»Welch eine schwere Kunst ist die Liebe!
Wer kann sie verstehen? und wer muß ihr nicht folgen?»
Susette Gontard an Friedrich Hölderlin, 10. August 1799
Die Dichtung, die ein Gastfreund des Frankfurter Handelshauses Gontard, der junge Berner Bankierssohn Ludwig Zeerleder, für die Hausherrin Susette Gontard abgeschrieben hatte, war kurz zuvor, Ende 1794, in Schillers Zeitschrift Thalia erschienen und mit Fragment von Hyperion überschrieben. In der Gestalt der Melite, die in späteren Fassungen des Werkes den Namen »Diotima» erhielt, sah der junge Schweizer das Bild seiner Gastgeberin gespiegelt. »Wo könnte ich auch wieder finden was ich hier habe; in ihrer Nähe wohnen die reinsten Gefühle; Pflicht und Menschenliebe und Verlaügnung und Aufopferung alles lernt mann bey ihr; ich läütre mich in Ihrem Umgange; und wenn ich auch nicht weltklüger werde, so siehst Du doch einst Deinen Freund gewiß als einen bessern Menschen wieder—», schrieb er in den Tagen seines Frankfurter Aufenthaltes.
Ein Jahr später, und der Dichter eben jenes Hyperion-Fragmentes, Friedrich Hölderlin, trat bei den Gontards die Stelle eines Hofmeisters, eines Hauslehrers für den ältesten Sohn Henri an. Als die »Vollkomne» hatte Zeerleder die Gattin Jacob Friedrich Gontards verehrt, und der Hyperion Hölderlins fühlt in Diotima »die Vollendung .... gegenwärtig». Aber bei Hölderlin besagen die gleichen Worte mehr — alles. Das Glück des einzelnen Menschen Hölderlin, die Begegnung mit Susette Gontard, verbürgt ihm nicht weniger als das Heil der Geschichte. In die »Armut unseres Daseins», die »Bedürftigkeit» des Menschen,» das Fernsein der Götter, die Hölderlin im Thalia-Fragment als die Not eines Weltalters, der »Nachtzeit», erkannt hatte, tritt Melite-Diotima als Retterin. Sie, das »heilig Wesen», das der Dichter in einem Atem mit den Göttern nennt, ist Erinnerung an die Jugend der Welt und zugleich ein Versprechen der künftigen Versöhnung von Erde und Göttern, und so vermag sie das »Chaos der Zeit» zu besänftigen.
Hatte der deutsche Idealismus, wie er Hölderlin in einer seiner feurigsten und überzeugendsten Gestalten, in Schiller, begegnet war, »des Idealen Reich» dem »engen, dumpfen Leben» gegenüberstellt, so sind für die Daseinsfrömmigkeit Hölderlins die göttlichen Mächte weder Setzungen des Ichs noch ein Reich oberhalb der profanen Tageswirklichkeit, sondern in ihrer Nähe oder Ferne wirksam bis in jede Lebensstunde hinein. Aber gerade weil es sich nicht um eine moralische Forderung, die Empirie zu überschreiten, handelte, bedurfte diese gedichtete Welt- und Götterschau der Bestätigung durch die Wirklichkeit, um sicheres Wissen zu werden. Daß Diotima ihm in der Gestalt Susette Gontards leibhaft, als wirkliches Leben entgegentrat, hob ihm die eigenen Zweifel ein für allemal auf.
Die Urteile von Männern wie Heinse, Herder oder Wieland, aber vor allem die Zeugnisse, die von Susette Gontard selber überliefert sind — siebzehn Briefe an Hölderlin, drei an den Gatten, sieben neu entdeckte an Marie Rätzer, die Erzieherin ihrer Töchter —, erlauben nicht, die Züge, die Hölderlins Bild dieser Frau besitzt, als Schöpfungen der dichterischen Einbildungskraft zu erklären. Susette wuchs auf in einem begüterten Hamburger Haus. Der Vater, Hin-rich Borkenstein, ein erfolgreicher Handelsherr, hatte eine oft gespielte Komödie verfaßt, Der Bookesbeutel, die Hamburger Lokalverhältnisse wirkungsvoll glossierte; zu den Freunden des Hauses zählte kein Geringerer als Klopstock. Der Unterschied zu dem zwar geselligen, aber kaum den Musen freundlich gesonnenen Frankfurter Haus »Zum weißen Hirsch», in das die junge Frau nach ihrer Heirat übersiedelte, muß ihr sehr fühlbar gewesen sein. Den vielfältigen gesellschaftlichen Verpflichtungen kam sie zwar nach, wie ihre Stellung es erforderte, aber erst im engsten Kreis, unter ihren vier Kindern, auf den Landgütern der Gontards oder beim Musizieren besaß sie »etwas zutrauliches, freündschafft-liches in ihrem »Wesen».
Was der großbürgerliche Kaufmann Gontard, zu dessen nüchternem Tatsachensinn und weltoffenem Selbstbewußtsein sich durchaus auch Gutmütigkeit und humorvolle Teilnahme gesellten, nicht gewähren konnte, bot ihr der selber bedürftige und auf Hilfe verwiesene Dichter: das Bewußtsein ihrer selbst, die Einsicht in das Wirken ungeahnter Lebensmächte, die Begegnung mit dem Geist, der ihrer Natur das Gefühl ihres Wertes und ihres Lebenssinnes gab. Die Wirklichkeit dieser Liebe und die Realität ihrer Umwelt mußten unweigerlich zum Konflikt führen. In den zweieinhalb Jahren, die Hölderlin im Hause Gontard lebte, hatten die sozial nicht allzu angesehene Stellung des Hofmeisters, die Empfindlichkeit des Dichters, aber gewiß auch die Reizbarkeit Gontards und seine Opposition gegen eine ihm unzugängliche Welt Reibungsmöglichkeiten genug geschaffen. Ende September 1798 war ein Auftritt zwischen Hölderlin und dem Hausherrn der Anlaß für den überstürzten Abschied des Dichters.
Susette Gontard führte ihr Leben an der Seite Gontards weiter, ein Dasein der Pflichterfüllung und des Verzichts; »eine wehmütig betrübte Seele die wenig mehr an dießer Welt hängt», wie ihre Freundin Marie Rätzer, verehelichte Rüdt von Collenberg, von der Dreiunddreißigjährigen schrieb. Sie starb, nachdem sie ihre an den Röteln erkrankten Kinder gepflegt hatte, am 22. Juni 1802, in den gleichen Wochen, in denen Hölderlin, vom ausbrechenden Wahnsinn geschlagen, auf Irrwegen aus Südfrankreich in seine Heimat zurückkehrte.
Friedrich Hölderlin Diotima
Du schweigst und duldest, und sie versteh'n dich nicht,
Du heilig Leben! welkest hinweg und schweigst.
Denn ach, vergebens bei Barbaren
Suchst du die Deinen im Sonnenlichte,Die zärtlichgroßen Seelen, die nimmer sind!
Doch eilt die Zeit. Noch siehet mein sterblich Lied
Den Tag, der Diotima! nächst den
Göttern mit Helden dich nennt, und dir gleicht.
Friedrich Hölderlin an Christian Ludwig Neuser
Frankfurt [Juni 1796]
Hätt' ich Dich doch bei mir, lieber Bruder! daß wir uns einmal wieder Freude machen könnten mit unsern Herzen.
Die Buchstaben sind für die Freundschaft, wie trübe Gefäße für goldnen Wein. Zur Noth schimmert etwas durch, um ihn vom Wasser zu unterscheiden, aber lieber sieht man ihn doch im kristallnen Glase.
Ich möchte wissen, wie Dir's jetzt gerade geht. Ich wollt', es gienge Dir, wie mir. Ich bin in einer neuen Welt. Ich konnte wohl sonst glauben, ich wisse, was schön und gut sey, aber seit ich's sehe, möcht' ich lachen über all' mein Wissen. Lieber Freund! es giebt ein Wesen auf der Welt, woran mein Geist Jahrtausende verweilen kann und wird, und dann noch sehn, wie schülerhaft all unser Denken und Ver-stehn vor der Natur sich gegenüber findet. Lieblichkeit und Hoheit, und Ruh und Leben, u. Geist und Gemüth und Gestalt ist Ein seeliges Eins in diesem Wesen. Du kannst mir glauben, auf mein Wort, daß selten so etwas geahndet, und schwerlich wieder gefunden wird in dieser Welt. Du weist ja, wie ich war, wie mir gewöhnliches entlaidet war, weist ja, wie ich ohne Glauben lebte, wie ich so karg geworden war mit meinem Herzen, und darum so elend; könnt' ich werden, wie ich jezt bin, froh, wie ein Adler, wenn mir nicht diß, diß Eine erschienen wäre, und mir das Leben, das mir nichts mehr werth war, verjüngt, gestärkt, erheitert, verherrlicht hätte, mit seinem Frühlingslichte? Ich habe Augenblike, wo all' meine alten Sorgen mir so durchaus thöricht scheinen, so unbegreiflich, wie den Kindern.
Es ist auch wirklich oft unmöglich, vor ihr an etwas sterbliches zu denken und eben deßwegen läßt so wenig sich von ihr sagen.
Vieleicht gelingt mirs hie und da, einen Theil ihres Wesens in einem glüklichen Zuge zu bezeichnen, und da soll Dir keiner unbekannt bleiben. Aber es muß eine festliche durchaus ungestörte Stunde seyn, wenn ich von ihr schreiben soll. — Daß ich jetzt lieber dichte, als je, kannst Du Dir denken. Du sollst auch bald wieder etwas von mir sehen.
Was Du mir mittheiltest, hat Dir herrlichen Lohn gewonnen. Sie hat es gelesen, hat sich gefreut hat geweint über Deine Klagen.
O sei glüklich, lieber Bruder! Ohne Freude kann die ewige Schönheit nicht recht in uns gedeihen. Großer Schmerz und große Lust bildet den Menschen am besten. Aber das Schustersleben, wo man Tag für Tag auf seinem Stuhle sizt, und treibt, was sich im Schlafe treiben läßt, das bringt den Geist vor der Zeit ins Grab.
Ich kann jezt nicht schreiben. Ich muß warten, bis ich weniger mich glüklich und jugendlich fühle. Leb wohl, treuer, geprüfter, ewiglieber Freund! Könt' ich ans Herz Dich drüken! Das wäre jezt die wahre Sprache für Dich und mich!
Dein
Hölderlin.
- Bereits wenige Tage nach seiner Ankunft in Frankfurt schrieb Hölderlin über sein neues Dienstverhältnis, daß er »die besten Menschen zu Freunden, und an den Kindern dieser Menschen Zöglinge habe, wie man sie nicht leicht wieder finden dürfte». Seine Briefe an Neuffer, den treuen Freund aus der Tübinger Stiftszeit, enthalten die offensten Bekenntnisse Hölderlins über seine Liebe zu Susette Gontard, — jezt lieber dichte als je: in den Frankfurter Jahren entstanden die endgültige Fassung des »Hyperion» und eine Reihe von Gedichten, vor allem kleinere Dichtungen in griechischen Odenmaßen.
Henri Gontard an Friedrich Hölderlin
27. September 1798
Lieber Holder!
Ich halte es fast nicht aus, daß Du fort bist. Ich war heut bei Herrn Hegel, dieser sagte, Du hättest es schon lange im Sinn gehabt; als ich wieder zurück ging, begegnete mir Herr Hänisch, welcher den Tag Deiner Abreise zu mir kam und ein Buch suchte; er fand es, ich war gerade bei der Mutter, er fragte die Jette, wo Du wärest, die Jette sagte, Du wärest fort gegangen, er wollte eben auch zu Herrn Hegel gehn, und nach Dir fragen, er begleitete mich, und fragte, warum Du fort gegangen wärest, und sagte, es schmerzte ihn recht sehr. Der Vater fragte bei Tische, wo Du wärst, ich sagte, Du wärst fort gegangen, und Du ließt Dich ihm noch empfehlen. Die Mutter ist gesund und läßt Dich noch vielmals grüßen, und Du möchtest doch recht oft an uns denken. Sie hat mein Bett in die Balkonstube stellen lassen und will alles, was Du uns gelernt hast, wieder mit uns durchgehn. Komm' bald wieder bei uns, mein Holder; bei wem sollen wir denn sonst lernen. Hier schick ich Dir noch Tabak und der Herr Hegel schickt Dir hier das 6te Stück von Posselt's Annalen.
Lebe wohl, lieber Holder,
ich bin
Dein Henri
Frankfurt am Main.
- Hölderlins Zögling, dessen »reine freie Unbefangenheit» sofort die Zuneigung seines Lehrers gewonnen hatte, schrieb diese Zeilen, kurz nachdem Hölderlin das Haus der Gontards verlassen hatte. — Herr Hegel: Georg 'Wilhelm Friedrich Hegel war Hölderlins Zimmergenosse im Tübinger Stift gewesen und hatte durch Hölderlins Vermittlung 1797 die Stelle eines Hofmeisters bei dem Frankfurter Kaufmann Gogel erhalten. — Jette: Henriette Gontard, spätere Manskopf, das Zweitälteste Kind der Gontards. — Posselt's Annalen: Posselt, Verfasser einer »Geschichte der Deutschen für alle Stände», gab eine Zeitschrift »Europäische Annalen» heraus, die der neueren Geschichte gewidmet war und mit der Französischen Revolution sympathisierte.
Susette Gontard an Friedrich Hölderlin
[Frankfurt, etwa 28. September - 5. Oktober 1798]
Ich muß Dir schreiben Lieber! Mein Herz hält das Schweigen gegen Dich länger nicht aus, nur noch einmal laß meine Empfindung sprechen vor Dir, dann will ich, wenn Du es besser findest, gerne, gerne, still seyn.
Wie ist nun, seit Du fort bist, um und in mir alles so öde und leer, es ist als hätte mein Leben alle Bedeutung verlohren, nur im Schmerz fühl ich es noch.---
Wie lieb ich nun diesen Schmerz; wenn er mich verlassen, und es wieder dumpf in mir wird, wie such ich ihn mit Sehnsucht wieder, nur meine Trähnen über unser Schicksaal können mich noch freun. — — Sie fließen auch reichlich, wenn ich Abends, schon um neun Uhr, den Tag zu ver-kürtzen, mit den Kindern zur Ruhe mich lege, wenn alles still ist, und niemand mich sehen kann. Wie! dachte ich dann offt, soll künftig diese geliebte reine Liebe wie Rauch verfliegen und sich auflösen, nirgends eine bleibende Spur zurück lassen? — Da kam der Wunsch in mich, noch durch geschriebene Worte, für Dich, ihr ein Monument zu errichten, das unauslöschlich die Zeit doch unverändert schonet. Wie mögte ich mit glühenden Farben bis auf ihre kleinsten Schattierungen sie mahlen und sie ergründen, die edle Liebe des Herzens, könnte ich nur Einsamkeit und Ruhe finden! So, beständig gestöhrt, zerrissen, kann ich nur Stückweise sie fühlen, suche sie beständig, und doch ist sie ganz in mir! —
Im offnen, freyen Feld ist es mir noch am besten, und ich sehne mich beständig hienaus, wo ich den lieben Feldberg sehe, der Dich Böser wie eine Wand sanft aufhält, daß Du mir nicht weiter entfliehest! — Komm ich aber wieder nach Hause, ist es nicht mehr wie sonst; sonst wurde es mir so wohl, wieder in Deine Nähe zu kommen, jetzt ist's als gienge ich in einen großen Kasten mich da einsperren zu lassen. Kamen sonst meine Kinder, von Dir, zu mir herunter, wie stärkte es mein offt traurend Wesen, wenn eine sanfte Röhte, ein tiefferer Ernst, eine Trähne im Aug, mir noch den Einfluß von Dir verrieht, jetzt haben sie nicht mehr diese Bedeutung für mich und ich muß offt meine Gefühle für sie zurechte weisen.
So weit hatte ich schon in den 1ten 8 Tagen Deiner Entfernung geschrieben, und mein Herz kämpfte mit meiner Vernunft, ob ich würklich diese Zeilen Dir schicken sollte, oder nicht. Mein Herz siegte, in dem Fall, daß alle andern Beziehungen mit Dir mir abgeschnitten würden, Gelegenheit zu suchen Dir wenigstens Rechenschafft davon zu geben. Denn den Gedanken, so nah wie wir noch zu leben, und nach solcher Innigkeit gar nichts von einander zu höh-ren, und wissen zu wollen, konnte ich nicht fassen; es wäre mir unmöglich, diese Enthaltsamkeit mit Zartheit des Ge-müths zu reimen, und ich glaube fast, Du mußtest das von mir erwarten, und hättest, wenn ich schwiege, Ursache mich des Gegentheils zu beschuldigen. Du konntest nicht zuerst schreiben, das fühlte ich wohl, weil ich immer dagegen war. Diese Gedanken bestimmten mich, verdenke es mir nicht, daß ich Dir schrieb, und daß ich Dir klage, wären diese Klagen nicht zugleich Beweise meiner Gefühle, gewiß, Du würdest sie nicht höhren.
- Mit diesem Briefe setzt die Korrespondenz zwischen Diotima und Hölderlin ein, von der siebzehn Briefe Susette Gontards, dagegen nur drei Konzepte Hölderlins erhalten sind. Hölderlin kam an jedem ersten Donnerstag eines Monats nach Frankfurt, damit die Liebenden sich aus der Ferne sehen und einander ihre Briefe zukommen lassen konnten. — Feldberg: Hölderlin lebte in Homburg am Taunusrand, wo sein Freund Isaac von Sinclair in Diensten des Landgrafen von Hessen-Homburg stand.
Susette Gontard an Friedrich Hölderlin
[Frankfurt, Dezember 1798]
Morgends
Ich habe gut geschlafen mein Bester, und noch einmal muß ich Dir sagen, wie viel Freude mir Dein Brief machte, und Dir danken für alle die stille Seeligkeit, die Du mir bereitet, ach ließ Du meinen Brief nicht mehr, wenn er Dich bekümmert hat, und halte Dich an den vorletzten, der Dir so lieb war; ich mußte gestern noch viel über Leidenschafft
nachdenken. Die Leidenscbaffl der höchsten Liebe findet wohl auf Erden ihre Befriedigung nie! fühle es mit mir! diese suchen wäre Tohrheit. — — Mit einander sterben! Doch still, es klingt wie Schwärmerey und ist doch so wahr. ist die Befriedigung. Doch wir haben heilige Pflichten für diese Welt. Es bleibt uns nichts übrig als der seeligste Glaube an einander, und an das allmächtige Wesen der Liebe, das uns ewig unsichtbar leiten und immer mehr und mehr verbinden wird. Stille Ergebenheit! Vertrauen auf das Herz, auf den Sieg des Wahren und Besten, dem wir uns hingegeben. Und wir könnten untergehen? Dann, ja dann müßte Alles aus
dem Gleichgewichte kommen und die Welt in ein Chaos sich verwandeln, wenn nicht der nehmliche Geist der Harmonie und Liebe sie erhielte, der auch uns erhält; lebt er ewig in der Welt, warum! wie! könnte er uns verlassen. Dürfen wir uns wohl mit der Welt vergleichen? und doch kann es nicht anders in uns seyn. Wie im Großen, so im Kleinen. Und wir sollten nicht vertrauen? Wir, die wir täglich Beweise der herrlichen auch uns belebenden Natur haben, die uns nur Liebe zeigt, wir sollten Kampf und Uneinigkeit in unserer Brust hegen, wenn alles uns zur Ruhe der Schönheit rufft? O gewiß nicht mein Bester! wir können nicht unglücklich werden, weil diese Seele in uns lebt. Und ich weis es, der Schmerz wird uns nur besser machen und uns inniger verbinden. Darum gräme Dich auch jetzt nicht, daß Du mich traurig
machtest, sieh, es ist ja alles vorbey, wenn Du wieder ruhig bist, und ich habe mich stark gefühlt. Noch muß ich Dir sagen, daß mein Vertrauen zu Dir ohne Gränzen ist; wie Du bist, wie Du es machst, ist es mir stillschweigend recht, ich frage selbst nicht warum. Du kamst die vorige Woche nicht, Du sagtest gestern nicht, daß Du noch hier vorbey kommen wolltest, daß Du heute Morgen noch einmal kommen wolltest, wenn ich Dir in meinem Brief es gleich vorgeschlagen. Ich kann Dich versichern, daß es mich im geringsten nicht irrte, so glücklich war ich durch Deinen Brief, und ich dachte nur: es ist gewiß Liebe, und fragte nicht weiter, und in dem Glauben an diese muß man das unerklärliche ehren. O mein Bester! Lieber! sey wieder ruhig, sey heiter, und bringe mir das einzig seelige Gefühl, daß Du zufrieden bist. Und gieb auch mir meine Ruhe wieder, dann gewiß, dann werde ich glücklich seyn.
Susette Gontard an Friedrich Hölderlin
[Frankfurt, Anfang März 1799]
Wie gerne, Lieber! möchte ich Dir treu erzählen, wie ich die traurigen Tage unserer Trennung zugebracht, wenn nur nicht die Wiederhohlung dieser Zeit für mich so peinlich wäre. Seit einigen Tagen bin ich wieder allein, und es ist schon etwas besser. Das schlimmste war, daß ich mir keine einsame Viertelstunde zusichern konnte, und ich auch selbst, wenn ich allein war, meine Gefühle so gewaltsam zusammenpressen mußte, damit meine nassen Augen mich nie verrahten und zu lästigen Fragen Anlaß geben möchten. Aber die ersten einsamen Stunden waren für mich schrecklich, nun wollte ich mich meinem Gefühl wieder ganz überlassen. Ich durfte auch das nicht, denn die Sehnsucht nach Dir wurde so groß, daß ich mir nicht zu helfen wußte, und ein gewaltiger Kampf in mir entstand. Ich suchte mit allen Kräften dein verlöschendes in mir gewordenes Traumbild mit lebendigen Farben wieder in meine Einbildung zu rufen. Ach! es war mir versagt, ich fühlte, den Wunsch und die Ohnmöglichkeit zugleich, ich dachte wohl an Deine Briefe, Deine Bücher, Deine Haare, aber ich wollte keine Hülfe, wollte ganz aus mir selbst Dich in mir erneuen. Doch mein töhricht Herz mußte bald vor der Vernunft erröthen, und Entschuldigung finden. Einige Tage nachher kramte ich mir Deine lieben Sachen und Briefe von altern Zeiten aus, die mir damals als ich Dich noch hatte wenig waren, und wovon nichts mehr in meinem Gedächtniß war, welch einen Schatz von lieben Worten, welch einen Trost, welch ein lieblich Bild von Dir fand ich darinn, wie lockten sie liebliche Trähnen der Zärtlichkeit mir in's Auge, wie stärkten sie mein Herz, wie halte ich mich jetzt daran in jeder bangen Stunde. Aber ach! das ist Vergangenheit! — Was ist Gegenwart? — was Zukunft? Jetzt frage ich mich mit jedem Tage: »Wie muß ein vereinzelt Wesen, in sich, und durch sich selbst bestehen, welches die Liebe zu einem
edlen und schönen Wesen erhoben?» — Träumen möchte ich immer, doch träumen ist Selbstvernichtung! Selbstvernichtung Feigheit! Fühlen! — Mein Herz fühlt noch in dieser armen, alles tödenden Zeit lebendig und warm, sehnt sich nach Würklichkeit, nach dem Wiederhall der Liebe, nach Mittheilung, Einklang, Harmonie! Seeligkeit! Soll ich es tadeln? Doch rufft jedes Gefühl in mir meine ganze Sehnsucht, vermischt mit tausend Schmerzen, zurück. Selbst durch meine tiefsten Gedanken finde ich nichts Wünschenswehrtes, als die innigste Beziehung der Liebe. Denn was kann uns leiten durch dieß zweydeutige Leben und Sterben, als die Stimme unsers bessern Wesens, welches wir einer gleichen liebenden Seele anvertrauen, diese Stimme, die wir aus uns selbst nicht immer höhren können. Verbunden sind wir stark, und unwandelbar, im Schönen und im Guten, über alle Gedanken hinaus im Glauben und im Hoffen. Aber diese Beziehung der Liebe bestehet in der würklichen Weldt, die uns einschließt, nicht durch den Geist allein, auch die Sinne (nicht Sinnlichkeit) gehöhren dazu; eine Liebe, die wir ganz der Würklichkeit entrücken, nur im Geiste noch fühlen, keine Nahrung und Hoffnung mehr geben könnten, würde am Ende zur Träumerey werden oder vor uns verschwinden; sie bliebe, aber wir wüßten es nicht mehr und ihre wohltäthige Wirkung auf unser Wesen würde aufhören. Da ich dieß alles klar vor Augen habe, und es so schwer ist aus der Dumpfheit herauszufinden, sollte ich mich selbst noch täuschen und in Schlummer wiegen, — Soll ich träumen! soll ich mein Herz verstocken! soll ich anders denken!
Wozu ich dieß alles frage Lieber! — »Ich habe ja Dich noch!» Ach! weil seit dem Tage unserer Trennung eine Angst in mir ist, daß einmal alle Beziehungen zwischen uns auf-höhren möchten, weil ich über die Zukunft keine Gewißheit habe, über Deine künftige Bestimmung, ich zittre für die Zeit der Revolutionen die uns nahe seyn kann, weil vielleicht sie uns für immer von einander reißt. Wie oft tadle ich Dich und mich, daß wir so stolz alle Beziehungen uns ohnmöglich gemacht, uns nur auf uns selbst verlassen haben, wir müssen jetzt vom Schicksaal betteln, und durch tausend Umwege einen Faden zu leiten suchen, der uns zusammen führt. Was wird aus uns werden, wenn wir für einander verschwinden sollten?
Noch könnte ich mich nie beruhigen, wenn ich denken müßte, daß ich Dich ganz der Würklichkeit entrückt, Du Dich mit meinem Schatten begnügen wolltest, daß Du durch mich vielleicht Deine Bestimmung verfehlt, wenn ich von Dir darüber gar nichts mehr höhrte und beruhigt würde. Wenn es seyn muß, daß wir dem Schicksaal zum Opfer werden, dann versprich mir Dich frey von mir zu machen und ganz zu leben wie es Dich noch glücklich machen, Du nach Deiner Erkenntniß Deine Pflichten für diese Welt am besten erfüllen kannst, und laß mein Bild kein Hinderniß seyn; nur dieses Versprechen kann mir Ruhe, und Zufriedenheit
mit mir selbst geben. So lieben wie ich Dich, wird Dich nichts mehr, so lieben wie Du mich, wirst Du nichts mehr (verzeihe mir diesen eigennützigen Wunsch), aber ver-stocke Dein Herz nicht, tuhe ihm keine Gewalt, was ich nicht haben kann, darf ich nicht neidisch vernichten wollen. Denke nur ja nicht Bester, daß ich für mich spreche, mit mir ist das ganz anders, ich habe meine Bestimmung zum Theil erfüllt, habe genung zu thun in der Welt, habe durch Dich mehr bekommen als ich noch erwarten durfte. Meine Zeit war schon vorbey, aber Du solltest jetzt erst anfangen zu leben, zu handeln, zu würken, laß mich kein Hinderniß seyn, und verträume nicht Dein Leben in hoffnungslose Liebe.
Die Natur, die Dir alle edlen Kräfte, hohen Geist, und tiefes Gefühl gab, hat Dich bestimmt, ein edler vortrefflicher glücklicher Mann zu werden, und es in allen Deinen Handlungen zu beweisen. Doch, noch leuchtet uns die Hoffnung für unsere geliebte Liebe, laß uns sie pflegen und erhalten, so lange wir nur können. Eine Stunde, voll Seeligkeit des Wiedersehns, und Hoffnung in der Brust, sind genung, ihr Leben auf Monathe lang zu erhalten. Laß uns die Augen nur nicht zudrücken, und uns überraschen lassen vom Schicksaal, damit wir das Nöthigste und Beste tuhn können. Beruhige mich, wenn Du kannst, über die Zukunft. In der Mitte des May kömmt mein Bruder (der wieder völlig hergestellt ist), wenn die Kriegsunruhen es nicht ganz verhindern, während dieser Zeit sehe ich noch nicht ein, wie es möglich ist eine Beziehung zwischen uns zu unterhalten, weil ich nicht wissen kann, wenn ich allein seyn werde, und es mich in beständiger Spannung und Sorge erhalten würde. Wenn Du einen Weg der schrifftlichen Mittheilung zwischen uns ersinnen, könntest, der nicht ängstlich und gewagt wäre, Du würdest mir eine Wohltaht erzeigen, denn es ist zu meiner Ruhe doch so nöthig zu höhren, wie Du lebst. Wenn ich wieder allein binn (denn ich werde in keinem Fall mich zu einer Reise bewegen lassen, wenn es nicht in einer kurzen Zeit ist während welcher wir uns doch nicht sehn könnten), machen wir es wieder wie bisher. Du sprachest von anderthalb Jahren, ich zittre, wenn ich denke, daß über ein halbes schon vorbey ist, wie wird, wie kann es kommen? was würde wohl für Dich am besten seyn? —Wenn Du mir darüber Deine Ahndungen mittheilen wolltest! vor meinem Sinne ist alles Schwarz, und das Schrecklichste wäre, wenn unter dem harten Schicksaal unsere zarte Liebe auch erstickte, wenn es endlich dumpf werden müßte in unserer Brust, unser Leben dahin wäre, und doch trostloses Bewußt-seyn uns übrig bliebe. Verzeihe! mein Bester! daß ich Dich in diese schwarzen Gedanken mit hineinziehe, für Dich sollte alles nur Süß seyn, einen Himmel möchte ich Dir geben, alles entfernen, was Dich stören könnte; aber ich fühle es, unsere Liebe ist zu heilig, um daß ich Dich täuschen könnte, ich bin Dir Rechenschaft!: schuldig von jeder Empfindung in mir, Du weist, daß ich leicht trübsinnig bin, vielleicht kommt es noch besser, und wie wollen wir dem Schicksaal danken für jede Blume, die wir mit einander finden. Wenn es mir nur nicht so schwer würde Dir zu schreiben. Nehme ich in dieser Absicht die Feder, öffnet sich mir eine Welt, voll Gedanken und Gefühlen, ich mögte alles auf einmal sagen, und kann keine Ordnung hienein bringen, ich fürchte Unsinn zu schreiben. Dann, sind mir meine Worte wieder zu prosaisch, und mischt sich meine Phantasie mit ein, denke ich, es wäre nicht so wahr was ich sagte. Am Ende möchte ich alles wieder zerreißen. Du verstehest mich wohl besser, wie ich selbst, und fühlest auch noch was ich nicht sage.
- daß wir so stolz alle Beziehungen uns ohnmöglich gemacht: Susette Gontard hatte Hölderlin nach der Auseinandersetzung mit Gontard offenbar selber zu einem schroffen Abschied bewogen, so daß ihm das Betreten des Hauses unmöglich geworden war. — mein Bruder: Henry Borkenstein, Kaufmann, lebte in Hamburg. — anderthalb Jahren: Hölderlin hielt sich tatsächlich vom September 1798 bis Mai oder Juni 1800 in Homburg auf.
Susette Gontard an Friedrich Hölderlin
[Frankfurt, 1./2. Juni 1799]
Ich mögte Dir so gerne auch etwas über Deine künftige Bestimmung sagen, Du hast mich dazu aufgefodert, wie schwer ist es aber für mich in jeder Rücksicht, Dir zu ratlien; und werde ich nicht immer für Dich zu ängstlich wählen? Ein treuer, erfahrner Freund vermag hier mehr. Ich weiß, Du kannst keinen Schritt tuhn, den meine Seele nicht billiget; wenn vielleicht mein verwöhntes, von Deiner Nähe verzärteltes Herz sich auch dagegen sträuben mögte, meine beßere Überzeugung muß siegen; und solltest Du irgend eine Laufbahn betreten, die ruhmvoll für Dich und nützlich der Welt seyn könnte, würden alle meine Trähnen um Dich gewiß sich in Freudenträhnen verwandeln, aber ich müßte von Dir höhren, und meine Hoffnung dürfte nicht getäuscht werden. Berathe Dich für die Zukunft mit Deinen wahren Freunden und erfahrnen Männern, und wenn dann nicht ein sicherer Weg sich Dir öffnet, bleibe lieber wie Du bist und helfe Dich durch, als daß Du es wagst, noch einmal vom Schicksaal überwältiget und zurückgeworfen zu werden. Deine Kräfte hielten es nicht aus, und Du gingest für die Welt und Nachwelt, der Du auch so, im stillen, lebst, noch ganz verlohren. Nein, das darfst Du nicht! Dich selbst darfst Du auf's Spiel nicht setzen, Deine edle Natur, der Spiegel alles Schönen, darf nicht zerbrechen in Dir. Du bist der Welt auch schuldig zu geben, was Dir verklärt in höherer Gestalt erscheint, und an Deine Erhaltung besonders zu denken. Wenige sind wie Du! Und was jetzt auch nicht würkt, bleibt sicher für künftige Zeiten. Könntest Du nicht vielleicht auch in der Zukunft junge Leute zum Unterricht zu Dir kommen lassen? Verzeihe mir diese Idee, wenn sie Dir nicht gefällt, ich weiß aber, daß Du es einmal im Sinne hattest solche Vorlesungen zu halten, welches Dir gewiß nicht schwer fallen würde. Handele nur nie aus dem falschen Begriff, Du müßtest mir Ehre machen, und alles was Du im verborgenen treibst und würkest, wäre mir nicht so lieb. Du müßtest lauter meine Neigung zu Dir rechtfertigen. Deine Liebe ehrt mich genung und wird mir immer genügen, und nach das, was man Ehre nennt, verlange ich nicht. Dich ehren große Männer, Dich finde ich in allen Schilderungen edeler Naturen und brauche das elende Zeugniß unserer Welt nicht dazu, noch heute laß ich im Tasso und fand unverkennbare Züge von Dir. Ließ ihn auch einmal wieder!
Friedrich Hölderlin an Susette Gontard
[Homburg, Sommer 1799]
Täglich muß ich die verschwundene Gottheit wieder rufen. Wenn ich an große Männer denke, in großen Zeiten, wie sie, ein heilig Feuer, um sich griffen, und alles Todte, Hölzerne, das Stroh der Welt in Flamme verwandelten, die mit ihnen aufflog zum Himmel, und dann an mich, wie ich oft, ein glimmend Lämpchen umhergehe, und betteln möchte um einen Tropfen öl, um eine Weile noch die Nacht hindurch zu scheinen — siehe! da geht ein wunderbarer Schauer mir durch alle Glieder, und leise ruf ich mir das Schrekenswort zu: lebendig Todter!
Weist Du, woran es liegt, die Menschen fürchten sich voreinander, daß der Genius des einen den andern verzehre, und darum gönnen sie sich wohl Speise und Trank, aber nichts, was die Seele nährt, und können es nicht leiden, wenn etwas, was sie sagen und thun, in andern einmal geistig aufgefaßt, in Flamme verwandelt wird. Die Thörigen! Wie wenn irgend etwas, was die Menschen einander sagen könnten, mehr wäre, als Brennholz, das erst, wenn es vom geistigen Feuer ergriffen wird, wieder zu Feuer wird, so wie es aus Leben und Feuer hervorgieng. Und gönnen sie die Nahrung nur gegenseitig einander, so leben und leuchten ja beide, und keiner verzehrt den andern.
Erinnerst Du Dich unserer ungestörten Stunden, wo wir und wir nur um einander waren? Das war Triumph! beede so frei und stolz und wach und blühend und glänzend an Seel und Herz und Auge und Angesicht, und beede so in himmlischem Frieden nebeneinander! Ich hab' es damals schon geahndet und gesagt: man könnte wohl die Welt durchwandern und fände es schwerlich wieder so. Und täglich fühl' ich das ernster.
Gestern Nachmittag kam Morbek zu mir aufs Zimmer. »Die Franzosen sind schon wieder in Italien geschlagen», sagt' er. »Wenns nur gut mit uns steht, sagt' ich ihm, so steht es schon gut in der Welt», und er fiel mir um den Hals und wir küßten uns die tiefbewegte freudige Seele auf die Lippen und unsre weinenden Augen begegneten sich. Dann gieng er. Solche Augenblike hab' ich doch noch. Aber kann das eine Welt ersezen? Und das ists, was meine Treue ewig macht. In dem und jenem sind viele vortreflich. Aber eine Natur, wie Deine, wo so alles in innigem unzerstörbarem lebendigem Bunde vereint ist, diese ist die Perle der Zeit, und wer sie erkannt hat, und wie ihr himmlisch angeboren eigen Glük dann auch ihr tiefes Unglük ist, der ist auch ewig glüklich und ewig unglüklich.
- Die drei von Hölderlin erhaltenen Konzepte sind Entwürfe, die der Dichter wohl wegen ihrer leidenschaftlichen Sprache verworfen und Susette nicht geschickt hat. — Morbek: Friedrich Muhrheck, später Professor der Philosophie in Greifswald, den Hölderlin auf dem Rastatter Kongreß 1798 kennengelernt hatte.
Friedrich Hölderlin an Susette Gontard
[Homburg, November 1799]
Hier unsern Hyperion, Liebe! Ein wenig Freude wird diese Frucht unserer seelenvollen Tage Dir doch geben. Verzeih mirs, daß Diotima stirbt. Du erinnerst Dich, wir haben uns ehmals nicht ganz darüber vereinigen können. Ich glaubte, es wäre, der ganzen Anlage nach, nothwendig. Liebste! alles, was von ihr und uns, vom Leben unseres Lebens hie und da gesagt ist, nimm es wie einen Dank, der öfters um so wahrer ist, je ungeschikter er sich ausdrükt. Hätte ich mich zu Deinen Füßen nach und nach zum Künstler bilden können, in Ruhe und Freiheit, ja ich glaube, ich war' es schnell geworden, wonach in allem Laide mein Herz sich in Träumen und am hellen Tage, und oft mit schweigender Verzweiflung sehnt.
Es ist wohl der Thränen alle werth, die wir seit Jahren geweint, daß wir die Freude nicht haben sollten, die wir uns geben können, aber es ist himmelschreiend, wenn wir denken müssen, daß wir beide mit unsern besten Kräften vieleicht vergehen müssen, weil wir uns fehlen. Und sieh! das macht mich eben so stille manchmal, weil ich mich hüten muß vor solchen Gedanken. Deine Krankheit, Dein Brief — es trat mir wieder, so sehr ich sonst verblinden möchte, so klar vor die Augen, daß Du immer, immer leidest, — und ich Knabe kann nur weinen drüber! — Was ist besser, sage mirs, daß wirs verschweigen, was in unserm Herzen ist, oder daß wir uns es sagen! — Immer hab' ich die Memme gespielt, um Dich zu schonen, — habe immer gethan, als könnt' ich mich in alles schiken, als war ich so recht zum Spielball der Menschen und der Umstände gemacht und hätte kein vestes Herz in mir, das treu und frei in seinem Rechte für sein Bestes schlüge, theuerstes Leben! habe oft meine liebste Liebe, selbst die Gedanken an Dich mir manchmal versagt und verläugnet, nur um so sanft, wie möglich, um Deinetwillen diß Schiksaal durchzuleben, — Du auch, Du hast immer gerungen, Friedliche! um Ruhe zu haben, hast mit Heldenkraft geduldet, und verschwiegen, was niciit zu ändern ist, hast Deines Herzens ewige Wahl in Dir verborgen und begraben, und darum dämmerts oft vor uns, und wir wissen nicht mehr, was wir sind und haben, kennen uns kaum noch selbst; dieser ewige Kampf und Widerspruch im Innern, der muß Dich freilich langsam tödten, und wenn kein Gott ihn da besänftigen kann, so hab' ich keine Wahl, als zu verkümmern über Dir und mir, oder nichts mehr zu achten als Dich und einen Weg mit Dir zu suchen, der den Kampf uns endet.
Ich habe schon gedacht, als könnten wir auch von Verläugnung leben, als machte vieleicht auch diß uns stark, daß wir entschieden der Hofnung das Lebewohl sagten,---
- Hyperion: Der zweite Band erschien zur Herbstmesse 1799. Hölderlin schrieb als Widmung in Susettes Exemplar: »Wem sonst als Dir».
Susette Gontard an Friedrich Hölderlin
Donnerstag Morgen [Frankfurt, Anfang Mai 1800]
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Wirst Du nun kommen? ---Die ganze Gegend ist stumm, und leer, ohne Dich! und ich bin so voll Angst; wie werde ich die starken Dir entgegen wallenden Gefühle wieder in den Busen verschließen und bewahren? — wenn Du nicht kömmst!---
Und wenn Du kömmst! ist es auch schwer! das Gleichgewicht zu halten, und nicht lebendig zu fühlen. Versprich mir daß Du nicht zurück kommen, und ruhig wieder von hier gehen willst, denn wenn ich dieß nicht weiß, komme ich in der grösten Spannung und Unruhe bis Morgen früh nicht vom Fenster, und am Ende müssen wir doch wieder ruhig werden, drum laß uns mit Zuversicht unsern Weg gehen und uns in unsern Schmerz noch glücklich fühlen und wünschen daß er lange lange noch für uns bleiben möge, weil wir darinn vollkommen Edel fühlen und gestärkt werden in unsern Seelen. Leb wohl! Leb wohl! Der Seegen des Himmels sey mit Dir.
- Susette Gontards letzter erhaltener Brief an Hölderlin. Der Dichter hatte sich entschlossen, von Homburg in seine schwäbische Heimat zurückzukehren.
Susette Gontard an Marie Rüdt von Collenberg
Frankfurth den 7ten Aprill [1802]
Der Gedanke, war mir schon offl recht unangenehm, liebe Marie! so lange ihre Schuldnerinn zu bleiben, aber sie wissen nicht wie viel es mir Oberwindung kostet zu schreiben, und wie ich so ungern geschehene Dinge berühre, weil die Vergangenheit, vorzüglich voll Gegenstände der Trauer für mich ist. — Soll man denn immer klagen? — Wenn man glücklich ist wird man so wortarm, und taugt zum Schreiben noch weniger. Mir ist es immer so gegangen und es war für mich immer eine schwere Sache. —
Ich bin überzeugt, liebe Marie daß sie von mir nicht glauben, daß ich sie vergessen hätte, weil ich so lange schwieg, sie kennen mich zu gut dazu, und wissen wohl daß Worte es bei mir nicht ausmachen. Wie offt wünschte ich mir schon in meiner Einsamkeit die alten Zeiten zurück, wo sie noch an meiner Seite lebten, wir sagten uns nur wenig, aber wir verstanden uns doch, wir kannten uns, und wenn wir gleich Eigentlich nie vertraut zusammen waren, hatten wir doch zu einander das größte Zutrauen, offt wünsche ich mir jetzt ein solches Verhältniß, es würde mir manchen Kummer lindern, aber ich habe nicht die Hoffnung wieder eine Freundinn, zu meinem Umgang zu finden .... — Meinen großen unersetzlichen Verlust berühre ich nicht, meine Gefühle darüber aufzuschließen wäre mehr als ich tragen könnte, ich verhülle sie gern in heilige Dunkelheit, ein dichter Schleyer decke sie für immer!--- Eine große Angst habe ich glücklich überstanden, denn auch das Leben meines geliebten Bruders war in Gefahr! Ich hatte schon alle Hoffnung benahe aufgegeben! — er ist jetzt wieder wohl, bis auf eine traurige Stimmung die ihm noch übrig bleibt.
Was soll ich ihnen den sonst noch erzählen, gute Marie? — Wir ziehen in einigen Wochen in den Garten, und ich hoffe es soll mir wohltuhn, denn ich fühle mich etwas gelähmt, von so manchen Gemüthsbewegungen die ich diesen Winter über hatte, im Ganzen ist aber meine Gesundheit viel daurhaffter geworden, sonst hätte ich so vieles nicht aushalten können ohne selbst krank zu werden. Meine Kinder sind alle wohl, mein Henry wird am nächsten Sonntag, in Hanau, confirmiert, bald nachher wird er wieder zu uns kommen ....
Leben sie nun wohl und vergessen sie nicht ihre sie liebende Freundin
S. G.
- Marie Rüdt von Collenberg war vor ihrer Heirat Erzieherin im Hause Gontard, zu gleicher Zeit wie Hölderlin. Die »alten Zeiten», die Susette Gontard erwähnt, spielen auf diese Jahre an. — Meinen großen unersetzlichen Verlust: bezieht sich wohl nicht auf Hölderlin, sondern auf den Tod ihrer Freundin Elisabeth Sömmering im Januar 1802.
Friedrich Hölderlin
Abbitte
Heilig Wesen! gestört hab' ich die goldene
Götterruhe dir oft, und der geheimeren,
Tiefern Schmerzen des Lebens
Hast du manche gelernt von mir.O vergiß es, vergieb! gleich dem Gewölke dort
Vor dem friedlichen Mond, geh' ich dahin, und du
Ruhst und glänzest in deiner
Schöne wieder, du süßes Licht!