1. Heranziehung aller Arbeitsfähigen zur Arbeit
Sobald die Gesellschaft im Besitz aller Arbeitsmittel sich bef indet, wird die Arbeitspflicht aller Arbeitsfähigen, ohne Unterschied des Geschlechts, Grundgesetz der sozialisierten Gesellschaft. Die Gesellschaft kann ohne Arbeit nicht existieren. Sie hat also das Recht zu fordern, daß jeder, der seine Bedürfnisse befriedigen will, auch nach Maßgabe seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten an der Herstellung der Gegenstände zur Befriedigung der Bedürfnisse aller tätig ist. Die alberne Behauptung die Sozialisten wollten die Arbeit abschaffen, ist ein Widersinn sondergleichen. Nichtarbeiter, Faulenzer gibt es nur in der bürgerlichen Welt. Der Sozialismus stimmt mit der Bibel darin überein, wenn diese sagt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Aber die Arbeit soll auch nützliche, produktive Tätigkeit sein. Die neue Gesellschaft wird also verlangen, daß jeder eine bestimmte industrielle, gewerbliche, ackerbauliche oder sonstige nützliche Tätigkeit ergreift, durch die er eine bestimmte Arbeitsleistung für die Befriedigung vorhandener Bedürfnisse vollzieht. Ohne Arbeit kein Genuß, keine Arbeit ohne Genuß. Indem alle verpflichtet sind zu arbeiten, haben alle das gleiche Interesse, drei Bedingungen bei der Arbeit erfüllt zu sehen. Erstens, daß die Arbeit im Zeitmaß mäßig sei und keinen überanstrengt; zweitens, daß sie möglichst angenehm ist und Abwechslung bietet; drittens, daß sie möglichst ergiebig ist, weil davon das Maß der Arbeitszeit und das Maß der Genüsse abhängt. Diese drei Bedingungen hängen aber wieder von der Art und Menge der zur Verfügung stehenden Arbeitsmittel und Arbeitskräfte ab und von den Ansprüchen, welche die Gesellschaft an ihre Lebenshaltung stellt. Die sozialistische Gesellschaft bildet sich nicht, um proletarisch zu leben, sondern um die proletarische Lebensweise der großen Mehrzahl der Menschen abzuschaffen. Sie sucht jedem ein möglichst hohes Maß von Lebensannehmlichkeiten zu gewähren, und so entsteht die Frage: Wie hoch wird die Gesellschaft ihre Ansprüche stellen? Um dieses feststellen zu können, ist eine Verwaltung erforderlich, die alle Tätigkeitsgebiete der Gesellschaft umfaßt. Hierfür bilden unsere Gemeinden eine zweckmäßige Grundlage; sind dieselben zu groß, um leicht eine Übersicht zu erlangen, so teilt man sie in Bezirke. Wie einst in der Urgesellschaft, so nehmen jetzt sämtliche mündigen Gemeindeangehörigen, ohne Unterschied des Geschlechts, an den vorkommenden Wahlen teil und bestimmen die Vertrauenspersonen, welche die Verwaltung zu leiten haben. An der Spitze sämtlicher Lokalverwaltungen steht die Zentralverwaltung - wohlgemerkt keine Regierung mit herrschender Gewalt, sondern ein ausführendes Verwaltungskollegium. - Ob die Zentralverwaltung direkt durch die Gesamtheit oder durch die Gemeindeverwaltungen ernannt wird, ist gleichgültig. Diese Fragen haben künftig nicht mehr die Bedeutung, die sie heute haben, denn es handelt sich nicht um die Besetzung von Posten, die größere Gewalt und Einfluß und höheres Einkommen gewähren, sondern um Vertrauensposten, zu welchen die Brauchbarsten, ob Mann, ob Frau, genommen werden, und die von ihren Posten abberufen oder wiedergewählt werden, wie es das Bedürfnis erfordert und es den Wählenden wünschbar scheint. Alle Posten werden nur auf Zeit eingenommen. Eine besondere Beamtenqualität haben also die Inhaber dieser Stellen nicht, es fehlt die Eigenschaft einer dauernden Funktion und eine hierarchische Ordnung für Avancements. Aus den erörterten Gesichtspunkten ist auch eine Frage gleichgültig, ob zwischen der Zentralverwaltung und den Lokalverwaltungen Zwischenstufen, etwa Provinzialverwaltungen usw., stehen. Hält man sie für nötig, richtet man sie ein, sind sie nicht nötig, läßt man sie sein. Über alles das entscheidet das Bedürfnis, wie es sich aus der Praxis ergibt. Haben Fortschritte in der Entwicklung der Gesellschaft alte Organisationen überflüssig gemacht, so schafft man sie ohne Sang und Klang und ohne Streit ab, denn es hat niemand ein persönliches Interesse an ihrem Bestand, und richtet neue ein.
Diese auf breitester demokratischer Grundlage beruhende Verwaltung ist also von der heutigen von Grund aus verschieden. Welcher Kampf in den Zeitungen, welches Zungengefecht in unseren Parlamenten, welche Aktenstöße in unseren Kanzleien um eine geringfügige Anderung in der Verwaltung oder Regierung! Hauptaufgabe ist zunächst, die Zahl und Art der verfügbaren Kräfte festzustellen, die Zahl und Art der Arbeitsmittel, der Fabriken, Werkstätten, Verkehrsmittel, des Grund und Bodens usw. und die bisherige Leistungsfähigkeit. Weiter ist festzustellen, was für Vorräte vorhanden sind und welche Mengen von Artikeln und Gegenständen gebraucht werden, um das Bedürfnis in einem bestimmten Zeitraum zu decken. Wie gegenwärtig der Staat und die verschiedenen Gemeinwesen jährlich ihre Budgets feststellen, so wird dies künftig für den ganzen gesellschaftlichen Bedarf geschehen, wobei Veränderungen, die erweiterte oder neue Bedürfnisse erfordern, volle Berücksichtigung finden können. Die Statistik spielt hier die Hauptrolle; sie ist die wichtigste Hilfswissenschaft in der neuen Gesellschaft, sie liefert das Maß für alle gesellschaftliche Tätigkeit. Die Statistik wird bereits heute für ähnliche Zwecke umfassend angewandt. Die Reichs-, Staats-, Kommunalbudgets basieren auf einer großen Zahl statistischer Erhebungen, die in den einzelnen Verwaltungszweigen alljährlich aufgenommen werden. Längere Erfahrungen und eine gewisse Stabilität in den laufenden Bedürfnissen erleichtern sie. Auch jeder Unternehmer einer größeren Fabrik, jeder Kaufmann ist, unter normalen Verhältnissen, imstande, genau bestimmen zu können, was er für das kommende Vierteljahr für Bedürfnisse hat und in welcher Art er seine Produktion und seine Einkäufe einrichten muß. Treten nicht Änderungen exzessiver Art ein, so kann er denselben leicht und ohne Mühe gerecht werden. Die Erfahrung, daß die Krisen hervorgerufen werden durch die blinde anarchische Produktion, das heißt, weil produziert wird ohne Kenntnis der Vorräte, des Absatzes. und Bedarfes in den verschiedenen Artikeln auf dem Weltmarkt, hat, wie schon hervorgehoben wurde, seit Jahren die Großindustriellen der verschiedensten Industriezweige veranlaßt, sich in Kartellen und Trusts zu vereinigen, einesteils um die Preise festzustellen, anderenteils um auf Grund der gemachten Erfahrungen und eingegangenen Bestellungen die Produktion zu regeln. Nach Maßgabe der Produktionsfähigkeit jedes einzelnen Betriebs und des wahrscheinlichen Absatzes wird festgelegt, wieviel jede einzelne Unternehmung für die nächsten Monate erzeugen darf. Übertretungen werden mit hoher Konventionalstrafe und mit Achtung belegt. Die Unternehmer schließen diese Verträge nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden des Publikums und zu ihrem eigenen Vorteil. Ihr Zweck ist, die Macht der Koalition zu benutzen, um sich die größten Vorteile zu beschaffen. Man will durch die Regulierung der Produktion vom Publikum Preise fordern, die man niemals im Konkurrenzkampf der einzelnen Unternehmer erzielen würde.
Man bereichert sich also auf Kosten der Konsumenten, die den geforderten Preis für ein Produkt zahlen müssen, das sie nötig haben. Und wie der Konsument durch die Kartelle, Trusts usw. geschädigt wird, so der Arbeiter. Die Regulierung der Produktion durch die Unternehmer setzt einen Teil der Beamten und Arbeiter frei, der, um leben zu können, die arbeitenden Genossen im Lohn unterbietet. Außerdem ist die soziale Macht des Kartells so groß, daß auch die Arbeiterorganisationen selten dagegen aufkommen können. Die Unternehmer haben also einen doppelten Vorteil, sie empfangen höhere Preise und zahlen geringere Löhne. Diese Regulierung der Produktion durch die Unternehmerverbände ist das Gegenteil von jener, die in der sozialistischen-, Gesellschaft Platz greifen soll. Heute ist das Interesse der Unternehmer maßgebend, künftig soll es das Interesse der Allgemeinheit sein. In der bürgerlichen Gesellschaft kann aber auch das bestorganisierte Kartell nicht alle Fakten übersehen und berechnen; die Konkurrenz und Spekulation auf dem Weltmarkt wüten weiter trotz des Kartells, und so stellt sich plötzlich heraus, daß die Berechnung ein Loch hat, und der künstliche Bau stürzt zusammen. Wie die große Industrie, so besitzt der Handel umfassende Statistiken. Allwöchentlich liefern die größeren Handels- und Hafenplätze Übersichten über die Vorräte an Petroleum, Kaffee, Baumwolle, Zucker, Getreide usw., Statistiken, die häufig allerdings ungenau sind, weil die Warenbesitzer nicht selten ein persönliches Interesse haben, die Wahrheit nicht bekannt werden zu lassen. Aber im ganzen sind diese Statistiken ziemlich sicher und geben dem Interessenten einen überblick, wie sich der Markt in der nächsten Zeit gestalten wird. Aber auch hier kommt die Spekulation in Betracht, die alle Berechnungen täuscht und über den Haufen wirft und oft jedes reelle Geschäft unmöglich macht. Wie aber die allgemeine Regulierung der Produktion in der bürgerlichen Gesellschaft, gegenüber den vielen Tausenden von Privatproduzenten mit ihren widerstreitenden Interessen, unmöglich ist, ebenso unmöglich ist die Regulierung der Distribution (Verteilung der Produkte) bei der spekulativen Natur des Handels, der großen Zahl der Handeltreibenden und dem Widerstreit ihrer Interessen. Was bisher schon geleistet wird, zeigt nur, was erst geleistet werden kann, sobald das Privatinteresse verschwindet und das Allgemeininteresse alles beherrscht. Ein Beweis hierfür sind zum Beispiel die von Staats wegen veranstalteten Erntestatistiken, die alljährlich in den verschiedenen Kulturstaaten aufgenommen werden und Schlüsse auf die Höhe der Ernteerträgnisse, die Deckungshöhe des eigenen Bedarfs und die Wahrscheinlichkeit der Preise zulassen. In einer sozialisierten Gesellschaft sind aber die Verhältnisse vollkommen geordnete, die ganze Gesellschaft ist solidarisch verbunden. Alles vollzieht sich nach Plan und Ordnung, und so ist die Feststellung des Maßes für die verschiedenen Bedürfnisse leicht. Liegt erst einige Erfahrung vor, so vollzieht sich das Ganze spielend. Ist zum Beispiel statistisch festgestellt, was sich durchschnittlich für ein Bedarf an Bäckerei-, Fleischerei-, Schuhmachereiprodukten, Wäscheartikeln usw. ergibt, und kennt man andererseits genau die Leistungsfähigkeit der in Betracht kommenden Produktionsanstalten, so ergibt sich daraus das Durchschnittsmaß für die tägliche, gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Es ergibt sich daraus ferner die Kenntnis, ob weiter Produktionsanstalten für bestimmte Artikel notwendig sind oder ob solche als überflüssig eingezogen oder für andere Zwecke eingerichtet werden können. Jeder einzelne entscheidet über den Arbeitszweig, in dem er beschäftigt sein möchte.
Die große Zahl der verschiedensten Arbeitsgebiete ermöglicht, den verschiedensten Wünschen Rechnung zu tragen. Stellt sich auf dem einen Gebiet ein Überschuß, auf dem anderen ein Mangel an Kräften heraus, so hat die Verwaltung die Arrangements zu treffen und einen Ausgleich herbeizuführen. Die Produktion zu organisieren und den verschiedenen Kräften die Möglichkeit zu bieten, an dem richtigen Platze verwendet zu werden, wird die Hauptaufgabe der gewählten Funktionäre sein. In dem Maße, wie gegenseitig sich alle Kräfte einarbeiten, geht das Räderwerk glatter. Die einzelnen Arbeitszweige und Abteilungen wählen ihre Ordner, welche die Leitung zu übernehmen haben. Das sind keine Zuchtmeister, wie die heutigen Arbeitsinspektoren und Werkführer, sondern Genossen, welche die ihnen übertragene verwaltende Funktion an Stelle einer .produzierenden ausüben. Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei vorgeschrittener Organisation und bei höherer Durchbildung aller Glieder diese Funktionen alternierende werden, die nach einem bestimmten Turnus alle Beteiligten ohne Unterschied des Geschlechts übernehmen.
2. Harmonie der Interessen
Die auf voller Freiheit und demokratischer Gleichheit organisierte Arbeit, bei der einer für alle und alle für einen stehen, also die volle Solidarität herrscht, wird eine Schaffenslust und einen Wetteifer erzeugen, wie sie in dem heutigen Wirtschaftssystem nirgends zu finden sind. Dieser schaffensfreudige Geist wirkt aber auch auf die Produktivität der Arbeit ein. Ferner haben alle das Interesse, da sie gegenseitig füreinander arbeiten, daß alle Gegenstände möglichst gut und vollkommen und mit möglichst geringem Aufwand an Kraft und Arbeitszeit hergestellt werden, sei es, um Arbeitszeit zu sparen oder um Zeit für Erzeugung neuer Produkte zur Befriedigung höherer Ansprüche zu gewinnen. Dieses gemeinsame Interesse veranlaßt alle, auf Verbesserung, Vereinfachung und Beschleunigung des Arbeitsprozesses zu sinnen. Der Ehrgeiz, zu erfinden und zu entdecken, wird im höchsten Grade angeregt, einer wird an Vorschlägen und Ideen den anderen zu überbieten suchen.[2] Es wird also genau das Gegenteil von dem eintreten, was die Gegner des Sozialismus behaupten. Wie viele Erfinder und Entdecker gehen in der bürgerlichen Welt zugrunde! Wie viele werden ausgenutzt und beiseite geschoben! Sollten Geist und Talent statt des Besitzes an der Spitze der bürgerlichen Gesellschaft stehen, der größte Teil der Unternehmer müßte seinen Arbeitern, Werkmeistern, Technikern, Ingenieuren, Chemikern usw. Platz machen. Dieses sind die Männer, die in neunundneunzig Fällen von hundert die Erfindungen, Entdeckungen und Verbesserungen machten, die dann der Mann mit dem großen Geldbeutel ausnutzt. Wie viele Tausende von Entdeckern und Erfindern zugrunde gegangen sind, weil sie den Mann nicht fanden, der die Mittel zur Ausführung ihrer Entdeckungen und Erfindungen hergab, wie viele verdiente Entdecker und Erfinder unter der sozialen Misere des Alltagslebens unterdrückt werden, entzieht sich jeder Berechnung. Nicht die Leute mit hellem Kopf und scharfem Verstand, sondern die mit den großen Mitteln sind die Herren der Welt, womit nicht gesagt sein soll, daß nicht auch ein heller Kopf und der Besitz eines gefüllten Beutels in einer Person vereinigt sind. Jeder, der im praktischen Leben steht, weiß, wie mißtrauisch heute der Arbeiter jede Verbesserung, jede neue Erfindung, die eingeführt wird, aufnimmt. Mit Recht. In der Regel hat nicht er den Vorteil davon, sondern sein Anwender; er muß fürchten, daß die neue Maschine, die Verbesserung, die eingeführt wird, ihn als überzählig aufs Pflaster wirft. Statt freudiger Zustimmung zu einer Erfindung, die der Menschheit Ehre macht und Vorteil schaffen soll, hat er eine Verwünschung und einen Fluch auf den Lippen. Und wie manche Verbesserung für den Produktionsprozeß, die ein Arbeiter entdeckte, wird nicht eingeführt. Der Arbeiter verschweigt sie, weil er fürchtet, nicht Vorteil, sondern Schaden davon zu haben. Das sind die natürlichen Folgen des Gegensatzes der Interessen.[3] In der sozialistischen Gesellschaft ist der Gegensatz der Interessen beseitigt. jeder entwickelt seine Fähigkeiten, um sich zu nützen, und damit nützt er zugleich dem Gemeinwesen. Heute sind Befriedigung des persönlichen Egoismus und Gemeinwohls meist Gegensätze, die sich ausschließen; in der neuen Gesellschaft sind diese Gegensätze aufgehoben, Befriedigung des persönlichen Egoismus und Förderung des Gemeinwohls stehen miteinander in Harmonie, sie decken sich.[4]
Die großartige Wirkung eines solchen Moralzustandes liegt nahe. Die Produktivität der Arbeit wird mächtig wachsen. Insbesondere wird die Produktivität der Arbeit auch dadurch gewaltig wachsen, daß die enorme Zersplitterung der Arbeitskräfte in Hunderttausende und Millionen von Zwergbetrieben, die mit den unvollkommensten Werkzeugen und Arbeitsmitteln produzieren, aufhört. In welche Unzahl von Zwerg-, Mittel und Großbetrieben das deutsche Gewerbeleben zersplittert ist, wurde oben nachgewiesen. Durch die Zusammenziehung der kleinen und mittleren Betriebe in Großbetriebe, die mit allen Vorteilen modernster Technik ausgestattet sind, wird eine enorme Verschwendung von Kraft, Zeit, Material aller Art (Licht, Heizung usw.) und Raum, die jetzt stattfindet, beseitigt und wird die Produktivität der Arbeit ums Mehrfache gesteigert. Welcher Unterschied in der Produktivität zwischen kleinen, mittleren und großen Betrieben vorhanden ist, mag ein Beispiel aus dem Industriezensus des Staates Massachusetts aus dem Jahre 1890 zeigen. Man teilte dort die Betriebe von zehn Hauptindustriebranchen in drei Kategorien ein. Diejenigen, die weniger als 40000 Dollar Produktenwert erzeugten, zählten zur niederen Klasse, die zwischen 40000 und 150000 Dollar Warenwert erzeugten zur mittleren Klasse und die mit über 150000 Dollar Warenwert zur oberen Klasse.
Das Ergebnis war folgendes:
Zahl der Etablissements | Prozentsatz von den gesamten Etablissements |
Gesamtproduktionswert der einzelnen Klassen, Dollar |
Prozentsatz vom Gesamtproduktwert |
|
Niedere Klasse | 2 042 | 55,2 | 51 660 617 | 9,4 |
Mittlere Klasse | 968 | 26,2 | 106 868 635 | 19,5 |
Obere Klasse | 686 | 18,6 | 390 817 300 | 71,1 |
3696 | 100 | 549 346 552 | 100 |
Die mehr als doppelt so große Zahl der kleinen Betriebe im Vergleich zu den mittleren und großen Betrieben erzeugte also nur 9,4 Prozent des Gesamtproduktes, und die nur 23 Prozent betragende Anzahl der Großbetriebe produzierte fast das zweiundeinhalbfache Quantum des Produktes aller übrigen Betriebe. Aber auch die Großbetriebe könnten noch weit rationeller eingerichtet werden, so daß bei einer Gesamtproduktion, auf der höchsten technischen Produktionsform, ein noch weit größeres Arbeitsquantum hergestellt werden würde.
Was bei einer Produktion, die auf rationellste Basis gestellt ist, an Zeit gewonnen werden kann, darüber hat 1886 Th. Hertzka in seinem Buche »Die Gesetze der sozialen Entwicklung« eine interessante Berechnung angestellt. Er untersuchte, was für ein Aufwand an Arbeitskräften und Zeit notwendig sei, um die Bedürfnisse der damals 22 Millionen Köpfe zählenden Bevölkerung Ästerreichs auf dem Wege der Großproduktion herzustellen. Zu diesem Zwecke zog Hertzka Erkundigungen ein über die Leistungsfähigkeit der Großbetriebe auf den verschiedenen Gebieten und stellte danach seine Berechnungen auf. Hierbei ist einbegriffen die Bewirtschaftung von 10 1/2 Millionen Hektar Ackerboden und von 3 Millionen Hektar Wiesen, die für die erwähnte Bevölkerungszahl genügen sollen, um ihren Bedarf an Ackerbauprodukten und Fleisch zu decken. Weiter schloß Hertzka in seine Berechnung die Herstellung von Wohnungen ein, dergestalt, daß jede Familie ein eigenes Häuschen von 150 Quadratmetern mit fünf Wohnräumen erhält, das auf eine Dauer von 50 Jahren berechnet ist. Es ergab sich, daß für die Landwirtschaft, die Bautätigkeit, die Mehl-und Zuckerproduktion, die Kohlen-, Eisen- und Maschinenindustrie, die Bekleidungsindustrie und die chemischen Industrien 615 000 Arbeitskräfte notwendig seien, die in dem jetzt gewohnten täglichen Durchschnitts- Zeitenmaß das Jahr über tätig sein müßten. Diese 615 000 Köpfe bildeten aber nur 12,3 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Österreichs, wenn alle Frauen sowie die männliche Bevölkerung unter 16 und über 50 Jahren der Produktion fernblieben. Würden die zur Zeit der Berechnung vorhandenen 5 Millionen Männer gleich den 615 000 beschäftigt, so brauchte jeder derselben nur 36,9 Tage, rund 6 Wochen, zu arbeiten, womit die notwendigsten Lebensbedürfnisse für 22 Millionen Menschen hergestellt würden. Nehmen wir aber 300 Arbeitstage im Jahre anstatt 37, so würden, den Arbeitstag mit 11 Stunden in Ansatz gebracht, bei der neuen Organisation der Arbeit täglich nur 10 3/8 Stunden nötig sein, um die notwendigsten Bedürfnisse zu decken.
Hertzka bringt auch die Luxusbedürfnisse der besser Situierten in Rechnung und findet, daß die Herstellung derselben, für einen Bedarf von 22 Millionen Menschen, weitere 315 000 Arbeiter erfordere. Im ganzen wären alsdann, nach Hertzka, unter Berücksichtigung einiger in Österreich ungenügend vertretener Industrien, rund eine Million, gleich 20 Prozent der arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung, mit Ausschluß derjenigen unter 16 und über 50 Jahren, nötig, um die gesamten Bedürfnisse der Bevölkerung in 60 Tagen zu decken. Bringen wir wieder die gesamte arbeitsfähige männliche Bevölkerung in Rechnung, so hätte diese täglich nur zweieinhalb Stunden durchschnittliche Arbeitszeit zu leisten.[5]
Diese Rechnung wird niemand überraschen, der die Verhältnisse übersieht. Nehmen wir nun an, daß bei einem solchen mäßigen Zeitmaß, mit Ausnahme von Kranken und Invaliden, auch die über 50 Jahre alten Männer noch zu arbeiten vermögen, daß ferner die Jugend unter 16 Jahren tätig sein könnte, ebenso ein großer Teil der Frauen, soweit diese nicht für Kindererziehung, Nahrungszubereitung usw. in Anspruch genommen sind, so könnte die Arbeitszeit noch weiter ermäßigt oder es könnten die Bedürfnisse erheblich gesteigert werden. Auch wird niemand bestreiten wollen, daß nicht noch sehr bedeutende, gar nicht abzusehende Fortschritte in der Vervollkommnung des Arbeitsprozesses gemacht werden, die weitere Vorteile schaffen. Andererseits handelte es sich darum, für alle eine Menge Bedürfnisse zu befriedigen, die heute nur eine Minorität befriedigen kann, und bei höherer Kulturentwicklung entstehen immer neue Bedürfnisse, die ebenfalls befriedigt werden sollen. Es muß immer wiederholt werden, die neue Gesellschaft will nicht proletarisch leben, sie verlangt als ein hochentwickeltes Kulturvolk zu leben, und zwar in allen ihren Gliedern, vom ersten bis zum letzten. Sie soll aber nicht bloß alle ihre materiellen Bedürfnisse befriedigen, sie soll auch allen ausreichende Zeit für die Ausbildung in Künsten und Wissenschaften aller Art und zur Erholung ermöglichen.
3. Organisation der Arbeit
Noch in anderen, sehr wesentlichen Punkten wird sich die sozialistische Gemeinwirtschaft von der bürgerlichen Individualwirtschaft unterscheiden. Der Grundsatz des »billig und schlecht«, der für einen großen Teil der bürgerlichen Produktion maßgebend ist und maßgebend sein muß, weil der größte Teil der Kundschaft nur billige Waren kaufen kann, die raschem Verschleiß unterworfen sind, fällt fort. Man wird nur das Beste erzeugen, das um so län-,er hält und seltener ersetzt zu werden braucht. Die Modetorheiten und Modetollheiten, durch die nur Verschwendung und oft auch Geschmacklosigkeit begünstigt werden, hören auf. Man wird sich zweifellos zweckmäßiger und gefälliger kleiden als heute - beiläufig bemerkt zeichnen sich die Moden der letzten hundert Jahre, namentlich die der Männerwelt, durch möglichste Geschmacklosigkeit aus -, aber man wird nicht mehr alle Vierteljahre eine neue Mode einführen, eine Narrheit, die einerseits mit dem Konkurrenzkampf der Frauen unter sich, andererseits mit der Prahlsucht und Eitelkeit und dem Bedürfnis, seinen Reichtum zur Schau zu tragen, aufs engste zusammenhängt. Auch lebt gegenwärtig eine Menge Existenzen von diesen Modetorheiten, und sie ist im eigenen Interesse gezwungen, sie zu stimulieren und zu forcieren. Mit den Modetorheiten in der Kleidung fällt die Modenarrheit im Stile der Wohnungen. Hier treibt die Exzentrizität ihre schlimmsten Blüten. Stile, die zu ihrer Entwicklung Jahrhunderte erforderten und bei den verschiedensten Völkern entstanden sind man begnügt sich nicht mehr mit den Stilen der Europäer, man geht über zu den Stilen der Japaner, Inder, Chinesen usw. -, werden in wenig Jahren verbraucht und beiseite gesetzt. Unsere Kunstgewerbetreibenden wissen kaum noch, woher und wohin sie mit all den Mustern und Modellen sollen. Kaum haben sie sich in einem »Stil« assortiert und glauben, die aufgewendeten Kosten herausschlagen zu können, so ist schon ein neuer »Stil« da, der von neuem große Opfer an Zeit und Geld, an geistigen und physischen Kräften beansprucht. In diesem Hetzen und jagen von einer Mode zur anderen und von einem Stil zum anderen spiegelt sich die Nervosität des Zeitalters am prägnantesten wider. Niemand wird behaupten wollen, daß in diesem Hasten und Stürmen Sinn und Verstand liegt und es als ein Zeichen der Gesundheit der Gesellschaft anzusehen sei. Der Sozialismus wird erst wieder eine größere Stabilität in die Lebensgewohnheiten der Gesellschaft bringen; er wird Ruhe und Genuß ermöglichen und ein Befreier von der gegenwärtig herrschenden Hast und Aufregung sein.
Alsdann wird die Nervosität, diese Geißel unseres Zeitalters, verschwinden. Die Arbeit soll aber auch möglichst angenehm werden. Dazu gehören geschmackvoll und praktisch eingerichtete Produktionsstätten, möglichste Verhütung jeder Gefahr, Beseitigung unangenehmer Gerüche, Dünste, Rauch usw., kurz aller gesundheitsschädlichen und lästigen Einflüsse. Anfangs produziert die neue Gesellschaft mit den von der alten übernommenen Hilfs- und Arbeitsmitteln. Diese sind aber unzureichend. Zahlreiche zersplitterte, nach jeder Richtung höchst unzulängliche Arbeitsräume, mangelhafte Werkzeuge und Maschinen, die alle Stufen der Brauchbarkeit durchlaufen, genügen weder der Zahl der Beschäftigten noch ihren Ansprüchen auf Bequemlichkeit und Annehmlichkeit. Die Beschaffung einer Menge großer, heller, luftiger, auf das vollkommenste ausgestatteter und ausgeschmückter Arbeitsräume ist also das dringendste Bedürfnis. Kunst und Technik, Kopf- und Handgeschicklichkeit finden sofort ein umfassendes Feld der Tätigkeit. Alle Gebiete des Maschinenbaus, der Werkzeugfabrikation, des Bauwesens und der mit der inneren Einrichtung der Räume beschäftigten Arbeitszweige haben die reichlichste Gelegenheit zur Betätigung.
Was menschlicher Erfindungsgeist an bequemen und angenehmen Baulichkeiten, an zweckentsprechender Ventilation, Beleuchtung und Heizung, an maschinellen und technischen Einrichtungen und Reinlichkeitsanlagen zu schaffen vermag, wird in Anwendung gebracht. Die Ersparnis an motorischen Kräften, an Heizung, Beleuchtung, Zeit sowie die Arbeits- und Lebensannehmlichkeiten aller gebieten die zweckmäßigste Konzentration der Arbeitsstätten auf bestimmte Punkte. Die Wohnungen werden von den Arbeitsräumen getrennt und von den Unannehmlichkeiten industrieller und gewerblicher Tätigkeit befreit. Und diese Unannehmlichkeiten werden wieder, durch zweckmäßige Einrichtungen und Vorkehrungen aller Art, auf das geringste Maß beschränkt und schließlich beseitigt. Der gegenwärtige Stand der Technik hat bereits Mittel genug, um die gefährlichsten Berufsarten, wie den Bergbau, die chemischen Betriebe usw., von ihren Gefahren gänzlich zu befreien. Sie kommen in der bürgerlichen Gesellschaft nicht zur Anwendung, weil sie große Kosten verursachen und keine Verpflichtung besteht, für den Schutz der Arbeiter mehr als das Notwendigste zu tun. Die Unannehmlichkeiten, die zum Beispiel der Arbeit im Bergbau anhaften, können durch eine andere Art des Abbaus, durch umfassende Ventilation, durch Einführung elektrischer Beleuchtung, erhebliche Verkürzung der Arbeitszeit und häufigen Wechsel der Arbeitskräfte beseitigt werden. Auch bedarf es keines besonderen Scharfsinns, um Schutzmittel zu finden, die zum Beispiel bei Bauten Unfälle fast unmöglich machen und die Arbeit an denselben zu einer der angenehmsten gestalten. So lassen sich ausreichende Schutzvorrichtungen gegen Sonnenhitze und Regen bei den größten Bauten und bei allen Arbeiten im Freien im ausreichendsten Maße herstellen. Auch wird sich in einer Gesellschaft wie der sozialistischen, die über ausreichende Arbeitskräfte verfügt, mit Leichtigkeit öfterer Wechsel der Arbeitskräfte und die Konzentration gewisser Arbeiten auf bestimmte Jahres- und Tageszeiten durchführen lassen.
Die Frage nach der Beseitigung von Staub, Rauch, Ruß, schlechten Gerüchen kann auch heute schon vollständig durch Chemie und Technik gelöst werden, es geschieht nicht oder nur teilweise, weil dazu die Privatunternehmer die nötigen Mittel nicht opfern wollen. Die Produktionsstätten der Zukunft werden also, wo immer sie sich befinden, ob unter oder über der Erde, von den gegenwärtigen sich in der vorteilhaftesten Weise unterscheiden. Verbesserte Einrichtungen sind für die Privatwirtschaft in erster Linie eine Geldfrage, es heißt: Kann das Geschäft sie tragen, rentieren sie sich? Rentieren sie sich nicht, dann mag der Arbeiter zugrunde gehen. Das Kapital tut nicht mit, wo kein Profit herausspringt. Die Menschlichkeit hat keinen Kurs an der Börse.[6] In der sozialistischen Gesellschaft hat die Frage nach Profit ihre Rolle ausgespielt, für sie gibt es keine andere Rücksicht als das Wohl ihrer Glieder. Was diesen nützt und sie schützt, muß eingeführt werden, was sie schädigt, unterbleibt. Niemand wird gezwungen, bei einem gefährlichen Spiel mitzutun. Werden Unternehmungen ins Werk gesetzt, bei denen Gefahren in Aussicht stehen, so darf man sicher sein, daß es Freiwillige in Menge gibt, und zwar um so mehr, da es sich nie um Kultur zerstörende, sondern stets nur um Kultur fördernde Unternehmungen handeln kann.
4. Das Wachstum der Produktivität der Arbeit
Umfassende Anwendung der motorischen Kräfte und der vollkommensten Maschinen und Werkzeuge, weitgehende Arbeitsteilung und geschickte Kombination der Arbeitskräfte werden also die Produktion auf eine Höhe bringen, daß zur Erzeugung des nötigen Quantums von Lebensbedürfnissen die Arbeitszeit sehr erheblich reduziert werden kann. Erhöhte Produktion gereicht allen zum Vorteil; der Anteil des einzelnen am Produkt steigt mit der Produktivität der Arbeit, und die steigende Produktivität ermöglicht wieder, die als gesellschaftlich notwendig bestimmte Arbeitszeit herabzusetzen.
Unter den in Anwendung kommenden motorischen Kräften dürfte die Elektrizität die entscheidende Stelle einnehmen. Schon ist die bürgerliche Gesellschaft bemüht, sie sich überall dienstbar zu machen. In je umfangreicherem und vollkommenerem Maße dies geschieht, um so besser für den allgemeinen Fortschritt. Die revolutionierende Wirkung dieser gewaltigsten aller Naturkräfte wird die Bande der bürgerlichen Welt nur um so rascher sprengen und dem Sozialismus die Türe öffnen. Die vollste Ausnutzung und umfassendste Anwendung aber wird diese Kraft erst in der sozialisierten Gesellschaft erlangen. Sie wird sowohl als motorische Kraft wie als Licht- und Heizquelle in ungemeinem Maße zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Gesellschaft beitragen. Die Elektrizität zeichnet sich vor jeder anderen Kraft dadurch aus, daß sie in der Natur im Überfluß vorhanden ist. Unsere Wasserläufe, Ebbe und Flut des Meeres, der Wind, das Sonnenlicht liefern ungezählte Pferdekräfte, sobald wir erst ihre volle und zweckmäßige Ausnützung verstehen. »Einen Reichtum an Energie, der allen Bedarf weit übersteigt, bieten die Teile der Erdoberfläche dar, denen die Sonnenwärme, und zwar gerade dort größtenteils ungenutzt oder sogar lästig, so regelmäßig zufließt, daß mit ihr auch ein regelmäßiger technischer Betrieb durchgeführt werden kann. Vielleicht würde es keine übertriebene Vorsicht sein, wenn eine Nation sich schon jetzt einen Anteil an solchen Gegenden sicherte. Sehr große Flächen sind nicht einmal nötig; einige Quadratmeilen in Nordafrika würden für den Bedarf eines Landes wie das Deutsche Reich genügen. Durch Konzentration der Sonnenwärme läßt sich eine hohe Temperatur erzeugen und hiermit dann alles übrige, transportable mechanische Arbeit, Akkumulatorenladung, Licht und Wärme, oder durch Elektrolyse auch direkt Brennmaterial. [7]« Der Mann, der diese Perspektive eröffnet, ist kein Schwärmer, sondern wohlbestallter Professor der Berliner Universität und Präsident a. D. der physikalisch-technischen Reichsanstalt, ein Mann, der in der Wissenschaft einen ersten Rang einnimmt. Und auf dem 79. Kongreß der British Association in Winnipeg (Kanada) sagte in seiner Eröffnungsrede (August 1909) der berühmte englische Physiker Sir S. Thomson: »Nicht all zu fern ist der Tag, da die Ausnutzung der Sonnenstrahlen unser Leben revolutionieren wird, von der Abhängigkeit von Kohle und Wasserkraft befreit sich der Mensch, und alle großen Städte werden umringt sein von gewaltigen Apparaten, regelrechten Sonnenstrahlenfallen, in denen die Sonnenwärme aufgefangen und die gewonnene Energie in mächtigen Reservoirs aufgestaut wird ... Es ist die Kraft der Sonne, die, in der Kohle, in den Wasserfällen, in der Nahrung aufgestapelt, alle Arbeit in der Welt verrichtet. Wie gewaltig diese Kraftabgabe ist, die die Sonne über uns ausschüttet, wird klar, wenn wir erwägen, daß die Wärme, die die Erde bei hoher Sonne und klarem Himmel empfängt, nach den Forschungen von Langley einer Energie von 7000 Pferdekräften für den Acre gleichkommt. Wenngleich unsere Ingenieure einstweilen noch nicht den Weg gefunden haben, diese riesenhafte Kraftquelle auszunutzen, so zweifle ich doch nicht, daß ihnen dies schließlich gelingen wird. Wenn einst die Kohlenvorräte der Erde erschöpft sind, wenn die Wasserkräfte unserem Bedürfnis nicht mehr genügen, dann werden wir aus jener Quelle alle Energie schöpfen, die notwendig ist, um die Arbeit der Welt zu vollenden. Dann werden die Zentren der Industrie in die glühenden Wüsten der Sahara verlegt werden, und der Wert des Landes wird danach gemessen werden, inwieweit es geeignet ist für die Aufstellung der großen >Sonnenstrahlenfallen<.« [8] Hiernach wäre die Sorge, daß es uns jemals an Heizstoffen fehlen könnte, beseitigt. Und da durch die Erfindung des Akkumulators es möglich ist, große Kraftmengen zu binden und sie für einen beliebigen Ort und eine beliebige Zeit aufzusparen, so daß neben der Kraft, die Sonne, Ebbe und Flut liefern, die Kraft des Windes und der Bergbäche, die nur periodisch zu gewinnen sind, erhalten und ausgenutzt werden können, so gibt es schließlich keine menschliche Tätigkeit, für die, wenn notwendig, motorische Kraft nicht vorhanden ist.
Erst mit Hilfe der Elektrizität ist der Ausbau von Wasserkräften im großen Stil möglich geworden. Nach T. Koehn gibt es in acht europäischen Staaten verfügbare Wasserkräfte:
Pferdestärke | Pro 1000 Einwohner | |
Großbritannien | 963 000 | 23,1 |
Deutschland | 1 425 900 | 24,5 |
Schweiz | 1 500 000 | 138 |
Italien | 5 500 000 | 150 |
Frankreich | 5 857 000 | 169 |
Österreich-Ungarn | 6 460 000 | 454,5 |
Schweden | 6 750 000 | 1 290 |
Norwegen | 7 500 000 | 3 409 |
Von den deutschen Bundesstaaten verfügen Baden und Bayern über die größten Wasserkräfte. Baden kann allein am Oberrhein rund 200 000 Pferdestärken gewinnen, Bayern verfügt über 300 000 ungenützte (neben 100 000 genützten) Pferdestärken. Professor Rehbock in Karlsruhe schätzt die theoretische Rohenergie des auf der ganzen Erdoberfläche abfließenden Wassers auf 8 Milliarden Pferdestärken. Wenn hiervon auch nur der sechzehnte Teil lohnend ausgenützt werden könnte, so würden noch immer 500 Millionen dauernd wirkender Pferdestärken gewonnen werden, ein Energiebetrag, welcher den aus der Kohlenförderung des Jahres 1907 (1000 Millionen Tonnen) annäherungsweise berechneten um weit mehr als das Zehnfache übertreffen würde. Sind solche Berechnungen zunächst auch Theorie, so zeigen sie doch, welcher Leistungen wir uns bei der »weißen Kohle« für die weitere Zukunft noch vorsehen dürfen. Allein an den Fällen des Niagaraflusses, welcher aus einem Seengebiet mit einer Oberfläche von 231 880 Quadratkilometer - das sind ungefähr 43 Prozent der Oberfläche ganz Deutschlands mit 540 000 Quadratkilometer kommt, lassen sich mehr Wasserkräfte gewinnen, als in England, Deutschland und der Schweiz zusammengenommen vorhanden sind.[9] Nach einer anderen Berechnung, die in einem offiziellen Bericht zitiert wird, gibt es in den Vereinigten Staaten von Amerika verfügbare Wasserkräfte von nicht weniger als 20 Millionen Pferdestärken, die ein Äquivalent von 300 Millionen Tonnen Kohle jährlich bilden.[10] Die Fabriken, die mit dieser »weißen« oder »grünen« Kohle mit der Gewalt der rauschenden Gießbäche und Wasserfälle getrieben werden, werden auch keine Schornsteine, keine Feuer haben. Die Elektrizität wird es auch ermöglichen, die Geschwindigkeit unserer Bahnen mehr als zu verdoppeln. Wenn anfangs der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Herr Meems in Baltimore es für möglich hielt, einen elektrischen Wagen zu bauen, der 300 Kilometer in der Stunde zurücklegt, und Prof. Elihu Thomson in Lynn (Massachusetts) an die Herstellung von Elektromotoren glaubte, die bei geeigneter Verstärkung des Oberbaues der Bahnen und entsprechender Verbesserung des Signalwesens bis 260 Kilometer in der Stunde zurücklegen, so haben sich diese Erwartungen nahezu erfüllt. Die Probefahrten, die 1901 und 1902 auf der Militärbahn Berlin-Zossen vorgenommen wurden, ergaben schon die Möglichkeit einer Fahrgeschwindigkeit bis 150 Kilometer in der Stunde. Und bei den im Jahre 1903 aufgenommenen Versuchen hat der Siemenswagen eine Geschwindigkeit von 201, der der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft von 208 Kilometer erreicht. In den folgenden Jahren sind auch bei Schnellbahnversuchen mit Dampflokomotiven Geschwindigkeiten von 150 Kilometer in der Stunde und mehr erzielt worden. Jetzt heißt die Losung 200 Kilometer in der Stunde. Und auf der Arena erscheint schon August Scherl mit seinem neuen Schnellbahnprojekt, das die vorhandenen Bahnlinien dem Güterverkehr zuweist und die größeren Städte durch eingleisig verkehrende Züge mit 200 Kilometer Geschwindigkeit verbindet.[11] Die Frage der Elektrifizierung des Eisenbahnwesens steht auf der Tagesordnung in England, Österreich, Italien und Amerika. Zwischen Philadelphia und New York ist eine elektrische Schnellbahn mit einer Geschwindigkeit von 200 Kilometer in der Stunde projektiert. Ebenso wird die Geschwindigkeit der Seedampfer wachsen. Die ausschlaggebende Rolle dabei spielt die Dampfturbine.[12] Sie steht heute im Vordergrund des technischen Interesses. Sie scheint berufen, auf ausgedehnten Anwendungsgebieten die Kolbendampfmaschine zu verdrängen. Während die meisten Ingenieure die Dampfturbine noch als eine Aufgabe der Zukunft ansahen, war sie zu einer Frage der Gegenwart geworden, die die Aufmerksamkeit der ganzen technischen Welt durch ihre Erfolge auf sich zog . . . Erst die Elektrotechnik mit ihren rasch laufenden Maschinen hat ein riesig ausgedehntes Anwendungsgebiet für die neue Kraftmaschine geschaffen. Die bei weitem größte Zahl aller heute laufenden Dampfturbinen dient zum Antrieb von Dynamomaschinen.[13] Insbesondere hat die Dampfturbine ihre Überlegenheit über die ältere Kolbendampfmaschine bei den Ozeanfahrten gezeigt. So hat der englische Ozeandampfer »Lusitania«, der mit Dampfturbinen ausgerüstet ist, im August 1909 die Reise von Irland bis New York in 4 Tagen 11 Stunden und 42 Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25,85 Knoten (zirka 48 Kilometer) in der Stunde zurückgelegt. Die 1863 erbaute »Amerika«, damals das schnellste Schiff, fuhr 12,5 Knoten (23,16 Kilometer).[14] Und der Tag ist nicht weit, wenn der elektrische Propellerantrieb für große Schiffe eine befriedigende Lösung finden wird. Für kleine Schiffe kommt er schon zur Anwendung. Einfache Wartung und hohe Betriebssicherheit, gute Selbstregulierung und erschütterungsfreier Lauf machen die Dampfturbine zur idealen Antriebskraft für die Erzeugung elektrischer Energie an Bord. Und Hand in Hand mit der Elektrifizierung des ganzen Eisenbahnwesens wird auch die Elektrifizierung des gesamten Schiffbaues gehen. Durch die Elektrizität wird auch die Technik der Lastenförderung revolutioniert.
»Hatte die Dampfkraft überhaupt die Möglichkeit eröffnet, Hebemaschinen mit Naturkraft zu bauen, so führte die elektrische Kraftübertragung einen vollständigen Umschwung im Hebemaschinenbau herbei, insofern, als sie erst diesen Maschinen freie Beweglichkeit und stete Betriebsbereitschaft gewährte.«
Der elektrische Betrieb hat unter anderem den weitestgehenden Wandel in dem Aufbau der Krane herbeigeführt.
»Mit seinem massigen, gebogenen Schnabel aus Walzeisen, auf einem schweren Quaderfundament lastend, mit langsamen Bewegungen und mit fauchendem Geräusch des auspuffenden Dampfes erweckt der Dampfkran den Eindruck eines Untiers aus der Urzeit. Wenn er erst zugefaßt hat, entwickelt er eine gewaltige Hubkraft, aber er braucht Menschen als Handlanger, die mit Schlingpflanzen die Last an seinem Haken befestigen. Wegen seiner Unbehilflichkeit im Zufassen, wegen seiner Langsamkeit und Schwerfälligkeit ist er nur für Schwerlasten geeignet, nicht aber für schnelle Massenbewegung verwendbar ... Ein ganz anderes Bild gewährt schon rein äußerlich der moderne elektrisch betriebene Stahlwerkskran: Wir erblicken einen zierlichen, frei über die Halle gespannten stählernen Gitterträger und von ihm hervorragend einen schlanken, nach allen Richtungen beweglichen Zangenarm; das Ganze wird von einem einzigen Mann beherrscht, der mit sanftem Druck auf den Steuerhebel die elektrischen Ströme steuert und mit ihrer Hilfe die schlanken Stahlglieder des Kranes zu raschen Bewegungen zwingt, so daß sie ohne Zutun eines Handlangers den glühenden Stahlblock greifen und durch die Luft schwingen; dabei ist kein anderes Geräusch zu hören, als das leise Surren der Elektromotoren.«[15]
Ohne die Hilfe dieser Maschinen wäre der stetig anwachsende Massentransport nicht zu bewältigen. Die von Mitte bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts vollzogene Entwicklung hinsichtlich der Vergrößerung der Tragkraft ergibt ein Vergleich dieser Größen zwischen dem Werftkran zu Pola und dem zu Kiel. Die Tragkraft des ersteren betrug 60 Tonnen, des zweiten 200 Tonnen. Der Betrieb eines Bessemer Stahlwerks ist überhaupt nur möglich, wenn rasch arbeitende Hebemaschinen zur Verfügung stehen, weil andernfalls die gewaltigen Mengen flüssigen Stahls, die in kurzer Zeit erzeugt werden, nicht in den Gießformen transportiert werden könnten. Im Kruppwerk zu Essen arbeiten allein 608 Kräne mit einer Gesamttragkraft von 6513 Tonnen, gleich einem Güterzug von 650 Wagen. Die geringen Kosten der Seefracht, die die Lebensbedingung für den heutigen Weltverkehr bilden, würden nicht möglich sein, wenn nicht durch rasche Entladung das in den Schiffen angelegte Kapital so intensiv ausgenutzt werden könnte. Die Ausrüstung eines Schiffes mit elektrischen Schiffsdeckkranen führte zu einer Verminderung der jährlichen Gesamtbetriebskosten von 23 000 auf 13 000 Mark, also auf nahezu die Hälfte. Dabei umfaßt dieser Vergleich den Fortschritt von nur etwa einem Jahrzehnt. Auf allen Gebieten der Verkehrstechnik bringt auch jeder Tag bahnbrechende Erfolge. Das Flugproblem, das noch vor zwei Jahrzehnten unlösbar schien, ist schon jetzt gelöst. Und wenn die lenkbaren Luftschiffe und verschiedenen Flugapparate nicht dem leichteren und billigeren Transport von Massen dienen, sondern dem Sport und Militarismus, so werden sie später auch die Produktivkräfte der Gesellschaft vermehren. Große Fortschritte macht auch das drahtlose System der Telegraphie und Telephonie; seine industrielle Verwertung wächst mit jedem Tage. In wenigen Jahren wird somit der ganze Verkehr auf neue Grundlagen gestellt. Der gesamte Bergbaubetrieb mit Ausnahme des Abbaus befindet sich heute in einer Umwälzung, die vor zehn Jahren noch außerhalb der Vorstellungsmöglichkeit lag. Diese Umwälzung besteht in der Einführung des elektrischen Betriebs zur Wasserhaltung, Wetterführung, Streckenförderung und Schachtförderung. Der elektromotorische Betrieb revolutionierte die Arbeitsmaschinen, die Pumpen, Haspeln, Fördermaschinen. Märchenhafte Aussichten sind es auch, die der frühere französische Kultusminister Professor Berthelot (gestorben 18. März 1907) im Frühjahr 1894 auf einem Bankett des Syndikats der Chemikalienfabrikanten in einer Rede über die Bedeutung der Chemie in der Zukunft eröffnete.
Herr Berthelot schilderte in seiner Rede, wie es etwa ums Jahr 2000 mit der Chemie stehen möchte, und wenn seine Schilderung auch manche humoristische Übertreibung enthält, so doch auch so viel Richtiges, daß wir sie auszugsweise folgen lassen. Herr Berthelot legte dar, was die Chemie in wenigen Jahrzehnten geleistet habe und bezeichnete als ihre Leistungen unter anderem: »Die Fabrikation der Schwefelsäure, der Soda, das Bleichen und Färben, den Rübenzucker, die therapeutischen Alkaloide, das Gas, die Vergoldung und Versilberung usw.; dann kam die Elektrochemie, welche die Metallurgie von Grund aus umgestaltete, die Thermochemie und die Chemie der Explosivstoffe, welche die Minenindustrie wie die Kriegführung mit neuen Energien versieht, die Wunder der organischen Chemie in der Erzeugung von Farben, Wohlgerüchen, therapeutischen und antiseptischen Mitteln usw.« Das sei aber nur ein Anfang, bald würden viel bedeutendere Probleme gelöst werden. Ums Jahr 2000 werde es keine Landwirtschaft und keine Bauern mehr geben, denn die Chemie werde die bisherige Bodenkulturexistenz aufgehoben haben. Es werde keine Kohlenschächte und also auch keine Bergarbeiterstreiks mehr geben. Die Brennstoffe seien ersetzt durch chemische und physikalische Prozesse. Zölle und Kriege seien abgeschafft; die Luftschifffahrt, die sich der chemischen Stoffe als Bewegungsmittel bediene, habe diesen veralteten Einrichtungen das Todesurteil gesprochen. Das Problem der Industrie bestehe darin, Kraftquellen zu finden, die unerschöpflich sind und mit möglichst wenig Arbeit sich erneuern. Bisher haben wir Dampf erzeugt durch die chemische Energie verbrannter Steinkohlen; aber die Steinkohle sei beschwerlich zu gewinnen und ihr Vorrat nehme von Tag zu Tag ab. Man müsse daran denken, die Sonnenwärme und die Hitze des Erdinnern zu benützen. Es sei begründete Hoffnung vorhanden, beide Quellen in unbegrenzte Verwendung zu nehmen. Einen Schacht von 3000 bis 4000 Meter zu bohren, übersteige nicht das Können der heutigen, noch weniger der künftigen Ingenieure. Damit wäre die Quelle aller Wärme und aller Industrie erschlossen; nehme man noch das Wasser dazu, so könne man auf der Erde alle erdenklichen Maschinen laufen lassen, diese Kraftquelle würde in Hunderten von Jahren kaum eine merkliche Abnahme erfahren.
Mit der Erdwärme würden sich zahlreiche chemische Probleme lösen lassen, darunter das höchste Problem der Chemie, die Herstellung der Nahrungsmittel auf chemischem Weg. Im Prinzip sei es bereits gelöst; die Synthese der Fette und Ule sei längst bekannt, Zucker und Kohlenhydrate kenne man auch schon, und bald werde man die Zusammensetzung der Stickstoffelemente kennen. Das Lebensmittelproblem sei ein rein chemisches; an dem Tage, wo man die entsprechende billige Kraft bekomme, werde man, mit Kohlenstoff aus der Kohlensäure, mit Wasserstoff und Sauerstoff aus dem Wasser und mit Stickstoff aus der Atmosphäre, Lebensmittel aller Art erzeugen. Was die Pflanzen bisher taten, werde die Industrie tun, und vollkommener als die Natur. Es werde die Zeit kommen, wo jedermann eine Dose mit Chemikalien in der Tasche trage, aus der er sein Nahrungsbedürfnis an Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten befriedige, unbekümmert um Tages- und Jahreszeit, um Regen und Trockenheit, um Fröste, Hagel und verheerende Insekten. Dann werde eine Umwälzung eintreten, von der man sich jetzt noch keinen Begriff machen könne. Fruchtfelder, Weinberge und Viehweiden würden verschwinden; der Mensch würde an Milde und Moral gewinnen, weil er nicht mehr vom Mord und von der Zerstörung lebender Wesen lebe. Dann werde auch der Unterschied zwischen fruchtbaren und unfruchtbaren Gegenden fallen, und vielleicht würden die Wüsten der Lieblingsaufenthalt der Menschen, weil es dort gesünder sei als auf dem durchseuchten Schwemmboden und den sumpfigen angefaulten Ebenen, wo jetzt der Ackerbau betrieben werde. Dann werde auch die Kunst samt allen Schönheiten des menschlichen Lebens zu voller Entfaltung gelangen.
Die Erde werde nicht mehr, sozusagen, entstellt durch die geometrischen Figuren, die jetzt der Ackerbau ziehe, sondern sie werde ein Garten, in dem man nach Belieben Gras und Blumen, Busch und Wald wachsen lassen könne, und in dem das Menschengeschlecht im Überfluß, im goldenen Zeitalter leben werde. Der Mensch werde darum nicht der Trägheit und der Korruption verfallen. Zum Glück gehöre die Arbeit, und der Mensch werde arbeiten, soviel wie jemals, weil er nur für sich arbeite, um seine geistige, moralische und ästhetische Entwicklung auf die höchste Stufe zu bringen. Der Leser mag aus dem Vortrag Berthelots für richtig halten, was ihm beliebt, gewiß ist, daß in Zukunft durch die verschiedensten Fortschritte Güte, Massenhaftigkeit und Vielseitigkeit der Produkte in gewaltigem Maßstab wachsen und die Lebensannehmlichkeiten künftiger Generationen sich in kaum geahnter Weise verbessern werden. Professor Elihu Thomson stimmt mit Werner Siemens überein, der bereits im Jahre 1887 auf der Berliner Naturforscherversammlung die Ansicht aussprach, es werde auf elektrischem Wege möglich sein, die Grundstoffe direkt in Nahrungsmittel zu verwandeln. Während Werner Siemens meinte, es könne einmal, wenn auch erst in ferner Zeit, ein Kohlenhydrat, wie etwa der Traubenzucker und später die ihm so nahe verwandte Stärke, künstlich zusammengesetzt werden, womit die Möglichkeit gegeben wäre, »Brot aus Steinen zu machen«, behauptet der Chemiker Dr. V. Meyer, es werde möglich sein, die Holzfaser zu einer Quelle menschlicher Nahrung zu machen. Inzwischen (1890) hat Emil Fischer den Traubenzucker und den Fruchtzucker tatsächlich künstlich hergestellt und damit eine Entdeckung gemacht, die Werner Siemens erst als »in ferner Zeit« wahrscheinlich erachtete. Seitdem hat die Chemie noch weitere Fortschritte gemacht. Indigo, Vanillin, Kampfer sind jetzt künstlich hergestellt. Im Jahre 1906 ist es W. Löb gelungen, die Assimilation der Kohlensäure außerhalb der Pflanze bis zum Zucker durch Einwirkung hoher elektrischer Spannungen durchzuführen. 1907 gewann Emil Fischer einen der kompliziertesten synthetischen Körper, der dem natürlichen Protein (ein Eiweißstoff) sehr nahe ist. Und im Jahre 1908 stellten R. Willstätter und Benz Chlorophyll (Pflanzengrün) in reinem Zustande her und wiesen nach, daß es eine Magnesiumverbindung darstellt. Außerdem ist eine Reihe der wichtigsten Körper, die bei der Fortpflanzung und Vererbung eine Rolle spielen, künstlich hergestellt. Somit ist die Lösung des Hauptproblems der organischen Chemie - Gewinnung des Eiweißes - in den Bereich der nicht allzu fernen Zukunft gerückt.
5. Aufhebung des Gegensatzes zwischen Kopfarbeit und Handarbeit
Ein in der Menschennatur tief begründetes Bedürfnis ist das nach Freiheit der Wahl und die Möglichkeit der Abwechslung der Beschäftigung. Wie beständige Wiederholung schließlich die beste Speise widerlich macht, so ist es mit einer sich täglich tretmühlenartig wiederholenden Tätigkeit; sie stumpft ab und erschlafft. Der Mensch arbeitet nur mechanisch, was er muß, aber ohne höheren Schwung und Genuß. Es liegen in jedem Menschen eine Reihe von Fähigkeiten und Trieben, die nur geweckt und entwickelt zu werden brauchen, um, in Betätigung gesetzt, die schönsten Wirkungen zu erzeugen. Der Mensch wird jetzt erst ein vollkommener Mensch. Diesem Abwechslungsbedürfnis zu genügen, dazu wird die sozialistische Gesellschaft die vollste Gelegenheit bieten. Die gewaltige Steigerung der Produktivkräfte, verbunden mit immer größerer Vereinfachung des Arbeitsprozesses, ermöglicht nicht nur bedeutende Einschränkung der Arbeitszeit, sondern erleichtert auch die Erlernung der verschiedensten Fertigkeiten. Das alte Lehrsystem hat sich bereits überlebt, es existiert nur noch und ist nur noch möglich in rückständigen, veralteten Produktionsformen, wie sie das Kleinhandwerk repräsentiert. Da aber dieses in der neuen Gesellschaft verschwindet, verschwinden damit auch alle ihm eigentümlichen Einrichtungen und Formen. Neue treten an ihre Stelle. Schon gegenwärtig zeigt jede Fabrik, wie wenig Arbeiter sie besitzt, die noch den handwerksmäßig erlernten Beruf verfolgen. Die Arbeiter gehören den verschiedensten Berufen an, meist genügt kurze Zeit, um sie für eine Teilarbeit einzuüben, in der sie dann, entsprechend dem herrschenden Ausbeutungssystem, bei langer Arbeitszeit, ohne Abwechslung und ohne Rücksicht auf ihre Neigung, angespannt sind und an der Maschine selbst zur Maschine werden[16]
Auch dieser Zustand wird bei veränderter Organisation der Gesellschaft aufgehoben. Für Handfertigkeiten und kunstgewerbliche Übungen ist Zeit in Menge vorhanden. Große, mit allem Komfort, technisch aufs vollendetste eingerichtete Lehrwerkstätten erleichtern jungen und Alten die Erlernung einer Tätigkeit. Chemische und physikalische Laboratorien, entsprechend allen Anforderungen an den Stand dieser Wissenschaften, werden vorhanden sein und nicht minder ausreichende Lehrkräfte. Jetzt erst wird man kennenlernen, welch eine Welt von Trieben und Fähigkeiten das kapitalistische Produktionssystem unterdrückte oder in falscher Weise zur Entwicklung kommen ließ[17] Es besteht aber nicht nur die Möglichkeit, dem Abwechslungsbedürfnis Rechnung zu tragen, es muß der Zweck der Gesellschaft sein, seine Befriedigung zu verwirklichen, weil mit darauf die harmonische Ausbildung des Menschen beruht. Die Berufsphysiognomien, die heute unsere Gesellschaft aufweist - bestehe dieser Beruf in bestimmten einseitigen Leistungen irgendeiner Art oder in der Faulenzerei - werden allmählich verschwinden. Es gibt gegenwärtig außerordentlich wenig Menschen, die eine Abwechslungsmöglichkeit in ihrer Tätigkeit besitzen. Manchmal finden sich durch besondere Verhältnisse Begünstigte, die sich dem Einerlei des Tagesberufs entziehen und, nachdem sie der physischen Arbeit ihren Tribut gezollt, sich bei geistiger erholen. Umgekehrt finden wir ab und zu geistig Arbeitende, die sich mit irgendeiner Handwerkstätigkeit, mit Gartenbau usw. beschäftigen. Die wohltuende Wirkung einer Tätigkeit, die auf der Abwechslung von geistiger und körperlicher Arbeit beruht, wird jeder Hygieniker bestätigen, sie allein ist naturgemäß. Voraussetzung ist, daß jede Tätigkeit mit Maß geübt wird und den individuellen Kräften entspricht. In seiner Schrift »Die Bedeutung der Wissenschaft und der Kunst« geißelt Graf Leo Tolstoi den hypertrophischen und unnatürlichen Charakter, den bei der Unnatur unserer Gesellschaft Kunst und Wissenschaft angenommen haben. Er verurteilt aufs schärfste die Verachtung der physischen Arbeit, die in der heutigen Gesellschaft Platz gegriffen hat, und empfiehlt die Rückkehr zu natürlichen Verhältnissen. Es gelte für jeden Menschen, der naturgemäß und mit Genuß leben wolle, den Tag zu verbringen erstens mit körperlicher Arbeit im Ackerbau, zweitens mit handwerksmäßiger Arbeit, drittens mit geistiger Arbeit, viertens mit gebildetem geselligem Verkehr. Mehr als acht Stunden physische Arbeit sollte der Mensch nicht leisten. Tolstoi, der diese Lebensweise praktisch übt und, seitdem er sie übt, wie er sagt, sich erst als Mensch fühlt, übersieht nur, daß, was für ihn, den unabhängigen Mann, möglich ist, für die große Masse der Menschen unter den heutigen Verhältnissen unmöglich ist. Ein Mensch, der täglich zehn bis zwölf und manchmal mehr Stunden schwer arbeiten muß, um die kümmerlichste Existenz sich zu sichern, und in Unwissenheit erzogen wurde, kann sich die Tolstoische Lebensweise nicht verschaffen. Das können auch alle diejenigen nicht, die im Kampfe um die Existenz stehen und deren Anforderungen sich fügen müssen, und die wenigen, die es gleich Tolstoi könnten, haben in ihrer Mehrzahl kein Bedürfnis dazu. Es ist eine jener Illusionen, der Tolstoi sich hingibt, zu glauben, durch Predigt und Beispiel Gesellschaften umändern zu können. Die Erfahrungen, die Tolstoi mit seiner Lebensweise macht, beweisen, wie rationell sie ist, aber um diese Lebensweise als allgemeine Sitte einführen zu können, bedarf es anderer gesellschaftlicher Verhältnisse, einer neuen Gesellschaft.
Die künftige Gesellschaft wird diese Verhältnisse haben, sie wird Gelehrte und Künstler jeder Art in ungezählter Menge besitzen, aber jeder derselben wird einen Teil des Tages physisch arbeiten und in der übrigen Zeit nach Geschmack seinen Studien und Künsten geselligem Umgang obliegen[18]
Der bestehende Gegensatz zwischen Kopfarbeit und Handarbeit, ein Gegensatz, den die herrschenden Klassen nach Möglichkeit verschärfen, um sich auch die geistigen Mittel zur Herrschaft zu sichern, wird also aufgehoben werden müssen.
6. Steigerung der Konsumtionsfähigkeit
Aus dem bisher Gesagten geht ferner hervor, daß Zeiten der Krise und der Arbeitslosigkeit in der künftigen Gesellschaft unmöglich sind. Die Krisen entspringen dem Umstand, daß die kapitalistische Produktion, gereizt durch den Profit und ohne jedes zuverlässige Maß für den wirklichen Bedarf, die Überfüllung des Warenmarktes, die Überproduktion, erzeugt. Der Charakter der Produkte unter der kapitalistischen Wirtschaftsordnung als Waren, die ihre Besitzer auszutauschen bestrebt sind, macht den Verbrauch der Waren von der Kauffähigkeit der Konsumenten abhängig. Die Kauffähigkeit ist aber bei der ungeheuren Mehrheit der Bevölkerung, die für ihre Arbeitsleistung unterwertig bezahlt wird und für dieselbe keine Verwendung findet, wenn ihr Anwender nicht Mehrwert aus derselben pressen kann, beschränkt. Kauffähigkeit und Konsumtionsfähigkeit sind in der bürgerlichen Welt zwei verschiedene Dinge. Viele Millionen haben Bedürfnisse nach neuen Kleidern, Schuhen, Möbeln, Wäsche, nach Eß- und Trinkwaren, aber sie besitzen kein Geld, und so bleiben ihre Bedürfnisse, das heißt, es bleibt ihre Konsumtionsfähigkeit unbefriedigt. Der Warenmarkt ist überfüllt, aber die Masse hungert; sie will arbeiten, aber sie findet niemand, der ihre Arbeit kauft, weil der Unternehmer nichts dabei verdienen kann. Stirb, verdirb, werde Vagabund, Verbrecher; ich, der Kapitalist, kann es nicht ändern, ich kann keine Waren gebrauchen, für die ich mit entsprechendem Profit keinen Abnehmer habe. Und der Mann hat in seiner Art vollkommen recht. In der neuen Gesellschaft wird dieser Widerspruch beseitigt sein. Diese produziert nicht »Waren», um zu »kaufen« und zu »verkaufen«, sondern sie produziert Lebensbedürfnisse, die verbraucht, konsumiert werden, sonst haben sie keinen Zweck. Bei ihr findet die Konsumtionsfähigkeit nicht, wie in der bürgerlichen Welt, an der Kauffähigkeit des einzelnen ihre Grenze, sondern an der Produktionsfähigkeit der Gesamtheit. Sind Arbeitsmittel und Arbeitskräfte vorhanden, so kann jedes Bedürfnis befriedigt werden. Die gesellschaftliche Konsumtionsfähigkeit findet ihre Schranke nur in der Gesättigtheit der Konsumenten. Gibt es aber in der neuen Gesellschaft keine »Waren«, so gibt es schließlich auch kein Geld. Geld ist scheinbar der Gegensatz von Ware, aber es ist selbst Ware! Aber Geld, obgleich selbst Ware, ist zugleich die gesellschaftliche Äquivalentform, der Wertmesser für alle anderen Waren. Die neue Gesellschaft produziert aber nicht Waren, sondern Bedürfnisgegenstände, Gebrauchswerte, deren Herstellung ein gewisses Maß gesellschaftlicher Arbeitszeit erfordert. Die Arbeitszeit, die durchschnittlich nötig ist, um einen Gegenstand herzustellen, ist allein das Maß, an dem er für den gesellschaftlichen Gebrauch gemessen wird. Zehn Minuten gesellschaftlicher Arbeitszeit in einem Gegenstand sind gleich zehn Minuten gesellschaftlicher Arbeitszeit in einem anderen, nicht mehr und nicht weniger. Die Gesellschaft will nicht »verdienen«, sie will nur den Austausch von Gegenständen gleicher Qualität, gleichen Gebrauchswerts unter ihren Gliedern bewerkstelligen, und schließlich hat sie nicht einmal nötig, einen Gebrauchswert festzusetzen, sie produziert, was sie bedarf. Findet zum Beispiel die Gesellschaft, daß zur Herstellung aller benötigten Produkte eine tägliche dreistündige Arbeitszeit nötig ist, so setzt sie eine dreistündige fest.[19] Verbessern sich die Produktionsmethoden so, daß der Bedarf schon in zwei Stunden hergestellt werden kann, setzt sie zwei Stunden Arbeitszeit fest. Verlangt dagegen die Gesamtheit die Befriedigung höherer Bedürfnisse, als trotz Zunahme der Zahl der Arbeitskräfte und erhöhter Produktivität des Arbeitsprozesses in zwei oder drei Stunden hergestellt werden können, so setzt sie mehr Stunden fest. Ihr Wille ist ihr Himmelreich. Wieviel jedes einzelne Produkt an gesellschaftlicher Arbeitszeit zur Herstellung bedarf, ist leicht zu berechnen.[20] Danach bemißt sich das Verhältnis dieses Arbeitszeitteils zur ganzen Arbeitszeit. Irgendein Zertifikat, ein bedrucktes Stück Papier, Gold oder Blech, bescheinigt die geleistete Arbeitszeit und setzt den Inhaber in die Lage, diese Zeiten gegen Bedürfnisgegenstände der verschiedensten Arten auszutauschen.[21] Findet er, daß seine Bedürfnisse geringer sind, als was er für seine Leistungen erhält, so arbeitet er entsprechend kürzere Zeit. Will er das Nichtverbrauchte verschenken, niemand hindert ihn daran; will er freiwillig für einen anderen arbeiten, damit dieser dem Dolce far niente obliegen kann, oder will er seine Ansprüche an die Gesellschaftsprodukte mit ihm teilen, niemand wehrt es ihm. Aber zwingen kann ihn niemand, zum Vorteil eines anderen zu arbeiten, niemand kann ihm einen Teil der Ansprüche für seine Arbeitsleistung vorenthalten. jeder kann allen erfüllbaren Wünschen und Ansprüchen Rechnung tragen, aber nicht auf Kosten anderer. Er bekommt, was er der Gesellschaft leistet, nicht mehr, nicht weniger, und bleibt jeder Ausbeutung durch einen Dritten entzogen.
7. Gleichheit der Arbeitspflicht für alle
»Aber wo bleibt der Unterschied zwischen Faulen und Fleißigen, zwischen Intelligenten und Dummen?« Das ist eine der Hauptfragen unserer Gegner, und die gegebene Antwort macht ihnen den größten Kopfschmerz. Daß zum Beispiel in unserer Beamtenhierarchie dieser Unterschied zwischen »Faulen« und »Fleißigen«, »Intelligenten« und »Dummen« nicht gemacht wird, sondern das Dienstalter über die Höhe des Gehaltes und meist auch über das Avancement entscheidet, es sei denn, es wird eine besondere Vorbildung für einen höheren Posten erfordert, daran denkt keiner dieser Pfiffikusse und Neunmalweisen. Der Lehrer, der Professor - und es sind besonders die letzteren die naivsten Frager - rücken auf das Gehalt ein, das die Stelle bringt, nicht infolge ihrer Qualität. Wie in vielen Fällen die Avancements in unserer Militär-, Beamten- und Gelehrtenhierarchie nicht dem Tüchtigsten, sondern dem durch Geburt, Verwandtschaft, Freundschaft, Frauengunst Beglückten zufallen, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Daß aber auch der Reichtum sich nicht nach Fleiß und Intelligenz bemißt, beweisen schlagend die in der ersten Klasse des preußischen Dreiklassenwahlsystems wählenden Berliner Wirte, Bäcker, Fleischer, die manchmal nicht den Dativ vom Akkusativ unterscheiden können, wohingegen die Berliner Intelligenz, die Männer der Wissenschaft, die höchsten Beamten des Reiches und des Staates in der zweiten oder dritten Klasse wählen. Einen Unterschied zwischen Faulen und Fleißigen, Intelligenten und Dummen gibt's nicht, weil, was wir darunter verstehen, verschwunden ist. »Faulenzer« nennt zum Beispiel die Gesellschaft den, welcher aus der Arbeit geworfen, zum Vagabundieren gezwungen ist und schließlich wirklich Vagabund wird, oder den, der, unter schlechter Erziehung aufgewachsen, verwahrloste. Wer aber den, der im Gelde sitzt und mit Nichtstun und Schlemmen die Zeit totschlägt, einen Faulenzer nennt, begeht eine Beleidigung, denn dieser ist ein »ehrenwerter« Mann. Wie liegen nun in der neuen Gesellschaft die Dinge? Alle entwickeln sich unter gleichen Lebensbedingungen, und jeder ist dort tätig, wohin Neigung und Geschicklichkeit ihn hinweisen, daher werden die Unterschiede in der Leistung nur geringere sein.[22] Die Atmosphäre der Gesellschaft, die jeden anregt, es dem anderen zuvorzutun, hilft ebenfalls die Unterschiede auszugleichen. Findet einer, daß er auf einem Gebiet nicht zu leisten vermag, was andere leisten, so wählt er sich ein anderes, das seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht. Wer mit einer größeren Zahl Menschen in einem Betrieb zusammenarbeitete, weiß, daß, wer in einer gewissen Tätigkeit als unfähig und unbrauchbar sich erwies, an einen anderen Posten gestellt, denselben aufs beste ausfüllte. Es gibt keinen normal angelegten Menschen, der nicht in der einen oder anderen Tätigkeit, sobald er an den richtigen Platz gestellt wird, selbst den höchsten Ansprüchen gerecht wird. Mit welchem Rechte verlangt einer einen Vorzug vor dem anderen? Ist jemand von der Natur so stiefmütterlich bedacht, daß er beim besten Willen nicht zu leisten vermag, was andere leisten, so kann ihn die Gesellschaft für die Fehler der Natur nicht strafen. Hat umgekehrt jemand durch die Natur Fähigkeiten erhalten, die ihn über die anderen erheben, so ist die Gesellschaft nicht verpflichtet, zu belohnen, was nicht sein persönliches Verdienst ist, Für die sozialistische Gesellschaft kommt weiter in Betracht, daß alle die gleichen Lebens- und Erziehungsbedingungen haben, daß jedem die Möglichkeit geboten ist, sein Wissen und Können entsprechend seinen Anlagen und Neigungen auszubilden, und so ist auch hierdurch die Gewähr gegeben, daß in der sozialistischen Gesellschaft nicht nur das Wissen und Können viel höher ist als in der bürgerlichen, sondern daß es auch gleichmäßiger verteilt und dennoch vielgestaltiger ist.
Als Goethe auf einer Rheinreise den Kölner Dom studierte, machte er in den Bauakten die Entdeckung daß die alten Baumeister ihre Arbeiter gleich hoch nach der Zeit bezahlten; sie taten es, weil sie gute und gewissenhaft ausgeführte Arbeit haben wollten. Das erscheint der bürgerlichen Gesellschaft vielfach als eine Anomalie. Sie führte das Stücklohnsystem ein, durch das sich die Arbeiter gegenseitig zum überarbeiten zwingen, damit der Unternehmer um so leichter die Unterbezahlung, die Herabsetzung der Löhne vornehmen kann. Wie mit der materiellen Arbeitsleistung ist es mit der geistigen bestellt. Der Mensch ist das Produkt von Zeit und Umständen, in denen er lebt. Ein Goethe, unter gleich günstigen Entwicklungsbedingungen im vierten statt im achtzehnten Jahrhundert geboren, wäre wahrscheinlich statt ein berühmter Dichter und Naturforscher ein großer Kirchenvater geworden, der vielleicht St. Augustin in den Schatten stellte. Wäre dagegen Goethe statt als Sohn eines reichen Frankfurter Patriziers als Sohn eines armen Schusters in Frankfurt zur Welt gekommen, er wäre kaum großherzoglich weimarischer Minister geworden, sondern wäre höchstwahrscheinlich ein Schuster geblieben und als ehrsamer Schustermeister gestorben. Goethe selbst anerkannte den Vorteil, den es für ihn hatte, daß er in materiell und gesellschaftlich günstiger Stellung geboren worden war und dadurch zu seiner Entwicklung gelangte; so in seinem »Wilhelm Meister«. Wäre Napoleon I. zehn Jahre später geboren worden, er konnte nie Kaiser von Frankreich werden. Auch wäre ohne den Krieg von 1870/71 Gambetta nie geworden, was er geworden ist. Setzt das gut veranlagte Kind intelligenter Eltern unter Wilde, und es wird ein Wilder. Was also einer ist, das hat die Gesellschaft aus ihm gemacht. Die Ideen sind nicht ein Produkt, das durch höhere Inspiration von oben in dem Kopfe eines einzelnen entspringt, sondern ein Produkt, das durch das gesellschaftliche Leben und Weben, in dem er sich bewegt, »den Zeitgeist«, im Kopfe des einzelnen erzeugt wird. Ein Aristoteles konnte nicht die Ideen eines Darwin haben, und ein Darwin mußte anders denken als ein Aristoteles. jeder denkt, wie der Geist der Zeit, das heißt seine Umgebung und ihre Erscheinungen, ihn zu denken zwingen. Daher die Wahrnehmung, daß oft verschiedene Menschen gleichzeitig ein und dasselbe denken, daß gleichzeitig ein und dieselben Erfindungen oder Entdeckungen auf weit voneinander liegenden Punkten gemacht werden. Daher auch die Tatsache, daß eine Idee, die fünfzig Jahre früher ausgesprochen, die Welt kalt ließ, aber fünfzig Jahre später wiederholt, die ganze Welt in Bewegung setzt. Kaiser Sigismund konnte 1415 wagen, Hus sein Wort zu brechen und in Konstanz ihn verbrennen zu lassen; Karl V., obgleich ein weit größerer Fanatiker, mußte 1521 Luther vom Reichstag zu Worms seines Weges ziehen lassen. Die Ideen sind das Produkt gesellschaftlichen Zusammenwirkens, gesellschaftlichen Lebens. Und was von der Gesellschaft im allgemeinen gilt, gilt im besonderen von den verschiedensten Klassen, aus welchen eine Gesellschaft in einer bestimmten geschichtlichen Epoche zusammengesetzt ist. Weil jede Klasse ihre besonderen Interessen hat, besitzt sie auch ihre besonderen Ideen und Anschauungen, die zu jenen Klassenkämpfen führen, von welchen die geschichtlich bekannten Zeitalter der Menschen erfüllt sind und die in den Klassengegensätzen und Klassenkämpfen der Gegenwart ihren Höhepunkt erreichten. Es kommt also nicht allein darauf an, in welchem Zeitalter jemand lebt, sondern auch, in welcher Gesellschaftsschicht eines bestimmten Zeitalters er lebt, wodurch sein Fühlen, Denken und Handeln bestimmt wird. Ohne die moderne Gesellschaft existieren keine modernen Ideen. Das scheint uns klar und einleuchtend. Für die neue Gesellschaft kommt hinzu, daß die Mittel, die jeder für seine Ausbildung in Anspruch nimmt, das Eigentum der Gesellschaft sind. Die Gesellschaft kann also nicht verpflichtet sein, das besonders zu honorieren, was sie erst möglich gemacht hat und was ihr eigenes Produkt ist. Soviel über die Qualifikation physischer und geistiger Arbeit. Hieraus ergibt sich weiter, daß auch kein Unterschied zwischen höherer und niederer Arbeit bestehen kann, wie zum Beispiel nicht selten heute ein Mechaniker sich mehr dünkt als ein Tagarbeiter, der Straßenarbeiten und dergleichen verrichtet.
Die Gesellschaft läßt nur gesellschaftlich nützliche Arbeiten verrichten, und so ist jede Arbeit für die Gesellschaft gleichwertig. Können unangenehme, widerliche Arbeiten nicht auf mechanischem respektive chemischem Wege verrichtet und durch irgendwelchen Prozeß in angenehme Arbeiten umgewandelt werden - was bei den Fortschritten, die wir auf technischem und chemischem Gebiet gemacht haben, gar nicht zu bezweifeln ist -, und sollten sich freiwillig die nötigen Kräfte nicht finden, so tritt für jeden die Verpflichtung ein, sobald die Reihe an ihn kommt, sein Maß Arbeit zu leisten. Da gibts keine falsche Scham und keine widersinnige Verachtung nützlicher Arbeit. Diese besteht nur in unserem Drohnenstaat, in dem das Nichtstun als beneidenswertes Los angesehen wird und der Arbeiter um so verachteter ist, je härter, mühevoller und unangenehmer die Arbeiten sind, die er verrichtet, und je notwendiger sie für die Gesellschaft sich erweisen. Heute wird die Arbeit in demselben Maße schlechter bezahlt, als sie unangenehmer ist. Der Grund ist, daß wir eine Menge auf niederster Kulturstufe gehaltene Arbeitskräfte haben, die durch die beständige Revolutionierung des Produktionsprozesses als Reservearmee auf dem Pflaster liegt, und diese Kräfte, um zu leben, sich für die niedrigsten Arbeiten zu Preisen hergeben, daß für solche Arbeiten sogar die Einführung von Maschinen »unrentabel« ist. Zum Beispiel ist Steineklopfen sprichwörtlich eine der schlechtest bezahlten und unangenehmsten Arbeiten. Es wäre aber eine Kleinigkeit, das Steineklopfen wie in den Vereinigten Staaten durch Maschinen verrichten zu lassen, aber wir haben eine solche Menge billiger Arbeitskräfte, daß die Maschine sich nicht »rentiert«.[23] Straßenreinigen, Kloakenräumen, Schuttfahren, Tiefbauarbeiten usw. aller Art ließen sich schon bei dem heutigen Stande unserer Entwicklung mit Hilfe von Maschinen und technischen Einrichtungen in einer Weise erledigen, daß sie keine Spur von den Unannehmlichkeiten mehr haben, die damit vielfach für die Arbeiter verknüpft sind. Genau genommen ist aber ein Arbeiter, der Kloaken auspumpt, um die Menschen vor gesundheitsgefährlichen Miasmen zu schützen, ein sehr nützliches Glied der Gesellschaft, wohingegen ein Professor, der gefälschte Geschichte im Interesse der herrschenden Klassen lehrt, oder ein Theologe, der mit übernatürlichen transzendenten Lehren die Gehirne zu umnebeln sucht, äußerst schädliche Individuen sind. Unser heute in Amt und Würden stehendes Gelehrtentum repräsentiert zu einem großen Teil eine Gilde, die dazu bestimmt und bezahlt ist, die Herrschaft der leitenden Klassen mit der Autorität der Wissenschaft zu verteidigen und zu rechtfertigen, sie als gerecht und notwendig erscheinen zu lassen sowie die vorhandenen Vorurteile zu erhalten. In Wahrheit treibt diese Gilde zu einem erheblichen Teile Afterwissenschaft, Gehirnvergiftung, kulturfeindliche Arbeit, geistige Lohnarbeit im Interesse der Bourgeoisie und ihrer Klienten.[24] Ein Gesellschaftszustand, der künftig die Existenz solcher Elemente unmöglich macht, vollzieht eine menschheitsbefreiende Tat. Andererseits ist echte Wissenschaft oft mit sehr unangenehmer, widerlicher Arbeit verbunden. Zum Beispiel, wenn ein Arzt eine im Fäulnisprozeß befindliche Leiche seziert oder eiternde Körperteile operiert; oder wenn ein Chemiker Exkremente untersucht. Es sind dieses Arbeiten, die häufig widerlicher sind als die widerlichsten Arbeiten, die Taglöhner und ungelernte Arbeiter verrichten. Dieses anzuerkennen, daran denkt niemand. Der Unterschied besteht darin, daß die eine Arbeit, um getan zu werden, ein umfassendes Studium erfordert, die andere von jedem ohne großes Studium verrichtet werden kann. Daher die grundverschiedene Beurteilung. Aber in einer Gesellschaft, in der durch die allen gewährte höchste Bildungsmöglichkeit die heute bestehenden Unterscheidungen zwischen gebildet und ungebildet verschwinden, werden auch die Gegensätze zwischen gelernter und ungelernter Arbeit verschwinden, um so mehr, da die Entwicklung der Technik keine Grenzen kennt, wonach Handarbeit nicht von der Maschine oder durch technische Prozesse verrichtet werden könnte. Man sehe nur die Entwicklung unserer Kunsthandwerke, zum Beispiel der Kupferstecherei, der Xylographie usw., an. Wie die unangenehmsten Arbeiten oft die nützlichsten sind, so ist auch unser Begriff über angenehme und unangenehme Arbeit, wie so viele andere Begriff e in der bürgerlichen Welt, ein oberflächlicher, der nur an Äußerlichkeiten haftet.
8. Aufhebung des Handels. Umgestaltung des Verkehrs
Sobald die gesamte Produktion der neuen Gesellschaft auf eine ähnliche Basis wie die skizzierte gestellt ist, produziert sie, wie schon bemerkt, nicht mehr Waren, sondern Gebrauchsgegenstände für den Bedarf der Gesellschaft. Damit hört auch der Handel auf, soweit nicht der Verkehr mit anderen Völkern, die noch auf bürgerlicher Grundlage stehen, die alte Form des Handels notwendig macht, der nur in einer auf Warenproduktion beruhenden Gesellschaft Sinn und Existenzmöglichkeit hat. Dadurch wird eine große Armee von Personen beider Geschlechter für die produktive Tätigkeit mobil. Diese große Armee wird frei für die Produktion; sie erzeugt nunmehr Bedarfsartikel und ermöglicht einen größeren Verbrauch von solchen, oder ihre Anwendung fördert die Einschränkung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Heute ernähren sich diese Personen mehr oder weniger als Parasiten von dem Arbeitsprodukt anderer und müssen, wie nicht bestritten werden soll, sich oft fleißig mühen und sorgen, ohne eine angemessene Existenz zu finden. In der neuen Gesellschaft sind sie als Handeltreibende, Wirte, Makler, Vermittler überflüssig. An Stelle der Dutzenden, Hunderten und Tausenden von Läden und Handelslokalitäten aller Art, die gegenwärtig jede Gemeinde im Verhältnis zu ihrer Größe besitzt, treten große Gemeindevorratshäuser, elegante Basare, ganze Ausstellungen, die ein verhältnismäßig geringes Verwaltungspersonal beanspruchen. Das ganze Getriebe des Handels wird in eine zentralisierte, rein verwaltende Tätigkeit umgewandelt, die äußerst einfache Verrichtungen zu erfüllen hat und durch die Zentralisation aller gesellschaftlichen Einrichtungen immer mehr vereinfacht wird. Eine ähnliche Umgestaltung erfährt das gesamte Verkehrswesen. Telegraphen, Telephonwesen, Eisenbahnen, Posten, Fluß- und Seeschiffe, Straßenbahnen, Last- und Personenautomobile, Luftschiffe und Flugapparate und wie immer die Einrichtungen und Vehikel heißen, die den Verkehr der Gesellschaft vermitteln, sind nunmehr Gesellschaftseigentum. Viele dieser Anstalten, wie die Post, die Telegraphen, das Telephonwesen, die meisten Eisenbahnen, sind in Deutschland schon Staatsinstitute, ihre Umwandlung in Gemeineigentum ist nur eine Formsache. Hier sind keine Privatinteressen mehr zu verletzen. Arbeitet der Staat in der jetzigen Richtung weiter, um so besser. Aber diese staatlich verwalteten Betriebe sind keine sozialistischen Betriebe, wie irrtümlich angenommen wird. Es sind Betriebe, die vom Staate ebenso kapitalistisch ausgebeutet werden wie in Händen der Privatunternehmer. Weder die Beamten noch die Arbeiter haben einen besonderen Vorteil davon. Der Staat behandelt sie nicht anders als ein Privatunternehmer; wenn zum Beispiel in den Etablissements der Reichsmarine und der Eisenbahnverwaltung Verordnungen erlassen werden, über vierzig Jahre alte Arbeiter nicht in Arbeit zu nehmen, so ist das eine Maßregel, die den Klassencharakter des Staates als Staat der Ausbeuter an der Stirne trägt und die Arbeiter gegen den Staat empören muß. Solche und ähnliche Maßregeln, vom Staate als Arbeitgeber ausgehend, sind aber weit schlimmer, als gingen sie vom Privatunternehmer aus. Letzterer ist gegenüber dem Staate immer ein kleiner Unternehmer, und die Beschäftigung, die er versagt, gewährt vielleicht ein anderer. Der Staat hingegen kann durch solche Maximen als monopolisierter Arbeitgeber mit einem Schlage Tausende ins Elend stoßen. Das ist also nicht sozialistisch, sondern kapitalistisch gehandelt, und die Sozialisten haben allen Grund, sich dagegen zu verwahren, daß der heutige Staatsbetrieb als sozialistischer Betrieb angesehen und als Verwirklichung sozialistischer Bestrebungen betrachtet wird. Wie an Stelle der Millionen Privatunternehmer, Händler und Mittelspersonen aller Art große zentralisierte Anstalten treten, so nimmt auch das gesamte Transportwesen eine andere Gestalt an. Die Millionen kleiner Sendungen, die täglich an fast ebenso viele Eigentümer gehen und eine große Verschwendung an Arbeit, Zeit und Materialien aller Art bedeuten, wachsen jetzt zu großen Transporten an, die nach den Gemeindedepots und Zentralproduktionsstätten befördert werden. Die Arbeit wird also auch hier sehr vereinfacht. Wie zum Beispiel der Transport von Rohmaterialien für einen Betrieb von tausend Arbeitern sich viel einfacher gestaltet als für Hunderte zerstreut liegender Kleinbetriebe, so werden die zentralisierten Produktions- und Distributionsstätten für ganze Gemeinden oder Teile derselben eine sehr bedeutende Ersparnis aller Art herbeiführen. Das kommt der ganzen Gesellschaft, aber auch jedem einzelnen zustatten, denn das Gemeininteresse und das persönliche Interesse decken sich jetzt. Die Physiognomie unserer Produktionsstätten, des Verkehrsmittelwesens und insbesondere auch unserer Wohnorte wird dadurch gänzlich verändert, sie gewinnen ein viel erfreulicheres Aussehen. Das nervenzerstörende Geräusch, Gedränge und Gerenne unserer großen Städte mit ihren Tausenden von Vehikeln aller Art hört im wesentlichen auf. Der Straßenbau, die Straßenreinigung, die ganze Wohn- und Lebensweise, der Verkehr der Menschen untereinander, alles erfährt eine große Umgestaltung. Nunmehr können hygienische Maßregeln mit Leichtigkeit durchgeführt werden, die heute gar nicht oder nur mit den größten Kosten und nur unvollkommen durchzuführen sind und oft genug nur für die vornehmeren Viertel durchgeführt werden. Das Kommunikationswesen muß unter solchen Verhältnissen seine höchste Vervollkommnung erfahren; vielleicht ist dann die Luftschifffahrt das vornehmste Verkehrsmittel. Die Verkehrsmittel sind die Adern, welche den Produktenaustausch - die Blutzirkulation - durch die ganze Gesellschaft leiten, die persönlichen und geistigen Beziehungen der Menschen vermitteln, sie sind deshalb im höchsten Grade geeignet, ein gleiches Niveau von Wohlbefinden und Bildung, durch die ganze Gesellschaft zu verbreiten. Die Ausdehnung und Verzweigung der vollkommensten Verkehrsmittel bis in die entlegensten Orte der Provinzen ist also eine Notwendigkeit und ein allgemeines gesellschaftliches Interesse. Hier erstehen der neuen Gesellschaft Aufgaben, die jene weit übertreffen, welche die gegenwärtige sich stellen kann. Auch wird dieses aufs höchste vervollkommnete Kommunikationssystem die Dezentralisierung der gegenwärtig in den Großstädten und Industriezentren aufgehäuften Menschenmassen über das ganze Land begünstigen und so für die Gesundheit wie für die geistige und materielle Kulturförderung von der entscheidendsten Bedeutung werden.