Vorwort

Nachdem Bismarcks Preußen im Jahr 1870 Frankreich besiegt hatte, um Deutschland anschließend zuerst zur Nation und später zum Imperium auszubauen, begann in diesem Land ein neuer Schlag höchst patriarchalisch gesinnter Männer heranzuwachsen. Die Siege von Sedan und Versailles brachten eine hochmütige und eindrucksvolle Herrenrasse hervor, an der alle vorherrschend männlichen Züge übertrieben waren. Doch es brachte auch einen neuen Schlag von Frauen hervor, die dagegen rebellierten und entschlossen waren, humanere Möglichkeiten zu verwirklichen - die Idee der Frau an sich zu verkörpern. Friedrich von Richthofen, einer von Bismarcks Offizieren im Krieg von 1870/71 heiratete unmittelbar nach dem deutschen Sieg; alle seine Kinder kamen in den ersten zwölf Jahren des neuen Deutschen Reiches zur Welt. Zwei seiner Töchter lehnten sich gegen die Welt der Männer auf, sie rebellierten im Wettbewerb gegen- und im Widerspruch zueinander, indem sie zwei entgegengesetzte Wege verfolgten, die sie beide berühmt machten. Jede dieser beiden ungewöhnlichen Frauen inspirierte die andere - das wirkte sich sowohl auf ihr Leben in Deutschland, England und Amerika, als auch auf die Werke aus zu denen sie die mit ihnen befreundeten Männer anregten. Sie waren beide schön, leidenschaftlich, brillant, all das jedoch auf sehr unterschiedliche Weise.

Die Ältere erkämpfte sich Beruf und Unabhängigkeit, sie erkämpfte sich ihr Universitätsstudium und damit den Zugang zu den Sozialwissenschaften; sie erkämpfte sich den Weg zur rationalen Fragestellung und politischen Reform. Die Jüngere glaubte an Liebe und Natur, an die regenerierenden Kräfte ihrer eigenen spontanen Weiblichkeit und ihrer unbewußten Unschuld. Sie heiratete in jungen Jahren einen Mann, der viel älter und ihr sehr unähnlich war, und sie wurde unglücklich mit ihm. Die Ältere heiratete einen Mann mit denselben intellektuellen Interessen, doch auch ihre Ehe war unglücklich. In Freundschaft, Liebe und Wissensdrang wandte sie sich der führenden Elite in Heidelberg, damals Deutschlands geistige Kapitale, und der Person des großen Soziologen Max Weber zu.
Sie hieß Else Jaffe - und sie wurde eine Muse der kritischen Intelligenz unseres Jahrhunderts. Die Jüngere verließ Ehemann und Kinder und ging mit einem Mann auf und davon, der jünger war als sie und sich - mit ihrer Hilfe - zu einem der größten romantischen Romanciers der Welt entwickelte. Sie hieß Frieda Lawrence - und sie wurde eine Muse der erotischen Imagination. Das vorliegende Buch besteht im wesentlichen aus zwei Teilen. Der erste Teil (die ersten beiden Kapitel) behandelt das Leben der beiden Schwestern bis zum Jahr 1930 und die Ideen von Otto Groß, Max Weber und D. H. Lawrence. Der zweite Teil (das dritte und vierte Kapitel) befaßt sich mit den Biographien der Richthofen-Schwestern von 1930 bis 1970 und setzt sich auseinander mit dem posthumen Schicksal der Ideen ihrer Männer und der Ideen auch jener Männer, welche die Schwestern kannten.

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