Vorwort

Die Frau und der Sozialismus ist vor fast 100 Jahren zum erstenmal erschienen. Bebel, der sein Buch mit dem Satz schloß:

»Dem Sozialismus gehört die Zukunft, das heißt in erster Linie dem Arbeiter und der Frau«

hatte sicher nicht erwartet, daß es nach so langer Zeit immer noch so aktuell sein würde, und es notwendig ist, das Buch kommentiert und bearbeitet neu herauszugeben.
Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem Fortdauern der Unterdrückung sowohl der Arbeiter als auch der Frauen. Zwar ist vieles, was Bebel erkämpfenswert schien, heute verwirklicht. Doch ist das Hauptziel, nämlich Selbstbestimmung und Abschaffung jeder Form von Unterdrückung, immer noch nicht erreicht.
Bebel verstand sein Buch als Kampfschrift für die Verwirklichung dieser Ziele - für den Sozialismus und gegen die Unterdrückung der Frauen. Dabei zielte er sowohl auf die Vorurteile der bürgerlichen Wissenschaft als auch auf die eigenen Genossen.

Die Geschichte hat das Buch zu einem Klassiker der Arbeiterbewegung gemacht und es so den aktuellen Auseinandersetzungen entzogen.
Trotzdem wird es von Frauen immer noch in der Hoffnung gelesen, Antworten auf ihre Probleme zu erhalten. Ihre Enttäuschung verbergen sie dann hinter Bemerkungen wie z. B. der, daß das Buch eine gute Einführung in den Marxismus für sie war. Die von Bebel behandelten Probleme scheinen von denen der Frauen heute so verschieden, daß nur die Übereinstimmung über die immer noch bestehende Unterdrückung, der Frauen bleibt.
Aufgrund dieser Rezeption war der oberste Gesichtspunkt für meine Bearbeitung des Buches, den ursprünglichen Charakter einer Kampfschrift wiederherzustellen. Es soll für die Frauen von heute verwendbar sein. Man soll es nicht unverbindlich lesen können, als geistigen Ausflug in die Vergangenheit, die mit der Gegenwart nichts zu tun hat. Mit meiner Bearbeitung möchte ich dazu beitragen, Bebels Buch davor zu bewahren, in hundert Jahren aus aktuellem Anlaß erneut bearbeitet zu werden. Vielmehr hoffe ich, daß es dann getrost als Klassiker angesehen werden kann.
Wenn ich sage, daß ich Bebel nicht als Klassiker betrachte, weil das von ihm behandelte Problem immer noch nicht gelöst ist, dann bedeutet das auch, daß es mir nicht um die Ehrfurcht vor einem unvergänglichen Werk geht, sondern um die Ehrfurcht vor Bebels Absichten. Aus diesem Grund schien es mir legitim, die beiden Abschnitte, in denen Bebel sich mit der Situation seiner Zeit auseinandersetzt - »Die Frau in der Gegenwart« und »Staat und Gesellschaft« - zu kürzen und zu kommentieren und das Kapitel »Bevölkerungsfrage und Sozialismus« zu streichen.  Ich hielt es für wichtig, niemanden durch langatmige alte Statistiken und Auseinandersetzungen über längst überholte Theorien vom Weiterlesen abzuhalten. Alle anderen Abschnitte sind unverändert.

Darüber hinaus ließ ich mich bei meinen Nachbemerkungen von folgenden Überlegungen leiten: Bücher zur Frauenfrage überschwemmen seit einiger Zeit den Markt. Ich fand es daher unnötig, das Thema in voller Breite auszuführen. Mein Interesse richtete sich immer mehr darauf, die Auseinandersetzung innerhalb der sozialistischen Bewegung voranzutreiben, die nach einem kurzen Aufbruch während der anti-autoritären Phase wieder zu stagnieren droht. Dabei ging ich davon aus, daß >Die Frau und der Sozialismus< innerhalb der Linken ein Schlüsselbuch ist. Was Bebel geschrieben hat, wurde millionenfach gelesen. Ohne Zweifel hatte sich in der Linken ein Bewußtsein für die Unterdrückung der Frauen gebildet. Es scheint mir daher gerechtfertigt, deren Praxis in der Frauenfrage an diesem Buch zu messen. So groß Bebels Einfluß auf die verbalen Stellungnahmen war, so wenig änderte sich die Lage der Frauen. Meine Nachbemerkungen sollen am Bebelschen Text den Ursachen für den mangelnden Erfolg seines Buches nachgehen.
Dazu ist es notwendig zu klären, welche Fallstricke die bürgerliche Gesellschaft gegen die Emanzipation der Frauen ausgelegt hat und ob Bebel die Schwierigkeiten unterschätzte.
Wo Bebel sich auf wissenschaftliche Ergebnisse beruft habe ich geprüft, inwieweit diese heute noch haltbar sind. Dies galt besonders für die beiden ersten Kapitel, in denen Bebel über ethnologische Forschungsergebnisse referiert.
Ich wollte die Reihenfolge der Kapitel in dem Abschnitt »Die Frau in der Gegenwart« nicht umstellen, schlage aber vor, erst das Kapitel »Die Erwerbsstellung der Frau« zu lesen und dann Bebels Anordnung der Kapitel zu folgen.
Eine Auseinandersetzung mit der Bebelschen Rezeption der Marxschen Theorie würde bedeuten, die gesamte Diskussion um diese Theorie zu rekapitulieren; dies ist im Zusammenhang des Buches nicht notwendig. Die Theorie hat die Funktion, die Leser in die marxistische Analyse der Gesellschaft einzuführen und zu zeigen, daß die Bebelsche Utopie eine materialistische Grundlage hat. Diese Utopie zu kommentieren - so reizvoll dies wäre -, schien mir nicht legitim. Die Ungebrochenheit Bebels seiner Utopie gegenüber ist, was mich an dem Buch immer wieder fasziniert. Er hatte keine Angst, als unwissenschaftlich, oder schlimmer: unmarxistisch abgetan zu werden, wenn er beschrieb, wie er sich das Leben nach der Revolution vorstellt. [1]
Diejenigen, die Utopien abwerten, übersehen deren Funktion. Einmal ist das Bild von der besseren Welt, vom Glück, das man realisieren möchte, eine wichtige Triebfeder für gesellschaftsverändernde Praxis. Fast noch wichtiger - gerade auch für Frauen - scheint mir heute die zweite Funktion der Utopie zu sein. Das Ziel Sozialismus ist zu unbestimmt, als daß sich Organisations- und Kampfformen noch daher beurteilen ließen. [2] Dazu bedarf es der konkreten Vorstellung darüber, was im Sozialismus verwirklicht werden soll.
Monika Seifert

 

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