Vorrede zur vierunddreißigsten Auflage

Seit der fünfundzwanzigsten Auflage dieser Schrift habe ich eine Ergänzung oder teilweise Umarbeitung derselben unterlassen. Aber die fortgesetzte Nachfrage nach dem Buche ließ es mir wünschenswert erscheinen, wieder eine Revision seines Inhalts vorzunehmen. An den Grundanschauungen, die bisher in dem Buche zum Ausdruck kamen, fand ich nichts zu ändern. Wohl aber habe ich eine Reihe neuer Tatsachen, die seit dem Erscheinen der fünfundzwanzigsten Auflage bekannt wurden, berücksichtigt und ebenso eine Reihe neuer literarischer Erscheinungen, die beachtenswerte Auffassungen enthielten, in den Kreis seiner Erörterungen gezogen.
Auch sind eine Reihe von Mitteilungen und Winken, die mir wiederum aus dem Kreise seiner Leser zugingen und wofür ich den Betreffenden hiermit meinen verbindlichsten Dank ausspreche, berücksichtigt worden. Um das Buch an Umfang nicht noch weiter anschwellen zu lassen, war ich genötigt, unter dem zugeströmten Material eine begrenzte Auswahl zu treffen. Es wäre bei der Masse des vorhandenen Stoffes ein leichtes gewesen, seinen Inhalt zu verdoppeln. Gegen eine solche Erweiterung sprachen aber die verschiedensten Gründe.
Was das Buch bezweckt und, wie ich wohl sagen darf, in hohem Grade erreichte Bekämpfung der Vorurteile, die der vollen Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sowie die Propaganda für die sozialistischen Ideen, deren Verwirklichung allein der Frau ihre soziale Befreiung verbürgen -, wird es auch in der nunmehr vorliegenden Gestalt und, wie ich hoffe, in noch höherem Grade erreichen. Vergeht doch kein Tag, der dem Denkenden nicht immer neue Belege dafür bringt, daß nur eine Umgestaltung von Staat und Gesellschaft von Grund aus der immer größer werdenden Zerrüttung unserer staatlichen und sozialen Zustände ein Ende bereiten kann.
Die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer solchen Umgestaltung hat nicht nur immer weitere Kreise der proletarischen Frauenwelt ergriffen, auch die bürgerliche Frauenbewegung ist in ihren Bestrebungen immer weitergetrieben worden und stellt Forderungen, die früher nur die vorgeschrittensten Elemente zu stellen wagten.
Die Frauenbewegung hat in fast allen Kulturländern von Jahr zu Jahr immer mehr Boden gefaßt, und wenn in dieser Bewegung auch noch viel Unklares und Halbes zu finden ist, diese Unzulänglichkeit bleibt den in ihr tätigen Elementen auf die Dauer nicht verborgen; sie werden weitergetrieben, sie mögen wollen oder nicht.
Ein ganz besonderes Merkzeichen von dem Fortschritt der Bewegung ist die gewaltig angeschwollene Literatur über die Frauenfrage, die genau zu verfolgen die Kräfte eines einzelnen übersteigt. Wohl hält auch hier nur selten die Qualität mit der Quantität Schritt, aber sie ist ein Zeichen der geistigen Regsamkeit, und schließlich ist auf anderen Gebieten geistiger Tätigkeit dieser Unterschied nicht minder groß.
Die Hauptsache ist, die Bewegung marschiert, und was etwa die Einsicht der einzelnen versieht, verbessert der Instinkt der Masse, die, einmal in Bewegung gebracht, ihren Weg nicht verfehlt.
Berlin-Schöneberg, den 15. November 1902
A. BEBEL

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Vorwort