Die schöne Seele

Susanna Catharina von Klettenberg (1723—1774)

»ich habe ein aurum potabile Empfangen -
einen Unvergeßlichen Tropfen   genoßen —
der bildet alles um — der Gestaltet mich.«
Susanna Catharina von Klettenberg an Johann
Caspar Lavater, 12. September 1774

Das Jahrhundert der Aufklärung, der französischen Enzyklopädisten, Voltaires und David Humes war zugleich ein Jahrhundert großer religiöser Bewegungen. Mit aller Schärfe und auf engem Raum begegneten sich die Gegensätze. Wo das Haupt des deutschen Rationalismus, Christian Wolff, bis zu seiner Vertreibung lehrte, in Halle, hatte der deutsche Pietismus eine seiner wichtigsten Gemeinden; in dem gleichen Leipzig, das der Geburtsort des Aufklärungsphilosophen und Pietistengegners Thomasius war, las August Hermann Francke Kollegien.
Francke, der spätere Gründer der Halleschen Waisenanstalt, hatte an sich selber jenen »Durchbruch« erlebt, die »wahre Bekehrung«, wie sie für den gläubigen Pietisten exemplarisch war. Denn pietistische Frömmigkeit gründete in der persönlichen Gotteserfahrung des einzelnen, die in der Verehrung der Wunden Christi und in der Vorstellung des Heilands als Bräutigam der Seele mystische Züge annehmen konnte. Diese ekstatische Religiosität war oft nicht mehr mit der kirchlichen Bindung zu vereinen; sie führte zur Bildung kleiner sektiererischer Gemeinden mit eigenwillig ausgeprägtem Zeremoniell. »Gottes Freund, der Welt Feind«, lautete eine der Devisen des Grafen Zinzendorf, des Gründers der Herrnhuter Brudergemeinden.
Das Leben Susanna Catharina von Klettenbergs spiegelt ein Stück Geschichte dieses deutschen Pietismus, seiner Innigkeit, seines Ernstes und seiner Wahrhaftigkeit, aber auch die Freizügigkeit des Denkens, in die ein Teil dieser Bewegung einmündete.

»In ihren klaren blauen Augen lag eine unbewußte Hoheit, vor der jedermann unwillkürlich sich beugte.«
Gustav Parthey in »Jugenderinnerungen«

Susanna von Klettenberg wuchs auf als Tochter eines Frankfurter Arztes, der dem begüterten Stadtadel angehörte. Eine Verlobung mit dem Hofrat Ohlen-schlager, dem »Narziß« aus Goethes Bekenntnissen einer Schönen Seele, löste sich auf, sei es, daß Ohlenschlager das Verlöbnis brach, sei es, daß religiöse Gründe für Fräulein von Klettenberg den Ausschlag gaben. Vom Jahre 1747 an datierte sie jedenfalls ihren »Christenlauf«, von dem entscheidenden Augenblick an, in dem sich Christus ihr als der für sie Gekreuzigte offenbarte. Diese Stunde der »sichtbaren Offenbarung« machte sie zu einer »ganzen Magd des Heilandes«, wie es der Herrnhuter Diaspora-Agent Hermann Reinhard Schick ausdrückte. Kein noch so geringes Ereignis ihres Lebens, bei dem sie sich nicht der Führung und Leitung ihres Gottes anvertraut hätte. »Da ich inzwischen mit gegürteten Lenden auff meiner warte stehe und gnau zu mercken suche was mir wird befohlen werden . . . .« Den Herrnhutern blieb das Fräulein von Klettenberg zwar gewogen, trat aber der Bruderschaft nicht bei. Ein Besuch in der Gemeinde Marienborn in der Wetterau vermittelte ihr eher nachteilige Eindrücke, und die Intoleranz und der Bekehrungseifer der Brüder vertrugen sich schlecht mit dem Bekenntnis, das sie in späteren Jahren dem Freund Friedrich Carl von Moser ablegte: »Ich habe mich sehr geändert .... Ich bin ein Christlicher Frey-Geist.«
Von der Gestalt dieser überzeugten Christin, die auf Glück im bürgerlichen Sinne verzichtete, um ein Leben in Gott zu  führen,  gingen  starke Wirkungen  aus.

»Ein nettes Flügelhäubchen stand dem kleinen Kopfe und dem feinen Gesichte gar wohl, und die braune oder graue Kleidung gab ihrer Gegenwart Ruhe und Würde.«
Johann Wolf gang Goethe in »Dichtung und Wahrheit«

An den pietistischen Höfen der Grafen zu Stolberg-Wernigerode und von Ysenburg-Büdingen wurden ihre Briefe in Erbauungsstunden verlesen, und zusammen mit ihrer Schwester Maria Magdalena und dem Kanzler von Moser verfaßte sie eine Sammlung von Aufsätzen Der Christ in der Freundschaft. Aber überzeugender noch als jene Klettenberg, die den Herrnhutern nahestand, muß der »christliche Frey-Geist« gewirkt haben. Lavater, der sie in Frankfurt aufsuchte, beugt das Knie vor ihr: »So frei, so edel, so erhaben, so tief konnte ich kaum einen Menschen glauben.« Mochte der junge Züricher Theologe ihr an Schärfe des Gedankens überlegen sein, so war sie es in der Stärke des Gefühls. »Darin habe ich gefehlt daß ich glaubte: — wer das sähe was ich sähe — müste auch fühlen was ich fühle — Du siehest mehr und fühlest weniger«, deutet sie selber Lavater gegenüber den Unterschied an.
So, in der Sicherheit des Empfindens und der gelassenen Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen, konnte das zarte kränkliche Fräulein zur Freundin des jungen Goethe werden. »Sie blieb immer freundlich und sanft und schien meiner und meines Heils wegen nicht in der mindesten Sorge zu sein«, heißt es in Dichtung und Wahrheit, und: »Wenn jene einen heiteren ja seligen Blick über die irdischen Dinge warf, so entwirrte sich vor ihr gar leicht, was uns andre Erdenkinder verwirrte, und sie wußte den rechten Weg gewöhnlich anzudeuten, eben weil sie im Labyrinth von oben herabsah und nicht selbst darin befangen war.«
Zwanzig Jahre nach dem Tode des Stiftsfräuleins erschienen im sechsten Buch von «Wilhelm Meisters Lehrjahren die Bekenntnisse einer Schönen Seele, in denen Goethe die Lebensdaten der Freundin frei verwandte. Der Heilsweg der Susanna Catharina von Klettenberg endet hier in einer Verfassung des Fühlens und Glaubens, in der die Befolgung der Gesetze zum Trieb geworden ist, die Gebote der Religion zur Natur; die deutsche Klassik hatte für diesen Zustand den Begriff der »schönen Seele« geprägt. Ihre Freunde erkannten die poetische Verklärung der längst Verstorbenen mit Rührung. Die Frau Rath Goethe schrieb nicht nur im eigenen Namen an den Sohn nach Weimar: »Habe Danck daß du der unvergeßlichen K. noch nach so vielen Jahren ein so schönes Denckmahl gestifftet hast Sie kan dadurch nach Ihrem Tod noch gutes stifften.«

Susanna Catharina von Klettenbe

Lieder
Laßt mir mein Marienteil,
Lasset mich zu Jesu Füßen
Unverrückte Ruh genießen;
Davor sind mir Kronen feil.

Ich bin mit Ihm ans Kreuz gehenkt,
Ich bin in Seinen Tod versenkt,
Ich steh in Seinem Blute;
Denn alles, was Er hat getan,
Das nehm ich mich ganz feste an;
Es kommt mir alle zugute.
Sein Tod
Und Not,
Seine Blöße,
Schlag und Stöße,
Seine Wunden
Sind, als wann ichs selbst empfunden.

Seele! willst du Jesum finden:
Such ihn in Gethsemane!
Laß Jerusalem dahinten!
Steig auf jenes Hügels Höh,
Wo er unter tausend Plagen
Wird ans rauhe Kreuz geschlagen.

Susanna Catharina von Klettenberg an Friedrich Wenzel Neißer

An meinen Lieben bruder Friederich Wenceßlaus Neißer
Theurster Bruder
Mit vielem Vergnügen Empfinge ich den 13 December, das Liebreiche Schreiben welches Sie unter dem 9ten an mich Abgehen laßen. Ich dancke Ihnen mein Werther Bruder vor ihr, unter der Last so vieler besorgungen, doch immer fort währendes Andencken an mich, von welchem mir auch die schöne Grönländische Englisch übersezte Mißions Geschichte so mir Nahmens Ihrer Überreicht worden, zu anfang dieses Jahrs ein erfreulicher beweiß war. Ja Theurster Bruder ich Lebe wieder gegen mein und gegen aller Menschen Vermu-then, gegen alle warscheinlichkeit, und vieleicht gegen den ordentlichen Lauff der mich befallenen Kranckheit und die ordinaire krafft der Natur, Aber der Herr der Natur hat seine Schöpffers Macht an mir kräfftig erwiesen, Ihm ist alles Möglich, bey meiner unerwarteten und schnellen beßerung (dann eine Kranckheit von 6 Monat welche noch dazu ein Altes Übel zu Grund hatte, vergieng in 3 tage) bey dießer großen Veränderung war mir besonders eindrücklich Meinen Heyland anzuflehen daß Er diese erfahrne Probe seiner Allmacht mir zu einem solchen Glaubens Grund wolte ge-deyhen laßen daß mir keine Schwierigkeiten unüberwindlich schienen, und auß einem solchen Glaubens Heroi'sme kam die Declaration daß ich auch nach Grönland gehen wolte, wenn Er mich hin haben wolte und so ist es mir noch, was sind die Eiß-Meere was ist der beschneyete Pol bey Jesu, Er der nicht nur ein Gott der Berge sondern Auch ein Gott der Gründe ist, Er würde mich auch da zu schüzen wißen wenn Er wie schon gemeldet mich hin haben will. Aber dieses unterstrichene wort erst recht zu erkennen und zu wißen was Er will, das ist die Question.
Nun gehet es in das zwölffte Jahr da Er sich mir alß den für mich gecreuzigten offenbahrte, die sache ist mir nicht nur so Neu wie im Anfang sondern von vielen Seiten her noch wichtiger und entwickelter, Von dem ersten Augenblick dieser Seeligen Erfahrung liebte ich die Gemeine der Brüder, und der Gedancke wandelt seit diesem Moment mich immer an, ob ich nicht unter diese Verfaßung gehörte, biß auff die Minute aber da ich dieses schreibe, habe ich von meinem besten Freund, von meinem so Treuen führer der sich unbeschreiblich zu mir herunter läßet und in so vielen Großen und Kleinen fällen mir klar gesagt was Er von mir wolte, in dieser wichtigen sache keine entscheidente Antwort .... Mein Heyland hat mich so gewöhnt oder verwöhnt daß mir alles was mir gut und Nüzlich ist durch verschloßene Thüren in das Hauß und vor die Füße komt, und ich scheine bei meiner hiesiegen Situation, wohl recht unter die Graß Pflänzlein der lezten zeit zu gehören die nicht von und durch Menschen gepflegt werden, Er fahre fort die Barmherzigkeit mir zu erweisen die ich biß her genoßen, darunter rechene ich auch die zärtliche Liebe so vieler dem Angesicht nach unbekanten Glieder Jesu, welch ein Seegen! leute in der weit zu wißen denen mein Wohl wie das Ihre anliegt und die so Herzlich vor mich betten, ich Demüthige mich vor Ihm und Küße die Hand die so viel barm-Herzigkeit an mich gewandt .... der Herr fahre imer fort daß aller weit Enden sehen das Heyl unßers Gottes das in dem Knäb-lein zu Bethlehem unß erschienen, der ist der Grund unßerer Lieb, und in dem selben bin ich unter nochmahliger Herzlicher begrüßung an alle mir genante und ungenante Brüder und Schwestern, mit zärtlicher Liebe
zum genuß der Blutigen Gnade
verbundene Schwester
Susanne de Klettenberg
Frfurt den   
15ten December 1768   

  • Neißer, Sohn eines Mährener Messerschmiedes, von Zinzendorf früh in seine Dienste genommen, hatte in einem vorhergehenden Brief die Hoffnung ausgesprochen, Susanna von Klettenberg werde bald zur Herrnhuter Brudergemeinde übertreten. — Kranckheit: Das Fräulein von Klettenberg, die an »Auszehrung« gelitten hatte, war überraschend genesen.

Susanna Catharina von Klettenberg an Friedrich Carl von Moser

1774.
am 21 Jan: geht ab wenn er dazu erlaubtnüs bekomt
An einem stillen Empfindungsvollen Abend, wo der Mond — Jupiter und die Prächtige venus, in Nahmenloser Majestet am Firmament funklen und mir Jehova! mit starcker stimme, in mein schmelzendes Herz raffen, überleße ich ein mahl wieder Ihre beyde lezte Brieffe, mein Theurster Freund — in dem vom 9ten januar werden mir zwey Sachen so wichtig daß mich dünkt: ich könte nichts Beßers thun als meine Gedancken und Empfindungen gleich zu Papier bringen; weitläuffig wird es werden, weitläuffig muß es werden, die Sache ist werth auß einander gesezt zu werden — Sie werden schon zeit finden es zu leßen. Sie machen mir Hoffnung daß ich Näher und zwar Mündlich erfahren solte: wie Göttlich apropos der Heyland die bis her in Seiner Hand verwarth gewesenen Faden unserer Freundschafft uns wieder anvertrauet hätte, und Glauben so gar daß ich darüber erstaunen würde, eine Sache mein Werther Freund die ich mit Verlangen erwarte — eins weillen zu meiner Freude Glaube. Das ganze gegenwärtige gefühl dieser Umständen — und vieleicht noch ein höherer winck, Heißt mich Ihnen melden was desfals bey mir vorgegangen.
Zu Ende verfloßnen May, oder anfangs Juni bin ich in Meiner Tante Garten, in einer kalten, zahlreichen Gesellschafft, unter vielen Dingen erwähnt ein anwesender ganz naturelement — des Herrn President von M[oser]. Den Nahmen hatte ich in denen 8 Jahren offl gehört — Nun aber schlägt er mir wie ein wetter Strahl aufs Herz — ich konte nicht gleich klar kriegen was die Empfindung sagen wolte und fände nicht vor Ratsam pensive zu werden, ich verwiese also alles zur ruhe bis ich in meine stille käme — so bald ich zu Hauß bin nehme ich mir Weill und Muße so still und ruhig als möglich das noch immer anhaltende gefühl meines Herzens aus einander zu sezen und es zu fragen: warum es Unruhig klopffte — es brauchte nicht Viel Untersuchung — gar deutlich und mit Zeichen einer tieften Wehmut — sagte ich mir: ist es Möglich? daß eine Verbindung wie unßere war, ein Obergang — eine Nichts bedeutende afectenwallung solte gewesen seyn, die am Ende zerflatterte, und die wir beyden Vergeßen können und sollen nein o nein! mußte ich mir antworten, in den Rang gehört sie nicht — und hier wurden mir die Viele Gebett und Thränen Neu — und gegenwärtig, welche mein ehemahliger Freund seine Leibes und Seelenangelegenheiten und die ganze sache in mir ge-würckt hatten. Neu, und als erst geschehen, wurde es mir daß dieser — ach! — gewesene Freund! das Mittel gewesen wodurch ich den gecreuzigten Christum kennen lernen, und eine Gnade Empfangen von welcher der p^riod in der Allgemeinen Haushaltung Gottes zu Ende scheint zu gehen. Das sind sagte ich mir ewig bleibende Realiteten — aber warum darff ich keine Früchte davon sehen — sollen sie alle der Ewigkeit aufgespart bleiben u. s. w. wie mir bey dem allem war schildere ich hier nicht. Die leztere Questionen konte ich nicht klar kriegen ich verwiese mich zum stillschweigen, aber! das warum kam immer wieder — Fehler bekante ich gerne, Züchtigung nahm ich mit Danck an — Aber! warum zerißen? Das schwebte mir immer im Kopff. Bey nahe zwey Monat hernach, hätte Dr Goethe gerne seinem Freund M[erck] das bewuste päckgen durch die lufft gesendet (es waren angelegenheiten eines jungen Authors) seine inquietudes lächern midi. Lächlend, ohne Gedancke, sage ich: soll ich Herrn President von M[oser] bitten, daß er es mit Nimt — O wenn Sie die Gnad wollen haben. Nun war ich ertapt. Zurück ziehen wolte ich nicht — zum thun hatte ich keine Courage ich brach vor der Hand ab — in der stille sagte ich alles dem Heyland und machte es mit Ihm aus, wenn das wort von mir eine Übereilung gewesen, so solle Er es diesen Jüngling vergeßen laßen, ich wolte sorgfältig alles vermeyden was ihn daran erinnern könte. das thue ich und der Junge Mensch ist an seinem Theil auch so stille daß ich es vor vergeßen hielte — ich wuste daß Sie bald abreisen würde ich dachte Goethe — du komst hinten — nach, schnell komt er an einem Abend wie ein Feind gelauffen — Herr von M[oser] geht in wenig tagen ab, hier ist das päckgen, haben Sie die Gnade es zu besorgen und so laufll er wieder weg. Nun war ich aber auch unverzagt ich thate was Sie wißen und was ich vorher lange mit meinem Herrn ausgemacht hatte. Aber Freund! ja das gestehe ich Ihnen — Eine antwort vermuthete ich nicht, und von dieser Seite war mir die sache ein wenig demüthigend und daher kam auch der gezwungene Style — Aber es Muste geschrieben seyn — ich konte nicht zurück. Dieses Bester Freund ist die Geschichte von dem seltensten Weg der Vorsehung der in Meinem Lebensgang vorkomt — dem deß Auge mich sähe da ich noch unbereitet war, bleibt er anheimgestelt und zur steten unmittelbaren führung übergeben. Alle meine Bedencklichkeiten hat ER überwunden — ich gehe Seinen weg, Er legetimire ihn ....
mit zuversicht meine ich Ihnen sagen zu können: ich habe mich sehr geändert, wie, und in was, das wird ein kurzer Umgang bald lehren — schreiben läßt es sich schwer — ich bin ein Christlicher Frey-Geist, alles Formenweßen, alles gemodelte, ist verschwunden — meine BrüderschafH sind alle Menschen, und das gnaue Band der Freundschafft in dem (den außgenomen an den ich schreibe) wenige oder vieleicht im eigentlichen Sinn gar keine stehen, sehe ich als eine wohlthat an die mit dem weßen der religion keine Conection hat und meine beste Freunde sind so gar Un Christen, in einem Pabistischen Lande, hier, oder in Constantinopel, zu leben; wäre mir, in so fern man mir meine Freiheit ließe sehr gleich — Gott im Fleisch geoffenbart würde mir überall gleich nahe seyn — und weiter brauche ich nichts, ist das noch altgen? Freund! ich Meyne nicht — aber Ihre ganz treue Freundin ist es — und Nun nichts mehr von Furcht, Vorsicht, Ernst klugheit u. s. w. . . .
Gestern in einer Zahlreichen Gesellschafft Bei. Esprits, habe ich mit K[riegs] R[ath] M[erck] viel von unßerm Alten Nordischen Magus gesprochen. M[erck] lobt ihn und kan ihn nicht faßen, nach der Beschreibung die er von ihm macht muß Ham[ann] ein Christ oder ein Narr seyn— ein artiges alternative, das aber mit M[erck] seinen begriffen doch zu com-biniren ist — ich halte ihn, nach einigen Traits so jener gar nicht faßen konte, vor einen Christen, Mein Theurer Freund wie haben Sie ihn gefunden? das Schreiben Sie mir doch ein mahl wenn es Ihnen gefällig — so eben habe ich ordre gegeben in allen buchläden seinen beitrag zu denen Socratischen Denckwürdigkeiten, aufzusuchen er ist und bleibt einer von meinen favorit authors; man sagt ich werde obgenante Matter hier nicht finden — vieleicht könten Sie mir solche alsdann comuniciren, ich will es melden was ich außgerichtet — ein wenig von den alten Liebhabereyen werden sich doch unter der Geschafften Last noch immer bey Ihnen erhalten, da ist wohl kein Zweiffei daran — haben Sie Herder kennen lernen wie er in Darmstadt war? Der Gröste Satan im Priester Rock, den man sich dencken kan — den seine sogenante Freunde selbst vor so was halten — dann sie geben ihm den Ehren Titel eines erz-lügners — Madame la Roche, des in Trierischen Dienste stehenden Geheime Raths von R[oche] seine Frau, war Gestern auch von der Gesellschaffl, ihre Tochter, ein schönes sanfftes Kind hat einen Brentano von hier einen Witwer mit 5 Kinder geheirathet — der Mutter fehlt das Christentum — wann dieses da war, so würde sie eine große Frau seyn, so, komen mir ihre begriffe, Empfindungen — und außdrücke ein wenig durch einander geworffen vor.
Freund das heist ge Plaudert! Tausendmahl Vergebung, ich habe es Herzlich gerne gethan, aber ob Sie es gerne Le-ßen — vieleicht doch — man ließt doch auch nicht immer gerne Acten. Die Lieder komen mit vielem Danck zu-rück! sie haben mich zu vielem Danck vor Gott gebeugt — ja Danck sey es Ihm daß das antheil der Schmach so ich mit Vor und-Zu-Nahmen Trug auch dadurch und durch wiederfindung meines Freundes so reichlich ersezt wird, ich habe sie abgeschrieben — eine kleine Supèrcherie so dabey vorgeht
— Freund! kan sie statt haben? Nun — adieu — adieu mehr als bloß a dieu — mein Bester!

  • Dem Adressaten, Kanzler von Hessen-Darmstadt, verdankte das Fräulein von Klettenberg die Bekanntschaft mit Schriften des Pietisten Steinhofer, die Anlaß zu ihrem großen religiösen Erlebnis, der Offenbarung des gekreuzigten Christus, wurden. Moser verfaßte zusammen mit den Schwestern Klettenberg das Büchlein »Der Christ in der Freundschaft« und äußerte sich über die beiden Damen: »Es ist eine besondere Gnadengabe von Gott, die Bekannt- und Freundschaft dieser auserwählten Personen gemacht zu haben.« Das Freundschaftsverhältnis war jedoch zu Anfang der siebziger Jahre aus uns unbekannten Gründen getrübt. — Merck: Goethes Freund, Kriegsrat in Darmstadt. — Hamann: der »Ma-gus aus dem Norden«, von den Genies der Sturm- und Drang-Zeit hochverehrter Metaphysiker. — Herder: hatte 1773 Caroline Flachsland in Darmstadt geheiratet. Moser teilte Fräulein von Klettenbergs Antipathie gegen Herder. — [Frau von La Roches] Tochter: Maximiliane hatte am 9. Januar Peter Anton Brentano geheiratet.

Susanna Catharina von Klettenberg an Johann Caspar Lavater

[Frankfurt, Mitte Juni 1774]
Wenn Lavater sonst keine Sorge hat, als unß ruhig, frey und allein zu sprechen, so sind sie alle gehoben. Cordata ist vor ihre Person so frey, als die ganze Eidgenossenschafft zu-samen, auch die Schwester existirt nur en effige, wenn meine Freunde ganz ohne zwang seyn wollen so suchen sie meiner Hütte Schatten.
Aber vor grosse Leute ist der Eingang zu Niedrig — ein Alexander würde Risquiren zu hören was er bey Diogenes Hörte, die aber so außsehen wie Sie Lieber bruder sich beschreiben, sind von meinem Volck, und treffen ihres Gleichen an.
Man sagt hier als eine Neuigkeit. Herr Diaconus Lavater, würde eine Brunen Cur Trincken und hier durch Reißen, ist das erstere wahr? auf was vor einen Brunen reflectiren Sie dann? ich frage nicht ohne Ursach, und erbitte mir bestirnte antwort.
Aber das befürchtete Heim-weh? es komt nicht; wir senden denen Theursten anverwanten und Freunde, Ihren Lieben Lavater Munter zurück.
Ich habe die Fest Predigen in Händen. Lieber Freund! nur noch einen warmen regen, so steht alles in voller Blüthe — freylich — mag es unter gewisen Umständen entsezlich schwer seyn Fest Predigen zu halten.
eine mir wohl bekante, aus dem Kloster entflohene Nonne, klagte einst, als über einen Karten zwang ihrer ehe mahligen lebensart, daß sie wöchentlich eine stunde in betraditung derer Leyden Jesu zubringen müßen. was hat Sie dann gedacht? antwort (mit Tieffer Verbeugung) gar nichts. So unß nicht Lieber bruder! ER und was wir von Ihm wißen soll der Text und die Melodie vom Lied bleiben, das wir so lange Lallen wollen bis wir es dort mit Harffen Gottes acompagniren.
fare welle.   
Cordata

  • Das erste größere Werk Lavaters, die »Aussichten in die Ewigkeit«, hatten Susanna von Klettenberg veranlaßt, dem Autor in einem anonymen Schreiben ihre »nicht zu schildernde Wonne« zu bezeugen, die sie über Teile des Buches empfunden hatte. Auch in späteren Briefen wahrte sie ihr Inkognito und unterschrieb sich mit »Cordata«. — Brunencur: Lavater, der am 23. Juni in Frankfurt eintraf, reiste in Goethes Begleitung nach Bad Ems weiter.

Susanna Catharina von Klettenberg an Jobann Caspar Lavater

Ffurt am 27 aug — 74
Seyd mir Tausend mahl willkome! — seyd willkome Ihr Liebe Zeillen auß Zürch! 3 von da sind mehr werth als 3 bogen sonsten wo her —. Ich weiß gar wohl warum ich dich so sehnlichst dahin wünschte mein Lieber bruder — Deine Reise war eine Arbeit im Weinberg deines Herrn, Er wird dich reiche fruchte sehen laßen — allein es war Arbeit — bey last in schwüler Hize. der erste Seegen wird sein, daß dir das außgestandene nicht schadet, und dein Husten sich bald wieder verliehrt — wir wollen ihm aber den Abzug gerne erleichtern — schone dich so viel dir möglich — Ruhe — das heist arbeite nicht bis zum ermüden — gehe bey der Hize nicht Spazieren — Nim dich im Eßen und Trincken wahr — nichts reizendes wie es Nähme habe — keinen lieben Schweizer Käß — nichts Saures und nichts Säurlicht-Süßes — weder auß der Küche noch auß der apotek — glaube denen nicht welche das Saure alß eine Trefliche kühlung rühmen — es kühlt ohne schaden — leute die ein Fettes schweres Blut haben — Aber jemand in deßen Adern ein Sal volatile rolt
— dem ist es Gift — und schaden ....
Deine Zeillen an G(oethe) Gabe ihm ins geheim zu leßen — seinen Vater verdrießt es wann du nicht an ihn (den Alten) schreibst und dich Förmlich ob nur mit 3 wort bedanckst — versäume es nicht — der Jüngling bekomt sonst Verdrus.
Lebe wohl — und Hange an dem Unsichtbaren — Nahen Nahen Freund — den du so lebhaft fühlest — wenn er dir in die Seele — Haucht —: Lavater wie kalt bistu — Krieche in Seine strahlen — in das Zeugnüs von Ihm und Wärme dich
Ich bin so lebhaft bey dir daß ich bald nicht weiß ob du in einer andern Stube — oder in einem andern Lande bist. Ich um Arme dein Liebes Weibchen — ich — die Deine —
Cordata

  • Lavater, der auf seinen Reisen »seine Wirkungen ins Weite und Breite auszudehnen« liebte (Goethe in »Dichtung und Wahrheit«), war von der Emser Reise nach Zürich zurückgekehrt. — Seinen Vater verdrießt es: Lavater holte das Versäumnis, den Dank für die Gastfreundschafi im Goethehaus, sofort nach. Goethes Vater antwortete: »Uns werden Sie, bewährter Freund immerhin liebenswürdig schäzbar und unvergeßl bleiben.«

Johann Wolfgang Goethe

Mit einer Zeichnung
Sieh in diesem Zauberspiegel
Einen Traum, wie lieb und gut
Unter ihres Gottes Flügel,
Unsre Freundin leidend ruht.

Fühle, wie sie sich herüber
Aus des Lebens Woge stritt;
Sieh dein Bild ihr gegenüber
Und den Gott, der für euch litt.

Fühle was ich in dem Schweben
Dieser Dämmrung all gefühlt,
Als mit ungeduldgem Streben
Ich die Zeichnung hingewühlt.

  • Der Empfänger dieser Verse ist nicht bekannt. Die zugehörige Zeichnung, die verschollen ist, muß Susanna von Klettenberg zusammen mit seinem Porträt und einem Kruzifixus dargestellt haben.

Johann Caspar Lavater an Susanna Catharina von Klettenberg

Samstag Morgen [17. Dezember 1774]
Noch einmal, ach Gott! ists das letzte Mahl — ein wort mit dem Funken hoffnung, ob dein aug es noch sehen werde. — o du Einzigste! wenn mich der Gedanke nicht hielt, daß du mir im neuen Leben vielleicht noch so viel seyn kannst als
du mir hier wärest — ich würde versinken - und dann — der Gedanke des Wiedersehens, des ersten Sehens — den du so oft mit all deiner festen Zuversicht in mein herz legtest — der erhebt mich soll mich erheben, zu Leben, daß ich
sterbe und wieder Lebe wie Du! aber ach! der trüben stunden wird's noch viel geben — und viele der traurigen wollust auf deine Briefe zu waynen, sie an mein herz zu drüken und wieder neügeseegnet werde ich mich so deiner Freuen bis ich bin wo du Bist   

  • Lavater, der die Nachricht von der tödlichen Erkrankung des Fräuleins von Klettenherg erhalten hatte, schrieb diese Zeilen als Nachschrift zu seinem Brief vom 16. Dezember 1774. Der Brief erreichte seine Adressatin nicht mehr; der 16. Dezember war der Begräbnistag Susanna von Klettenbergs.

Catharina Elisabeth Goethe an
Johann Caspar Lavater und seine Freunde

Frankfurt, d. 26. Xbr. 74.
Meine theuern Freunde!
      

Ihr wollt den ganzen Umfang von der Krankheit u. dem Tode unserer Fraülein Kltbrg wissen? Ein schmerzlicher Auftrag! Dies kann ich euch versichern. Mein Gemüth ist so ganz in Traurigkeit verlohren, daß ich mir nicht zu rathen noch zu helfen weiß. Ich weiß, ich werde sie wieder sehen; aber izt, izt fehlt sie mir! Meine Rathgeberin, in deren Schooß ich alles ausschütten konnte, ist in die Herrlichkeit eingegangen, wovon sie so oft mit Entzüken sprach. Ihr seyd noch hier, ich bin noch hier — aber es wird ein Tag kommen, dann wird sie auferstelin! Dann werden wir auferstehen, u. uns freuen mit unaussprechlich herrlicher Freude! Amen.
Am 7 Xbr. waren wir sehr vergnügt beisammen, ich habe sie lange nicht so munter gesehen, nicht der kleinste Gedanke von Krankheit fiel mir ein. Um 8 Uhr gingen wir von einander. In der Nacht bekam sie einen heftigen Frost, hernach Hize. Am 8ten erfuhr ich nichts davon, am 9 früh ließ sie mir sagen, sie wäre krank; wie ich zu ihr komme, fand ich sie ganz leidentlich, sie selbst glaubte, es werde nichts zu sagen haben; den 10. wurde sie schlimmer, aber in der Nacht wurde es dem Anschein nach wieder besser, ich verließ sie nicht. Als am 11. der Medicus in die Stube kam, lief ich voller Freude ihm entgegen — »sie ist besser!« sagte ich. »Das gebe Gott, sagte Er, aber wir sind noch nicht über den Berg.« Am 12ten, sobald ich früh Morgens zu ihr kam, sagte Sie: »Gute Nacht, Räthin, ich sterbe!« Vor Weinen konnte ich kein Wort reden. Sie winkte, ich sollte näher kommen, drückte mir die Hand u. sagte: »wandle vor ihm u. sey fromm!« — sähe mich mit unaussprechlich heiterm Gesichte an, u. war sehr ruhig u. vergnügt.
Nachmittag kamen einige christliche Freunde zu ihr. Wir fragten: »ob sie leiden könnte, wenn wir einige diristliche Verse sängen?« »O ja« sagte sie. Wir sangen: Komm! ist die Stimme deiner Braut u. Sie verlangte das Lied: Die Seele Christi heilige mich. Ein Freund fragte sie: »Wie ihr beym Anblick des Todes zu Muthe sey?« »Ich bin so voll Seligkeit, daß die arme Hülle es nicht aushält, sie muß davon zerbrechen, sagte sie.« Ich sagte aus einem Lied: Hier ist nichts als die Todsgestalt u. den Stachel hat er verlohren! Hallelujah.
Des Abends, da die andern Freunde weg waren, u. ich allein bei ihr saß, sagte sie: »Der Doctor!« Ich bildete mir ein, sie meine den Medicus, u. sagte: »Er ist weggegangen.« »Nein, sagte sie u. deutete auf mich. »Meinen Doctor meinen Sie?« Sie nikte mit dem Kopfe. »Ach, sagte ich, der glaubt so wenig, daß sie sterben, daß er mir aufgetragen hat, Ihnen zu sagen, wie er morgen mit dem Prinzen von Weimar nach Mainz reisen werde — dreymal hab ich schon angefangen, ihn auf Ihren Tod vorzubereiten, es ist aber alles vergebens. Sie stirbt nicht! sagt er immer, das kann nicht seyn, Sie stirbt nicht.« Sie lachte. »Sag ihm Adieu, ich hab ihn sehr lieb gehabt.« »Ach meine Beste, sagte ich, Sie gehen izt in die Ewigkeit, auf die Sie sich schon so oft im Geiste gefreut haben — ich gönne Ihnen Ihre Ruhe u. Seligkeit von Herzen — aber ich bleibe noch zurück. Wenn die Seligvollendeten noch an Ihre zurückgebliebenen Freunde denken — o so denke an Deine treue Räthinn.« Sie gab mir ein Zeichen mit dem Kopf, daß sie es thun wolle. Ich blieb die Nacht bei ihr. Thee, den sie in ihren gesunden Tagen am liebsten trank, war auch in diesen lezten noch ihre beste Erfrischung; überhaupt war diese Nacht sehr erträglich. Sie natte keinen großen Schmerzen, u. wenn man die Freundlichkeit in ihrem Gesichte sah, konnte man nicht glauben, daß sie so krank, u. ihrem Ende so nahe sey. Mein lieber Sohn, Lavater! hat ihren freundlichen Blick gesehen, u. kann sich einen Begrif davon machen. Morgens, als am 13 kamen die Freundinnen wieder, wir sezten uns ums Bette herum, um bis auf die Lezte bei unserer lieben Freundinn auszuhalten. Sie sähe uns an, u. lächelte. »Habt euch unter einander lieb« — war ihr lezter liebevoller Befehl. Wie sie das Singen überaus liebte, sangen wir etliche Verse aus dem Lied: Christi Blut u. Gerechtigkeit etc.
Um sie nicht zu ermüden, redeten wir nicht viel, dann u. wann einen schiklichen Spruch, oder aus schönen Liedern einen schönen Vers. Um 8 Uhr kam der Medicus, D. Metz, ein rechtschaffener Mann, u. einer ihrer besten Freunde, der sein Vermögen darum gegeben hätte, sie beym Leben zu erhalten; ich sagte zu ihm: »Lieber Hr D. ist es dann gewiß, daß unsere Freundinn stirbt? Haben Sie gar nichts mehr, Ihr zu helfen?« »Frau Räthinn, sagte er mit seiner gewohnten Ernsthaftigkeit: da Elias sollte gen Himmel fahren, kamen die Prophetenkinder zu Elisa u. sprachen: Weissest du auch, daß der Herr wird deinen Herrn heute von deinen Häuptern nehmen. Er aber sprach: Ich weiß es wohl, schweiget nur stille.« — Hierauf ging er ans Bett, u. nahm einen solchen christlichen Abschied, der uns allen durch die Seele ging; doch versprach er Nachmittag wieder zu kommen, nicht als Arzt, weil seine Kunst am Ende war, sondern als Freund.

»Von Person bin ich ziemlich groß und ziemlich korpulent, — habe braune Augen und Haar, — und getraute mir die Mutter von Prinz Hamlet nicht übel vorzustellen.« Catharina Elisabeth Goethe an Fritz von Stein, 9. September 1784

Um 11 Uhr kam der Chirurgus, u. wollte nach der Ader sehen, die Fräulein hielte das für unnöthig, bath ihn aber, ihr zu sagen, ob ihre Augen nicht gebrochen wären? Der gute Mann, dem das in seinem Leben villeicht nicht vorgekommen, wußte nicht, was er sagen sollte. Nach einigem Besinnen sagte er: »Die Augen sind noch helle, aber der Puls geht schwach.« Die Frl. schüttelte den Kopf, und lachte. Um V2I2 Uhr sagte sie, »nun ists besser, ich habe keine Schmerzen mehr —« rükte sich im Bette zurecht, u. sagte mit halbgebrochener Stimme: »Gute Nacht!« Darauf lag sie stille, redte nichts mehr, der Othem wurde kürzer, blieb manchmal aus, kam wieder, um 12 Uhr nahm endlich der erlöste Geist von seinem Körper Abschied.
Meine Seele sterbe des Todes dieser Gerechten!! — Einige Minuten blieben wir ganz stille. Eine Freundinn, die vom Schmerz weniger betaübt war, als die andern, that ein herrliches Gebeth, dankte Gott für alle, der seligen Frl. von Klettenberg erwiesne Wohlthaten an Seele u. Leib, munterte uns auf immer mehr dem Ziele nachzujagen, immer mehr auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens zu sehen, u. Fleiß anzuwenden, daß unser Keiner dahinten bleibe. Noch muß ich sagen, daß das 17 Kap. Johannis, u. die Sprüdie: Wer an mich glaubt, der wird den Tod nicht sehen ewiglich! — Ich bin die Auferstehung u. das Leben — u. dgl. ihr ganz besonders lieb waren . . .
Den 16. wurde sie zur Erde bestattet.

Ich seh im Geiste Gottes Sohn
Holdselig ihr entgegen eilen,
um seinen höchst glorreichen Thron
mit ihr als seiner Braut zu theilen.
Willkomm, Willkomm, Willkomm — erklingt,
das durch den ganzen Himmel dringt.
Von den verklärten Geistersphären
da wird sie ihren Namen hören —
und was sie hier im Herrn gekannt,
beut ihr frolokend Mund und Hand.

Hier habt ihr, liebe Freunde, die ganze traurige Geschichte. Gönnt mir einen Plaz in Eurem freundschaftlichen Herzen, u. seyd versichert, daß ich bis ins Grab u. noch drüber hinaus seyn werde,
Eure treue Freundinn
E. Goethe.

  • Auch die Frau Rath Goethe, Goethes Mutter, stand zeitweise der »stillen Gemeinde« nahe, vor allem aber war sie mit Susanna von Klettenberg, einer entfernten Verwandten, eng befreundet; Goethe nannte die beiden Frauen »Rat und Tat«. — Der Medicus D. Metz: seine »mystische Universalmedizin« hatte Goethe während seiner Krankheit 1769 überraschend Hilfe verschafft.