Der normal-mythologische Bezug der Frau zum Mann beinhaltet Sexualität als Träger des männlichen Wertes in einer abstrakten Form der Erwartung. Der Alltag mit Frauen, so befriedigend er ist, wird durch den Mythos und die fehlende Sexualität teilweise oder völlig entwertet. Sowohl im Hinblick auf den Mann als auch auf die Frau im Leben von Frauen begegnen wir einem Vergessen der Wirklichkeit. Im bisherigen Verständnis weiblichen Lebens wurde dagegen neben so phänomenologischen Einteilungen wie in Haus- und Berufsfrauen, in Ledige und Verheiratete etc., die Kategorisierung in heterosexuelle und homosexuelle Frauen als bestimmend und abgrenzend, als das Normale und das Andere betrachtet. Schon im Kapitel über "Normalität und Lesbischsein" stand die Selbstverständlichkeit dieser Abgrenzung in Frage. Zwischen den später sogenannten heterosexuellen und homosexuellen Frauen variieren nicht die realen Bedürfnisse, sondern die Verinnerlichung von Normalität. Der Mythos vom Männlichen prägt Erlebnismöglichkeiten zwischen Frauen jenseits aller Befriedigungsrealitäten und -potentiale. Die Abgrenzung zum Lesbischsein vollzieht sich eher auf einer abstrakten, gelernten Ebene insbesondere durch die Angst vor Homosexualität und das spezifische Verständnis von Sexualität - als durch wirkliche Erfahrungsinhalte.
1. Das Dilemma der Grenzziehung: >Homosexualität< - >Heterosexualität<
»Auch heterosexuell disponierte Frauen werden unter bestimmten Bedingungen homosexuell und gehen ausschließlich homosexuelle Beziehungen ein (...).
Besonders verhängnisvoll und erschwerend für die Untersuchung und Klärung dieser Frage scheint mir die in der bisherigen deutschen Forschung unterstellte These zu sein, daß das coming out von Frauen lediglich die früher oder später einsetzende Ausfaltung der in der frühen Kindheit grundgelegten >homosexuellen Disposition< sei.« (PAGENSTECHER 1978, S. 38 f.)
Im Kapitel über »Normalität und Lesbischsein« wurde schon deutlich, und hier gebe ich Lising Pagenstecher recht, daß in der Phase des sogenannten coming out es völlig unzutreffend ist, in homosexuelle und heterosexuelle Mädchen zu unterteilen. Insofern, als von einer unterschiedlichen Bedürfniskonstellation ausgegangen wird, gibt es diese zumindest zu jenem Zeitpunkt nicht. Trennend wirken vielmehr unterschiedliche Internalisierungen der Wertlosigkeit des eigenen und der Werthaftigkeit des anderen Geschlechts. Frauen mit hohen Internalisierungsgraden fühlen sich durch die einsetzende Drohung mit der Abtrennung vom Mann und dem >Lesbischsein< - von dem keine Frau eine wirkliche, konkrete Vorstellung hat, als mögliche Strafe für die normale Hinwendung zu Mädchen und Frauen wesentlich stärker verunsichert als Frauen, die tendenziell nicht der Projektion ihrer Wünsche auf den Mann bedürfen.
Genau an diesem Punkt weiche ich von der Annahme Lising Pagenstechers ab: Ich bestätige zwar, daß es keine homosexuelle Disposition gibt, die sich irgendwann notwendig entfaltet, ich nehme aber dennoch an, daß es Vorgaben aus der frühen und späteren Kindheit gibt. Diese gehen jedoch in die Richtung einer mehr oder weniger ausgeprägten Aneignung des Wertes des Männlichen, mit allen oben analysierten Implikationen. Diese Internalisierung wirkt sich prägend sowohl auf die verschiedenen Lebensbereiche als auch über verschiedene Lebensphasen hinweg aus. Es ist für Frauen ungemein schwierig, die Bedeutung des Mythos vom Männlichen in ihrem Leben zu verringern, auch wenn äußere Lebensumstände, wie z.B. eine Scheidung oder große Enttäuschungen mit Männern dies provozieren könnten.
Diese Prägung ist jedoch nicht unabänderlich, wie es gemeinhin der Trennung in homosexuelle und heterosexuelle Frauen zugeschrieben wird. An diesem Punkt bin ich ebenfalls einer Meinung mit Lising Pagenstecher. Bei allen Wandlungsmöglichkeiten darf aber nicht die Starrheit des Mythos übersehen werden, eine Starrheit, die gerade durch seine Stereotypie und Abstraktheit so sehr gefördert wird. Er versperrt sich in hohem Maße allerdings in mehr oder weniger hohem Maße - der Erfahrung anderer und neuer Realitäten. Seine Dynamik ist immer mit grundlegenden Umwertungen verknüpft. Derartige Umwertungen können dann auch einen Übergang von einem heterosexuellen zu einem homosexuellen Leben nach sich ziehen. Hier ist jedoch nicht eine Prägung zur Homosexualität ausschlaggebend, wie angenommen wird, sondern die enge Verbindung zwischen der Werthaftigkeit des Männlichen und dem heterosexuellen Leben. Nur in der Heterosexualität kann der Mythos ungebrochen gelebt werden, während Brüche im Mythos zur Verunsicherung der heterosexuellen Lebensform führen können, aber nicht in jedem Fall müssen. Grundlegend im weiblichen Leben sind demnach die Linien der Mythosbehaftung in all ihren Abstufungen. Sogenannte Heterosexualität und Homosexualität können sich deckungsgleich auf diese Linien legen und tun dies auch oft, sind jedoch immer nur sekundär verständnisbringend für das weibliche Leben.
Bisher ging es um das konkrete Leben der Frauen. Eine andere Ebene sind die Ein- und Ausgliederungsprozesse der Gesellschaft.
Insofern, als ein Leben mit Frauen, ob dies nun ein >lesbisches< oder ein >feministisches< Leben, ein Leben in Frauenwohngemeinschaften, aber auch >Kaffeeklatsch< und >Weiberkram< betrifft, erscheint immer die abstrakte Setzung des Wertes des Männlichen bedroht. Genau an diesem Schnittpunkt weiblichen Lebens wird die Ausgrenzung versucht. Wenn homosexuelle Frauen diskriminiert werden, steht demnach immer der Mythos zur Diskussion. Auf dieser Stigmatisierungsebene sind 'Homosexualität' und Mythosbedrohung also identisch. Daß dies jedoch nicht an das 'Homosexuelle' in einer Beziehung gebunden ist, sondern an eine drohende Umwertung des sozial minderbeurteilten Weiblichen, zeigt sich eben an der Diskriminierung auch von Feministinnen, Frauenwohngemeinschaften, Hausfrauengruppen etc.. Hier wird deutlich, daß nicht eine 'abartige' Sexualität das Andere ausmacht, sondern daß im Falle der Homosexualität diese Sexualität erst auf eine Entmythologisierung hindeutet, zumindest für die Umwelt dieser Frauen.
Wir treffen hier also geradezu auf den umgekehrten Prozeß: Sexualität hat in heterosexuellen Beziehungen eine spezifische Trägerfunktion für den Wert einer Bindung, und erst von daher, also von der Normalität der mythologisierenden Heterosexualität aus, gewinnt die Sexualität zwischen Frauen eine derartige Bedeutung und einen solch immensen Zuschreibungswert. Sie repräsentiert in den Köpfen der Umwelt die Umwertung, so wenig dies für die einzelne Frau tatsächlich der Fall sein muß. So beinhaltet die gängige Sexualisierung der Homosexualität - Homosexualität sei eine sexuelle Variante eine spiegelverkehrte Beschreibung der heterosexuellen Beziehung: sie weist auf die Bedeutung der Sexualität in der heterosexuellen Konstellation hin. Die Sexualisierung der Homosexualität ist also viel weitreichender als es die Projektionstheorie der Psychoanalyse suggeriert: es geht nur sekundär um die Abwehr eigener sexueller Wünsche durch Übertragung auf die Homosexuellen. Wir haben es hier vielmehr mit den tatsächlichen Realitäten der Heterosexuellen zu tun. Sie übertragen ihre Denk- und Empfindungsmuster auf Menschen, die mit einem gleichgeschlechtlichen Partner leben, machen ihn sich damit wieder verständlich und ordnen ihn in ihre Kategorien ein.
Erst der Diskriminierungswert dieses Mechanismus resultiert aus seinem Projektionscharakter: die Bedeutung der Sexualität in heterosexuellen Beziehungen wird auf die Homosexuellen übertragen und deren 'sexuelle Begierde' und Andersartigkeit wird bestraft. Hiermit ist man einerseits die eigene Realität los, andererseits führt diese Sexualisierung normalerweise zu einer Verschleierung des Mythos und des medialen Charakters der Sexualität in der Mann-Frau-Beziehung. Und es ist nicht zu übersehen, wie sehr diese Verschleierung Ziel gesellschaftlicher Positionsbestimmungen ist. Die Forschung konnte diesem Mechanismus bisher nur im geringen Maße entkommen, der Mythos siegt immer wieder. So forschen wir über Oberflächenphänomene im Mann-Frau Verhältnis, über sinnliches Erleben von Sexualität, in all den den Markt überschwemenden Reporten, und eben über Homosexualität und Heterosexualität, als gäbe es diese tatsächlich in dieser klaren Abgrenzbarkeit. Ideologisch ist diese Aufspaltung zwar von Wert. Bezogen auf das konkrete Leben von Frauen zweifle ich die Polarität dieser Phänomene jedoch an
Frauen leben homosozial, homoemotional und nicht selten auch homoerotisch mit anderen Frauen. Sexualität als konkrete Sinnlichkeit zwischen Frauen wäre keine Frage, wenn ihre Funktionalität in der heterosexuellen Beziehung nicht existierte. Es zeigt sich also, daß der Alltag zwischen Frauen ein befriedigender und umfangreicher ist. Und dies gilt in gleicher Weise für sogenannte heterosexuelle als auch für sogenannte homosexuelle Frauen. Auf der Ebene der realen Erfahrung sind tatsächlich kaum Unterschiede zwischen diesen Frauen festzustellen. Die Realität zwischen Frauen - ob >Lesben< oder >heterosexuelle< Frauen - ist wertvoll. Auf dieser Ebene ist die Unterscheidung gänzlich überflüssig. Sie ist inhaltsleer.
Ausschlaggebend ist vielmehr die Aneignung dieser befriedigenden Realität durch die Frauen, die Erkenntnisfähigkeit, welche Werte und Potentiale diese Freundschaften beinhalten: hier sind es tendenziell offenbar die >lesbischen< Frauen, die dazu eher in der Lage sind. Sie können sich zu einem Großteil dem projezierenden Mythos entziehen.
Unter diesem Betrachtungsaspekt wird die Aufteilung in homosexuelle und heterosexuelle Frauen überflüssig, da wir auf die viel tiefere Strukturierung durch den Mythos blicken müssen. Wir sehen die enge Verknüpfung von Mythos, Heterosexualität und Sexualität. Hieraus läßt sich das Leben von Frauen grundlegend begreifen, und eben auch die Abweichungen, wie sie sich etwa in der sogenannten Homosexualität darstellen.
Aus sich heraus ist es völlig sinnlos und in keiner Form gewinnbringend, das, was herkömmlich mit weiblicher Homosexualität bezeichnet wird, verstehen zu wollen.
Erst auf dem Hintergrund gerade des Verständnisses von Sexualität in heterosexuellen Beziehungen und ihrer Aussparung in Frauenfreundschaften gewinnt diese Kategorisierung wieder einen Aussagewert. Wir könnten uns dann beispielsweise entscheiden, die mythologisierenden Frauen heterosexuell und die nicht mythologisierenden Frauen homosexuell zu nennen. Der Begriff heterosexuell spiegelt die Realität in der normalen Mann-Frau Beziehung wieder. Der Begriff homosexuell dagegen hinkt: da er die Frauen bezeichnen soll, die weniger mythologisieren, ist seine Betonung der Sexualität irreführend.
Ich schlage statt dessen den Begriff >feministisch< vor. Ihm wäre dann die Gruppe der heterosexuellen oder mythologisierenden Frauen gegenüberzustellen (worin auch die mythologisierenden Frauen, die mit Frauen leben eingeschlossen wären). Damit käme es zur Trennung in mythologisierende gegenüber feministischen Frauen.
Allerdings bergen diese Kategorisierungen die Gefahr von Festlegungen, die jede Veränderung, also Umwertung, ausschließen. Dies jedoch entspricht nicht der Realität von Frauen. Von daher ist es wohl am sinnvollsten, die Grade der Mythologisierung und Entmythologisierung, damit also in erster Linie die Dynamik von Verschiebungen zu analysieren und so zu einem Verständnis weiblichen Lebens zu gelangen.
2. Mythologisierung und Entmythologisierung
Jede Frau lernt, daß Weiblichkeit in unserer Kultur ein Mangel ist und daß somit alles, was mit Frauen zusammenhängt, weniger wertvoll ist als das Männliche.
Nun gibt es Frauen, die diese Normalität mehr verinnerlichen und akzeptieren als andere. Manche Mädchen lehnen sich schon in der Kindheit gegen Einschränkungen auf, die sie aufgrund ihres Geschlechtes erfahren. Wer den sie nicht noch in ihrem Streben nach Autonomie und Selbständigkeit gebrochen, zieht sich dieser innere Widerstand gegen das normal-weibliche Verhalten bis hinein ins Erwachsenenalter. So finden wir von früh auf eine große Linie, die sich vielfältig verästeln kann. Einige dieser Frauen werden früh 'lesbisch', d.h. sie versuchen, den Autonomiebeschränkungen zu widerstehen, indem sie sich voll und ganz Frauen zuwenden. Auffallend bei allen von mir interviewten sogenannten lesbischen Frauen ist ihre Empfindlichkeit gegenüber Einschränkungen ihres Freiraums, von unabhängigen Lebens- und Entscheidungsmöglichkeiten. Dieses Merkmal ist recht einschneidend und unterscheidet sie grundlegend von den mythologisierenden Frauen, die sich immer in irgendeiner Form in Abhängigkeiten begeben,insbesondere in der Erwartung, allein durch einen Mann wirkiliches Glück im Leben zu finden. Dieses Autonomiebedürfnis könnte durchaus als differenzierendes Kriterium zwischen den gängigen Kategorien von homosexuellen und heterosexuellen Frauen angesehen werden. In der Tat tut Morgenthaler dies: »Der homosexuelle Mann und die homosexuelle Frau sind Persönlichkeiten, die ihre Sexualität in ein Selbstbild einordnen, in dem die innere und äußere Autonomie in erster Linie gewährleistet ist. Demgegenüber sind die Heterosexuellen Persönlichkeiten, die in ihrem Selbstbild dem Identitätsbewußtsein und dem Identitätsgefühl Priorität einräumen. Sie orientieren sich nach polaren Gegensatzpaaren, um genau zu spüren und zu wissen, wer sie sind.» (MORGENTHALER 1980, S. 7)
Diese Beschreibung ist hochinteressant. Von seiner Betonung der Sexualität möchte ich einmal absehen. Morgenthalers Aufteilung in autonomie- und identitätssuchende Männer und Frauen - ich werde hier nur auf die Frauen eingehen - deckt sich inhaltlich mit den von mir gefundenen Kategorien mythologisierend und nichtbzw. entmythologisierend. Der Mythos steht der Autonomie einer Frau unbedingt im Wege. Und auf der anderen Seite weist die Orientierung an Gegensätzlichkeit, um sich selbst als existent zu spüren (Frau N: »ich bin noch da, ich bin noch«), auf Leerräume in der Identität dieser Frauen hin, die sie in spezifischer Weise durch abstrakte Erwartungen an den Mann, das Männliche, zu füllen erhoffen. Und dieses mißlingt fortlaufend, weil es eben nur Hoffnung, kaum Realität ist.
Nun stimme ich mit Morgenthaler an dem Punkt nicht überein, wo er diese unterschiedlichen Strukturierungen an den Kategorien Homosexualität und Heterosexualität festmacht. Er fällt hier der Ideologie gängiger Unterscheidungen und der Sexualitätsfixierung zum Opfer, ohne die tieferen Linien zu analysieren. Seine Differenzierung stimmt zwar tendenziell, aber es gibt durchaus auch mit Männern lebende Frauen, die von früh auf kaum einer projezierenden Mythologisierung unterliegen, wie dies von meinen Gesprächspartnerinnen offenbar bei Frau G, O und bedingt auch bei Frau F und L der Fall ist. Einige 'lesbische' Frauen, insbesondere Frau H und in Grenzen auch Frau S dagegen mußten erst über einen längeren Zeitraum hinweg ihre Vorstellungen vom Wert des männlichen Mannes revidieren, was ihnen dann gestattete, 'lesbisch' zu werden, also in toto mit Frauen zusammen zu leben. Hier befinden sie sich in einer ähnlichen Dynamik wie Frau Q, A und E, die sich in erster Linie auf Männer beziehen und den Gegensatz brauchen, um ihre Identität zu spüren, die jedoch in fast gleichem Maße versuchen, ihre starken Autonomiebedürfnisse zu befriedigen. So sind gerade diese drei Frauen und auch Frau H gezeichnet durch ein hohes Maß an innerer Zerrissenheit. Der Mythos vom Männlichen zieht sie in die eine, der Wunsch nach Eigenständigkeit in die andere Richtung. »Es ist sehr schwer, gleichzeitig zu sein: erstens jemand, der nach seinen eigenen Gesetzen leben will, und zweitens jemand, der die netten alten Dinge behalten und geborgen und beschützt sein möchte.« (MILFORD 1980, S. 25)
Diese Zerrisenheit ist eine grundlegende Erfahrung von immer mehr Frauen. Die heutige Zeit fordert beides von ihnen: sich zu fügen und selbständig ihr Leben zu meistern. Lesbischwerden kann eine Auflösungsform genau dieser Zerrissenheit sein. Insofern aber ist lesbisches Leben immer nur ein sekundäres Phänomen. Es ist zugleich die einfachste - man entfernt sich endgültig vom Mann - und die schwerste Lösung - es ist nicht leicht, den Mythos um ihn, den jede Frau lernt, abzuschütteln und insbesondere die Diskriminierung, die gegen diesen Prozeß arbeitet, zu ertragen. In die Zerrissenheit, durch das Bedürfnis, die Vorherrschaft des Mythos zu eliminieren, geraten indessen nicht nur lesbische Frauen, sondern immer auch und immer mehr Frauen, die mit Männern leben. Ich möchte Frauen, die sich in dieser Dynamik befinden, Feministinnen nennen. Getragen von dem inneren Wunsch nach Auflösung des schmerzlichen Widerspruches zwischen Mythos vom Mann und Autonomieorientierung versuchen sie, dieses Ziel durch persönlich-politisches Engagement zu erreichen. Es gelingt ihnen mehr oder weniger. Feministisch nenne ich sie aufgrund ihrer Zielsetzung: sie streben letztendlich eine Aufwertung ihrer eigenen Person und Persönlichkeit, aber auch die soziale Aufwertung der Frau und des Weiblichen an. Feminismus ist die tiefe Strukturlinie, die dem Mythos entgegenarbeitet. Dies ist Grund genug für seine Diskriminierung. Feministinnen versuchen in irgendeiner Form immer zu entmythologisieren. Aus diesem Grunde halte ich, wenn überhaupt, einen Gegensatz zwischen mythologisierenden und feministischen Frauen für sinnvoll. Er ist inhaltsvoller und weitreichender als alle anderen Beschreibungen weiblichen Lebens, einschließlich so ideologisch befrachteter Begriffe wie homosexuell und heterosexuell. Wie es feministische Frauen gibt, die mit Frauen, gibt es auch feministische Frauen, die mit Männern zusammen leben. Wichtig ist nicht das Geschlecht des Partners, sondern die Dynamik des Mythos. Und Ziel der Entmythologisierung kann nur eine Aufwertung des Weiblichen sein. Hier begegnen wir einer anderen Gruppe von Frauen, einer Untergruppe der mythologisierenden, den 'emanzipierten' Frauen. Sie sind anders als die feministischen Frauen insofern, als sie den Mythos nicht ablegen. Sie mythologisieren nicht den Mann, sondern das Männliche und nicht durch Projektion, sondern durch Internalisierung des Männlichen. Es geht - weshalb ich auch immer den Begriff 'das Männliche' benutze - gerade nicht nur um den Mann, also einen Menschen mit spezifischen Geschlechtsmerkmalen, sondern um kulturelle Zuordnungen und Wertsetzungen. Das Männliche kann sich durchaus in einer Frau präsentieren, ebenso, wie das Weibliche in einem Mann lebendig zu werden vermag. Auch Männer können demnach feministisch sein: sie befinden sich dann in einer ähnlichen Zerrissenheit wie die beschriebenen Frauen und streben in ihrem Alltag eine Aufwertung des Weiblichen an. Problematisch ist es immer, spezifische Persönlichkeitsstrukturen, Eigenschaften und Fähigkeiten auf ein bestimmtes Geschlecht festzuschreiben. Dies trifft zwar normalerweise zu, verhindert aber, auf tiefere Strukturierungen zu blicken. Es existiert nicht nur eine Ausprägungs- und Lösungsform der typischen weiblichen Ambivalenzen: Frauen können feministisch werden, lesbisch oder emanzipiert. Letzteres bedeutet, daß sie sich individuell aus ihrer Zerrissenheit zwischen angeeignetem Mythos und starken Autonomiebestrebungen 'emanzipieren', indem sie die männlichen Anteile in ihre Persönlichkeit hineinnehmen, jedoch nicht auf einem Weg in die Androgynität, sondern bei Verdrängung weiblicher Elemente. Die Werthaftigkeit des Männlichen ist internalisiert und verliert ihre fremdbestimmenden Anteile. Damit aber entwerten die emanzipierten Frauen in hohem Maße das Weibliche, handeln also in Anpassung an kulturelle Normierungen. Sie sind feministischen Bestrebungen und Lebensformen am unzugänglichsten, da sie für sich individuell eine Lösung gefunden haben. Die Feministinnen dagegen befinden sich noch in diesem Lösungsprozeß, der jedoch in eine gänzlich andere Richtung weist, hin zur Aufwertung des kulturell Verachteten, des Weiblichen. Feminismus ist - bezogen auf das Geschlechterverhältnis,der einzig gesellschaftlich verändernde Weg. Feministinnen versuchen, die kulturellen Ambivalenzen sowohl im eigenen Innern, als auch gesamtgesellschaftlich umzustrukturieren. Emanzipierte Frauen dagegen individualisieren.diesen Prozeß durch Hineinnahme männlicher Werte in ihr Inneres. So erscheinen emanzipierte Frauen oft beneidenswert geradlinig, eindeutig und selbstbestimmt. Bei Feministinnen dagegen wird auch nach außen hin die innere Zerrissenheit deutlich. Sie wirken schwankend, unsicher, unausgeglichen, wechselhaft. Deshalb sind sie leicht als neurotisch oder hysterisch abzutun. Der Zynismus liegt darin, daß hier individuelle Schuldzuschreibung die sozialen Ursachen dieses Zustandes verdeckt. Sie sind Außenseiter, weil sie, zumindest partiell, andere Bilder haben, Bilder weiblicher Werthaftigkeit. Alle sozialen Bestrebungen gehen dahin, die emanziperte Lösungsform zu unterstützen. Auch hieran wird deutlich, daß sie der Weg in die Anpassung an grundlegend existierende Wertsetzungen ist. Aber »die Lösung besteht nicht darin, sie (die Unterdrückten) in die Struktur der Unterdrückung zu integrieren, sondern diese Struktur so zu verändern, daß sie Wesen für sich selbst werden können.« (FREIRE 1973, S. 77) Emanzipierte Frauen sind Frauen, die - mit den Worten Feyerabends - die 'herrschende Tradition' als absolut setzen und sich darin individuell vorteilhaft einrichten. Sie haben teil an der Macht der herrschenden Norm. Feministische Frauen dagegen sind Frauen, die durch ihre persönliche Geschichte die potentielle Relativität der gemeinhin als absolut gesetzten 'herrschenden Tradition' erfahren haben und diese Ambivalenz innerlich und äußerlich durch Setzung neuer Werte zu verändern versuchen. Es bleibt noch zu erwähnen, daß sich auch unter den sogenannten lesbischen Frauen feministische und emanziplerte befinden. Gerade aber der weg in die Emanzipation bietet sich für Lesben idealiter an. Er hält Abweichung und Anpassung in einer individuell erträglichen Waage. So gibt es nicht wenige internalisierend mythologisierende, also emanzipiertelesben. Die projezierende Mythologisierung dagegen finden wir bei Lesben kaum, außer bei den sogenannten 'femmes' einer lesbischen Beziehung, die ihren Mythos vom Männlichen nicht auf einen Mann, sondern auf eine Frau projezieren. Daß ein solcher Schritt möglich ist, beweist, daß der Mythos nicht in jedem Fall an das Geschlecht, sondern an viel tiefgreifendere Strukturierungen gebunden ist. Dies wurde deutlich bei den projezierend mythologisierenden Frauen, die gelernte Erwartungen an das Männliche auch auf andere Frauen, hier oft die emanzipierten Frauen, richten. Unter den lesbischen Frauen gibt es mithin nicht wenige angepaßte emanzipierte Frauen. So sind les bische Frauen nicht per se Vorreiter des Feminismus, wie Teile der Lesbenbewegung es proklamieren. Insofern trifft auch C. Hagemann-Whites Aussage nur bedingt zu: »In der Tat: niemand kann in dieser Gesellschaft eine Frau lieben, ohne vorher die patriarchalischen Herrschaftsverhältnisse in Frage gestellt zu haben«. (C. HAGEMANN-WHITE 1978, S. 748) Wichtig ist es vielmehr, auf das Selbstverständnis der liebenden Frau zu sehen, welches Bild diese von ihrer Freundin hat und umgekehrt. Jede Frau macht sehr positive Erfahrungen mit Frauen und entwertet Frauen trotzdem nicht selten in hohem Maße. Die Realität der Erfahrung ist nicht identisch mit der Aneignung dieser Realität. Dazwischen tritt der Mythos, ob projeziert oder internalisiert. Frauen können in Frauen das traditionell Männliche oder das traditionell Weibliche mögen oder lieben, ebenso, wie sie dies bei Männern tun können. Sie gehen damit in keiner Weise über das kulturell Normierte und Werthafte hinaus. Die feministisch strukturierten Lesben sind meist mit mehr Energie geladen als mit Männern lebende Frauen. Ihre Zerrissenheit frißt sie nicht mehr auf. Durch ihr Lesbischwerden haben sie für sich persönlich eine zumindest partielle Lösung gefunden. Bei mit Männern lebenden Frauen geht ein mehr oder weniger großer Teil der Kraftreserven durch das Schwanken zwischen Mythos - Richtung Mann - und Autonomie - Richtung Selbst und Frauen - verloren. Es ist also durchaus von typologischen Unterschieden zwischen Frauen zu sprechen. Den mythologisierenden - projezierend und internalisierend - stehen die feministischen, tendenziell entmythologisierenden Frauen gegenüber. In beiden Gruppen finden wir sowohl 'homosexuelle' als auch 'heterosexuelle' Frauen. Diese Typologie kann Hinweise zum Verständnis realer Erlebnis- und Handlungsweisen von Frauen geben. Obwohl durchaus Frauen existieren, die sehr starr in ihrer Gruppe verhaftet sind, ist es letztendlich entscheidender, den Blick auf die Dynamik weiblichen Lebens zu werfen. Veränderungen der Lebenswelt von und veränderte Anforderungen an Frauen gestalten ihre Wirklichkeit immer wieder um. Sie können hinlenken auf ein gesteigertes Vergessen, aber auch - und das ist heute vermehrt der Fall - auf eine bewußte Erfahrung und Aneignung des bisher Vergessenen. Einige Frauen sind hier die Vorreiter. Dies sind gerade die Feministinnen. Sie stellen in Frage, geben neue Anstöße. Und »nur durch die Sichtbarkeit eines anderen Seins (von Menschen einer Gegenkultur) kann der Sinn eines anderen Bewußtseins an diejenigen vermittelt werden, die aufgehört haben, Alternativen zu denken.« (BALLUSEK 1978, S. 241)