Vorwort

Das Persönliche ist politisch - dies ist eine der bekanntesten feministischen Äußerungen. Sie kann auf vielerlei Weise interpretiert werden. Eine ist, daß zwischen deinem persönlichen Leben und deinen politischen Anschauungen und Handlungen ein Zusammenhang besteht. Eine andere mögliche Auslegung ist, daß das sogenannte Privatleben selbst ein politischer Schauplatz ist, ein Teil unseres Lebens, in dem wir Machtverhältnissen, Ungleichheit und Unterdrückung begegnen, in dem wir diesen Dingen am häufigsten ausweichen, in dem wir am stärksten Gleichheit, Glück und Liebe suchen.
Weil das Persönliche und das Politische so ineinandergreifen - auch in meinem Leben und meiner Arbeit -, freut es mich, mit dieser Veröffentlichung einen weiteren Teil dieser Totalität darstellen zu können. In Deutschland bin ich als Autorin von »Die Scham ist vorbei« bekannt geworden, eine emotionale und offene Erzählung über meine persönliche, feministische Bewußtseinsentwicklung. Außerdem durch mein Buch über Sexualität »Für uns selbst« und meine Einführung in Feminismus und Sozialismus.
Aber auch in den Niederlanden veröffentlichte ich - vorher und zwischendurch - eine Reihe von Artikeln über verschiedene, doch miteinander zusammenhängenden Themen. Oft stärker wissenschaftliche Aufsätze, weniger leicht zugänglich als das eher romanhafte Werk »Die Scham ist vorbei«, für mich aber genauso wichtig, da ebenso ein Versuch, auf dem Weg der Frauenbefreiung einen Schritt weiter zu kommen. Aus den Artikeln, die ich im Laufe von zehn Jahren Frauenbewegung geschrieben habe, wählte ich zusammen mit der Frauenoffensive das Wichtigste aus.
Artikel, von denen wir annehmen, daß sie auch in Deutschland von Interesse sind.
Als Kind habe ich nie davon geträumt, Autorin zu werden. Ich habe auch kaum das Gefühl, ich hätte mich später dafür entschieden, eher umgekehrt: Die Schriftstellerei entschied sich für mich. In den Anfangsjahren der Neuen Frauenbewegung gab es einfach keine Unterlagen, kein Material. Wir begriffen bald, daß, wenn wir etwas lesen wollten, wir es erst einmal schreiben mußten. Und das taten wir dann auch. Der erste Artikel, der in diesen Band aufgenommen wurde, stammt aus dem Jahre 1975 (Die Ökonomie der Reproduktionsarbeit). Ihm waren viele Aufsätze, kleinere Artikel, Interviews in Frauenzeitungen und -Zeitschriften vorausgegangen. Es war mein erster Versuch, einen »richtigen« Artikel über das zu schreiben, was ich damals dachte, und er atmet den Geist dieser Zeit. Ich hatte damals ein starkes Bedürfnis, eine ausgeklügelte Verbindung zwischen dem Marxismus, meinem vorfeministischen Erbe, und den neuen feministischen Erfahrungen, den Erfahrungen unserer eigenen Unterdrückung herzustellen. Eine Mischung aus Übermut und Bescheidenheit. Übermut, denn es erforderte schon Mut, in dieser Zeit, als die Frauenbewegung noch viel kleiner war als heute und die linke Bewegung immerhin noch wuchs, sich als junge Feministin die Behauptung zu gestatten, daß die Analyse eines ganzen Jahrhunderts von Marxisten - darunter selbst Großväterchen Marx und Onkel Engels - einen großen blinden Fleck aufweist. Bescheidenheit, weil ich trotz der Brutalität, den Marxisten ihre eigenen Begriffsapparate um die Ohren zu schlagen, mich doch nicht zu weit von den polit-ökonomischen Begriffen entfernen durfte. Denn ich wollte ja, daß sie begreifen, die Herren Marxisten, und versuchte deshalb, weiterhin ihre Sprache zu sprechen.
Der Artikel hatte in und außerhalb der Frauenbewegung eine Funktion, er kam zur rechten Zeit. Gegenwärtig gehört es zum guten Ton der linken Parteien und auch Gewerkschaften, von der Hausarbeit zu sprechen, allerdings ohne daß dabei die Konsequenzen erkannt werden und beinahe jeder vergessen hat, daß es 1975 noch erforderlich war, für die Anerkennung der Hausarbeit als Arbeit, als notwendige Arbeit, die eine ökonomische Funktion hat und damit eine politische Sache ist, zu kämpfen. Zu diesem Teil der Analyse stehe ich noch immer. Auch wenn ich es heute anders geschrieben hätte. Ich würde jetzt zum Beispiel nicht mehr sagen, die Familie gibt es, weil das Kapital es so will. Denn die Familie existiert auch, weil die Menschen es selbst so wollen, und es hat sich herausgestellt, daß die Wirklichkeit komplizierter ist, als wir damals dachten. So wie wir leben, leben wir nicht nur wegen der Strukturen, die uns von außen unterdrücken. Unterdrückung besteht nicht allein aus dem Zwang, sondern auch aus der Verlockung. Verinnerlichte Unterdrückung macht uns beeinflußbarer, und eine Analyse, die lediglich in polit-ökonomischen Begriffen die gesellschaftlichen Strukturen erfaßt, kann nicht erklären, warum sich anscheinend Menschen in ihre Unterdrückung fügen. Aber damit greife ich schon auf die Themen dieses Bandes vor. Der wichtigste Aspekt, der sich als roter Faden durch meine ganzen Arbeiten zieht, ist jedenfalls der Zusammenhang zwischen dem Persönlichen und dem Politischen.
An diesem Zusammenhang festzuhalten ist jetzt, da die westeuropäischen Staaten in einer ökonomischen Krise stecken, um so wichtiger. Die Situation für Frauen ist entschieden schwieriger geworden. Die ersten Vorkämpferinnen des Feminismus sind abgekämpft. Wir können nicht immer wieder die gleichen Demonstrationen, die gleichen Aktionen durchführen, wenn der Effekt des Neuen vorbei ist; wir können nicht bei der Anklage stehenbleiben; viele der ersten, auf die Medien und den öffentlichen Bewußtseinsprozeß gerichteten Aktionsformen wirken nicht mehr. Infolge der Tatsache, daß die ökonomische Krise auch die Stellung der Frauen erschwert, daß wir vom mehr als zehnjährigen Vorreiterkampf erschöpft sind, daß die Frauenbewegung in der Öffentlichkeit weniger spektakulär ist und in den Medien weniger zu Wort kommt, wird von einer Misere in der Frauenbewegung gesprochen. Ich teile dieses Gefühl nicht. Es ist klar, daß wir noch lange nicht das erreicht haben, was wir wollen, und ökonomisch betrachtet sieht es sicher nicht sehr gut für uns aus. Dennoch bedeutet ein weniger starker Zulauf in unseren Frauenzentren als früher nicht, daß es weniger aktive Feministinnen gibt. Denn in fast jeder Arbeitsform finde ich Frauengruppen und frauenspezifische Überlegungen wieder; ich sehe, daß es sich keine einzige politische Partei noch erlauben kann, die Frauen zu übersehen (auch wenn das nur ein Quentchen dessen ist, was wir wollen). Ich sehe, wie normal es geworden ist, daß die Zeitungen neben Berichten über Männerarbeitslosigkeit Berichte über Frauenarbeitslosigkeit bringen, und daß jedes neue Gesetz beinahe selbstverständlich auch aus einem feministischen Blickwinkel betrachtet wird. Der Feminismus ist mittlerweile integriert und damit gleichzeitig »normaler« und unsichtbarer. Wir haben fast vergessen, vor welch kurzer Zeit noch es »nicht normal« war, daß Frauen in Geburtsanzeigen neben dem Namen des Vaters ihres Kindes ihren eigenen setzen ließen. Heute fällt uns schon kaum mehr auf, wenn zwei Frauen eine Geburtsanzeige unterzeichnen. Wir finden es inzwischen normal, daß hunderttausend Frauen von dreizehn Millionen Einwohnern in den Niederlanden den Frauenkalender benutzen und damit öffentlich zu ihren feministischen Sympathien stehen.
Dennoch ist dies auch eine Zeit der Schwierigkeiten. Infolge der Krise drohen innerhalb der Frauenbewegung neue Spaltungen zu entstehen. Frauen auf der einen Seite erkennen, in welchem Maße es mit der Wirtschaft bergab geht und greifen von neuem auf die alten Analysen der Linken zurück: Es gehe um die Wirtschaft, um Arbeitsplätze, um soziale Errungenschaften. Sich mit Privatangelegenheiten wie Beziehungen oder Heterosexualität oder Lesbianismus zu beschäftigen, sei Luxus und lenke vom eigentlichen Kampf ab.
Frauen auf der anderen Seite ziehen es vor - weil sie mit dem Ergebnis des ganzen feministischen Kampfes unzufrieden sind, da sich nicht schnell genug die gewünschten Erfolgserlebnisse abzeichnen -, all diese Energie lieber in eine feministische Subkultur zu investieren, in das schöne, warme schwesterliche Nest. So droht die Verbindung zwischen dem Persönlichen und dem Politischen wieder verloren zu gehen. Mit einigen Artikeln dieses Bandes möchte ich begreiflich machen, daß die Verbindung nicht verloren gehen darf, wollen wir uns nicht selbst entmachten.

Dieses Buch ist eine Sammlung eigenständiger Artikel und Aufsätze, die im Laufe mehrerer Jahre entstanden sind. Infolgedessen überschneiden sich einzelne Teile der Analyse, und einige Themen kehren immer wieder: Der Zusammenhang zwischen dem Persönlichen und dem Politischen, zwischen Produktion und Reproduktion, zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen Haus- und Lohnarbeit, zwischen dem, was wir »Weiblichkeit« und dem, was wir »Männlichkeit« nennen. Mit diesem Zusammenhang befasse ich mich unter anderem in den verschiedenen Artikeln zur »Männerfrage". Im Aufsatz über das politische Bewußtsein behaupte ich, daß es falsch oder doch zumindest unzureichend ist, das politische Bewußtsein der Männer allein aus ihrer Stellung in der Produktion herzuleiten, da es ebenso mit den Machtverhältnissen zu Hause zu tun hat. Nicht die Frauen sind in erster Linie das Problem der Frauenbewegung und das wichtigste Objekt der Veränderung, sondern die Männer. In den Artikeln über die Gewerkschaftsbewegung taucht bei der Frage, was Frauen daran hindert, in den Gewerkschaften mitzuarbeiten, das Männerproblem wieder auf. Die Tatsache, daß unter »Menschen« in erster Linie »Männer« verstanden wird und »Männlichkeit« als Maßstab für das, was für die Menschen richtig ist, gilt, mache ich im Aufsatz über die Nachtarbeit deutlich, nämlich bei der Frage, ob sich Frauen an Männer anpassen müssen, um wie Menschen behandelt zu werden. Um die Männerfrage geht es dann auch bei der kritischen Auseinandersetzung mit der Literatur der Männerbewegung. Die männliche Herrschaft thematisiere ich in dem eher als Kollage verfaßten Artikel über Sexualität und im Interview über Pornographie.
Die Doppelstrategie ist ein Thema, das vielleicht schon aus meiner Einführung »Feminismus und Sozialismus« (Hamburg 1980) bekannt ist. Mit Doppelstrategie meine ich, daß, wenn wir als Frauenbewegung nicht zwischen der Arbeit als autonome Frauengruppen und der in den bestehenden Organisationen wählen können, wir beides machen müssen. In der Übersicht über die Frauenbewegung, die ich zusammen mit den Frauen des Redaktionsteams der »Socialisties-Feministiese Teksten« verfaßt habe, komme ich auf die Doppelstrategie zurück und auf das mühsame Hin und Her zwischen Sozialdemokratie, (Radikal-)Feminismus und Sozialismus. Auch im Artikel über die Probleme innerhalb der niederländischen Feminismus-Sozialismus-Bewegung, den Zusammenstoß feministischer und linker Organisationsformen, geht es um Strategie. Ebenso im schon erwähnten Artikel über die feministische Arbeit in der Gewerkschaftsbewegung. Ein erster Versuch, etwas über die Bedeutung der Frauenkultur für eine feministische Strategie auszusagen, ist »Marmelade heute!« So schließe ich damit wieder an den Ausgangspunkt der Diskussion an, dem Artikel über den Unterschied und die Übereinstimmung zwischen den feministischen Gesprächsgruppen, ersten Unterstützungskernen und Therapien einerseits und politischen Aktivitäten andererseits: »Wir durchbrechen unsere Isolation, indem wir über sie sprechen.«
Während ich dieses Vorwort schreibe, arbeite ich bereits an neuen Veröffentlichungen. Was mich im Augenblick brennend interessiert, ein in den vorliegenden Artikeln noch viel zu kurz gekommenes Thema, ist das Problem der verinnerlichten Unterdrückung. Wenn wir davon ausgehen, daß Unterdrückung nicht nur der Zwang von außen ist, sondern uns auch geformt, uns sozialisiert hat, wie sieht dann diese Sozialisation aus und wie können wir sie überwinden? Viele Probleme innerhalb der Frauenbewegung selbst haben mit verinnerlichter Unterdrückung zu tun, meine ich jetzt. Zum Beispiel die Schwierigkeiten mit einer Führung, mit dem, was in Amerika »trashing« genannt wird: Bestrafung und Mißtrauen den Frauen gegenüber, die leitende Funktionen haben oder zu bekannt werden.
Der Artikel über die Frauenbewegung in den Niederlanden befaßt sich bereits ansatzweise mit der Uneinigkeit oder mit Gleichheit und Ungleichheit innerhalb der Bewegung. Aber darüber ist noch sehr viel mehr zu sagen. Ebenso über die Unterschiede zwischen den Frauen untereinander, die neben der gemeinsamen Unterdrückung nicht zu übersehen sind, zum Beispiel Klassenunterschiede, Unterschiede der ethnischen Herkunft und Hautfarbe. Daran arbeite ich weiter. Und auch über das Männerproblem ist noch viel zu wenig gesagt, lediglich die Anklage ist deutlich geworden. Aber wie klar haben wir schon formuliert, was wir Frauen denn nun eigentlich von den Männern als Gruppe wollen?
Das sind meine nächsten Themen - oder besser, die Fortsetzung der Themen dieses Bandes. Bis dann also!
Anja Meulenbelt
23. August 1982

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Vorwort