanten ausgesetzt, die nur wenige Jahre in einer Familie wirken konnten; je älter sie waren, desto schwerer wurde es für sie, Stellen zu finden; man zog jüngere Erzieherinnen den älteren vor, da sie sich besser einfügten, leichter gehorchten und angenehmere Gesellschafterinnen waren.
Die Frauenbewegung sah sich hier einem großen, kaum bestellten Feld gegenüber, das zu kultivieren war; sie wandte sich dieser Arbeit auch von Anbeginn mit großer Energie zu, denn
- galt es, eine akute Notlage abzustellen, und
- nahmen die Lehrerinnen in den Bestrebungen der Frauenbewegung eine Schlüsselstellung ein: Wollte man »neue« Frauen erziehen, so mußte man die Mädchen anders erziehen - und hierzu brauchte man Lehrerinnen, die besser für ihre berufliche Tätigkeit ausgerüstet und sieh dieser besonderen Aufgabe auch voll bewußt waren.
Nach den vorliegenden Quellen fällt hierbei auf, daß der Allgemeine deutsche Frauenverein und fast ebenso ausgeprägt der Lette-Verein ihr Wirken nicht so sehr auf materielle Verbesserungen richteten - z.B. auf eine Erhöhung der Gehälter oder eine Alters- und Invaliditätsversicherung - als auf
eine Verbesserung und Erweiterung der weiblichen Lehrtätigkeit und die Bildung eines neuen Bewußtseins der Lehrerinnen selbst. Bis zu einem gewissen Grad mag diese Haltung auf der Erkenntnis der eigenen Machtlosigkeit beruht haben; zum größeren Teil entsprang sie der festen liberalen Überzeugung, daß es wichtiger sei, den Menschen zu heben und zu vervollkommnen, der dann kraft seiner gesteigerten Kräfte und Fähigkeiten auch seine materielle Lage verbessern könne. Zudem nahmen sich auch die hier und da entstehenden Lehrerinnenvereine der materiellen Notlage an (sie schufen z. B. Darlehenskassen und Stellenvermittlungen, gründeten auch mit Hilfe von Stiftungen Feierabendhäuser für Lehrerinnen). Die Frage der »Lebensabendsicherung« der Lehrerinnen beschäftigte nicht nur den Verein der Dirigenten und Lehrenden höherer und mittlerer Mädchenschulen, sondern auch weite Kreise der Öffentlichkeit und das Kaiserhaus. Im Juni 1875 wurde (im Kommissionssaal des preußischen Abgeordnetenhauses!) ein Kuratorium für eine »Allgemeine deutsche Pensionsanstalt für Lehrerinnen und Erzieherinnen« gewählt,[121]
Kronprinzessin Friedrich übernahm das Protektorat; bereits im Oktober 1875 wurde das Statut mit landesherrlicher Zustimmung verabschiedet;[122] im ganzen deutschen Reich wurde zu Spenden aufgerufen - mit Erfolg:
1878 betrug das Vermögen 341.446 M,[123]
1879 615.562 M.[124]
Es ist bis zu einem gewissen Grade überraschend, wie intensiv sich die beiden Organisationen der bürgerlichen Frauenbewegung zu Beginn ihrer Tätigkeit den Volksschullehrerinnen zuwandten, wobei stets der Landschulunterricht sowie die Fächer Handarbeit und Haushaltskunde besonders betont wurden.[125] Die Ziele und Anschauungen, die hierbei die Frauenorganisationen leiteten, liegen deutlich zutage. Eindeutig wünschte man, hier ein großes Berufsgebiet für die Frauen der mittleren und höheren Schichten zu erschließen. Doch dieses Ziel sollte nicht nur zugunsten der Lehrerinnen erreicht werden, man war zutiefst überzeugt, daß die gebildete Frau in der Volksschule eine große erzieherische, »versittlichende« Mission unter den Töchtern und Frauen der unteren Klassen zu erfüllen habe; Marie Calm sprach ganz sicher die Überzeugung aller aus, als sie feststellte:
»Nur ein Wesen unseres eigenen Geschlechts kann uns Vorbild sein, nur der weibliche Geist kann den weiblichen Geist nach seiner sittlichen Seite hin erziehen«.[126]
Da im Bereich der Elementarschule Knaben und Mädchen den gleichen Unterricht genossen, konnte sich die Frauenbewegung ganz auf ihre spezifisch weiblichen Bildungsziele konzentrieren: auf die Erziehung zur Sittlichkeit (noch immer ein Lebensnerv der Frauenbestrebungen!), auf die Erziehung zu guten, braven Mütter und Hausfrauen und auf die Vorbereitung für eine Erwerbsarbeit. Man spürt ferner den Einfluß der Fröbelbewegung und die Ausstrahlung sozialpolitischer Spannungen in den Forderungen, den Mädchen in der Volksschule (oder während eines Unterrichtsjahres nach Abschluß derselben) Unterricht in Haushaltskunde, Kochen und Gesundheitslehre zu erteilen, ja sie sogar in die Kindergartenarbeit und Kinderpflege einzuführen. Hierdurch sollten die Mädchen gleichzeitig auf ihre eigene hausmütterliche Tätigkeit wie auch auf eine »dienende« Erwerbsarbeit in einer Familie vorbereitet werden. Am leidenschaftlichsten wurde jedoch allgemein die Forderung des obligatorischen Handarbeitsunterrichts in der Volksschule erhoben; auch hier wieder mit dem doppelten Ziel der Vorbereitung der Mutter und Gattin und der Befähigung für eine handarbeitende-industrielle Erwerbstätigkeit.[127] Die tragende Kraft all dieser Bestrebungen sollte die Lehrerin sein; sie sollte die Mädchen in diesem Sinne erziehen durch ihren Unterricht und ihr Beispiel; sie sollte Beraterin der Mädchen auch nach Abschluß der Schule bleiben, sie warnen vor den Gefahren des Lebens und sie ermahnen zu einem sittlichen, fleißigen, gottesfürchtigen Lebenswandel, denn die meisten Mütter, davon war man überzeugt, seien entweder unfähig oder wegen Überarbeitung oder durch beides zugleich nicht in der Lage, die Tochter in diesem Sinne zu erziehen und dem heranreifenden jungen Weib Halt und Stütze zu sein. Auf dem Land sollten die Lehrerin und ihr Heim direkt wie ein kleines Kulturzentrum wirken; mit Begeisterung zitierte man häufig Louise Büchners rosa-roten Bericht über die (einst von der französischen Regierung eingestellten) Land- und Volksschullehrerinnen im Elsaß; mit Entzücken stellte dort Louise Büchner folgendes fest:
»Wie sieht es denn aber in der Häuslichkeit einer solchen Volksschullehrerin aus? Nun, ganz allerliebst, wie wir uns mit eigenen Augen überzeugten. In Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche, die sie selbst versorgt, kein Stäubchen, kein Flecken und alles mit jenem Geschmack angeordnet, welchen ein gewisser Grad von Bildung jederzeit verleiht. Nun will es uns doch dünken, als ob ein solches Beispiel von Sauberkeit, Nettigkeit und weiblichem Sinn für das Schöne als eines der wichtigsten Erziehungsmittel bei den Mädchen aus dem Volke mitwirken müsse, dem in einem kleinen, abgelegenen Dorfe vielleicht nie ein anderes Bild einer netten Häuslichkeit vorgeführt wird. So hat die weibliche Jugend, namentlich auf dem Lande, in der Häuslichkeit der Lehrerin täglich und stündlich ein weibliches Vorbild vor Augen, das höher steht als ihre übrige Umgebung«. Auch in ihrer eigenen Person gibt die Lehrerin ein »Vorbild der Sauberkeit und Ordnung. Von wie unberechenbarem Werte ist das allein»![128]
Wenn die Frauenbewegung auch rastlos für ihre Bestrebungen agitieren und auf eine Erhöhung der Zahl der Elementarlehrerinnen drängen mußte (1878 wirkten in Preußen nur 1.500 geprüfte Elementarlehrerirmen,[130] neben etwa 48.704 seminaristisch gebildeten Lehrern [129] so waren die Regierungen doch prinzipiell »geneigt»; die sächsische Ständeversammlung z, B. förderte zu Beginn der 70er Jahre die Gründung zweier Seminare für Volksschullehrerinnen; Preußen gründete 1877/78 zwei Seminare, andere Bundesstaaten folgten; das Großherzogtum Hessen führte obligatorischen Handarbeitsunterricht ein, und mit höchster behördlicher Billigung durfte der Lette-Verein in seiner Gewerbeschule 1874 ff. Handarbeits- und Zeichenlehrerinnen ausbilden; einige Kommunen förderten sogar hauswirtschaftlichen Unterricht an Mädchenelementarschulen. Die Gründe für ein solches Verhalten sind nicht schwer zu erraten:
- Herrschte in dem sehr schlecht bezahlten Beruf des Volksschullehrers Nachwuchsmangel (in Preußen waren 1877 z. B. 4581 Stellen nicht vorschriftsmäßig besetzt [131]); Volksschullehrerinnen waren ein recht »billiger« Ausweg, sie kosteten noch weniger als die Lehrer, vollbrachten aber zumeist gleiche, oft vortreffliche Leistungen.
- Klang das Hauptziel der Frauenbewegung - Erziehung zu sittsamen, tüchtigen Frauen und Müttern - in behördlichen Ohren »genehm«, und nicht nur in diesen; ganz allgemein hoffte man in bürgerlichen Kreisen, einen Teil der sozialen Frage durch eine Erziehung der Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen lösen zu können: ihre Sparsamkeit, ihr »sittlicher« Einfluß auf den Gatten und das Familienleben sollten das Arbeiterelend und die gefährlichen sozialen Spannungen mildern.
- Fehlten auf dem Gebiet der Volksschule die Auseinandersetzungen über Bildungsziele, Auswahl der Lehrgegenstände, Organisation und Leitung der Schule. Knaben und Mädchen erhielten den gleichen Unterricht, und die Frauenbewegung stimmte hier dem Prinzip der Gleichheit der Bildung voll zu, da beide Geschlechter in gleicher Weise für den Lebenskampf auszurüsten seien. Weder Männer noch Frauen stellten bei diesen Schichten die Notwendigkeit der Erwerbsarbeit der Mädchen und Frauen infrage; für diffizile Prinzipienfragen über den »Beruf« der Frau ließ die materielle Not keinen Raum. - Ferner überließen die Frauen die Organisation und Leitung der Elementarschulen auch gerne den Männern; Helene Lange stellte hierzu in ihrer »Gelben Broschüre« (1887/88) fest:
»Es wird richtig sein, daß in Deutschland weder alle Elementarlehrer noch die breiten Schichten des Volkes auf der Höhe stehen, daß sie die Leitung der Frau respektieren würden, und so möchte es noch lange seine Bedenken haben, in den Volksschulen eine Änderung zu wagen; es ist hier aber auch, wenn wir nach Berliner Verhältnissen urteilen dürfen, nicht so durchaus notwendig, weil die Rektoren der Gemeindeschulen i. g. die Lehrerinnen hochhalten und, ... an den Mädchenschulen ihnen das Ordinariat ... häufig hinauf bis zur zweiten (Klasse, d. V.) anvertrauen, weil sie den weiblichen Einfluß auf die Mädchen nicht entbehren wollen«.[132]
Auffallend ist ferner, daß während der hier behandelten Zeitspanne bis 1888/89 die Quellen noch keine heftigen »Abwehr»-Kämpfe der Elementarlehrer gegen die Lehrerinnen registrieren; die oben angeführten Gründe mögen auch hier bestimmend gewirkt haben: noch waren die Lehrerinnen und die Frauenbewegung zahlenmäßig gering und ungefährlich in ihren Bestrebungen. Ganz anders sah es aus in dem Bereich der höheren Mädchenschule; wie oben (B.I. 2b) bereits dargestellt, wichen die Bildungsbestrebungen der Frauenbewegung sehr weit ab von denen der männlichen Pädagogen, der Regierungskreise, der Männerwelt dieser Schichten überhaupt; diese Gegensätze wurden noch vertieft durch das Moment des Konkurrenzkampfes. Verglichen mit den armselig dotierten Lehrerstellen irgendwo auf dem Land wurden die Lehrer an höheren Töchterschulen, auch den privaten, wesentlich besser bezahlt; und mancher Lehrer, dessen Fähigkeiten für eine höhere Knabenschule nicht ausreichten, flüchtete sich an eine höhere Töchterschule, dort reichten sie allemal; auch für den strebsamen seminaristisch vorgebildeten Lehrer war die höhere Töchterschule ein begehrtes Ziel, hier konnte er in »höhere« Schulbereiche vorstoßen, da es erlaubt war, auch mit nur seminaristischer Vorbildung an höheren Töchterschulen zu unterrichten. Während 1878 in Preußen nur 1500 Elementarlehrerinnen bedienstet waren, arbeiteten an öffentlichen und privaten mittleren und höheren Töchterschulen 6000 Lehrerinnen.[132] Diese vierfach hohe Zahl an den weit wenigeren Schulen läßt sich einerseits durch die Tatsache erklären, daß Lehrerinnen billiger waren, andererseits durch die in bürgerlichen Schichten weit verbreitete Überzeugung, daß es sich »zieme«, Mädchen vor allem durch Lehrerinnen erziehen und unterrichten zu lassen, wie ja auch im Elternhaus die Erziehung der Mädchen vor allem der Mutter zufalle. Und gerade in dieser Überzeugung wurzelten von Anbeginn die Hauptargumente der Frauenbewegung und der Lehrerinnen. Der Tenor dieser Argumente änderte sich nie, und man darf deshalb auch an dieser Stelle die jüngere Helene Lange zitieren, die sie mit aller Schärfe präzisierte und mit Leidenschaft gegenüber den Männern verfocht. -Urgrund jener Überzeugung war noch immer die Vorstellung, daß die Frau die Bannerträgerin »edler Sitte« sei. Noch immer dominierte die Frage, »wie ist eine Frau? wie ist es um ihre Moral und Sittlichkeit bestellt»? über die Frage: »Was kann eine Frau Positives leisten»? Was oben (A. I. 3) als »moralischer Lebensnerv« der Frauenbewegung geschildert wurde, war noch ungebrochen in seiner Wirksamkeit. - Entsprechend lautete auch Helene Langes erster Anklagepunkt:
»Unsere Schulen bilden nicht, sie erziehen nicht Frauen von edler Sitte, sie lehren nur«.[133]
»Die Mütter klagen, daß die Schule aus ihren Töchtern nicht maßvolle Frauen von edler Sitte heranziehe, daß die Schulbildung sie der Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten eher ab- als zuwende« ...
Nach Helene Langes, der Lehrerinnen und der Frauenbewegung einhelliger Ansicht war dies eine Folge der »Ausschließung der Frau von der Bildung der heranwachsenden Mädchen«. Man war überzeugt, daß nur die Lehrerin das Mädchen an feinere Sitte gewöhnen und ihm Vorbild und Beraterin sein könne; da die Lehrerin auch mit ganz anderem Eifer, mit »heiliger Liebe« und innigem weiblichen Verständnis an die Erziehung ihres eigenen Geschlechtes herantrete, könne auch nur sie die rechten Erziehungsmittel wählen und in der Erarbeitung des Stoffes die wünschenswerten Gedankenkreise erschließen. Deshalb gebühre ihr der Unterricht in den Fächern, in denen »nicht nur im Weibe der Mensch, sondern auch das Weibliche erzogen werden soll«, nämlich in den ethischen Fächern: Religion, Deutsch und Geschichte,* denn, so stellte Helene Lange fest: »Es ist weibliche Eigenart, die Wissenschaft weniger als Selbstzweck, wie als Mittel zu ethischer Wirkung zu betrachten. .. . während dem Mann gerade die heutige, durch Examina und Berechtigungen stark beeinflußte Art des Studiums das wissenschaftliche Detail so nahe rückt, daß er es, fast ohne es zu wollen, auch der Schülerin in zu reichem Maße vorführt und so die sittliche Wirkung hemmt»; ... Andererseits wollte selbst Helene Lange nicht auf den männlichen Lehrer verzichten, nur sollte er auf dem Gebiet der »Verstandeskultur« unterrichten: in Grammatik, Rechnen, Naturwissenschaften, Geographie. Aber;
»Überall, wo spezifisch Weibliches entstehen soll, gebührt dem Weibe die erste Stelle, das ist göttliche Ordnung! ... So der Mutter in der Erziehung der Mädchen, der Frau in der Gestaltung der Häuslichkeit, ... und so gebührt auch der Lehrerin die erste Stelle bei der Ausbildung des Mädchens, das zur Frau - so gut wie dem Lehrer bei der Ausbildung der Knaben, der zum Mann werden soll«.
Die Frauenbewegung konnte diesen ausgesprochen »häuslichen« Bildungszielen zustimmen, weil sie zweigleisig fuhr:
Erziehung für den häuslichen Beruf und für den Erwerb.
Da aber gerade die männliche Lehrerschaft dem Gedanken der Ertüchtigung zukünftiger weiblicher Konkurrentinnen entgegenwirkte, mußte der Frauenbewegung an Lehrerinnen gelegen sein, die im Sinne ihrer Ziele arbeiteten; denn so lange die Männer im konventionellen Sinn die höheren Töchter modellierten, wurden die Bestrebungen der Frauenbewegung für das heranwachsende Frauengeschlecht zunächst einmal paralysiert.
Wendet man sich nun dem Geschehensablauf zu, so kann man feststellen, daß die Frauenbewegung, vor allem der Allgemeine deutsche Frauenverein, ganz logisch nach dieser Erkenntnis vorging. Petitionierte man bei den Volksschullehrerinnen sogleich um Seminare, um sie überhaupt erst »existent« zu machen, so waren die höheren Töchterschullehrerinnen schon da; erste Aufgabe war nun, ihr Bewußtsein zu reformieren und sie zu ertüchtigen. An erster Stelle stand das Bewußtsein, denn durch neu gesteckte Ziele, neue Aufgaben, neuen Enthusiasmus hoffte man, zugleich jene Kräfte entwickeln zu können, die zu einer strebsamen, harten Arbeit an der eigenen Person und hierdurch auch zur beruflichen Ertüchtigung führen sollten.
Ein neues Bewußtsein - allein schon ein bißchen Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstbewußtsein - waren bitter nötig. Die Situation der Lehrerinnen, die sich Auguste Schmidt und Marie Calm als Delegierten des Allgemeinen deutschen Frauenvereins 1869 auf der Allgemeinen deutschen Lehrerversammlung in Berlin offenbarte, dürfte sie sofort zu jenem Aufruf »An die deutschen Lehrerinnen« (gez.: »Der Vorstand des Allgemeinen deutschen Frauenvereins») veranlaßt haben. Neben den Klagepunkten des Ausschlusses der Frau vom Volksschulunterricht, der Gründung so weniger staatlicher Lehrerinnenseminare und der um die Hälfte niedrigeren Besoldung der Lehrerinnen wurde ganz besonders betont, daß die Lehrerin auf den Lehrerversammlungen nicht »als Mitarbeiterin, als Kollegin« gewertet werde, sondern als »müßige Zuhörerin»; die Hauptursachen hierfür seien in ihrer geringen Anzahl und dem passiven Verhalten der Lehrerinnen zu suchen. Vorgeschlagen wurde eine Vereinsgründung, die es den Lehrerinnen ermöglichen sollte, in besonderen Versammlungen ihre pädagogischen Ideen und Erfahrungen auszutauschen.[134] Auf diese Anregung hin wurde in Berlin der »Verein deutscher Lehrerinnen und Erzieherinnen« gegründet; in den Vorstand wurden Berliner Lehrerinnen gewählt (nicht Auguste Schmidt), Vereinsort wurde Berlin (nicht Leipzig), und 1869 trat der Verein dem vom Lette-Verein, Berlin, geführten Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbs vereine bei.
Die Quellenlage ist zu mangelhaft, um feststellen zu können, ob diese »Trennung« vom Allgemeinen deutschen Frauenverein dem jungen Verein zum Nachteil gereichte oder ob der Einfluß der sehr konventionellen Lehrerinnenkreise Berlins jede innere und äußere Dynamik hemmte. Vermutlich war dieser Verein auch nicht groß und dürfte zudem auch durch die Rückständigkeit der Lehrerinnen und die mühsame Kleinarbeit an materiellen Abhilfen behindert worden sein, eine durchdringende Stoßkraft in irgendeiner Richtung zu entfalten. Sicher ist, daß er nicht im entferntesten jene sammelnde, organisatorische Kraft besaß, die dem (1890 gegr. und von Helene Lange geführten) Allgemeinen deutschen Lehrerinnenverein zu eigen war. Ins Auge fallende Erfolge waren dem »Verein deutscher Lehrerinnen und Erzieherinnen« nachweisbar nicht beschieden. Über sein Ende schweigen die Quellen, evtl. ist er 1890 im Allgemeinen deutschen Lehrerinnenverein aufgegangen.
Neben den oben erwähnten materiellen Hilfsarbeiten regte der Verein weiterhin lokale Vereinsgründungen an (ihre Anzahl ist nicht bekannt, sie dürfte auch gering gewesen sein); wesentlicher und wichtiger war die nun regelmäßige Entsendung von Delegierten zu den Lehrerversammlungen. Hierzu hatte man allen Grund, denn in den Kreisen der männlichen »Dirigenten und Lehrenden« entwickelten sich für die Lehrerinnen gefährliche Anschauungen und Ziele.
Als diese Pädagogen zum erstenmal in Weimar tagten, stipulierten sie u. a. folgende Thesen:
- »VI. Das Lehrerkollegium besteht aus einem wissenschaftlichen Direktor, wissenschaftlich gebildeten Lehrern, aus erprobten Elementarlehrern und geprüften Lehrerinnen«.[135]
- IX. Alle höheren Mädchenschulen, die die oben aufgeführten Forderungen nicht erfüllen, verlieren die ihnen von der Regierung verliehene Berechtigung, »höhere Schulen zu heißen«, und werden zu Mittelschulen degradiert.[136]
Welche Gefahren verbargen sich nun in diesen Thesen?
- Wären alle privaten höheren Mädchenschulen degradiert worden, die von Lehrerinnen geleitet wurden;[137]
- wäre die finanzielle Basis sehr vieler Privatschulen ruiniert worden: nur die wenigsten konnten sich als private Unternehmungen einen männlichen Direktor und mehrere wissenschaftlich oder seminaristisch vorgebildete Lehrer leisten; in ihrer schwankenden Finanzkraft waren sie vor allem auf billige Lehrerinnen angewiesen;
- wäre die Lehrerin noch stärker zurückgedrängt worden: die besser qualifizierten männlichen Lehrer hätten noch fester die Ober- und Mittelstufe auch an den Privatschulen okkupiert und die Lehrerinnen nur in der Unterstufe geduldet.
Einige anwesende Berliner Lehrerinnen widersetzten sich sofort und forderten ferner für die Lehrerinnen:
die Errichtung höherer, wissenschaftlicher Fortbildungsschulen für erwachsene Mädchen und für die dort ausgebildeten Lehrerinnen die Berechtigung, »bis in die obersten Klassen der Mädchenschule neben den Lehrern« unterrichten zu können.[138] Die entsprechenden Anträge fanden kein Gehör.[139] Doch die nun gefährdeten Lehrerinnen blieben fest in diesen Forderungen. Der »Berliner Verein für höhere Töchterschulen« überreichte am 13. 2.1873 dem preußischen Kultusminister Falk die sog. »Berliner Denkschrift«, in der
- um eine wissenschaftliche Ausbildung der Lehrerinnen mit abschließender Oberlehrerinnenprüfung und
- um die Beteiligung der Lehrerinnen am Mittel- und Oberstufenunterricht der höheren Mädchenschulen ersucht wurde. Der Forderung 1 kam die preußische Regierung ein Stückchen entgegen durch Erlaß einer Prüfungsordnung für Lehrerinnen 1874; mehr geschah nicht.
Die Agitation der Frauenbewegung und der Lehrerinnen richtete sich nun auf die Gründung jener »wissenschaftlichen« Seminare; soweit die Quellen berichten, forderte man (abgesehen von Hedwig Dohm) während der 70er Jahre nicht die Zulassung zu den Universitäten. Da aber alle Bemühungen ins Leere stießen, versuchten die vor die Öffentlichkeit tretenden Lehrerinnen und die Frauenbewegung, die Lehrerinnen zur Fortbildung durch eigene Arbeit anzuspornen und z. B. durch wissenschaftliche Vorträge in Versammlungen die notwendigen Anregungen zu geben. Von den Lehrern war hierbei kaum eine breite Unterstützung zu erwarten.
Folgerichtig konzentrierten sich die Lehrerinnen auf den Lehrerversammlungen auch vor allem auf die Forderung 2: Beteiligung am Mittel- und Oberstufenunterricht. 1875 und 1876 wurde auf den Versammlungen der Dirigenten und Lehrenden höherer Mädchenschulen leidenschaftlich über die Frage diskutiert, ob die Beteiligung der Lehrerinnen am Oberstufenunterricht »zulässig«, »unentbehrlich« oder »wünschenswert« sei; man entschied sich für das letztere;[141]der Beschluß blieb jedoch nur papierenes Dokument; nichts geschah, wenn man absieht von der fast turnusmäßigen Wiederholung der Forderungen von Seiten der Lehrerinnen und der Frauenbewegung vor den tauben Ohren der männlichen Pädagogen und der Behörden.
Während der 80er Jahre spürt man jedoch eine neue Aktivität. Auf der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins 1881 referierte offensichtlich eine jüngere Lehrkraft über die wissenschaftliche Bildung der Lehrerinnen.[142] Der »Frauen-Anwalt« berichtete zwar nicht den Inhalt, bemerkte aber:
»Fräulein Willborns Vortrag gestaltete sich an manchen Stellen zu bitteren und nicht immer gerechten Anklagen, wodurch leider auch das Gute und Richtige, was sie vorbrachte, beeinträchtigt und abgeschwächt ward. Frl. Auguste Schmidt, Frl. Calm und andere traten den Ausführungen der Rednerin mit Sachkenntnis, Entschiedenheit und in liebenswürdiger, ausgleichender Weise entgegen, so daß der kalte Strom, der sich über die Versammlung ergossen, bald wieder einer wohltuenden Wärme wich«.[143]
Man darf sicher sein, daß hier einige Wahrheiten ungeschminkt dargestellt wurden; solch harte Worte vertrugen die Damen nicht gut. Doch Auguste Schmidt hatte zu Beginn der 80er Jahre schon Schritt gefaßt; wie oben (B. I 2b) dargestellt, wirkte sie nun für eine Gabelung der höheren Mädchenschule mit abschließender Maturitätsprüfung als Vorbereitung für die Universität; da sie hier auf dem richtigen Weg voranschritt, war zu erwarten, daß sie auch hinsichtlich der höheren Lehrerinnenbildung den besten Ansatzpunkt finden würde. Die Aktivität der Lehrerinnen selbst wurde ungemein angeregt durch die 1884 ff. erscheinende Zeitschrift »Die Lehrerin in Schule und Haus«. Herausgegeben wurde sie von der ehemaligen Lehrerin Marie Loeper-Housselle, die mit Helene Lange - Berlin befreundet war; letztere hatte ebenfalls ihre Mitwirkung zugesagt. - Gleichzeitig dürften auch Lehrerinnenkreise versucht haben, die Verbindung zu den Organisationen der Frauenbewegung zu intensivieren. 1884/85 referierte die Lehrerin Bertha von der Lage auf den Generalversammlungen des Lette-Vereins und Allgemeinen deutschen Frauenvereins über die Lehrerinnen betreffende Fragen. Ausführliche Berichte, die den Stand der Diskussion beleuchten könnten, fehlen leider. Doch die Entwicklung der Dinge enthüllte sich in den Jahren 1887/88. Auffällig an diesem Geschehen ist die Parallelität zu den Vorgängen in Sachen höherer Mädchenbildung. Sah man sich während dieser Jahre hinsichtlich letzterer sogleich drei Konzeptionen gegenüber, so eröffneten sich in Sachen höherer Lehrerinnenbildung nur zwei Programme, und gemessen an der Fortschrittlichkeit ihrer Ziele ergibt sich auch wiederum dieselbe Reihenfolge:
- 1 a) Der junge Frauenverein Reform (gegr. 1888) forderte in seinen Satzungen: »Zulassung des weiblichen Geschlechts zum Studium auf Universitäten und anderen wissenschaftlichen Hochschulen»;[144] 1888/89 richtete er entsprechende Petitionen an die Kultusministerien aller Bundesstaaten.* * Während sich der Frauenverein Reform einer Einengung dieser Forderung durch eine Beschränkung auf das höhere Lehrfach (und das Medizinstudium) widersetzte, richtete
- 1 b) der Allgemeine deutsche Frauenverein 1888 Petitionen an alle Kultusministerien, in denen um Zulassung der Frauen zum Studium der Medizin gebeten wurde; und ferner: »daß auch diejenigen Studien und Prüfungen, durch welche Männer die Befähigung zum wissenschaftlichen Lehramt erlangen, den Frauen freigegeben werden«.[145] »Für die Lehrerinnen, welche erste Stellen an höheren öffentlichen Mädchenschulen bekleiden sollen, erscheint allerdings das Universitätsstudium nicht obligatorisch, aber da es bis jetzt keine höheren Lehranstalten für Frauen gibt, so hegt der Verein den dringenden Wunsch, daß den sich dem Lehrberuf widmenden Frauen Gelegenheit gegeben würde, sich als ordentliche Hörerinnen an Universitäten das für die Stellung einer Lehrerin der Oberklassen an höheren Mädchenschulen notwendige Wissen zu erwerben«.[146]
Man kann feststellen, daß der Allgemeine deutsche Frauenverein in Sachen höherer Lehrerinnenbildung hiermit prinzipiell, wenn auch äußerst vorsichtig, den richtigen Ansatzpunkt gefunden hatte. Die einschränkende Begründung: »da es bis jetzt keine höheren Lehranstalten für Frauen gibt«, sollte sich jedoch als sehr gefährlich erweisen, denn es war
- Helene Lange, die mit ihrer Furore-machenden »Gelben Broschüre« (1887/88) genau in diese Lücke hineingestoßen war. So leidenschaftlich sie eine Verbesserung der Lehrerinnenbildung forderte, ebenso vehement lehnte sie eine Ausbildung an Universitäten ab: »Wir beabsichtigen durchaus nicht, unseren Lehrerinnen das Studium der Philologie zuzumuten, dem die Frauen in Deutschland augenblicklich nicht gewachsen wären; aber nicht deswegen, sondern weil wir durchaus nicht glauben, daß dieses Studium, wie es augenblicklich mit der größten Spitzfindigkeit im Detail betrieben wird, gute Lehrerinnen bildet; - bildet es doch an und für sich auch nicht gute Lehrer, sondern nur Gelehrte. Man wird für unsere Lehrerinnen sehr ernsthaft, auch streng wissenschaftliche Anforderungen in Aussieht nehmen und sich doch ohne Schaden für unsere Mädchen sehr weit vom philologischen Examen entfernen dürfen«.[147]
Helene Lange forderte konsequent die Errichtung besonderer Hochschulen für die Vorbildung von Lehrerinnen, die von Frauen zu leiten seien; (Dauer des Studienkurses drei Jahre; strenge Aufnahme- und Abschlußprüfungen; Mindestalter zur Aufnahme 20 Jahre; obligatorische Fächer: Pädagogik und Deutsch, die auch nur von Frauen gelehrt werden sollten). Wie reagierten nun die Kultusministerien auf diese Petitionen? Um es kurz zu sagen, die Petitionen des Frauenvereins Reform und des Allgemeinen deutschen Frauenvereins in Sachen höherer Lehrerinnenbildung landeten im Papierkorb. Vor allem im preußischen Kultusministerium dürfte man über die Maßlosigkeit dieser Forderungen konsterniert gewesen sein, zumal sich Preußens männliche Pädagogen ob ihrer von Helene Lange ausgesprochenen Disqualifizierung bereits in heller Empörung befanden. Und dennoch - maß man die verschiedenen Petitionen an der Elle der geringsten Fortschrittlichkeit, so verdiente in ministerieller Sicht nur die »maßvolle«, konventionelle Helene Lange Beachtung. Und sie fand sie auch, als sich der Preußische Kultusminister nach einem möglichst kleinen Abhilfeausweg via Selbsthilfe umsah und dabei auf das bereits »bewährte« Viktoria-Lyceum* zurückgriff. Er schlug »Fortbildungskurse für geprüfte Lehrerinnen« vor - selbstverständlich ohne sich daraus ergebende Berechtigungen - und zog auf Wunsch der Kronprinzessin Friedrich auch Helene Lange hinzu. - Preußen zögerte nie, winzig kleine, in der Wirksamkeit äußerst begrenzte Notventile zu ziehen, wenn es darum ging, gründliche, brennend notwenige Reformen zu umgehen; so wurden die »Fortbildungskurse« auch mit einem für Preußen geradezu verblüffendem Tempo bereits am 23.5. 1888 eröffnet. Ihre Dauer (3 Jahre) und die Auswahl der Fächer (Deutsch und Geschichte) zeigen deutlich die Einwirkungen Helene Langes. Ergänzt man dieses Geschehen noch durch den Hinweis, daß 1888 die Verbindung zwischen Helene Lange und dem Allgemeinen deutschen Frauenverein, vor allem Auguste Schmidt, zustande kam (vgl. oben B. I. 2a), so darf man feststellen, daß am Ende des hier behandelten Zeitabschnittes, 1888/89, für die höhere Lehrerinnenbildung nach hoffnungsvollen Ansätzen die akute Gefahr bestand, auch in Kreisen der Frauenbewegung auf konventionelle Geleise geschoben zu werden.
d) Berufe für »gebildete« Frauenkreise
Sucht man nach einem Bereich, in dem die Vorstellungen über die aus der »spezifisch weiblichen Individualität« resultierende berufliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in ihrer vollen Ausprägung faßbar werden, so findet man ihn auf dem Sektor der wissenschaftlich akademischen Frauenberufe. - Die deutsche Frauenbewegung engagierte sich von Anbeginn mit Leidenschaft für die Berufe der Lehrerin und der Ärztin, die Apothekerin (oder Apothekergehilfin) lief in der Agitation mehr oder minder »nebenher«. - Obwohl man auch für die gebildeten Frauen das Recht in Anspruch nahm, daß sie zu jeder Arbeit berechtigt seien, zu der sie befähigt seien, kämpfte man bis 1888 nur für die Öffnung der oben genannten Berufe: denn einerseits war man fest überzeugt, daß die Lehrerinnen und Ärztinnen für die weibliche Bevölkerung und für das Wohl einer Nation absolut notwendig seien, andererseits glaubte man, daß die Berufe des Erziehens, Helfens, Heilens und Pfle-gens der »spezifischen weiblichen Individualität« und der ihr eingeborenen Liebesfähigkeit, Hingabe- und Opferbereitschaft am innigsten entsprächen. Auch die taktische Erwägung, daß die gebildete Männerwelt, die diese »ewig-weiblichen« Eigenschaften anbetete, gegen ihre Transformation auf Berufsebene keine gravierenden Einwände erheben könne, dürfte nicht ohne Einfluß gewesen sein. Diese Vermutung findet man bestätigt, wenn man das Schicksal der 1867 von Professor von Holtzendorff erhobenen Forderung der Zulassung der Frauen zum Studium der Jurisprudenz und zur Ausübung der Advokatur verfolgt; Holtzendorff meinte:
»In diesem Bereiche ist viel Ungerechtigkeit gegen die Frauen wieder gut zu machen... Auf diesem Gebiete zeigt sich wohl der ärgste Zopf«.[148]
Doch auf diesem Feld stieß keine der beiden Frauenorganisationen nach; neben der schwierigen Rechtslage im Deutschen Reich, die eine Zulassung zum Studium,[149] zu den Staatsprüfungen und zur juristischen Tätigkeit verbot, wurde der Zugriff auch sicher gehemmt durch eine »echt weibliche« Scheu vor diesem »unweiblichen« Beruf, die angesichts des vehementen männlichen Anspruches auf Alleinbesitz durch jene verstimmende Geschlechtsbescheidenheit der Frauen [150] vertieft wurde, die 1875 deutlich bei Marie Calm zum Ausdruck kam, als sie das Ergebnis eines amerikanischen Berufszensus zu Beginn der 70er Jahre [151] mitteilte, der
- 500 weibliche Ärzte und Chirurgen,
- 5 weibliche Advokaten,
- 5 weibliche Notare,
- 67 weibliche Pfarrer,
- ca. 400 weibliche Postmeister
nachwies, und feststellte:
»Gewiß, die deutschen Frauen streben weder nach der Soutane, noch nach der Robe, da lassen sie gern das alte >mulier taceat in ecclesia'< gelten; aber was dem ärztlichen Beruf und der Anstellung der Frauen bei den öffentlichen Verkehrsanstalten entgegensteht, sind in der Tat nur Vorurteile«.[152]
In der Agitation der Frauenbewegung für »weibliche Ärzte« trat der Wunsch, auf medizinischem Gebiet dem weiblichen Geschlecht einen neuen Beruf zu erschließen, weit zurück hinter der »sanitären und ethischen Notwendigkeit« der Ärztin für Kinder- und vor allem für Frauenkrankheiten. Man empfand es als Grausamkeit, als schlimmsten Verstoß gegen das weibliche Zartgefühl und die weibliche Schamhaftigkeit, daß die Frauen gezwungen waren, sich mit delikatesten Problemen und Krankheiten an männliche Ärzte zu wenden; oftmals litten die Frauen jahrelang, um dann an einer verschleppten Krankheit, die man in ihren Anfängen hätte heilen können, zu sterben. - Die Quellen vermitteln den Eindruck, daß Frauenleiden damals sehr häufig auftraten, was bei den unmäßig hohen Zahlen von Geburten und Aborten auch keineswegs überraschend ist.
Schwierig in den Bemühungen um weibliche Ärzte war die Frage: Wie bekommt man sie? Der Stein des (»sittlichen») Anstoßes war das gemeinsame Studium beider Geschlechter; die Männer waren in dieser Frage in ihrer überwältigenden Mehrheit wesentlich »heikler« als die Führerinnen der Frauenbewegung. Bei der Gründung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (1865) verwies der Referent Professor Eckardt denn auch sofort auf eine Frauenhochschule [153] (vgl. oben A. III. 1). Dies war ein Weg, den man zu einem Teil in den U. S.A. und England beschritt, wo man u. a. besondere medical Colleges und women's hospitals für weibliche Studierende schuf; Rußland griff 1872 ff. zu einer ähnlichen Lösung.
Doch Louise Otto-Peters wünschte schon 1866 recht deutlich in irgendeiner Form ein Studium an den bestehenden Universitäten, denn es sei ja auch ohne Schwierigkeiten möglich, ungebildete Frauen als Hebammen an Kliniken auszubilden, warum solle das nicht ebenso bei weiblichen Studierenden der Medizin möglich sein?[154]
In dieser Überzeugung konnte Louise Otto-Peters auch nur bestärkt werden durch die Entwicklungen in der Schweiz:
1864 wurden »einige Damen« aus Petersburg auf ihr Ersuchen hin zum Studium der Medizin an der Universität Zürich zugelassen. Am 14.12.1867 promovierte die erste Frau in Zürich zum Dr. med. (die Russin Nadeschda Suslowa),
im März 1870 die zweite (die Engländerin Elizabeth Morgan).
Das sich positiv vollziehende gemeinsame Studium in Zürich brachte auch den Lette-Verein auf den rechten Weg, nachdem noch 1869 auf einer Konferenz in Berlin [155] von dem Referenten Professor Emminghaus die Gründung einer besonderen Frauenhochschule vorgeschlagen worden war. - Mehrere Artikel der in der Schweiz beteiligten Professoren im »Frauen-Anwalt« gaben in der ersten Hälfte der 70er Jahre Antwort auf die drängendsten Fragen:
- Sind die Frauen fähig, Medizin zu studieren?
Man stellte fest, daß sie nicht nur befähigt seien, sich diesem Fach zu widmen und den männlichen völlig ebenbürtige Leistungen zu erreichen, man erwartete auch, daß sie sich dem Studium der Theologie, der Jurisprudenz, der Geschichte und der Naturwissenschaften mit dem gleichen Erfolg zuwenden würden; ferner: daß sie sogar »ausgedehnten kommerziellen und industriellen Geschäften vorstehen und höhere politische Ämter bekleiden könnten, denn wir in Zürich »sehen nicht ein, warum nicht auch Frauen umfassende Kenntnisse in Volkswirtschaft und Statistik, in Finanzwissenschaften und Verwaltungswesen sich erwerben und in öffentlichen Stellungen verwerten sollen«.[156] In Bern wurde in einer Rektoratsrede als Konsequenz der Zulassung der Frauen zum Studium gefordert: »Erstens: die Zulassung der studierten Frauen zu den Prüfungen; und falls sie dieselben bestehen, ... zweitens auch zu den Anstellungen, Ämtern und Berufsarten, auf welche jene das Recht geben; und drittens: Erteilung des politischen Stimmrechts und des aktiven und passiven Wahlrechts nicht nur den studierten Frauen, sondern allen, welche eine gleiche geistige Bildung und einen gleichen Arbeitskreis mit den Männern haben.[157]
Ebenso befriedigend fiel die Antwort aus auf Frage: - Wird durch die mangelhafte Vorbildung der Frauen der Unterricht gestört? Die Frage wurde verneint, da entweder die Frauen ihre Lücken füllten oder vom Studium zurückträten. Die Professoren drängten jedoch auf eine gleiche gymnasiale oder realgymnasiale Vorbildung beider Geschlechter; da aber entsprechende Vorbildungsanstalten fehlten, herrschte die Meinung vor, daß die Universitäten den Frauen ihre Pforten öffnen müßten, sobald sie die nötige Vorbildung in anderer Weise erlangt hätten.[158] Was in der Schweiz auch geschah.
- Welche Erfahrungen ergeben sich aus dem gemeinsamen Studium der Geschlechter hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung und des Unterrichts Verlaufes? hinsichtlich der Sittlichkeit? - stand bei deutschen Männern und Frauen ganz besonders im Blickpunkt des Interesses.
Zu a) bestätigten einhellig die Professoren, daß sie alle Vorlesungen und medizinischen Demonstrationen vor dem gemischten Auditorium so durchführten, wie sie es vorher vor Männern allein zu tun pflegten; »Unzuträglichkeiten« seien während des Unterrichts nicht vorgefallen.[159] Die Ängste um den persönlichen »sittlichen« Lebenswandel der Studentinnen wurden durch einen Ukas der russischen Regierung (im Sommer 1873) bedauerlicherweise in den Vordergrund gedrängt: wegen angeblich »unsittlichen Lebenswandels« befahl die russische Regierung den ca. 100 russischen Studentinnen, die Universität Zürich zu verlassen; wer noch nach Neujahr 1874 in Zürich studiere, werde in Rußland von allen Staatsprüfungen ausgeschlossen. Tatsächlich wurde der Ukas erlassen wegen der von der russischen Regierung beargwöhnten »anarchistischen und nihilistischen Umtriebe« in Zürich. In der Schweiz durchschaute man das üble Spiel, und die Universität Bern war bereit, die russischen Studentinnen aufzunehmen,[160] aber in Deutschland stärkte der Ukas die an sich dominierenden gegnerischen Kräfte, deren prominenter Sprecher, der Professor der Anatomie v. Bischoff, den Frauen 1872 bereits alle geistigen und körperlichen Fähigkeiten für ein Medizinstudium abgesprochen und die sittlichen Kalamitäten vorausgesehen hatte. Bedauerlich, wenn auch verständlich, war jedoch die nervöse Reaktion der organisierten Frauenbewegung: Hatte man bis zu diesem Zeitpunkt recht frisch die Zulassung zum Studium der Medizin gefordert, so dürfte es von nun an kaum eine Erörterung dieser Frage gegeben haben ohne die peinlich genaue Beachtung des Punktes »Sittlichkeit« und die Beteuerungen, daß durch ein Studium die »Weiblichkeit« der Studentinnen nicht zerstört werde; wobei man sich in der Sorge um die »Weiblichkeit« nicht nur auf eine strenge sexualmoralische Sittlichkeit und die oben geschilderten »ewig-weiblichen« Tugenden konzentrierte, sondern auch die Kleidung, die ganze äußere Erscheinung und das Benehmen der Studentinnen miteinbezog. Noch immer ging das Schreckgespenst der »Emanzipierten« in deutschen Köpfen um, und man neigte zu der Vorstellung, daß die mit Männern zusammen studierende Frau auch Männerkleidung trage, mit Männern zeche, ganz und gar »unweiblich« (i. e. »unsittlich») lebe u. a. m. Es ist bis zu einem gewissen Grad überraschend, daß trotz der lebhaften Diskussion und Agitation in Sachen Medizinstudium bis 1888 keine direkten Vorstöße durch entsprechende Petitionen erfolgten.[161] Die Gründe für dieses Verhalten sind zum größten Teil in der hemmenden, direkt feindlichen Haltung der Umwelt zu suchen, wobei die Problematik des gemeinsamen Studiums und dessen, was man in Deutschland für »Sittlichkeit« hielt, ganz besonders lähmend auf die Aktivität der Frauenbewegung gewirkt haben dürfte. Mit Sicherheit darf man deshalb auch vermuten, daß durch Petitionen keine Fortschritte erzielt worden wären, wie ja auch die entsprechenden Vorstöße auf dem Gebiet des keineswegs »heiklen« Pharmaziesstudiums von Seiten des Lette-Vereins (zusammen mit dem von ihm geführten Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine beim Bundesrat Ende 1872 oder Anfang 1873 [162] und des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (1876, genauere Hinweise fehlen) [163] ohne Erfolg geblieben sind. Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung der organisierten Frauenbewegung mag in der vorsichtigen Zulassung von Gasthörerinnen an den Universitäten Leipzig und Prag zu Beginn der 70er Jahre zu suchen sein;[164] diese vorsichtigen Anfänge wollte man sicher nicht gefährden durch ein Drängen auf generelle Zulassung der Frauen, das zudem der Mentalität der Führerinnen der Frauenbewegung auch gar nicht entsprochen hätte. Vorsichtiges Erproben, Reifenlassen, langsames organisches Wachstum, eine Rechtfertigung der Forderungen durch den Beweis bereits erreichter Frauenleistungen »in Selbsthilfe« - dies allein schien der rechte Weg zu sein. Jene Bewährung »in Selbsthilfe« wurde möglich durch die Rückkehr einiger deutscher im Ausland approbierter Ärztinnen: Dres. med. Franziska Tiburtius und Lehmus (1876) in Berlin, approbiert in der Schweiz (Zürich); Dr. Dahms (1877) in Hamburg, Studium in Edinburgh und Paris.[165] Nach den Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung waren die nicht in Deutschland approbierten Ärztinnen den Kurpfuschern gleichgestellt und unterlagen entsprechenden Beschränkungen. Dr. Anna Dahms, preußische Staatsbürgerin, richtete ein Gesuch an die Universität Berlin mit der Bitte, in Berlin das medizinische Staatsexamen ablegen zu dürfen; es wurde abschlägig beschieden, und Kultusminister Falk eröffnete ihr in einer Audienz (im März 1879), »daß nicht die mindeste Aussicht dazu vorhanden sei, daß Frauen zum Staatsexamen zugelassen würden«.[166] 1879 folgte Dr. Dahms deshalb einem Ruf nach Schottland, da ihr in Hamburg von Behörden und Ärzten durch eine feindselige, die Gewerbeordnung radikal ausnützende Haltung die Ausübung ihres Berufes unmöglich gemacht wurde: ich fand weder »einen gefälligen Arzt«, so stellte sie fest, »der für mich Toten- und Geburtsscheine ausstellte, noch eine Polizeibehörde, nachsichtig genug, um mir die Eröffnung einer Poliklinik zu gestatten«,[167]... In Frauenkreisen jedoch hatte sie sich »die Anerkennung vieler in hohem Maße erworben«, ein Faktum, das den Widerstand der Ärzte gestärkt haben dürfte. In Berlin war man wie immer hart im Prinzip, aber tolerant in winzigen Zugeständnissen: Dres. Tiburtius und Lehmus durften eine Poliklinik für unbemittelte Frauen (und Kinder) einrichten; ferner melden während der hier behandelten Zeitspanne die Quellen auch noch keine anderen amtlichen oder kollegialen Schikanen.[168] Während der 80er Jahre, als sich die Haltung der Universitäten wieder verhärtet hatte und man Frauen auch nicht mehr als Gasthörerinnen zuließ, reifte jedoch die Situation, aus der direkte Aktionen erwachsen konnten:
- entwickelte man in den Kreisen der organisierten Frauenbewegung konkretere Vorstellungen über eine Vorbildung für die Universität (vgl. B.I. 2b);
- hatten sich die wenigen in Deutschland praktizierenden, aber im Ausland approbierten Ärztinnen bestens bewährt;[169]
- war durch die unermüdliche Agitation der Frauenbewegung und durch das Bedürfnis sowohl nach Ärztinnen wie auch nach höheren Frauenberufen das Frauenstudium zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion geworden.
Die Situation war nach nunmehr 20 Jahren organisierter Frauenbewegung »reif«, als sich 1888 der Allgemeine deutsche Frauenverein (zudem wohlversehen mit Stiftungen für das Frauenstudium) an die Kultusministerien der Bundesstaaten wandte mit der Bitte um Zulassung der Frauen zum Medizinstudium (und zur Vorbereitung auf das höhere Lehramt) an den bestehenden Universitäten. Schärfer kämpfend trat ihm sofort der 1888 gegründete Deutsche Frauenverein Reform zur Seite; er forderte 1888/89 in Petitionen an die Kultusministerien der deutschen Bundesstaaten: die »Zulassung des weiblichen Geschlechts zum Studium an Universitäten und Hochschulen«. Schon in seinen Satzungen vertrat dieser Verein mit Nachdruck die Ansicht, »daß die Frau gleich dem Manne zum Studium aller Wissenschaften Zutritt haben soll, nicht aber auf vereinzelte derselben (wie z. B. die Medizin oder Lehrfach) beschränkt werden darf«. Hinsichtlich der praktischen Anwendung erhob jedoch der Frauenverein Reform eine etwas modifizierte Forderung; sie lautete: »Erlangung der staatlichen Erlaubnis für Frauen, diejenigen auf wissenschaftlichen Studien beruhenden Berufe, deren Ausübung einer behördlichen Genehmigung bedarf, auch wirklich ausüben zu dürfen, soweit das praktisch durchführbar ist und sobald die betreffenden Examensnachweise geliefert sind«.[170]
Für »praktisch durchführbar« erachtete der Verein alle Berufe, die »bereits tatsächlich in anderen Kulturländern durchgeführt worden sind«, (z. B. die Berufe der Ärztin, Zahnärztin, Apothekerin, Chemikerin, Journalistin, Hochschullehrerin, Oberlehrerin und Rechtsanwältin); vorerst ausgeklammert wurde das Prediger- und Richteramt und die Laufbahn des Verwaltungsbeamten«.[171]
Mochte der eine Verein der deutschen Frauenbewegung nun auch weniger fordern als der andere (der Lette-Verein schwieg ganz!), keine der Petitionen erzielte einen Erfolg; einige Antworten der Kultusministerien enthielten 1889 nur den Hinweis, daß für Medizinalangelegenheiten das Reich zuständig sei. - Und doch darf man in Kenntnis der 1890 ff. sich vollziehenden Vorgänge feststellen, daß die deutsche bürgerliche Frauenbewegung mit diesen Petitionen in Sachen höherer Frauenbildung und Frauenarbeit endlich in Bewegung gekommen war.
Neben dem Beruf der Ärztin wurde von beiden Organisationen der Frauenbewegung auch von Anbeginn die Krankenpflege in der Ausgestaltung eines freien Erwerbsberufes ins Auge gefaßt. Es ist jedoch charakteristisch, daß man erst zu Beginn der 80er Jahre die Ausbildung solcher Schwestern mit bleibendem Erfolg durchführen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt lag die Krankenpflege ausschließlich in Händen geistlicher oder halb weltlicher, halb geistlicher Organisationen,[172] in denen sich das ganze Leben der Schwestern zu vollziehen hatte, die ihrerseits aber auch für den gesamten Lebensunterhalt und für die Versorgung der Schwestern im Falle der Krankheit, der Invalidität und des Alters Sorge trugen. Erhielten diese Schwestern überhaupt eine winzige Entlohnung, so dann zumeist nur in Form eines Taschengeldes von ihrem Orden.«[173]
Diese Berufsverhältnisse wirkten keinesfalls anziehend auf die in Erwerbsberufe drängenden Frauen der höheren Schichten, da hierbei keineswegs von einer freien Berufstätigkeit einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit die Rede sein konnte. Die Öffentlichkeit schätzte jedoch die nur Gott und dem Kranken dienende Schwester und glaubte sich von ihr besser betreut als von einer »bezahlten Wärterin«, gegen die man allgemein eine Abneigung hegte.
So konnte es geschehen, daß auf der Generalversammlung der Vaterländischen Frauenvereine (1875) anläßlich einer Diskussion über die »freiwillige Krankenpflege« in Kriegszeiten durch angelernte Helferinnen Ihre Majestät die Kaiserin es »lebhaft befürwortete«, die freiwillige Krankenpflege »fort und fort anzuregen, da bezahlte Wärterinnen nie das leisten werden, was freiwillige Krankenpflege Gutes zu tun und zu üben imstande ist. In demselben Sinne sprach sich über die freiwillige Krankenpflege, die nicht hoch genug anzuschlagen sei, Ihre Königliche Hoheit die Frau Großherzogin von Baden aus«.[174]
Trotz der lebhaften Unterstützung der ganz anders gesinnten Kronprinzessin Friedrich scheiterte der erste Versuch des Lette-Vereins zu Beginn der 70er Jahre [175]. - 1882 wurde von dem »Verein für häusliche Gesundheitspflege« in Berlin der zweite Versuch unternommen. Dieser Verein gehörte zum Verband des Lette-Vereins, und Minna Cauer* berichtet, daß die entsprechende Anregung direkt von der Kronprinzessin ausgegangen sei. - Zunächst nur als privates Vereinsunternehmen zur Ausbildung von »Viktoriaschwestern« ausgestaltet, gelang es nun, in Verbindung mit Krankenhäusern eine geordnete praktische und theoretische Ausbildung zu erreichen. Obgleich die Bewegungsfreiheit der Schwestern im Verband der Viktoriaschwestern wesentlich größer war, blieb doch auch hier noch immer der »Verband»; eine wirklich freiberufliche Schwesternschaft mußte sich erst aus diesen Anfängen entwickeln. Es muß jedoch auch betont werden, daß bei dem damaligen Stand der sozialpolitischen Gesetzgebung die jeweilige Organisation, der die Schwester angehörte, ihr den Schutz und die Hilfe gewährte, die ihr heute die Gesellschaft angedeihen läßt.
Für die Öffnung der Berufe der Post-, Telegraphie- und Bahnbeamtin setzten sich beide Frauenorganisationen sofort mit großer Entschiedenheit ein. Baden, Württemberg und Sachsen hatten bereits zu Beginn der 60er Jahre (nach französischem, englischem und amerikanischem Vorbild) Frauen in geringer Zahl in die Verkehrsbetriebe eingestellt. - Im Herbst 1867 richtete deshalb der Allgemeine deutsche Frauenverein sofort eine Petition an den Norddeutschen Reichstag mit dem Ersuchen, die den Frauen Sachsens bereits gewährte »Befugnis zum Post- und Telegraphendienst ... für Frauen innerhalb der zum norddeutschen Bund gehörenden Länder auszudehnen«.[176] Die Petition wurde vom Norddeutschen Reichstag dem Bundeskanzler »zur Erwägung und eventuellen Berücksichtigung« überwiesen, von letzterem dem Bundesrat vorgelegt, der dem Allgemeinen deutschen Frauenverein (am 6.10.1867) antwortete:
»Bei Anstellung in Bundespost- und Telegraphendienste ist von dem Grundsatze, daß vorzugsweise Männer (Militäranwärter, d. V.) zu berücksichtigen sind, nicht abzugehen. Dadurch soll jedoch die Anstellung von Frauen in einzelnen geeignet scheinenden Fällen nicht ausgeschlossen werden«.[177]
1869 petitionierte der Lette-Verein um Zulassung zum Bahn-, Post-und Telegraphendienst; die Petition kam wegen Schluß des Reichstags nicht zur Verhandlung.
1872 wiederholte der Lette-Verein und der ihm angeschlossene Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine seine Petition.
Am 13. 5.1872 kam es im Reichstag zu einer längeren Debatte. Die Hauptbedenken der Regierungsvertreter lauteten:
- die Frauen ermangeln der notwendigen physischen Kraft;
- die Frauen besitzen nicht die notwendige Autorität gegenüber den meist gedienten Unterbeamten und dem gemischten Publikum;
- aus der nicht durchführbaren Trennung von Männern und Frauen während des Dienstes werden sich »Unzuträglichkeiten« ergeben;
- es sind Störungen im Dienstablauf zu befürchten, da einige Frauen heiraten werden.
Trotz dieser abwehrenden Argumente und des »wohlmeinenden« Rates des Herrn Generalpostmeisters Stephan - die beste Versorgung der Frauen bei der Post sei die Heirat mit einem Beamten - beschloß der Reichstag, die Petition
»dem Herrn Reichskanzler zur Berücksichtigung bei Besetzung von Stellen innerhalb der Verkehrsanstalten des Reiches, welche für weibliche Personen geeignet sind, zu überweisen«.[178]
Es ist fraglich, ob die kleinen Fortschritte des Jahres 1873 von der Reichstagsresolution angeregt wurden oder ob den Verkehrsbetrieben männliche Kräfte fehlten, und man ganz billige in den Frauen zu gewinnen hoffte. Eventuell dürften auch Anregungen von allerhöchster Stelle (ausgehend von der Kronprinzessin Friedrich) die Einstellung der Frauen gefördert haben.
Im Januar 1873 erließ der preußische Handelsminister Richtlinien für die Zulassung der Frauen zum Staatseisenbahndienst.[179]
1873 erlaubte die Kaiserliche Post- und Telegraphendirektion dem (unter Protektion der Kronprinzessin Friedrich stehenden) Lette-Verein, Frauen in Telegraphie auszubilden; einige Frauen wurden auch im Bürodienst der Post verwendet.[180]
Doch die Frauen wurden nur diätarisch angestellt bei schlechter Bezahlung:
10 - 15 Taler im Eisenbahndienst,
25 Taler im Telegraphendienst.
Die etatmäßige Einstellung (als Beamtin) wurde aufgeschoben, sie sollte nur erfolgen, wenn keine Militäranwärter vorhanden waren; und in diesem Falle sollte das Gehalt der Beamtin ansteigen bis zum Minimalbetrage des Gehaltes der Beamtenstellen gleicher Kategorie.[181]
Gegen unzureichende Leistungen, Krankheit etc. hatten sich die Verkehrsanstalten gegenüber dem »zarten Geschlecht« rigoros gesichert: für diätarische Beamtinnen bestand eine vierwöchige Kündigungsfrist; fristlos konnten sie nach zweiwöchiger Erkrankung entlassen werden; im Krankheitsfalle wurde ferner kein Gehalt gezahlt, aber sofort ein ärztliches Attest gefordert.[182]
Diese Regelungen erweckten den Unwillen der Frauenbewegung; doch nachweisbar wurden keine direkten Vorstöße zur Besserung dieser Situation unternommen. Man beschränkte sich auf ihre Feststellung - vermutlich in der Hoffnung, daß gute Leistungen auch eine Besserung dieser Verhältnisse herbeiführen würden. Arbeit und Geduld waren nach Meinung der organisierten Frauen ja die besten Waffen in diesen »Kämpfen«. - Bemerkenswert ist ferner, daß in keiner der vorliegenden Quellen während dieses Zeitabschnittes gegen die Übernahme des Beamtinnenzölibates Protest erhoben wurde, das man von den öffentlich bedienste-ten Lehrerinnen nun ohne Zögern auf die öffentlich bediensteten Verkehrsbeamtinnen übertrug.
Zur Vorbereitung auf den weiten Bereich einer gehobenen kaufmännischen Tätigkeit entstanden überall private Handelsinstitute. Als weit bekannte Musterschule galt die Handelsschule des Lette-Vereins, die 1870 eröffnet wurde. - Die Absolventinnen der einjährigen Lehrgänge gehörten den höheren Mittelschichten an; es waren Töchter von Offizieren, Beamten, Gutsbesitzern, Lehrern und Predigern. Nur einmal, 1871, meldete der »Frauen-Anwalt«, daß es trotz hervorragender Kenntnisse schwierig sei, die ehemaligen Schülerinnen in entsprechende Stellungen zu vermitteln;[183]
1872 findet man den Hinweis, daß die Schülerinnen in Stellen mit einem Gehalt von 200-500 Talern (im Jahr) vermittelt worden seien,[184] woraus man schließen darf, daß die Frauen nun ihren Weg »machten« dank ihrer Billigkeit bei gleichzeitigen guten Leistungen. Die Vorgänge in Berlin waren mit Sicherheit charakteristisch für die Entwicklungen, die sich überall im Deutschen Reich vollzogen.[185]
Hinsichtlich künstlerischer und kunstgewerblicher Frauenarbeit lagen die größeren Schwierigkeiten auf dem Gebiete der Kunst. Abgesehen von der Zulassung beider Geschlechter zum gemeinsamen Studium an Konservatorien, waren die Frauen von den Kunstakademien ausgeschlossen. Eine Ausbildung auf dem Gebiet der bildenden Künste war nur in dem Atelier eines »Meisters« möglich und zumeist sehr kostspielig. Die Folge war, daß der weibliche Dilettantismus überall vorherrschte, zumal auch wegen der nur wenigen offenstehenden Berufszweige kaum talentierte Frauen in diese Berufe drängten.[186] Die Männerwelt ihrerseits registrierte, wenn die Frauenbewegung die Zulassung zu höheren Studienzweigen forderte, sehr gerne die keineswegs überragenden künstlerischen Leistungen der Frauen mit dem Fingerzeig, daß es sich auf wissenschaftlichem Gebiete nicht anders verhalten werde. Andererseits erwartete aber das gehobene Publikum auch keine hervorragenden, überwältigenden künstlerischen Frauenleistungen, wenn man von Opernsängerinnen und tragischen Schauspielerinnen absieht. Die Quellen vermitteln den Eindruck, daß das Publikum an die künstlerische Frauenleistung mit der Erwartung herantrat, sich während der Beschäftigung mit ihr behaglich zu fühlen, entzückt zu werden. Ganz in diesem Sinne fragte Lorenz von Stein 1875:
«... ist sie nicht frei in Kunst, Literatur und Wissenschaft? Gibt es da noch etwas, was zu emanzipieren wäre bei all den Künstlerinnen und Schriftstellerinnen, die uns so oft die schweren Stunden versüßen und das Herz erwärmen»?[187]
Eine Untersuchung über weibliche Arbeiten und Leistungen auf dem Gebiet der Literatur und der bildenden Künste liegt außerhalb des Rahmens dieser Untersuchung; es muß jedoch darauf verwiesen werden, daß auch diese Frauen in ihrem künstlerischen Schaffen den Normen und Klischees jener »Weiblichkeits»-Vorstellungen unterworfen waren und daß auch sie aus jenen Mauern ausbrechen und sich in ihrem Schaffen befreien mußten.
Auf dem Gebiet des Kunstgewerbes bot sich ein fast unübersehbares Feld von Arbeitsmöglichkeiten; es werden z.B. oft genannt: Photographieren, Holz- und Porzellanmalerei, Blumenmalerei aller Art, gewerbliches Musterzeichnen, Holzschneidekunst, Goldschmiedearbeiten, Kunststickerei und andere künstlerische Handarbeiten, selbst die Damenschneiderei auf »wissenschaftlicher und künstlerischer Grundlage« wurde »wohlerzogenen Mädchen« als Beruf empfohlen.[188]
Ausbildungsmöglichkeiten für diese Berufe wurden teilweise von den Frauenorganisationen (vor allem dem Lette-Verein) geschaffen, teilweise wurden die Frauen in Werkstätten ausgebildet, hier und da auch zu den entsprechenden Ausbildungsanstalten für Männer zugelassen. Man gewinnt den Eindruck, daß die Frauen in diese Berufe ohne Kämpfe »einsickerten«, da sich in ihnen relativ leicht eine Arbeitsteilung vollziehen ließ und sich Frauen für manche Arbeiten besonders gut eigneten.
Die Frauenbewegung griff nach all diesen Berufen für die »gebildete« Frau, da sie gezwungen war, für nicht qualifiziert vorgebildete Frauen und Mädchen Arbeitsmöglichkeiten zu finden, die der »natürlichen« weiblichen Begabung - hier der manuellen Geschicklichkeit, dem Färb- und Formensinn und nicht zuletzt dem Fleiß und der Geduld der Frauen - entgegenkamen. Mit dem sicher ehrenwerten Wort: »Jede Arbeit adelt«, suchte man die von Armut und Not gezwungenen, oft aber »standesbewußten« Frauen zum Zugriff zu ermuntern. - Ein Sorgenpunkt war nur, daß Betriebe und Werkstätten den Frauen die Möglichkeit bieten sollten, in eigenen, von den Männern getrennten Räumen zu arbeiten, um »Unzuträglichkeiten« aller Art zu vermeiden. Ein tieferes Problem derartiger Berufsarbeit von Seiten der »gebildeten« Frauen verbirgt sich in Louise Otto-Peters' folgender Stellungnahme (1866):
»Wie sich aber der meisten Handwerke die Fabrikindustrie bemächtigt hat, so dürfen auch die Frauen, auch die gebildeteren nichts Anstößiges mehr darin erblicken, für Fabriken nicht nur zu Hause, sondern... auch in den Fabriken ... eine bestimmte Zahl Tagesstunden zu arbeiten. Nicht nur im industriellen Amerika tun dies die Frauen - Fabrikarbeiterinnen, die man >ladies< nennt - die meist zu Wagen in die entfernte Fabrik geholt werden, wo man ihnen mit... Achtung begegnet,... sondern auch in der benachbarten deutschen Schweiz verbindet man mit dem Begriffe >Fabrikarbeiterin< nicht den einer armen und unwissenden Proletarierin, sondern man ehrt in ihnen selbständige Jungfrauen, die Töchter guter Familien, die es für ehrenvoller halten, durch passende Arbeit sich ihre Existenz selbst zu sichern, als durch Nichtstun ihren Angehörigen zur Last zu fallen. Und in der Schweiz hat bekanntlich trotz alledem das Familienleben nichts von seiner patriarchalischen Einfachheit und schönen Sitte eingebüßt«.[189]...
Diese Stellungnahme Louise Otto-Peters' zeigt neben der Verkennung der deutschen industriellen Verhältnisse auch die Fehleinschätzung der Wirkung derartiger Frauenarbeit auf die unteren Schichten des Volkes. Man darf mit Sicherheit behaupten, daß Louise Otto-Peters die auf Arbeit angewiesenen Frauen der unteren Schichten keinesfalls schädigen wollte; wertet man aber im gesamten Arbeitsprozeß jene Erwerbsarbeit der Frauen »höherer Stände« in »niederen Berufen«, so dürften doch eindeutig ein Konkurrenz- und Lohndruck zu Lasten der unteren Volksschichten erzeugt sowie die beruflichen Aufstiegschancen der Arbeiterinnen verkürzt worden sein. Das Problem der »Schmutzkonkurrenz« der heimlich für ein Taschengeld nähenden Frauen und Töchter der mittleren und höheren Stände, die die Löhne der Näherinnen unterboten und dadurch oft unter das Existenzminimum herabdrückten, wurde von allen Organisationen der Frauenbewegung erkannt und bis zu einem gewissen Grade auch bekämpft (vgl. Kap. B. II. 3); aber die ökonomischen und sozialen Folgen der auf untere und mittlere Berufe fast ausschließlich konzentrierten weiblichen Berufstätigkeit wurden nach den vorliegenden Quellen erst von dem Deutschen Frauenverein Reform kritisch hervorgehoben in seiner Agitation »für die Erschließung der auf wissenschaftlichen Studien beruhenden Berufe für das weibliche Geschlecht«.
Andererseits deutet jedoch das Drängen auf eine Reform der Mädchenbildung darauf hin, daß sich eine neue »Bewegung« anbahnte, die energischer den Eintritt der Frauen in höhere Berufe fordern würde, als es bis 1888/89 geschehen war.
Neben diesen Bemühungen um eine Erschließung neuer Berufs- und Erwerbsmöglichkeiten versuchten die führenden Frauenorganisationen auch unermüdlich, die zur »Erwerbstätigkeit« drängenden Frauen zur rechten Arbeitshaltung zu erziehen, eine Aufgabe, die sich erübrigte bei Frauen, die einen »Beruf« ergriffen - z. B. bei Lehrerinnen und Ärztinnen. Unter jener bewußten »Arbeitshaltung« verstand man einen energischen Arbeitswillen, Selbstdisziplin, Ernst, Sicherheit, Sachlichkeit und Distanz.
Die Schwierigkeiten begannen schon bei der Berufswahl und der entsprechenden Vorbereitung. Viele junge Damen - in der Schule und im Elternhaus zum »Haustöchterchen« und zu einer später »echt weiblichen« Gattin gebildet und erzogen - wünschten Berufe, die schnell und mühelos zu erlernen waren und in denen man ebenso mühelos und bequem genügend Geld verdienen konnte. Während der Berufsvorbereitung versuchte man deshalb, ihnen einen Begriff zu geben von dem »Ernst der Arbeit« und der Notwendigkeit einer straffen Arbeitsdisziplin.
Die Komplikationen setzten sich fort am Arbeitsplatz. - Bezüglich der zu bewältigenden Arbeit mußten sich die Frauen einerseits in die »Materie« hineinfinden, andererseits an den stundenlangen Arbeitsprozeß gewöhnen. Soweit die Quellen berichten, gelang dies in den meisten Fällen zur Zufriedenheit der Vorgesetzten. - Das Problem des richtigen Verhaltens gegenüber den (zumeist männlichen) Kollegen und dem Publikum dürfte das schwierigere gewesen sein. Hier mußten die schüchternen, nur für Familie und Haus erzogenen, in der Öffentlichkeit stets begleiteten und behüteten Mädchen Sicherheit, Selbstvertrauen und Gewandtheit gewinnen. Gleichzeitig liefen die nicht Schüchternen Gefahr, ihre »Weiblichkeit« auch im Beruf noch allzusehr zu betonen, um die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen;[190] diesen Frauen gegenüber mußten der Ernst der Arbeit sowie Sachlichkeit und Distanz verdeutlicht werden. Schon 1866 kritisierte Louise Otto-Peters die beiden Extreme: die kleinliche, übertriebene Schüchternheit und Prüderie auf der einen Seite und das Aufmerksamkeit heischende, entgegenkommende Benehmen auf der anderen; beides werde die Zudringlichkeiten der Männer provozieren,
»indes diese (die Männer, d. V.) ein zugleich sittsames, aber unbefangenes Betragen, das die Frucht eines edlen Selbstgefühles ist, ganz von selbst im Zaume hält«.[191]
Eine andere Gruppe der bereits selbständig und selbstbewußt im Leben stehenden arbeitenden Frauen, die sich ihres Wertes und ihrer Würde bewußt waren, litten offensichtlich, wenn sie älter wurden, unter der Anrede »Fräulein«. Hinter dieser Tatsache verbarg sich die noch immer so spürbare Verachtung gegenüber der älter werdenden unverheirateten Frau, der »alten Jungfer«, der es nicht gelungen war, vor den Augen eines Mannes »Gnade zu finden« und von ihm geheiratet zu werden, um durch diesen Akt zu einer höheren Spezies des weiblichen Geschlechts, zur »Frau«, befördert zu werden. An diesem allgemein akzeptierten und geübten Usus wird offenbar, daß man die Frau nicht als Menschen, nach ihren menschlichen Qualitäten wertete und schätzte, sondern als Geschlechtswesen, dem man nur in der Ausübung seiner »natürlichen Funktionen«, die allerdings nicht ohne den Mann zu erfüllen waren, eine größere »Achtung« entgegenzubringen bereit war. In einem solchen Wertsystem war die »alte Jungfer« etwas Unvollständiges, Halbes und dadurch Minderwertiges, was ihr von der Männerwelt und den »vollwertigen« verheirateten Frauen auch verdeutlicht wurde. Es ist interessant, daß sich nach den zugänglichen Quellen nur der »Frauen-Anwalt« 1871 [192] und 1879 [193] gegen diesen Zustand wandte und auch für die unverheiratete, selbständig im Leben stehende Frau die Anrede »Frau« forderte, denn man rede ja den unverheiratet bleibenden Mann auch nicht mit »Herrlein« an, sondern mit »Herr«. - Deshalb, so stellte die Schreiberin 1871 fest,
»darf das Weib, welches sich ohne männliche Beihilfe, ... aus eigener Kraft eine selbständige Stellung errang, prätendieren, auch den würdevollen Namen 'Frau' beigelegt zu erhalten. Es ist überhaupt eine ernste Forderung des Zeitgeistes, daß das Weib eine selbständige, rein menschliche, vom Verhältnis zum männlichen Geschlechte unabhängige Geltung erstrebe und daß es demnach nicht mehr für die Gesellschaft als vermählt oder unvermählt von vornherein rangiert und klassifiziert werde.
Für das Weib soll in Zukunft Liebe und Ehe lediglich eine heilige, unantastbare Herzens- und Privatangelegenheit sein, keine gesellschaftliche Lebensfrage, und Frauen, d. h. vollbürtige Gesellschaftsglieder, denen man in Form und Wesen gleicherweise Achtung und Berücksichtigung zollt, das sollen alle sein, auch die Unverheirateten. Das >Fräulein< bleibe als gefällige und entsprechende Bezeichnung den jungen Mädchen ... aber nur ihnen«.[194]
Auffällig ist, daß keiner der beiden Aufsätze im »Frauen-Anwalt« ein Echo fand, denn die gesellschaftliche Sitte war noch zu allmächtig und zwang die engagierten Frauenrechtlerinnen zur Rücksichtnahme auf Brauch und »Schicklichkeit»; vielen dürfte auch der Mut gefehlt haben, solch »heikle« Forderungen zu vertreten. - Die hier berührten Probleme blieben - ungelöst - ein kritischer Punkt auf der Tagesordnung der Frauenbewegung.
3. Maßnahmen zur Förderung der Erwerbsfähigkeit
der
Frauen der »unteren Stände»
»Man darf nie und nirgends am Siege der Humanität und des Fortschritts verzweifeln. Am wenigsten darf man an sich selbst verzweifeln, an der eigenen Kraft.»
Louise Otto-Peters (1868)[195]
Waren die Hindernisse auf dem Gebiet der höheren Bildungs- und Arbeitsbereiche geeignet, die Frauenbewegung an dem Siege der Humanität und des Fortschritts zweifeln zu lassen und alle Maßnahmen zur Selbsthilfe schon im Ansatz zu drosseln, so begegneten die Bemühungen um eine Erwerbsertüchtigung der Mädchen und Frauen der »unteren Stände« keinen unüberwindlichen Schwierigkeiten; sie fanden sogar in den meisten Fällen ein freundliches Entgegenkommen von Seiten der Kommunen. Die Frauenorganisationen konnten hier also zur »Selbsthilfe« schreiten. Überblickt man die verschiedenen Quellenhinweise, so kann man feststellen, daß sich das Wirken der Frauenbewegung hier auf zwei Hauptgebiete konzentrierte:
- a) auf einen gewerblichen Bereich, den man als »Domäne der Nähnadelarbeit« charakterisieren könnte, und
- b) auf einen kaufmännischen, der sich von einer Tätigkeit in Ladengeschäften bis zu qualifizierteren kommerziellen Arbeiten erstreckte.
Diese beiden konkreten Arbeitsgebiete der Erwerbsertüchtigung waren ferner gleichermaßen durchdrungen von einem ausgesprochenen Erziehungsziel: der Förderung der geistigen und sittlichen Tüchtigkeit der Frauen.
Die Mädchen und Frauen, denen diese Förderungsmaßnahmen zugute kamen, gehörten zum größten Teil den kleinbürgerlichen Schichten an: Es waren Töchter von kleinen Kaufleuten, Angestellten und Beamten, von Handwerkern, aber auch von Arbeitern. Eine berufliche Ertüchtigung gereichte in jedem Fall den Familien dieser Kreise zum Vorteil: entweder konnten die Mädchen durch außerhäusliche Erwerbsarbeit zum kargen Familienbudget beitragen oder sie wurden qualifizierte Arbeitskräfte im väterlichen Betrieb oder dem des Ehemannes. Und für den Fall, daß die Mädchen nicht heirateten, wünschte man ebenfalls, daß sie sich selbst ernähren könnten. Hier überwogen die Vorteile eindeutig das so strapazierte Ideal, daß die Frau ins Haus gehöre; und selbst denjenigen, die fest von seiner Gültigkeit überzeugt waren, wurde, wie Bebel es formulierte, »durch die harten Tatsachen Logik und Einsicht eingepaukt«.[196]
Die Männer der gesellschaftlich führenden Kreise in den Kommunalverwaltungen hatten an diesen Bestrebungen der Frauenbewegung ebenfalls nichts auszusetzen, denn hier galt es ja nicht, den »blumen-haften Liebreiz« und die »pflanzenhafte Innerlichkeit« der Frauen der eigenen Klasse zu verteidigen, die voller Anmut, Duft und Poesie »himmlische Rosen ins irdische Leben flechten« sollten. Diese Mädchen und Frauen hatten schon immer gearbeitet im elterlichen oder fremden Hauswirtschaftsbetrieb, mochten sie nun unter den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen etwas lernen, um entweder dem geplagten Vater oder Ehemann besser als »Gehilfin« zur Hand gehen zu können oder um draußen zu verdienen, um die Not zu lindern. Besser außerhäusliche Arbeit der Frauen als Not und neue Lasten für die Armenkassen und soziale Spannungen! - Neben echter fortschrittlicher Gesinnung mögen es vor allem diese Gesichtspunkte gewesen sein, die die Kommunalverwaltungen so »geneigt« machten: teilweise zahlten diese Zuschüsse zur Unterhaltung der betreffenden Einrichtungen oder stellten ihnen kostenlos Lokale zur Verfügung. Daß hier die Frauenorganisationen durch ihre Selbsthilfemaßnahmen eigentlich drängende kommunale Aufgaben übernahmen, zeigt sich neben jener Hilfsbereitschaft auch daran, daß die Kommunen nach einigen Jahren hier und da ähnliche Anstalten schufen oder die Einrichtungen der Frauenorganisationen als kommunale übernahmen.
Die Einrichtungen, die von den Frauenorganisationen zur Förderung der Erwerbsfähigkeit errichtet wurden, kann man unter zwei Typen zusammenfassen:
- a) unter dem Typ der »reinen« Handels- und Gewerbeschule und
- b) unter einem »Mischtyp«, der hier (in Anlehnung an die häufigste Bezeichnung)
»Fortbildungsschule« genannt werden soll.
Als Muster des »reinen« Schultyps kann man die Ausbildungsstätten des Berliner Lette-Vereins aufführen, die 1866 ff. gegründet wurden. 1879 umfaßten sie eine Handels-, Gewerbe-, Kunstarbeits-, Zeichen-, Modellier- und Setzerinnenschule sowie eine Ausbildungs-Wasch-und Plättanstalt, in denen rd. 1400 Schülerinnen unterrichtet wurden.[197]( Angeschlossen waren ferner ein Arbeitsnachweisbüro, ein Internat (Viktoriastift), ein Damenrestaurant und der Viktoriabazar (eine Ausstellungs- und Verkaufsstelle für weibliche und künstlerische Erzeugnisse).
Die vorliegenden Nachrichten vermitteln den Eindruck, daß im Vergleich zu anderen Einrichtungen die Unterrichtsanstalten des Lette-Vereins vorzüglich ausgebaut waren; hierbei dürften dem Verein die zu Beginn fast ausschließlich männliche Leitung und die Protektion der Kronprinzessin zustatten gekommen sein: die ersteren stellten dem Verein Erfahrungen und organisatorische Fähigkeiten zur Verfügung, und die Kronprinzessin half durch ihr Eintreten jederzeit, wenn es galt, Geldmittel für neue Unternehmungen zu gewinnen. - Die Berliner Einrichtungen dienten deshalb auch den meisten Vereinen als Vorbild. -Nach den vorliegenden Quellen existierten ähnlich »reine« Schultypen in Kassel, Darmstadt und Frankfurt.
Der »Mischtyp« der »Fortbildungsschule« setzte sich zumeist zusammen aus:
- einem Näh- oder Handarbeitskurs,
- einem kaufmännisch-fortbildenden Zweig (Fächer u. a.: Deutsch, Schönschreiben, Rechnen,
Buchführung, Englisch, Französisch, Geographie, Zeichnen) - und Unterhaltungsabenden (mit Vorträgen, Musik, Gesang und Deklamation).
Während die »reinen« Schultypen ihren Unterricht morgens begannen, wurden die Veranstaltungen der »Fortbildungsschulen« meist als »Abendkurse« und »Sonntagsschulen« durchgeführt. - Derartige Einrichtungen sind häufiger im Einflußbereich des Allgemeinen deutschen Frauenvereins nachweisbar als im Bereich des Lette-Vereins, da im Vorort des Allgemeinen deutschen Frauenvereins, in Leipzig, Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt im Rahmen des von ihnen geleiteten Frauenbildungsvereins* diese Einrichtungen entwickelten - aus eigener Kraft, ohne größere finanzielle Mittel. 1866 erfolgte die Gründung einer Sonntagsschule (wie sie auch in den Arbeiterbildungsvereinen üblich war), in der »Unterricht in Elementarwissen, Französisch und weiblichen Arbeiten von Damen - meist unentgeltlich - erteilt« wurde;[198] zu diesem Zweck stellte der Leipziger Arbeiterbildungsverein, wie dessen Vorsitzender August Bebel mitteilt, auf Ersuchen des Frauenbildungsvereins sein Lokal zur Verfügung.[199] 1867/68 wurde die Sonntagsschule zu Abendkursen erweitert (mit Unterricht in Deutsch, Französisch, Englisch, Geographie, Rechnen, Handelskunde, Zeichnen, Singen, Handarbeiten; 36-40 Schülerinnen).[200] Später erfolgte ihr Ausbau zur »Fortbildungsschule« mit 18 Wochenstunden.[201] 1884 wird jedoch erwähnt, daß diese und die Speiseanstalt für Frauen »je nach den Zeitbedürfnissen gepflegt und aufgegeben wurden, um wieder dringenderen zu genügen, so jetzt der Einführung von Sonntagsunterhaltungen konfirmierter armer Mädchen (Schutzbefohlene) unter weiblicher Leitung«.[202]
Geblieben waren aber unter starker Beteiligung die Abendunterhaltungen. Bei diesen »Fortbildungsschulen« stößt man deutlicher auf das erzieherische Moment der Förderung der geistigen und sittlichen Tüchtigkeit des weiblichen Geschlechts, als deren Konsequenz man wiederum eine Hebung seiner Erwerbsfähigkeit erwartete (die innige Verbindung mit dem liberalen Gedankengut der 40er Jahre, vgl. A. I. 3) und 2), fällt hierbei ganz besonders auf). Man war zwar fest davon überzeugt, daß dieses erzieherische Moment auch in den Unterrichtsstunden voll wirksam werde durch die neue Umgebung, die Berührung mit gebildeten Frauen, die exakte, fleißige Arbeit am Lernstoff; doch bei der dominierenden Bedeutung, die man der sittlichen und geistigen Tüchtigkeit im Lebenskampf beimaß, glaubte man, diese durch Belehrung verbunden mit Freude und Erhebung noch besonders fördern zu müssen; und dies sollte durch die Abend- und Sonntagsunterhaltungen geschehen mit ihren Referaten über literarische, biographische, historische und naturwissenschaftliche Themen und über allgemein als wichtig empfundene Lebensfragen.[203] Im Leipziger Frauenbildungsverein referierten, spielten, sangen und deklamierten nur die Frauen, in anderen Vereinen holte man sich auch männliche Referenten. Louise Otto-Peters und ihr Leipziger Frauenbildungsverein, der neben Vereinsmitgliedern und Schülerinnen auch »Arbeiterinnen« und »andere Frauen und Mädchen einlud, die nichts für ein edles Vergnügen erübrigen können«,[204] verfolgten hierbei folgende Ziele (1866):
»Erweiterung des weiblichen Gesichtskreises, Erhebung und Anregung für stille Arbeitsstunden, Erweckung und Stärkung zu freudiger Berufstätigkeit«.[205]...
Der Frauenbildungsverein Breslau* erklärte (1875):
Zweck der Referate sei nicht, zusammenhängende Kenntnisse zu bieten, sondern zur Weiterbildung anzuregen; der musikalische Teil solle der ästhetischen Fortbildung dienen, wie auch die »Versammlungen das Vorbild einer schönen Geselligkeit darzubieten haben«.[206]
Grundsätzlich dürften an jenen Unterhaltungsabenden neben den Vereinsmitgliedern immer die Schülerinnen und andere eingeladene Personen zugegen gewesen sein, daß ausdrücklich Arbeiterinnen eingeladen wurden, war nach den Quellen nur bei dem Leipziger Frauenbildungsverein der Fall; dieser Gesichtspunkt ist im folgenden Kapitel genauer zu untersuchen. Beachtenswert ist ferner, daß sich jene »Fortbildungsunternehmen« durchaus nicht nur als Ausbildungs- und Erziehungsstätten für das weibliche Geschlecht empfanden, sondern daß sie in dem Bewußtsein wirkten, über die Erziehung der Frauen auch die Gestaltung des familiären Lebens der unteren Volkskreise positiv beeinflussen zu können, um eine bessere Entwicklung der allgemeinen sozialen Verhältnisse herbeizuführen. Ganz deutlich tritt dieses Ziel in der Entwicklung des Lette-Vereins (Berlin) zutage der sich von Abendunterhaltungen völlig freigehalten und zudem durch § 1 der Vereins Statuten Arbeiterinnen, Dienstboten, Wäscherinnen und dgl. von der Vereinswirksamkeit ausgeschlossen hatte; er hob 1877 diesen Paragraphen auf, als »eine tiefe Gärung sich der sogenannten arbeitenden Klassen bemächtigt« hatte, denn er erkannte die darin liegenden Gefahren und fühlte sich verpflichtet,
»den Frauen und Töchtern des arbeitenden Volkes die helfende Hand zu reichen, ihnen Lehre, Förderung und Unterstützung auf jede mögliche in seinem Bereiche liegende Weise angedeihen zu lassen«.[207]
Da man von der Berührung mit den wohlgegliederten und bewährten Arbeitsstätten des Lette-Vereins einen anregenden, günstigen Einfluß auf die Töchter des Volkes erwartete, schuf man in rascher Folge: einen Arbeitsnachweis für Dienstmädchen, Feinwäscherinnen und Plätterinnen (1877), eine Ausbildungs-Wasch- und Plättanstalt (1878), eine »Fortbildungsschule für die Töchter des arbeitenden Volkes« (1878);[208] erteilt wurden Unterrichtsstunden in Elementarwissen, dem kaufmännischen Fach und Handarbeiten - plus Abendunterhaltungen, Ausflügen, Weihnachtsbescherung (1882 wurde diese Schule in städtische Regie übernommen); eine Kochschule (um 1877) und eine Haushaltungsschule (1886), in der auch Dienstmädchen ausgebildet wurden. Hinsichtlich der Ertüchtigung der häuslichen Dienstboten geschah im Vergleich zu den anderen Ausbildungseinrichtungen recht wenig. Obwohl auf den Generalversammlungen des Allgemeinen deutschen Frauenvereins von süddeutschen und Berliner Delegierten [209] Anregungen zur Gründung solcher Anstalten gegeben wurden, konzentrierten sich die »Neuen Bahnen« weitaus stärker auf die menschliche Seite der Dienstbotenfrage und mahnten: man solle den Menschen in den Dienstboten anerkennen und sie als selbstbestimmende Menschen behandeln, ihr Ehrgefühl achten, ihnen Verantwortung übertragen, ihre Selbständigkeit stärken und ihnen Bewegungsfreiheit zubilligen; mit Güte und Verständnis solle man die Mädchen im Haushalt heranbilden und erziehen. - Auch hier verfolgte man nicht nur das Ziel, fleißige, ehrliche, treue Dienstboten für den eigenen Haushalt zu gewinnen, man leistete, wie Mathilde Weber es 1875 formulierte, einen »Anteil am Kulturkampf»: denn in den Dienstboten forme man »Kulturträgerinnen«, die den Geist des herrschaftlichen Hauses in dem eigenen Hausstand in den unteren Schichten weiterhin pflegen und verbreiten sollten.
»So vermag jede Frau«, schloß Mathilde Weber ihre Ausführungen, »auch im kleinsten Hause ein Sandkorn beizutragen zu dem Damm gegen die wilde gespensterhafte Flut der Commune, die wir stets vor der Pforte unserer nächsten Zukunft branden und brausen hören«.[210]
In Berlin und im weiteren Kreise des »Frauen-Anwalts« gerieten die »herrschaftliche« und die »humane« Seite stärker in Konflikt: neben verständnisvollen Ausführungen stehen Äußerungen krassesten herrschaftlichen Bewußtseins; der in Berlin führende Hausfrauen verein belohnte einerseits treue Dienstboten und gründete 1876 eine spezielle Fortbildungsschule [211] verlangte aber andererseits wahrheitsgetreueste Eintragungen in die Gesindebücher und ein konsequentes Verhalten gegenüber schlechten Dienstboten; er petitionierte 1874 sogar bei dem Berliner Polizeipräsidenten [212] und dem preußischen Abgeordnetenhaus [213] um eine Änderung der 1810 erlassenen preußischen Gesindeordnung -sicher nicht, um sie humaner zu gestalten. Der Inhalt der Petitionen wird nicht wiedergegeben, doch man erwartete von dem Polizeipräsidenten, daß
»er auch uns die Hand böte, der Renitenz der Dienstboten durch eine neue Gesindeordnung für Berlin zu begegnen. Ist die Polizei auf der Seite der Hausfrauen, ich meine damit überhaupt auf Seiten der gerechten Sache, dann wäre uns der Rücken gedeckt und das Ausmerzen der schlechten Dienstboten aus Berlin leicht in die Wege zu bringen«.[214]
Die Petitionen waren erfolglos. Ebenso blieben die problemgerechten Vorschläge einer Fortbildungsschule im Anschluß an die Gemeindeschule (zum Zweck der hauswirtschaftlichen Ausbildung)[215] oder eines Lehrjahres für häusliche Dienstboten [216] in den weiteren Kreisen der Frauenbewegung noch Gegenstand der Diskussion; nur der Berliner Hausfrauenverein (1876) und der Lette-Verein (1886) versuchten, durch Eröffnung von »Musterschulen« neue Wege zu erproben und andere Vereine zur Nachahmung anzuregen.
Es erhebt sich nun die Frage:
Welche Bedeutung hatten diese von den Frauenorganisationen errichteten Ausbildungsstätten für die Förderung der Erwerbsfähigkeit der Frauen der »unteren Stände»?
Fragt man hierbei zunächst nach der Qualität des Unterrichts, so darf man vermuten, daß sie recht unterschiedlich war; ferner haben Umfang und Tiefe des übermittelten Wissens und Könnens wohl kaum dem der länger, gründlicher und systematischer ausgebildeten Männer entsprochen. Die vorliegenden Nachrichten vermitteln den Eindruck, daß man versuchte, den Frauen für den Erwerbskampf ein »erstes Rüstzeug« mitzugeben - ein improvisiertes zwar, aber doch ein möglichst solides, dessen Mängel im Erwerbsleben ausgeglichen werden konnten durch Verstand und Willen, durch Fleiß und Geschicklichkeit.
Bei der Frage nach der Quantität der von diesen Einrichtungen erfaßten und ausgebildeten Frauen stößt man auf Schwierigkeiten, da sich hinsichtlich der Anzahl der Ausbildungsstätten und der in ihnen ausgebildeten Frauen keine genauen Angaben ermitteln lassen. Selbst wenn man den günstigsten Fall annähme, daß die ca. 40 dem Allgemeinen deutschen Frauenverein und dem Verband deutscher Frauenbildungs-und Erwerbsvereine angeschlossenen Organisationen alle Ausbildungsstätten der oben dargestellten Art besessen hätten, so erlauben die äußerst spärlich überlieferten Schülerzahlen,[217] gerade wegen ihrer geringen Anzahl, keine allgemeinen Schlüsse; ferner wäre jede Schätzung auf dem Sektor der Nähnadelarbeit auch deshalb unmöglich, da viele Haustöchter jene Kurse für eigene familiäre Verwendungszwecke besuchten. - Man darf jedoch mit Sicherheit vermuten, daß diese Ausbildungseinrichtungen nur einen Bruchteil der in jene Erwerbsberufe drängenden Mädchen und Frauen erfaßten; ein Blick auf die Berufsstatistik des Deutschen Reiches 1882 möge dies verdeutlichen.
Wenn angesichts dieser hohen und stets wachsenden Zahlen die Bemühungen der Frauenorganisationen wie ein Tropfen auf einen heißen Stein erscheinen, so ist ihre Bedeutung dennoch unbestreitbar. Neben der Erwerbsertüchtigung, die einer großen Anzahl von Frauen zuteil wurde und sicher manche Notlage linderte, darf mit dem Blick auf die Frauenarbeit der erzieherische Einfluß auf weite Volkskreise nicht unterschätzt werden: man demonstrierte hier unter dem ständigen Beweis konkreter Vorteile die Notwendigkeit einer Vorbildung der zur Erwerbstätigkeit drängenden Frauen, während man gleichzeitig durch eine unermüdliche Propaganda bemüht war, den Eltern die Verpflichtung zu verdeutlichen, nicht nur ihren Söhnen, sondern auch ihren Töchtern eine berufliche Ausbildung zuteil werden zu lassen. Sehr fest wurzelte noch überall die Überzeugung, daß die Arbeit ja doch nur »vorübergehend« bis zur Heirat ausgeübt werde, es erübrige sich deshalb, Zeit und Geld zu investieren. Auch die Vorstellung, daß sich das Mädchen schon in eine Erwerbsarbeit »hineinfinden« werde, wie es sich ja auch in seinen Hausfrauen- und Mutterberuf hineinfinden müsse, hemmte in weiten Kreisen eine berufliche Vorbereitung, wobei es denselben Personen nicht im Traum eingefallen wäre, von dem Sohn zu erwarten, daß er sich z. B. in den Beruf eines Handwerkermeisters »hineinfinde«. - Und schließlich bewies man den staatlichen und kommunalen Gewalten durch die Tat die Notwendigkeit solcher Einrichtungen für das weibliche Geschlecht und erprobte die Wege, die ein wirksamer Unterricht zu beschreiten hatte.
Zugleich darf auch die Wirkung dieser Tätigkeit auf die Frauenbewegung nicht übersehen werden: einerseits vermittelten diese Anstalten durch die vollbrachte Leistung ein Stückchen gesunden Selbstvertrauens und das Bewußtsein, im gesellschaftlichen und kulturellen Leben an einer Stelle wenigstens gestaltend mitwirken zu können; andererseits bargen jene Arbeiten die Gefahr, die Frauenbewegung durch zermürbende Kleinarbeit von größeren, wichtigeren Zielen abzulenken, und nicht selten mag man mit dem Blick auf die Wohlgeneigtheit und den Geldbeutel der Behörden auf die Propagierung von Forderungen verzichtet haben, die jene Wohlgeneigtheit hätten erschüttern können. Trotzdem hatten die Frauenorganisationen dank solcher »allgemeinen Zwecken« dienenden Einrichtungen ein ganz anderes Gewicht in der Öffentlichkeit und gegenüber den weltlichen Instanzen; man mußte ihnen einen gewissen Respekt zollen und sich mit maliziösen Bezeichnungen wie »erweitertes Kaffeekränzchen« und ähnlichem zurückhalten. - Mit dem Blick auf die stürmischer verlaufenden folgenden beiden Jahrzehnte darf man weiterhin feststellen, daß gerade durch diese praktische Kleinarbeit bis gegen Ende der 80er Jahre eine Grundlage geschaffen worden war, von der aus man weiterreichende Forderungen noch allen Richtungen mit dem Ausweis der Berechtigung erheben konnte - nachdem man erst einmal in Bewegung gebracht worden war.