1. Frauenwehrdienst - ja oder nein? -
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Pillenknick und militärische Entspannung
Die Bundeswehr hat gegenwärtig etwa eine halbe Million Soldaten. Doch Ende der 80er Jahre wird wegen des erwartete~ Geburtenrückganges die notwendige Rekrutenzahl nicht mehr aufrechtzuerhalten sein.
Nach den Plänen der Langzeitkommission des Verteidigungsministeriums werden bis 1995 insgesamt 104000 Soldaten fehlen.[2] Diese Lücke soll u. a. durch Frauen gestopft werden, damit - wie es heißt - die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr gewährleistet bleibt. Allerdings gibt es auch Stimmen, die die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr keineswegs gefährdet sehen, sondern die fordern, den erwarteten Geburtenrückgang zum Anlaß zu nehmen, endlich die Truppenreduzierungen vorzunehmen, die zur militärischen und politischen Entspannung notwendig sind.[3] Auch Entspannung muß mittel- und langfristig geplant werden. Deshalb deuten die Versuche, Truppenstärken zu halten, eher auf einen Entspannungsunwillen als auf Entspannungsbereitschaft von Militärs und Verteidigungsministerium hin. Welche Argumente gibt es für und gegen die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr?
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Das Emanzipationsargument - oder: Frauen als Lückenbüßer
Um Frauen den Bundeswehrdienst schmackhaft zu machen, wird behauptet, er diene der beruflichen Gleichberechtigung und der persönlichen Emanzipation. Mit dieser Behauptung wird das berechtigte Streben von Frauen und Mädchen nach Gleichberechtigung in Ausbildung und Beruf zur Legitimation eines Frauenwehrdienstes mißbraucht. Tatsächlich ist das Emanzipationsargument schon deshalb nicht stichhaltig, weil der Funktionsbereich der Frauen mit der Einbeziehung in die Bundeswehr frauenspezifisch bleiben würde, insofern Frauen zwar zur Übernahme männlicher Rollen bereitstünden, Männer dagegen nicht zur Übernahme weiblicher Rollen. Anders gesagt: Männer werden nicht dadurch zu Krankenschwestern und Sekretärinnen, daß Frauen soldatische Funktionen übernehmen. Die Übernahme soldatischer Funktion ist allerdings gar nicht geplant. Ganz sicher werden Frauen nicht zu den sogenannten Kampfverwendungen herangezogen werden. Die Überlegungen zur Einbeziehung von Frauen richten sich vielmehr auf Verwendungsbereiche wie den Transport, das Fernmelde-, Instandsetzungs- und Sanitätswesen sowie die Logistik und Verwaltung. Damit sind im übrigen auch die vielgepriesenen Aufstiegschancen beschränkt, denn für wichtige Führungsfunktionen werden bislang Erfahrungen in den Kampfverwendungen vorausgesetzt.[4]
Die Tatsache, daß relativ frühzeitig mit dem Sanitätsoffizier die Offizierslaufbahn für Frauen geöffnet wurde, widerspricht im übrigen nicht der Tendenz, Frauen mehrheitlich in weniger qualifizierten und untergeordneten Positionen einzusetzen. Bei den eingeplanten Frauenarbeitsplätzen - es sollen mindestens 15 000 und höchstens 40 000 sein überwiegen die geringeren bis mittleren Qualifikationen.
Auch bietet die Bundeswehr keine nennenswerten Ausbildungsplätze, weder im technischen Bereich noch in anderen Bereichen, vielmehr soll von den Bewerberinnen in der Regel eine abgeschlossene Berufsausbildung verlangt werden. Die Größenordnung, in der Arbeitsplätze für Frauen in der Bundeswehr eingeplant sind, macht sehr deutlich, daß die Hoffnungen vieler Frauen und Mädchen auf einen Arbeitsplatz bei der Bundeswehr illusionär sind. Wenn die Frauen- und Mädchenarbeitslosigkeit, die faktisch über die Millionengrenze gestiegen ist, wirklich effektiv beseitigt werden soll, muß ein umfassendes Beschäftigungsprogramm im zivilen Bereich durchgesetzt werden.[5]
Das Emanzipationsargument ist schließlich auch deshalb fragwürdig, weil eine Institution, die auf Befehl und Gehorsam, Über- und Unterordnung gründet und in der Tötung befohlen werden kann, ihrem Wesen nach anti-emanzipatorisch ist.
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Frauen als bessere Soldaten und Mutterrolle als Fluchtweg
Daß sich die zahlenmäßige Rekrutierung in so enggestrecktem Rahmen bewegen soll, hätte noch andere Folgen für die Situation von Frauen, die sich als Zeit- oder Berufssoldaten für die Bundeswehr verpflichten. Als leicht erkennbare Minderheit von drei bis acht Prozent, sind die Frauen nicht so sehr geeignet, die »Moral der Truppe« zu heben, denn als »Sündenböcke« herzuhalten, die an allem möglichen »Schuld haben«. Diese Sündenbockfunktion würde zweifellos dadurch verstärkt, daß Männer den Eindruck haben können, Frauen würden sie von den »besseren Plätzen« verdrängen, da typisch weibliche Verwendungsbereiche in der Armee häufig auch sogenannte Auslaufverwendungen für ältere Unteroffiziere darstellen. Deutlich wird das Problem etwa bei der Marine, wo die Einbeziehung von weiblichen Soldaten für den Landdienst eine Verlängerung der verschleißenden See-Zeit für Männer zur Folge hätte. Es ist sicher nicht von der Hand zu weisen, daß durch solche Fakten die Bereitschaft zur männlichen Aggressivität, die im Militär ohnehin erhöht ist, sich gegenüber Frauen weiter verstärken würde.[6] Die hohe Zahl von Vergewaltigungen in der amerikanischen und auch in der israelischen Armee wird z. B. als Indiz für solche Aggressionstendenzen gewertet. Bei den Frauen kann der Status der Minderheit, des Aggressionsobjektes und des Sündenbockes Ängste und damit Verhaltensunsicherheiten hervorrufen, die bekanntlich durch Überanpassung an bestimmte Normen und entsprechende Verhaltensweisen kompensiert werden können. Dazu gehören etwa solche Verhaltensqualitäten wie Ordnung, Pünktlichkeit und Gehorsam, und - trotz Schwangerschaften im Durchschnitt geringere Fehlzeiten, die die Frauen zu »besseren Soldaten« machen.[7]
Solche »kompensatorischen« Verhaltensweisen vermindern allerdings Angst und »Leidensdruck« nur begrenzt. Den Frauen, die den Dienst nicht mehr ertragen können, bleibt in der Regel auch als Möglichkeit der Rückzug in die Familie, um »in allen Ehren« aus dem Berufsleben auszusteigen. Aus diesem Grunde gelten im übrigen in amerikanischen Untersuchungen über Frauen in der US-Armee ausgetragene Schwangerschaften als Gradmesser der Berufsunzufriedenheit.[8] Auch beim Versuch, vom militärischen Berufsleben in das zivile umzusteigen, haben Frauen größere Schwierigkeiten als Männer.
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Partizipation und Macht
Nicht nur das Argument der beruflichen Gleichberechtigung in der Bundeswehr und durch die Bundeswehr ist falsch, auch die Vorstellung, mit dem Dienst in der Bundeswehr an militärischer Macht partizipieren zu können, ist trügerisch. Denn Frauen sind nicht deshalb keine Kontrolleure der bewaffneten Macht, weil sie keine Waffen tragen, sondern weil sie in den Gremien nicht repräsentiert sind, die eine politische Kontrolle militärischer Macht ausüben.[9]
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Freiwilligkeit und Gemeinschaftsdienst
Die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr soll zunächst auf »freiwilliger« Basis erfolgen. Allerdings weist die Diskussion um die sogenannte Gemeinschaftsdienstpflicht auf die Tendenz zu einer Zwangsverpflichtung von Frauen hin. Die Konzeption der Gemeinschaftsdienstpflicht sieht u. a. vor, Frauen in soziale Dienste, aber auch im Rahmen des Zivilschutzes und in den Dienstleistungsbereich des Militärs einzubeziehen. Der Gemeinschaftsdienst soll nach den Vorstellungen des Bundeswehrverbandes so lange dauern, wie der Grundwehrdienst für Männer. Dabei sind Verfügungsbereitschaft und Pflichtübungen für Frauen eingeplant. Im Rahmen eines Stufenplans soll es auch möglich werden, Frauen für militärische Zwecke heranzuziehen. Der militärische Charakter dieser Gemeinschaftsdienstpflicht wird u. a. daran deutlich, daß als oberstes, zuständiges Gremium der Bundessicherheitsrat vorgeschlagen wird, der auch im Rahmen der Notstandsgesetze als oberstes Gremium für den militärischen Notstand vorgesehen ist.[10] Die Tatsache, daß solche Pläne diskutiert werden, verstärkt den Eindruck, daß mit der Einführung des freiwilligen Dienstes für Frauen in der Bundeswehr der Einstieg in eine Zwangsrekrutierung möglich werden soll. Darüber hinaus wird deutlich, daß mit der Konkretisierung der Notstandsgesetze Kriegsvorbereitungen getroffen werden.
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Das Argument humanitärer Hilfe
Unmittelbar nach Inkrafttreten der Notstandsgesetzgebung im Jahre 1969 wurden bereits konkrete Maßnahmen eingeleitet, um im Spannungs- und Verteidigungsfall über zusätzliches Pflegepersonal zu verfügen. Dieses Pflegepersonal wird beschafft über sogenannte Schwesternhelferinnenkurse, die von verschiedenen Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz, der Johanniter-Unfallhilfe und dem Malteserhilfsdienst angeboten werden. Die Finanzierung dieser Ausbildung, mit der Frauen indirekt für militärische Dienste verpflichtet werden, werden zu 3/10 aus dem Etat des Verteidigungsministeriums und zu 7/10 aus dem Zivilverteidigungshaushalt des Bundesinnenmisteriums finanziert. Die Mehrheit der Frauen, die diese Kurse besuchen, wissen zwar, daß sie sich verpflichten, im Rahmen von öffentlichen Notständen als Personal zur Verfügung zu stehen.[11] Die wenigsten Frauen wissen jedoch, daß sie damit zugleich eingezogen werden in eine militärische Katastrophenmedizin, die keine wirkliche medizinische Hilfe im Erstfall bringen kann, wohl aber die Führbarkeit eines atomaren Krieges suggeriert und dadurch einer tatsächlichen Kriegsvorbereitung nutzbar gemacht werden kann. Eine weitergehende Einbeziehung in den Sanitätsbereich soll demnächst im Rahmen des Zivil- und Katastrophenschutzes ermöglicht werden.[12] Dabei ist es besonders schwierig, Frauen deutlich zu machen, daß auch mit sogenannter humanitärer Hilfe Kriege vorbereitet werden. Wenn Frauen diesen Zynismus nicht nur begreifen, sondern sich dieser Katastrophenmedizin verweigern sollen, sind sie gezwungen, ein Stück ihrer eigenen Sozialisation aufzuarbeiten, in der Helfen und Pflegen als gesellschaftlich bestimmte Verhaltensweisen nicht nur als typisch weibliche Verhaltensweisen, sondern als Werte schlechthin angeeignet werden. Insofern ist es auch nicht zufällig, daß die bereits 1975 erzielte Öffnung der Bundeswehr für Frauen mit dem weiblichen Sanitätsoffizier ohne großes öffentliches Aufsehen, durch einfache Änderung der Soldatengesetze möglich wurde. Bislang arbeiten allerdings erst rund 70 weibliche Sanitätsoffiziere in der Bundeswehr.[13]
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Friedfertigkeit durch Arbeitsteilung
Bereits heute stehen in der Bundeswehr rund 48000 zivile Arbeitsplätze für Frauen zur Verfügung. Diese Arbeitsplätze, vorwiegend im Verwaltungsbereich und in sonstigen Dienstleistungsbereichen, sind zum Funktionieren des Militärapparates wichtig.[14] Aber nicht nur im zivilen Bereich der Bundeswehr leisten Frauen ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung des Militärapparates. Ohne die Mitarbeit von Frauen wäre das gesamte System der Rüstungsdynamik nicht denkbar. Dabei geht es zunächst nicht um Schuldfragen, sondern lediglich darum festzustellen, daß Frauen durch Arbeitsteilung ihre sogenannte Friedlichkeit oder Friedfertigkeit behalten dürfen. So dienen Frauen »friedlich« als Ersatzarbeitskräfte und Planungsreserven für den Kriegsfall, insbesondere im Sanitätsbereich. Sie verkaufen Kriegsspielzeug, Kriegsromane und andere Waren der Rüstungskultur. Frauen arbeiten als Sekretärinnen im Verteidigungsministerium, in der Bundeswehr und sie arbeiten als Produzentinnen in der Rüstungsindustrie. Sie stellen Munition her, sie stellen Kleinwaffen her und produzieren die Elektronik für die großen Vernichtungswaffen. Sie arbeiten in der Textilbranche zur Produktion von Uniformen, sie produzieren Medizin und medizinische Technik für den »Ernstfall« und sie leisten Beziehungs- und Versorgungsarbeit als Mütter, Frauen und Freundinnen. Nicht zuletzt produzieren sie einen Teil militaristischer Ideologie als Journalistinnen, als Schriftstellerinnen, als Schauspielerinnen und Erzieherinnen. In allen diesen Bereichen sind Frauen in der Regel nicht nur passiv duldende Opfer, sondern sie sind Akteurinnen, die einen wesentlichen Beitrag dazu liefern, Krieg vorzubereiten und zu führen oder ihn zu verhindern, die Kriegs- und Rüstungsdynamik voranzutreiben oder aufzuheben.[15]
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Militarisierung der Gesellschaft
Bei den Versuchen zur Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr geht es zweifellos nicht nur um die Zahl der Soldaten und Soldatinnen, sondern auch um die besondere Qualität des Verhältnisses von Militär und Gesellschaft. Die Einstellung der Frauen zur Bundeswehr und »Landesverteidigung« spielt dabei eine wesentliche Rolle. Insbesondere die Tatsache, daß Frauen bislang den Hauptteil familialer und professionalisierter Erziehungsarbeit tragen, macht den Versuch zur Schaffung einer »Frauenlobby für das Militär« durch die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr zu einem Schritt, der auf eine weitere Militarisierung der Gesellschaft zielt. Dieser Versuch ist mit der erklärten Absicht zur Abrüstung und Entspannung keineswegs vereinbar und gewinnt auf der Folie der Auseinandersetzungen um die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa besonderes politisches Gewicht. Die Fragestellung, ob Frauen und Mädchen in die Bundeswehr sollen bzw. dürfen oder nicht, ist damit nicht nur für die Frauenbewegung, sondern auch für die Friedensbewegung von Bedeutung.
Die Auseinandersetzung mit der rollenspezifischen Arbeitsteilung und der daraus scheinbar resultierenden Friedlichkeit von Frauen sowie die Analyse von Versuchen zur Einbeziehung von Frauen in militärische Verwendungsbereiche können wichtige Einblicke in zentrale Mechanismen militärischer und politischer Machtausübung vermitteln und somit den »feministischen Blick« ausweiten auf Aspekte struktureller und personaler Gewalt, die mit Aufrüstung und Krieg einhergehen.
2. Gibt es eine geschlechtsrollenspezifische Friedenserziehung?
Entsprechend hat Friedenserziehung nicht nur geschlechtsneutrale, allgemeine Aspekte, wie es verschiedene Entwürfe zu Empfehlungen zur Friedenserziehung [16] nahelegen. Vielmehr gibt es wesentliche geschlechtsrollenspezifische Aspekte des Friedensproblems. Diese zu entdecken ist die Aufgabe praktischer Pädagogik, insbesondere von Lehrerinnen in der Frauen- und Friedensbewegung.
Die Auseinandersetzung mit Bundeswehr- und Zivildienst in Schule und Unterricht ist immer schon geschlechtsrollenspezifisch gewesen. Jungen verbinden eher selbstverständlich einen Teil ihrer eigenen Lebensperspektive mit militärischen Dingen, nicht nur indem sie zur Bundeswehr gehen bzw. gehen wollen, sondern auch dann, wenn sie sich explizit von einer solchen Perspektive distanzieren.[17] Das ist bei Mädchen nicht der Fall. Sie interessiert Militärisches weniger direkt als in ihrer Beziehung zum Mann, etwa im Sinne der Trennung vom Freund oder Ehemann, dem Aufschieben gemeinsamer, privater Lebensperspektiven. Das weibliche Desinteresse an militärischen Dingen erscheint jedoch in Unterricht und Erziehung unproblematisch, insofern es sich als »typisch weiblich« einordnen läßt. Mit anderen Worten, während das Desinteresse von Mädchen und Frauen als typisch gilt, wird beinahe ebenso selbstverständlich vorausgesetzt, daß männliches Desinteresse an Militärischem »untypisch« und »unnormal« ist. Tatsächlich werden von vielen Jungen, aber auch von Mädchen Zusammenhänge hergestellt wie: Wehrdienstverweigerung - Untauglichkeit Schwulsein - Tuntesein Unmännlichsein. Anders gesagt: Mädchen brauchen ihre Geschlechtsrolle zunächst nicht in Frage zu stellen bzw. in Frage stellen zu lassen, wenn sie sich für diese Probleme nicht interessieren, Jungen dagegen sehr wohl. Andererseits ist eine kritische Haltung an Militärischem weder bei Jungen noch bei Mädchen notwendig mit einer kritischen Haltung gegenüber der eigenen Rolle verknüpft bzw. aus einem kritischen
Rollenverständnis abgeleitet. Es bedarf dazu auch keiner grundsätzlich neuen Definition der eigenen Rolle. Die Kritik an der Bundeswehr, am Militärischen überhaupt, an der Sicherheitspolitik, an der Tötungsmoral u. ä. kann aus gänzlich anderen Zusammenhängen abgeleitet werden. Mit anderen Worten, obwohl die Thematik geschlechtsspezifische Problembereiche hat und entsprechende Zugänge bietet, kann eine kritische Auseinandersetzung auch ohne Berücksichtigung dieser Problemaspekte erfolgen. Anders ist es mit der Frage, ob Frauen in die Bundeswehr sollen oder nicht. Mit dieser Frage wird die Geschlechtsrollenproblematik direkt angesprochen; sie ist gewissermaßen unausweichlich geworden, ohne daß zugleich die allgemeineren Aspekte damit
ausgeblendet werden müßten.
Die geschlechtsrollenspezifische Fragestellung ist hier zugleich ein Einstieg in die allgemeineren Fragen von Krieg und Frieden, Rüstung und Abrüstung, Militarismus und Pazifismus, Emanzipation u. a. Zugleich bietet die Auseinandersetzung mit der geschlechtsrollenspezifischen Verwendung von Männern und Frauen bei der Bundeswehr und in zivilen Diensten oder in der Rüstungsindustrie, einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit der geschlechtsrollenspezifischen Arbeitsteilung in Familie und Beruf, der unterschiedlichen Repräsentanz von Frauen und Männern in der Politik. Darüber hinaus kann die Auseinandersetzung mit dem Engagement von Frauen und Männern in der Friedensbewegung über eine produktive Rollenverunsicherung hinaus Identifikationsmöglichkeiten für selbstbewußtes und mündiges Handeln bieten. Über Anknüpfungspunkte und Problembereiche wie die Friedensbewegung läßt sich auch die gemeinsame Interessenlage von Männern und Frauen verdeutlichen, ohne die Unterschiede und Widersprüche zwischen ihnen zu verwischen. Dabei muß auch der tiefgreifenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und des sich darin abbildenden, besonderen Gewaltverhältnisses zwischen Mann und Frau Rechnung getragen werden. Zugleich müssen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt werden, durch die die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, auch diese Formen von Gewalt und Friedlosigkeit analytisch zu erfassen und deren wechselseitige Abhängigkeiten zu erkennen und zugleich ins Verhältnis zu setzen. Außerdem müssen Motivationen und Fähigkeiten entwickelt werden, diese Gewalt und Friedlosigkeit zu beseitigen. Das heißt, geschlechtsspezifische Friedenserziehung muß Teil einer umfassenden, historisch-politischen Bildung sein, die die historische Entwicklung des Frauenproblems, die Stellung der Frau in Krieg und Frieden zutreffend vermittelt und zur gesellschaftlichen Emanzipation der Frau beitragen kann.
Mit der Einbeziehung der Frauen-Friedensbewegung, die ja explizit Reaktion auf gesellschaftliche Gewaltstrukturen ist und die zum Ziel hat, diese aufzuheben, die geprägt ist von dem tiefen Mißtrauen der Frauen gegenüber der Friedensliebe und der Friedensfähigkeit »der Männer da oben«, der »Ausbeuter« und »Unterdrücker«, werden kritische Positionen in den Unterricht eingeführt und kritische Fragehaltungen hervorgerufen und verstärkt. Zudem ermöglicht die Einführung der Friedensproblematik zusammen mit der Männer/Frauen-Problematik eine direkte Verknüpfung von internationaler, innergesellschaftlicher und im engeren Sinne zwischenmenschlicher Konfliktebene, über die ein Transport »der großen Politik« bis in die Privatheit und umgekehrt stattfinden kann. Darin liegen Chancen für eine handlungsbezogene Friedenserziehung, die an subjektiver Betroffenheit und objektiver Interessenlage anknüpfen will.
3. Das Projekt
Einen Beitrag dazu liefern sollte folgendes Unterrichtsprojekt. Es fand im Rahmen des sozialwissenschaftlichen Wahlpflichtunterrichts im 9. Jahrgang einer Gesamtschule statt. Am Kurs haben insgesamt 25 Schülerinnen und 4 Schüler teilgenommen. Das Projekt dauerte 44 Unterrichtsstunden, nicht eingerechnet die zahlreichen Freizeitstunden, die Schülerinnen und Schüler zusätzlich aufgewendet haben.
3.1 Inhaltliche Schwerpunkte
- Der erste, inhaltliche Schwerpunkt befaßte sich mit der Fragestellung, ob die Einbeziehung von Frauen und Mädchen in die Bundeswehr ein Beitrag zu ihrer Emanzipation und zur Verbesserung ihrer Lage auf dem Arbeitsmarkt sein kann. Dabei wurde die augenblickliche Ausbildungs- und Beschäftigungssituation von Mädchen und Frauen untersucht und mit den »Angeboten« der Bundeswehr verglichen. Die dabei klar erkennbare Lückenbüßerfunktion der Frauen und Mädchen wurde ebenfalls hinterfragt. Außerdem wurden Zusammenhänge zwischen Rüstungskosten, Sozialabbau und Arbeitslosigkeit, von denen insbesondere Frauen und Mädchen betroffen sind, hergestellt und daraus eigene Vorschläge zu Beschäftigungsmöglichkeiten von Frauen und Mädchen entwickelt.
Ein zweiter inhaltlicher Schwerpunkt beschäftigte sich mit den Prinzipien einer Sicherheitspolitik, die Frauen in Hochrüstungs- und Kriegsvorbereitungen einbezieht. In diesem Zusammenhang wurde die Frage nach der Glaubwürdigkeit offiziöser Regierungspolitik behandelt. Zur Diskussion standen neben der offiziellen Sicherheitspolitik auch Alternativen. Aufgegriffen wurde in diesem Zusammenhang u. a. das Argument der Gegnerinnen und Gegner des Frauenwehrdienstes, die Tatsache der zurückgehenden Rekrutenzahlen zur Truppenreduzierung zu nutzen. Im Zusammenhang mit der sicherheitspolitischen Diskussion wurden auch die Probleme der Partizipation des Bürgers an der großen Politik diskutiert.
Der dritte Schwerpunkt bezog sich auf die historischen Dimensionen der Einbeziehung von Frauen in die Kriegs- und Rüstungsmaschinerie. Insbesondere wurde die Entwicklung des Artikels 18 des Grundgesetzes behandelt und die Folgen aus der Notstandsgesetzgebung. Im Mittelpunkt standen das Gesundheitssicherstellungsgesetz, die Funktion von Schwesternhelferinnenkursen im Zusammenhang mit den Auswirkungen eines atomaren Krieges auf die Bevölkerung. Mit der Gemeinschaftsdienstpflicht wurde zudem das Argument der Freiwilligkeit gegenüber der Zwangsverpflichtung diskutiert. Außerdem wurde diskutiert, welche Bedeutung große soziale Bewegungen - wie zum Beispiel die Bewegung gegen die Notstandsgesetze und die aktuelle Frauen-Friedens-Bewegung - für die Aufklärung der Bevölkerung, die Verhinderung und die Durchsetzung bestimmter sozialer und politischer Forderungen haben bzw. haben können.
Ausgangspunkt für die Diskussion des vierten Schwerpunktes war die Frauenfriedensbewegung, ihre Ziele und Forderungen, Aktionen und Aktionsformen. Daran anschließend wurden jedoch vor allem die Schwierigkeiten der Mädchen diskutiert, die während des Projektes und auch bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Veranstaltung am Ende des Projektes aufgetaucht waren, zum Beispiel die eigenen Interessen zu artikulieren und wirkungsvoll nach außen zu vertreten, die Schwierigkeiten, Hemmungen zu überwinden, nicht brav zu sein, sich nicht einfach anzupassen und sich dem Stärkeren zu unterwerfen.
3.2 Einstieg und Interview
- Über die Bundeswehr wollten einige mehr wissen, auch von der Abrüstungsdebatte. Meinungen und Vorurteile darüber prallten aufeinander. Andere Mädchen wollten davon gar nichts wissen. Sie meinten, Militär und Bundeswehr gehe sie nichts an, sie verstünden sowieso nichts davon, und »die da oben« würden doch alles so machen, wie sie wollten. Als Gegenbeweis - mindestens für die Behauptung, daß Militär Frauen nichts angehe - zog eine der Mitschülerinnen das GEO-Heft aus der Tasche. »Soldatinnen in der US-Armee.«[18] Also doch etwas für Mädchen?
Der Text wurde gelesen und heftig diskutiert. Das Ergebnis der Diskussion ist zusammengefaßt etwa folgendes: Der groß aufgemachte Bericht über Frauen in der US-Armee in der Zeitschrift GEO soll auch deutschen Mädchen und Frauen das Militär und die Einbeziehung in die Bundeswehr nahebringen und schmackhaft machen. Während der Artikel den Frauen über das Militär, Aufstieg, Emanzipation und Anerkennung verspricht, vermitteln die Hochglanz-Werbefotos, die den Artikel garnieren, zugleich in doppelbödiger Weise alte Rollenklischees. So werden Frauen und Mädchen in verschiedenen Posen gezeigt mit sorgfältigem Make-up unter leichtem Schmutz, hinterm MG oder an der steilen Wand, beim Flirt auf der Wiese, beim Kuß hinterm Bier, beim Konditionstraining auf der Wiese, in hilfloser Pose auf dem Boden oder als schwarzer Offizier mit dem Blick geradeaus, Befehl gebend oder entgegennehmend, es ist nicht klar erkennbar.
Artikel und Bilder sollen den Hauch Abenteuer vermitteln, den insbesondere die Abiturientin sich erträumen mag. Davon, daß auch Frauen in der US-Armee in unteren Rangpositionen bleiben, daß von Emanzipation beim Kasernenhofdrill und bei der Ausbildung zum Töten nicht die Rede sein kann, ist im Artikel nicht die Rede.
Unterm Strich ergab die Diskussion eine Ablehnung der Einbeziehung von Frauen ins Militär. Dennoch glauben viele, daß die Mehrheit der Mitschülerinnen und Mitschüler diese Auffassung nicht teilt. Die Kontroverse darüber wird durch den Vorschlag beendet, durch eine Umfrage: Pro oder Kontra Frauenwehrdienst den Sachverhalt zu überprüfen und zu klären.
Insgesamt wurden 90 Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 20 Jahren um eine kurze, schriftliche Antwort auf die Frage »Pro oder Kontra Frauen in die Bundeswehr?« gebeten. Es antworteten 83 Mitschülerinnen und Mitschüler, etwas mehr als die Hälfte davon Mädchen. Das Ergebnis ist zwar genauso wenig repräsentativ wie die Stichprobe selbst, dennoch lassen die Antworten unterschiedliche Positionen und verschiedene Argumentationslinien erkennen allerdings keine nennenswerten Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen.
Insgesamt sprechen sich mehr als zwei Drittel der Befragten gegen die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr aus. Davon lehnt mehr als die Hälfte den Bundeswehrdienst auch für Männer ab. Ebenso groß ist die Zahl derer, die die Ablehnung des Frauenwehrdienstes sowie die Ablehnung des Bundeswehrdienstes für Männer und Frauen mit einer kritischen Einschätzung der offiziellen Sicherheitspolitik verknüpfen. Zugleich zeigt ein großer Teil dieser Antworten eine hohe, emotionale Betroffenheit über Hochrüstung und Kriegsgefahr. Etwa ein Viertel der Kontra-Antworten möchte den Bundeswehrdienst für Frauen als individuelles Recht einräumen, lehnt jedoch eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen ab. Bei einem Teil dieser Kontra-Antworten wird ein freiwilliger Bundeswehrdienst für Frauen eingeräumt, der Bundeswehrdienst jedoch als eigene Handlungsperspektive ausgeschlossen. In wenigen Fällen wird der Bundeswehrdienst für Frauen mit dem Argument der mangelnden Eignung von Frauen begründet. Besonders häufig wird in den Kontra-Stellungnahmen das Emanzipationsargument aufgegriffen und widerlegt. Besonders häufig wird auf die Funktionsprinzipien der Bundeswehr hingewiesen, um das Emanzipationsargument zu widerlegen. An zweiter Stelle der Nennungen steht das Arbeitsplatzargument. Die Mehrheit der Kontra-Argumente zeigt eine grundsätzliche Ablehnung von Kriegsdienst, Hochrüstung und Krieg. Auf diesem Hintergrund wird auch der Wehrdienst für Frauen abgelehnt.
Pro
16 Jahre, männlich
»Wenn die Männer in die Bundeswehr müssen, sollen auch die Frauen hin, aber nicht als Befehlende.«
15 Jahre, männlich
»Wenn die Frauen emanzipiert sein wollen, sollen sie bitte sehr auch in die Scheiß-Bundeswehr!«
16 Jahre, weiblich
»Es ist gut, wenn die Frauen auch Ahnung davon haben, wie sie im Falle eines Angriffskrieges ihr Vaterland verteidigen können. Außerdem trägt das zur Emanzipation der Frauen bei!«
15 Jahre, weiblich
»Ich würde das ganz toll finden, denn ich möchte in allen Gebieten gleichberechtigt sein. Ich meine aber, Männer und Frauen sollten getrennt eingesetzt werden.«
17 Jahre, weiblich
»Ich bin der Meinung, daß die Bundeswehr für Frauen auf jeden Fall freiwillig sein muß, damit die Frau selbst entscheiden kann.«
16 Jahre, weiblich
»Wenn ich keinen Job finden würde, würde ich auch zur Bundeswehr gehen.«
15 Jahre, männlich
»Wer freiwillig zur Bundeswehr will, dem sollte man die Freiheit nicht rauben!«
15 Jahre, männlich
»Solange es Feinde gibt, brauchen wir auch eine Bundeswehr. Allerdings meine ich, daß ein Berufsheer wirkungsvoller wäre. Dann sollten aber auch Frauen zur Bundeswehr können, ähnlich wie in Amerika. Dort werden Frauen auch an der Waffe ausgebildet. Ich finde, das dient der Gleichberechtigung!«
16 Jahre, männlich
»Ich würde es gar nicht schlecht finden, die Bundeswehr auf freiwilliger Basis zu machen. Allerdings müssen dann auch Frauen in die Bundeswehr können, damit die Zahl voll wird.«
Kontra
15 Jahre, weiblich
»Wenn die Frauen zur Bundeswehr müssen, sollte es auch Zivildienst für Frauen geben. Ich würde dann verweigern. Allerdings bin ich gegen die Gewissensprüfung. Ein Gewissen kann man meiner Meinung nach nicht prüfen. Außerdem sind die Gewissensprüfer häufig für die Bundeswehr!«
15 Jahre, weiblich
»Vielleicht könnte man statt Bundeswehr für Frauen eine Art Zivildienst machen. Ich würde dann vielleicht etwas in der Krankenpflege machen. Vielleicht kann man das später für den Beruf verwenden, wer weiß! Aber, wenn ich mir das richtig überlege, wäre es besser, wenn man sofort in diesen Beruf könnte. Man würde wohl auch mehr verdienen.«
15 Jahre, weiblich
»Ich würde auf keinen Fall zur Bundeswehr gehen. Schon die Werbung für die Bundeswehr gefällt mir nicht. Im Manöver mit Schminke und so. Ich glaube, die wollen uns veräppeln. Da ist nichts mit Schminke im Matsch. Außerdem würde ich lieber alten Leuten den Hintern abwischen, da tut man wenigstens was Gutes!«
16 Jahre, weiblich
»Mein Bruder hat den Wehdienst verweigert und wir haben uns darüber unterhalten. Ich glaube, ich würde auch nicht zur Bundeswehr gehen. Man sollte alle Rüstungen abschaffen, damit es endlich Frieden gibt. Außerdem ist die Rüstung unmenschlich, täglich sterben Tausende von Babys, weil sie nichts zu essen haben. Ich selbst wünsche mir auch Kinder!«
17 Jahre, weiblich
»Ich verstehe nicht, wie jemand freiwillig zur Bundeswehr gehen kann. Auch wenn er nicht den Dienst mit der Waffe tut, trägt er irgendwie zum Krieg bei. Man sollte sämtliche Rüstung und die ganze Bundeswehr abschaffen. Ich kann mir nicht denken, daß Menschen irgendwo auf der Welt einen dritten Weltkrieg wollen, außer REAGAN und andere Irre.«
18 Jahre, männlich
»Warum sollen die Frauen nun auch noch zur Bundeswehr! Man will doch abrüsten und den Frieden. Und warum rüstet man dann wie verrückt? Und jetzt will man auch noch die Frauen in die Bundeswehr! Ein Gewehr für Pappi, eins für Mammi und eins fürs Baby. Ei, wie fein! Ab ins Massengrab!«
19 Jahre, männlich
»Warum will man die Frauen ziehen? Ich sehe das im Zusammenhang mit der Wehrkunde und Jugendoffizieren, sowie der Bundeswehrwerbung allgemein. Man will die Frauen stärker beeinflussen!«
Etwa ein Drittel der Befragten, die sich für die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr ausgesprochen haben, führt als Begründung für die positive Entscheidung das Emanzipationsargument an. Allerdings ist dieses Emanzipationsargument in vielen Fällen mit einer Wendung gegen die Emanzipationsbemühungen der Frauen versehen, zum anderen Teil mit einer negativen Haltung gegenüber der Bundeswehr.
Das Emanzipationsargument wird häufig in Verbindung mit dem Hinweis auf den Bundeswehrdienst als Pflicht (auch für Frauen) gebracht, und zwar nach dem Muster: Gleiche Rechte - Gleiche Pflichten; übrigens häufiger von Jungen als von Mädchen. Bei einem großen Teil von Pro-Antworten finden sich Hinweise auf die Freiwilligkeit des Bundeswehrdienstes für Frauen. Die Mehrheit unterstützt einen freiwilligen Bundeswehrdienst für Frauen, ohne daß diese Freiwilligkeit begründet würde. Bei vielen Mädchen, die sich für einen Bundeswehrdienst aussprechen, spielt das Arbeitsplatzargument eine wichtige Rolle. In einigen Fällen wird von der Notwendigkeit der »Vaterlandsverteidigung« gesprochen.
Auswertung der Interviewergebnisse
Die schriftlichen Befragungsergebnisse wurden von einer Gruppe nach verschiedenen sozialen und inhaltlichen Kriterien geordnet: männlich weiblich, Pro und Kontra, Emanzipationsargument, Arbeitsplatzargument, Argument der Freiwilligkeit u. a. Die Ergebnisse wurden dann mit von einer Reihe von Schülerinnen und Schülern mit der Schreibmaschine abgeschrieben, abgezogen und dem gesamten Kurs zur Verfügung gestellt.
Die Diskussion der Pro-Argumente entwickelte sich sehr schnell zu einer Diskussion über »die eigentliche Natur der Frau« versus »Emanzipation«. Dabei ließ sich zeigen, daß hinter dem Argument der »Freiwilligkeit« sich wesentlich die alten Klischees der »eigentlichen Rolle« und »Bestimmung der Frau« verbergen, und somit die Echtheit des Emanzipationsargumentes in Frage gestellt wurde. Ähnliches gilt für die Forderung: Gleiches Recht - gleiche Pflichten. So stellten die Schülerinnen fest, daß diejenigen, die die Frauen lieber »unten«, »nicht als Befehlende« und als Lückenbüßer sehen wollen, die den Frauen »gleiche Pflichten« verordnen, aber längst nicht alle Rechte zugestehen, es nicht ganz ernst mit der Emanzipation der Frauen meinen können. Sie arbeiteten an verschiedenen Beispielen heraus, daß Frauen eine Menge Pflichten haben, deren Erfüllung die Männer weit von sich weisen, um ihre eigene »Emanzipation« nicht zu gefährden; dazu gehören etwa die Kinderaufzucht und die Hausarbeit. Interessant an der Diskussion war im übrigen die Tatsache, daß die Emanzipation der Frau vordergründig an Verhaltensmöglichkeiten der Männer gemessen wurde. Die Diskussion des Emanzipationsarguments im Zusammenhang mit Militär und Rüstung führte jedoch zu einer kritischen Haltung gegenüber männlichen Verhaltensmöglichkeiten in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen, und mündete in die Feststellung, daß Frauenemanzipation mit Vorstellungen einer anderen Gesellschaft verknüpft werden muß: einer friedlicheren Gesellschaft, einer gerechteren Gesellschaft, einer Gesellschaft, in der die Natur nicht zerstört wird, in der nicht sinnlos Reichtümer verschwendet, Frauenrecht unterdrückt und Minderheiten diskriminiert werden. Die Aufarbeitung der Kontra-Argumente erfolgte mit der Stoßrichtung, die dort gemachten Aussagen auf ihre Richtigkeit hin zu diskutieren. Dabei stellte sich heraus, daß den Schülerinnen und Schülern eine Menge an inhaltlichen Informationen fehlte, die nötig gewesen wäre, um die vorliegenden Argumente zu überprüfen. Es wurde deshalb beschlossen, weitere Informationen zu sammeln. Insgesamt wurden fünf Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit jeweils unterschiedlichen Fragestellungen beschäftigten
- Ist der Frauenwehrdienst Teil der Aufrüstung?
- Ist Abrüstung nicht möglich?
- Ist die Arbeit bei der Bundeswehr in jedem Falle unmoralisch oder gibt es auch quasi »humanitäre Verwendungsmöglichkeiten« von Frauen bei der Bundeswehr?
- Ist die Diskussion um den Frauenwehrdienst neu, wie sah es in der Vergangenheit aus?
- Bietet die Bundeswehr Frauenarbeitsplätze oder vernichtet sie Arbeitsplätze?
Die einzelnen Gruppen sollten ihre Ergebnisse schriftlich zusammenfassen und daraus jeweils eine Stellungnahme machen
Die Ergebnisse dieser Arbeit waren Stellungnahmen gegen die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr, gegen Kriegsmedizin und Gesundheitssicherstellungsgesetz, gegen die Notstandsgesetzgebung und ihre Folgen, es war eine Anklage gegen die Rüstungsindustrie und die Arbeitsplatzvernichtung und ein Aufruf zur Abrüstung und Gegenwehr. Die einzelnen Gruppen stellten ihre Ergebnisse vor und vertraten sie gegenüber der Kritik der übrigen Mitschülerinnen und -schüler. Kritik wurde nach der Diskussion in die eigene Stellungnahme einbezogen, sofern diese von der jeweiligen Gruppe akzeptiert wurde.
3.3 Die Broschüre
Der Beschluß, eine gemeinsame Broschüre aus den vorliegenden Stellungnahmen zu machen, lag nahe. Die Broschüre sollte illustriert und mit weiteren Materialien ergänzt werden: Gedichten, Zeichnungen, Bilderwitzen, Überschriften und Kommentaren, sowie einem entsprechenden Umschlag versehen werden (vgl. Abb. 2).
In der Diskussion über die Broschüre wurde den Schülerinnen und Schülern selbst zunehmend deutlicher, daß sie in der Herstellung eines Produkts begriffen waren, das nicht »pluralistisch« und nach allen Seiten offen und abgerundet war, sondern »parteinehmend« und interessengebunden, »einseitig«. Dennoch stellten sich die Schülerinnen und Schüler nach längerer Diskussion auf den Standpunkt, daß nach einer offenen, pluralistischen Diskussion über unterschiedliche und kontroverse Positionen sie ihre Meinungen ("ob einseitig oder nicht") offen und öffentlich vertreten könnten. Sie meinten »verlangen« zu können, daß andere ebenso offen diskutieren wie sie selbst es getan hatten. Als Ziel formulierten sie, die anderen vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Dennoch müsse jeder das Recht auf eine eigene Meinung behalten. In einem Diskussionsprozeß müßten allen Positionen gleiche Chancen gegeben werden. Dazu sei, so wurde befunden, die Broschüre selbst allein nicht ausreichend, man müsse noch andere Informationen an die Mitschüler bringen und jene diskutierbar machen. Damit war die Idee zu der Organisierung einer Podiumsveranstaltung geboren.
3.4 Die Veranstaltung
Zur Veranstaltung selbst gehörte einmal das Podium, zu dem die Schülerinnen Frauen aus verschiedenen Organisationen, der CDU, der SPD, der DFG-VK und dem DGB eingeladen hatten, weiter die Einladungstexte, Einladungen, die Entwicklung der Konzeption für die Einladung, die Vorbereitung von Redebeiträgen und Fragen, der Kontakt zur Mädchenband, der Abdruck und das Verteilen ihrer Liedertexte, die Organisation der Mensa für die Veranstaltung, die richtige Bestuhlung, der Entwurf, der Druck und das Verteilen der Flugblätter, die Organisierung der Büchertische, der Bücher, ihre Sichtung und Diskussion, der Entwurf der Ausstellung.[18] Der Verkauf der Broschüre, die Auswertung der Veranstaltung in der Diskussion im Kurs selbst, aber auch in verschiedenen anderen Kursen sowie das Schreiben der Auswertungsartikel verdeutlichen die starke Handlungsmotivation und zugleich die Bereitschaft, sich der propagandistischen Mittel der demokratischen Bewegungen zu bedienen. Obwohl die einzelnen Aktivitäten, beispielsweise die Betreuung des
Büchertisches, der Verkauf der Broschüre, das Besorgen der Technik, von einzelnen Schülern und Schülergruppen relativ autonom, quasi mit beratender Stimme der Lehrerin stattfanden, blieben die Schülerinnen und Schüler darauf angewiesen, daß eine Rückbindung der Einzelaktivitäten an den Gesamtkurs, die Bestimmung der Einzelaktivitäten für die Gesamtveranstaltung, die Koordinierung der einzelnen Aktivitäten in einem bestimmten Zeitrahmen und die Absicherung des gesamten Vorhabens über die Schulleitung über die Lehrerin stattfanden. Man kann sogar sagen, daß die Schülerinnen und Schüler im Vertrauen auf diese Vermittlungsfunktion ihre Veranstaltung planten und durchführten, ihre Inhalte und Formen und die Ergebnisse ihrer Veranstaltung schulöffentlich verantworteten.
Die Idee der Organisierung einer Veranstaltung und vor allem auch die Art der »Mobilisierung« auf diese Veranstaltung hin, waren nicht geringfügig beeinflußt durch eine Diskussion, die die Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines weihnachtlichen Friedensfestes mit Kollegiatinnen des Oberstufen-Kollegs Bielefeld hatten. Die Kollegiatinnen hatten an einem Unterrichtsprojekt teilgenommen, das sich mit der Geschichte der Frauen-Friedensbewegung, der Friedlichkeit der Frauen und der geplanten Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr beschäftigte. Diese Diskussion, die sich schließlich auf die Frage nach den Möglichkeiten der Aufklärung und Gegenwehr von Frauen konzentrierte, hatte den Schülerinnen nicht nur eine ganz Reihe von Argumenten gebracht, sondern zugleich auch den Mut, sich selbst in solche Auseinandersetzungen einzumischen und selbstbestimmte Aktionsformen auszuprobieren.
Die Mädchen der neugegründeten Mädchenband hatten ebenfalls an dieser Diskussion teilgenommen. Ihre Bereitschaft, »etwas gegen den Bundeswehrdienst für Frauen« und »für den Frieden« zu tun, äußerte sich schon während dieses Gespräches. Friedens- und Frauensfriedenlieder haben sie für diese Veranstaltung geschrieben und vertont. Die Mädchenband hat zur Attraktivität der Veranstaltung beigetragen, an der ca. 500 Schülerinnen und Schüler teilgenommen haben (vgl. Abb. 3). Die weibliche Besetzung von Band und Podium (vor allem »die Weiber auf dem Podium") löste nicht nur Interesse, sondern auch heftige, aggressive und beleidigte Attacken aus, nach dem Schema: Warum sitzen da nur Frauen? Männer haben dazu auch eine Meinung und sie sind selbst auch betroffen! Erst in diesen Diskussionen und Gesprächen ist den Mädchen aufgefallen, daß es größere Wirkung auf die Männer und Jungen hat, wenn Frauen und Mädchen öffentlich reden, als wenn sie öffentlich Flugblätter verteilen, Broschüre verkaufen, Büchertische schleppen, also typische Frauenarbeit machen.
Das Rampenlicht und die »öffentliche Rede«, kritisieren die Schülerinnen, behält sich das »starke Geschlecht« »selbst-herrlich« vor und »wehe, wenn die Frau es wagt zu reden!«. Sie merkten auch, daß die heftigen Attacken gegen die weibliche Besetzung von Podium und Band im Rollenverständnis von Mann und Frau, nicht der Sache nach zu begründen war. Dennoch spürten viele Mädchen Angst und Unsicherheit. Sie bemerkten ihre eigenen Rückzugstendenzen, die Tendenz, »klein beizugeben« um »des lieben Friedens Willen«; sie hatten das Gefühl, etwas »Unrechtmäßiges« getan zu haben, obwohl ihr Anliegen doch legitim und ihr Engagement ehrenwert sei. Sie merkten aber auch die »aufsteigende Wut« über die blöde Ignoranz« der Jungen, durch die ihre Zunge jedoch nicht gelöst wurde. Selbst den redegewandten Mädchen war die Stimme verschlagen.
4. »Strategie der Öffnung« als Strategie handlungsbezogener Friedenserziehung?
Grundsätzlich muß eine Erziehung, die den Frieden in den Köpfen großziehen will, die die Individuen befähigen will, gegen alle möglichen Formen von Not und Gewalt individuelle und gesellschaftliche Alternativen zu entwerfen und zu verwirklichen, nicht nur entsprechende Inhalte berücksichtigen, sondern sie braucht auch institutionelle Rahmenbedingungen und Lehr-/Lern-Formen, die diesen Inhalten angemessen sind, das heißt, die wenigstens tendenziell die Aufhebung von Gewaltstrukturen bedeuten. Das können solche Lehr-Lern-Formen am ehesten garantieren, die man als »Strategie der Öffnung« des Unterrichts bezeichnen könnte. Dazu gehören die Öffnung des Unterrichts für die Interessen der Schülerinnen und Schüler, etwa durch ihre Einbeziehung in die Planung des Unterrichts, aber auch die Unterstützung der Selbständigkeit und der Selbsttätigkeit der Schüler unter Verzicht auf ständige Kontrolle. Dazu gehört die Ermöglichung von Selbst-Reflexion und Meta-Kommunikation über das eigene Lernen und Handeln der Schülerinnen und Schüler als eine der Voraussetzungen zu selbständigem und planvollem Handeln. Öffnung heißt auch, die Akzeptierung der Notwendigkeit alternativer Informationen und die Möglichkeit, solche Informationen aus unterschiedlichen Informationsquellen zu beschaffen, damit deren Wahrheitswert von Schülerinnen und Schülern selbst überprüft, relativiert und/oder erhärtet werden kann. Öffnung heißt auch »Veröffentlichung« der Unterrichtsfragen, der Ergebnisse, der Produkte, heißt, die Herstellung einer »kommunikativen Struktur«, die den Dialog möglich und damit Konflikte aushaltbar macht. Öffnung heißt auch Öffnung des Unterrichts für die »un-pädagogisierte« Erfahrungswelt außerhalb von Schule und innerhalb, und zwar zunächst durchaus ohne den Anspruch, diese Erfahrungswelt sogleich »pädagogisch im Griff« zu haben. Öffnung des Unterrichts heißt auch, die Öffnung des Unterrichts für den »Ernstfall«, der Betroffenheit auslöst und damit auch solche Gefühle wie Angst und Abwehr, Aggression und Haß, Hoffnungslosigkeit und Resignation, Wut und Hoffnung oder auch das Gefühl, »etwas tun zu müssen«, zu handeln. Öffnung des Unterrichts heißt auch Öffnung für politische Handlungen mit Ernstcharakter, wo Schülerinnen und Schüler »relativ angstfrei« handelnd lernen können, und zwar - entscheidend - mit der explizit eingeräumten Chance »abweichende« und »unliebsame« Meinungen zu äußern und »Fehler« zu machen.
Diese Strategie der Öffnung des Unterrichts ist ein wesentlicher Bestandteil der Handlungsorientierung von Friedenserziehung und auch die Besonderheit dieses Projektes.
Eine solche handlungsbezogene Pädagogik muß in den zunehmend enger werdenden bildungspolitischen Handlungsspielräumen verteidigt werden; dabei bewegt man sich in einer Art »Grauzone«, in der man politisch-administrativem Zugriff ausgeliefert erscheint. Ob dieser schließlich erfolgt, hängt nicht nur davon ab, wie verständlich das pädagogische Anliegen Kollegen, Eltern und Schulleitung gemacht werden kann, sondern auch vom spezifischen, politischen Kräfteverhältnis in der Kommune und im Land; insbesondere wichtig für die Möglichkeiten der Nutzung pädagogischer Handlungsspielräume ist heute der Einfluß der Friedensbewegung.