»Mich dünkt auch, daß es mit meinen Schriften erging wie mit meiner Person;
beide sollten zum Beispiele dienen, daß die meisten Menschen gut sind
und gern Nachsicht haben, wo sie Güte finden und ahnen.«
Sophie La Roche in der Einleitung zu Melusinens Sommerabende
»Frau von La Roche ist eine Frau der großen Welt, von den nobelsten Manieren; sie spricht besser französisch, als deutsch, und ihr Geist geht mit einer überraschenden Schnelligkeit von der tiefsinnigsten Unterhaltung zu jenen leichtesten Aufmerksamkeiten über, die wir unserer Umgebung schuldig sind .... wenn man sie sieht, ist sie ganz anders, wie ihre Briefe. Sie spricht unendlich besser, als sie schreibt.«
Als 1772 der scharfzüngige Darmstädter Kriegsrat Johann Heinrich Merck dieses Urteil fällte, stand die vierzigjährige Sophie La Roche auf der Höhe ihres Ruhmes. Es gab in Deutschland keine Frau, die sich der Verfasserin des ersten Frauenromans, der Geschichte des Fräuleins von Sternheim, an literarischer Bedeutung ebenbürtig zur Seite stellen durfte. Doch war es weniger die schriftstellerische Begabung als die menschliche Ausstrahlung, auf der die Wirkung der zierlichen kleinen Person mit den dunklen Augen beruhte. Mit angeborener Grazie wußte sie ihre Rolle als Beherrscherin der Geselligkeit im Kreise der schönen Geister ihrer Zeit zu spielen. Aber sie war mehr als Gesellschaftsdame mit schriftstellerischen Fähigkeiten: Sie war die Muse und Jugendliebe Wielands, die mütterliche Freundin Goethes und schließlich die liebevolle Großmutter der romantischen Geschwister Clemens und Bettina Brentano.
In Augsburg als Tochter des Arztes Georg Friedrich Gutermann wuchs sie auf. Im nahegelegenen Biberach, im Hause ihres Onkels, des Pfarrherrn Wieland, lernte die Neunzehnjährige nach einer ersten Liebesenttäuschung den um zwei Jahre jüngeren Vetter Christoph Martin kennen, der noch ganz am Anfang seines Weges, unschlüssig zwischen philosophischen Systemen und schwärmerischen Neigungen, stand. Die scheue, empfindsame Cousine wurde ihm zur Herzensfreundin, zur Doris seiner frühen Gedichte, bald zur Verlobten. Aber die Jugend des Bräutigams und die mangelnde Aussicht auf Amt und Einkommen ließen die Verbindung aussichtslos erscheinen. Sophie willigte in die Heirat mit Georg Michael La Roche, dem natürlichen Sohn und Sekretär des Grafen Stadion, ein. Durch Stadion, den Verfechter der Aufklärung, einen Mann von Kultur und musischen Talenten, der in Mainz als Kanzler des Kurfürsten einen Rokokohof en miniature führte, wurde die junge Frau mit höfisch verfeinerter Geselligkeit bekannt. Er bildete ihr Urteilsvermögen und erzog sie zur Freude an schöngeistiger Beschäftigung. Als Stadion sich nach seinem Rücktritt auf Schloß Warthausen bei Biberach zurückzog, blieben die La Roches in seiner Begleitung.
Der Tod des Gönners brachte eine einschneidende Veränderung. La Roche wurde als Amtmann in das schwäbische Bönnigheim abgeschoben, und Sophie litt bitter unter der Vereinsamung und der Abwesenheit ihrer fünf Kinder. Aber gerade diese Klausur sollte zur Keimzelle ihres Ruhmes werden. Hier schrieb sie 1770, von Wieland beraten, nach Richardsons Vorbild den Briefroman Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Eine ganze Generation, die sich selbst und ihre Leiden sehr ernst nahm, sah sich gespiegelt in den Helden des Buches, das die Wertherzeit einleiten sollte. »Die Herren irren sich, wenn sie glauben, sie beurtheilen ein Buch — es ist eine Menschenseele«, schrieb Goethe in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen. Edelmut und Menschenliebe mit zarter Empfindsamkeit vereinigt, das hatte es bisher in der deutschen Literatur noch nicht gegeben. Der Erfolg war verblüffend; Aufklärer wie Stürmer und Dränger hoben die Verfasserin der Sternheim gleichermaßen auf ihren Schild. Die einen fühlten sich durch den Appell an die Vernunft, die anderen durch den an das Gefühl begeistert. Beiden hatte die La Roche Genüge getan, indem sie Naivität und Reflexion, sehnsüchtiges Schwärmen und kühle Belehrung geschickt miteinander verband, ohne allerdings ihrer Widersprüchlichkeit im Gefüge der Handlung ganz Herr zu werden.
Als La Roche der ehrenvollen Berufung als kurtrierischer Kanzler nach Ehrenbreitstein bei Koblenz folgte, konnte Sophie ihren gesellschaftlichen Ehrgeiz endlich befriedigen. Wieland fehlte in ihrem Salon ebensowenig unter den Bewunderern wie Merck, die Brüder Jacobi und der Dichter Lenz. Auch Goethe fand sich ein und zeigte sich von »Mama« La Roche, mehr noch von der Schönheit der glut-äugigen Tochter Maximiliane beeindruckt. »Mit der Mutter verband mich mein belletristisches und sentimentales Streben, mit dem Vater ein heiterer Weltsinn und mit den Töchtern meine Jugend.«
Sophie La Roche hörte nicht auf zu schreiben, aber der Erfolg ihrer Sternheim erneuerte sich nicht. Sie unternahm ausgedehnte Reisen in die Schweiz, nach Frankreich, Holland und England und suchte Kontakt mit allen berühmten Zeitgenossen. Die Zeit jedoch ging über sie hinweg. Schon zu ihren Lebtagen war die »göttliche Sternheim« halb vergessen.
»Ich fühl's, doch nicht a la Roche — es liegt tiefer in meinem Herzen«, spöttelte die Herzogin Anna Amalia. Und Goethe faßte nach einem Besuch der Achtundsechzigjährigen 1799 seine Meinung in die Worte zusammen: »Ich habe sie eben gerade wie vor zwanzig Jahren gefunden. Sie gehört zu den nivellierenden Naturen; sie hebt das Gemeine, zieht das Vorzügliche hinunter, und richtet das Ganze alsdann mit ihrer Sauce zu einem beliebigen Genüsse an; übrigens möchte man sagen, daß ihre Unterhakung interessante Stellen hat.«
Kein schmeichelhaftes Urteil, doch es traf eine zur Resignation bereite Frau. Nicht mehr in geistreicher Konversation und in der Befriedigung ihres literarischen Ehrgeizes erfüllte sich ihr Leben, sondern in der Sorge um die Kinder der früh verstorbenen Maxe. Sophie Brentano, Bettinas ältere Schwester und Schützling Wielands, hat dies am deutlichsten empfunden, als sie von der Großmutter im »Grillenhäuschen« zu Offenbach am Main sagte, sie sei »so gut, so teilnehmend, so interessant im Umgang, daß man die gelehrte Bücherschreiberin nicht erraten würde, wo man so viele vertrauliche, anspruchslose Herzlichkeit findet«.
Sophie La Roche
Aus der Einleitung zu: Melusinens Sommerabende
Mein Vater war ein Gelehrter, welcher viel schöne Reisen gemacht, und (wie meine Mutter) den Großvater in kaiserlichen Diensten verlor, aber einige Zeit in Lyon erzogen wurde. Ich, als das erste Kind, konnte durch die erste Lebhaftigkeit ihrer Liebe, wohl noch, ehe ich in meine Wiege kam, mit kleinen Gaben von dem, was beide noch als gefällig und angenehm im Gedächtnisse hatten, ausgestattet worden seyn. Nachher machte mein Vater mich früh die Bücher lieben, da er mich oft, ehe ich volle zwei Jahre alt war, in seine Bibliothek trug, wo er mich mit den schönen Verzierungen der Einbände und Titelblätter zu belustigen suchte, und es auch damit so weit brachte, daß ich mit drei Jahren vollkommen lesen konnte; wo hingegen meine Mutter mich, da unser schönes Haus nahe an einem Thore lag, bei ihren Spaziergängen mit sich nahm, und auf einer freundlichen mit Bäumen umfaßten Wiese mich hinsetzte, wo ich bei Gras und Wiesenblümchen sehr ruhig und glücklich war.
Mein Vater ein ansehnlicher, hübscher, aber auch sehr heftiger, dabei frommer Mann, benutzte meine frühe Lesekunst nur in der Bibel, welche ich (wie er mir in der Folge sagte) in dem Alter von fünf Jahren zum erstenmale ausgelesen hatte. Meine Mutter erzählte mir von gleicher Zeit, daß ich zur Belohnung des Lobes von meinem Vater auf die Wiese geführt wurde, und dort, nach Bitten und Weinen meine Kleidchen mit Pflanzen und Blümchen eingefaßt bekam, auch viele davon pflückte, um sie den Kindern der Nachbarschaft zu vertheilen. Ich führe diese kleinen Umstände an, weil ich vierzig Jahre nachher von Frau von Stein in Nassau, einer geistvollen, vortrefflichen Familienmutter hörte, daß sie bei ihren Kindern Neigungen und Charakterzüge, welche sie im zweiten oder dritten Jahre bemerkte, im achtzehnten und zwanzigsten in der grössten Stärke wieder gefunden habe. Ich glaubte darin das Bild der ersten Richtung des Ganges meines Kopfes und meiner Gefühle von Glück zu sehen; auch den ersten Grund meiner Liebe zu Büchern, worin ich mit drei Jahren Buchstaben und Worte aufsuchte, nachher in teutschen und anderen Schriftstellern, Gedanken und Kenntnisse, wie Blumen sammelte, die ich dann in meinen Schriften wieder so vertheilte.
Im väterlichen Hause mußte alle Tage, neben der Arbeit an der Seite meiner Mutter, eine Betrachtung in Arndts wahrem Christenthume, am Sonntage eine Predigt von Frank in Halle gelesen und eine gehört werden, welches man (wie ein Freund mir sagte) heute noch in allen meinen Werken an der Länge der Perioden bemerke. Doch wurde ich daneben auch die beste Tänzerin, lernte französisch, zeichnen und Blumen malen, sticken, Ciavier spielen, und Küche und Haushaltung besorgen.
Mein Vater hatte Dienstags eine Gesellschaft von GeJehr-ten, wo manchmal Bücher aus seiner Sammlung geholt werden mußten. Bei dieser Gelegenheit machte er mich mit zwölf Jahren im Scherze zu seinem Bibliothekar, weil mein gutes Gedächtniß mich alle Titel und alle Stellen behalten ließ, welches ich dann auch zum Auswählen der Bücher für mich benutzte. Die Geschichte las mein Vater mit uns, und mich führte er in schönen Sommernächten, drei Treppen hoch, auf einen großen Altan, von welchem man, da unser Haus in Augsburg oben am Berge lag, über die am Fuße liegende Jakobs-Vorstadt, einen großen Theil von Baiern und einen ausgedehnten Himmel sehen konnte, wo ich a\le Sternbilder, welche in Augsburgs Horizonte sichtbar werden, und etwas Sternkunde kennen lernte. So blühte ich mit sechs Freundinnen bis zum sechszehnten Jahre.
Meine Mutter hatte uns drei Mädchen Brokes irdisches Vergnügen in Gott gegeben, wovon ich nichts im Gedächtnisse behielt, als die liebe Vorschrift: mit schönen freundlichen Gedanken einzuschlafen; denn da würde man den anderen Morgen mit einer allen Hausgenossen angenehmen Miene erwachen, und immer geliebt seyn.
Alle Jahre einmal führte uns meine Mutter zum Mittagsessen zu unserer Milchfrau, wo wir ländliche Arbeit und Kost kennen, Landleute schätzen, und für das Loos unseres Lebens dankbar seyn lernten.
Im siebzehnten Jahre schien ich von dem Schicksale zu eigentlichen Wissenschaften bestimmt zu werden, da Herr Bianconi, der als sächsischer Resident in Rom starb, mich zu seiner Frau begehrte, und mir alle italiänische Dichter und Geschichtschreiber, auch alle Kupfer der alten und neuen Künste von Rom und Griechenland kennen lehrte, auch in seiner Gegenwart beim Conzertmeister Lang am Claviere meine (wie man sagt) schöne Contra-Altstimme übte.
Meine Mutter hatte mich die Engel lieben gelehrt, welche mich, wie sie sagte, bei meinem Fleiße in allem Guten und Nützlichen umgeben würden. Bianconi sprach von Genien, die mir günstig seyen; wollte, nach dem damaligen Geiste seiner Vaterstadt Bologna, mich zu großen Kenntnissen leiten und lehrte mich, da er nicht teutsch verstand, Rohault's Mathematik im Französischen. Ich war sehr aufmerksam, um das Lob des Mannes zu erwerben, von welchem das Glück meines Lebens abhängen sollte.
Meine gute gefühlvolle Mutter starb im August 1748. — Mein Vater reiste mit Bianconi auf ein ganzes Jahr nach Italien, um die Familie selbst kennen zu lernen, in welche ich gleich nach ihrer Zurückkunft treten sollte. Wir Kinder wurden zu seinen Aeltern nach Biberach geschickt, wo ich diese freundliche Stadt, ihre gutmüthigen Bewohner und einfache ländliche Schönheit, mehr als das prächtige Augsburg und seine Kunstgärten, lieb gewann. Mein Vater kam zurück, ich mit meinen Geschwistern auch.
Die Heirath mit Bianconi sollte vollzogen werden. Man arbeitete an den Artikeln des Ehevertrags. Meine Religionsfreiheit wurde in Dresden, wo Bianconi Leibarzt des Königs geworden war, versichert. Er wollte aber alle Kinder katholisch, mein Vater hingegen die Mädchen lutherisch haben, und dies um so eifriger, als er nach seiner physischen Kenntniß glaubte, ich würde, da ich in vollblühender Gesundheit erst neunzehn Jahre, Biancon hingegen fünfunddreißig zählte und viel gelebt habe — mehr Kinder von meinem Geschlechte bekommen, als von dem seinen, also die lutherische Kirche mehr Seelen gewinnen. Durch diesen beiderseitigen Religionseifer, in welchem von jeher weder Nachgeben noch Nachsicht Platz fand, wurde die Verbindung aufgehoben, und ich natürlich in vielen Kummer versetzt — sollte aber nicht weinen. Bianconi wollte mich heimlich hei-rathen, mitnehmen und der Welt mehr als dreißig Briefe meines Vaters vorlegen, worin ich ihm versprochen war. Ich versagte es, weil ich meinen Vater nicht betrüben, nicht ohne seinen Seegen aus seinem Hause wollte. — Den Tag nach seiner Abreise wurde ich von Großmutter, Tante und Onkel wegen meiner Thränen gescholten. Ich mußte meinem Vater alle seine Briefe, Verse, schöne Alt-Arien, mit meinen sehr punktuell ausgearbeiteten geometrischen und mathematischen Uebungen, in sein Cabinet bringen, mußte alles zerreißen und in einem kleinen Windofen verbrennen; Bianconi's Porträt von Nilson gemalt, wie er eine Marmorsäule mit der Unterschrift: le changement est contre ma na-ture umfaßte, mußte ich mit der Scheere in tausend Stücke zerschneiden, einen Ring mit den verzogenen Buchstaben N. B. in Brillanten und der Umschrift: ohne Dich nichts (sans vous rien) mit zwei in den Ring entgegen gesteckten Eisen, entzwei brechen und die Brillanten auf den rothen Steinen umher fallen sehen. — Die Ausdrücke meines Vaters dabei will ich nicht wiederholen. — So wollte man das Andenken des Mannes auslöschen, dem mein Geist so viel Schönes zu danken, mein Herz so viel Glück von ihm zu hoffen hatte, der mich nie gezankt, immer geliebt und gelobt hatte. — Noch in dem Zimmer meines Vaters that meine empörte Seele tief in ihrem Innersten das Gelübde: Ich bin von dem Manne losgerissen, von dem ich das Beste, was ich weiß, gelehrt wurde. Ich kann nichts mehr für ihn thun, nicht für ihn leben. — Er wird keine Frucht seiner verehrungsvollen delicaten Bemühung, seiner künftigen Gattin Kenntnisse und Talente zu geben, genießen. — Nun so soll auch Niemand mehr jemals meine Stimme, mein Ciavierspiel, die italiänische Sprache, die Bekanntschaft mit Rohault, oder irgend etwas, so er mich lehrte, hören, oder nur in mir ver-muthen. — Ich habe Wort gehalten, und ihm alles dies, was meiner Eigenliebe hätte so sehr schmeicheln können, geopfert ....
Stilles Lesen und Leben wurde mein Loos. — Wielands vorzügliche Freundschaft für mich machte mir das Beste und Schönste des Geistes der Alten und Neuen bekannt; ich verehrte und liebte ihn dankbar, war auf seine Kenntnisse stolz, weil ich sie mein ganzes Leben zu theilen hoffte, denn ich sollte mit ihm verbunden werden. Mißverständnisse aus den edelsten Beweggründen trennten uns.
Nachher bestimmte mich mein Schicksal für einen der geistvollsten Männer, durch welchen ich nach und nach alle Menschenklassen und die Verdienste aller Stände kennen lernte. Im Cirkel der Gelehrten war ich geboren und erzogen — mein Vater Dekan der medizinischen Fakultät in Augsburg, — mein Onkel, Reichshofrath unter Karl dem Siebenten, Brucker (der mich getauft hatte), sprach mir oft über seine Predigten. — Also war ich mit dem Geiste und den Werken der Gelehrten aller Klassen bekannt. Durch meine Verbindung mit La Roche ward ich in dem gräfl. Stadionischen Hause mit dem Werte der glänzenden Vorzüge des Adels bekannt, die ich täglich in Allem vor mir hatte; und da mein Mann neben Churmainzischen Cabinets-geschäften auch die Oberdirection aller großen Besitzungen der Stadionischen Familie in Schwaben, Böhmen und Wir-temberg hatte, so kamen auch die Tugenden und der Verstand des, wie man sagt, gemeinen Mannes dieser verschiedenen Länder, wie die der Großen, vor mein Auge und ich lernte den inneren und äusseren Werth beinahe aller Dinge der großen und kleinen Welt schätzen .... La Roche hatte bei der Gesandtschaft des Grafen zu Georg dem Zweiten, Könige von England, sich das Englische eigen gemacht, und besaß eine schöne Sammlung englischer Bücher. Ich lernte diese Sprache drei Monate vor meinem ersten Wochenbette, und versäumte auch sonst keine Gelegenheit, wo ich in der prächtigen Bibliothek des Grafen Stadion etwas Nützliches oder Schönes bemerken konnte — sah an seiner Tafel sechzehn Jahre hindurch viele kluge, bedeutende Menschen, hörte diese mit dem Grafen Minister von tausend Gegenständen sprechen, — da mußte ja vieles Neue, mit dem in früheren Zeiten Gesammelten, sich in meiner Seele verbinden ....
Mein erster Versuch, die Geschichte des Fräuleins von Sternheim, ist die Frucht des größten Unmuths, welchen ich damals empfinden konnte. Ich trennte mich ungern von meinen beiden Töchtern, welche durch Zwang der Umstände in Straßburg bei St. Barbara erzogen wurden, und ich sprach öfters darüber in einem Tone voll Trauer mit meinem zu früh verstorbenen Freunde Brechter, Prediger in Schwaigern bei Heilbronn, einem an Verstand und Herzen höchst vortrefflichen Manne, welcher das Urbild aller Pfarrherren war, die so oft in meinen Erzählungen vorkommen, so wie seine Frau das Modell von Emilie in meiner Sternheim ist. Dieser Mann sagte mir einst: Sie jammern mich! Ihre lebhafte Seele windet sich immer um diesen Gegenstand, wie die kleine papierne Sdilange, welche man mit dem Kopfe auf eine Nadelspitze stellt, die auf einem Stäbchen an den Ofen befestigt ist, wo sie von der Spitze an in einer beständigen Bewegung bleibt, ohne von der Stelle zu kommen; so wie die Empfindungen Ihres Herzens Ihre Ideen treiben. Dies ist nicht gut; denn am Ende könnte wohl Ihr Geist und Ihr Character dabei verlieren. Wissen Sie was; bringen Sie alles, was Sie mir von Zeit zu Zeit zu Ihrer Erleichterung mündlich sagen, so wie Ihre Ideen sich folgen genau zu Papier. ... Das Ganze des Vorschlags gefiel mir, und das Gleichniß hatte die Idee hervorgebracht, als ob dem Manne meine immer gleichtönenden Klagen auch etwas Langeweile gemacht hätten, wie das Anschauen dieser Papierschlange tun würde; aber die Betrachtung kam nach: was wird dein guter Mann .... sagen, wenn sie dich so viel schreiben sähen, und einmal ein solches Blättchen fänden? Doch ich wollte nun einmal ein papiernes Mädchen erziehen, weil ich meine eigenen nicht mehr hatte, und da half mir meine Einbildungskraft aus der Verlegenheit und schuf den Plan zu Sophiens Geschichte. — Ihre Aeltern erhielten den Charakter der meinigen; ich benutzte Zufälle, die an einem benachbarten Hofe sich ereigneten, und verwebte sie in Sophiens Leben, welcher ich ganz natürlich meine Neigungen und Denkart schenkte, wie jeder Schriftsteller seine Lieblinge mit den seinigen auszustatten pflegt .... Da ich nun darin die Grundsätze meiner eigenen Erziehung zeigen wollte, suchte ich zu beweisen: »Daß, wenn das Schicksal uns auch alles nähme, was mit dem Gepräge des Glücks, der Vorzüge und des Vergnügens bezeichnet ist: wir in einem mit nützlicher Kenntniß angebauten Geiste, in tugendhaften Grundsätzen des Herzens und in wohlwollender Nächstenliebe die größten Hülfsquellen finden würden.«
- Wieland hatte Sophies erstes literarisches Werk, die »Sternheim«, herausgegeben, er veröffentlichte 1806 auch ihre letzte Arbeit, »Melusinens Sommerabende«. Er regte Sophie an, dem Büchlein eine kurze Selbstbiographie, eher eine Geschichte ihrer Seele, voranzustellen, die alles berühren sollte, »was am meisten dazu beigetragen, Ihrem Geist und Herzen diese ganz eigene individuelle form zu geben, die wir alle an Ihnen lieben und schätzen«.
Sophie La Roche
Aus: Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Fräulein von Sternheim an Emilien.
.... Der Graf F. wollte auf dem Guth, wo seine Gemahlin die Cur gebraucht, und die Besuche des ganzen Adels empfangen hatte, zum Beweis seiner Freude über das Wohlseyn der Gräfin und seines Danks für die ihr bewiesene Achtung, an dem nehmlichen Orte, eine Ergötzung für uns alle anstellen. Wir wurden acht Tage voraus geladen, und gebeten, Paar weise in schönen Bauerkleidungen zu erscheinen, weil er ein Landfest vorstellen wollte. Der junge Graf F. sein Nepote, wurde in der Liste ein Bauer und ich bekam die Kleidung eines Alpen Mädchens; lichtblau und schwarz; die Form davon brachte meine Leibesgestalt in das vortheilhaf-teste Ansehen, ohne im geringsten gesucht oder gezwungen zu scheinen. Das feine ganz nachlässig aufgesetzte Strohhütgen und meine simpel gefloditnen Haare machten meinem Gesicht Ehre. Sie wissen, daß mir viele Liebe für die Einfalt und die ungekünstelten Tugenden des Landvolks eingeflößt worden ist. Diese Neigung erneuerte sich durch den Anblick meiner Kleidung. Mein edel einfältiger Putz rührte mich; er war meinem die Ruhe und die Natur liebenden Herzen noch angemeßner als meiner Figur, wiewohl auch diese damals, in meinen Augen, im schönsten Lichte stund. Als ich völlig angezogen den letzten Blick in den Spiegel warf und vergnügt mit meinem ländlichen Ansehen war, machte ich den Wunsch, daß, wenn ich auch diese Kleidung wieder abgelegt haben würde, doch immer reine Unschuld und unverfälschte Güte meines Herzen den Grund einer heitern wahren Freude in meiner Seele erhalten möchte! Mein Oncle, meine Tante, und der Graf F. hörten nicht auf, mein zärtliches und reizendes Aussehen zu loben, und so kamen wir auf das Guth, wo wir in der halben Allee, die auf schönen Wiesengrund gepflanzt ist, abstiegen und gleich den Ton der Schalmay hörten, verschiedene Paare von artigen Bauren und Bäuerinnen erblickten, und im Fortfahren bald eine Maultrommel, bald eine kleine Landpfeiffe, oder irgend ein andres Instrument dieser Art, das völlige Landfest ankündigen hörten. Simpel gearbeitete hölzerne Bänke waren zwischen den Bäumen gesetzt und zwey artige Bauerhäuser an beiden Seiten der Allee erbaut, wo in Einem auf alle mögliche Art zubereitete Milch und andre Erfrischungen in kleinen porcelainen Schüsselchen bereit waren. Jedes hatte seinen hölzernen Teller und seinen Löffel von Porcelain. Unter der Thüre dieses Hauses war die Gräfin F. als Wirthin gekleidet, und bewillkommte die Gäste mit einer reizenden Gefälligkeit. Alle Bedienten des Hauses waren als Kellerjungen oder Schenkknechte, und auch die Musicanten nach bäuerischer Art angezogen; auf einem Platz waren Becker und Bilderkrämer, wo unsre Bauern uns hinführten und eine Bäuerin eine Prezel oder sonst ein Stück aus feiner Pastille gearbeitetes Brod bekam, welches der Bauer zerbrach und dann entweder ein Stück Spitzen, Bänder oder andre artige Sachen darinn fand. Bey dem Bilderkrämer bekamen wir niedliche Miniatur-Gemählde zu sehen, welche wie aus einer Lotterie gezogen wurden. Ich bekam die vom Apollo verfolgte Daphne, ein feines niedliches Stück; es schien auch, daß mich andere darum beneideten, weil es für das schönste gehalten wurde. Es dünkte mich vielerley Veränderungen und Ausdrücke auf den Gesichtern einiger Damen zu lesen, da sie es ansahen.
Wie der ganze Adel beysammen war, wurden wir junge Fräulein gebeten, die altern Damen und Cavaliere mit Erfrischungen bedienen zu helfen; unsre Geschäfftigkeit war artig zu sehen; für eine fremde Person aber müßten die forschenden halb verborgnen Blicke, die immer eine Dame nach der andern schickte, zu vielen kleinen Betrachtungen Anlaß gegeben haben. Ich war voll herzlicher Freude; es war Grasboden, den ich betrat, Bäume, unter deren Schatten ich eine Schüssel Milch verzehrte, frische Luft, was ich athmete, ein heitrer offner Himmel um mich her, nur zwanzig Schritte von mir ein schöner Bach und wohlangebaute reiche Kornfelder! Mir schiens, als ob die unbegränzte Aussicht in das Reich der Natur meinen Lebensgeistern und Empfindungen eine freyere Bewegung verschaffte, sie von dem einkerkernden Zwang des Aufenthaltes in den Mauren eines Palastes, voller gekünstelter Zierrathen und Vergoldungen, in ihre natürliche Freyheit und in ihr angebohrnes Element setzte. Ich redete auch mehr und freudiger als sonst, und war von den ersten, die Reihentänze zwischen den Bäumen anfiengen. Diese zogen alle Einwohner des Dorfs aus ihren Hütten, um uns zuzusehen. Nach einigem Herumhüpfen gieng ich mit meiner Tante und der Gräfin F. die mich sehr lobten und liebkosten, auf und ab; wo mir denn bald der fröhliche und glänzende Haufen von Landleuten, die wir vorstellten, in die Augen fiel, bald auch der, welchen unsre Zuseher ausmachten, darunter ich viele arme und kummerhafte Gestalten erblickte. Ich wurde durch diesen Contrast und das gutherzige Vergnügen, womit sie uns betrachteten, sehr gerührt und so bald ich am wenigsten bemerkt wurde, schlüpfte ich in den Pfarrgarten; der ganz nahe an die Wiese stößt, wo wir tanzten; gab dem Pfarrer etwas für die Armen des Dorfs und gieng mit einem glücklichen Herzen zurück in die Gesellschaft ....
- Der Brief ist dem ersten Teil des Romans entnommen, der mit der Flucht der tugendhaften Heldin vor den Nachstellungen des Fürsten und der vorgespiegelten Trauung mit dem schurkischen Lord Derby endet.
Sophie La Roche an Christoph Martin Wieland
Warthausen, 25. Oktobr 1769
Daß mein Bild und mein letzter Brief Ihnen gefielen, mein lieber Freund — und daß beide Sie zur guten Stunde antrafen, hat mein Herz sehr glücklich gemacht — Sie antworteten mir mit so viel Liebenswürdigkeit, wie sie nur das Gefühl der wahren Freundschaft eingeben kann. — Glauben Sie mir, Wieland, Ihre Freundschaft ist für mich ein wahrer Schatz und ist mir eine Hilfe in so vielen Dingen — ich kenne den Wert ihres Herzens — mein Verstand weiß darum und mein Gefühl. Gott schütze uns — wir werden uns wiedersehen — bei Ihnen oder bei mir. Ich bin davon zutiefst überzeugt und genieße das verschwiegene, wenig gesuchte Glück, das unserem Herzen das Wissen um einen geliebten Freund schenkt, dessen Seele in vollkommener Übereinstimmung mit der unseren lebt. Mein lieber Freund, vergebens suchte das Schicksal die sittlichen Bande zu lösen, die uns verbinden — die Tugend hatte sie geknüpft, Vernunft und Umstände haben sie befestigt — nie werden wir sie zerreißen.
Ihre Wohltaten für meinen Sohn werde ich Ihnen ewig danken — Sie wissen, daß mein Glück wenig mit dem der anderen Menschen gemein hat. Wäre es anders, so würde ich in meinen einsamen Stunden seufzen und Tränen vergießen.
Die Freundschaft Ihrer lieben Frau erfreut mich sehr — ich erwidere sie mit den herzlichsten Empfindungen. Wie sehr wünschte ich es, sie alle Monate zu sehen und zu umarmen ....
Morgen geht ein Päckchen mit Briefen von La Roche an Sie ab. Sie sind so gütig, sie mir bald zurückzusenden. Sie werden daraus seine Reise und seine Ideen kennenlernen. Die anderen Blätter werden Ihnen die Wanderungen meines Geistes und den Niederschlag meiner Gefühle offenbaren. — Mein Bösewicht verursacht mir viel Kopfschmerzen. Ich bin schon so reizbar und empfindsam geworden, daß es mir sehr schwer fällt, wie ein Mann zu denken. Ich bin so ganz Frau, daß ich Qualen bei der Erfindung des Bosheit leide. Ich kann mir nicht anders helfen: ich werde die Eifersucht zur Triebfeder der Abscheulichkeiten machen, mit denen er meiner Heldin zusetzt ....
Adieu, meine zärtlichen Umarmungen gelten Ihnen, Ihrer Frau, Ihrer Tochter und meinem Friz,
Ihre alte Freundin Sophie
- Mit Wieland, dessen Beziehungen zu Sophie nach ihrer Verheiratung merklich abgekühlt waren, hatten sich im Laufe der Jahre die alten Freundschaftsbande wieder gefestigt. Sophie hatte ihm sogar die Erziehung ihres Sohnes Fritz anvertraut. In der Folgezeit wurde ihr Wieland als literarischer Mentor immer unentbehrlicher. Da sie geläufiger französisch als deutsch schrieb, hörte sie oft seine Mahnung, sich in der deutschen Sprache zu üben. Klagend kam die Antwort: »ich fühle daß Sie recht haben, aber es dünkt mich, alles was ich Ihnen zu sagen habe, und für Sie empfinde liegt in dem gefach meiner francösischen Wörter.« — Mein Bösewicht: Lord Derby aus der »Geschichte des Fräuleins von Sternheim«, den Sophie später zu den gelungensten Gestalten des Romans zählte. Unähnlich ihrem Vorbild Lovelace in Richardsons »Clarissa« zeichnete sie ihn nicht als durch und durch schlecht, sondern suchte seine verbrecherischen Taten durch die Eifersucht zu motivieren.
Friedrich Heinrich Jacobi an den Grafen von C . . . .
Düsseldorf, den 16ten Juni 1771
Den 12ten Mai reiste ich bei heiterm «Wetter mit meinem Bruder von hier ab. Die Vorstellung des Vergnügens, dem wir uns näherten, erhielt unser Herz in einer sanften Bewegung, und machte unsere Sinne zu den feinsten Rührungen geschickt. Wir sahen eine Menge neuer Schönheiten an den Ufern des Rheins, und bemerkten, daß die Scenen des Frühlings uns noch einmal mit so entzückenden Freuden begeistert hatten. Einer den Andern umarmend, priesen wir die holde Natur, welche liebreich auf den Dank zweier der zärtlichsten Seelen zu achten, und, indem sie noch freundlicher uns zulächelte, ihn zu belohnen schien. Als wir des folgenden Tages bei Coblenz in einem der schönsten Thäler voll blühender Obstbäume anlangten, und nunmehr unsere Reise so nahe vollendet war, ergriff ich die Hand meines Bruders, um ihm, durch einen sanften Druck derselben, meinen Dank für die vielen Freuden zu bezeugen, die ich unter seiner Begleitung genossen hatte; er nahm die meinige und blickte voll zärtlicher Rührung mich an; die selige Thräne der ruhigen Empfindung stieg in unser beider Augen, und wir segneten die Gegend mit dem heiligen Kusse der Freundschaft.
Eine Viertelstunde nachher langten wir vor dem La Rocheschen Hause an. Beim Eintritte in den Saal fiel mir zuerst der empfindsame Leuchsenring in die Augen, welcher durch Wieland und auch durch mich von unserm Congreß in Ehrenbreitstein benachrichtiget worden, und, um demselben beizuwohnen, zwei Tage vor uns daselbst angelangt war. Leuchsenring erkannte uns nicht gleich, weil er sehr kurzsichtig ist. Der Herr von La Roche glaubte, wir wären zwei Freunde, welche ein sicherer Herr von Kerpen, der mit uns in den Saal gekommen war, bei ihm einführen wollte: wie schleunig veränderte seine höfliche Miene sich in eine voll freundschaftlicher Empfindung, als wir ihm unsere Namen sagten; er rief seine Gemahlin aus dem daran stoßenden Cabinette, und wir wurden von diesem vortrefflichen Paare wie Brüder bewillkommt. Wieland, sagten sie, sey noch nicht angekommen, sie wären ihn aber jede Minute erwartend. Kurz hierauf hörten wir einen Wagen rollen; wir sahen zum Fenster hinaus — er war es selbst. Der Herr von La Roche lief die Teppe hinunter ihm entgegen, ich ungeduldig ihm nach; und wir empfingen unsern Freund unter der Hausthüre. Wieland war bewegt und etwas betäubt. Während dem, daß wir ihn bewillkommten, kam die Frau von La Roche die Treppe hinunter. Wieland hatte eben mit einer Art von Unruhe sich nach ihr erkundigt, und schien äußerst ungeduldig, sie zu sehen; auf einmal erblickte er sie — ich sah ihn ganz deutlich zurückschauern .... Darauf kehrte er sich zur Seite, warf mit einer zitternden und zugleich heftigen Bewegung seinen Hut hinter sich auf die Erde und schwankte zu Sophien hin. Alles dieses ward von einem so außerordentlichen Ausdrucke in Wielands ganzer Person begleitet, daß ich mich in allen Nerven davon erschüttert fühlte. — Sophie ging ihrem Freunde mit ausgebreiteten Armen entgegen; er aber, anstatt ihre Umarmung anzunehmen, ergriff ihre Hände und bückte sich, um sein Gesicht darein zu verbergen: Sophie neigte mit einer himmlischen Miene sich über ihn, und sagte mit einem Tone, den keine Clairon und keine Dubois nachzuahmen fähig sind: — Wieland — Wieland — O ja, Sie sind es — Sie sind noch immer mein lieber Wieland! — Wieland, von dieser rührenden Stimme geweckt, richtete sich etwas in die Höhe, blickte in die weinenden Augen seiner Freundin, und ließ dann sein Gesicht auf ihren Arm zurücksinken. Keiner von den Umstehenden konnte sich der Thränen enthalten: mir strömten sie die Wangen hinunter, ich schluchzte; ich war außer mir, und ich wüsste bis auf den heutigen Tag noch nicht zu sagen, wie sich diese Scene geendigt, und wie wir zusammen wieder hinauf in den Saal gekommen sind ....
- Der Brief ist in seiner sentimentalen Übersteigerung ein sehr charakteristisches Dokument der Empfindsamkeitsepoche. Dem Kongreß der sdiönen Seelen im La Roche'schen Hause war ein Briefwechsel Sophies mit den Brüdern Jacohi vorangegangen. Den bessen-darmstädtischen Hofrat Leuchsenring, den unermüdlichen Verfasser von Herzensergüssen, das wandelnde Lexikon des literarischen Klatsches hat Goethe im Fastnachtsspiel »Pater Brey« drastisch verspottet. — Clairon und Dubois: zwei zeitgenössische französische Schauspielerinnen.
Sophie La Roche an Bernhard Crespel
[8. Januar 1776]
Braver guter Sohn! Da hastu meine Hand die dir das Lob — und den Dank der Mama versichert — möge ich werther Crespel nur jemahls das vergnügen erlangen Ihnen etwas angenehmes und gutes zu erzeigen — den ich möchte Sie nicht nur für das vergnügen belohnen, das mir Ihre gute Dienste zu genießen geben sondern auch für das — so ich über die kentnis des großen Unterschieds empfinde — der zwischen schönen rednern — und zwischen denen ist so schöne Handlungen über den weg ihrer Freunde außstreuen — Crespel! Du bist nicht auf der Liste der Schönen Geister gezeichnet — aber meine Seele seegnet Sie — für dieß was Sie edelmüthig mitleidend für meine gute gute arme Maxe thun — lassen Sie sich die mütterliche Thränen, mit denen ich dieses schreibe — und mit meinen beyden Händen, eine der Ihrigen fasse, u mit der innigen Bitte bewegen — noch länger edle wohlthätige Gedult — mit Brentanos Fehlern und feine gütige empfindsamkeit mit Ihrer Schwester Max unverdientem Schicksal zu haben — sagen Sie ihr, das ich sie mehr als meine 4 andre Kinder Liebe — daß ich nicht aufwache nicht schlafen gehe — ihr Bild nicht sehe — ohne um sie zu weinen — u gelübde für sie zu machen — que je la conjure d'avoir toujour une conduitte ireprochable devant tout le monde ....
- Zwei Jahre zuvor hatte Sophie ihre achtzehnjährige Maximiliane dem Frankfurter Kaufmann Peter Anton Brentano mit der Bemerkung vermählt: »Alle Negoziantenweiber sind glücklich.« Doch die Ehe wurde keineswegs glücklich. Brentano war ein wesentlich älterer, nüchterner und zur Eifersucht neigender Mann, der die Freundschaß seiner jungen Frau mit Goethe mißbilligte. Maxe litt unter dem Mangel an schöngeistiger Unterhaltung und unter dem ausgedehnten Pßichtenkreis, den ihr die Sorge um ein großes Hauswesen und fünf Stiefkinder auferlegte. Crespel, Jurist und Jugendfreund Goethes, der durch E. T. A. Hoffmanns gleichnamige Novelle berühmt wurde, gehörte zu der Schar von Sophies jugendlichen Verehrern. Er wurde von ihr mit geschäftlichen Aufträgen überhäuft und vermittelte oft zwischen ihrem und dem Brentanoschen Haus.
Sophie La Roche an Christoph Martin Wieland
Speyer, 9. Juni 1784
Verzeihen sie lieber Wieland! Ich werde Ihnen nur mit wenig Worten für Ihre würklich au pied de la lettre auserlesen Gedichte danken. Ich rüste mich zu einer Reise in die Schweiz und werde an diese im August eine nach Paris anknüpfen. Nach Bern gehe ich nicht, auch nicht nach Neuchâtel, denn ich habe nicht Stärke genug, weder die Wiege noch das Grab von Julia Bondeli zu sehen — aber Lausanne — den Genfer See — Zürich — und eine Bauer-Hütte will ich sehen — das gibt dann einen artigen Contrast — Wunder der Natur in der Schweiz — Wunder der Kunst in Frankreich — und davon eine lebhaft gefühlte Reisebeschreibung gemacht, auf die ich mich wie eine Kind freue, welches neue, große u kleine Puppen bekomt und eine Menge Läppchen vorrätig hat, die Puppen darein zu kleiden — ich habe in Paris nichts zu zeigen, aber viel zu sehen — und bin wirklich weiße genug mich mehr über dies zu freuen,
als ich mich einst freute, da man nach mir sah Teurer, alter, schätzbarster meiner Jugendfreunde! Der Himmel lasse mich noch auch sie und die Ihrige sehen, unsere Stunden werden auch schön sein, wenn schon meine schwarze Haare ganz weiß geworden sind — meine Seele ist heiter und mein Herz immer gefühlvoll, adieu —
- Die Schweizer Reise, der sich im darauf folgenden Jahr eine nach Paris anschloß, gestaltete sich für die La Roche zu einer wahren Triumphfahrt — aufs sorglichste in dem angekündigten dickbändigen Reisetagebuch beschrieben. In Zürich standen Frauen und Mädchen sogar Spalier, um der verehrten »Erzieherin vonTeutsch-lands Töchtern« zu huldigen. Auch konnte sie für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, als erste Frau eine Montblanc-Tour gewagt zu haben. — Julia Bondeli: mit ihr, die Goethe als »Frauenzimmer von Sinn und Verdienst« rühmte, die als Freundin Rousseaus galt und Wielands Braut gewesen war, hatte Sophie eine enge Brieffreundschaft verknüpft.
Sophie La Roche an Clemens Brentano
Offenbach d. 11. Jully 1798
ich Sage meinem geliebten Enkel Clemens etwas spat, daß mir sein großer Freundlicher Brief ohne Datum, wahre Freude machte — und daß ich hertzlich wünsche, auf irgend eine art etwas zu des guten irregehenden jungen Mannes glük beyzutragen — aber bekenne Lieber Sohn! das die großmutter sehr vergeblich, Bilder und vorschlage auß-denken würde — ich danke dem Himmel daß dein Vatter, mit dem Fleiß von vielen Jahren — deinen Lebensunterhalt versicherte — denn Liebes Kind! Du bist noch nicht auf dem weeg — ihn selbst zu suchen oder zu finden — im gegentheil mein guter Clemens — ist noch in dem lauf eines Zauberzirkels jugendlicher imagination — worinn er sich so schnell bewegt, daß ihm eigentlich nach der gemeinen redensart hören, und sehen vergeht — hören auf Vorstellungen — und umsieht — rücksicht — u vorsieht — da bete ich für dich — und hoffe das viele gute so in dir liegt einmal die oberhand nehme u behalte. Wirklich wäre anläge zu abentheurlichen und artigen geschienten in dir — wenn eine solche arbeit, nicht anhaltenden Eifer foderte. Romann Stof, der nach deinem Feuer Kopf paßte — liegt nicht unter meinen grauen Haaren, dein, dich immer treibender Geist wird dich schon zu einer quelle führen — ob es Freund Hain thun wird, der neben deinem Siz hängt zweifle sehr — Eherden der öftere anblik der edlen Dichterinn Merreau — ich würde es eine schöne Stunde nennen, diese liebenswerthe Frau zu sehen — und würde mich freuen wenn ich wüßte, daß ihr etwas von mir gefallen hat — hier ist das gedieht vom Gräßchen — u die Copie des Verdienstes der Cither. O lerne sie gantz spielen — übe deine Stimme dazu ich bitte dich, du hattest so schöne anlaage zum zeichnen hättest du es nicht versäumt, es läge ein eignes Talent, zu ausdrucksvollen Bildern in dir — aber du bist noch nicht stät in deinen ideen, so kann man nichts sagen — als Gott erhalte dich als recht-schafnen Mann u lasse dich bald, mit festem schritt den pfad des Verdienstes betretten — ich will dafür sorgen, dich bald an einen braven mann zu empfelen — du wirst aber für einen wilden Brauß Kopf gehalten = adieu von alter treuer
Großmutter La Roche
- Nach unglücklichen Jahren kaufmännischer Lehre hatte sich der neunzehnjährige elternlose Clemens Brentano zum Medizinstudium nach Jena gewandt, wo er wenig studierte, dafür mit den Führern der deutschen Romantik, mit den Brüdern Schlegel, Tieck und Savigny in Berührung kam und reiche dichterische Anregungen empfing. — Dichterinn Merreau: Sophie Mereau, Clemens' spätere Gattin, die er kurz zuvor in Jena kennengelernt hatte.