Frühfeminismus in England

 

William Thompson/Anna Wheeler

Die folgende Übersetzung durch Hannelore Schröder beruht auf der Originalausgabe von 1825, deren Titelblatt übersetzt wiedergegeben wird:

 

Protest der einen Hälfte der Menschheit, Frauen,

gegen die Anmaßung der anderen Hälfte, Männer,

sie in politischer und damit in bürgerlicher und häuslicher

Sklaverei zu halten.

Erwiderung auf einen Abschnitt in Mr. Mills gefeiertem »Artikel über die Regierung«

 

Von William Thompson,

Autor von »Eine Untersuchung über die Verteilung des Reichtums«.

»Eines ist völlig klar, daß nämlich all jene Individuen, deren Interessen ohne Frage in diejenigen anderer Individuen eingeschlossen sind, ohne Schaden von politischen Rechten ausgeschlossen werden können. Als solche können bis zu einem gewissen Alter alle Kinder, deren Interessen in denen ihrer Eltern eingeschlossen sind, betrachtet werden. Auch die Frauen sind so zu betrachten, denn die Interessen fast aller sind eingeschlossen in die ihrer Väter oder Ehemänner.«

Encyclopaedia Britannica. Supplement: Article on »Government«, Seite 500.

»Alle schweren Pflichten auf der Frauen Seite,
Auf des Mannes Seite sinnlicher Genuß und frecher Stolz.«
London 1825

Besteht tatsächlich oder notwendigerweise eine Interessenidentität zwischen Frauen und Männern? Sind die Interessen der Frauen in denen der Männer eingeschlossen?

Das erste Problem, das im Zusammenhang mit dem »Artikel« geklärt werden muß, ist die Behauptung der Identität der Interessen, die als Tatsache hingestellt wird und als Ausgangspunkt der Argumentation dient; »Existiert diese Identität der Interessen zwischen Männern und Frauen tatsächlich oder notwendigerweise?« - Wenn nicht, dann müssen Frauen - gemäß Mr. Mills Philosophie - zu gleichen politischen, bürgerlichen und sozialen Rechten und Vergünstigungen zugelassen werden wie Männer. (. ..)

Wenn Männer sich herablassen, irgendwelche Gründe für den Ausschluß der halben Menschheit von bürgerlichen und politischen Rechten anzugeben, sind dies die folgenden: allgemeine Unterlegenheit an höheren intellektuellen Fähigkeiten, Urteilskraft und Vernunft, häufige Unfähigkeit, sich wegen Schwangerschaften und deren Folgen selbst in diesen beschränkten Fähigkeiten zu üben, daraus folgend die Unfähigkeit der Frauen, viele wichtige Geschäfte auszuführen, und schließlich ward behauptet, daß es zwecks beiderseitigen Glücks notwendig sei, im Charakter der zwei Geschlechter einen Gegensatz - bis zum äußersten - zu kultivieren.

Diese und andere Begründungen werden manchmal, aber auch erst in den letzten Jahren, seit es überhaupt notwendig geworden ist, Gründe für die Unterdrückung zu nennen oder zu erfinden, angegeben. Denn bis vor kurzem haben Antipathie und Ignoranz gewohnheitsmäßig ihre Gefühle, ihr Vorgehen, ihre Richtschnur und Natur und ähnliche Begriffe bestimmt, um den Ausschluß oder andere Maßnahmen, die sie für angebracht hielten, zu rechtfertigen. Einige ohne Zweifel, begierig, politische Rechte für den männlichen Teil zu sichern (oder einen großen Teil der Männer), haben einfach aus Vorsicht die Berücksichtigung der politischen Rechte der Frauen zurückgestellt, damit nicht eine so große Forderung nach politischer Macht dazu führte, Uneinigkeit unter die Forderer zu bringen, die politische Rechte für Männer verlangen. (...) (S. 25)

Der Mann scheint sich überall für seinen Mangel an politischen Rechten damit zu trösten, daß er den Frauen sogar ihre bürgerlichen Rechte raubt und so seine Gefährtin zu seiner Sklavin macht.

Wie auch immer, wir sind nicht berufen, diese oder andere Gründe gegen die Nützlichkeit der gleichen Rechte für Frauen zu untersuchen, außer dem einen Grund, den Mr. Mill vorgebracht hat und auf welchen er sich ausschließlich verläßt. (...)

Sein Prinzip des Ausschlusses beruht auf der einfachen Annahme der Interessenidentität zwischen Männern und Frauen, oder genauer gesagt, des Einschlusses des Glücks der Frauen in das der Männer. Sollte es sich herausstellen, daß das Interesse der Frauen nicht mit dem der Männer identisch ist, so wie das Interesse einiger Männer unter besonderen Lebensumständen nicht identisch ist mit dem von anderen Männern, dann will Mr. Mill einräumen, daß es für den Ausschluß von Frauen von politischen und bürgerlichen Rechten keinen Grund mehr gibt, und höchstwahrscheinlich auch, daß alle Gründe, die aufgezählt wurden, um sie auszuschließen, widerlegbar sind; dann wird er einräumen, sie mit jeglichem bürgerlichen und politischen Schutz des Gesetzes auszurüsten, mindestens gleich dem, welche jene haben, die - im Besitz physischer Kraft - sie unterdrücken können. »Ist also« - um Mr. Mills Worte zu benutzen, »das Interesse von fast allen Frauen in das ihrer Väter oder ihrer Ehemänner eingeschlossen?«

Es gibt drei große Klassen oder Teile von Frauen, deren Situation gesondert betrachtet werden muß:

Alle Frauen ohne Ehemänner und Väter

Erwachsene Töchter in ihres Vaters Haus

Ehefrauen

 

  1. Wir beginnen mit den Frauen, die weder Ehemänner noch Väter haben.
    Es ist schwer, eine zweite Phrase zu erfinden, die für die kalkulierte Sophisterei besser geeignet ist als die vom »eingeschlossenen Interesse«.
    Sie kann es aufnehmen mit der üblen Sophisterei von der »wesensgemäßen Repräsentation«.
    Vernünftig betrachtet und unter der Voraussetzung, daß jedes Individuum von vollendeter Weisheit und Wohlwollen ist, sind die Interessen aller Individuen, männlich oder weiblich, in einander eingeschlossen oder identisch mit denen der anderen -oder gegenseitig. Oder, mit anderen Worten, alle wären glücklicher, wenn jeder in allen seinen Taten bestrebt wäre, das größte Maß an Glück für sich selbst oder für andere zu fördern. Aber so wie die Dinge tatsächlich liegen, sind die einzelnen Individuen nicht von vollendeter Weisheit und Wohlwollen: tatsächlich ist es so, daß die Umständeden Individuen ihr wirkliches, vernünftiges Interesse verbergen und es für jeden unerläßlich machen, sein eigenes ausschließliches Wohl zu verfolgen, und das auf Kosten des größeren Wohls der anderen. Die Interessen, die hier zur Diskussion stehen, sind nicht die vernünftiger Moral oder philosophischer Art, sondern jene des täglichen Lebens und der vulgären Bestrebungen. Diese kurzsichtigen offenbaren Interessen, von denen der »Artikel« spricht, müssen ohne Ausnahme gemäß dem Gesetz ihrer Natur von allen Menschen, die Macht über ihre Mitmenschen haben und auf eben deren Kosten, ausgeübt werden. Die Frage ist, gibt es unter den gegebenen sozialen Verhältnissen eine Ausnahme von diesem großen herrschenden Gesetz der menschlichen Natur, und zwar in den Entscheidungen und im Verhalten der Väter und Ehemänner gegenüber ihren erwachsenen Töchtern und Ehefrauen? (...) Der erste offensichtliche Fehler in Mr. Mills Position, der Grundlage seines Systems des generellen Ausschlusses der Frauen, muß jedem ins Auge fallen. »Alle«, sagt Mr. Mill, im vorhergehenden Teil seines Artikels über die Regierung, »deren Interessen nicht eingeschlossen sind in diejenigen anderer Individuen, die eine Stimme in der Volksvertretung haben, müssen selbst eine Wahlstimme haben. Aber das Interesse aller Kinder ist solchermaßen eingeschlossen: deshalb sind alle Kinder ohne Wahlrecht.« Soweit logisch (...)
    Aber er fährt fort und sagt: »Fast alle Frauen finden ihr Interesse eingeschlossen in das ihrer Väter oder ihrer Ehemänner, deshalb sollen alle Frauen von politischen Rechten ausgeschlossen sein.«
    Nehmen wir einmal an, Herr Mill wäre auf einem Ausflug oder einem Spaziergang in der Stadt in die Hände von einem Dutzend Schmugglern oder Wegelagerern geraten. Nehmen wir an, der Philosoph und Moralist wäre mit den Gesetzesbrechern zusammen verhaftet worden: man stelle sich vor, der Richter und das Gericht hätten festgestellt, daß fast alle dreizehn Gesetze gebrochen haben, worauf die Strafe der Verbannung in eine Strafkolonie steht, und daß folglich alle dreizehn abtransportiert werden. Wer würde lauter und mit mehr Recht gegen die Dummheit und Barbarei eines solchen Richterspruches aufschreien als der unschuldige Autor des »Artikels über die Regierung«? Vergeblich würde der Richter ihn an seine eigene Philosophie verweisen, an seine eigene Logik, enthalten in seinem gefeierten »Artikel über die Regierung«. »Fast alle Frauen«, würde der Richter sagen, »finden ihre Interessen in die der Männer eingeschlossen: deshalb müssen alle Frauen ausgeschlossen werden. Fast alle, gewiß.
    Aber alle in der Gruppe, in der du gefunden wurdest, sie alle haben das gleiche Geschlecht, zu dem auch du gehörst, und sind gesetzlich verurteilt zu Strafkolonie: folglich müssen alle, einschließlich dir, die Strafe verbüßen.«
    Was könnte da der schuldlose Autor antworten? — Daß seine Philosophie, seine Logik nur für Frauen gedacht war, die nicht logisch denken und argumentieren können, und gerade gut genug für sie ist? daß er aber doch ein Mann ist und logisch denken kann und deshalb auf guter Logik von Seiten des Richters und des Gerichts besteht? daß, was immer gesagt würde im Hinblick auf Frauen, doch nicht auf ihn angewandt werden könne, da er doch keine Frau sei, sondern ein Mann, daß er daher gleiche Behandlung vor Gericht verlange, daß er mit anderen bestraft werden wolle, wenn er wie sie schuldig ist, aber daß er, wenn nicht schuldig, freigesprochen werden muß, auch wenn sein ganzes Geschlecht - außer er selbst - schuldig ist?
    Nehmen wir an, der Richter machte dem indignierten Moralisten den Vorschlag, daß er, der Richter, sobald er seine Logik in Bezug auf die verachtete Hälfte seiner Mitmenschen korrigieren und schreiben würde, »fast aller Frauen Interessen sind eingeschlossen in die der Männer, daher werden fast alle Frauen ausgeschlossen«, auch er erkennen würde: »fast alle in deiner Gruppe haben das Gesetz gebrochen«, deshalb werden nicht »alle, sondern fast alle bestraft.«
    Würde unser Moralist sich dem demütigenden Eingeständnis unterwerfen und zugeben, daß er unlogisch argumentiert hat und sei es auch nur, um der Strafe zu entgehen?
    Es ist schwer, darüber zu einem Urteil zu kommen; nicht so, was die vergleichsweise Ungerechtigkeit des Richters und des Philosophen betrifft. Das Fehlen von Unterscheidungsvermögen im Falle des Richters würde nur gelegentlich einen unglücklichen Moralisten strafen, der in schlechte Gesellschaft geraten ist: Das Fehlen von Unterscheidungsvermögen des Philosophen straft für eine kurze Zeit (vor der Heirat) fast alle erwachsenen Frauen, und einen beträchtlichen Teil - vielleicht ein Viertel — der Frauen für ihr ganzes Leben (nämlich jene Frauen ohne Ehemänner und Väter). Und das als Folge einer auf sie nicht anwendbaren Hypothese, wie er selbst feststellt.
    Wir wollen einmal sehen, welcher Teil von Frauen es ist, der - wenn Herrn Mills Prinzipien richtig angewandt werden -politische Rechte haben müßte, weil ihr Interesse nicht eingeschlossen ist in das irgendeiner anderen Person, die ihrerseits politische Rechte besitzt. Ehefrauen und Töchter sind die zwei Gruppen von Frauen, deren Interessen der »Artikel« mit denen von Männern gleichsetzt, nämlich mit dem ihrer Ehemänner und Väter. Alle Frauen, die weder Ehemänner noch Väter und folglich niemanden haben, der ihre Interessen vertritt, haben ein Recht auf politische Rechte wie die Männer. Welche Frauen fallen gemäß der Feststellung des »Artikels« unter diesen Begriff? Alle diejenigen, deren Väter nicht mehr leben oder die ihres Vaters Haus verlassen haben, die über 21 Jahre alt sind, in den Jahren bis zur Zeit ihrer Heirat, außerdem alle diejenigen, die niemals heiraten, alle Witwen. Warum sollten diese Gruppen von Frauen, die, wie der »Artikel« selbst einräumt, überhaupt keine Person haben, die sie vertritt, ausgeschlossen werden von politischen Rechten, die sie zu ihrem Schutz brauchen wie alle anderen Menschen?
    Für den Ausschluß dieser Frauen, die weder Väter noch Ehemänner zwecks Interessenvertretung haben, vermag der »Artikel« keine Rechtfertigung zu geben. (...)
    Einen wie großen Teil der Erwachsenen der gesamten Menschheit machen die drei Gruppen von Frauen aus? Von einem Sechstel bis vielleicht einem Viertel ...! Und doch fallen diese Frauen unter das generelle Verdikt! Alle diese Frauen, deren Interessen zugegebenermaßen nicht eingeschlossen sind in die anderer Menschen, sollen ausgeschlossen werden vom politischen Recht der Repräsentation, weil andere Frauen wesensmäßig durch ihre Ehemänner und Väter vertreten werden, so wenigstens wird behauptet!
    Wenn der Autor des »Artikels« sich weigert, dieser zugegebenermaßen nicht repräsentierten Gruppe von Frauen die Zulassung (zu politischen Rechten, H. S.) zu verweigern, was wird dann aus dem grandiosen Argument des »Artikels« zu Gunsten des politischen Rechts aller Männer auf (demokratische) Repräsentation? Was wird dann aus der Argumentation, deren Grundlage die Erkenntnis ist, daß es keine Interessenidentität zwischen dem Besitzer von Macht und jenen, die ihm unterworfen sind, gibt, zwischen dem, der Gesetze erläßt und ausführt, und jenen, die gezwungen werden, ihnen zu gehorchen?
    Durch diese Feststellung räumt der »Artikel« für einen Teil der Frauen ein (die ohne Väter und Ehemänner, die drei obengenannten Gruppen), daß sie keine Interessenidentität mit anderen haben, genausowenig wie Männer mit anderen Männern. Durch die merkwürdigste Perversion der Vernunft, die ein Logiker jemals in so wenigen Zeilen zustande brachte, werden diese Frauen doppelt ausgeschlossen: einmal fallen sie nicht unter die Regel der Interessenidentität (das Wort »fast« des Autors gestattet es nicht), zum anderen werden sie gleichermaßen vom Recht der Repräsentation jener anderen Frauen, die darunter fallen, ausgeschlossen. Das Prinzip der Repräsentation und logische Argumentation lassen sie zu. Offenbare und offensichtlich falsche und unlogische Argumentation schließen sie aus. Logischerweise können jedoch jene alleinstehenden Frauen, die drei obengenannten Gruppen von ledigen, männerlosen Frauen, nicht von politischen Rechten ausgeschlossen werden, ohne auch Männer auszuschließen - wozu der Philosoph die Ehre hat zu gehören. Und damit hat er selbst die gesamte Grundlage seiner Argumentation über die Regierung vernichtet. (...) (S. 25-32)
     
  2. Die Lage des zweiten großen Teils von Frauen, der erwachsenen Töchter, die in ihres Vaters Haus leben, verlangt nun unsere Aufmerksamkeit.
    Ist es wahr, daß das Interesse dieser Gruppe von erwachsenen Frauen, deren Väter noch leben, identisch ist mit dem ihrer Väter? Wer das bejaht, äußert damit einen Widerspruch zu den wahren Tatsachen.
    Eine Hypothese von größerem Widerspruch zur Realität ist vielleicht niemals aufgestellt worden. Da ist zuerst einmal der Teil - eine beträchtliche Zahl von Frauen -, von welchen wohl selbst der »Artikel« nicht behaupten will, daß ihr Interesse mit dem ihrer Väter identisch ist, so widersprüchlich wäre die Behauptung angesichts der Realität: diese Frauen sind die illegitimen erwachsenen Töchter.
    Die Väter illegitimer Töchter haben meistens auch legitime Kinder. Die illegitimen werden fast völlig vernachlässigt, oder zwischen ihnen und den legitimen gibt es eine Konkurrenz um gute Berufe und Geld, so daß es für den Vater einfach unmöglich ist, gegenüber den antagonistischen Ansprüchen das gleiche Interesse und die gleichen Gefühle aufzubringen. Anstatt Sympathie und gleiche Ansprüche für diese unglücklichen Kinder zu fördern, schürt eine barbarische öffentliche Meinung viel lieber die Entfremdung und das Im-Stich-lassen durch den Elternteil. Im-Stich-lassen in jeder Hinsicht - es sei denn die bare Existenz. (...) Der wahre Kriminelle trägt den Kopf hoch und lächelt, wenn er sich nicht noch rühmt, während die Opfer (illegitime Töchter und ihre Mütter, H. S.) noch bestraft werden. Zwischen diesen zwei Gruppen von Menschen kann niemand Sympathie unterstellen noch Interessengleichheit in irgendeiner Hinsicht, noch gar Glück, wenn die Töchter erwachsen sind. (...)
    Und doch ist für diese alleinstehenden und in größtem Maße ungeschützten Menschen, deren Interesse am weitesten davon entfernt ist, mit dem irgendeiner anderen Gruppe der menschlichen Gesellschaft identisch zu sein — und am wenigsten mit dem ihrer Väter -, keine Ausnahmeregelung, keinerlei Vorsorge vom Autor des »Artikels« getroffen.
    Sie haben das Unglück, Töchter zu sein, zur geächteten Hälfte der Menschheit zu gehören; ob legitim oder illegitim, sie sind gleichermaßen ausgeschlossen von politischen Rechten. Wären sie Söhne, legitime oder illegitime, dann wäre ihr Anspruch auf politische Rechte, sobald sie erwachsen sind, erfüllt. Keine Fiktion von Interessenidentität zwischen Söhnen und Vätern wird erfunden, keine philosophische Fiktion, um legale weiterhin zu bestätigen; es wird eingeräumt, daß die Interessen illegitimer Söhne denen ihrer Väter entgegengesetzt sind, so wie jedem Mann ein eigenes, unterschiedliches Interesse zugebilligt wird: väterliche Autorität endet mit dem 21. Lebensjahre, wie bürgerliche und politische Rechte und Pflichten für Söhne beginnen. (...)
    Es ist nun Zeit, daß wir den Vorwand prüfen, unter welchem der »Artikel« legitimen erwachsenen Töchtern im Hause ihrer Väter politische Rechte verweigert.
    Erstens, das Interesse erwachsener Töchter ist keineswegs mehr als das erwachsener Söhne identisch mit dem der Väter. Sobald die Söhne die Volljährigkeit erreichen - so räumt der »Artikel« ein -, hört die Interessenidentität mit ihren Vätern auf. Da es nicht bewiesen werden kann, daß die Sympathien der Väter für die Töchter stärker sind als für die Söhne - wie ihr gewöhnliches Verhalten zeigt -, und zwar viel stärker, so daß ihre Interessen in wichtigen Fragen völlig gleich sind, - da das nicht bewiesen werden kann, gibt es keinen Grund, keine Erklärung für den Ausschluß der Töchter von politischen und bürgerlichen Rechten, der nicht auch auf die Söhne zuträfe. (S. 34-38)
     
  3. Die Lage des letzten großen Teils der Frauen, der Ehefrauen.
    Eine weitere Klasse von Frauen und bei weitem die zahlreichste und daher aller wichtigste, von deren Interessen der »Artikel« behauptet, daß sie in die von bestimmten Männern, nämlich ihrer Ehemänner, eingeschlossen sind, die Wahlstimmen zur Regierungsvertretung haben oder haben sollten, verlangt nun unsere Aufmerksamkeit. Dieser sehr zahlreiche Teil der menschlichen Gattungsoll, so behauptet der »Artikel«, von politischen Rechten ausgeschlossen sein, weil ihre Ehemänner, in deren Interessen die ihren angeblich eingeschlossen und mit denen sie identisch sind, diese Rechte besitzen oder besitzen sollen.
    Der Mann, unaufgeklärt, in Unkenntnis der Freuden des Mitgefühls und der Gleichheit, ist überall bestrebt, seine Mitmenschen wie die Tiere und die unbelebten Kräfte der Natur seiner schnellen Befriedigung und Annehmlichkeit zu unterwerfen, und zwar durch die gleichen Mittel - allgegenwärtigen Zwang und Gewalt, überlegene Fähigkeiten und List.
    Die Starken und Wissenden haben überall ohne Kontrolle ihres Verhaltens die große Masse ihrer Mitmenschen in einen Zustand absoluter Sklaverei oder mehr oder weniger sklavereiartiger Zustände zurückgeworfen. Aber von allen ihren Mitmenschen waren diejenigen, die sie am leichtesten unterjochen konnten, weil sie weniger Körperkräfte haben, die Klasse der Frauen, einzeln verteilt unter die Männer zum Zwecke des sexuellen Vergnügens ihrer Herren, eine Schwache immer an einen Starken gebunden, ihm unterworfen. - Und der Geist der Frauen, wie ihre Gewohnheiten geformt für die offensichtlich barbarischen Interessen ihrer kurzsichtigen Hüter: was Wunder, daß Frauen gezwungen sind, dem allgemeinen Gesetz der Unterwerfung durch Gewalt zu gehorchen und bisher als Nieten der Schöpfung betrachtet werden - ohne Recht auf physische, intellektuelle oder gleiche Freuden um ihrer selbst willen und für ihren eigenen Zweck, sondern ausgeliefert als nützliche Instrumente, noch stimulierendere Reizmittel für die dummen und selbstsüchtigen Neigungen der Männer?

Wäre die Lage der Dinge so, daß der Mann für die Befriedigung seiner dringendsten und anmaßendsten Leidenschaften unabhängig von Frauen wäre, daß er keine sexuellen Wünsche hätte und daß die Frauen die Gattung verewigten ohne sein Zutun - oder ohne sein Zutun im Sinne seines Vergnügens, dann würden Frauen, weil sie schwächer sind, überall durch das Gesetz der Gewalt zu Feld- und Fabrikarbeiterinnen gemacht, und zwar zum ausschließlichen Wohl des Mannes. Wie weit und in welcher Weise die Notwendigkeit, als Mittel für das sexuelle Vergnügen der Männer zu dienen, das Lebensgeschick der Frauen, ihre universale Degradierung (...) modifiziert -aber auch nur modifiziert! - werden wir sogleich sehen. Wenn die Herrschaft des Mannes über die Frauen im allgemeinen diese Ursachen hat und nur mit Rücksicht auf die Erhöhung seines eigenen Vergnügens modifiziert wird, was ist dann sein Verhalten gegenüber der zahlreichen Klasse seiner Mitmenschen, die er herablassend mit dem Namen Ehefrauen beehrt?

Durch diese Auszeichnung und Ehrung dieser Klasse der geächteten Hälfte der Menschheit läßt sich der Mann herab, mit bestimmten Frauen in das einzutreten, was er einen Vertrag zu bestimmten Zwecken nennt, wovon der wichtigste das Gebären und Aufziehen von Kindern bis zur Reife ist. Jeder Mann unterjocht seinem Haushalt und Wohnsitz eine Frau - und nennt das einen Vertrag. Unverschämte, freche Falschheit! Ein Vertrag! Wo ist denn auch nur ein Tatbestand eines Vertrages, eines gleichen und gerechten Vertrages, in dieser Transaktion zu finden? Ein Vertrag beinhaltet die freiwillige Zustimmung der Vertragsparteien. Können beide Parteien, Mann und Frau -selbst wenn sie darin übereinstimmen - die Bedingungen der Unauflösbarkeit und Ungleichheit dieses angeblichen Vertrages ändern? - Nein.

Kann ein individueller Mann, angenommen, er hätte überhaupt die Absicht, sich seiner Macht und despotischen Kontrolle begeben? Er kann es nicht.

Wurden Frauen im Hinblick auf die Bedingungen dieses angeblichen Vertrages gefragt? Ein Vertrag des Inhalts, daß alles Vergnügen und die Verworfenheit des Egoismus (wenn nicht die Natur eine physische Schranke setzt) auf der einen Seite und alle Qualen und Beraubungen auf der anderen Seite sind!

Ein Vertrag, der der einen Seite alle Macht, eigenmächtigen Willen und ungezügeltes Vergnügen gibt, der anderen unbegrenzten Gehorsam und Freuden zumißt oder verweigert (...) je nach Lust und Laune der herrschenden und genießenden Partei.

Ein Vertrag dergestalt, wie ihn die Eigentümer von Sklaven auf westindischen Inseln und jedem anderen mit Sklaverei befleckten Stück Erde mit ihren Sklaven eingehen - das Gesetz des Stärkeren dem Schwächeren aufgezwungen in Verachtung der Interessen und Wünsche des Schwächeren. So wenig wie die Sklaven in irgendeinem Teil der Welt etwas zu tun gehabt haben bei der Verordnung von Sklaven-Gesetzen, haben Frauen in irgendeinem Teil der Welt etwas zu tun mit den parteiischen Gesetzen des Eigennutzes und der Dummheit, die sie überall ihres Rechts auf eigene Handlungen und alle anderen Freuden berauben; zu Gunsten jener, die die Gesetze gemacht haben, besonders das höchst ungleiche und erniedrigende Gesetz, das absurderweise Heirats vertrag genannt wird. Das ist, man denke, die große Wohltat, die die Selbstsucht und Dummheit der Männer den Frauen gewähren. Dieser zwingt den launenhaften Mann wenigstens, für die Kinder, die er zeugte, bis sie erwachsen sind, zu sorgen. Ansonsten ist dieser angebliche Vertrag für die Frauen in jeder Hinsicht ein Gesetz des Zwanges, der Unterdrückung und des Ausschlusses; das Gesetz des Stärkeren, aufgezwungen zum Zwecke des Vergnügens und Vorteils allein des Stärkeren. Und die Interessen der Frauen, der angeblich zweiten Vertragspartei, sind nicht mehr berücksichtigt als die der Schlachtochsen in den Polizei Verordnungen, die ihrer Abschlachtung vorausgehen und ihr folgen. Bei der Abfassung der Bedingungen dieses angeblichen Kontraktes sind Frauen ebenso völlig ausgeschlossen wie die Ochsen oder Schafe oder irgendwelche anderen vom Manne unterjochten Tiere von der Abfassung der Gesetze des House of Commons oder der Schlachthäuser. Männer verfügten per Gesetzeskraft, mit anderen Worten, wollen diese Bedingungen, ob Frauen sie wollen oder nicht: daß der Mann der Eigentümer, Herr und Meister und Herrscher über alle Dinge ist, sogar über die bescheidenste Handlung und das banalste Stück Eigentum, das von der Frau in den gemeinsamen Haushalt gebracht wird, mit der Frau als bewegliches Eigentum und immerwährend gehorsamer Dienerin gegenüber den gebieterischen Befehlen des Mannes.

»Aber Frauen brauchen nicht zu heiraten! Sie können sich weigern, in diesen Vertrag einzutreten.« Genauso wie in den glücklichen Tagen des Ost-Indischen Monopols, als die Lebensmittel der Provinzen von Einzelnen unter der Fahne der merkantil-politischen Macht aufgekauft und den armen Menschen freundlich gesagt wurde: »Sie haben die Freiheit zu kaufen oder nicht zu kaufen.« 

Aber wenn sie nicht kauften, so war die banale Unbequemlichkeit der Alternative, daß sie verhungern mußten.

So ist es auch mit den von Männern geschaffenen Gesetzen, die den Frauen Wissen und handwerkliche Fertigkeiten rauben, sie vom Vorteil aller vernünftigen und intelligenten Geschäfte und von Krediten ausschließen, sie durch Erbfolge oder anderwärts fast völlig von der Teilnahme am Eigentum, von seinem Nutzen und Tausch abschneiden - und dann wird den Frauen freundlich gesagt, »sie sind frei, nicht zu heiraten«. Die Verhältnisse - Wissen, Eigentum, bürgerlicher und politischer Ausschluß, die öffentliche Meinung des Mannes - sind so eingerichtet, daß die große Majorität der erwachsenen Frauen heiraten, und zwar zu Bedingungen, die allein dem Willen ihrer Herren entsprechen, oder sterben muß.

Unter diesen Umständen macht es der Mann zur Bedingung, daß die Frau ihm wie ein Negersklave jegliche Kontrolle über ihre Handlungen übergibt. Allein unter dieser Bedingung erlaubt er ihr, an seinen Mitteln zu einem glücklichen Leben, soweit sie vom Geld abhängen, teilzunehmen, doch stets nur, soweit seine Willkür und Laune es zulassen. Ihre Handlungen unterliegen außerdem den höheren Strafgesetzen, denen sie ebenfalls ausgesetzt ist, und viele Gesetze bestrafen sie mit größerer Härte als den Mann.

Aber, sagt der »Artikel über die Regierung«, das Interesse der Ehefrauen ist in das ihrer Ehemänner eingeschlossen. (...) (S. 54-58)

 

Kommentar

Diese brillante, scharfsinnig argumentierende, teilweise die Mittel der Ironie nutzende fundamentale Kritik des englischen Patriarchalismus zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ist in ihrer uneingeschränkten Parteiergreifung für die Frauen, ihrer rücksichtslosen Bloßstellung der Machtverhältnisse, in der Unversöhnlichkeit und Schonungslosigkeit, mit der sie die Wahrheit über die Zustände im Verhältnis der Geschlechter offenbart, noch heute höchst beeindruckend. Der in politischen und ökonomischen Kategorien zu denken gewohnte Autor W. Thompson hat in Zusammenarbeit mit Anna Wheeler, einer schwer betroffenen Frau, eine Protestschrift gegen James Mill und die ihm applaudierende männliche Öffentlichkeit verfaßt, die von politischer Vehemenz wie grundsätzlicher Bedeutung ist.

In einem langen Brief an Anna Wheeler, der dem unfangreichen Werk als Einleitung vorangestellt ist, läßt Thompson die Leser wissen, daß er geordnet und niedergeschrieben hat, was er mit ihr oft und lange diskutierte, was ihr geistiges Eigentum ist: »... to you am I indebted for those bolder and more comprehensive views which per-haps can only be elicited by concentration of the mind on one darling though terrific theme. To separate your thoughts from mine were now to me impossible, so amalgamated are they with my own (...) I wish to give everything to its right owner (...) I long hesitated to arrange our common ideas (...) Anxious that the hand of a woman should have the honour of raising from the dust that neglected banner which a woman's hand nearly thirty years ago unfolded boldly, in face of the prejudice of thousands of years (...)«. (Gedacht ist an Mary Woll-stonecraft.) Thompson hat die seltene Sensibilität dafür, daß eine Frau wie Anna Wheeler selbst die feministische Tradition der Streitschrift für ihr Geschlecht fortführen muß: »But leisure and resolution to undertake the drudgery of the task were wanting. A few only therefore of the following pages are the exclusive produce of your own hand. The remainder are our Joint property. I being your interpreter and the scribe of your sentiments.« (Introductory letter to Mrs. Wheeler)

Dem akademisch gebildeten Mann ohne materielle Sorgen ging selbstredend das Schreiben leichter von der Hand als der ungeschulten Frau, Mutter vieler Kinder. Es ist jedoch legitim, Anna Wheelers Namen als Mitautorin des Werkes einzusetzen und zu konstatieren, daß die Empörung und die Rebellion der betroffenen Frau die treibende Kraft war, die den Sozialreformer Thompson auf dieses größte soziale Problem hinlenkten, so daß beider Zusammenarbeit erst diese radikalfeministische Schrift von hohem theoretischem Niveau möglich machten - und das zu einem Zeitpunkt, da in deutschen Ländern der philosophische Antifeminismus bürgerlicher Denker die religiöse Ideologie der biblischen Paulusbriefe reproduziert. Anna Wheeler verfügte über die Argumente, reflektierte und rebellierte gegen die Sklaverei der Frauen, Thompson machte sich - so seine eigenen Worte - die Fakten und Argumente zu eigen, und er solidarisierte sich: eine in der Ideengeschichte und Politikgeschichte leider äußerst rare Konstellation.

Der aktuelle Anlaß ist James Mills (der Vater von John Stuart Mill) Artikel über die Regierung in der Encyclopaedia Britannica mit seinem politischen Bannstrahl gegen die Frauen, der von eifrigen Antifeministen dort herausgenommen und als Sonderdruck emsig verbreitet wurde. Die Aufforderung an Mill, die Frauen ausschließenden antisozialen Äußerungen zu streichen, hatte dieser hochfahrend und arrogant abgelehnt. Diese die Frauen beleidigenden und verächtlichen Sätze, verkündet mit der Autorität einer modernen philosophischen Schule -der der Utilitaristen - darf nicht unwidersprochen bleiben: »the protest of at least one man and one woman is here put forward against doc-trines which disgrace the principle of Utility«, der Schule, zu der Thompson und der junge Mill und James Mill und Bentham als ältere Generation gehörten.

Damit ist jedoch nur der Anstoß gegeben zu einer umfassenden Gesellschaftskritik, die längst schwelend sich vorbereitete an einem System, das sich parlamentarisch nennt und eines der »häuslichen Sklaverei«, ein »System der Ehen«, darstellt.

Thompson und Wheeler fragen nach den Ursachen der häuslichen Sklaverei der Frauen und erkennen in der Jagd nach individuellem Eigentum und rücksichtsloser Konkurrenz, in welcher die Frauen und Mütter keine Chance haben, eine der Ursachen des »Systems of mar-riage«. Das umfangreiche Werk beinhaltet denn auch eine Fülle von scharfsinnigen Gedanken und Argumenten zu diesem »System«, die vielfältigen Formen der Beraubung der Frauen, die unkontrollierte Macht der Männer über ihre Person, ihr Eigentum, ihr Leben, ihre sexuelle und emotionale Ausbeutung, ihre Degradierung, ein System des Ausschlusses von Dreivierteln der Menschheit (alle erwachsenen Frauen und Kinder) aus dem »allgemeinen Interesse« - und aus der politischen Interessenvertretung.

Alle diese von den Autoren behandelten politökonomisch brisanten Probleme können hier leider nicht erörtert werden, hier kann nur die zentrale ideologische Denkfigur, die jedoch das »Fundament« bürger-lich-patriarchaler Legitimierung bildet (und zwar bis in unsere Tage), nämlich die Behauptung von der Interessenidentität zwischen Familienoberhäuptern und den ihnen unterworfenen, rechtlosen, zu Gehorsam gezwungenen, physisch unterlegenen und eigentumslosen Frauen, die auch noch Rücksicht auf ihre Kinder nehmen müssen, analysiert und entschärft werden. Diese höchst fragwürdige »Begründung« allein dient James Mill dazu - in sechs Zeilen - den Ausschluß der größeren »Hälfte der menschlichen Gattung« von politischen Rechten und damit eigener Interessenvertretung ein für allemal zu legitimieren. Im übrigen ist Mill als Vertreter der Utilitaristen ein Verfechter der »poli-tical rights of man«, ein politisch-philosophischer Förderer der »great-est possible quantity of happiness to all (!) men«, - aber ohne die »eine Hälfte der menschlichen Gattung«, die Frauen überhaupt in Erwägung zu ziehen: Unter seine philosophische Protektion nimmt er nur die Hälfte der Menschheit, zu welcher er selbst gehört. (Das ist übrigens das hervortretendste gemeinsame Charakteristikum der von Männern gepflegten politischen Philosophie von der griechischen und römischen Antike über die Scholastik, die Naturrechtsphilosophie bis zu gegenwärtigen Autoren, deren Liebe zur Weisheit nur Liebe zur eigenen Macht und Selbstherrlichkeit darstellt und sollipsistisch nicht über sich selbst und das Eigeninteresse hinausdenken kann.)

Da zu Anfang des 19. Jahrhunderts Frauen noch immer keinen Zugang haben zu akademischer Ausbildung oder gar zu einer politischphilosophischen Schule und keine Frauen in der höchst privilegierten Lage sind, ein Leben als Privatgelehrte, endastet von aller niederen Arbeit, wie die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Männer zu führen, kann es keinen politischen Dialog geben, es gibt nur einen Monolog der Herrschenden: es sprechen, schreiben allein männliche »Philosophen«, die sich folglich nicht der Mühe der Begründung des patriarchalen Herrschaftsanspruches unterziehen müssen, sondern mit unbewiesenen Behauptungen operieren können. Diese Behauptungen werden gern »geglaubt«, kommen sie doch dem eigenen Interesse so angenehm entgegen. Sie sind zudem ausgestattet mit allerhöchster Autorität: der eines Mannes, der sich zudem als philosophische Sachautorität äußert. Niemand in der »Öffentlichkeit« stellt die Autorität und Wahrheit der Behauptungen in Zweifel, denn die öffentliche Meinung ist nichts anderes als die öffentliche Meinung der Unterdrücker, ein gesellschaftliches Terrain, auf dem die Beleidigten und Diffamierten keine Stimme haben, um die unbewiesenen Behauptungen als solche zu bezeichnen und die »Autorität« des patriarchalen Philosophen in Frage zu stellen. Das Monopol auf Wissen, auf geistige Arbeit, auf die materiellen Mittel zur öffentlichen Verbreitung von Herrschaftswissen und -ideologie, ohne daß die Beherrschten die geringste Chance haben, sich zu wehren, ist eine materielle Gewalt im Verhältnis Männer -Frauen, oder genauer: Bürger - abhängige Ehefrauen, die gar nicht zu überschätzen ist. So kann James Mill mit Erfolg und gegen alle Erfahrung behaupten (nicht begründen oder gar beweisen), daß zwischen Familienhäuptern und ihren (sie!) Frauen eine Interessenidentität besteht, und folglich - die unbewiesene Behauptung wird als Wahrheit vorausgesetzt und daraus gefolgert! - die Frauen (»ohne Schaden«!) von politischen Rechten ausgenommen werden können. Dies alles geschieht in drei Sätzen! Mit Widerspruch der in Unwissenheit und häuslicher Sklaverei, also extremer Abhängigkeit gehaltenen Frauen braucht James Mill bequemerweise nicht zu rechnen. Eine solche dezidierte und profunde Kritik, wie sie Mill denn doch von Thompson und Wheeler erfährt, ist eine höchst seltene Ausnahmeerscheinung; die Regel ist, daß das pa-triarchale Publikum applaudiert, und in der politischen Geschichte der angeblich demokratischen Staaten ist es eine äußerst seltene Erfahrung, daß ein einzelner Mann (oder gar eine Gruppe) öffentlich die Partei der Frauen ergreift und sie gegen derartige Degradierung wenigstens verbal verteidigt: die leibeigenen Bauern und die Sklaven, die Kolonisierten und die Arbeiter haben stets Verbündete in anderen politischen Lagern gefunden. Nicht so die Frauen. In ihrem Fall gibt es eine Interessenidentität aller Männer, nämlich das Interesse, daß ihnen die Frauen unterstellt bleiben sollen.

Thompson und Wheeler zerlegen das »Fundament« der patriarchal-bürgerlichen Gesellschaft argumentativ, bis nichts mehr davon übrig bleibt als klägliche Denkfehler, logische Brüche, Widersprüche, willkürliche und irrationale Behauptungen: Z.B. hat James Mill nicht in Betracht gezogen, daß es eine erhebliche Zahl von Frauen gibt, die überhaupt kein »Haupt« zwecks politischer Interessenvertretung haben, folglich sich selbst vertreten müssen. Es sind dies erwachsene Töchter, Ledige und Witwen. Sie werden nicht »indirekt« - durch Familienväter »repräsentiert«, dürfen sich aber auch nicht selbst vertreten! Damit widerspricht Mill seiner eigenen Forderung. Wenn er konsequent wäre, müßte er einräumen, daß diese Gruppe von Frauen politische Rechte haben muß. Es ist seine eigene Forderung - aber nur, wenn es sich um Männer handelt. Diese überaus männlich-chauvinistische »Philosophie« James Mills prätendiert aber nun gerade, völlig ge-schlechtsneutral und sachlich, völlig rational zu sein, ja progressiv und demokratisch, im Interesse aller Menschen, die noch keine politischen Rechte haben - aber eben nur, wenn sie sein eigenes Geschlecht besitzen!

Die grundlegende Prämisse der Millschen Philosophie lautet: es ist Gesetz der menschlichen Natur, andere Menschen völlig zu entrechten und zu versklaven, wenn nicht politische Schranken gesetzt werden. Aber von diesem selbst aufgestellten, allgemeingültigen Gesetz konstruiert er nun wiederum selbst eine gigantische Ausnahme: im Verhältnis Männer - Frauen gilt es angeblich nicht.

Ein Gesetz, dessen Geltung dergestalt eingeschränkt wird, ist dann aber kein allgemeingültiges soziales Gesetz mehr. Es ist logisch unsinnig, ein »Gesetz« aufzustellen und zugleich eine Ausnahme davon zu konstruieren, die die Gültigkeit des Gesetzes für fünfzig Prozent der Fälle einschränkt.

Hat es aber allgemeine Geltung, dann bedeutet es, auf das Verhältnis Männer - Frauen angewandt, daß die Männer die Frauen absolut versklaven, wenn ihnen nicht Schranken gesetzt werden. Und dies muß geschehen durch die politische Interessenvertretung der Betroffenen selbst, durch gesetzlichen Schutz: durch Rechte im Haus, in der Ehe, durch bürgerliche und politische Rechte für Frauen.

Wenn aber das Millsche Gesetz gilt, dann ist das logische Resultat, daß die unkontrollierte Macht der Familienoberhäupter über Frauen die Frauen zurückwirft auf das Niveau der Sklaverei wie auf den westindischen Inseln. Dieses Denkresultat will Mill selbstredend keineswegs zulassen, obwohl es logisch ist. Die Wahrheit ist Mill selbstredend unerwünscht, denn es ist politisch nicht mehr opportun, offen die Sklaverei der Frauen zu fordern: der Zustand soll beibehalten, aber zugleich ideologisch, verschleiert, bagatellisiert, mystifiziert werden. Während er einerseits eine Ideologie, eine mehr oder weniger bewußte Rechtfertigung der Rechtlosigkeit der weiblichen Bevölkerung produziert, entwickelt er zugleich eine politisch-philosophische Begründung des Rechts auf Vertretung der eigenen Interessen zwecks Verhinderung von Machtmißbrauch von Seiten deren, die das entgegengesetzte Interesse vertreten. Und welcher Interessengegensatz wäre größer als der zwischen Sklavenhalter und Sklave?

James Mill hat sich selbst in eine unsägliche Aporie hineinmanövriert: er will zum einen beweisen, daß Machtmißbrauch illegitim ist, doch zugleich auch, daß er legitim ist, bzw. gar kein Machtmißbrauch, wenn er Frauen betrifft. James Mill hat sich damit nicht allein politisch und moralisch, sondern auch intellektuell blamiert: Thompson und Wheeler können ihm viele derartige plumpe Denkfehler nachweisen. So die Nichteinhaltung der Gesetze der Logik in der »Argumentation«: »fast alle Frauen« sind durch Interessenidentität mit ihren Männern, also indirekt vertreten, daraus folgt, daß fast alle Frauen (aber eben nicht alle), einige eben nicht dergestalt vertreten sind! Sogar logisch stringente Beweisführung ist ein Privileg und Monopol, das die meisten Männer für sich allein beanspruchen, im Falle von Frauen aber nicht für gleichermaßen notwendig halten: für Frauen haben sie nicht allein eine doppelte Moral, sondern auch ein System der doppelten Logik und doppelten Wahrheit parat.

Die Frage nach der Wahrheit, nach der Realität der Interessenvertretung zwischen Männern und Frauen prüft Thompson an der großen Gruppe der erwachsenen Frauen, der Ehefrauen und Töchter:

Zunächst das Verhältnis Väter und Töchter: Gibt es gleiche Interessen zwischen Vätern und erwachsenen Töchtern im Hause des Vaters?

Zwischen Vätern und ihren illegitimen Töchtern mit Gewißheit nicht. Die fatale Rechtlosigkeit unehelicher Kinder, ihrer und ihrer Mütter Ächtung, die Negation ihrer Lebensinteressen durch die Väter ist gar zu bekannt, als daß darüber noch zu rechten wäre. Da die Interessen höchst verschieden sind, müßte also illegitimen Töchtern die eigene Interessenvertretung durch das Wahlrecht zugestanden werden.

Auch legitime erwachsene Töchter sind von politischen Rechten ausgeschlossen. Wenn sich das begründen läßt, wäre es auch logisch

notwendig, erwachsene Söhne davon auszuschließen, deren Interessen - als Männer - mit denen der Väter eher identisch sind, als die zwischen Vätern und Töchtern. Wenn aber erwachsene Söhne dennoch ein Recht auf politische Vertretung haben (da ihre Interessen mit dem der Väter nicht identisch sind), steht es logischerweise auch den erwachsenen Töchtern zu. Oder es steht keinem zu, weder Söhnen noch Töchtern.

Schließlich wird geprüft, ob die behauptete Interessenidentität für die größte Gruppe der Frauen, die Ehefrauen zutrifft, deren Männer das Wahlrecht haben und sie »wesensgemäß repräsentieren«. Diese »Klasse der Frauen« lebt ohne Schutz des Gesetzes allein den Interessen und Bedürfnissen und der »despotischen Kontrolle« ihrer physisch stärkeren Männer unterworfen, jede einzeln an einen Mann gekettet, ohne Eigentum, geistig versklavt, ohne Anspruch auf eigenes »Glück« erheben zu dürfen, in einem - höchst ungleichen - Gewaltverhältnis, das Wheeler und Thompson als noch totaler und perfider als die gewöhnliche Sklaverei bezeichnen: es handelt sich nicht um eine vertragliche Vereinbarung, sondern um das Faustrecht, den Sieg und Triumph des Stärkeren. Und das, obwohl es gerade die Grundidee des Rechtsstaates ist, das Recht des Stärkeren über den Schwächeren abzuschaffen; aber, wie sich wiederum zeigt, lediglich für das Verhältnis unter Männern.

Die Bürger und ihre Philosophen forderten stets gegenüber dem Monarchen, daß sie keinem Gesetz unterstellt werden dürfen, das nicht von ihnen selbst, von ihrer politischen Vertretung, dem Parlament, geschaffen ist; Regierende und Regierte sollen identisch sein, weil sie nur so ihre Interessen wahren können. Kein absoluter Herrscher, dessen Interessen denen der Bürger entgegengesetzt sind, darf über sie Gesetze erlassen wider den Willen derer, die ihnen unterworfen werden. Aber jene Bürger und ihre »Theoretiker« wie James Mill verleugnen alle diese rechtsstaatlichen Prinzipien - gegenüber der »Hälfte der Menschheit, Frauen«: die Ehefrauen sollen weiterhin ihre Herrschaftsobjekte, ihr Privateigentum sein.

Thompson als studierter Ökonom erkennt als Ursache der Versklavung der Frauen im bürgerlichen »Rechtsstaat« England das Eigentumsinteresse der Familienoberhäupter, oder wie er sie auch nennt, der ehelichen Sklavenhalter: sie verfügen über allen Reichtum jenseits des Hauses, monopolisieren Arbeit, Bildung, Berufe, alle Erwerbsquellen, und durch das System der Ehe machen sie sich auch noch zu Herren über jegliches Eigentum der Frau, über ihre Arbeitskraft - über alle ihre Handlungen, sie selbst zu »beweglichem Eigentum«, das auch zur sexuellen Benutzung gezwungen wird.

Die Ideologie der Freiwilligkeit der Ehe für Frauen wird widerlegt und auf ihren nackten ökonomischen Zwang zurückgeführt: eine Frau, die nicht heiraten will, hat die Alternative des Verhungerns. Dieser eklatante soziale Mißstand wird von James Mill mit dem Feigenblatt der »Vernunft« gedeckt. Willkürlich und launisch teilt er die menschliche Gattung in zwei moralische und politische Teile, wovon der eine Teil mit Freiheit und Glück, der andere mit Sklaverei, Beraubung und Beleidigung bedacht wird. Er macht sich selbst zum »Advokaten des Despotismus«.

Thompson und Wheeler haben auch den sexuellen Zwangscharakter der ehelichen Sklaverei für die Frauen erkannt: während sich der Manne alle sexuellen »Freiheiten« ungestraft auf Kosten der Frauen erlauben kann, wird die Frau zur Abstinenz gezwungen: der Unterschied zwischen Ehelosigkeit und Ehe stellt sich in der patriarchalen Gesellschaft für sie so dar: »Better to be a slave and be kissed, than to be a slave without kissing.« Daß es statt der Küsse sehr schnell Schläge, Mord, Totschlag und Vergewaltigung gibt, ist bekannt und nur folgerichtig, da James Mill selbst es als Gesetz der männlichen Natur betrachtet, daß er seine Mitmenschen zutiefst versklavt, wenn ihm nicht Schranken durch Gesetze gesetzt werden.

In der Ehe gibt es jedoch keine Einschränkung der Willkür, im Gegenteil, der englische Ehemann kann sogar einen Gehorsamssch-wur von seiner Frau verlangen, wie er vom gewöhnlichen Sklaven nicht verlangt wird. »This is the essence of slavery ... A domestic, a civil, a political slave, in the piain unsophisticated sense of the word - in no metaphorical sense - is every married women.« (S. 67) Das ist das vernichtende Urteil der Autoren über die damalige soziale Lage der Frauen und über den sozialphilosophischen Plan, den James Mill entwirft.

Die Unterstellung, daß zwischen ehelichen, männlichen Sklavenhaltern und weiblichen ehelichen Sklavinnen eine Identität der Interessen besteht, ist grotesk.

 

John Stuart Mill / Helen Taylor 

 

Über die Zulassung der Frauen zum Wahlrecht, 1867

 

 

Harriet Taylor (1807-1858), sehr jung mehr aus Not denn aus Neigung verheiratet, Mutter dreier Kinder, versammelte um sich einen Kreis räsonnierender Freundinnen und junger Männer, in den auch der junge Mill aufgenommen wurde. Das war im Jahre 1830. Seit dieser Zeit durch Freundschaft und Liebe verbunden, arbeiteten sie gemeinsam an den unter Mills Namen publizierten Schriften und an der Frauenfrage. Erst als nach über zwanzig Jahren Harriet Taylors Ehe durch den Tod ihres Mannes aufgelöst war, konnten sie zusammen leben und heiraten. In einer feierlichen Erklärung hat J. S. Mill jedoch auf alle Vorrechte und Machtbefugnisse, die ihm das Eherecht gab, verzichtet. Ihnen blieben nur noch sieben gemeinsame Jahre. Mill hat ihren Tod nur sehr schwer verwunden: »Die Triebfeder meines Lebens ist zersprungen, aber ich werde ihre Wünsche am besten erfüllen, wenn ich den Versuch nicht aufgebe, etwas Nützliches zu tun« (Mill in einem Brief 1858). Fortan arbeitete er zusammen mit Harriets Tochter Helen.

 

Schon im Jahre 1866 war dem Unterhaus durch Mill eine Petition zum Frauenwahlrecht, unterzeichnet von 1500 Frauen, überreicht worden. Diese politische Frauenaktion war bereits lange von Helen Taylor (Mills Stieftochter) durch Organisation von Gesellschaften für das Frauenstimmrecht in vielen Städten und durch das Sammeln von Unterschriften vorbereitet worden; es sind viele Briefe erhalten - so z. B. an Florence Nightingale - in welchen Pro und Contra dieser höchst umstrittenen Frage erörtert werden. Erhalten ist auch ein politischer Essay von Helen Taylor »Der Anspruch der englischen Frauen auf das Wahlrecht, verfassungsrechtlich betrachtet«.

Höchst wahrscheinlich hat Mill diese Rede mit ihr zusammen geschrieben, ganz gewiß aber jedes Argument mit ihr diskutiert. Das Buch »Die Hörigkeit der Frau« war bereits geschrieben (aber noch nicht publiziert, das geschah erst 1869) und zwar »auf Drängen meiner Tochter, damit in jedem Falle ein schriftlicher Entwurf meiner Auffassungen zu dieser Frage, so vollständig und überzeugend wie möglich, existiere ... So, wie die Abhandlung schließlich veröffentlicht wurde, war sie mit einigen wichtigen Gedanken und schriftlichen Passagen meiner Tochter bereichert. Was hingegen meinen Teil betrifft, so hört alles, was darin am eindruckvollsten und fundiertesten ist, meiner Frau und kommt aus dem Fundus von Gedanken, den wir uns gemeinsam in unseren zahllosen Gesprächen und Diskussionen über diesen Gegenstand, der einen so großen Raum in unserem Denken einnahm, erarbeitet haben«, so Mill in seiner Autobiographie (Coss-Ausgabe).

Mills theoretische Schriften und seine praktische politische Tätigkeit können also nicht ohne die Mitarbeit und den Einfluß von Helen Taylor und Harriet Taylor (die 1867 nicht mehr lebte) gesehen werden. Als dem bereits betagten Mill 1865 eine Kandidatur für das Unterhaus angeboten wurde, sah er eine große Chance, die Frauenfrage, besonders das Frauenwahlrecht, in das Parlament zu tragen. Im Wahlkampf erklärte er offen, daß »Frauen zu den gleichen Bedingungen wie Männer das Recht zur Repräsentation im Parlament haben«. Es war ein politisches Wunder, daß er gewählt wurde, aber nur für eine Periode-die reaktionären Kräfte sammelten sich und verhinderten eine zweite Wahl. Mill hatte das erwartet, aber seine Zeit als »member of parlia-ment« (M. P.) gut genutzt, um der Frauenbewegung zu größter Publizität zu verhelfen. Bis kurz vor seinem Tode hat er in Versammlungen von Frauen Wahlrechts-Gesellschaften Reden gehalten.

Diese Rede erschien im gleichen Jahr als Sonderdruck in London. Er liegt dieser Übersetzung von Hannelore Schröder zugrunde.

 

Rede von John Stuart Mill, M. P.

Über die Zulassung der Frauen zum Wahlrecht,

gehalten im House of Commons, am 20. Mai 1867.

 

Ich erhebe mich, Sir, um eine Ausweitung des Wahlrechts vorzuschlagen, die in diesem Hause keine Partei- oder Klassen-Gefühle erweckt, die keine Beleidigung sein kann für den eifrigsten Verfechter der Rechte des Eigentums oder der Vielen, eine Ausweitung, die nicht die geringste Tendenz hat, die Balance der politischen Macht zu stören, worüber wir jüngst so viel gehört haben, die auch den empfindlichsten Panikmacher nicht mit revolutionärem Schrecken bedroht oder die eifersüchtigsten Demokraten als eine Überschreitung populärer Rechte beleidigt, noch der einen Gesellschaftsklasse ein Privileg auf Kosten einer anderen einräumt. Es ist da nichts, was unsere Aufmerksamkeit von der einfachen Frage ablenkt, nämlich ob es eine hinlängliche Rechtfertigung für die Fortsetzung des Ausschlusses der gesamten Hälfte des Gemeinwesens - nicht nur von der Zulassung, sondern auch von der Fähigkeit, jemals der Gesetzmäßigkeit der Verfassung unterstellt zu werden, gibt. Und das, obwohl sie alle die gesetzlichen und konstitutionellen Bedingungen erfüllen, die in jedem Falle - außer in ihrem, genügen. Sir, innerhalb der Grenzen unserer Verfassung ist das ein einmaliger Fall. Es gibt kein zweites Beispiel eines Ausschlusses, der absolut ist. Als das Gesetz das Wahlrecht allen verweigerte außer den Eigentümern von £ 5000 Jahreseinkommen, konnte der ärmste Mann des Landes - und hin und wieder geschah es - das Wahlrecht gewinnen. Aber weder Geburt noch Glücksfall, weder Verdienst noch Einfluß noch Intellekt, ja noch nicht einmal der große Arrangeur menschlicher Geschicke, der Zufall, kann jemals irgend eine Frau in die Lage versetzen, daß ihre Stimme in jenen allgemein-politischen Fragen zählt, die sie und Ihresgleichen fast so viel wie jeden anderen Menschen des Volkes betreffen.
(...) Es ist nicht gerecht, Unterschiede in Rechten und Privilegien zu machen ohne einen schwerwiegenden Grund. Ich bin nicht der Auffassung, daß das Wahlrecht oder irgendeine andere öffentliche Aktivität ein abstraktes Recht ist und daß die Nichtbewilligung in jedem Falle ein persönliches Unrecht ist. Das wäre ein gänzliches Mißverstehen des Prinzips, das ich vertrete und das nicht damit zu verwechseln ist. Mein Argument ist ganz das des Eigeninteresses. Aber es gibt verschiedene Ebenen des Eigeninteresses (...). Es gibt einen wichtigen Zweig des Eigeninteresses, genannt Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit, wenn sie auch nicht zwingend verlangt, daß wir an jeden politische Funktionen vergeben, fordert doch, daß wir nicht sprunghaft und ohne Grund den einen verweigern, was wir den anderen geben. (...) Um eine Begründung für die Verweigerung des Wahlrechts für irgend jemanden zu geben, ist es nötig, persönliche Unfähigkeit oder öffentliche Gefahr nachzuweisen. Nun, kann man das eine oder das andere in diesem Falle behaupten? Kann man behaupten, daß Frauen, die ein Gut bewirtschaften oder ein Geschäft führen, die Gemeinde- und sonstige Steuern zahlen - oft eine große Summe und häufig von ihrem eigenen Verdienst -, die oft verantwortliche Familienvorstände und manchmal in der Position einer Schulleiterin sind, (wo sie mehr lehren als eine große Zahl der männlichen Wähler je gelernt hat), nicht fähig sind zu einer Aufgabe, zu welcher jeder männliche Haushaltungsvorstand fähig ist? Oder wird befürchtet, daß sie den Staat revolutionieren, wenn sie zur Wahl zugelassen wären? Daß sie uns unserer hochgeschätzten Institutionen berauben? Oder daß wir schlechtere Gesetze haben und in jeder denkbaren Weise schlechter regiert werden - als Folge und Wirkung ihres Wahlrechts? Niemand, Sir, glaubt etwas derartiges.
Und es sind nicht nur die allgemeinen Prinzipien der Gerechtigkeit, die verletzt oder durch den Ausschluß der Frauen von jeglichem Anteil an der Volksvertretung - lediglich, weil sie Frauen sind - außer acht gelassen werden. Dieser Ausschluß steht in unerträglichem Gegensatz zu den eindeutigen Prinzipien der Britischen Verfassung. Er verletzt eine der ältesten verfassungsmäßigen Maximen, eine Doktrin, die den Reformern teuer ist und theoretisch sogar von den meisten Konservativen anerkannt wird, daß Besteuerung und Repräsentation zusammen ausgeübt werden sollen. Zahlen Frauen keine Steuern? Trägt nicht jede Frau, die sui juris ist, ganz genau so viel zum allgemeinen Wohl bei wie ein Mann, der damit die gleiche Qualifikation für das Wahlrecht hat? Wenn ein Grenzpfahl auf dem Lande irgend etwas bedeutet, so hat der Besitzer als Eigentümer oder Pächter den gleichen, gleichgültig, ob das Land Eigentum eines Mannes oder einer Frau ist. Es gibt Beweise in der Geschichte unserer Verfassung, daß Frauen in Bezirken und einigen Städten in früheren, entfernten Zeiten gewählt haben.
Dieses Haus wird jedoch zweifellos erwarten, daß ich mein Plädoyer nicht allein mit den Hauptprinzipien der Gerechtigkeit und der Verfassung begründe, sondern daß ich praktische Argumente habe, wie man so sagt. Nun, es gibt ein praktisches Argument von großem Gewicht, welches, offen gesagt, im Falle der Frauen völlig fehlt: sie halten keine großen Versammlungen in den Parks ab oder Demonstrationen in Islington. Wie sehr dadurch ihrem Anspruch der öffentliche Druck fehlt, will ich nicht entscheiden, aber auch andere praktische Argumente, praktisch in der engsten Bedeutung des Begriffes, fehlen nicht. Und ich bin darauf vorbereitet, sie vorzubringen, wenn ich zuerst einmal fragen darf: Was sind die praktischen Einwände?
Die Schwierigkeit, die die meisten Menschen bei dieser Frage empfinden, ist nicht ein praktischer Einwand; da gibt es nichts Praktisches, da gibt es nur ein Gefühl - ein Gefühl des Ungewohnten. Der Vorschlag ist so neu, wenigstens denken sie das, obwohl das ein Fehler ist. Es ist ein sehr alter Vorschlag. Nun, Sir, die Empfindung des Ungewohnten ist etwas, das vergeht. Etliche Dinge waren uns vor drei Monaten sehr ungewohnt und sind es heute überhaupt nicht mehr. Und vieles ist jetzt ungewohnt und wird in ein paar Jahren - oder vielleicht schon in wenigen Monaten nicht mehr ungewohnt sein. Und es sind die gleichen Menschen, die das empfinden.
Und was Neuerungen anbetrifft, so leben wir in einer Welt von Neuerungen. Der Despotismus der Gewohnheit ist im Schwinden: wir sind jetzt nicht zufrieden mit dem Wissen darüber, was ein Ding ist, wir fragen auch, ob es sein soll. Und in diesem Haus wenigstens will ich annehmen, daß ein Appell stets vor ein höheres Tribunal kommt, wo die Vernunft Richter ist.
Nun, die Gründe, welche die Gewohnheit üblicherweise für sich selbst in dieser Frage ins Feld führt, sind in der Regel sehr kurz. Es ist in der Tat eine meiner Schwierigkeiten, denn es ist nicht leicht, einen Ausruf zu widerlegen. Ausrufe jedoch sind die einzigen »Argumente« derjenigen, die wir zu diesem Thema hören (...) Die anderen präsentieren sich selbst meistens nur mit solchen Sprüchen wie: Politik ist nichts für Frauen, sie würde sie nur von ihren rechten Pflichten ablenken. Frauen wünschen das Wahlrecht nicht, sie wollen lieber ohne es sein. Frauen sind ausreichend repräsentiert durch die Repräsentation ihrer männlichen Verwandten und Bekannten. Frauen haben schon genug Macht. Man wird es für ausreichend erachten, wenn ich dies alles beantworte. (...)
Politik, wird gesagt, ist kein Geschäft für die Frau. Gut, Sir, ich sage, daß Politik auch kein Geschäft für den Mann ist, außer er ist einer der wenigen, die gewählt und bezahlt werden, um ihre Zeit dem öffentlichen Dienst zu widmen, die ein Mitglied dieses oder des anderen Hauses sind. Die große Mehrzahl der männlichen Wähler hat ihre eigene Beschäftigung, die fast ihre ganze Zeit beansprucht. Aber ich habe noch nicht gehört, daß die wenigen Stunden der Teilnahme an der Wahlurne - einmal in mehreren Jahren - (und nehmen wir noch die Zeit des Zeitung- und politische Schriften-Lesens dazu) sie jemals veranlaßt hat, ihre Läden und Kontore zu vernachlässigen. Ich habe noch nie gehört, daß diejenigen, die das Wahlrecht haben, schlechtere Kaufleute, Rechtsanwälte, Ärzte oder sogar schlechtere Geistliche sind als andere Leute. Man könnte fast annehmen, daß die Britische Verfassung das Wahlrecht jedem verweigert, der nicht den größten Teil seiner Zeit der Politik widmen kann. Wenn das der Fall wäre, hätten wir eine sehr geringe Zahl von Wahlberechtigten. Aber erlauben Sie mir die Frage, was ist die Bedeutung von politischer Freiheit? - Ist es etwas anderes als die Kontrolle derjenigen, die ihr politisches Geschäft machen, durch jene, die es nicht tun? Ist es nicht die Essenz der konstitutionellen Freiheit, daß Männer von ihren Webstühlen und Schmieden kommen, um zu entscheiden, und gut darüber zu entscheiden, ob sie ordentlich regiert werden? Und von wem sie regiert werden wollen? Und die Staaten, die dieses Prinzip am höchsten schätzen und es am weitestgehenden praktizieren, sind ohne Unterschied jene, die hervorragen in den allgemeinen Belangen des Lebens. Die üblichen Beschäftigungen der meisten Frauen sind und bleiben vermutlich prinzipiell die häuslichen. Aber die Vorstellung, daß diese Beschäftigungen unvereinbar sind mit dem lebhaftesten Interesse an öffentlichen Angelegenheiten und allen großen Fragen der Menschheit, ist so völlig unbegründet wie die einstmals ernsthaft geglaubte Annahme, daß Handwerker ihre Werkstätten und Fabriken verlassen würden, wenn man sie lesen lehrte. Ich weiß, es gibt da ein dumpfes Geühl, ein Gefühl, dessen man sich schämt und das man nicht offen ausspricht, daß nämlich Frauen kein Recht haben, sich um irgendetwas zu kümmern, außer darum, wie sie die   nützlichsten  und   ergebensten   Dienerinnen   irgendeines Mannes sein können. Aber ich bin überzeugt, daß es nicht ein einziges Mitglied dieses Hauses gibt, dessen Gewissen ihn so niederer Gefühle überführt. Ich darf wohl - ohne jemanden zu beleidigen - sagen, daß dieser Anspruch, die ganze Existenz der einen Hälfte der menschlichen Gattung für die sogenannte Bequemlichkeit der anderen Hälfte zu vereinnahmen, mir besonders töricht erscheint - abgesehen von der Ungerechtigkeit. Wer von Ihnen einige Erfahrungen in menschlichen Angelegenheiten hat und eine durchschnittliche Fähigkeit, aus der Erfahrung zu lernen, glaubt denn im Ernst, daß diejenigen ihre Arbeit am besten tun, die von nichts sonst etwas verstehen? Ein Mensch hat nicht viel vom Leben begriffen, wenn er nicht gelernt hat, daß ohne allgemeine geistige Entwicklung keine spezielle Arbeit, die Verstand verlangt, jemals gut getan wird. Es braucht Verstand, um praktische Erfahrung anzuwenden, und Verstand selbst ohne praktische Erfahrung hilft weiter als jede Menge praktischer Erfahrung ohne Verstand. Aber vielleicht denkt man, daß die gewöhnlichen Beschäftigungen der Frauen in größerem Gegensatz zum Verständnis öffentlicher Angelegenheiten stehen als diejenigen der Männer. Vielleicht denkt man, daß diejenigen, denen in der Regel die moralische Bildung der zukünftigen Generation von Menschen auferlegt ist, nicht geeignet sind, sich über die moralischen und Bildungsinteressen eines Volkes eine Meinung zu bilden. Und daß diejenigen, deren hauptsächliches tägliches Geschäft das vernünftige Ausgeben von Geld ist, um mit geringsten Mitteln das größte Ergebnis zu erzielen, den ehrenwerten Gentleman auf der anderen oder dieser Seite des Hauses, welche in Fragen des Finanzhaushaltes so besonders kleine Ergebnisse mit enormen Mitteln produzieren, keine Lektion geben können.
Bis zu einem gewissen Grade habe ich in dieser Angelegenheit ein Gefühl des Vertrauens, Sir, das ich nicht haben könnte, wenn die politische Veränderung, für die ich plädiere - für sich allein genommen nicht großartig oder problematisch - nicht ihren  Grund in vorausgegangenen sozialen Veränderungen hätte, wie wohltuende und begrüßenswerte politische Veränderungen fast immer. Die Vorstellung von einer strikten und harten Grenze der Trennung zwischen Frauen- und Männerbeschäftigungen, die Frauen verbietet, sich für die Dinge zu interessieren, die Männer interessieren, gehört zu einem überlebten Gesellschaftszustand, der mehr und mehr in die Vergangenheit sinkt. Wir sprechen von politischen Revolutionen, aber wir richten unsere Gedanken zu wenig auf die Tatsache, daß um uns herum eine stille häusliche Revolution stattgefunden hat: Frauen und Männer sind zum ersten Male in der Geschichte wirklich in beiderseitiger Gesellschaft. Unsere Traditionen hinsichtlich eines schicklichen Verhältnisses zwischen ihnen stammen aus einer Zeit, da ihre Lebensweise getrennt war, wie sie getrennt waren in ihren Gedanken, weil sie auch in ihren Vergnügungen und ihren ernsten Beschäftigungen getrennt waren. In den alten Tagen verbrachte ein Mann sein Leben unter Männern: alle seine Freundschaften, alle seine wirklich engen Beziehungen waren die zu Männern. Mit Männern allein beriet er sich in ernsten Geschäften. Die Ehefrau war entweder ein Spielzeug oder ein besserer Bediensteter. All das hat sich in den gebildeten Klassen geändert. Der Mann verbringt seine freien Stunden nicht mehr mit gewalttätigen Übungen im Freien und in prahlerischen Gelagen mit männlichen Kumpanen. Die zwei Geschlechter verbringen jetzt ihr Leben zusammen. Die Frauen der Familie eines Mannes sind seine tägliche Gesellschaft. Die Ehefrau ist seine hauptsächliche Gesellschafterin, sein engster Freund und oft vertrautester Ratgeber.  Nun,  wünscht ein Mann in seiner engsten Gesellschaft, ihm so eng verbunden, mit Vorlieben und Ansprüchen an ihn, wünscht er jemanden, der weder eine Hilfe noch ein Trost oder eine Unterstützung für seine nobelsten Gefühle und Ziele ist? Ist diese nahe und fast ausschließliche Gesellschaft vereinbar mit der Warnung an alle Frauen, sich von allen wichtigen Fragen fernzuhalten, mit der Anweisung, sich nicht um das zu kümmern, was der Männer Pflicht ist,   und daß alle ihre ernsten Interessen jenseits des Haushaltes bedeuten, ihre Grenzen zu überschreiten? Ist es gut für einen Mann, in völliger Gemeinsamkeit der Gedanken und Gefühle mit jemandem zu leben, der eifrig in Unterlegenheit zu ihm selbst gehalten wird, dessen irdische Interessen gezwungenermaßen beschränkt sind auf vier Wände und der die Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber den interessantesten Gegenständen - darunter seine höchsten Pflichten - als Schönheit des Charakters kultiviert?
Kann irgend jemand glauben, daß das ohne Schaden für des Mannes eigenen Charakter geschehen kann? Sir, die Zeit ist gekommen, da, wenn Frauen nicht erhoben werden auf die Ebene der Männer, die Männer auf die ihre herabgezogen werden. Die Frauen in eines Mannes Familie sind entweder anregend und eine Unterstützung in seinen höchsten Bestrebungen oder eine Bürde. Man kann sie in Unwissenheit über Politik halten, aber man kann sie nicht daran hindern, sich mit dem am wenigsten respektablen Teil der Politik, mit ihren Persönlichkeiten zu befassen. Wenn sie des Mannes Gefühle für öffentliche Pflichten nicht verstehen und nicht haben, dann kümmern sie sich um seine persönlichen Interessen, und das ist die Waagschale, in welche sie sicherlich ihr Gewicht werfen. (...)
Es wird gesagt, Frauen können Interesse an großen öffentlichen Fragen haben, ohne das Wahlrecht zu besitzen. Sie können, gewiß, aber wie viele werden es tun? Erziehung und Gesellschaft haben keine Macht mehr, Frauen einzutrichtern, daß die Gesellschaft Wohlverhalten von ihnen erwartet. Und die Verweigerung des Wahlrechts ist eine für jede leicht verständliche Proklamation dergestalt, daß was immer sonst die Gesellschaft erwarten mag, sie nicht erwartet, daß Frauen sich mit öffentlichen Angelegenheiten befassen. Deswegen werden alle Gedanken und Gefühle des Mädchens davon erstickt, und zwar vom ersten Schultag an. Es hat nicht einmal Interesse an der Geschichte des Landes wie seine Brüder, weil es nicht sein Interessengebiet sein soll, wenn es erwachsen ist. Wenn es Frauen gibt, und es gibt glücklicherweise viele, die sich für diesen Gegenstand interessieren und ihn studieren, dann geschieht das, weil ihr innerer Antrieb so stark ist, auch der übelsten Art von Entmutigung standzuhalten, die ihre Wirkung nicht darin hat, Hindernisse aufzurichten, gegen die man ankämpfen kann, sondern den Geist tötet, der Hindernissen begegnet und sie besiegt.
Uns wird gesagt, Sir, daß die Frauen das Wahlrecht nicht wünschen. Wenn es tatsächlich so wäre, dann würde das nur beweisen, daß alle Frauen noch unter diesem tödlichen Einfluß sind, daß das Opium ihren Geist und ihr Gewissen noch betäubt. Aber eine große Zahl von Frauen wünscht das Wahlrecht mit Nachdruck und hat es durch eine Petition an dieses Haus verlangt. Wie wissen wir denn, wie viele Tausende es noch gibt, die es nicht verlangen, weil sie nicht hoffen dürfen, es zu bekommen, oder aus Angst davor, was die Männer oder andere Frauen über sie denken. Oder aus dem Gefühl der Abneigung gegen das Erregen von öffentlicher Aufmerksamkeit, das in ihrer Erziehung so nachdrücklich kultiviert wird.
Die Männer unterliegen einer gewaltigen Selbsttäuschung, wenn sie annehmen, daß, wenn sie an die Frauen ihrer Familie oder Bekanntschaft Fragen stellen, das deren wahre Gefühle hervorlockt oder daß eine unter Zehntausenden mit völliger Offenheit antwortet. Niemand ist so gut geschult wie die Frauen, aus der Notwendigkeit eine Tugend zu machen. Es kostet wenig zu sagen, man habe nichts damit zu tun, weil es einem gar nicht angeboten wird. Und freies Äußern von Gefühlen, die Widerwillen und Ressentiment in der nächsten Umgebung erwecken, ist keine Tugend, die in der Erziehung der Frauen gefördert wird, und ist in jedem Falle eine Tugend, die -da mit größtem Risiko verbunden - von klugen Frauen sehr selten und nur dann ausgeübt wird, wenn ein näherliegendes und persönliches Interesse zu vertreten ist. Was auch immer der Fall sein mag, diejenigen, die sich nicht um das Wahlrecht kümmern, werden es nicht ausüben. Entweder werden sie sich nicht eintragen, oder wenn, dann werden sie wählen wie ihre männlichen Verwandten ihnen raten: dadurch wird, da der Zuwachs wahrscheinlich auf alle Klassen gleichermaßen verteilt wird, kein Schaden entstehen. Diejenigen, seien es wenige oder viele, die das Privileg schätzen, werden es ausüben. (...) Das Stigma der Unwürdigkeit würde damit von dem ganzen Geschlecht genommen. Das Gesetz würde aufhören, sie für unmündig zu erklären. Es würde aufhören, zu proklamieren, daß ihre Meinungen und Wünsche zu Fragen, die sie in gleicher Weise wie die Männer und in vielen Dingen viel mehr als die Männer betreffen, minderwertig sind und daher nicht berücksichtigt zu werden brauchen. Sie würden nicht länger in eine Klasse mit Kindern, Idioten und Schwachsinnigen getan, unfähig, für sich selbst oder andere verantwortlich zu sein, und folglich in jeder Hinsicht - ohne ihren Konsens - bevormundet. (...)
Auch wenn nur eine von zwanzigtausend Frauen das Wahlrecht wahrnähme, solchermaßen als politisch verantwortlich erklärt, wäre das ein Fortschritt für alle Frauen. Selbst dieses theoretische Wahlrecht würde das Gewicht entfernen, das nun ihre Fähigkeiten erstickt. (...)
Ferner wird gesagt, Frauen brauchen keine direkte Macht, weil sie schon soviel indirekte haben, nämlich den Einfluß, den sie auf ihre männlichen Verwandten und Bekannten ausüben. Ich will dieses Argument etwas weiter ausführen. Reiche Leute haben großen indirekten Einfluß. Ist das ein Grund, ihnen das Wahlrecht zu verweigern? Schlägt irgend jemand eine Qualifikation nach Steuern in umgekehrter Richtung vor? Bringt jemand eine Gesetzes vorläge ein, um allen denjenigen das Wahlrecht zu nehmen, die in einem Haus leben, das £ 500 wert ist oder £ 100 direkte Steuern pro Jahr zahlen? Wenn diese Regel für die Zulassung zum Wahlrecht nicht wieder allein für Frauen und ihr ausschließliches Wohl gelten soll, dann folgt daraus, daß es Personen mit mehr als einem gewissen Einkommen erlaubt sein soll, zu bestechen, aber nicht zu wählen.
Sir, es ist wahr, Frauen haben große Macht. Es ist Teil meiner Beweisführung, daß sie große Macht haben. Aber sie haben sie unter den schlechtesten Bedingungen, die denkbar sind, denn sie ist indirekt und daher unverantwortlich. Ich will diese große Macht zu einer verantwortlichen machen. (...) Ich will, daß ihr Einfluß wirksam wird durch offenen Austausch von Meinungen und nicht durch Schmeichelei. Ich will das politische Ehrgefühl der Frauen wecken. Viele Frauen beeinflussen schon in großem Maße das politische Verhalten der Männer, mit denen sie verbunden sind, und manchmal regieren sie es durch Willensstärke. Aber sie sollen niemals etwas damit zu tun haben. Der Mann, den sie beeinflussen und vielleicht falsch beraten, ist allein verantwortlich. Ihre Macht ist wie der Hintertreppeneinfluß eines Favoriten. Sir, ich verlange, daß alle, die Macht ausüben, verpflichtet werden, etwas über die Dinge zu wissen, über die sie sie ausüben. Mit dem anerkannten Recht auf eine Stimme würde ein entsprechendes Pflichtgefühl entstehen. Frauen sind Männern gewöhnlich nicht an Sensibilität des Gewissens unterlegen. Machen sie die Frau zu einem moralisch verantwortlichen Menschen in diesen Angelegenheiten. Zeigen sie ihr, daß sie von ihr ein politisches Gewissen erwarten. (...) Zumindest, wird man sagen, erleiden die Frauen keinerlei praktische Benachteiligung als Frauen, wenn sie das Wahlrecht nicht haben. Denn die Interessen aller Frauen sind sicher in den Händen ihrer Väter, Ehemänner und Brüder, die das gleiche Interesse haben wie sie. Und die Männer wissen nicht nur weit besser als die Frauen, was gut für sie ist, sondern sorgen sogar besser für sie, als sie selber. Sir, das ist genau das Gleiche, was man über alle nicht vertretenen Klassen sagt: die Arbeiterz. B., sind sie nicht tatsächlich vertreten durch die Vertretung ihrer Arbeitgeber? Ist nicht das Interesse der Arbeitgeber und Arbeitnehmer - richtig verstanden - das gleiche? Das Gegenteil für richtig halten, ist das nicht das schreckliche Verbrechen, Klasse gegen Klasse zu stellen? Ist nicht der Landbesitzer gleichermaßen wie der Landarbeiter an der Prosperität der Landwirtschaft interessiert, der Baumwollfabrikant gleichermaßen wie seine Lohnarbeiter an einem hohen Preis des Gewebes? Sind sie nicht beide gleichermaßen interessiert an der Verringerung der Steuern? Und haben nicht im allgemeinen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein gemeinsames Interesse gegenüber allen Außenstehenden, genau so wie Ehemann und Ehefrau gegenüber allen außerhalb der Familie? Mehr noch, sind nicht alle Arbeitgeber gute, freundliche, wohlwollende Männer, die ihre Arbeitsleute lieben und stets eifrig besorgt tun, was zum Besten ihrer Leute ist?
Alle diese Behauptungen sind so wahr und so begründet wie die entsprechenden Behauptungen zum Verhältnis Männer und Frauen. Sir, wir leben nicht in Arkadia, sondern in faece Romuli (im Dreck des Romulus, H. S.), woran wir gerade erst wieder erinnert worden sind. Und in dieser Gegend hier brauchen die Arbeiter anderen Schutz als den ihrer Arbeitnehmer und die Frauen anderen Schutz als den ihrer Männer. Ich wünschte, diesem Hause würde regelmäßig eine Liste mit der Zahl der Frauen, die jährlich von ihren männlichen Beschützern zu Tode geprügelt, zu Tode getreten und zu Tode getrampelt werden, vorgelegt.
Und in der gegenüberliegenden Rubrik die Zahl der Urteile, die in den Fällen verhängt werden, da die feigen Verbrecher nicht ganz und gar ohne Strafe entkommen. Ich würde noch eine dritte Rubrik haben wollen, und zwar mit Angaben über den Wert eines Eigentums, dessen Diebstahl durch den gleichen Richter, bei den gleichen Schwurgerichten und höheren Instanzen des gleichen Strafmaßes wert erachtet wurde wie der Mord an einer Frau. Wir würden dann ein arithmetisches Mittel des Wertes haben, der von männlichen Gesetzgebern und männlichen Richtern für den Mord einer Frau - oft nach jahrelangen Qualen - festgesetzt wird. Das Ergebnis würde uns die Schamröte ins Gesicht treiben, wenn noch ein Rest Scham in uns ist.
Sir, ehe man versichert, daß Frauen als Frauen durch die Verweigerung des Wahlrechts nichts einbüßen und nicht leiden, muß erörtert werden, ob Frauen keinen Grund zu Klagen haben, ob die Gesetze und die Praxis der Gerichte in jeder Hinsicht so günstig für die Frauen sind wie für die Männer. Nun, wie sehen die Tatsachen aus? - Zum Beispiel in der Frage der Bildung? Wir hören unentwegt, daß der wichtigste Teil der allgemeinen Ausbildung der der Mütter ist, weil sie die Menschen der Zukunft erziehen. Wird dem wirklich Rechnung getragen?
Gibt es viele Väter, die so viel für die Ausbildung ihrer Töchter tun oder die Willens wären, so viel Geld auszugeben wie für ihre Söhne? Wo sind die Universitäten für sie, die höheren Schulen, Schulen jeden Niveaus? Wenn gesagt wird, daß Mädchen besser zu Hause ausgebildet werden, wo sind die Ausbildungsinstitute für Gouvernanten? Was ist aus den Stiftungen geworden, die die Großmut unserer Vorfahren für die Bildung nicht nur eines Geschlechts, sondern beider Geschlechter ohne Unterschied, bestimmten? Von einem der größten Kenner im Hinblick auf diesen Gegenstand wurde mir gesagt, daß in der Mehrzahl der Stiftungen diese nicht für Knaben gedacht sind, sondern für die Ausbildung allgemein. Eine große Stiftung, Christ's Hospital, ist ausdrücklich für beide gedacht: das Institut beherbergt und unterrichtet heute 1100 Knaben und genau 26 Mädchen.
Und wenn sie erwachsene Frauen sind, wie steht es dann mit der großen und zunehmenden Zahl ihres Geschlechts, die in den gebildeten Klassen geboren sind, aber nichts für ihren Unterhalt geerbt und keine Versorgung durch Heirat haben? Oder es als unter ihrer Würde erachten, nur um des Lebensunterhalts willen zu heiraten. Wie steht es mit ihnen, die auf ihre eigenen Fähigkeiten angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Fast kein einziger ordentlicher Beruf steht ihnen offen, außer einem. Sie sind entweder Gouvernanten oder nichts.
Eine Sache hat sich jüngst zugetragen, an die in diesem Zusammenhang erinnert werden muß. Eine junge Frau, Miss Carrett, hat nicht unter dem Druck der finanziellen Notwendigkeit, sondern aus dem ehrenwerten Wunsche, für die Milderung menschlicher Leiden tätig zu sein, den Beruf des Mediziners studiert. Als sie sich ordnungsgemäß ausgebildet hatte, klopfte sie nacheinander an all die Türen, durch welche man - per Gesetz - Zugang zum medizinischen Beruf erhält. Und zwar mit einer Energie und Ausdauer, die man nicht hoch genug loben kann. Als sie alle Türen fest verschlossen fand, entdeckte sie zum Glück eine, welche durch Zufall offengelassen war. Die Gesellschaft der Apotheker hatte vergessen - so scheint es - jene auszuschließen, von denen sie niemals dachte, daß sie versuchen würden, einzutreten.
Und durch diese enge Pforte fand die junge Frau ihren Weg in den Beruf. Aber es erscheint der gelehrten Gesellschaft so unerhört, daß Frauen die medizinischen Betreuer von Frauen sein sollen, daß die enge Pforte, durch welche Miss Carrett eintrat, hinter ihr geschlossen wurde. Es ist keiner zweiten Frau erlaubt, einzutreten. Und das ist instar omnium (gilt für alle, H. S.). Sobald Frauen beweisen, daß sie fähig sind, mit Männern in irgendeinem Beruf mitzuhalten, dann wird dieser Beruf, wenn er lukrativ und ehrenhaft ist, für sie geschlossen. -Vor einiger Zeit noch konnten Frauen Mitglieder der Königlichen Akademie werden. Aber sie zeichneten sich so sehr aus, sie erzielten einen so ehrenhaften Ruf auf ihrem Gebiet, daß diese Möglichkeit ebenfalls abgeschafft wurde. Das ist die Art von Fürsorge für Fraueninteressen durch die Männer, die sie so treu vertreten. So behandeln wir unverheiratete Frauen. Und wie ist es mit den Verheirateten? Sie, könnte man sagen, haben kein Interesse an dieser Gesetzesvorlage, sie sind nicht direkt daran interessiert. Aber es interessiert viele verheiratete Frauen direkt, und andere, die eines Tages verheiratet sein werden. Durch das Common Law von England ist es zur Zeit so, daß alles, was eine Ehefrau hat, ihrem Ehemanne absolut gehört. Er kann ihr alles entreißen, jeden Pfennig für Alkohol und Hurerei verschleudern und sie in einer Lage zurücklassen, wo sie allein durch ihre Arbeit sich und ihre Kinder ernähren kann. Und wenn ihr das durch heroische Anstrengung und Selbstaufopferung gelingt und sie etwas für die zukünftigen Bedürfnisse der Kinder erspart hat, dann kann er wie ein Raubvogel über ihren Notgroschen herfallen und sie wiederum mittellos zurücklassen (wenn sie nicht durch Richterspruch von ihm getrennt ist). Und diese Fälle sind ganz alltäglich. Sir, wenn wir moralisch so abgestumpft wären, daß wir diese Dinge für richtig hielten, dann hätten wir noch mehr Entschuldigungen für uns. Aber wir kennen den Mißstand und wissen Abhilfe. Denn die besseren Klassen treffen Vorsorge, um ihre eigenen Töchter vor den Konsequenzen dieser entsetzlichen Rechtslage zu schützen und auszunehmen. Durch die Erfindung von Heiratsabmachungen sind sie in jedem einzelnen Falle in der Lage, ein privates Gesetz für sich selbst zu machen, und sie tun das alle ohne Unterschied. Warum sichern wir nicht den Töchtern der Armen diese Gerechtigkeit, die wir so besorgt für unsere Töchter sicherstellen? Warum wird nicht das, was in jedem Falle getan wird, da wir persönlich Sorge tragen, zum geltenden Gesetz für das ganze Land gemacht, so daß der armen Leute Töchter, deren Eltern sich die Kosten der privaten Abmachung nicht leisten können, ein Recht erhalten auf jenes geringe Eigentum, das ihnen zufallen mag. Und ein Recht, bei der Verausgabung ihres eigenen Lohnes ein Wort mitzureden. Denn der Lohn der Frau ist in vielen Fällen der beste und einzig regelmäßige Teil des Einkommens des Familienvaters.
Ich werde manchmal gefragt, welche tatsächlichen Mißstände ich durch das Frauenwahlrecht zu kurieren gedenke. Ich schlage zum einen vor, gewisse falsche Vorstellungen aufzugeben: Ich gebe diese Beispiele, um zu beweisen, daß Frauen nicht die verwöhnten Kinder der Gesellschaft sind, als welche viele Leute sie betrachten. Daß sie keineswegs das Obermaß an Macht haben, das ihnen zugeschrieben wird, und daß sie keineswegs ausreichend vertreten sind durch die Vertretung der Männer, die nicht das Herz hatten, für sie diesen einfachen und offensichtlichen Akt der Gerechtigkeit zu verlangen.
Sir, Mißstände von geringerem Ausmaß als das Gesetz über das Eigentum verheirateter Frauen haben Revolutionen hervorgerufen, wenn sie Klassen auferlegt waren, die weniger als die Frauen durch passive Unterwerfung verletzt waren.
Wenn wir uns im Falle der Frauen sicher wähnen vor solchen Konsequenzen, so sollten wir daraus kein politisches Kapital schlagen und einer begrenzten Zahl von Frauen nicht den bescheidenen Anteil an der Mitwirkung bei der Verbesserung unserer Gesetze verweigern, welche diese Initiative für sie verlangt und welche den Frauen generell das Gefühl geben würde, daß sie in diesem Hause durch einige männliche Repräsentanten gehört werden. Wir sollten ihnen nicht verweigern, was wir jedermann zubilligen - das Recht, gefragt zu werden, das Recht auf eine kleine Chance, im großen Rat der Nation ein paar Stimmen zu haben, die ihre Meinung vertreten, das Recht, das jeder kleine Berufszweig hat, nämlich ein paar Abgeordnete, die sich verpflichtet fühlen, ihre Interessen wahrzunehmen und darauf hinzuweisen, welche Auswirkungen ein Gesetz auf dieses Interesse hat. Mehr wird durch diese Initiative nicht verlangt. Und wenn die Zeit kommt, die mit Sicherheit kommt, da dies gewährt wird, werden Sie dieses Zugeständnis nicht bereuen. Das ist meine feste Überzeugung.

 

Kommentar

 

Fast alle Sozialwissenschaftler, auch die mit historischen Kenntnissen, leugnen - wie die Politiker in westlichen sogenannten parlamentarischen Demokratien - daß die alten und daher schon als vorbildlich erachteten demokratischen Regierungssysteme, an erster Stelle England, auch Amerika, und womöglich sogar die alte schweizerische »Demokratie«, in Wahrheit strikt patriarchale Regierungssysteme waren und kaum modifiziert noch sind. Es wird geleugnet, daß nicht Privateigentum das relevante Kriterium, das Entreebillet in die »Demokratie« und ihre »Gesellschaft« ist, sondern primär männlicher Sexus. Daß Sexus auch eine politische Kategorie ist, ist noch immer nicht erkannt, und wo es erkannt ist (z. B. von McPherson), wird die fortdauernde politische Relevanz in der Gegenwart geleugnet, der groteske Mißstand der weiteren Eskamotierung der Frauen der Welt aus demokratischer und politischer Praxis stillschweigend übergangen. Wenn Frauen, Autorinnen wie Aktivistinnen der Frauenbewegung, auf diesen gigantischen Denkfehler und Tatbestand, der eine Alleinherrschaft der Familienväter über das weibliche Volk darstellt, hinweisen, werden sie totgeschwiegen, verhöhnt und verfolgt. Die etablierten Sozialwissenschaften, die Geschichtswissenschaft und die Rechtsgeschichte, haben bis heute weder die Ideengeschichte noch die politische Geschichte der Frauenbewegungen wenigstens der letzten 200 Jahre auch nur zur Kenntnis genommen. Die sehr seltenen männlichen Autoren, die sich in theoretischen Äußerungen und politischen Handlungen mit den Feministinnen solidarisierten - und zwar ohne politischen oder persönlichen Eigennutz -, wurden, wie die Feministinnen selbst, ebenfalls ignoriert oder von ihrer politischen »Verirrung« gereinigt, indem Äußerungen und Aktivitäten zugunsten von Frauen mit allen Mitteln unterschlagen wurden. (Siehe dazu meine Einleitung zu J. S. Mill, Harriet Taylor Mill, Helen Taylor. Die Hörigkeit der Frau und andere Schriften zur Frauenemanzipation, Frankfurt 1976; diese Einleitung wiederum entspricht nicht meinem Manuskript, es wurde ohne meine Zustimmung erheblich »verändert«, oder genauer, von den Verlagsinhabern, politisch »links« stehenden Herren, zensiert.)

So gilt J. S. Mill in der Gegenwart zwar als bedeutender politischer Theoretiker des 19. Jahrhunderts, aber daß er zugleich ein engagierter Verbündeter der Feministinnen war, diese Tatsache und dieser Teil seiner Schriften wurden rigoros unterdrückt. Wollte man seine Einsichten zur Kenntnis nehmen, könnte man nicht mehr so unkritisch und ungestört z.B. Demokratietheorie und »demokratische« Politik betreiben. Die patriarchalen Vertreter der unkontrollierten politischen und sozialen Herrschaft über Frauen dulden keine Kritik von den Beherrschten oder einem, der sich mit ihnen solidarisiert. Kritiküben ist auch eines ihrer Monopole. Daher ist es selbst wissenschaftlichem Publikum, ist es den Frauen heute unbekannt, daß J. S. Mill sein Leben lang mit Harriet Taylor die Frauenfrage als ökonomisches und politisches Problem bearbeitet hat, wobei das kritische Erkenntnisinteresse und Engagement von ihr ausgingen und ihn entscheidend beeinflußt haben. Ihre Tochter Helen Taylor war in diesem seltenen Bündnis die dritte, und mit ihr zusammen hat Mill die hier vorliegende Rede zu Gunsten des Frauenwahlrechts verfaßt. Es ist die erste Rede auf der politischen Bühne eines Parlaments, das dadurch mit seiner eigenen eklatanten Verneinung wahrer Demokratie konfrontiert wird.

Ein solcher politischer Vorstoß setzte zum einen feministisch-politische Reflexion, zum anderen politische Aktivität der Betroffenen selbst voraus. Diese Rede ist nicht denkbar ohne die Ideen, wie sie in »Die Hörigkeit der Frau« entwickelt worden sind. Das Buch war schon geschrieben, aber noch nicht publiziert, das geschah erst 1869. Die fast völlige Eigentumslosigkeit und Rechtlosigkeit der englischen Frauen gemäß dem in England ungebrochen fortdauernden Ehe-»Recht«, des Common Law, das die Frauen insgesamt rechtloser hielt noch als Sklaven und Leibeigene, hatten Mill, Harriet Taylor und Helen Taylor zu der Schlußfolgerung kommen lassen: »Die Ehe ist die einzig wirkliche Leibeigenschaft, die das Gesetz kennt.« (Die Hörigkeit der Frau)

Dieser »Status« der weiblichen Bevölkerung ist für die Betroffenen nicht länger tolerabel und mit den Maximen einer parlamentarischen Vertretung so offensichtlich in Widerspruch, daß in diesen Jahren die Organisation der Frauen und ihr öffentlicher Protest gegen die Regierung beginnen. Mit dem Jahre 1866 ist der Beginn der Bewegung anzusetzen, die gegen häuslichen und staatlichen Despotismus des Mannes kämpft und nach Jahrzehnten des Kampfes mit traditionellen Mitteln schließlich zur militanten Taktik der Suffragetten-Bewegung führt. Dies ist das Jahr, da dem House of Commons eine von eintausendfünfhundert Frauen unterzeichnete Petition um das Wahlrecht überreicht worden war: dadurch wurde überhaupt erst deutlich, daß die Frauen Englands außerhalb der Verfassung, außerhalb des Schutzes des Bürgerrechts standen. Einer solchen öffentlichen politischen Aktion waren jahrelange Vorbereitungen, die Gründung von Gesellschaften für die Ausdehnung des Wahlrechts auf Frauen, vorausgegangen, und der Zeitpunkt der Petition war politisch günstig, denn seit mehreren Jahren wurden Gesetzesvorlagen betreffend das Wahlrecht für weitere Bevölkerungskreise - Mill nannte es das Männerwahlrecht - diskutiert. Es war nun immer weniger vertretbar, warum zwar immer weitere Männerkreise in das Wahlrecht eingeschlossen, aber alle Frauenkreise, selbst Ledige mit eigenem Wohnsitz, die also nicht unter das Eherecht fielen, ausgeschlossen sein sollten. Die MiH'sche Rede verfolgt daher taktisch das Ziel, die immer rigidere Polarisierung durch die Geschlechterschranke an ihrer schwächsten Stelle aufzubrechen und damit einen Präzedenzfall dafür zu schaffen, daß Zugehörigkeit zur Klasse der Frauen nicht mehr als Kriterium des Ausschlusses dient, daß vielmehr für Frauen die gleichen Voraussetzungen gelten wie für Männer. Diese Voraussetzungen - eigener Wohnsitz, Zahlen von Steuern und der Status »sui iuris« - haben nur eine relativ kleine Zahl von unverheirateten oder verwitweten Frauen, die über etwas Einkommen verfügen. Die Masse der englischen Frauen erfüllt diese Voraussetzungen nicht; denn sie wohnen im Hause ihres Ehemannes, zahlen keine Steuern, weil sie kein Einkommen haben bzw. weil ihr Einkommen durch die Heirat in die Hand ihres Mannes gefallen ist. Sie sind auch nicht Personen in ihrem eigenen Recht, sondern unterliegen der »Cover ture«: die Attribute des Bürgers sind ihnen durch die Ehe genommen. Es kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht darum gehen, die patriarchale Ehe selbst in Frage zu stellen, sondern einen Präzendenzfall für das Frauenwahlrecht zu schaffen. Das tut Mill unter Berufung auf geheiligte Maximen der bürgerlichen Revolution - wie »no taxation without representation« -, die auch für diese kleine Gruppe von Frauen Geltung haben sollen: eben weil sie Steuern zahlen, steht ihnen das Wahlrecht zu, und diesen Grundsatz zu verneinen kann denn doch kein Parlamentsmitglied ohne weiteres wagen. Die alleinstehenden Frauen sind zudem die einzigen Frauen, an denen die Männer kein direktes, persönliches Interesse haben wie an ihren eigenen Frauen. Mill will das strikte Männerwahlrecht für die Frauen noch mit einem zweiten politisch wirksamen Mittel, nämlich der Berufung auf bereits vorliegende Präzedenzfälle für das Frauen Wahlrecht aufbrechen. Da die britische »Demokratie« keine geschriebene Verfassung kennt, da sich die Rechtsfortbildung im case law unter Berufung auf Präzedenzen unter Einhaltung der Maximen der Habeas Corpus Akte vollzieht, ist das Vorgehen Mills ebenso geschickt wie politisch notwendig, um das Frauenwahlrecht überhaupt auf Parlamentsebene und in der größeren britischen Öffentlichkeit diskutieren zu können.

Es ist tatsächlich der Fall, daß gewohnheitsrechtlich in England, in den Vereinigten Staaten und Frankreich das Wahlrecht von alleinstehenden Frauen ausgeübt worden war. Als schließlich nach der Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte immer mehr Frauen dieses Recht für sich verlangten, was sehr nahelag, da dieses Recht nun auch auf alle Männer ausgedehnt wurde, dann erst wurden die Frauen explizit auf Grund ihres Geschlechts ausgeschlossen, und zwar alle, ohne Ausnahme. Die Demokratisierung der Männer bedeutet zugleich die ausnahmslose Ausschließung der Frauen vom Wahlrecht und damit von allen Bürger- und Menschenrechten. Die Entwicklung zu repräsentativer Regierung beinhaltet die Teilhabe aller Männer, ob Bürger oder Arbeiter, allein auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Diese aus Männern bestehende Regierung unterwirft alle Frauen des Landes allein von ihnen gemachten Gesetzen, die der Sicherung der Männerherrschaft dienen und alle Frauen schutzlos und rechtlos in die Hände ihres Ehemannes geben. Als Männer und Familienoberhäupter haben auch Arbeiter und Bauern Privilegien, die keine Frau hat. Die Frauen stehen in der sozialen, juristischen und politischen Wertschätzung als Menschen unter dem geringsten Mann und werden mit Kriminellen, Unmündigen und Entmündigten auf eine Stufe gestellt. Im bürgerlichen Staat, im Recht, in der »Gesellschaft«, im Haus, in der Arbeit und in der Kultur besteht eine strikte Trennung nach Geschlecht, die Mill als untragbares soziales und politisches Problem darstellt, das Teile der Frauen nicht länger tolerieren und das gegen die demokratischen Prinzipien und die minimalste soziale Gerechtigkeit in eklatanter Weise verstößt. Mill fordert bei dieser politischen Gelegenheit aus taktischen Erwägungen zunächst nur das Wahlrecht für die alleinstehenden Frauen unter gleichen Voraussetzungen wie Männer, aber es besteht kein Zweifel darüber, daß auch verheiratete Frauen das moralische Recht haben, sich selbst zu vertreten wie jede andere Klasse, wie die Arbeiter, wie die Bauern, deren Interessen eben nicht von denen wahrgenommen werden, von denen sie abhängig sind. Die Frauen sind in noch weit größerer Abhängigkeit von ihren Ehemännern, die eben nicht ihre Vertreter sind, sondern die von ihren Ehefrauen profitieren, sich den Lohn, jegliches Eigentum der Frau aneignen. Mill hat das Verdienst, die patriarchale Eheideologie in dieser Rede - wie zusammen mit H. Taylor und Helen Taylor in »Die Höiigkeit der Frauen« - öffentlich und mit großem Engagement als Gewinn- und Herrschafts-Ideologie aller Männer gegenüber allen Frauen benannt zu haben.