»Götter und Menschen zum Troz will ich glücklich seyn«
Caroline Böhmer an Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer, 11. Juli 1791
Über wenige Gestalten der deutschen Klassik und Frühromantik widersprechen sich die Urteile so sehr wie über Caroline Schelling-Schlegel. Von der »magischen Atmosphäre die Sie umgiebt«, schrieb Novalis ihr, aber Körners Schwägerin, Dora Stock, fand »gar nichts Vorzügliches, sondern etwas sehr Gewöhnliches an ihr«. Friedrich Schlegel, der bekannt hatte: »Was ich bin und seyn werde, verdanke ich mir selbst; daß ich es bin, zum Theil Ihnen«, spricht wenig später von ihren »unlauteren Künsten«: eine »sehr edle auserordentliche Natur — von hoher Corruptibilität«. Die gleiche Frau, deren »Gewalt, das Herz im Mittelpunkt zu treffen« Schelling rühmte, nannte Wilhelm von Humboldt »ein sehr kaltes, aber romantisches und eitles Geschöpf«.
Caroline, in wieviel widersprüchliche Ansichten sich auch ihr Bild zerlegt, war eine mit sich selber einige Natur. »Ich fühle was ich muß — weil ich fühle was ich kan.« So, wie sie war, wollte sie sich auch: leidenschaftlich, dem Wagnis zugetan, ohne Furcht, Konventionen zu verletzen, aber zu klug, sie nicht zu nutzen, wo ihr Herz ihnen nicht widersprach, tapfer in den Konsequenzen, die ihre eigenen Taten nach sich zogen, groß im Lieben wie im Hassen, bedeutend und geistreich, auch wo sie leichtfertig urteilte. Fast immer nahm sie willig den Preis hin, den sie für das Privileg, sie selber zu sein, zahlen mußte.
»Ich kann nicht ruhig zu Bett gehen, ehe ich nicht in Frau von Humboldt, wie in einem Spiegel, alles wiedererblickt habe, was ich den Tag über sehe und genieße.«
Ludwig Kronprinz von Bayern
»Ich bin meines unzerstörbaren Glücks, wie meines unheilbaren Unglücks gewiß. Das ist mein Vorrecht.« Bettina von Arnim erdichtete ein romantisches Leben; Caroline lebte es.
Und welches Leben führte Caroline Schelling, geschiedene Schlegel, verwitwete Böhmer, geborene Michaelis! Die Göttinger Professorentochter, von den Eltern an einen Nachbarssohn, den Arzt Wilhelm Böhmer, verheiratet, folgte ihrem Mann nach Clausthal. Lichtenberg tröstet sie, das Harzstädtchen besitze Ähnlichkeit mit dem englischen Modebad Bath; sie selber findet, es liege dort soviel Schnee wie sonst nur in Grönland. Nach fünf Ehejahren, in denen Caroline ein beschütztes und leidenschaftsloses Dasein führte, starb Böhmer. Caroline kehrt nach Göttingen zurück, liebt — zum zweiten Male — einen Mann, dem sie gleichgültig ist, macht Reisen, übersiedelt zum Bruder nach Marburg, später nach Mainz. In Mainz gerät die »gottlose kleine Frau — die cokette junge Witwe«, wie sie sich selber charakterisiert, in ein politisch exaltiertes Klima. Die Forsters, Freunde aus Göttinger Zeit, sympathisieren mit der Französischen Revolution, deren Armee 1792 die Stadt einnimmt. Als Caroline endlich Mainz verläßt, wird sie, als Geisel für Forster, in die Festung Königstein geworfen; hier entdeckt sie, daß sie von einem französischen Offizier ein Kind erwartet. Aus der verzweifelten Situation retten sie ihr Bruder und August Wilhelm Schlegel, der die junge Witwe bereits in Göttingen verehrt hatte. Er eilt aus Amsterdam herbei und bringt sie in ein kleines Städtchen bei Leipzig, wo sie — betreut von Schlegels Bruder Friedrich — das Kind, das ein paar Jahre später stirbt, zur Welt bringt.
». .. dieses seltne Weib von männlicher Seelengröße, von dem schärfsten Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens vereinigt.«
Friedrich Wilhelm Schelling an Philipp Michaelis, 29. November 1809
Der Mühe der gesellschaftlichen Rehabilitierung unterzog sich Caroline Böhmer mit unendlicher Geduld; noch 1800 gab die Regierung in Hannover dem Göttinger Prorector für den Fall eines längeren Besuches die Ausweisung Carolines auf. Einen fühlbaren Schritt vorwärts bedeutete die Heirat mit August Wilhelm Schlegel, für Caroline nicht nur eine Handlung der Dankbarkeit gegenüber seiner »gränzenlos edlen Güte«, sondern auch der Freiheit, da keine »blinde unwiederstehliche Empfindung ihn an mich gefeßelt hielt«. Mit Schlegel zog sie nach Jena, das »grundgelehrte, aber doch recht lustige Wirtshaus«.
In Jena wurde sie, die vor kaum drei Jahren ihren Ruf ein- für allemal ruiniert zu haben schien, zu einer Instanz der literarischen Öffentlichkeit. Sie arbeitet an der Shakespeare-Übersetzung des Gatten mit, entwirft das Konzept eines eigenen Romans, wirkt an Rezensionen Schlegels und später Schellings mit, bestimmt entscheidend die publizistische Politik der Brüder Schlegel und ihrer Zeitschrift, des Athenäum, lobt und verdammt in geistreichen Formulierungen, ob es sich um begründete Polemik oder gesellschaftliche Bosheiten handelt; auch der Klatsch wird bei Caroline zur Kunstform. Goethe erlebt sie in Jena mit dem »letzten Theil des Wilh. Meister, hinter sich aufs Pferd gebunden (denn er reitet troz seiner Corpulenz wacker darauf los)«; ihm gilt ihre rückhaltlose Bewunderung wie Schiller ihre ebenso vorbehaltlose Feindschaft. Bei der Verlesung der Glocke fallen die »Dame Luzifer« — ein Kompliment Schillers für die Kontrahentin — und die Ihren vor Gelächter fast von den Stühlen, und noch ein offenbar ernst gemeintes Lob für Wallensteins Lager nimmt sich so aus: »Schiller hat doch in Jahren zu Stande gebracht, was Göthe vielleicht (die Studien abgerechnet) in einem Nachmittag hätte geschrieben, und das will immer viel sagen.«
1798 erhielt, damals dreiundzwanzigjährig, Schelling einen Ruf als außerordentlicher Professor nach Jena. Der junge Schwabe, Autor der Ideen zu einer Philosophie der Natur, trat auf als »rechte Urnatur, als Mineralie betrachtet, ächter Granit«, wie Caroline Friedrich Schlegel mitteilt. Zwischen Schelling und der um zwölf Jahre älteren Caroline entwickelt sich eine Leidenschaft, die die Situation in Jena unhaltbar macht. Friedrich Schlegel, unterstützt von seiner Gefährtin Dorothea Veit, stellt sich gegen die Schwägerin, August Wilhelm bleibt unentschieden. Auf einer Badereise stirbt Carolines Töchterchen aus erster Ehe, Auguste, ein junges reizendes Geschöpf, ohne daß Schellings ärztliche Kunst sie retten kann, ein Ereignis, in das sich die Öffentlichkeit mit häßlichen und haltlosen Gerüchten einmischt. Schließlich wird die Schlegelsche Ehe geschieden, Caroline heiratet Schelling und zieht mit ihm nach Würzburg, dann nach München. Während eines Aufenthaltes in Schellings Heimat erliegt sie der Ruhr, der gleichen Krankheit, an der Auguste gestorben war.
Diese letzten Jahre zeigen eine gewandelte Caroline. Schelling ist ihr »mehr als bloß ein zeitlicher Gefährte«, »ein unerschöpflicher Brunnquell alles Herrlichen und Tröstlichen«, in dessen Werk und Leben sie aufgeht. Aber war sie wirklich gewandelt? Mit der Treue nahm sie es, nach einem eigenen Wort, im Grossen; sie war sich selber treu zeit ihres Lebens, und so mußte sie es auch dem sein, der zu einem Teil ihrer selbst geworden war.
Caroline Schlegel Entwurf eines Romans
Der Hauptgegenstand des Romans wäre ein Weib — das wir Gabriele nennen wollen — ein selbstständiges und zugleich ein liebenswürdiges Wesen. Die Thorheit müste auf den ersten Blick stärker bey ihr hervorschimmern als die Vernunft; sie wäre ihre verführerische Seite, die sie selbst mehr aus Frohsinn als aus Leichtsinn geltend machte. Aber im Innern wohnte Würde, Adel, der heiligste Ernst eines schönen Herzens. Ihr Geist müste hell seyn, ihr angebohren, und auch ausgebildet - die allzu rege Empfänglichkeit durfte ihn zuweilen verwirren — nur ganz verblendet dürfen wir sie nicht sehen; selbst wo sie mit Leidenschaft liebt, und wo ihre Leidenschaft Unrecht hat, muß sie es ahnden, fast wißen, und nur sich durch eine andre Ausflucht täuschen. So kan sie hoffen die Fehler oder die Mängel eines Geliebten zu besiegen oder zu ergänzen. Sie darf ganz hingegeben lieben, aber wenn der nächste Augenblick nach einer glücklichen Stunde sie auffordert, so muß sie sich ganz auf sich allein verlassen können. Noth, Liebe, Genuß müßen die vielleicht vernachläßigte Überlegung mit Blizesstrahlen wieder in ihr erleuchten, statt sie zu verfinstern. Sie kan hingerißen werden, ohne sich hinterdrein als die Betrogne zu fühlen — der ist der Betrogne, der sie getäuscht zu haben glaubt.
Vorurtheilsfrey durch Instinkt soll ihr das Raisonnement mehr Gründe gegen andre als für sich leihen. Die äußre Sitte schont sie in allem, nicht sowohl aus Grundsaz als gewohnter Bescheidenheit. Sie soll glänzend seyn, wenn sie lebhaft wird, aber nicht immer gleich sich als lebhaft ankündigen. Mögen manche nur häusliche Tugenden in ihr kennen. Ohne sich selbst eigentlich zu kennen mag sie früh in die Welt geworfen werden. Keine zärtlichen Bande knüpfen sie an ihre erste fast bedeutungslose Jugend — sie hat nach dem Tode ihres Vaters keine nahen Verwandte, ein Mann, an den sie verheirathet wurde, starb früh. Ihr Nachdenken muß erwachen, indem sie sich so allein wie vor den Thoren eines Daseyns sieht, deßen Fülle sich in ihr zu bewegen anfängt — ihr Nachdenken, ihr dennoch unbefangnes Zutraun, aber kein stolzes Bewustseyn, noch sichre Rechnung auf einen Himmel auf Erden, der dem in ihrer Brust entspräche.
Wir können vielleicht annehmen, daß ihr Vater ein Gelehrter war, und sie ihre Mutter früh verlohr. Allein neben ihrem Vater, bekam sie manche Kenntniße, ohne daß diese in wahrer Verbindung mit ihrem Geiste standen. Nur späterhin kamen sie ihr zu Hülfe. Ihr Vater mochte ein Philolog seyn, und ihr vom Homer und der Sapho vorsagen und sich dagegen von ihr auf dem Ciavier spielen und Romanzen vorsingen laßen. Es durfte ihm nicht an Sinn und Seele fehlen, wie man sieht, aber es giebt Menschen, die solche haben und doch nicht eigentlich mittheilen können, denen es dabey auch an umfaßenden Begriffen mangelt, und meinen, das erhabene sey nur blos für sie, auf ihrer Studierstube und in ihren Büchern da — hier erkennen sie es nur, denn die lebendige Welt kennen sie ja nicht.
Gabrielens Schönheit brachte sie an den Mann. Dieser Mann war jung und brav, aber übrigens nicht so, daß er ihren Kopf, ihr Herz aus dem Schlummer der Kindheit hätte wecken können. Er hinterließ ihr ein kleines Vermögen. Sie kehrte in ihres Vaters Haus zurück — bis dieser starb. In diesem Zwischenraum lernt sie Wallern kennen. Sie ist noch nicht zwanzig Jahr.
- Ihre Freunde drängten Caroline zur Romanschrifistellerei. »Möchten doch auch Sie die Hände ausstrecken nach einem Roman!« schrieb Novalis. Ein erhaltener Entwurf aus den Jenaer Jahren zeigt, wie viele gleichzeitige Frauenromane, autobiographischee Züge.
Caroline Böhmer an Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
M[ainz] d. 27. Oct. 92.
Wenn Sie etwa glauben, daß man nicht mit Sicherheit hieher schreiben kan, so irren Sie sich — es sey dann, daß in Berlin ein Brief nach Mainz jezt für high treason gerechnet würde. Mir wird die Zeit lang zu wißen, wie Ihr gerechter Zorn wieder in Sanftmuth übergegangen ist. Ich hoffe, so leicht wie wir in Feindes Hand — wenn wir unsre höflichen wackren Gäste anders Feinde nennen können. — Welch ein Wechsel seit 8 Tagen — General Custine wohnt im Schloß des Churfürsten von Mainz — in seinem Prachtsaal versammelt sich der Deutsche Jacobiner-Club — die National-Cocarden wimmeln auf den Gaßen. — Die fremden Töne, die der Freiheit fluchten, stimmen vivre libre ou mourir an. Hätte ich nur Geduld zu schreiben und Sie zu lesen, so könt ich Ihnen viel erzählen. — Wir haben über 10 000 Mann in der Stadt, und es herrscht Stille und Ordnung. Die Adlichen sind alle geflohn — der Bürger wird aufs äußerste geschont — das ist Politik, aber wenn die Leute des gueux et des miserables wären, wie man sie gern dafür geben wolte — wenn nicht strenge Disciplin statt fände — wenn nicht der stolze Geist ihrer Sache sie beseelte und sie Grosmuth lehrte, so würds unmöglich seyn, so alle Ausschweifungen, alle
Insulten zu vermeiden. Die Leute sehn sehr delabrirt aus, weil sie lang im Feld lagen, aber arm sind sie nicht, und Mann und Pferd wohl genährt. Der Zustand der combinirten Armeen hingegen — Göthe, der den Ausdruck nicht zu übertreiben pflegt, schreibt seiner Mutter — keine Zunge und keine Feder kan die traurige Verfaßung der Armee schildern — und ein preusischer Offizier sagt: la Situation imposante de leurs armees, et la deplorable de la notre. — Custinens Schritte sind so berechnet — er findet nirgends Wiederstand — hat nichts zu fürchten — ne vous fies pas à vos armees mourantes, sagte er bey den Unterhandlungen.
Frankreich ist geräumt, Longwy und Verdun zurückgegeben — die Belagerung von Lille aufgehoben — Montesquion und Custines ohne Blutvergießen siegreich — und was mich mehr wie alles freut, die Marrats in der Nationalversammlung nach Verdienst gebrandmarkt. Ich glaube jezt dort — hier kan man sich des Spotts nicht erwehren — man macht Pro jekte — man haranguirt — gestikulirt nach den 4 Weltgegenden hin — will das Volk aufklären. Ein Werkzeug ist mein Schwager George Böhmer, der seine Profeßur in Worms aufgegeben hat, und so was von Secretair bey Custine ist. Mir sank das Herz, wie ich den Menschen sah — o weh — wolt und könt Ihr den brauchen? aber wen kan man nicht brauchen? Die sich bey solchen Gelegenheiten vordrängen, sind nie die besten. — Ich kan Ihnen Forsters Betragen nicht
genug rühmen — noch ist er bey keinem der Institute — er macht seinen bisherigen Gesinnungen Ehre, und wird vielleicht mit der Zeit den Ausschlag zu ihrem Vortheil geben. Der Mittelstand wünscht freilich das Joch abzuschütteln — dem Bürger ist nicht wohl, wenn ers nicht auf dem Nacken fühlt. Wie weit hat er noch bis zu dem Grad von Kentniß und Selbstgefühl des geringsten Sansculotte draußen im Lager. Der Erwerb stockt eine Weile, und das ist ihm alles — er regrettirt die sogenannten Herrschaften, so viel darunter sind, die in Concurs stehn und die Handwerker unbezahlt ließen. Aber nur eine Stimme ist über den Priester — er sieht gewiß sein schönes Mainz nicht wieder, wenn es auch, wies wahrlich sehr zweifelhaft ist, seine Thore dem Nachfolger öffnete. Custine bevestigt sich, und schwört den Schlüßel zu Deutschland nicht aus den Händen zu laßen, wenn ihn kein Friede zwingt. Kaum 4 Monat sinds, wie sich das Concert des puissances versammelte um Frankreichs Untergang zu beschließen hier — wo nun auf dem Comödienzettel steht: mit Erlaubniß des Bürgers Custine.
Ich hab eine Hausgenoßin, lieber M., seit 8 Tagen — eine Landsmännin — die Forkel. Man hat sie mir nicht aufgedrungen — ich habe selbst die erste Idee gehabt. Sie wißen vielleicht, daß sie unter Protektion des Forsterschen Hauses steht. Ich kante sie beynah gar nicht — hab aber keinen Haß gegen Sünder, und keine Furcht für mich. Was sagen Sie dazu? Sie hat sich hier immer gut aufgeführt — hat sie je ganz ein solches Unheil verdient wie in Bürgers Brief stand? — Und doch ist mir kaum daran gelegen das zu wißen — das kan mir ja einerley seyn — aber haben Sie sie außer Liebeshändeln falsch und intriguant gefunden? Das könte mich inkommodiren — denn ich weiß nicht, ob meine schlichte und ununternehmende Ehrlichkeit hinreicht, da Spize zu bieten. Die Frau gefällt mir bis jezt — ich bin gut mit ihr — da man das seyn kan, ohne sich hinzugeben, so seh ich nicht, warum ich damit nicht den Anfang machen sollte. Sie kennen sie, und können mir mehr Licht geben.
Adieu, lieber Meyer. Schreiben Sie doch bald. Wie gefallen Ihnen Forsters Erinnerungen? Reichard hat einen Revolutions-Allmanach geschrieben, der künftig Jahr nicht zu brauchen seyn wird.
- Sechs Tage zuvor hatten die französischen Revolutionstruppen im siegreichen Vormarsch gegen das deutsche Koalitionsheer Mainz genommen, das den Sansculotten starke Sympathien engegen-brachte. Dem Mainzer Jakobiner-Club, der »Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit«, trat auch Forster, der Weltreisende, bei. Caroline teilte die Begeisterung des Freundes für die Sache und seinen Abscheu gegen ihre Auswüchse, die »wüthenden Wellen verhaßter Uebertreibungen«. — Meyer: viel umschwärmter Bibliothekar in Göttingen, später Kritiker in Berlin. - Custine: General der französischen Armee. — delabrirt: mitgenommen. — Göthe: nahm an der »Campagne in Frankreich« auf deutscher Seite teil und verkehrte während eines Mainzer Aufenthaltes auch mit Forsters. — die Marrats: Marat, einer der meistgehaßten französischen Revolutionäre, setzte die Vernichtung der Gironde-Partei durch, wurde von Charlotte Corday erstochen. haranguirt: hält feierliche Ansprachen. — George Böhmer: Konrektor des Wormser Gymnasiums, ein »Erz-Clubbist« (Goethe), der zu Carolines Schaden später mehrfach für ihren Gatten gehalten wurde. — den Priester: Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal. — die Forkel: spätere Meta Liebeskind, Verfasserin eines empfindsamen Romans, lebte getrennt von ihrem Gatten, einem Göttinger Musikdirektor. — Reichard: Johann Friedrich Reichardt, Komponist Goethes, Salinendirektor, früher preußischer Hofkapellmeister, erlebte die Revolution in Paris und schloß sich ihr an.
Caroline Böhmer an Johann Friedrich Wilhelm Gotter
Kronenberg d. 15ten Jun. 93.
Dies ist späte Antwort, aber es ist eine — Seit 3 Wochen hab ich das Bett wenig verlaßen können, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Ihr habt mir derweile erzkomisch gedünkt — Louise bildet sich ein, wenn ihr Herzogthum alle seine Canonen abfeuert, so kam es doch wohl einer Mainzer salve gleich, und Sie fertigen mich Gefangne, Bedrängte, Gemishandelte mit einer Galanterie ab! Schöne Werke des Geistes und der Hände! Ja Memoriale, Suppliken und Strümpfe und Hemder für mein Kind!
Gehen Sie hin, lieber Gotter, und sehn Sie den schrecklichen Aufenthalt, den ich gestern verlaßen habe — athmen Sie die schneidende Luft ein, die dort herscht — laßen Sie sich von den, durch die schädlichsten Dünste verpesteten Zugwind durchwehn — sehn Sie die traurigen Gestalten, die Stundenweis in das Freye getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem Sie dann Mühe haben sich selbst zu hüten — denken Sie sich in einem Zimmer mit 7 andern Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille, und genöthigt, sich stündlich mit der Reinigung deßen, was Sie umgiebt, zu beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn — und dann ein Herz voll der tiefsten Indignation gegen die gepriesne Gerechtigkeit, die mit jeden Tage durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort schmachten, wie sie von ohngefähr aufgegriffen wurden — muß ich nicht über Euch lachen? Sie scheinen den Aufenthalt in Königstein für einen kühlen Sommertraum zu nehmen, und ich habe Tage da gelebt, wo die Schrecken und Angst und Beschwerden eines einzigen hinreichen würden, ein lebhaftes Gemüth zur Raserey zu bringen. Und doch war das Ungemach der Gegenwart nichts gegen die übrigen Folgen meines barbarischen Verhaftes.
Meine Gesundheit ist sehr geschwächt — aber wahrlich die innre Heiterkeit meiner Seele so wenig, daß ich heute den Muth habe mich in einem eignen Zimmer, wo es Stühle giebt (seit dem 8ten Aprill sah ich nur hohe hölzerne Bänke), und an einem Ort, wo ich keine Gefangenwärter und Wache mehr zu sehn brauche, glücklich zu fühlen, so heftig mein Kopf schmerzt und ein unaufhörlicher Husten, der ganz anhaltend geworden ist, mich plagt.
Sie werden vielleicht schon erfahren haben, daß der Chur-f ürst (auf sehr dringende Vorstellungen hin, die ihr Gewicht haben konten) uns die Wahl zwischen zwey kleinen Städtchen ließ, um dort Orts Arrest ohne Bewachung zu haben. Wir wählten dieses Städtchen, das nur eine Stunde von Königstein und 2 von Frankfurt liegt.
Der Gesichtspunkt, uns als Geißeln zu behandeln, ist fest gefaßt, und von persönlicher Schuld nicht die Rede. Wir haben uns endlich an unsre Regierung gewandt und ihren Schutz begehrt, auch an den König von Preußen. — Diese bedingte Freyheit kan mir nicht genügen — ich muß vom Schauplaz abtreten können. Ist diese Erleichterung, die das wenigste ist, was man thun konte, wenn Königstein nicht mein Grab werden sollte, Befreyung? Wer giebt mir Ersaz für diese schrecklichen Monate, für öffentliche Beschimpfungen, die ich nie verdienen konte, für den Verlust meiner liebsten Hofnungen? — Sie sprechen von Formalitäten, die sezen Anklage, Vertheidigung, Untersuchung voraus — wo fand dergleichen Statt? Räuberformalitäten übt man an uns — und Sie thun nicht wohl im deutschen Eifer einer Nation ausschließend das Räuberhandwerk zuzueignen. Mir müßen Sie es wenigstens nicht sagen, die ich 160 Gefangne sah, welche durch deutsche Hände gingen, geplündert, bis auf den Tod geprügelt worden waren, und ohngeachtet die wenigsten von ihnen den Franken wirklich angehangen hatten, jezt der deutschen Grosmuth fluchen musten. Königstein bildet eifrige Freyheitssöhne — alles, was sich noch von Kraft in diesen Armen regt, lehnt sich gegen dies Verfahren auf. Ich kan es begreifen, daß man scharf straft, aber daß ganz Unschuldige ohne alles Verhör so lange jammern müßen, da die Mainzer Regierung M. nicht wieder einzunehmen, sondern Muße genug für die Uebung der Gerechtigkeit hat — das ist unverantwortlich und sehr unpolitisch.
Verzeihen Sie meine Lebhaftigkeit um so eher, lieber G., da sie Eurer Freundschaft kein unwillkomner Beweis seyn muß, daß die Härte des Schicksaals mich nicht in den Staub gedrückt hat.
Ich höre von dem guten Porsch gar nichts mehr — unter uns, ich glaube, er wird ein bischen wild seit ihrem Tode. Das thut mir sehr leid.
Wenn man mir schreiben will, so bitt ich eine Adreße an Hrn. Franz Wenner, in der Varrentrapp und Wennerschen Buchhandlung, zu machen — offne Briefe sind forthin eine unnöthige Bemühung.
Ich umarme Louise und Wilhelmine — seyd ja nicht bös auf mich, lieben Leute — ich lache die Großen aus, und verachte sie, wenn ich tief vor ihnen supplicire, aber ich bin wahrhaftig nur eine gute Frau, und keine Heldin. Ein Stück meines Lebens gab ich jezt darum, wenn ich nicht auf immer, wenigstens in Deutschland, aus der weiblichen Sphäre der Unbekantheit gerißen wäre.
Die Freundschaft Gotters, des Gothaer Archivars und Dramatikers, der mit Carolines Göttinger Jugendfreundin Luise Stieler verheiratet war, bewährte sich auch in Zeiten der Not. Nach der Flucht aus dem republikanischen Mainz waren Caroline und ihre Tochter Auguste zunächst in Königstein im Taunus, dann, unter erleichterten Bedingungen, in Kronberg inhaftiert. Erst auf eine Intervention von Carolines Bruder Philipp hin wurde sie durch eine Verfügung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. freigelassen. — Forsch: Schauspieler in Frankfurt, später in Berlin.
Caroline Schlegel an Friedrich von Hardenberg
[Jena] 4 Febr. 1799.
Ob Sie mich gleich mit Ihren Dithyramben über das mercantilische Genie, das uns fehlt und Sie auch nicht haben, einmal recht böse gemacht, so sind Sie doch besser wie ich gewesen. Sie geben wenigstens Nachricht von sich. Ich aber habe mich in Absicht der nöthigen Mittheilungen ganz auf Ihre Weihnachtsunterhaltung mit der Ernst verlassen und mehr an Sie gedacht als geschrieben. Endlich kommt beides zusammen.
Was Sie von Ihrer Kränklichkeit erwähnen, darüber will ich mich nicht ängstigen, weil immer viel guter Muth dadurch hervorleuchtet, und Sie bei Ihrer Reizbarkeit immer Zeiten haben müssen, wo Sie nichts taugen. Das Wort des Trostes, was Sie nennen, geht mir weit mehr zu Herzen: Liehe. Welche? Wo? Im Himmel oder auf Erden? Und was haben Sie mir mündlich Schönes und Neues zu sagen? Thun Sie es immer nur gleich, wenn es nichts sehr Weitläufiges und etwas Bestimmtes ist. Es giebt keine Liebe, von der Sie da nicht sprechen könnten, wo, wie Sie wissen, lauter Liebe für Sie wohnt. In der That — darf ich alle Bedeutung in den Schluß Ihres Briefes legen, den er zu haben scheint? Ich will ruhig schweigen, bis Sie mirs sagen.
Ihre übrige innerliche Geschäftigkeit aber macht mir den Kopf über alle Maßen warm. Sie glauben nicht, wie wenig ich von eurem Wesen begreife, wie wenig ich eigentlich verstehe, was Sie treiben. Ich weiß im Grunde doch von nichts etwas als von der sittlichen Menschheit und der poetischen Kunst. Lesen thu ich alles gern, was Sie von Zeit zu Zeit melden, und ich verzweifle nicht daran, daß der Augenblick kommt, wo sich das Einzelne auch für mich wird zusammen reihen, und mich Ihre Äußerungen nicht blos darum, weil es die Ihrigen sind, erfreuen. Was ihr alle zusammen da schaffet, ist mir auch ein rechter Zauberkessel. Vertrauen Sie mir vors Erste nur so viel an, ob es denn eigentlich auf ein gedrucktes Werk bey Ihnen herauskommen wird, oder ob die Natur, die Sie so herrlich und künstlich und einfach auch construiren, mit Ihrer eignen herrlichen und kunstvollen Natur für diese Erde soll zu Grunde gehn. Sehn Sie, man weiß sich das nicht ausdrücklich zu erklären aus Ihren Reden, wenn Sie ein Werk unternehmen, ob es soll ein Buch werden, und wenn Sie lieben, ob es die Harmonie der Welten oder eine Harmonika ist.
Was kann ich Ihnen von Ritter melden? Er wohnt in Belvedere und schickt viel Frösche herüber, von welchen dort Überfluß und hier Mangel ist. Zuweilen begleitet er sie selbst, allein ich sah ihn noch nie, und die Andern versichern mir, er würde auch nicht drei Worte mit mir reden können und mögen. Er hat nur einen Sinn, so viel ich merke. Der soll eminent seyn, aber der höchste, den man für seine Wissenschaft haben kann, ist es doch wohl nicht — der höchste besteht aus vielen. Schelling sagt, Sie sollen Rittern nur schreiben, wenn Sie ihm etwas zu sagen haben. Es thäte nichts, daß Ritter selbst gar nicht schreiben könnte. Aufs Frühjahr werden Sie ihn ja sehn.
Was Schelling betrifft, so hat es nie eine sprödere Hülle gegeben. Aber ungeachtet ich nicht sechs Minuten mit ihm zusammen bin ohne Zank, ist er doch weit und breit das Interressanteste was ich kenne, und ich wollte, wir sähen ihn öfter und vertraulicher. Dann würde sich auch der Zank geben. Er ist beständig auf der Wache gegen mich und die Ironie in der Schlegelschen Familie; weil es ihm an aller Fröhlichkeit mangelt, gewinnt er ihr auch so leicht die fröhliche Seite nicht ab. Sein angestrengtes Arbeiten verhindert ihn oft auszugehn; dazu wohnt er bei Niethammers und ist von Schwaben besetzt, mit denen er sich wenigstens behaglich fühlt. Kann er nicht nur so unbedeutend schwatzen oder sich wissenschaftlich mittheilen, so ist er in einer Art von Spannung, die ich noch nicht das Geheimnis gefunden habe zu lösen. Neulich haben wir seinen vierundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Er hat noch Zeit milder Zu werden. Dann wird er auch die ungemeßne Wuth gegen solche, die er für seine Feinde hält, ablegen. Gegen alles, was Hufeland heißt, ist er sehr aufgebracht. Einmal erklärte er mir, daß er in Hufelands Gesellschaft nicht bei uns seyn könnte. Da ihn Hufeland selbst bat, ging er aber doch hin. Ich habe ihm mit Willen diese Inconsequenz nicht vorgerückt. Er hat so unbändig viel Charakter, daß man ihn nicht an seinen Charakter zu mahnen braucht ....
Von Friedrich nichts, bis ich die Veit und Lucinde gesehn. Wir gehen in der Woche vor Ostern nach Berlin, wo jene den Sommer über bleiben werden. Lieber Hardenberg, gehn Sie mit uns! Wir können Sie ja in Naumburg treffen. Es wäre gar zu hübsch. Denken Sie mit Ernst daran.
Wir sind fleißig und sehr glücklich. Seit Anfang des Jahrs komme ich wenig von Wilhelms Zimmer. Ich übersetze das zweite Stück Shakespear, Jamben, Prosa, mitunter Reime sogar. Adieu, ich muß dies wegschicken.
- der Ernst: Schwester der Schlegels. — Schluß Ihres Briefes: »Ohne Liebe hielt ichs gar nicht aus«, hatte Novalis geschrieben. — Ritter: Physiker, vor allem mit Problemen des Galvanismus befaßt. — Schelling: war 1798 an die Jenaer Universität berufen worden; er wohnte bei dem Philosophen und Theologen Niethammer, der Schwabe wie Schelling war. Schelling wirkte in Jena wie ein Naturereignis; Caroline nannte ihn einen »rechten Bären«, mit »geistreichem Trotz im Gesicht«. — Hufeland: berühmter Arzt und Schriftsteller, seit 1793 Professor in Jena, seit 1798 an der Berliner Charite. — die Veit: Dorothea, die spätere Frau Friedrich Schlegels. — Lucinde: Friedrich Schlegels vielumstrittener Roman.
Auguste Böhmer an Friedrich Wilhelm Schelling
[Bamberg] Mitwoch den 4 Junius [1800]
Jezt bin ich doch wieder ein bischen in Nahrung gesezt, die Mutter nimt es recht gern an, daß ich mich hinseze und Dir schreibe, denn sie wendet ihre Kräfte lieber darauf Dir von ihren Empfindungen bei Deiner Abreise zu sagen, als von Geschäften.
Ich danke Dir recht sehr für das Mittel, was Du mir an die Hand gegeben hast Mutterchen zu amüsieren, es schlägt herrlich an, wenn ich auch noch so viel Narrenspossen treibe sie zu unterhalten und es will nicht anschlagen, so sage ich nur: »wie sehr er Dich liebt« und sie wird gleich Mullig, das erstemal, als ich es ihr sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr Du sie denn liebtest, da war nun meine Weisheit aus, und ich half mir nur geschwind damit, daß ich sagte: mehr als alles, sie war zufrieden, und ich hoffe, Du wirst es auch seyn.
Wir haben recht an Dich gedacht, lieber Mull, und uns gefürchtet, die Franzosenjungen mögten Dir etwas thun, aber nun bist Du doch wohl schon, lange zu Hause angekommen. Schreib uns nur ja recht viel davon, und besonders von Deinem Schwesterchen und grüße sie recht von mir, sie soll ja mitkommen! ....
Röschlaub und Kusine sind ganz unleidlich, wir werden sie den ganzen Tag nicht los, Mutter hat sich vorgenommen es mit der K. zu machen wie Tieck mit Angebrentano. Nun gute Nacht, lieb Mullchen, morgen mehr.
d. 5ten Juni.
Adiö. es ist sehr dum, daß wir noch nichts wissen, ich mögte die Kusine zerreißen.
Dein Uttelchen.
- Caroline und ihre fünfzehnjährige Tochter Auguste aus erster Ehe hielten sich auf dem Wege in das fränkische Bad Bocklet in Bamberg auf, Schelling hatte sie auf der Reise begleitet. — Mull: schwäbisch für »Kater«. — Röschlaub: Professor an einem Bamberger Spital, Vertreter der Brownschen Methode, einer Reiztherapie, für die sich auch Schelling einsetzte. — Angebrentano: Clemens Brentano, den Caroline »Demens« nannte. Brentano hatte bei Tieck geflunkert, er sei beim Lesen eingeschlafen und dabei sei ihm ein kostbarer Band Shakespeare verbrannt.
Caroline Schlegel an Friedrich Wilhelm Schelling
[Braunschweig] Dienstag früh [Oktober 1800]
Ich habe den Himmel recht gebeten mich zu erleuchten und mir gute Gedanken zu verleihn, ehe diese Post abginge, und er hat mich auch erhört. Wenn ich Dir wollte oder vielmehr vermöchte alles hinzuschreiben, was in mir vorgegangen ist, es würde so tief und so wehevoll werden wie Deine Blätter, aber ich muß mich schonen und gebe Dir nur den Frieden von Gott, in dem sich mein Herz aufgelöset hat, voll fester Hofnung, daß ich ihn Dir auch mittheilen werde. Ich habe Dich innig lieb, ich küsse Deine Stirn, Deine beyden lieben Augen und den süßen Mund. Das ist recht das selige Zeichen des Kreuzes.
Wenn ich Dir auch könte lange Vorstellungen erwiedern über Deine Vorstellung, und eine Menge begeisterte Vernunft gegen Deine irrigen Ansichten setzen, es wäre eine bloße Redeübung — genug daß ich meinem Freunde verspreche, daß ich leben will, ja daß ich ihm drohe, ich werde leben, wenn er so zur unwahren Stunde den Tod sucht. Du liebst mich, und sollte die Heftigkeit des sich in Dir bewegenden Wehes Dich auch einmal mit Haß täuschen und mich damit zerreißen, Du liebst mich doch, denn ich bin es werth, und dieses ganze Universum ist ein Tand, oder wir haben uns innerlich für ewig erkannt.
Ich wiederhol es noch einmal, warum kann ich dem Goethe nicht sagen, er soll Dich mit seinem hellen Auge unterstützen. Er wäre der einzige, der das nöthige Gewicht über Dich hätte. Gieb Dich wenigstens seiner Zuneigung und seinen Hoffnungen auf Dich ganz hin, und denke, daß Du doch liebe Freunde hast — so gut, wie das Jahrhundert sie vermag. Schreib mir, was Du eigentlich jetzt arbeitest, am Journal, das errath ich wohl, weiß aber nicht welches Thema. Friedrich seine Querspiele haben mich sehr amüsirt. Ich habe hier beyläufig von Wilhelm vernommen, er sähe seine Vorlesungen aus einem sehr sublimen Standpunkt an, nehmlich er könne sich der Ironie nicht dabey enthalten, die Studenten wären gar zu dumm. Die Ironie ist doch zu allen Dingen nütze. Euer Conversatorium wird übrigens zu allerley Partheywuth, Streichen, Nucken und Tücken Anlaß geben, deswegen hat es mir gleich nicht besonders gefallen. Gieb Du dem Wickelmann immer nur ein humanes gutes Wort, damit er Deine Divinität wieder bekennt. Man muß nichts vernachläßigen im Spiel. Paulussens sind ein jüdisch und judassisches Volk, aber ihnen ganz aus dem Wege gehn solltest Du doch nicht. — Über die Veit denkt Wilhelm nun nach und nach fast wie wir — ich habe ihm auch gesagt, daß sie so über das Innre unsers Hauses geschwazt und gelogen hat, was er als einen sehr schlechten Dienst gegen sich selber anerkannte.
Hast Du das neuste Stück der Propyläen schon gesehn?
Sey nur nie besorgt, was Deine Briefe betriff.; ich bekomme sie aus der Hand des Briefträgers immer zu eignen Händen, beantworte sie aber nur manchmal so überzwerch,
»Eine reizende kleine Gestalt, zart bis zum Winzigen, voll Grazie und Gefühl.«
Johann Georg Rist in seinen Lebenserinnerungen
wie Friedrichs Philosopheme sind. Ich muß doch auch probiren, ob ich nicht aus Tod und Schmerz Wonne Liebe Leben und Frieden herausbringen kann. Woher mir die Ursätze kommen, darum wirst Du mich wohl nicht so scharf befragen. Es ist doch arg, wenn man etwas gewiß hat, und soll nun auch noch Rechenschaft geben, woher man es nimmt.
Goethe tritt Dir nun auch das Gedicht ab, er überliefert Dir seine Natur. Da er Dich nicht zum Erben einsetzen kann, macht er Dir eine Schenkung unter Lebenden. Er liebet Dich väterlich, ich liebe Dich mütterlich — was hast Du für wunderbare Eltern! Kränke uns nicht. Und hast Du wohl bey Deinen lezten Vorsätzen an Deinen guten Vater und die gute Mutter gedacht, die einfältiger, aber eben so kraftvoll und liebreich Dir das erste Leben gaben? O welch ein schwarzer Nebel hatte das Haupt meines Freundes umzogen.
Ich wollte Dir selbst schon vorschlagen, ob ich Dir etwas für Dein geplagtes Schwesterchen schicken sollte. Nur daß ich gar nicht ausgehe, hat mich verhindert es schon zu thun. Ich möchte wohl wissen, ob Du ihr lieber etwas zum Anzug oder zum Andenken gäbest und ob sie Ohrringe trägt.
Es ist vielleicht ein seltsamer Contrast, daß ich Dir so heiter schreibe nach einem solchen Brief. Aber ich habe viel gelebt in diesen wenigen Tagen, und das ist mein innerstes Wesen, daß ein Lächeln gränzen kann an die unsäglichste Noth. Du hast mich wieder geweckt, und gewiß, wir quälen uns nun wohl recht mit hin und her schreiben, und tausend Widersprüche fallen vor, aber am Ende werden wir doch uns etwas bilden, das alle löset.
»Ihr Bild wird auf immer mir das Ideal ihres Geschlechtes bleiben — Sanftmuth, Güte, richtiger Verstand, und die über ihre ganze Person verbreitete Grazie bezaubern, aber lassen sich nicht beschreiben.«
Ludwig Zeerleder, 1793
Verlaß mich nicht, ich liebe Dich, ich wollte, ich könnte Dir sagen wie sehr, aber in Deinen Armen selbst würde ich es Dir nicht ausdrücken können.
- Schelling durchlebte nach dem Tode von Carolines Tochter Auguste, die er in den ersten Tagen ihrer Krankheit in dem fränkischen Bad Bocklet selber ärztlich behandelt hatte, aber auch wegen des ungeklärten Verhältnisses zu Caroline eine schwere Krise. — Friedrich seine Querspiele: Schlegel hatte sich im Oktober in Jena habilitiert und lehrte vor einem Auditorium der »Dummheit in großen Massen«. — Wickelmann: August Winckelmann, Mediziner. Paulus: Theologe, Hauptmitarbeiter der Allgemeinen Literatur-Zeitung, wurde später wie auch Schelling nach Würzburg berufen. Goethe tritt Dir nun auch das Gedicht ab: ein großes gemeinsam mit Schelling geplantes Gedicht über die Natur.
Caroline Schlegel an Johann Wolfgang Goethe
Wenn Ihre eignen Hoffnungen von Schelling und alles, was er schon geleistet hat, wenn er selbst Ihnen so lieb und werth ist, wie ich es glaube, so werden diese Zeilen ihre Entschuldigung finden, ungeachtet ihrer Seltsamkeit, die Sie bitten sollen ihm zu helfen. Ich weiß in der Welt niemand außer Ihnen, der das jetzt vermöchte. Er ist durch eine Verkettung von gramvollen Ereignissen in eine Gemüthslage gerathen, die ihn zu Grunde richten müßte, wenn er sich ihr auch nicht mit dem Vorsaz hingäbe sich zu Grunde richten zu wollen. Es kann Ihnen fast nicht unbemerkt geblieben seyn, wie sehr sein Körper und seine Seele leidet, und er ist eben jetzt in einer so traurigen und verderblichen Stimmung, daß sich ihm bald ein Leitstern zeigen muß. Ich bin selbst müde und krank und nicht im Stande ihm die kräftige Ansicht des Lebens hinzustellen, zu der er berufen ist. Sie können es, Sie stehn ihm so nah von Seiten seiner höchsten und liebsten Bestrebungen, und der persönlichen Zuneigung und Verehrung, von denen er für Sie durchdrungen ist. Sie haben das Gewicht über ihn, was die Natur selber haben würde, wenn sie ihm durch eine Stimme vom Himmel zureden könnte. Reichen Sie ihm in ihrem Namen die Hand. Es bedarf weniges weiter, als Sie wirklich schon thun, Ihre Theil-nehmung, Ihre Mittheilung ist mehrmals ein Sonnenstral für ihn gewesen, der durch den Nebel hindurch brach, in dem er gefangen liegt, und manches, was er mir geschrieben, hat mir den Gedanken und den Muth gegeben Sie bestimmter für ihn aufzufordern. Lassen Sie ihn nur wissen, daß Sie die Last auf seinem Herzen und eine Zerrüttung in ihm wahrnehmen, die ihm nicht ziemt, und wenn das Geschick auch noch so ausgesucht grausam ist. Lassen Sie ihn einen hellen festen Blick auf sich thun. Sie werden durch jeden Wink auf ihn wirken, denn mag er noch so verschlossen und starr erscheinen, glauben Sie nur, sein ganzes Wesen öffnet sich innerlich vor Ihnen, wenn Sie sich zu ihm wenden, und wenn er nicht die heftige Erschütterung scheute Ihnen gegen über, so hätte er vielleicht selbst gethan, was ich sanfter, obwohl sehr bekümmert an seiner Statt thue: sein Heil Ihrer Vorsorge übergeben. Es ist das beste, was die Freundin für ihn zu thun vermochte, die ihn nicht auf die Art trösten kan, wie sie sich selbst trösten darf. Ich habe es gewagt im Vertrauen auf Ihre Güte und den ernsten Sinn meines Anliegens. Meine Augen sind trübe, ich sehe nur noch, daß er leben muß und alles Herrliche ausführen, was er sich gedacht hat.
Wenn ich einen Wunsch besonders aussprechen darf, so ist es der, daß Sie ihn um Weynachten aus seiner Einsamkeit locken und in Ihre Nähe einladen.
Ohne weitere Antwort hoffe ich es beruhigend zu erfahren, daß Sie meine Bitte geachtet haben, und nur zum Überfluß ersuche ich Sie, ihrer auf keine andere Weise zu erwähnen.
Braunschweig d. 26ten Nov. 1800.
Caroline Schlegel.
Schlegel wird wahrscheinlich noch vor Ende des Jahrs die Ehre haben Sie zu sehn.
- Goethe erfüllte die Bitte und nahm Schelling vom 26. Dezember bis zum 4. Januar zu sich nach Weimar.
Caroline Schlegel an Friedrich Wilhelm Schelling
[Braunschweig] Mittwoch früh [März? 1801]
Mein allerliebster Freund, ich schreibe Dir gleich frisch auf der That nach Deiner artigen Sendung. Gestern hatten wir ein großes Concert hier im Hause (mit Quartetten) und ich hatte Dich immer vor Augen und im Herzen gehabt; ehe ich mich schlafen legte, übergab mir Rose noch die beyden Briefe von Dir, und so wie ich aufstehe, will ich Dir dafür danken. Ihr Sinn ist doch liebreich, den kleinen Bitterkeiten zum Troz; Du irrst Dich, aber ich hoffe, Du wirst nicht etwa meynen recht zu haben. Denn wenn ich Dich gleich verlasse, so thu ich es doch ganz anders, wie Du vorgiebst Dir einzubilden, und ich habe niemals so fest und unauflöslich an Dir gehangen. Wenn Du mich von Dir losmachen wolltest, so würdest Du mein Leben mit zerreißen. Also was Du schwazest vom Wunsch frey zu seyn, und von der Möglichkeit, daß mich mein innrer Genius nicht eben zu Dir unwiederstehlich hinzöge, das ist alles Thorheit — denn eben zu Dir; ich habe es nie allmächtiger empfunden. Ich will blos dabey bleiben, was ich bin, was ich nicht ändern könnte ohne mich zu zerstören, mir treu, um Dir desto treuer zu seyn. Die Furcht Dein Misfallen zu erregen, und der zerrüttende Eindruck, den Dein Misfallen auf mich macht, die muß ich fliehen um der Liebe und meines heiligen unabänderlichen Grames willen, der solche Störungen nicht mehr erträgt — drum muß ich mich wenigstens in so fern von Dir trennen, daß Du nicht leidest durch meine Schulden, und blos das Freundesrecht habest zu tadeln, nicht beschämt für mich zu werden, und blos das Recht des Gelieebten Gefallen an mir zu finden, nicht Gefallen an mir zu üben. O ich habe Dich schrecklich lieb, unbegreiflich lieb, und nun wird es erst ganz an den Tag kommen. Könnt ich Dir nur meinen Sinn einflößen, alle Spannung weghauchen, Dich selbst fest halten in Deiner Anmuth, bei Deiner leichtern Stimmung. Süßes Herz, Du bist auch liebenswürdig, der Himmel ist nur noch nicht klar. Wolken fliehen hin und her, der Sturm jagt sie vor das Angesicht der Sonne. Kein Clima giebt es auf der Erde ohne Wolken, aber nur im Norden steigen sie so unaufhörlich wieder empor, komm in mein Süden, komm, Du geliebtester aller Menschen. Gewiß, wenn Du Dich jetzt nicht mehr traurend an Unmöglichkeiten wendest, so können wir uns noch ein schönes Leben bilden. Nimm unser wunderbares Bündniß, wie es ist, jammre nicht mehr über das, was es nicht seyn konnte, nicht die reine irdisch schöne beschränkte Liebe zweyer Wesen, die frey von allen Fesseln sich zum erstenmal begegnen um ihre Freiheit mit einander auszutauschen, ja nicht einmal ein muthiges Zerreißen aller vorher gegangner Bande, das sich die Liebe selbst in meiner Lage nie als Tugend hätte anrechnen können. Und doch, so zerstückt wie es den einfachen Wünschen dasteht, ist es alles in allem, als Freund, als Bruder, als Sohn und Geliebten schließe ich Dich an meine Brust, es ist wie das Geheimniß der Gottheit, gleich der Jungfrau, die Mutter ist, und Tochter ihres Sohnes, und Braut ihres Schöpfers und Erlösers. So laß es uns denn endlich still und gläubig ansehen.
Ich weiß wohl, daß mir dies nach meiner Natur und schon als Weib viel leichter wird. So wie Du in das Bewußt-seyn tratest, waren Deine Forderungen an das Schicksal die eines Herrschers, recht bestimmt, von keiner Einschränkung wissend, vielleicht dennoch beschränkt — Du wolltest ein ungetrübtes jugendliches Glück, Du jugendlich Herz, wie es auch so einem herrlichen Menschen ziemet, wenn Du nur nicht noch so viel herrlicher wie herrlich gewesen wärest. Wie ich in mir selber erwachte, da machte es sich so, daß ich lange, lange glaubte, in der Wirklichkeit wäre das Glück niemals zu Hause, und nichts, was dem innern Daseyn eigentlich entspräche. Und durch diese erste Erziehung bin ich immer ein wenig bescheiden geblieben. Die Resignation hat mir Tiefe gegeben, und die erste Liebe eine ganz unaussprechliche Heiterkeit, ob sie schon selbst fast nicht in die Wirklichkeit gehörte. Nun begnügst Du Dich, wenn es seyn muß, jedoch in Bitterkeit, und ich in reicher Dehmuth. Du kannst und sollst gar nicht seyn wie ich — aber erkenne nur die Sache, wie sie steht von beyden Seiten, und nimm von mir an, was Dein edles Gemüth nicht bezwingen, aber besänftigen, trösten, beruhigen möchte.
Donnerstag.
Spotte nur nicht, Du Lieber, ich war doch zur Treue gebohren, ich wäre treu gewesen mein Lebenlang, wenn es die Götter gewollt hätten, und ungeachtet der Ahndung von Ungebundenheit, die immer in mir war, hat es mir die schmerzlichste Mühe gekostet untreu zu werden, wenn man das so nennen will, denn innerlich bin ich es niemals gewesen. Dieses Bewustseyn eben von innerlicher Treue hat mich oft böse gemacht, hat mir erlaubt mir wagend zu erlauben; ich kannte das ewige Gleichgewicht in meinem Herzen. Konnte mich etwas nied[r]eres vor dem Untergang bewahren in meinem gefahrvollen Leben als dieses Höchste? Und wenn ich mir Verzweiflung bereitet hätte in der Verzweiflung der von mir Geliebten — ja, ich würde im Schmerz darüber verzweifeln, im Gewissen nicht, niemals könnte ich wie Jacobi ausrufen: verlasse Dich nicht auf Dein Herz. Ich müßte mich verlassen auf mein Herz über Noth und Tod hinaus, und hätte es mich in Noth und Tod geleitet. Das ist mein unmittelbares Wissen, daß diese Sicherheit sicher ist, und könnte sie in mir zerbrochen werden, so müßte sogleich die Vernichtung eintreten, für mich nehm-lich. Denn eine Lehre ist das nicht und kann nicht mitge-theilt werden, eine unsichtbare Kirche wird es aber doch wohl seyn. Du siehst, ich nehme es mit der Treue im Großen — aber gewiß nicht um Dir zu entschlüpfen, nur weil mir das so nahe liegt; insofern ich mir treu bin, bin ich es auch Dir. Freylich wohl, so wie nach meiner Idee die Sünde nicht in den Handlungen liegt, so möchte auch die Treulosigkeit mir nicht in den Untreuen erscheinen, und Du bist also vielleicht schlecht zufrieden. Bist Du, mein Lieber? Nein, Du erkennst hierin den Punkt auch, der Hohes und Niedres scheint [scheidet?], sonst hättest Du mir lezthfh nicht so ernst zugestanden, daß Du keinen zuverlässigem Freund hättest wie mich — und jetzt so anmuthig mit Deiner Freundin über ihr untreues Haupt gescherzt. Diese wenigen Zeilen sind in der That recht bezaubernd süß — aber ich hoffe doch, unter Liebenswürdigkeit verstehst Du die Würdigkeit geliebt zu werden? Worauf bezieht sich aber die Erwähnung: Du glaubtest jetzt selbst, was man über diesen Punkt (der Nichttreue nehmlich) versichert habe? Geht das mich oder mein ganzes Geschlecht an?