Ich hoffe, daß es gelungen ist, durch die Auswahl und Veröffentlichung dieser Texte einen ersten Eindruck vom politischen Denken der Frauen seit Ende des 18. Jahrhunderts zu vermitteln und das wissenschaftliche, historische und politische Interesse zu wecken. Es muß betont werden, daß es sich dabei um einen Anfang handelt, war es doch innerhalb dieses ersten Bandes nur möglich, ein gutes Dutzend Autorinnen - und Autoren - zu berücksichtigen und aus ihrem oft umfangreichen Werk nur ein kurzes Textstück auszuwählen.
Diese Textsammlung mit Theorie-Fragmenten kann nicht mehr sein als ein Hinweis darauf, daß die politische Theorie des Feminismus bereits eine lange Geschichte hat, die verknüpft ist mit den jeweiligen Frauenbewegungen der Zeit und des Landes, verknüpft auch mit den anderen Teilbewegungen der Gesamtgesellschaft, in revolutionierender oder reaktionärer Richtung. Doch diese Dokumente der Ideengeschichte wie die historischen Umstände ihrer Entstehung und ihrer Wirkungsgeschichte sind weitgehend unbekannt. So sind viele der vorliegenden Texte aus nicht-deutschen Ländern zum ersten Male ins Deutsche übersetzt und hier veröffentlicht, viele der deutschen Texte sind seit ihrem ersten Erscheinen erstmalig wieder zugänglich.
Es gibt zwar viele Werkausgaben politischer Philosophen und Autoren aller politischen Denkungsarten, Textsammlungen von »Klassikern des politischen Denkens« und »der Staatsphilosophie«, Sammlungen der »Proklamationen und Manifeste der Weltgeschichte« mit dem Anspruch, das politische Denken der letzten zwei- bis dreitausend Jahre zu repräsentieren, aber es handelt sich dabei um eine höchst einseitige Darstellung der kanonisierten Denker, deren Denken tradiert wird wo das der Frauen und der nichtkonformen Männer mit allen Mitteln verschüttet, unbekannt, unbeachtet bleibt.
Die hier vorliegenden Theorie-Elemente von Frauen zur Frauenfrage aus dem Zeitraum von 1789 bis 1870 sind in einem theoriegeschichtlichen Zwischenstadium entstanden: die politischen Theorien des Bürgertums haben die Zeiten ihrer »großen« Erkenntnisse überschritten und die politischen Theorien des Proletariats sind erst im Entstehen. In beiden »Klassen«, in beiden theoretischen Erklärungsmodellen finden sich räsonnierende Frauen nicht wieder: ihre sozialen Leidenserfahrungen gehen in diese Theorien nicht ein. Sie müssen sich der Mühsal des eigenen politischen Denkens unterziehen, eine fast unlösbare Aufgabe, wenn man in Betracht zieht, wie total und wie lange Frauen aus dem politischen Denken und Handeln ausgeschaltet waren. Sie können nicht auf politische Philosophen aus der Zeit der griechischen Stadtstaaten zurückgreifen, nicht hier und da Anleihen machen, wie es bürgerliche, patriarchale Autoren können, die in einer Tradition politischen Denkens stehen und nicht am historischen Nullpunkt wie die Frauen in den Jahren vor der französischen Revolution. Ich weise darauf hin, daß das männliche Bildungsprivileg und Monopol auf politische Schriftstellerei auch in den hier wiedergegebenen Texten seinen Niederschlag findet: die Männer, Condorcet, Thompson, J. S. Mill und Hippel sind alle studierte Männer, Gelehrte, politische Autoren auch auf anderen Gebieten und mit Zugang in die praktische Politik, aber keine der Autorinnen hat diese Vorteile. Ihre Erkenntnisse sind daher aus vielen Gründen von besonderem Interesse:
Statt derjenigen, die das Wissensmonopol und die Macht haben, schreiben und denken die vorn Wissen Ausgeschlossenen, die auch intellektuell Enteigneten, die Besitzlosen und Rechtlosen, die damit ihren Objektstatus mit gewaltiger Anstrengung transzendieren.
Statt der über Frauen Herrschenden reflektieren, kritisieren und handeln die Beherrschten: darin liegt bereits eine wichtige Voraussetzung ihrer Emanzipation.
Diese frühen feministisch-politischen Denkerinnen greifen ein oder mehrere gängige Ideologeme - Naturrecht, Natur, Freiheit, Gleichheit, Vernunft, Gemeinwohl, Ehe als natürliche Institution, Interessenidentität usf. - auf und konfrontieren sie mit ihrer Erfahrung der täglichen Realität. Aus der Diskrepanz von proklamierten politischen Ideen und selbst erlittener Ausbeutung und Rechtlosigkeit entsteht notwendig eine eigene, autonome feministische Gesellschaftstheorie.
Sie decken die Widersprüche innerhalb der männlichen Gesellschaftstheorien auf: den zwischen bürgerrechtlich-progressiver Teil-Theorie und antifeministischer Ideologie. Sie erkennen, daß das Modell des bürgerlichen Rechtsstaates schon im theoretischen Entwurf gescheitert ist, daß es nur um die Machtergreifung der bürgerlichen Männer im Staat und die Machtergreifung und -erhaltung aller Männer über alle Frauen geht. Diese Gesellschaftskonzeption beinhaltet eine »Demokratisierung« unter Familienpatriarchen und zugleich eine Feudalisierung der weiblichen Hälfte des Volkes. Daher wird von fast allen die soziale Lage der Frauen als eheliche Sklaverei eingeschätzt, und diese Einschätzung ist dem »Rechtsstaat« sehr lästig, weil allein schon die ungeschminkte Bezeichnung der Zustände eine gewisse Gefahr bedeutet.
Die apriorische Begrifflichkeit der idealistischen philosophischen Gedankengebäude wird mit aus der Erfahrung gewonnener Begrifflichkeit der leidenden Subjekte, der Frauen, und durch sie selbst konfrontiert. Dadurch wird deren »Wahrheit« und vermeintlich objektive Erkenntnis der Unwahrheit, der Parteilichkeit, des Egoismus und des Machtmißbrauchs überführt.
Allen hier zu Wort kommenden Autorinnen und Autoren ist gemeinsam, daß sie das politische Verhältnis Frauen - Familienväter, Männer als zentrales behandeln und problematisie-ren; die Verhältnisse Bürgertum - Adel, bzw. Bürgertum -Arbeiterstand werden mit Recht erst an zweiter Stelle reflektiert, weil die Frauen von diesen Klassenverhältnissen nur indirekt und sekundär betroffen sind, während das Verhältnis Frauen - Familienväter, nämlich das ökonomische und politische System der Ehen, sie primär und sie alle ohne Ausnahme, betrifft.
Welche neuen kritischen Ideen Frauen in der Folgezeit entwickeln, werden wir im zweiten Band, der den Zeitraum von 1870 bis 1933 umfassen wird, verfolgen.