Die vorliegende Arbeit wurde angeregt durch die Dissertation Werner Thönnessens:
Parallel zu dieser Arbeit sollte die Frauenemanzipation in Politik und Literatur der deutschen liberalen Parteien untersucht werden. Doch nach Einsicht in die entsprechende Literatur wurde der Schwerpunkt der Arbeit von den liberalen Parteien auf die aus dem liberalen Gedankengut erwachsende bürgerliche Frauenbewegung verlagert, da die Liberalen, befangen in der herkömmlichen Vorstellungswelt, keineswegs als Verfechter des Emanzipationsgedankens auftraten, sondern unter dem Druck vor allem wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse höchstens zu Zugeständnissen bereit waren. Von Ausnahmen abgesehen, schenkten sie aus eigenem Antrieb der bürgerlichen Frauenbewegung nur begrenzte Beachtung, und ihre Haltung gegenüber manchen Forderungen der Frauenbewegung unterschied sich oft nur durch eine Nuance in der Formulierung von der der Konservativen oder Klerikalen. Im Gegensatz zur proletarischen Frauenbewegung, der die Genossen (wenn auch oft nur widerwillig) zur Seite standen, war die bürgerliche Frauenbewegung auf sich selbst gestellt, sie allein war Trägerin des gesamten Geschehens, auf das die Liberalen auf der anderen Seite in einer Reihe mit den übrigen Parteien reagierten - oder es auch unterließen. - Aus diesen Gründen empfahl es sich, die bürgerliche Frauenbewegung in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen und die Haltung der liberalen Parteien als Teil der "Umwelt" der bürgerlichen Frauenbewegung zu berücksichtigen.
Bei Durchsicht der Sekundärliteratur zur Frauenbewegung fiel besonders auf, daß sie meist von Mitgliedern der Frauenbewegung geschrieben wurde, deren Gesichtswinkel durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe der Frauenbewegung bestimmt war.[1] Man konzentrierte sich dadurch stärker auf die Arbeit der eigenen Gruppe und streifte die Bestrebungen anderer Gruppen mehr am Rande oder widmete ihnen, wie im Falle der proletarischen Arbeiterinnenbewegung, eine Sonderbetrachtung in einem Sonderkapital. Von dem Blickpunkt der noch in der Arbeit und den Kämpfen der Frauenbewegung engagierten Schreiberinnen war dieses methodische Vorgehen sicherlich gerechtfertigt: man stand nebeneinander, arbeitete miteinander - oder auch gegeneinander - an der Realisierung bestimmter Ziele. Diese Bearbeitung beeinträchtigt jedoch die Darstellung der inneren dynamischen Entwicklung der Frauenbewegung. Im allgemeinen behandelt man ausführlich das "Was" und bringt eine minuziöse Kompilation von Fakten, man untersucht unter dem Gesichtswinkel des eigenen Standortes auch sorgfältig das "Warum", doch zumeist fehlt das "Wie", das nur aus dem Kraftfeld des Gesamtgeschehens entwickelt werden kann und nachweisen muß, wie sich eine bestimmte Forderung in einer Organisation entwickelte und nach außen vertreten wurde im Wechselspiel der Beeinflussung durch andere fortschrittliche und hemmende Gruppen der Frauenbewegung und der Umwelt.
Diese Beobachtung bestimmte die Auswahl des Quellenmaterials und das weitere methodische Vorgehen.
Hinsichtlich des Quellenmaterials wurden als zuverlässigste Quellen deshalb vor allem die Frauenzeitschriften ausgewählt, sie bilden den Grundstock der Arbeit. Dieses Material wurde ergänzt durch zeitgenössische Literatur, Memoirenwerke und, falls die Quellenlage unzureichend war, durch später geschriebene Sekundärliteratur. An Zeitschriften wurden benutzt:
- a) Für den sozialistischen Flügel der deutschen Frauenbewegung: "Die Gleichheit". Red. Clara Zetkin, 1.-29. Jg., 1891-1918/19; "Sozialistische Monatshefte". 1908/09; 1912-14; 1918.
- b) Für den linken Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung ("Radikale" genannt; vorwiegend liberal, z. T. demokratisch oder sozialistisch orientierte Mitglieder): "Frauenwohl", Zeitschrift für Fraueninteressen. Hrsg. v. "Verein Frauenwohl" (Berlin), 1./2. Jg., 1893/94; "Die Frauenbewegung". Hrsg. v. Minna Cauer, 1.-25. Jg. 1895-1919; "Beilage zur Frauenbewegung, Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung". Red. Dr. jur. Anita Augspurg, 1900-1906; (Organ des "Vereins Frauenwohl", Berlin; des "Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine"; des "Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht"). "Zeitschrift für Frauenstimmrecht". Hrsg. v. Dr. jur. Anita Augspurg, 1.-6. Jg., 1907-1912); (Organ des "Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht"); "Frauenstimmrecht, Monatshefte des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht". Red. Dr. jur. Anita Augspurg. 1.-2. Jg., 1912/ 13-1913/14; (fortgesetzt als: "Die Staatsbürgerin", s.u.). "Zeitschrift für Frauenstimmrecht, Monatsschrift für die staatsbürgerliche Bildung der Frau". Hrsg. v. Minna Cauer, 1912-18; (Organ des "Vereins Frauenwohl", Berlin). "Mutterschutz. Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik". Hrsg. v. Dr. phil. Helene Stöcker, 1.-3. Jg., 1905-07; dann: "Die Neue Generation". Hrsg. v. Dr. phil. Helene Stöcker, 4.-15. Jg., 1908-19; (Publikationsorgan des "Bundes für Mutterschutz"). "Die Frau im Staat". Hrsg. v. Dr. Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, 1. Jg., 1919; (u. a. Publikationsorgan der "Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit", deutscher Zweig).
- c) Für den mittleren Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung (später "Gemäßigte" genannt, vorwiegend liberal und nationalliberal orientierte Mitglieder): "Neue Bahnen". Hrsg. v. Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt, 3.-4. Jg., 1868/69; 10.-11. Jg., 1875/76; 18.-19. Jg., 1883/84; 31.-54. Jg., 1896-1919; hrsg. nacheinander von: Auguste Schmidt, Elsbeth Krukenberg, Dr. phil. Gertrud Bäumer, Dr. Elisabeth Altmann-Gottheimer. "Blätter für soziale Arbeit". (Beilage zu den "Neuen Bahnen"), hrsg. v. Dr. Elisabeth Altmann-Gottheimer, 4. -7. Jg., 1912-15; (Organe des "Allgemeinen deutschen Frauenvereins"). "Der Frauen-Anwalt". Hrsg. v. Jenny Hirsch , 1.-6. Jg., 1870/71-1875/76; "Deutscher Frauen-Anwalt". Hrsg. v. Jenny Hirsch, 1878-81; (Organ des "Verbandes deutscher Frauensbildungs- und Erwerbsvereine"). "Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit". Hrsg. v. Helene Lange (später zusammen mit Dr. phil. Gertrud Bäumer), 1.-27. Jg., 1893/94-1919/20. "Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine". Hrsg. v. Jeanette Schwerin, 1. Jg., 1899/1900; hrsg. v. Marie Stritt, 2.-14. Jg., 1900/01-1912/13; dann: "Die Frauenfrage. Zentralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine". Hrsg. v. Marie Stritt, 15.-22. Jg., 1913/14-1920. "Mitteilungen des Rheinisch-Westfälischen Frauenverbandes", "Mitteilungen des Vereins Frauenbildung - Frauenstudium" (Beilagen zum "Centralblatt"; 13. Jg., 1911/12 ff.); "Frau und Staat" (Beilage zum Zentralblatt, 14. Jg., 1912/13 ff.); hrsg. v. Ida Dehmel, 1.-5. Jg., 1912/13-16; (Organ der "Deutschen Vereinigung für Frauenstimmrecht"). "Die Staatsbürgerin". Red. Adele Schreiber, 3.-8. Jg., 1914/15-19; (Organ des "Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht", 1916 ff. Organ des "Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht"). "Jahrbuch der Frauenbewegung". Hrsg. v. Dr. Elisabeth Altmann - Gottheimer, 1913, 1914; "Jahrbuch des Bundes deutscher Frauenvereine". Hrsg. v. Dr. Elisabeth Altmann - Gottheimer, 1917, 1918, 1919.
Die Literatur des rechten konfessionellen und konservativen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung konnte ausgeklammert werden, da der "Deutsch-evangelische Frauenbund" und der "Deutsche Frauenbund" dem "Bund deutscher Frauenvereine" beitraten und das Geschehen in diesen Organisationen in allen Vereinsorganen der liberalen bürgerlichen Frauenbewegung genau beobachtet und kommentiert wurde. Das gleiche gilt für den "Katholischen Frauenbund", der sich jedoch dem "Bund deutscher Frauenvereine" nicht anschloß.
Bei der Auswahl der liberalen Zeitungs- und Zeitschriftenliteratur erfolgte eine Beschränkung auf die Organe jener Parteigruppierungen, die sich gegenüber den Forderungen der Frauenbewegung besonders aufgeschlossen zeigten, so:
"Die Nation, Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur". Hrsg. v. Theodor Barth, 1.-24. Jg., 1883/84-1906/07. (Theodor Barth: Nationalliberale Partei/Sezession, Deutsche Freisinnige Partei, Freisinnige Vereinigung, Demokratische Vereinigung). "Die Hilfe". Hrsg. v. Friedrich Naumann, 1.-25. Jg., 1895-1919.
(Friedrich Naumann: National-Soziale Partei, Freisinnige Vereinigung, Fortschrittliche Volkspartei, Deutsche Demokratische Partei).
Diese Beschränkung dürfte sich nicht negativ auswirken, da die politisch orientierten Frauenorganisationen gleichzeitig scharf alle Vorgänge in Parteien, Parlamenten und im gesamten öffentlichen Leben überwachten, die Frauenangelegenheiten berührten; die stenographischen Berichte wichtiger Reichstagsdebatten z. B. findet man oft gleichzeitig in zwei oder drei Frauenzeitschriften.
Methodisch empfahl sich zunächst eine chronologische Gliederung der Arbeit, die sich an den einzelnen Entwicklungsstadien der bürgerlichen Frauenbewegung orientiert. Die sich hieraus ergebenden Abschnitte (A, B, ...) sind nach Sachgebieten in Kapitel untergliedert. Die Reihenfolge der Kapitel wird bestimmt durch die Bedeutung des entsprechenden Sachgebietes innerhalb der Gesamtbestrebungen der Frauenbewegung. Im Rahmen der einzelnen Kapitel wird nun versucht, die Analyse der Arbeit auf einem Sachgebiet mit einer Zusammenschau der dynamischen Vorgänge zu verbinden. Als Konstante ist das jeweilige Sachgebiet vorgegeben, die Variablen sind die Hauptgruppen der Frauenbewegung und die Umwelt. Hieraus ergibt sich im Prinzip immer dasselbe Kraftfeld: das Verhältnis der Frauengruppen und der Umwelt zu einer Sache wirkt auf erstere zurück und beeinflußt die Beziehungen der Frauengruppen untereinander und zur Umwelt, gewinnt jedoch gleichzeitig im Spannungsfeld dieser Wechselwirkungen neue Akzente.
Es ist nicht möglich, jedes Kapitel der vorliegenden Arbeit in dieser Weise zu behandeln; einerseits wäre der Umfang der Arbeit dann kaum zu bewältigen, andererseits zwingen auch die Gegenstände einiger Sachgebiete oder die mangelhafte Quellenlage zu einer anderen Methode.
Der dieser Arbeit beigefügte Quellenband unterstützt bis zu einem gewissen Grad das oben beschriebene methodische Vorgehen, indem er die Arbeit von einer zu detaillierten Behandlung einzelner Gegenstände entlastet und hierdurch Raum schafft für die Berücksichtigung der Dynamik der Entwicklung. Prinzipiell ist der Quellenband jedoch nur eine Zugabe: die Dissertation ist ein in sich geschlossenes Ganzes, sie kann ohne den Quellenband existieren - während der Quellenband ohne Kenntnis der Dissertation nicht voll ausgeschöpft werden kann. (Vgl. weitere Angaben zum Quellenband im Vorwort desselben). Die Verzahnung des Dissertationstextes mit dem Quellenband erfolgt durch hochgestellte Sternchen* im Kontext an jenen Stellen, zu denen Quellen vorliegen; die Sternchen erscheinen dann nochmals unter dem Anmerkungsapparat mit der entsprechenden Seitenzahl des Quellenbandes.
Die oben gegebenen Hinweise zum Quellenmaterial deuten bereits an, daß die im Thema gewählte Formulierung: "deutsche Frauenbewegung" - vom Standort der Gegenwart beurteilt und weit interpretiert wird. Die Endziele der "Frauenbewegung" lassen sich wie folgt umreißen:
- die Emanzipation der Frau mit dem Ziel der Gewinnung gleicher Rechte und Pflichten für beide Geschlechter auf allen Gebieten des menschlichen Lebens - als Ausgangspunkt für das weitere Wirken der beiden Geschlechter;
- die Realisierung dieser Rechte und Pflichten in der gleichberechtigten Teilnahme beider Geschlechter auf allen Gebieten des menschlichen Lebens - als Mittel zu einer von beiden Geschlechtern gleichmäßig getragenen Ausgestaltung aller menschlichen Lebensbereiche.
Es verbietet sich jedoch, die mit diesen Endzielen zugleich definierten Kriterien als absolute Maßstäbe gegenüber den sich allmählich entwickelnden Organisationen der Frauenbewegung anzuwenden, die von kleinen Nahzielen zu größeren übergingen, an Umfang und Tiefe gewannen und erst nach Jahrzehnten auf alle Bereiche des menschlichen Lebens übergriffen. Um dieser Entwicklung gerecht zu werden, empfiehlt es sich, diese Maßstäbe zu relativieren und auch jene Organisationen als Träger der Frauenbewegung anzusprechen, die während der hier behandelten Epoche nur eine partielle Emanzipation und eine partielle Teilnahme des weiblichen Geschlechts auf einigen Gebieten des menschlichen Lebens erstrebten, wenn jene partiellen Ziele als Etappen auf dem Wege zum Endziel gewertet werden können. - Eine solche Relativierung erlaubt ferner, das breit gefächerte Feld der verschiedenen Strömungen - von der weit vorstoßenden proletarischen Frauenbewegung bis hin zu der zurückliegenden konfessionellen - als "Frauenbewegung" anzusprechen. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Wege zu den jeweiligen größeren oder kleineren partiellen Zielen innerhalb der Hauptgruppen der Frauenbewegung sind Unterscheidungsmerkmale dieser Gruppen, berühren aber nicht ihre Zugehörigkeit zur "Fauenbewegung".
Da für die sozialistische Arbeiterinnenbewegung bereits Werner Thönnessens Untersuchung vorliegt, wird in dieser Arbeit die proletarische Frauenbewegung nur insoweit berücksichtigt, als sie integrierender Bestandteil des Kraftfeldes der Frauenbewegung ist. Auch aus diesem Grund rückt die bürgerliche Frauenbewegung stärker in den Mittelpunkt der Untersuchung.
Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Abendroth, schulde ich größten Dank für die vielfachen Anregungen und sachlichen Hinweise, doch vor allem für die Ermutigung zur umfassenden kritischen Auseinandersetzung.
Herrn Dr. jur. P. P. Freiherrn von Egloffstein danke ich sehr für die mir so großzügig erlaubte Auswertung der in seinem Besitz befindlichen Memoiren von Lida Gustava Heymann in Zusammenarbeit mit Dr. jur. Anita Augspurg "Erlebtes - Erschautes! Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden". 1850-1940. (I. Bearbeitung 1938; II. Bearbeitung 1940/41)2 sowie für zahlreiche wertvolle Unterlagen und Hinweise zum Leben und Wirken dieser beiden Führerinnen des radikalen linken Flügels der deutschen und internationalen Frauenbewegung.
Mein herzlicher Dank gilt ferner den Damen Berndt, Krahmer und Seibel von der Universitätsbibliothek Gießen für ihre stete Hilfe bei der Auffindung und Beschaffung von Quellen- und Bildmaterial.
Gießen/L. im Oktober 1967.