»O wie ist mein Klopstock so sehr für mich!
u so sehr über mich, als ich haben will, daß
es ein Mann seyn soll.«
Meta Klopstock an ihre Schwester
Elisabeth Schmidt, 4. April 1756
Klopstock war bereits berühmt und gefeiert als Dichter des Messias, als er, aus der Schweiz kommend, im April 1751 in
Hamburg Station machte. Das gewaltige Epos — die Leidens- und Auferstehungsgeschichte des Herrn — sorgenfrei zu vollenden, hatte ihn König Friedrich der Fünfte nach Dänemark eingeladen und ihm ein lebenslängliches Jahresgehalt von 400 Talern zugesagt. In Hamburg lernte Klopstock auf Empfehlung eines Jugendfreundes die dreiundzwanzigjährige Kaufmannstochter Meta Moller kennen, ein
kluges, unabhängig denkendes Mädchen, eine kritische und zugleich bewunderungsvolle Verehrerin seiner Dichtung.
Das erste Zusammentreffen mit Klopstock im Hause ihrer Schwester hat Meta zwei Jahre später sehr anmutig und lebendig zu schildern gewußt. Daß beide großes Gefallen aneinander fanden, offenbaren die Briefe, die nach der Ankunft des Dichters in Kopenhagen unermüdlich zweimal die Woche zwischen Hamburg und Dänemark hin und her wandern. Zwar steht Klopstock zunächst noch ganz unter dem Eindruck einer unerwiderten Liebe zu seiner Cousine, der Fanny seiner ersten schwärmerischen Oden, zwar fühlt
auch Meta sich gebunden und betont gerne ihr freund-schwesterliches Verhältnis zu dem Dichter. Doch unmerklich wandelt sich Neckerei in ernste Empfindung, und als das Jahr darauf ein zweites Wiedersehen in Hamburg bringt, ist keine Täuschung mehr möglich. »Meine einzige, meine theure, meine meine Moller - - wie kann ich es aussprechen? wie sehr, u wie ewig, bin ich dein!« Und Meta jubelt: »Alle die Bewunderung die Ehrfurcht hat Liebe werden dürfen! O wie lieb ich dich!« Klopstocks schönste Liebeslyrik, die Oden an Cidli, verdanken dieser Verlobungszeit ihre Entstehung.
An eine Heirat allerdings war vorerst nicht zu denken. Klopstock lebte ohne Beruf, ohne amtliche Stellung am dänischen Hof, etwas ganz Ungewöhnliches für die damalige Zeit, und Metas Verwandtschaft war viel zu sehr von der Unsicherheit seiner bürgerlichen Existenz überzeugt, als daß sie einer ehelichen Verbindung leichthin zugestimmt hätte. Unbeirrt jedoch bestand Meta auf dem Recht ihrer Liebe und besiegte schließlich alle Widerstände. »Keine hatte den Mut so zu heiraten, wie ich es tat. Sie heirateten, so wie man eben heiratet und sind glücklich, so wie man eben glücklich ist«, schrieb sie über ihre Freundinnen an Richardson. Ihre Ehe bildete eine Ausnahme. Sie war getragen von dem Gefühl gegenseitiger Liebe und gegenseitigen Vertrauens, von den nüchternen Ideen weiter christlicher Kreise ebenso weit entfernt wie von den Verstiegenheiten platonischer Empfindsamkeit. »Unsere Ehe ist ein Himmel«, bekannte Meta ihren Schwestern. Ihre »jauchzenden« Briefe legen Zeugnis ab von einem ungetrübten Glück, das auch die frühzeitige Ahnung ihres Geschicks nicht schmälern konnte. Sie starb nach vierjähriger Ehe, dreißig Jahre alt, in Hamburg bei der Geburt eines toten Sohnes.
Was der Gestalt Meta Klopstocks in der Mitte des 18. Jahrhunderts einen so außergewöhnlichen Rang verleiht, ist weniger ihre gelehrte Bildung als die ungekünstelte, natürliche Sprache des Herzens, die in ihren Briefen zu Wort kommt und die Klopstock seinem alten Lehrer Bodmer gegenüber so beredt zu rühmen wußte. »So partheiisch ich auch scheinen mag; so kann ich doch von ihren Briefen sagen, daß Sevigne so nicht würde geschrieben haben, wenn sie auch selbst an einen Geliebten geschrieben hätte. Ich habe solche Briefe noch nicht gesehen, worinn soviel Natur im eigentlichsten Verstände, u zwar soviel gute Natur gewesen wäre.«
Meta sprach und schrieb mehrere Sprachen, kannte sich in der Antike aus und war mit der zeitgenössischen Literatur vertraut. Nach Klopstocks Vorbild versuchte sie sich sogar recht geschickt im Dichten, verfaßte Oden und religiöse Gespräche und nahm als »Sekretär« ihres Mannes lebhaften Anteil am Fortgang der Messiasdichtung. Aber ein »gelehrtes Frauenzimmer«, das wollte sie ganz und gar nicht sein. Ihre Briefe verraten es, die niemals kunstvoll gebaut sind, kein Thema im alten Stil abhandeln, sondern zum Abbild der Persönlichkeit, der Regungen ihrer Seele werden. Es sind vor allem Bekenntnisse ihrer Liebe zu Klopstock: »O wie sehr nichts ist mir doch alles ohne dich! Und wie bist du mir doch so sehr alles.« Sie sind erwachsen aus einer eigenartig aus Erotik und Frömmigkeit gemischten Hochstimmung, die sich aus der vollkommenen Übereinstimmung mit dem Geliebten herleitet. Freunde nennen sie den »weiblichen Klopstock«, und Klopstock ist der Überzeugung: »wenn ich ein Mädchen wäre würde ich Sie seyn.« Mit Klopstock gemeinsam ist ihr eine tiefe Gläubigkeit, die sie irdisches Glück als »Vorschmack« himmlischer Seligkeit ansehen läßt und die sie auch in ihrer Todesstunde nicht verläßt.
Bei aller Empfindsamkeit des Ausdrucks werden die Briefe weder süßlich noch pathetisch. Oft, mitten im zärtlichsten Geständnis, bricht unverhohlen der Schalk durch: »Höre einmal du Affe, was wilst du denn daß ich dir umständlich schreiben soll? Du Erzaffe!« Eine sehr irdische, der Wirklichkeit zugetane Meta spiegeln vor allem ihre Kopenhagener Episteln an die Schwestern. Da zeigen sich ein ausgesprochener Sinn für Komik und die Gabe, Mitmenschen mit wenigen Strichen treffend zu persiflieren. Ridiardson, mit dem sie im letzten Lebensjahr einen englischen Briefwechsel anknüpfte, entzückte sie durch den naiven und doch sicheren Gebrauch der fremden Sprache und die Kunst, ihre Ehe, das Leben in der Familie anschaulich zu schildern, ein abgerundetes Bild ihrer Gefühlswelt zu zeichnen.
Für die nachwachsende Generation wurde Klopstocks Verbindung mit Meta zu einer Art mythischem Vorbild. Noch Goethe schrieb 1811 im 10. Buch von Dichtung und Wahrheit: »Die Gesinnungen die ihn mit Meta verbanden, diese innige, ruhige Neigung, der kurze, heilige Ehestand .... alles ist von der Art, um sich desselben einst im Kreise der Seligen wohl wieder erinnern zu dürfen.«
Meta Klopstock
Ein Brief über die Moden
Mein Herr Aufseher!
Endlich habe ich, nach vielem Bitten, durch einen meiner Koppenhagener Freunde, ein Exemplar vom Nordischen Aufseher erhalten. Wie geht es doch zu, daß man ihn außer Koppenhagen nicht hat? Sind Sie zu bescheiden oder zu stolz? Glauben Sie, daß der Geschmack sich itzt ganz nach Norden zieht, und daß Ihre Nachbarn ihn gar drüber verlieren? Oder ist Ihr Verleger schuld? ....
Doch ich habe Sie itzt gelesen. Mit vielem Vergnügen, das versteht sich. Aber auch mit vieler Verwundrung, daß sie bisher fast nichts vom Frauenzimmer gesagt haben. Sie können unmöglich zu den Männern gehören, die diese liebenswürdige Hälfte des menschlichen Geschlechts nur allein in die Schönheit eingränzen. Sie sind gewiß nicht verheira-thet, und haben auch wenig Umgang mit schätzbaren Frauenzimmern, sonst könnten Sie so nicht schweigen. Oder sind Ihre Däninnen nicht eben so liebenswürdig, oder weniger fehlerhaft als unsre Deutschen sind? Denn Fehler, Fehler haben sie bey ihren Vorzügen! und diese wollte ich eben, daß Sie bessern sollten. Vielleicht kann ich Ihnen mit einigen Anmerkungen dienen. Denn meine Liebe zu diesem schönen Geschlecht macht, daß ich sehr viel Umgang mit ihm habe. Auf daß Sie mich aber nicht etwa für einen jungen übertriebnen Bewunderer der Schönen halten, so muß ich Ihnen sagen, daß ich beynahe ein Greis bin; und durch eine vortreffliche Frau, die mir seit einigen Jahren gestorben, in den Umgang der Frauenzimmer aufgenommen bin.
Diese meine selige Clarissa hat mich mit dem ganzen Werthe ihres Geschlechts bekannt gemacht .... — Ach, mein Herr Aufseher, ich schäme michs zu sagen, daß wir fast an allen Fehlern der Frauenzimmer selbst schuld sind! Wir haben einmal das Regiment in der Republik .... Warum richten wir die Erziehung der Töchter nicht besser ein? Die meisten Väter überlassen eben so leichtsinnig .... die Erziehung der Töchter ihren Müttern, oder wohl gar den noch schlechtem Französinnen, als sie sonst die Mütter gewählt haben. Die Mutter handelt nach Humeur, (denn Humeur ist fast der ganze Charakter der Frauenzimmer) die Tochter lernt gleichfalls danach handeln, welches sie nicht thun würde, wenn der Vater es für wichtig genug hielte, seine Tochter selbst zu bilden, und seinen künftigen Schwiegersohn, und alle seine Nachkommen dadurch glücklich zu machen. Ich will davon schweigen, daß wir selbst die Frauenzimmer, mit allen ihren Fehlern, so sehr bewundern, daß sie entweder glauben, es sind keine Fehler, oder, sie dürfen sie nur dreist behalten, weil sie uns dennoch so sehr gefallen.
Wenn die Frauenzimmer lernten, einen bestimmten Character haben, wie glückselig wären denn sie und wir! (Es ist traurig, daß fast nur die Spielerinnen ihn haben! Möchten die weniger bestimmt seyn!) Aber sie beschäftigen sich nur gar zu sehr mit dem, was sie scheinen wollen, ohne darauf zu denken, was sie sind!
Ich kann mit Recht dem Frauenzimmer keine Liebe zur Gemächlichkeit Schuld geben, wie einige thun. Ihre Moden selbst beweisen das Gegentheil. Und was ist den Meisten wichtiger als die Moden? Wenn sie wirklich etwas lieben, so sind es die Moden, und zur Mode machen sie alles. Aber ich bin manchmal sehr zweifelhaft, ob sie etwas lieben.
Cidalise opfert ihren Mann, ihre Kinder, ihre Bequemlichkeit, alles ihrem Schooßhunde auf. Ich habe keine zärtlichere Miene gesehn, als die, womit sie Bellinen ansieht. Unterdeß getraue ich mir nicht zu behaupten, daß Cidalise Bellinen liebt. Sie liebt nur die Mode der Schooßhunde. Wenn es doch auch einmal Mode würde, die Männer zu lieben! Wie vielen Männern würde ihr Leben erträglich dadurch werden! Alle Moden sind möglich. Unsre Damen lachen über die Pantins ihrer verstorbnen Tanten; unsre Töchter sehn den Potpourri ihrer Mütter schon mit Verachtung an. Die Schooßhunde scheinen sich zwar durch alle Jahrhunderte behaupten zu wollen, doch ist es möglich, daß sie einmal von den Männern vertrieben werden. So wie die Locken den Pudel, der Chignon die Locken, und die Flechten den Chignon vertrieben haben. Das Frauenzimmer ist sehr zur Nachahmung geneigt. Hätte meine Clarissa nur länger gelebt! Sie wurde sehr nachgeahmt, und hatte mich sehr lieb.
Ich sagte erst: das Frauenzimmer macht alles zur Mode. Sie machen leider die Tugenden auch dazu! Und wenn eine Sache erst eine Mode ist, wie sehr wird sie dann nicht übertrieben! In der Stadt, wo ich lebe, ist itzt das Mitleiden die Hauptmodeempfindung. Wie schön, wie sehr dem Herzen eines Frauenzimmers angemessen, ist das Mitleiden! Aber wenn es eine Mode wird! - -Wenn es sich nur allein auf die Insecten einschränkt! - - In unsrer Stadt wird keine Spinne, keine Mücke mehr getödtet, obgleich der Haß zu den Spinnen sich wie die Liebe zu den Schooßhunden behauptet. Ich wäre neulich bald für einen Atheisten gehalten, und aus allem meinem Umgange verstoßen worden, wie ich, ohne es zu sehn, eine Schnecke zertrat. Ich glaubte gestern, mich sehr gefällig zu erzeigen, wie ich an Araminthens Wand eine ungeheure Spinne tödten wollte. »Um des Himmels willen, was machen Sie! schrie sie, tödten Sie mir die arme Spinne nicht! sie sitzt schon acht Tage da.« Ich machte große Augen. »Seit wann haben Sie denn den Abscheu der Spinnen verloren?«... »Nichts weniger als das! ich fürchte mich noch eben so sehr, und wenn sie anfängt zu kriechen, so lauf ich zum Zimmer hinaus«... »Soll ich sie denn nicht tödten?«... »Ein Geschöpf tödten! Viel lieber wollte ich ein andres Zimmer bewohnen.« Ich wünschte erst den Männern etwas von der Liebe zu den Schooßhunden; itzt möchte ich dem armen Gesinde etwas von dem Mitleiden mit den Insecten wünschen. Denn diese Tugend ist noch nicht Mode geworden. Dieses Mitleiden wohnt in den zarten Herzen der Schönen noch nicht! Ich sähe neulich dieselbe Dame ihrem Kammermädchen, wegen eines leichten Versehns, eine Maulschelle geben, die eine Stunde vorher die Mücke nicht hatte tödten wollen, die ihre schöne Hand zerstach.
Man kann sich itzt nicht mehr beklagen, daß unser Frauenzimmer sich nur um die Handarbeit und Wirtschaft bekümmert. Diese Mode fängt an zu veralten. Ganz neulich sagte noch eine junge Dame zu mir: Es wäre nicht verantwortlich, daß ein vernünftiges Geschöpf sich um die Wirth-schaft bekümmern sollte. Das Leben würde ihr unerträglich dadurch. Sie würde es künftig auch nicht mehr thun. Hingegen legt man sich auf Sentiments und Wissenschaften. Meine Clarissa hatte einige Sprachen gelernt, weil sie das Vergnügen und den Nutzen davon fühlte: itzt lernt die ganze Stadt englisch, ohne daß Ein Buch in dieser nützlichen Sprache gelesen wird. Es möchte denn seyn, daß ein Frauenzimmer, zur Zeit wenn die Passage am stärksten ist, sich mit einem englischen Buche in die Gartenthür setzte ....
Es ist sehr traurig, daß auch die Religion unter den Modesentiments leidet! Diese Sache ist zu ernsthaft, als daß ich viel davon sagen sollte. Unterdeß ist es gewiß, daß ich Frauenzimmer kenne, die sich vornehmen, eine Christin, eine Zweiflerin, und eine Freygeistin zu seyn, auf dieselbe Art, wie sie sich vornehmen, eine Mode mit zu machen.
Ein ganz wenig fängt die eheliche Zärtlichkeit an, sich zu einem Modesentiment bilden zu wollen. Aber ich fürchte sehr, daß sie sich nicht recht entwickeln wird. Urtheilen Sie Selbst, mein Herr Aufseher, ob dieß Zärtlichkeit ist: Man wünscht, der Mann möchte verreisen, um die Freude zu haben, ihn wieder zu sehn. Man liebt seinen Mann über alles in der Welt; aber man ist so verschämt, daß man aus Pflicht seinen Kuß erträgt. Man herrscht schlechterdings nicht; aber bey jeder Sache fragt man: Und du wolltest mir das nicht zu Gefallen thun? ohne daß der arme Mann ein einziges Mal Gelegenheit bekommt, das wieder zu sagen. Mit der Zärtlichkeit zu den Kindern will es noch nicht so recht fort. Es sey denn, daß Sie das Zärtlichkeit nennen, wenn man ein Kind für das andre wählt, weil es der Frau Mutter so ähnlich ist, weil man sieht, daß man seine Humeurs, sein Zieren und Parademachen, so leicht in der Tochter Character eindrücken kann. Diese liebt man fast mit einer Insectendelicatesse. Man glaubt, sie hat ein Fieber, wenn sie blaß ist, und schwatzt ihr so viel davon vor, daß sie bald die Mode, krank zu seyn, lernt. Man erhebt alles an ihr, was sie thut, sogar die Fehler. Will sie sich nicht um die Wirthschaft bekümmern, so ist ihre Seele zu erhaben dazu. Fürchtet sie sich vor allem, so ist es Weiblichkeit. Erzürnt sie sich, so ist sie lebhaft. Wird sie nicht aus Krankheit blaß, so ist es doch aus Empfindung; ihre Seele fühlt, leidet so stark! (dieß sind auch Modeausdrücke.) Wir machen sie zu einer Phantastin, wie wir selbst sind. Doch verzweifle ich an nichts. Vielleicht daß sogar die seit dem Paradiese veraltete Mode, die Kinder selbst zu stillen, noch einmal wieder aufkommt. Denn die Unbequemlichkeit scheut man nicht, wenn es auf eine Mode ankommt. Sogar aus Freundschaft, denn die Freundschaft war auch einmal Mode, ob sie gleich itzt schon anfängt, das Alter des Chignons zu erreichen, aus Freundschaft lief Cynthia des Nachts zu ihrer Freundin, denn ihr hatte geträumt, ihrer Freundin Haus brenne. Den andern Tag kam ihre Schwester nieder. Es war ihrem zärtlichen Herzen nicht möglich, da-bey zu bleiben; sie lief davon, und ließ ihre Schwester ohne Hülfe.
Hundert Moden übergehe ich, weil sie nicht so neu mehr sind ....
Eine Mode muß ich noch anführen. Mit der Mode, witzig und gelehrt zu seyn, hat sich eine gewisse Zuversichtlichkeit eingeschlichen, ich hätte bald Frechheit gesagt, von allen Dingen zu sprechen, ohne etwas davon zu verstehn. Sie können ganz sicher seyn, daß hier in... kein Frauenzimmer eine Sylbe mehr weiß, als sie Ihnen in der ersten Visite erzählt. Sie entscheiden alles, wie eine Universität. Mit der Mode zu erröthen, hat sich überhaupt die ganze Mode der Bescheidenheit verloren. Man spricht von Monaden, von vorherbestimmter Harmonie, so wie von einer italienischen Arie, oder einem französischen Chanson. Man versteht von der Arie so viel, als von der Harmonie, aber man spricht von beyden. Zeit, Ort, Nation, Helden und Dichter, alles wird verwechselt, aber man schweigt doch nicht. Man handelt in einem Besuche von der Arzney und der Anatomie, von der Jurisprudenz und der Optik. Neulich verwechselte ein Frauenzimmer Alexander Magnus und Eduard Young. Man lächelte, aber sie erzählte uns dennoch den andern Tag von dem dreyßigjährigen punischen Religionskriege. Sollten Ihre Frauenzimmer diese Modezuversichtlichkeit auch haben, so bitte ich Sie, es dahin zu bringen, daß es Mode wird, daß sie folgende Verse auswendig lernen, oder wenigstens in ihre Schreibtafel schreiben. Sie werden es desto eher thun, weil sie in der Modesprache, zwar nicht von Alexander Magnus, aber doch von Eduard Young geschrieben sind.
Naked in nothing should a woman be.
But veil her very wit with modesty.
Let man discover, let not her display,
But yield her charms of mind with sweet delay. H ... den 6. Sept. 1758. M.
- Der Brief über die Moden, der angeblich einen alten Mann zum Verfasser hat, wurde von Meta Klopstock wenige Wochen vor ihrem Tode niedergeschrieben und 1758 im uNordisoben Aufseher«, einer moralisch-erbaulichen Wochenschrift, veröffentlicht, die Klop-stocks Freund, der Dichter Johann Andreas Cramer, herausgab. Meta persifliert die Schwäche des weiblichen Geschlechts, sich nicht allein in der Kleidung, sondern auch in den Tugend- und Moralvorstellungen blindlings der herrschenden Mode zu unterwerfen. — Chignon: Nackenzopf. — Eduard Young: Englischer Dichter, Verfasser der 1742 erschienenen »Nachtgedanken«, einem Lieblingsbuch der damaligen gebildeten Welt.
Meta Moller an Nicolaus Dietrich Giseke
1751, d. 4ten April.
Mein Kl. ist itzt in Hamb. angekommen. Er läßt fragen, wann er mich besuchen darf. Ich sage: Gleich. Ohne daran zu denken, daß gleich nicht zwo Stunden heisst, u wohlwissend, daß ein Frauenzimmer sich nicht leicht in weniger Zeit ankleiden kann, so fange ich an mich zu putzen. Kaum aber hatte ich mich an den Nachttisch gesetzt u die Nadeln aus den Haaren genommen, welche nun mit großer Unordnung um meine Stirn hiengen; so sagt man mir, der fremde Herr ist da. Ich stecke geschwinde geschwinde die Haare nur so viel zurück, als nötig war um sie mir nicht in den Augen hängen zu lassen, werfe ein Neglige über, u weil ich nicht Zeit hatte, es recht zu recht zu stecken; so schlage ich ein großes großes Tuch darüber. Die Schmidten kommt herein, ich springe ein Paar mal in die Höhe, u freue midi ganz unbeschreiblich, daß ich nun den Verfasser des Messias, den Freund von Giseke, den Beyträger sehen soll, wo nach mir so sehr verlangt. Ich sehe, wie ich durch das Vorzimmer gehe, noch einmal in den großen Spiegel, sage: Ich bin doch auch nicht zu meinem Vortheil gekleidet (u das war ich auch wirklich nicht) ich hätte es für einen Beyträger wohl mehr seyn mögen, aber der Verfasser des Messias wird wohl nicht sehr darauf sehen. (Hätte ich gewust, daß der Verfasser des Mess: würde mein geliebter Sunge werden, wie viel mehr würde ich dann hierüber bekümmert gewesen seyn). Nun
mache ich die Thür auf, nun sehe ich ihn - - Ja, hier müste ich Empfindungen malen können. — Sein Anblick frapirte mich in dem eigentlichsten Verstände. Ich hatte schon so viele Fremde gesehn, aber niemals hatte ich ein solches Schrecken, einen solchen Schauer (ich weis nicht wie ich mich ausdrücken soll) empfunden. Ich hatte gar nicht die Meynung, daß ein ernsthafter Dichter finster u mürrisch aussehn, schlecht gekleidet seyn, u keine Manieren haben müsse; aber ich stellte mir doch auch nicht vor daß der Verfass: des Mess: so süß aussähe, u so bis zur Vollkommenheit schön wäre.
(Denn das ist Kl in meinen Augen, ich kanns nicht helfen, daß ichs sage. Aber Ihnen kann ichs auch sagen.) Er stutzte auch. Wir schwiegen alle beyde eine kleine Weile länger still, [als] man in einem solchen Falle sonst thut. Endlich sagte er: Hr. Giseke hat mir gesagt, daß ich die Erlaubniß hätte, Ihnen aufzuwarten. — Ach Giseke wie rührte mich der Ton seiner Stimme! Und da sah ich ihn noch einmal recht an. Ach da stand er, da, da! In der Schmdt. ihre Stube, vor der Kammer Thür. Wenn Sie hier wären; so würde ich Sie auf die Stelle hinführen, sie kneipen, u sagen: Da wars Giseke, da! — Ich fand daß er sich mit ungemein vieler Grace bükte (u ich finde noch daß ers thut). Was meynen Sie aber, daß ich nun antwortete? Es ist mir angenehm, Sie kennen zu lernen. Wahrhaftig, ich konnte nichts andres aufbringen! Und geschwinde: Wollen Sie die Güte haben, sich zu setzen. Ich setzte mich neben ihm über. Ich habe mich nachher erinnert, daß ich gesehn, daß er seine eine Hand mit der andern hielt. Ich glaubte, das käme von ungefehr. Kl hat mir aber gesagt, er habe gezittert, u hätte mir das Zittern dadurch verbergen wollen. Er hätte [sich] sehr darüber gewundert, daß er zitterte, weil ers nicht gewohnt wäre u auch keine Ursache davon hätte finden können .... Nun folgt der zweyte Tag. Der Montag. Kl. speiste des Mittags mit vieler unwürdiger Gesellschaft bey uns. Ich hatte mich sehr sorgfältig geputzt. (Ein Umstand, der bey verliebten Mädchen, u am allermeisten bey denen die im Begriff sind, es zu werden, sehr oft vorkommt.) Ich hatte so gar deswegen eine Trauer mehr erleichtert als ich eigentlidi gesollt hatte. Wie ich fertig war, sagte man mir, Hr. Kl. wäre gekommen. Ich wollte noch geschwinder seyn als ich schon von Natur bin, u zerriß darüber im Laufe die Garni-türe meines Kleides. Ich ward sehr böse. Es muste doch wieder geneht werden. Das war entsetzlich, daß die Magd so langsam war! Fort! fort! Geschwind! schrie ich bey jedem Stiche, den sie that. Ich hätte bey nahe geflucht, wenigstens stampfte ich mit dem Fusse. Es ward glücklich fertig, u ich flog hinauf. Ich war von Klopstocks vorzüglichen Süssigkeiten so überzeugt, daß ich mit der Schm. gewettet hatte, sie würde Kl gleich unter den beyden andern Fremden (die ich damals selbst nodi nicht gesehn hatte) erkennen. Nun machte ich die Thür auf, u sah - - u sah gleich Kl. Er sah noch süsser aus als den vorigen Tag, u kam mit einer so sanften Freundlichkeit zu mir, die sich nicht beschreiben läßt. Nun sah ich erst die übrigen in der Gesellschaft, deren Unwürdigkeit ich damals noch nicht so kannte, als itzt. Ich sprach mit ihnen u kam wieder zu Kl. Ich setzte mich so gar mit ihm allein ans Fenster. »Ich bleib bis Mitwoch« sagte er mir mit einer Freude, die mir sehr angenehm war. Ich freute mich auch. Er sah meine Kleidung an. »Ist das Trauer?« fragte er. Es war mir angenehm, daß meine Kleidung bemerkt wurde, weils Kl war. Wir giengen zu Tische. Kl. führte mich, welches mir lieb war, ob gleich mehr Gesellschaft da war. Ich bot Kl den obersten Platz an, wünschte aber sehr, daß er ihn nicht annehmen möchte. »Wo sitzen Sie?« sagte er. »Ich sitze hier.« »Ich sitze bey Ihnen.« »So setze ein jeder sich, wie ihm gefällig«, sagte ich, denn nun hatte ich was ich wollte. Kl. sprach immer mit mir alleine. Die andren nahmen es übel, ich nicht. Man sprach von schönen Augen. Kl. sagte, er kennte die schönsten blauen Augen
in Deutschland. Das sind der Sch: ihre, dachte ich, u fühlte daß ich roth ward. Aber könntens auch nicht meine seyn?
Er sach mich doch so süß an, wie ers sagte. Nein, das ist doch nicht möglich - - Wenn sie nur noch recht blau wären - Ein geschwinder Blick nach dem Spiegel, welcher betrübt wieder zurückkehrte. Kl, der immer mehr tändelte, tändelte nun endlich Liebe. Er sagte, er hasste die ernsthafte Liebe, wobey nur lauter Seufzer u Schmerzen wären. Eine Frühlingsliebe wäre recht nach seinem Geschmack. Nämlich eine, die wenns hoch käme, einen ganzen Frühling dauerte, man könnte sich auch sonst wohl sechsmal in einem Frühling verlieben. Ich setzte den Scherz fort. Zumal da ich wüste, wie sehr Kl gegen seine wahre Meynung sprach. Endlich blieb es mir nicht mehr angenehm. Ich fürchtete, Kl möchte auch wohl gar denken, ich wäre ein Mädchen, mit dem man nur dergleichen sprechen muste (diese Furcht ist oft wiedergekommen). Rahn brachte eine Gesundheit aus, die mich vollends verdrießlich machte. »A vos amourfs], Mr: Kl:, qui apresent se divulguent par tout le monde.« Ich glaube, die Sache an sich, u das divulgiren war mir beydes unangenehm. Ich erklärte es mir aber so, daß ich verdrißlich darüber ward daß Rahn es noch mehr ausbreitete. — Einen kleinen Umstand kann ich für Sie unmöglich unterdrücken. Ich reichte Rahn einen Teller mit Aepfeln, u weil Kl u Hagedorn zwischen uns sassen; so muste ich mich fast über Kl seinen Schooß legen, um hin zu kommen. Kl sah sehr aufmerksam nach meiner Tour-de-gorge, u seufzte. Ich bemerkte es u wunderte mich, denn ich hatte Kl bisher für einen blossen Geist gehalten (Itzt weiß ichs wohl, daß er einen eben so süssen Körper hat). Ich ward dennoch nicht böse darüber, da ich sonst allemal bey einer solchen Gelegenheit, gegen eine jede Mannsperson Zorn u Verachtung empfunden habe. (Dieses setze ich nicht etwa als ein Beweis meiner Tugend hierher; sondern es ist eine wirkliche Wahrheit.) Wir standen vom Tische auf. Kl hat mir nachher gesagt, daß er sich selbst gewundert hätte, daß ich mit meinen andern Nachbarn so wenig gesprochen hätte. Bey Tische hatte man von unsern hiesigen Regenkleidern gesprochen. Ich versäumte die Gelegenheit nicht, itzt eins bringen zu lassen u es um zu thun, auf daß sie die Mode recht sehen könnten. Ein Nebenumstand ist sonst auch, daß es mir sehr gut steht. Dieser Nebenumstand that auch die sehr gute Wirkung auf Kl, daß er herflog u mich mit vielem Feuer küste. Nun fieng die Gesellschaft an, sich zu zerstreuen, u die meisten fuhren weg. Kl trat mit mir an ein Fenster u las einen Brief von Ihnen. Ich, um desto besser in den Brief zu sehen, weil wir ihn doch nicht ganz laut lesen konnten, hatte, wirklich ganz von ungefehr, meine Hand hinter Kl-s Rücken gelegt. Er drükte sie mir ganz sanft mit seinem Rücken. Dieser Druk erregte bey mir ein Gefühl, das mich aufmerksam machte, das doch aber so süß war, daß ich nicht im Stande war, meinen Arm zurück zu ziehen (welches ich bey einer andern Mannsperson gewiß gleich gethan hätte). Mein Arm blieb also ganz dicht an Kl-s Rücken liegen, so lange er den Brief las. Kl. hat mir auch erzehlt, daß ich, wie er nachher mit mir gesprochen, u er seine Stirne so ein bischen gegen mich geneigt, ich die meinige auch ein bischen so hingebogen, daß sie sich ganz sanft aneinander berührt. Diesem Umstand weis ich nicht mehr. Ich glaube daher, daß ichs auch nicht muß gewust haben, wie ichs gethan habe. Kl fragte ob ich seine Elegie: Dir nur zärtliches Hertz - kennte. Ich sagte, aus einer gewissen Furchtsamkeit, daß ich sie nicht genung kennen möchte, nein. Er wunderte sich, u sagte, so wollten wir sie zusammen lesen. Ich gieng deswegen mit ihm nach der Schm. ihrem Zimmer. Ich fieng an zu lesen, konnte aber nicht fortfahren, weil ich einen zu starken Fluß auf den Augen hatte. Kl las. Er hielte meine eine Hand. Das Herz schlug mir gewaltig, unsre Hände wurden immer heisser, immer heisser, ich fühlte sehr viel u ich glaube, Kl. auch. Er las ein Stück aus dem Mess: Die Schm. war dazugekommen. Er fragte, ob er nicht einen Kuß dafür verdient hätte? Die Schm. sagte ja. Ich sagte, ich küste keine Mannsperson. Er disputirte viel dagegen. Ich dachte, warum küst der Affe dich denn nicht? Du kannst ihm den Kuß ja nicht geben! Hr. Keller kam herauf. Er fragte, ob Kl denn noch nicht wegfahren wollte? Er müste ja zu Olden. Ja, bald, sagte KL, setzte sich unterdeß hin u trank mit uns Thee. Die Schm. war so gut Hr. Keller zu entreteniren, ich schwatzte mit Kl. Er sagte, ich sollte mit ihm reisen. Ich sagte; ich wollte wohl. »Aber Sie würden zu sehr frieren«. »Wenn ich Ihr Feuer bey mir hätte, wohl nicht«, sagte ich mit lachen. »Ach, Sie haben genung eignes Feuer«, sagte er u küste mich, mit nicht wenigem. Endlich, nachdem Hr. Kel lange angemahnt, u die Glocke 9 geschlagen hatte fuhr mein Kl zu Olden. —
- Giseke, Theologe und Hamburger Jugendgespiele Metas, war mit Klopstock seit seinen Leipziger Studienjahren innig befreundet. Mit Klopstock, Cramer, Zachariae, Rabener u. a. gehörte er zu dem Kreis der »Bremer Beiträger«, deren Zeitschrift »Die Neuen Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes« sich die Bildung der Sitten und des Geschmacks zur Aufgabe gemacht hatte und von bedeutendem Einfluß war. In den »Beyträgen« erschienen die ersten drei Gesänge des »Messias«. Metas Brief ist von September bis Dezember 1753 niedergeschrieben und rückdatiert. — Die Schmid-ten (abgekürzt: Schm.): Metas Schwester, in deren Hamburger Hause in der Großen Reichenstrasse sie Klopstock kennenlernte. — Sunge: von Meta häufig gebrauchtes niederdeutsches Kosewort für Junge. — Rahn: Freund und späterer Schwager Klopstocks. — Hagedorn: Hamburger Dichter, bekannt durch anakreontische Gedichte und Fabeln. — Olden: Johann Heinrich Olde, Arzt und »Beiträger«
Friedrich Gottlieb Klopstock an Meta Moller
Kopenhagen [Anfang November (?) 1752]
Mit dem gestrigen Brief ging es eben so wie neulich mit dem Deinigen, doch beunruhigt es mich nicht, denn ich bin gewiß, daß Du mir geschrieben hast. Mit welchem Entzücken denke ich an Dich, meine Meta, mein einziges Kleinod, mein Weib. Wenn ich dich in meiner Phantasie vorstelle, so ist meine Seele erfüllt mit himmlischen Gedanken, welche mich entzückend beschäftigen — sie glühen in meiner Brust, aber keine Worte können sie ausdrücken. Du bist mir theurer als alle, welche durch Blut und Freundschaft in der ganzen Schöpfung mit mir verbunden sind. Meine Schwester, meine Freundin, Du bist mein durch Liebe, durch die reinste, heiligste Liebe, welche die Vorsehung (o wie dankbar bin ich für diesen Seegen) in meine Seele gelegt hat. Es dünkt mir als ob Du, meine Zwillingsschwester mit mir im Paradiese gebohren wärst. Gegenwärtig sind wir noch nicht da, aber wir werden dahin zurück kehren. Da wir hier schon so glücklich sind, wie viel mehr werden wir es dort seyn. Grüße unsre Freunde. Meine Meta — meine für immer geliebte. Ich bin ganz Dein.
- Das Motiv der Verbundenheit der Liebenden jenseits aller Zeit taucht in dem Briefwechsel immer wieder auf.
Friedrich Gottlieb Klopstock
Das Rosenband
Im Frühlingsschatten fand ich Sie;
Da band ich sie mit Rosenbändern:
Sie fühlt' es nicht und schlummerte.Ich sah Sie an; mein Leben hing
Mit diesem Blick an ihrem Leben:
Ich fühlt' es wohl, und wußt' es nicht.Doch lispelt' ich Ihr sprachlos zu,
Und rauschte mit den Rosenbändern:
Da wachte Sie vom Schlummer auf.Sie sah mich an; Ihr Leben hing
Mit diesem Blick an meinem Leben,
Und um uns ward's Elysium.
- »Das Rosenband« gehört in die Reihe der Cidli-Oden, die in de Brautzeit entstanden. Den Namen Cidli für die Geliebte entnahn Klopstock seiner Messiade.
Meta Klopstock an Elisabeth Schmidt
[Lyngby] D. 28 ten Dec. 1755.
Gestern bekam ich deinen Brief .... Noch nie habe ich ein Fest zugebracht wie dieses. Ich bin hier auf dem Lande geblieben u nicht in die Stadt gefahren um Vergnügungen zu suchen, ich bin nicht aus dem Hause gekommen, ausgenommen, daß ich den ersten Feyertag durch einen dicken Koth nach der Kirche wadete, u noch in keinem Feste bin ich so vergnügt gewesen wie in diesem. Kl. hat zwar zween Tage in der Stadt seyn müssen, aber auch das habe ich theils still ertragen, theils hat Kl es mir durch eine That seiner Zärtlichkeit sehr ersetzt. Und diese will ich dir gleich erzählen, weil ich doch am liebsten davon schreibe. Er muß vorgestern in die Stadt um den König den ersten Band deß Mess. zu überreichen. Er sollte eigentlich den 1 sten Feyert. Abend reiten, weil er den 2 ten des Morgens der Predigten wegen nicht in die Stadt kommen kann. Nun aber, (ich erzähle dir eine ganze Reihe zärtlicher Thaten, da ich dir nur Eine erzählen will) um noch die Nacht bey mir zu bleiben reiset er den 2 ten früh um 6 Uhr. Es kommt etwas dazwischen, daß der K[önig] ihn nicht sprechen kann, u bestellt ihn auf heute. Nun räth u. bittet ein jeder ihn in der Stadt zu bleiben, weil es wirklich beständig regnet u. das Pferd bis an den Bauch im Koth geht. Aber nichts! mein Kl. muß zu seiner Frau. Er kömmt gestern Mittag heraus u ist diesen Mittag wieder hinein geritten. Ich kann dir gar nicht beschreiben, wie mir ist, wenn ich Kl. einen Tag entbehrt habe u ihn nun wieder kriege! Ich fliege hinunter, fall ihn um den Hals, u hänge so lange an ihm bis die Empfindung meine schwachen Kräfte erschöpft u ich ganz matt auf meinen Stuhl sinke. Und eben so lebhaft wie ich mich freue, freut mein Einziger sich auch. Wir sind sehr glücklich Schmidten! unsre Ehe ist ein Himmel! .... Der Morgen geht mit Ankleiden u. einigen kleinen Geschäften hin, weil ich spät aufstehe u man hier früh ißt. Nach Tische lasse ich mir Predigt aus dem Saurin lesen, welcher mir doch allemal unter allen deutschen, französischen u englischen geistlichen Reden der beste bleibt, den ich kenne. Dann trinken wir Thee, u das ist eine große Hauptsache, daß unsre Unterredungen hier, weil wir die Leute zu unsrem Umgang wählen, ganz was anders ist, als die hamburgschen Fadessen. Des Abends spielen wir Schach oder Quadrille, nämlich unser hamburgsches, welches ich hier im Hause eingeführt, man spielts sonst nicht in Kopp .... Ich freue mich sehr daß du dich auf den Fuß gesetzt niemand meine Briefe zu zeigen. Fahre ja dort fort, so bist du sicher, daß [ich] allzeit ganz frey schreibe. Stellen kannst du allenfalls vorlesen. - - Es ist sehr fürchterlich was von Erdbeben an so vielen Orten in den Zeitungen steht. Wer weis wenn es euch, wer weis wann es uns trieft! Wachet u betet! Das will ich auch thun. Gott segne euch alle im neuen Jahr! Dich, meine Mutter! Dich meine Schraidten u dich meine Meta! Amen!
- In Lyngbye, einem Dorf wenige Kilometer nördlich von Kopenhagen an einem See gelegen, verbrachten Meta und Klopstock häufig ihre Ferien. — Saurin: berühmter reformierter Kanzelredner (1677—1730). — Meta: Meta Klopstocks Nichte.
Meta Klopstock an Elisabeth Schmidt und Caecilia Dimpfel
Lingbye d. 25ten Nov. 1756
Hier sind wir Gestern herausgekommen. Des schönen Winters wegen! Habt ihr auch so schön Winter? Ich denke immer es ist bey euch dasselbe Wetter, welches hier ist, weil es schon so oft eingetroffen. Was wir hier machen?... Weil ihr eure Ferngläser noch nicht habt; so will ichs euch erzählen. So bald beyde Füsse aus dem Wagen waren lief Kl. nach dem See, er war ganz zu gefroren, neue Schrittschuhe waren schon dazu eingekauft, nun hinauß (aber allemal mit meines Kl.s Behutsamkeit). Ich folgte Kl. einige Zeit auf dem See, (er ist etwas grösser als das inwendige Bassin der Alster), ohne Schrittschuhe versteht sich, an Leisching u Rahns Arme, u machte noch nachher einen Spatziergang von ein Paar Stunden auf dem Lande. Nach Tische folgte ich Kl. wieder nach dem See, (denn er war schon lange vorangegangen; wie könnte er an einem Schrittschuhtage lange essen!) u was meint ihr das ich da fand? Mein Kl, dem so gar das Schrittschuhvergnügen nicht ganz Vergnügen gewesen, weil seine Meta nicht hatte dabey bleiben können, hatte einen Kerl mit einer Art Krecke bestellt, Da setzte er mich hinein, Peter u der Kerle vorgespannt, u 2 Herren mit Schrittschuhen nachgeschoben. Nun, da gings als wenn ich in den Lüften wäre! Ich hatte auch eine rechte Idee von dem Vergnügen, welches die Vögel empfinden müssen. Diesen Morgen bin ich noch nicht wieder ausgewesen; ich habe mich lieber mit meinen Morgenbequemlichkeiten, u mit Aneuchschreiben pflegen wollen, was aber diesen Nachmittag geschieht, das weis ich noch nicht. Lebt wohl so lange, da ist mein Kl. wieder. — Da bin ich wieder. 2 Stunden bin ich auf dem See immer bey meins Kl.s Bahn auf u nieder gegangen, u Kl schoß oder schwebte da, an meinem Arm vorbey. Ach meine Schwestern, wie schön ist die Natur! Wie schön ihr Schöpfer. Welche Freuden kann man sich auch im Winter machen! Das Land ist doch recht der Sitz der Freude, so wies der Sitz der Unschuld u der Ruhe ist — doch daher ensteht ja eben die beste Freude. Wie schön habe ich die Sonne an einem mit Schnee bedeckten Hügel unter-gehn sehn! Wie heiter war der ganze Himmel! wie eben unser See! welch ein Anblick war der weisse Wald! ihr wißt wie schön beschneyte Bäume aussehn, u die Erde, als wenn sie ganz mit weissen Tüchern überzogen wäre - - Wie
sehr weis der Schnee ist habe ich heute auf eine sehr neue Art entdekt. Ich ließ mein Schnupftuch fallen, es war doch ein hübsches, feines, weisses Hamburgsch-gebleichtes Sdinupftuch, u es sah im Schnee aus als wenn eine Bettlerinn ihren ärgsten Lumpen verloren hatte. — Ein junger Hirsch begegnete mir wie ich zu Hause kam. Das arme Ding! muß seine Nahrung bis hieher suchen. Es ist diese Nacht viel Schnee gefallen. Gestern lagen nur Schneesternchen aufm See, die sehr schön aussahn, u das Gras war nur so ganz fein fein gepüstert, so wie eines gewissen, ausländischen Ministers Perücke aussehn mag. Denn der findets wichtig genug 6 menschliche Seelen damit zu beschäftigen, nämlich so daß 3 u 3 auf jeder Seite mit feinen Püstern pudern, u er spatzirt so lange durch, bis sein Haar weis ist. Das ist ein Minister, der noch dazu einen gewissen Namen hat, der wichtige Mann! — Ihr seht, daß ich heute u gestern viel Freude gehabt. Macht euch die doch auch ....
Itzt sitzt mein Kl. schon wieder bey mir, also lebt wohl. Der Schelm! aber hat noch sich das Bischen Mondschein zu Nutze machen wollen .... Lebt wohl, u küßt euch untereinander in meiner Seele. Adieu Meta
- Klopstock war der erste, der Winterlust und Wintersport mit dem Nachdruck eines »Heidenbekehrers« predigte. Ein Freund berichtet, daß dem Dichter »alle kleinen Wasseransammlungen bekannt waren .... Eine Mondnacht auf dem Eise ist ihm eine Festnacht der Götter. In dem Eislauf entdeckte sein Scharfsinn alle Geheimnisse der Schönheit, Schlangenlinien gefälliger als die von Hogarth, Schwebungen wie die des pythischen Apolls«. Klopstock fand viele Nachahmer, unter ihnen auch Goethe, der begeistert den »Tanz auf dem Wasserkothurn« pries. Meta schrieb den Brief an ihre beiden in Hamburg verheirateten Schwestern. — Krecke: kleiner Handschlitten ohne Lehne.
Meta Klopstock an Samuel Richardson
Hamburg, May 6, 1758
It is not possible, Sir, to tell you what a joy your letters give me. My heart is very able to esteem the favour that you, my dear Mr. Richardson, in your venerable age, are so condescending good, to answer so soon the letters of an unknown young woman, who has no other merit than a heart füll of friendship — and of all those sentiments which a reasonable soul must feel for Richardson, though at so many miles of distance. It is a great joyful thought, that friendship can extend herseif so far, and that friendship has no need of seeing, though this seeing would be coelestial joy to hearts like ours, (shall I be so proud to say as ours?) and what will it be, when so many really good souls, knowing or not knowing in this World, will see another in the future, and be then friends!
It will be a delightful occupation for me, to make you more acquainted with my husband's poem. Nobody can do it better than I, beeing the person who knows the most of that which is not yet published; beeing always present at the birth of the young verses, which begin always by frag-ments here and there, of a subject of which his soul is just then filled. He has many great fragments of the whole work ready. You may think that persons who love as we do, have no need of two Chambers; we are always in the same. I, with my little work, still, still, only regarding sometimes my husband's sweet face, which is so venerable at that time! with tears of devotion and all the sublimity of the subject. My husband reading me his young verses and suffering my criticisms. Ten books are published, which I think probably the middle of the whole. I will, as soon as I can, translate you the arguments of these ten books, and what besides I think of them. The verses of the poem are without rhymes, and are hexameters, which sort of verses my husband has been the first to introduce in our language; we beeing still closely attached to rhymes and iambics ....
I am very glad, Sir, that you will take my English as it is. I knew very well that it may not always be English, but I thought for you it was intelligible: my husband asked, as I was writing my first letter, if I would not write French? No, said I, I will not write in this pretty but fade language to Mr. Richardson (though so polite, so cultivated, and no longer fade in the mouth of a Bossuet). As far as I know, neither we, nor you, nor the Italians have the word fade. How have the French found this diaracteristic word for their nation? Our German tongue, which only begins to be cultivated, has much more conformity with the English than the French.
I wish, Sir, I could fulfil your request of bringing you acquainted with so many good people as you think of. Though I love my friends dearly, and though they are good, I have however much to pardon, except in the Single Klopstock alone. He is good, really good, good at the bottom, in all his actions, in all the foldings of his heart. I know him; and sometimes I think if we knew others in the same manner, the better we should find them. For it may be that an action displeases us which would please us, if we knew its true aim and whole extent. No one of my friends is 50 happy as I am; but no one has had courage to marry as I
did. They have married, — as people marry; and they are happy, — as people are happy. Only one as I may say, my dearest friend, is unhappy, though she had as good a purpose as I myself. She has married in my absence: but had I been present, I might, it may be, have been mistaken in her husband, as well as she.
liow long a letter this is again! But I can write no short ones to you. Compliments of my husband, and compliments to all yours, always, even though I should not say it,
M. Klopstock.
- Ein halbes Jahr zuvor hatte Meta in der ersten englischen Epistel ihres Lebens Richardson, dem berühmten Verfasser der »Clarissa«, dieses »himmlischen Buches«, ihre Verehrung ausgesprochen, und daraus hatte sich ein herzlicher Briefwechsel ergeben. — my husband's poem: der »Messias«. — fade: in der Bedeutung von insipid, schal, fade, gebraucht. — Bossuet: bedeutender französischer Kanzelredner zur Zeit Ludwigs XIV.
Meta Klopstock an Friedrich Gottlieb Klopstock
Burgesch. den 10. Sept. [1758]
Du must nicht denken, Süßer, daß dies etwas weiter bedeutet, als daß ich so leicht sterben, als leben kann; und daß ich mich, auf beydes, gefaßt mache. Denn ich lasse mich gewiß nicht darauf ein, etwas von beyden auszumachen. Wenn ich nach den Umständen schließen wollte; so wäre vielmehr Wahrscheinlichkeit für Leben, als für Tod. Aber ich bin sehr ruhig zu jedem von beyden. Was Gott will. Idi erstaune mandimal selbst über die Gelassenheit, die ich die ganze Schwangerschaft über gehabt habe, da ich doch so glückselig in dieser Welt bin! O was ist unsre Religion! Was muß die Ewigkeit seyn, von der wir so wenig wissen, und unsre Seele so viel fühlt! Mehr als ein Leben mit Klopstock! Es scheint mir izt nicht so schwer, dich und dein Kind zu verlassen, als ehmals, und daher fürchte ich oft, daß ich diese Ruhe noch wieder verlieren kann; ob sie gleich schon acht Monate gedauret hat, und in dem Anfange der beyden vorigen Schwangerschaften auch war. Ich weiß wohl, daß alle Stunden nicht gleich sind, und vor allen die letzten. Denn der Tod einer Wöchnerinn ist nichts weniger als ein leichter Tod. Doch laß die letzten Stunden keinen Eindruck auf dich machen. Du weist zu sehr, wie viel der Körper da auf die Seele wirkt. — Nun, Gott mag mir geben, was er will; ich bin immer glücklich, ein ferneres Leben mit dir — oder ein Leben mit Ihm! Aber wirst du mich auch so leicht verlassen können, als ich dich? da du nur in dieser Welt bleibst, und in einer Welt ohne mich! Du weist, ich hab immer gewünscht, die Nachbleibende zu seyn, weil ich wohl weiß, daß dieß das schwerste ist. Doch vielleicht will Gott, daß du es seyn sollst, und vielleicht hast du mehr Kräfte. Ach denke nur, wo ich hingehe! und so sehr Sünder dieß von einander gewiß seyn können, kannst du gewiß seyn, daß ich dahin gehe. So kann das Gefühl eines Christen nicht trügen! Und da folgst du mir nach, dein Kind auch. Und da lieben wir uns fort, die Liebe, die gewiß nicht zum Aufhören gemacht war, unsre Liebe! Und so lieben wir auch unser Kind! Im Anfange wird der Anblick des Kindes dich vielleicht traurig machen; doch nachher muß es dir ein großer Trost seyn, ein Kind von mir nachzubehalten. Es ist mir, wenn ichs nachlasse, so gar lieber, eins nachzulassen als keins, ob ich gleich wohl weiß, daß fast alle Leute hierin anders denken, als ich. Doch warum sollte ich anders denken? Vertraue ichs nicht dir und Gott an? Ob es gleich mit der sanftesten Ruhe ist, daß ich hiervon spreche; so will ich doch aufhören. Denn vielleicht macht es dich zu traurig, ob du mir gleich die Erlaubniß dazu gegeben hast. Ach, ich danke dir für diese süsse Erlaubniß. Mein Herz wünschte es so sehr, und ich mochte es doch deinetwegen nicht thun. — Doch ich will aufhören. Etwas anders kann ich auch nicht schreiben, denn ich bin zu ernsthaft; ob es gleich ein Ernst mit Freudenthränen ist!
- Das letzte Lebensjahr verbrachte Meta bei ihrer Familie in Hamburg, während Klopstock aus beruflichen Gründen für mehrere
Wochen nach Kopenhagen zurückkehren mußte. In Burgesch, vor den Toren Hamburgs, besaßen Metas Eltern und Geschwister
ein Landhaus.