Great Charter:
»No free man shall be taken, or imprisoned, or
disseized of his freehold, or liberties ...«
Now suppose a woman came up before you and
asked for the protection of the Great Charter,
under the definition »no free man« would you
there say: »You are without the protection of the
Great Charter: You are a woman, and you therefore are
not within the definition, and are not within the intention
of the Great Charter of our liberties.«
Sylvia Pankhurst, The Suffragette Movement, London 1931
»Ihr seid keine historische Kategorie.«
Neomarxist zu Feministinnen, aus: Anja Meulenbelt,
De Ekomonie van de koesterende Funktie,
in Feminisme 1, Amsterdam 1975
1. Die Begriffe unserer politischen Denker
»Du bist ohne den Schutz der Großen Charta: Du bist eine Frau, und darum nicht in den Begriff einbezogen und darum nicht in die Absichten der Großen Charta unserer Freiheiten inbegriffen.«
So lautet die Auslegung des Begriffes »free man« in der Magna Charta von 1534 durch patriarchale Demokraten noch im England des 19. Jahrhunderts, als Frauen sich auf dieses historische Dokument stützen wollten, um bürgerlich-demokratische Rechte, den Schutz des Rechtsstaates endlich auch für sich zu begründen. Unter den Begriff und damit unter den Schutz und unter die politische Ordnung des englischen Parlamentarismus fallen also nur Männer; Frauen fallen aus der Begriffsbestimmung heraus, weil sie Frauen sind. Wann immer in politisch-philosophischen Schriften, politischen Abhandlungen und Dokumenten in hunderten von Jahren - und bis in die jüngste Gegenwart - der Begriff »man« (Plural »men«) gebraucht wird, muß davon ausgegangen werden, daß es sich um die Begriffsbestimmung in diesem engen Sinne handelt - um Männer allein, nicht um Frauen, um männliche Menschen, nicht aber um weibliche Menschen. Der solchermaßen definierte und praktizierte Begriff »free man« sagt über die historische Realität der Frauensituation Entscheidendes aus: Im 16. Jahrhundert waren offenbar allein Männer frei, alle Frauen unfrei. Und dieser soziale und politische Zustand hielt an, bis im 19. Jahrhundert die englischen Frauen in Wort und politischen Taten dagegen ankämpften. Zwar waren dann längst alle Männer frei, Bürger, Leibeigene, Zunftgesellen, Arbeiter, und sogar die Sklaverei war in England verboten, aber alle Frauen waren noch immer unfrei und noch immer außerhalb der bürgerrechtlichen und politischen Absichten der Magna Charta.
Das Verbot und Gebot der Magna Charta - »Kein freier Mann soll verhaftet, eingekerkert, enteignet, seiner Freiheiten und Rechte beraubt ... (und nicht verurteilt werden), es sei denn auf Grund von gesetzlichen Urteilsspruch durch seinesgleichen oder durch das Gesetz des Landes. Niemandem werden Wir Gerechtigkeit oder Recht verkaufen, verweigern oder vorenthalten.« (Artikel 29) -, diese theoretische und zugleich praktisch-politische Grundsatzerklärung des englischen Parlamentarismus, dieser alten und daher als vorbildlich erachteten Demokratie, schließt grundsätzlich, von Anbeginn bis in die allerjüngste Geschichte, das weibliche Volk aus: männliches Geschlecht ist das Kriterium, um die Privilegien der Charta, die in insgesamt 38 Artikeln niedergelegt sind (Schutz vor aller Art von Willkür, vor allem der Freiheitsberaubung und Enteignung, und Anspruch auf ein Gerichtsverfahren »durch seinesgleichen«!), genießen zu können. Diese wertvollen Rechte, dieser Fortschritt vom Faustrecht zur Rechtsstaatlichkeit, dieser Schutz vor Willküraktionen bleibt Frauen, die dessen besonders dringend bedürfen, vorenthalten, weil sie Frauen sind. Diese willkürliche und irrationale Begründung kann nicht deutlich genug herausgestellt werden, denn die Folgen für alle Frauen sind über Jahrhunderte, und bis in die Gegenwart, katastrophal.
Den Frauen fehlten zum Eintritt in die »bürgerliche Gesellschaft« das männliche Geschlecht, aber auch das Einkommen. Der Masse der Frauen fehlte immer eine Einkommensquelle -Land, Geld, Lohn -, und in den wenigen Fällen, da ihnen durch das Erbrecht (meist erfüllt durch die Mitgift) eine Einkommensquelle zustand, kam sie nicht in ihre Hand, sondern Kraft Gesetz in die des Bürger-Patriarchen, der allein Rechtssubjekt war gemäß dem Prinzip der englischen Ehegesetzgebung: »husband and wife are one and the one is the man«. Wegen des weiblichen Geschlechts konnte die Frau nicht Rechtssubjekt sein und ihr Eigentum in der Hand behalten, und da sie über kein Eigentum verfügte, konnte sie nicht Rechtssubjekt sein. Und selbst wenn es in Ausnahmefällen - Witwen und ledige Frauen - gelang, Hand auf Eigentum (vor allem einen eigenen Wohnsitz) zu legen, so konnte doch die Geschlechtsschranke niemals transzendiert werden: ein perfektes System des Ausschlusses der weiblichen Bevölkerung. In den unteren Ständen gehörte dem Mann, da die Frau sonst nichts besaß, selbstverständlich ihr Lohn als sein legitimes Eigentum.
Denn »bald diente die Magna Charta zur Ausbildung des britischen Parlaments. Sie ist in ihrer Entfaltung, losgelöst von dem Boden des mittelalterlichen Feudalrechts, als Quelle der Grundrechte Ursprung und Ausgangspunkt aller europäischen Verfassungen geworden.« (Kommentar zur Magna Charta Libertatum, 1534, in: Proklamationen der Weltgeschichte, I)
Für alle in der Geschichte folgenden politischen und bürgerrechtlichen Deklarationen, auch wenn sie von Rechten des Menschen sprechen, gilt der Ausschluß der Frauen aus dem Begriff und folglich der Ausschluß aus den geforderten und erstrittenen »Rechten und Freiheiten«, vor allem Schutz der eigenen Person und des Eigentums. Die Deklarationen der Leveller, die bürgerliche und politische Rechte aus dem Naturrecht herleiten und »Grundrechte« formulieren, tun das unter Ausschluß der Frauen, die damals schon mit politisch aktiv sind: Auch das Naturrecht ist ein Männerrecht. Es würde nämlich mit dem Eherecht des Britischen Common Law, das die Frauen ganz und gar rechtlos der Willkür des Ehemannes unterwirft, in Kollision geraten, denn er hat Eigentumsrechte an ihr und an ihrem Besitz, wie an den Kindern: die Männer, die die Forderungen der Leveller formulieren, halten es daher wiederum so, wie es zur bürgerrechtlichen Tradition gehört. Frauen fallen nicht darunter, wenn sie von den Rechten des Individuums sprechen:
»Im Zustand der Natur ist jedem Individuum durch die Natur ein individuelles Eigentum gegeben, das niemand antasten oder sich aneignen darf. Denn ein jeder hat, so wie er ist, ein Eigentum an sich selbst, sonst könnte er nicht er selbst sein. Und kein zweiter kann es wagen, ihm etwas davon zu rauben, ohne sich offen gegen die wahren Prinzipien der Natur und Regeln von Billigkeit und Gerechtigkeit zwischen Mensch und Mensch zu vergehen; nur wenn dies gilt, ist Mein und Dein möglich ... Denn aufgrund ihrer natürlichen Geburt sind alle Menschen gleich geboren, für gleiches Eigentum, gleiche Freiheiten und Vorrechte ...« (Overton, An Arrow against all Tyrants, 1647)
Auch die Vertreter dieser »demokratischsten« Position betrachten Frauen nicht als Individuen, denen kraft Naturrecht »ein Eigentum an sich selbst« zusteht, dieses menschliche Minimalrecht, das die Differenz darstellt zwischen einem Sklaven, einem Eigentumsobjekt in der Hand eines anderen, und dem nackten Menschsein. Die politischen Absichten der Leveller galten wiederum nicht für die Frauen Englands.
Es gibt im Laufe der Jahrhunderte eine ganze Reihe bürgerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Deklarationen und Acte: sie alle arbeiten mit der gleichen bornierten patriarchalen Begriffsbestimmung, die die Frauen, und zwar alle - ohne Rücksicht auf den Stand, die Familie, zu der sie gehören mögen, ausschließt. So auch die »Bill of Rights« von England, 1689, die mit den anderen historischen Dokumenten dann der Präzedenzfall ist für die Bill of Rights« von Virginia, im Amerika des Jahres 1776. In der bürgerrechtlich-revolutionären Tradition der englischen Vorbilder stehend, steht diese »Bill« zugleich in der absolutistisch-patriarchalen Tradition der Herausdefinierung aller Frauen. »All men are created equal« heißt wiederum: Frauen fallen nicht unter diese Definition, weil sie Frauen sind.
Da die »Rechtsfortbildung« im verfassungsrechtlichen und bürgerrechtlich privatem Sinne auf dem Wege von Präzedenzfällen reproduziert wird, da die Fortbildung durch politisch aktive Stände und sonstige Männerbünde, Institutionen, Versammlung des Parlaments in Ober- und Unterhaus und Gerichte in England, Versammlung zu Conventions in den einzelnen Staaten der USA vor sich geht, immer unter Ausschluß von Frauen, kann die Rechtsfortbildung nicht anders verlaufen als in ständiger Neuformulierung des männlichen Eigeninteresses. So wird in der alten englischen und in der neuen amerikanischen sogenannten Demokratie die männliche Rechtswillkür gegenüber den nicht organisierten, nicht artikulierten Frauen, die ja selbst das Eigentum dieser Bürger sind, ständig erneuert. Die Frauen, ihre Person, ihr Eigentum unterstehen nicht dem verfassungsmäßigen Schutz, sondern der Willkür des Mannes durch das politische System der Ehen, das völlig unangetastet bleibt.
Die Unabhängigkeitserklärung von dreizehn Vereinigten Staaten von Amerika, 1776, mit ihrem traditionellen Katalog von Mißständen und bürgerrechtlichen Forderungen wird amerikanisches Verfassungsrecht - und wird bis zur Gegenwart fortbestehen unter Ausschluß aller amerikanischen Frauen, weiße wie schwarze, Hausfrauen wie Lohnarbeiterinnen. Bis zum heutigen Tage ist in die oft als vorbildlich gepriesene Verfassung kein Amendment aufgenommen, das das Kriterium der Beteiligung, männliches Geschlecht, aufhebt und festhält, daß niemand auf Grund des Geschlechts ausgeschlossen und benachteiligt werden darf. Der lange Prozeß der »Demokratisierung«, der Herstellung der Gleichheit unter Männern, ist zugleich ein Prozeß der Feudalisierung, die »Errichtung der Aristokratie des männlichen Geschlechts«, wie amerikanische Frauen treffend konstatieren, die über zweihundert Jahre nach der Errichtung der amerikanischen »Demokratie« noch immer darum kämpfen müssen, daß die Begriffe, die Rechte und Absichten nicht nur für freie Männer, sondern auch für Frauen gelten.
Diese Begriffsbestimmung des bürgerlichen Subjektes als männliches durch eine so lange historische Epoche bis in die Neuzeit hatte und hat für die Frauen fatale - in des Wortes emphatischer Bedeutung - Folgen, nämlich bürgerlich tot zu sein in der bürgerlichen Gesellschaft: als Mensch, als Rechtssubjekt, als Individuum, als Bürgerin nicht existent! Fatal bis in die Gegenwart, denn diese Geschichte ist noch nicht überwunden.
Diese patriarchal-politische Begriffsbestimmung ist kein Zufall und nicht allein formal bürgerrechtlich und politisch von gigantischer Tragweite, sie ist Ausdruck des kollektiven Machtwillens der bürgerlichen Patriarchen (dazu sind auch die Arbeiter, Bauern, die Sklaven und die Leibeigenen zu zählen, sobald sie freie Männer werden und bürgerlichen Rechtsstatus erhalten - d. h. auch heiraten können), sich die Herrschaft über die Frauen um jeden Preis zu erhalten: d. h. die Ausbeutungsmöglichkeit ihrer Arbeitskraft, die Aneigung ihres Besitzes (wie gering auch immer), die sexuelle Benutzung wie die Verfügung über ihre Kinder. Alles, was dem Bürger und seinesgleichen politisch heilig ist, all die demokratischen, politischen, ökonomischen Errungenschaften negiert er im Verhältnis zu den Frauen: der häßliche Januskopf des Bürgers, der alle Vorteile der Rechtsstaatlichkeit, Eigentum, geschütztes Leben und bürgerliche Freiheiten für sich selbst und alle Männer gegenüber noch vorhandener feudalistischer Obrigkeit fordert, also gleicher Bürger in der bürgerlichen »Gesellschaft« und Öffentlichkeit, nach außen, sein will, will, im eklatanten Gegensatz dazu, absoluter Fürst, Familien-Tyrann nach innen, gegen die Frau im Haus, unter Ausschluß von Öffentlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, bleiben. Um diesen Doppel Charakter des »Demokraten« und »Aristokraten« in einer Person deutlich zu machen, nenne ich ihn Bürger-Patriarch.
In der Geburtsstunde der jungen amerikanischen »Demokratie« - deren kolossale Geburtsfehler, die Entrechtung aller Frauen und die Sklaverei, die etablierten Demokratietheoretiker nicht von völlig unkritischen Lobreden auf dieses »vorbildliche« Regierungssystem abhält; die bestenfalls die Sklaverei der vergleichsweise geringen Zahl der Schwarzen kritisieren, aber denen die Sklaverei der weiblichen Bevölkerung Amerikas kein demokratietheoretisches und politisches Problem ist (Frauen und Sklaven wurde übrigens von den Vertretern des Natur- oder Vernunftrechts gleichermaßen die Fähigkeit zur Vernunft wie ihr volles Menschsein abgesprochen -, in der Geburtsstunde dieser Männer-Demokratie kann sich noch keine öffentliche und kollektive Kritik der Frauen gegen die wiederum per definitionem entschiedene Ausschließung der weiblichen Bevölkerung artikulieren. Doch im persönlichen Gedankenaustausch unter Frauen entstehen Unwillen, Ungeduld und Aufsässigkeit, der an die »Väter« der Verfassung weitergeleitet wird: 1777 schrieb Abigail Adams an ihren Mann: »Ich wünsche dringend, daß ihr in dem neuen Gesetzeswerk, das nun erarbeitet werden muß (...), an die Frauen denkt und großzügiger und freundlicher an ihnen handelt als eure Vorfahren. Legt nicht solche unbegrenzte Macht in die Hand der Ehemänner. Denkt daran, alle Männer wären Tyrannen, wenn sie es sein könnten. Wenn den Frauen nicht besondere Sorge und Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind wir entschlossen, eine Rebellion anzustiften, und wir werden uns keinen Gesetzen verpflichtet fühlen, in welchen wir keine Stimme und keine Vertretung haben.« (Brief vom 31. März 1776)
Sie meint selbstredend, Gesetze, an deren Zustandekommen Frauen nicht durch gewählte Vertreter beteiligt waren und ihre Zustimmung gegeben haben: sie nimmt damit das naturrechtliche Theorem von der notwendigen Zustimmung der Regierten zu den Gesetzen, denen sie unterworfen sind, und auch das der Legitimität von politischer Macht, nur mit Konsens der Regierten, für die Frauen selbst in Anspruch.
Doch soll es noch bis 1848 dauern, bis die amerikanischen Frauen durch ihre Protesterklärung gegen die tyrannische Männerdemokratie, gegen die Herausdefinition der Frauen aus der Menschheit und aus der Demokratie, öffentlich und gemeinsam die Tradition der bürgerlichen Männerrechte durchbrechen.
Der welthistorische Durchbruch der Frauen gegen die solchermaßen konzipierten Rechtsstaaten geschieht nicht in Amerika, sondern in Frankreich, und zwar schon im Jahre 1791. Die Grundgedanken des naturrechtlich legitimierten Bürgerrechts waren von England nach Amerika gewandert, und von dort her inspirierten sie die politisch unruhigen Kräfte in Frankreich. Die als Dokument des politischen Fortschritts vielzitierte »Erklärung der Rechte der Menschen und Bürger«, deklariert 1789, bereits 1793 der Verfassung der französischen Republik als geltendes Recht vorangestellt und vom Nationalkonvent beschlossen, enthält wiederum einen Katalog bürgerrechtlicher Forderungen. Aber es ist reine Deklaration der Männerrechte, nicht der Menschenrechte, denn die Hälfte der französischen Menschen, die Frauen, sind in den Begriff, in die Definition des Menschen und Bürgers wieder nicht einbegriffen. Die Sicherung ihrer Rechte liegt nicht in der Absicht der Deklaration der Männer, die sich Revolutionäre nennen. Ihre Maximen Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und der Grundsatz »Tue niemand, was du nicht willst, daß dir geschieht« gelten nur unter »Brüdern« und keineswegs auch unter Männern und Frauen. Noch heute aber wird in Überlieferungen aller Art, auch in »wissenschaftlichen«, und in der öffentlichen Meinung der wahre Inhalt und die politischen Absichten dieser Deklaration verfälscht: es wird behauptet, verbreitet und unterstellt, diese Deklaration der »Menschenrechte« habe tatsächlich für alle Menschen gelten sollen. Der jüngste historische Ausschluß der Frauen aus der bürgerlichen Gesellschaft wird unterschlagen, um den patriarchalen Charakter dieser Revolution und der aus ihr hervorgehenden Republiken, Verfassungen, politischen Strategien zu verbergen und auch weiterhin als im Prinzip auf »Menschenrechten« basierend darstellen zu können. Die Geschichte wird verfälscht, um den Frauen der Gegenwart - in bewußtem oder unbewußten Betrug - zu versichern, der bürgerliche Rechtsstaat habe sie von Anbeginn als Menschen mit Bürgerrechten in sein Ordnungssystem einbezogen. Das ist schlechterdings nicht wahr. Dieses Verfahren führt die Ausgeschlossenen und Entrechteten irre und deckt zugleich die politischen Sünden der Väter des Rechtsstaates wie die ihrer Nachfolger.
Vor dem hier nur kurz umrissenen historischen Hintergrund der jahrhundertelangen politischen Praxis der Monopolisierung von Bürgerrechten allein für Männer, Männerstände und Klassen, kann die welthistorische Bedeutung des öffentlichen und kollektiven Protestes von Frauen als unmittelbare Reaktion auf die Deklaration der Männerrechte, die als solche durchschaut wurden, gar nicht genug hervorgehoben werden. Olympe Marie de Gouges - und hinter ihr stehen viele in Frauenclubs organisierte Frauen - schleudert den Bürgern, den Frauenfeinden, ihre »Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin« (September 1791) entgegen, die der Nationalversammlung zur Beschließung vorgelegt wird.
Mit dieser Deklaration definieren die Frauen sich selbst als Menschen und Bürgerinnen, formulieren sie ihre bürgerrechtlichen, ökonomischen und politischen Forderungen: die Eigentumsobjekte der Bürger machen sich damit zu politisch handelnden Subjekten, machen sich zu Herrinnen ihres Schicksals und erheben sich gegen den Mann.
Die Frauenrevolution zur Zeit der französischen Revolution wird von den »Revolutionären« niedergeschlagen und das Wissen darüber erstickt, die Deklaration der Frauen unter der Gewalt der französischen Republiken begraben.
Die frühbürgerlichen Theoretiker deutscher Provenienz, Kant, Fichte und Hegel, vertreten wiederum allein die Rechte der »freien Männer«, und wenn sie in ihren umfangreichen Rechtsphilosophien der Frauen überhaupt Erwähnung tun, dann in ungebrochen strikt patriarchalem Sinne: sie bringen die Frauen auf ihren Begriff, sie können sie als nichts Anderes begreifen als von »Natur« zur Unterwerfung unter sie bestimmte, unmündige, nicht vernunftbegabte, handlungsunfähige, minderwertige Menschen, die nicht unter den Begriff des eigentlichen »Menschen«, dessen primäres Kriterium männlichen Geschlechts ist, zu subsumieren sind. So zögern sie keinen Moment, alle Frauen in die patriarchale Familie ein- und aus der »bürgerlichen Gesellschaft« auszuschließen. Die bürgerlich-patriarchalen Rechtsphilosophien beinhalten die absolute Negation des Menschseins der weiblichen Menschen und zugleich die irrationalste Affirmation des alleinigen Menschseins des männlichen Menschen, nicht in seinem humanen Wesen, sondern als Herrscher, als Despot über Frauen. Ein als radikaler Rechtsphilosoph, gar als Jakobiner geltender Bürger wünscht das Verhältnis zwischen Bürger-Patriarch und Frau wie folgt gestaltet: »Er will zuerst Herr seyn ...«; für die Frau soll gelten: »Sie muß erscheinen wollen, als gänzlich unterworfen dem Manne, als in ihm gänzlich verloren.« Der »Philosoph« hält dieses Verhältnis gar für eine »Vereinigung der Herzen« und schließt daraus flott, es »erfolgt nothwendig Vereinigung der Güter, unter der Oberherrschaft des Mannes« (Aus J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, 1796/97). Diese politisch-philosophische Anleitung und die patriarchale Geschichte der Bürgerrechte in England, Amerika und Frankreich bleiben nicht ohne politische Folgen in Deutschland.
Als im Jahre 1848 die deutschen Bürger und Kleinbürger, aber auch die politisch fortgeschrittenen Arbeiter und Handwerker Deklarationen der von ihnen geforderten bürgerlichen, politischen und ökonomischen Rechte abgeben, da geschieht es wiederum nur für den freien Mann, den freien Bürger und den freien Lohnarbeiter, die Frauen fallen wiederum nicht unter den Begriff.
Sehr wahrscheinlich haben die deutschen Frauen der vierziger Jahre von der Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin nichts gewußt: sie mußten mit der Artikulierung ihrer menschenrechtlichen und politischen wie ökonomischen Belange von Grund auf und allein beginnen. Der Deklaration der deutschen Männerrechte haben sie kein so brillantes, politisch aggressives Dokument entgegenstellen können, aber in ihren Schriften gewinnt allmählich die Idee der Freiheit und Gleichheit der Frau und ihr Recht auf ökonomische Existenzmittel Gestalt. Wenn Louise Otto das Motto ihrer Frauenzeitschrift so formuliert: »Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen«, dann spricht sie vom Reich der Freiheit des halben Volkes, der Frauen, die so schmählich aus dem »Menschheit« hinausdefiniert worden sind.
2. Zum Begriff des Frühfeminismus
Die etablierten Wissenschaften kennen den Begriff kaum, auch nicht den politischen Gegenbegriff Patriarchalismus, oder den für die Beschreibung der Reaktion auf den Feminismus unentbehrlichen Begriff des Antifeminismus.
Wissenschaftliche Nachschlagewerke mit großen Ansprüchen hinsichtlich Ausführlichkeit und Umfang, die sich für wissenschaftlich gründlich, gar universal, für politisch unparteiisch und »objektiv«, vielleicht auch für kritisch, marxistisch und parteilich zu Gunsten aller derer, die von bürgerlicher Wisschenschaft ignoriert oder unsachlich behandelt werden, halten, ihnen allen ist gemeinsam: ihre Herausgeber und Mitarbeiter kennen den Begriff des Feminismus nicht. Und wenn man sich hier und da in neueren ambitiösen Werken herbeigelassen hat, z.B. einen Artikel Antisemitismus aufzunehmen, so noch lange nicht den Begriff des Antifeminismus, obwohl diese poli-tisch-reaktrionäre Strömung über die Hälfte der Bevölkerung betrifft und von dem Rest fast ausnahmslos ausgeübt wird. Einen Begriff für eine dergestalt allgemeine politische Erscheinung in der gesamten Gesellschaft und Kultur und im Staat erwähnt man nicht einmal, wo noch die banalste Tatsache mit grotesk ernsthafter Akribie abgehandelt wird. (Vgl. dazu die Belege in der Einleitung zu Band II.)
Will man dem Kenntnisstand der enzyklopädischen Werke und der speziellen philosophischen, historischen, sozialwissenschaftlichen Lexika vertrauen und ihre Aussagen für die Wahrheit halten, so gibt es weder Feminismus noch Antifeminismus, es gibt weder Patriarchalismus noch Objekte dieses Systems: die anerkannte, etablierte Wissenschaft hat die weiblich Hälfte der Menschheit per definitionem - durch Nichtdefinition - aus der Existenz eskamotiert. Die Ideologie der »Allgemeingültigkeit« und »Wahrheit« dieser Erkenntnisse eben dieser Wissenschaft wird zwar noch weiter verbreitet, aber durch die aktuelle Sozialkritik von feministischen Wisenschaftlerinnen dürfte sie in allergrößte Legitimationsschwierigkeiten kommen. Daher werden die diese Wissenschaftskritik Betreibenden mit aller Gewalt mundtot gemacht und ihnen Arbeits-, ja Existenzmöglichkeiten genommen. Es gibt seit etwa zweihundert Jahren eine feministische sozialphilosophische, sozialkritische, kulturelle wie politische Bewegung, initiiert durch individuelle Aktivitäten und organisierten Kampf von Frauen. Das ist die historische Tatsache, die man lediglich nicht zur Kenntnis nimmt, solange man die Macht hat. Und die etablierte Wissenschaft ist zweifellos ein Machtmittel in der Hand ihrer Vertreter, die selbst an der Macht über Frauen beteiligt sind und die Macht haben, eine politische Gegenbewegung totzuschweigen.
Eine Begriffsgeschichte und eine exakte, umfassende Definition des Begriffes Feminismus ist noch von Frauen zu erarbeiten. Die notwendige Voraussetzung, die Erforschung der jüngsten politischen Geschichte, beginnt soeben erst.
Kate Millett hat dazu festgehalten: »Merkwürdigerweise finden wir im Lexikon eine Definition von Feminismus, die tatsächlich eine zufriedenstellende Beschreibung des Ziels der Sexualrevolution selbst ist. Feminismus ist hier ein System politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Dies ist eine allumfassende Formel, deren Anerkennung die radikale Umformung einer ganzen Gesellschaft nach sich zieht.« (Sexus und Herrschaft, 1969) Will man zunächst von dieser sehr allgemeinen und nominalisti-schen Begriffsbestimmung ausgehen - eine inhaltlich konkretere erfordert als Voraussetzung eine sehr komplexe politöko-nomische, historische, rechtshistorische und kulturkritische Forschungsarbeit von Frauen, die eben erst beginnt -, so darf man sagen, daß spätestens seit Olympe Marie de Gouges Frauen an einem feministischen Konzept gearbeitet haben, einem Gesellschaftsentwurf nie zuvor gedachter, radikaler Gleichheit zwischen den Geschlechtem, theoretisch, im Alltagsleben, individuell und kollektiv, zu Höhepunkten politisch-öffentlicher Auseinandersetzung und mehr im Verborgenen zu Zeiten politischer Reaktion. Die patriarchale Gesellschaft hat stets mit höchst unritterlicher Brutalität auf diese feministischen Sozialrevolutionärinnen zurückgeschlagen: de Gouges wurde hingerichtet, F. Tristan auf der Straße niedergeschossen. Viele Frauen von Seneca Falls haben Märsche über Land bis zur Erschöpfung auf sich genommen, unsägliche Verachtung, Verleumdung und Lebensgefahren über Jahrzehnte ertragen müssen.
Wenn die hier gesammelten Theorieelemente und die damit verbundenen praktisch politischen Aktivitäten, wie ihr Leben, das sie gegen und außerhalb des »Frauenlebens«, das ihnen »bestimmt« war, geführt haben, unter dem Begriff Frühfeminismus vorgestellt werden, so bedeutet das, daß die Versuche zur Formulierung noch mühsam, die feministische Gesellschaftskritik und Sozialutopie noch in ihrem frühen Stadium, noch unvollständig, noch roh sind. Früh heißt zugleich, historisch früh: früh erkannt ist nämlich, d. h. gleich zu Beginn der sogenannten bürgerlichen Rechtstaaten, gleich nach der Ausrufung der »Menschen«rechte, daß hier ein System der Ungleichheit zwischen den Geschlechtem in politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht entstand. Die ersten Feministinnen haben früh erkannt, daß hinter der ideologischen Prahlerei der Menschenrechte, der Freiheit, der Gleichheit - die Brüderlichkeit sagt es - eben nicht an die Menschheit, sondern nur an die Männer der Menschheit gedacht war. Schon die politischen Theorien dieser »neuen« Gesellschaftsordnung waren antifeministisch, das heißt, sie war schon faul, ehe sie überhaupt begonnen hatte. Früher als wir bisher wußten, früher als man es wahrhaben will: nicht vor fünfzig oder hundert Jahren haben die Frauen begonnen, den bürgerlichen Staat massiv zu kritisieren, sondern vor fast zweihundert Jahren trat der feministische Protest auf die politische Bühne. So früh, das heißt zugleich so lange schon, melden Feministinnen, einzeln und kollektiv, theoretisch durchaus gegen die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Patriarchen gewappnet, mit eigenem politischen Programm ihren Widerstand an.
Früh nenne ich diesen Feminismus, weil die theoretischen Reflexionen noch fragmentarisch sind, weil eine fundierte wissenschaftliche politökonomische Analyse des gesamten patriar-chalen Herrschaftsystem in Vergangenheit und Gegenwart noch fehlt, auch noch fehlen muß, und nicht ad hoc von den geistig und materiell so lange verelendeten Frauen erarbeitet werden kann. Auch Leibeigene, Sklaven waren dazu nicht fähig, und selbst die Lohnarbeiter blieben auf die Hilfe von bürgerlichen Intellektuellen (Marx, Engels, Lassalle und viele andere) angewiesen. Trotz dieser solidarischen Hilfe von bürgerlichen Sozialphilosophen und Ökonomen, trotz enormer Vorarbeiten und Vorerkenntnisse geht die sozialistische Theorie durch ein Vorstadium, eine rohe Vorform, die man Frühsozialismus nennt, und tritt erst mit Marx und Engels in das Stadium der Wissenschaftlichkeit (mit dem Datum von 1867, dem Erscheinen des ersten Bandes »Das Kapital«). Darin ist eine enorme Fülle von empirischen, historischen, ökonomischen Daten und Erkenntnissen verarbeitet und systematisiert, die andere Denker Marx zugeliefert haben.
Wenn Louise Otto ein Jahr vor Marx ihre vergleichsweise bescheidene Schrift über »Das Recht der Frauen auf Erwerb« veröffentlicht, dann hat sie nicht nur nicht die gleiche Vorbildung (weder Abitur noch Studium) noch Jahrzehnte der Arbeit als Privatgelehrte hinter sich, sie hat auch keines der Privilegien des Zugangs zu Öffentlichkeit, z. B. Diskussionen mit anderen, zu zeitgenössischen Informationen noch die ökonomischen Ressourcen, die Marx durch seinen Vater, seine Frau, durch Engels Hilfe und Zuwendungen von anderer Seite zur Verfügung standen, noch die Hilfskräfte, wie sie Marx' Frau und Dienstmädchen und später seine Töchter darstellten.
Als die Reaktion nach 1848 über Deutschland hereinbrach, war es für Louise Otto undenkbar, nach London zu gehen, um dort jahrelang Studien zu betreiben. Sie blieb im Lande, wurde verfolgt und diente den verfolgten Menschen, darunter dem Manne Peters, der im Gefängnis war.
Früh sind diese feministischen Schriften in dem Sinne, daß sie frühzeitig, nämlich schon in der Zeit des Entstehens der sozialistischen Theorie und ihrer politischen Bewegung, der Arbeiterbewegung, erkennen, daß sich hier wiederholt anbahnt, was die Frauen in den bürgerlichen »Revolutionen« erfahren haben: daß die Arbeiterbewegung eine neue »Revolution«, wiederum für »alle Menschen« proklamiert, vorbereitet, aber daß die Frauen da wieder nicht unter die Definition, unter den Begriff fallen: Das Wort von der Befreiung aller Menschen von aller Ausbeutung ist wieder einmal Ideologie und patriarchale Propaganda: der Arbeiter, der Proletarier sollte ins Parlament. Demokratie der Arbeiter und Wirtschaftsdemokratie war geplant (und zu diesem Zwecke die Diktatur der Proletarier), aber für Frauen sollte wiederum gelten: »Du bist eine Frau und daher nicht in die Definition inbegriffen, nicht in die Absichten unseres großen Befreiungsplanes eingeschlossen.« Wieder einmal wird »Menschheit« gesagt und »Mann« gedacht; in der bürgerlichen Revolution wollte der bürgerliche und in der proletarischen Revolution der proletarische Mann an die Macht.
Die feministischen Autorinnen und die autonome Frauenbewegung, die sich nicht in die sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Männerparteien integrieren lassen, gehen in der Theorie und Praxis früh ihren autonomen Weg. Darin liegt ein Moment schwer erarbeiteter geistiger und politischer Unabhängigkeit: der Versuch der eigenen Definition des eigenen Elends mit eigenen Begriffen. Bürgerliche und proletarische Gesellschaftstheorie - beide verwoben mit patriarchaler Ideologie, die die soziale Lage der Frauen nicht als soziale, sondern als natürliche definiert und daher aus der Theorie ausschließt -, ihr patriarchaler Charakter, das männlichbornierte Konzept von »Gesellschaft«, wird von den feministischen Theoretikerinnen, so sehr sie noch am Anfang dieser theoretischen Auseinandersetzung stehen, transzendiert. Ihre Erkenntnisse sind bereits von solchem Gewicht, daß man sich genötigt sieht, feministische Theorieelemente in die eigene Theorie zu integrieren (A. Bebel, Die Frau und der Sozialismus), freilich ohne die eigenen Prämissen und den Führungsanspruch des Proletariers selbstkritisch zu reflektieren und zu korrigieren, und dann doch wieder zwecks Benutzung der Frauen für die eigenen, vorrangigen Interessen: die geplante Einverleibung der politisch unruhigen Frauen in die Männerpartei, die keine Partei von Gleichen wird, wie Flora Tristan sich das dachte sondern eine dominierende Männerpartei bleibt, mit weiblicher Hilfstruppe, die für die Diktatur des Proletariers, des Mannes kämpft.
Daß weder die bürgerlichen Revolutionen noch die proletarischen Reformen und Revolutionen das Gemeinwohl aller Menschen, einschließlich der weiblichen Bevölkerung, in ihrer Theorie und Politik betrieben, haben die feministischen Theoretikerinnen und die wenigen männlichen Helfer, die sie hatten, früh erkannt. Sie handelten, indem sie selbst nachdachten, diskutierten, schrieben, ihr persönliches Leben änderten und Frauen immer wieder dazu aufriefen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, sich selbst zu organisieren, sich nicht auf »klügere« Theoretiker und Politiker zu verlassen, die zwar meistens über mehr Wissen, Gewandtheit und politische Möglichkeiten verfügten und in jedem Falle weit mehr Autorität (sowohl Sachautorität als auf Grund ihres Geschlechtes angemaßte Autorität) besaßen, aber alle ihre Möglichkeiten als Herrschaftsinstrumente gegen die Frauen einsetzten. Aus ihrer, der Frauen eigener Lebenserfahrung von Ausbeutung und Unterdrückung ward ihnen früh deutlich, daß die Totalität der sozialökonomischen und politischen Verhältnisse eben nicht erfaßt war im Verhältnis Bürgertum, Adel, Königtum, und nicht im Verhältnis Lohnarbeit und Kapital, sondern daß das Verhältnis zwischen Männern (in der Charaktermaske der Familienpatriarchen) und bevormundeten Frauen nicht im Begriffe sozialer Erneuerung eben dieser Familienhäupter inbegriffen war. Entspräche die Ideologie und Apologie von der generellen Gültigkeit der bürgerlichen und proletarischen Revolution der Wahrheit, dann hätte es nie in der Geschichte Frauenbewegungen und nie feministische Autorinnen geben dürfen.
Der patriarchale, Frauen ausschließende Charakter ist von den frühen Feministinnen sehr früh erkannt worden, wenn da auch noch Unsicherheit und Illusionen bestehen. In diesem frühen Stadium einer noch nicht komplexen, unausgereiften eigenen Theorie für die eigene Klasse und als Folge eines noch erst ansatzweise sich entwickelnden kollektiven Bewußtseins, appellieren die Autorinnen manchmal noch an ihre politischen Gegner, Männer fast aller politisch-patriarchalen Richtungen. Hilferufe, die selbstredend völlig fruchtlos bleiben, weil sie gegen die Logik der Erkenntnis des antagonistischen sozioökonomischen Widerspruchs verstoßen - gewissermaßen wider besseres Wissen. Außerdem ist kein machtpolitischer, klassenartiger Antagonismus je durch Hilfsappelle an die »überlegene« Klasse - das sind nicht nur die Bürger, sondern auch die Arbeiter - überbrückt oder gemildert worden, am wenigsten im Falle der so verachteten Frauen, da jeder Mann an der Aufrechterhaltung ihres Status quo, nicht an ihrer Befreiung von ihm selber interessiert ist. In einer annähernd ausgereiften, fundierten, das heißt wissenschaftlich fundierten, radikalen Gesellschaftskritik und -theorie mit der radikalen Perspektive einer tatsächlich gründlichen Veränderung der Frauensituation wird sich keine Autorin mehr mit Hilfsappellen an den politischen Gegner wenden, der sein wahres Gesicht deutlicher zeigt, je deutlicher, scharfsichtiger die Analysen und Aktionen der Frauen werden.
Der lange Prozeß der Klärung der Fronten wird durch die Frühfeministen eingeleitet. Der Antagonismus wird schlagartig deutlich an den Maßnahmen der antifeministischen Reaktion in Deutschland nach 1870, in der unsäglichen Diffamierung der Feministinnen durch das Bürgertum und die Arbeiterbewegung; er wird deutlich in England, als »Demokraten« die Frauen, die um demokratische Minimalrechte für Frauen kämpfen, als gewöhnliche Kriminelle, schließlich als »politische Verbrecherinnen«, aber als Verbrecherinnen bezeichnen und behandeln. Doch damit greifen wir schon vor auf theoretische Erkenntnisse und feministische politische Aktionen, die Inhalt des zweiten Bandes sind.