»Ich kann nichts heftig aufnehmen,
aber es verlöscht nie.«
Charlotte von Stein an Karl Ludwig von Knebel,
13. Juli 1813
Romanhaft ist der Beginn. Unter Hunderten von Schattenrissen, die Johann Georg Zimmermann, der hannoversche Arzt und Leibmedikus des Königs von England, Goethe in Straßburg vorlegt, greift dieser einen heraus und unterschreibt ihn mit den Worten: »Es wäre ein herrliches Schauspiel zu sehen, wie die Welt sich in dieser Seele spiegelt. Sie sieht die Welt, wie sie ist und doch durch das Medium der Liebe.« Zimmermann ist überrascht. »Niemals«, schreibt er der Freundin Stein nach Weimar, »hat man, nach meiner Meinung, von einem Schattenrisse mit mehr Genie geurteilt, niemals über Sie, Madame, mit mehr Wahrheit gesprochen.« Als Charlotte, nach der Lektüre des Werther acht Tage weder zum Scherz noch zur Freude fähig, sich die Bekanntschaft des Dichters erhofft, kommt jedoch die hellsichtige Warnung: »Arme Freundin, Sie bedenken es nicht! Sie wünschen, ihn zu sehen, und Sie wissen nicht, bis zu welchem Punkte dieser liebenswürdige und bezaubernde Mann Ihnen gefährlich werden könnte.«
Kaum ein Jahr später, und eingeritzt auf Charlottes Schreibtisch finden sich die Buchstaben »Goethe, den 6. Dcbr. 75«, heute noch lesbares Signum jenes ersten, ungestörten Beisammenseins auf dem Steinschen Gut zu Kochberg.
Wer war die Frau, die ungreifbar wie ein Spiegelbild durch unendlich viele Zeilen Goethes geistert, die ihre Antworten auf die Hunderte seiner Briefe und Zettelchen verbrannte, deren Stimme verhallt ist und die wir unmittelbar nur einmal aus wenigen Sätzen des Goetheschen Dramas Die Geschwister herauszuhören glauben: »Die Welt wird mir wieder lieb, ich hatte mich so los von ihr gemacht, wieder lieb durch Sie. Mein Herz macht mir Vorwürfe, ich fühle, daß ich Ihnen und mir Qualen zubereite. Vor einem halben Jahr war ich so bereit zu sterben, und ich bin's nicht mehr.«
Frau von Stein, Tochter des Hofmarschalls von Schardt und ehemalige Hofdame der Herzogin Anna Amalia, zählt dreiunddreißig Jahre, als Goethe ihr begegnet. Eine zarte, leidende Erscheinung italienischen Typs, »elegant mit Simplizität«, die es liebt, sich weiß zu kleiden, und von der es heißt, daß eine unnennbare Reinheit von ihr ausgestrahlt habe. Eine konventionelle Ehe mit dem gutherzigen, aber derben Oberstallmeister Josias von Stein, häufige Krankheiten und die Sorge um sieben Kinder, von denen die vier Töchter bald nach der Geburt sterben, haben sie früh gelehrt, mehr Leid als Freude vom Leben zu erwarten. Die strenge Gläubigkeit ihrer Mutter, einer Adligen aus schottischem Geschlecht, die in den Härten des Daseins gelassen göttliche Fügungen sieht, ist ihr fremd. Nach den überlieferten Zeugnissen erscheint Charlotte von Stein eher als Zweiflerin, die als Herrin von Kochberg die Kirche nur besucht, um kein Ärgernis zu erregen, oder aus Zorn über die Konversion ihrer Schwägerin, der sie aber doch wieder schreibt: »Was meine Ansicht betrifft, so gönne ich Dir, wo Du kannst, am glücklichsten zu sein, und wäre es ja selbst türkischer Glaube.« Häufig befaßt sie sich mit moralischen Betrachtungen, und in der Unbedingtheit ihrer Forderungen sich selbst und andern gegenüber meint man etwas von dem puritanischen Erbe der Mutter zu spüren. »Liebe Wahrheit« wird sie gern um der Neigung willen genannt, unverhohlen ihre Meinung zu sagen, auch wenn sie damit nicht selten verletzt. Karl Ludwig von Knebel verehrt sie als eine Frau »ohne alle Prätension und Ziererei, grad, natürlich, frei, nicht zu schwer und nicht zu leicht, ohne Enthusiasmus und doch mit geistiger Wärme.«
»Mein Herz ist so entsetzlich eng.« Außer dem Lieblingssohn Fritz sind es eigentlich nur Knebel, die wesensverwandte Herzogin Luise, später »Lollo« von Schiller und — Goethe, die ihr wirklich nahe stehen. Und auch Goethe begegnet sie zunächst mit Reserve. »Ich fühls Göthe und ich werden niemahls Freunde.« Sein »wildes Wesen«, die ungestüme Art des um sieben Jahre Jüngeren, sich der Mensehen und Dinge zu bemächtigen, sind ihr abstoßend und anziehend zugleich. Nur allmählich schwindet ihr Mißtrauen, die Angst vor seiner Werbung, in der sich auf zarte und unwiderstehliche Art Huldigung und Dankbarkeit, Leidenschaft und Demut miteinander verbinden. »Ich kann mir die Bedeutsamkeit, die Macht, die diese Frau über mich hat, anders nicht erklären als durch die Seelenwanderung. — Ja, wir waren einst Mann und Weib! Nun wissen wir von uns — verhüllt, in Geisterduft. — Ich habe keinen Namen für uns — die Vergangenheit — die Zukunft — das All.«
Charlotte von Steins ungestilltes Verlangen nach Reinheit, Vollkommenheit — in der Begegnung mit Goethe wagt es sich zweifelnd, hoffend wieder hervor. Wenn sie ihn häufig herb zurechtweist, ihn zur Klarheit, zum Maßhalten zu erziehen sucht, so ist es nicht Gefühlskälte, eher ein Zeichen liebender Hoffnung. Die »Beichtigerin«, der »liebe Schutzgeist«, die »Unveränderliche von Ewigkeit zu Ewigkeit«, die »Einzige unter den Weibern, die mir eine Liebe ins Herz gab, die mich glücklich macht«, sie teilt ihm die Sehnsucht nach Reinheit mit. »Möge die Idee des Reinen, die sich bis auf den Bissen erstreckt, den ich in den Mund nehme, immer lichter in mir werden«, heißt es 1779 in Goethes Tagebuch.
Mit der Zeit wird er zum Glied der Familie, der sich bei Steins häufiger Abwesenheit von Weimar um das Hauswesen kümmert, die Wohnung einrichtet, die Kinder erzieht und der Freundin schreiben kann: »Wir sind wohl verheiratet, das heißt: durch ein Band verbunden, wovon der Zettel aus Liebe und Freude, der Eintrag aus Kreuz, Kummer und Elend besteht.«
Daß der Klatsch sich niemals dieses Verhältnisses annahm, lag in der Natur dieser Frau begründet, der es entsprach, sich im Verzicht zu üben und niemals die Grenze der Pflicht und Konvention zu verletzen. Sie war bereit, in einer tragischen Situation ein Leben lang auszuharren. Goethe aber mußte daran zugrunde gehen. Als er sich nach mehr als zehn Jahren der Gemeinsamkeit ihrem und Weimars Bannkreis entzieht und heimlich nach Italien flieht, bricht für sie eine Welt zusammen.
Jahrzehntelang hat Charlotte von Stein an der Trennung getragen, ohne die Kraft, sie je zu verwinden. »Ich glaube, mein Herz versteint nach und nach; ich fühle, wie mir der Ausdruck immer mehr und mehr versagt, Liebe und Wohlwollen zu erkennen zu geben.« In ihrem Schmerz ist sie vor leidenschaftlich anklagenden, gehässigen Worten nicht zurückgeschreckt. Und dies, weil sich in die Bitterkeit der alternden Frau und die Eifersucht auf Christiane Vulpius die Überzeugung mischte, daß der Freund, den sie makellos ersehnte, sich im Innern untreu geworden sei.
Goethes Sohn, der kleine August, ist es, durch den nach Jahren völliger Entfremdung langsam wieder ein freundnachbarliches Verhältnis entsteht. Höflich-förmlich zu Anfang, dann gelöster, endlich von einer wehmütigen Herzlichkeit. Wie einst wandern Briefchen und Zettel hin und her, Seiten, die nicht zurückgefordert und nicht verbrannt werden.
Als Frau von Stein mit vierundachtzig Jahren stirbt, ist ihre letztwillige Verfügung von liebender Sorge um den Freund diktiert: sie bestimmt, daß ihr Sarg nicht am Hause zum Frauenplan vorüberzutragen sei.
Johann Wolfgang Goeth
Warum gabst du uns die tiefen Blicke
Warum gabst du uns die tiefen Blicke,
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
Unsrer Liebe, unserm Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutraun?
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
Uns einander in das Herz zu sehn,
Um durch all die seltenen Gewühle
Unser wahr Verhältnis auszuspähn?Ach, so viele tausend Menschen kennen,
Dumpf sich treibend, kaum ihr eigen Herz,
Schweben zwecklos hin und her und rennen
Hoffnungslos in unversehnen Schmerz;
Jauchzen wieder, wenn der schnellen Freuden
Unerwart'te Morgenröthe tagt;
Nur uns armen liebevollen Beiden
Ist das wechselseit'ge Glück versagt,
Uns zu lieben, ohn' uns zu verstehen,
In dem andern sehn, was er nie war,
Immer frisch auf Traumglück auszugehen
Und zu schwanken auch in Traumgefahr.Glücklich den ein leeren Traum beschäftigt,
Glücklich, dem die Ahnung eitel war'!
Jede Gegenwart und jeder Blick bekräftigt
Traum und Ahnung leider uns noch mehr.
Sag', was will das Schicksal uns bereiten?
Sag', wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
Spähtest wie die reinste Nerve klingt,
Konntest mich mit Einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug' durchdringt;
Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,
Richtetest den wilden irren Lauf,
Und in deinen Engelsarmen ruhte
Die zerstörte Brust sich wieder auf;
Hieltest zauberleicht ihn angebunden
Und vergaukeltest ihm manchen Tag.
Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden,
Da er dankbar dir zu Füßen lag,
Fühlt' sein Herz an deinem Herzen schwellen,
Fühlte sich in deinem Auge gut,
Alle seine Sinnen sich erhellen
Und beruhigen sein brausend Blut!Und von allem dem schwebt ein Erinnern
Nur noch um das ungewisse Herz,
Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
Und wir scheinen uns nur halb beseelet,
Dämmernd ist um uns der hellste Tag.
Glücklich, daß das Schicksal das uns quälet
Uns doch nicht verändern mag!
- Frau von Stein erhielt das Gedicht von Goethe am 14. April 1776 zugesandt.
Charlotte von Stein an Johann Georg Zimmermann
à Weimar ce 6. Mars 1776
D'un jour a l'autre Cher Ami j'ai voulu vous ecrire et vous remercier de votre lettre du 29 Decemb: de lannie passee et me voila presque un quart d'an dans la presente sans Vous avoir paye le reste de ce que je Vous devois de l'ancienne, je ferai a jamais malgre moi Votre debitrice en tout jusqu'a la fin de ma vie.
Le retour du printems j'espere Vous rendra plus content de Votre sante que Vous ne Petiez il y a quelques mois et Vous tirera de cet abattement de l'ame qui est le pir de tout, et dont je scais aussi chanter quelque chose avec cette difference que je n'ai rien a perdre comme Vous autres genies.
Dernierement au soir, et hier a midi, Wieland a souppe et dine chez moi et devient de bon coeur mon ami, je dois son amitie a Göthe et le tout a Vous.
Ich könte Ihn wohl mancherley politische Lieder hier singen, aber zu was? Nos souhaits pour Herder sont accom-plits.
Göthe est ici un objet aime, et hai's, Vous sentirez qu'il y a bien de grosses tetes qu'ils ne le comprennent pas. Louise augmente pour moi de jour en jour en amitie, mais beaucoup de froideur entre les Epoux pourtant je ne des-espere pas, deux etres si raisonnables, si bons, doivent enfin s'accorder. Au moment Göthe m'envoit Votre billet je vous ai deja confesse mes peches. adieu, avant le depart de la poste je Vous dirai eher ami encore une fois bon soir et bon-jour.
ich komme jetz Ihnen eine gute Nacht zu sagen. Ich war den Abend im concert Göthe nicht, vor einigen Stunden war er bey mir gab mir vor Sie das beygeschloßne billet und war toll über Ihren Brief den er mir auch vorlas, ich verthei-digte Sie, gestund ihm ich wünschte selbst er mögte etwas von seinen wilden Wesen darum ihn die Leute hier so schief beurtheilen, ablegen, daß im Grund zwar nichts ist als daß er jagd, scharf reit, mit der grosen Peitsche klatscht, alles in Geselschaft des Herzogs. Gewiß sind dies seine Neigungen nicht, aber eine Weile muß ers so treiben um den Herzog zu gewinnen und dann gutes zu stiften, so denk ich davon; er gab mir den Grund nicht an, vertheidigte sich mit wunderbahren Gründen, mir bliebs als hätt er unrecht. Er war sehr gut gegen mich nannte mich im Vertrauen seines Hertzens Du, das verwies ich ihn mit den sanftesten Ton von der Welt sichs nicht anzugewöhnen weil es nun eben niemand wie ich zu verstehn weis und er ohne dies oft gewiße Verhältniße aus den Augen setz, da springt er wild auf vom Kanape, sagt ich muß fort, läuft ein paar mahl auf und ab um seinen Stock zu suchen, find ihn nicht, rent so zur Thüre hinaus ohne Abschied ohne gute Nacht; Sehen Sie lieber Zimmermann so wars heute mit unßern Freund. Schon einigemahl habe ich bittern Verdruß um ihn gehabt das weis er nicht und sols nie wißen. nochmals gute Nacht.
den 8ten. Da haben Sie nun auch den guten Morgen, ich könte Ihnen vor Abgang der Post auch noch eine gute Nacht sagen aber ich bin nicht zu Hauß den Abend, und noch den Vormittag muß ich mich von Ihnen trennen. Ich solte gestern mit der Herzogin Mutter zum Wieland gehn, weil ich aber fürchte, Göthen da zu finden that ichs nicht. Ich habe erstaunlich viel auf meinen Hertzen daß ich den Unmenschen sagen muß. Es ist nicht möglich, mit seinen Betragen körnt er nicht durch die Welt; Wenn unßer sanfter Sittenlehrer gekreutzget wurde, so wird diser bittere zerhackt. Warum sein beständiges pasquilliren, es sind ja alles Geschöpfe des grosen Wesens, das duldet sie ja, und nun sein unanständges betragen mit Fluchen mit pöbelhaften niedern Ausdrücken. Auf sein moralisches so bald es aufs Handeln ankomt, wirds vielleicht keinen Einfluß haben, aber er verdirbt andre; der Herzog hat sich wunderbahr geändert, gestern war er bey mir, behaubtete daß alle Leute mit Anstand mit Manieren nicht den Namen eines ehrlichen Mannes tragen könten, wohl gab ich ihn zu daß mann in den rauhen Wesen oft den ehrlichen Mann fände, aber doch wohl eben so oft in den gesitteten; daher er auch niemanden mehr leiden mag, der nicht etwas ungeschlifnes an sich hat. Das ist nun alles von Göthen, von den Menschen, der vor tausende Kopf, und Hertz hat, der alle Sachen so klar ohne Vorurtheile sieht so bald er nur will, der über alles kan Herr werden was er will. Ich fühls Göthe und ich werden niemahls Freunde; auch seine Art mit unßern Geschlecht umzugehn gefält mir nicht, er ist eigendlich was man coquet nent es ist nicht Achtung genug in seinen Umgang.
Zerreißen Sie meinen Brief, es ist mir als wenn ich eine Undanckbarkeit gegen Göthen damit begangen hätte, aber um keine Falschheit zu begehn wil ichs ihm alles sagen sobald ich nur Gelegenheit finde. Leben Sie wohl lieber Zim-merman und empfelen mich unßern Freundinn
v Stein.
- Den berühmten Arzt Zimmermann hatte Charlotte von Stein 1773 während eines Kuraufenthaltes in Bad Pyrmont kennengelernt. — Louise: die neunzehnjährige Herzogin, eine geborene Prinzessin von Hessen-Darmstadt, die ein halbes Jahr zuvor mit Carl August in Karlsruhe vermählt worden war, sich in ihrer Ehe jedoch wenig glücklich fühlte. — war toll über Ihren Brief: Durch Reisende waren Zimmermann Berichte über das Ärgernis erregende Treiben des jungen Herzogs und seines Freundes zu Ohren gekommen, und er hatte daraufhin, ähnlich wie später Klopstock, väterliche Ermahnungen an Goethe gerichtet. In dem »beygeschloßne billet« verbat sich Goethe jede Einmischung: »Mir ist wohl, darauf ver-lass dich. Von meinen Wahren Verhältnissen wird dir kein Reisender was erzählen können, kaum ein Mitwohnender. Ich bin fest entschlossen nichts zu hören, was man von mir sagt, noch was man mir rathen kann.«
Charlotte von Stein an Johann Georg Zimmermann
Weimar den 10ten May 76
Lieber Zimmermann ich bin böß auf Sie; ich freue mich wie mir Goethe Ihren Brief giebt, und nun nicht ein Wort von Ihnen drinn. Auf Johanni kom ich nach Hannovre Sie zu sehn und geh alsden nach Pyrmont ....
Mir gehts mit Goethen wunderbar; nach acht Tagen wie er mich so heftig verlaßen hat, komt er mit einen Obermaas von Liebe wieder. Ich hab zu mancherley Betrachtungen durch Goethen Anlaß bekommen; jemehr ein Mensch faßen kan, deucht mir, je dunckler anstößger wird ihn das Ganze je eher fehlt mann den ruhigen Weg, gewiß hatten die ge-fallnen Engel mehr Verstand wie die übrigen. Schreiben Sie mir nur ein Wort ob Sie um Johanni in Hannovre sind, oder laßen mirs durch Goethen sagen, Ich bin durch unßern lieben Goethe ins deutsch schreiben gekommen wie Sie sehen, und ich dancks ihm, was wird er wohl noch mehr aus mir machen? den wen er hier, lebt er immer um mich herum; jetz nenn ich ihn meinen Heiligen und darüber ist er mir unsichtbar worden, seit einigen Tagen verschwunden, und lebt in der Erde fünf meilen von hier im Bergwercke. Wieland ist wohl nebst seinen ganzen Hauß, vor einigen Wochen hat er aber viel wegen seiner Kinder Kranckheit gelitten, er ist ein zärtlicher Vater. Ich weis nicht ob ich Ihnen schon geschrieben daß Goethe und ich haben bey ihn zu gevatter gestanden, unßer Pathgen ist ein liebes hübsches Mädgen, es sieht völlig aus wie eine Tochter die ich verloh-ren habe und die ich sehr liebte, ich bilde mir ein sie ist bey Wielanden wieder auf die Welt gekommen, und drüber ist mirs nicht anders als wens mein Kind war. Lenz, Goe-thens Freund ist hier, aber er ist kein Goethe. Goethe, und Wieland, haben sich alle beyde hier Gärdens gekauft, sind aber nicht Nachbarn sondern liegen an verschiedne Thore, in Goethens Garden hab ich schon einmahl Caffe getruncken und von seinen Spargel gegeßen den er selbst gestochen und in seinen Ziehbrunnen gewaschen hatte, in Goethens Garden ist die schönste Aussicht die hier zu haben ist, er liegt an einen Berg und unten ist Wiese die von einen kleinen Fluß durchschlungen wird. Gute Nacht lieber Zimmer-man, ich bit um Vergebung wegen vielen unützen Zeug daß ich geschwätz habe.
Von Stein geb. von Schardt.
- Lenz: der Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz, Sturm-und-Drang-Genosse Goethes, der im April 1776 nach Weimar kam, sich aber dort bald gesellschaftlich unmöglich machte.
Charlotte von Stein an Johann Georg Zimmermann
17 te Juni 1776
Ich muß Ihnen durch ein Wort sagen daß ich nicht nach Hanovre komme indem ich durch die Ankunft meiner Schwester meine Reise um einige Tage verschieben muß. Ich hatte auch bloß die Absicht Sie nur da zu sehen; und da Sie nunmehr nach Pyrmont kommen, wird also mein Wunsch ohne Umweg erfült.
Um Ihnen, lieber Zimmerman, etwas neues zu erzehlen so wißen Sie daß Goethe endlich hier fest ist; vor einigen Tagen ist er zum Geheimen Legations Rath ernant worden, und sitz im conseil, ich habe aber doch noch einen Unglauben an seinen unstäten Sinn, wenn ich ihm gleich hertzlich wünsche in irgend einen Eckgen der Welt Ruhe zu finden.
Den 25 te Reiße ich von hier ab, bin also noch einige Tage vor Sie in Pyrmont, bereite Ihnen den Weg und bin nicht würdig Ihnen die Schurimen aufzulesen. Leben Sie wohl.
Charlotte von Stein.
Johann Wolfgang Goethe an Charlotte von Stein
Sie haben mir durch den Boten eine grose Freude geschickt, schon furcht ich, heut und Morgen nichts von Ihnen zu hören, und so kam mir das Gute unvermuthet. Es ist mir zu wider daß mein Brief versteckt geblieben, und daß die andern Sie so spät auffinden; gerne wollt ich daß Sie so bald als möglich mein Andencken erhielten. Ihr Bote ist recht frisch gegangen, er war schon vor sechs heut Abend hier.
Unsre arme schöne Wirthinn ist kranck, und trägts wie Frauen zu tragen gewohnt sind. Heute früh hatten wir einen langen politischen Diskurs; auch diese Dinge sieht sie gar schön, natürlich und wie ihres gleichen. Sie liebt den Herzog schöner als er sie. und in diesem Spiegel hab ich mich beschaut und erkannt daß auch Sie mich schöner lieben als wir gewöhnlich können. Doch ich geb es nicht auf ich fühle mich zum Streit aufgefordert, und ich bitte die Grazien daß sie meiner Leidenschafft die innre Güte geben und erhalten mögen aus der allein die Schönheit entspringt.
Behalten Sie ia was Sie mir gutes zu sagen haben, auch mir haben die Geister der Welt viel nüzliches in's Ohr geraunt, haben mir über mich und andre schöne Eröffnungen gethan.
Donnerstags Abends hoff ich Sie allein zu finden, hoffe die ersten Stunden ganz bey Ihnen zu seyn. Freytags wollen wir zusammen essen und fröhlig seyn.
Heut ist wenig gezeichnet worden gestern gar nichts, kaum werd ich eine Landschafft fertig bringen die ich hier lasse. Was gehen mir über den Ewerdingen für neue Lichter auf, warum muß man so lang im Dunckeln tappen und in der Dämmrung schleichen.
Meine Seele ist fest an die deine angewachsen, ich mag keine Worte machen, du weist daß ich von dir unzertrennlich bin und daß weder hohes noch tiefes mich zu scheiden vermag. Ich wollte daß es irgend ein Gelübde oder Sakrament gäbe, das mich dir auch sichtlich und gesezlich zu eigen machte, wie werth sollte es mir seyn. Und mein Noviziat war doch lang genug um sich zu bedencken. Adieu. Ich kan nicht mehr Sie schreiben wie ich eine ganze Zeit nicht du sagen konnte.
Der Bote verspricht beyzeiten in Weimar zu seyn. In zwey Tagen folg ich ihm. Wo möglich kriegst du noch einen Brief eh ich komme.
Noch etwas von meiner Reiseandacht. — Die Juden haben Schnüre mit denen sie die Arme beym Gebet umwickeln, so wickle ich dein holdes Band um den Arm wenn ich an dich mein Gebet richte, und deiner Güte Weisheit, Mäsigkeit und Geduld theilhafft zu werden wünsche. Ich bitte dich fus-fällig vollende dein Werck, mache mich recht gut! du kannsts, nicht nur wenn du mich liebst, sondern deine Gewalt wird unendlich vermehrt wenn du glaubst daß ich dich liebe. Lebe wohl.
Ich hoffe immer daß du wohl seyst. Leb wohl. Mir fällt eins aufs andre ein. Leb wohl, ich kan nicht von dir kommen wenn nicht des Blättgens Ende wie zu Hause die Thüre mich von dir schiede.
[Neuheilingen] d. 12. März Montags um halb 11 Nachts.
[17]81 G.
- Gemeinsam mit dem Herzog Carl August hielt sich Goethe im März 1781 für einige Tage als Gast des Grafen Jacob Friedemann von Werthern auf dem Gut Neuheilingen hei Langensalza auf. Der Gräfin, einer geborenen Reichsfreiin vom Stein und Schwester des großen Staatsmannes, war der Herzog leidenschaftlich zugetan. Auch Goethe bewunderte sie sehr: »Wie in einer reinen Luft, wie an einem heitern Tage ist man neben ihr.« Sie wurde das Urbild der Natalie im »Wilhelm Meister«. — Ewerdingen: niederländischer Landschaftsmaler und Radierer, 1621—1675.
Johann Wolfgang Goethe an Charlotte von Stein
Rom d. 21. Febr. [17] 87
Ich benutze einen Augenblick Raum zwischen dem Einpacken um dir noch einige Worte zu schreiben. Dieser Brief soll erst den dritten März hier abgehn, daß du keinen Posttag ohne Brief seyst und dann wird das Neapolitanische Tagbuch schon nachkommen. Ich habe alles eingepackt um noch mittägiger, noch weiter von dir zu gehen! Wann werd ich wieder hier seyn? Wann einpacken um dir wieder näher zu rücken. Ich hoffe es soll alles gut gehn, mein lange mühseliges Leben, soll sich gegen das Ende erheitern.
Ich mag jetzt nicht an Rom dencken, mir nicht vergegenwärtigen was ich alles hier gesehen, was mir eigen gemacht habe, es ist ein Schatz der erst bey mir reifen muß.
So viel weiß ich daß mir dieses Einpacken selbst leicht wird und daß ich für ein künftig thätiges nördliches Leben schon Kraft und Lust genug gesammelt habe.
An dir häng ich mit allen Fasern meines Wesens. Es ist entsetzlich was mich oft Erinnerungen zerreisen. Ach liebe Lotte du weist nicht welche Gewalt ich mir angethan habe und anthue und daß der Gedancke dich nicht zu besitzen mich doch im Grunde, ich mags nehmen und stellen und legen wie ich will aufreibt und aufzehrt. Ich mag meiner Liebe zu dir Formen geben welche ich will, immer immer —
Verzeih mir daß ich dir wieder einmal sage was so lange stockt und verstummt. Wenn ich dir meine Gesinnungen meine Gedancken der Tage, der einsamsten Stunden sagen könnte. Leb wohl. Ich bin heute konfus und fast schwach. Leb wohl Liebe mich, ich gehe nun weiter und du hörst bald von mir und sollst durch mich noch ein Stück Welt weiter kennen lernen. G.
- Goethe schrieb diesen Brief während seines zweijährigen Aufenthaltes in Italien, kurz vor der Weiterreise nach Neapel,
Charlotte von Stein
Lied an den Mond nach meiner Manier
Füllest wieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
meine Seele ganz.Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Da des Freundes Auge mild
Nie mehr kehrt zurück.Lösch' das Bild aus meinem Herz
Vom geschiednen Freund,
Dem unausgesprochner Schmerz
Stille Thräne weint.Mischet euch in diesen Fluß!
Nimmer werd' ich froh.
So verrauschte Scherz und Kuß,
Und die Treue so.Jeden Nachklang in der Brust
Froh- und trüber Zeit,
Wandle ich nun unbewußt
In der Einsamkeit.Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Seine Seele rein erhält,
Ahndungsvoll genießt,Was, den Menschen unbekannt
Oder wohl veracht,
In dem himmlischen Gewand
Glänzet bei der Nacht.
- Diese Paraphrase des Mondliedes geht vermutlich auf Goethes zweite Fassung des Gedichtes zurück. Sie mag 1789 entstanden sein. Niemals hat Charlotte von Stein ihrem Leid um den Freund einen reineren und schmerzlicheren Ausdruck zu gehen vermocht als in der dritten Strophe (Tafel hei S. 304 in einer Variante).
Charlotte von Stein
Epigramme
Sey ein Mann, dich zu ehren; und sey ein Mensch, dich zu
lieben;
Keine Größe besteht die nicht auf Menschheit erbaut.Durch Handlen wird das Irdische erschaffen,
doch still betrachtet will der Himmel seyn.Dein ist die ganze Welt, vermag dein Herz sie zu tragen,
Was man so eifrig gewünscht trägt man mit Mühe zuletzt.Herz des Menschen, wie reich bist du und wie arm! Ein
Tröpflein
Strömt Glückseligkeit dir, Meere vermögen dir nichts.O du verehrter Sohn des Prometheus; er raubte den Göttern
Licht für die Menschen, du raubst Menschen ihr himmlisches Licht!Stolz wozu, du beugst dem ehernen Joche den Nacken;
Darf sich nicht beugen der Mensch, daß er dem Schicksal
entflieh?Winter, du hast unter Eis und Schnee die Erde gefesselt;
Willst du auch fesseln mein Herz unter Besorgniß und
Gram?In die Wüste bin ich gegangen mein Leiden zu lindern,
Aber die Wüste gab mir traurig mich wieder zurück.
- Obwohl sie ihre poetische Gabe gering genug einschätzte, versuchte sich Charlotte von Stein öfters im Dichten. So verfaßte sie 1794 ein Trauerspiel »Dido«, in dem sich ihre Sorge über die Ereignisse der Französischen Revolution mit der Enttäuschung über Goethes Abkehr verband. Trotz vieler bitterer persönlicher Anspielungen, die das Stück enthielt, lobte Schiller es sehr. Zu einer Aufführung kam es jedoch trotz seiner Befürwortung nicht. Die in Charlottes Handschrift überlieferten Epigramme sind wahrscheinlich nach 1788 entstanden und gehören in die Renaissance der griechischen Epigrammkunst in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts.
Charlotte von Stein an Charlotte Schiller
Mittwoch [den 9. April 1797]
Ich habe die Kalb, seitdem sie einmal bei mir war, nicht wieder gesehen. Wir haben eine ganz richtige Bemerkung über sie gemacht: sie kann sich recht hübsch das, was sie gerne hat, weis machen als eine Pflicht, die sie zu erfüllen hätte. Doch fand ich diesen Zug mehr bei Männern als bei unserem Geschlecht. Kant und Schiller können wohl Recht haben, daß unser Geschlecht mehr aus Neigung als aus Pflicht handle, aber nur deßwegen, wie ich bei vielen sehe, weil ihre Pflicht ihnen zur Neigung wird. Ich könnte viele Beispiele davon anführen, unter andern meine Mutter. Sie gefiel sich so wohl in den beständigen Aufopferungen, die sie zu machen hatte, daß, nachdem sie nach vielen Jahren zu ihrem eigenen freiweilligen Genuß kam, sie eine Oede in sich empfand, die sie noch bis jetzt nicht ganz überwinden kann. Ueberhaupt, glaube ich, hat die Natur dafür gesorgt, daß in unserem Geschlecht die ganz echte Tugend soll wohnend bleiben, indem bei uns kein Stolz noch Ruhm eine Triebfeder sein kann; denn unsere zu bearbeitenden Aufgaben, eben wegen ihrer tausendfältigen Kleinlichkeit etwas drük-kend auszuüben und doch so nothwendig im Leben, sind weder der Stoff für einen Dichter noch des Geschichtschreibers; auf's höchste können sie einmal so nebenher wie die Wäsche der Nausikaa und das Gewebe der Penelope angeführt werden, denn die beste Hausfrau ist die allerunbe-deutendste für die Welt.
Daß Goethe die Welt lustig ansieht, macht, weil diese Seite seines Verstandes die klarste ist; er hat begriffen, daß ihre Natur von der Beschaffenheit sei, daß sie keine Philosophen je verbessern werden; und da er sich selbst wie billig auch zu der Welt rechnet, weiß er wohl, daß auch er nicht anders sein kann, und je mehr ihn diese Dinge sonst gequält und er sie durchdacht, hat er sich gemüthlich darüber zur Ruhe gesetzt. Dabei hat er jetzt eine gute Gesundheit und mehr Fleisch im Topf als der arme Rousseau, um sich gute Bouillons kochen zu lassen.
Ihre Liebe ist die einzige, die mir wohl thut; alle andere gewesene oder noch bestehende haben mich nicht selten gequält; könnte ich's Ihnen vergelten!
- Kalb: Charlotte von Kalb, die Freundin Schillers, Hölderlins und Jean Pauls.
Charlotte von Stein an Fritz von Stein
Weimar den 15. Jan. 1806
Lieber Guter Fritz. Ich dancke Dir für Deinen Antheil an meinen Geburthstag, gern hätte ich [Dich] auch dabey gehabt daß Du ganz glücklich wärst; trente mich nicht der weite Weg und mein nicht geschicktes Alter zu einer zweyten Reise nach Schlesien, ich glaube ich könte Deiner Frau dort nützlich seyn; Ich habe mir auch in meiner Jugend ein phantastisches Bild gemacht wie ein Ehe Mann ganz anders seyn müste als ihn die Natur gemüthet hat, und schwerlich geht ein Mann in alle unßre Leiden ein; mit der Zeit wen Helenchen die romanhafte Begriffe über die Männer wird abgelegt haben, wird sie gewiß besser mit Deiner ernsthaften Natur simpathiesiren, da sie Verstand hat muß es eine Seite geben wo man ihr beykommen kan, Solte es möglich seyn daß wir uns den Sommer sähen so schreib ich Deiner Frau und bitte sie das Kind nicht mitzubringen da sie es unter guter Aufsicht zurück lassen kan. aber die entsetzliche Theurung da die Armeen alles aufzehren, läßt es kaum hoffen reisen zu können, und nun noch dazu Deine Kriegs Abgaben, die Märkter haben es gescheut gemacht den König gleich ein Geschenk zum mobil machen seiner Armee zu geben da konte jeder nach seinen würklichen Vermögen geben, an-stat daß mancher Schlesier von Gütern zahlen muß, wo drey Theile davon nicht seine sind. Die Amelie schreibt mir von Kochberg sie käme sich jetz wie eine Gastwirthin vor, zum Glück sind ihre Einquartierung artige bescheidene Leute, die meisten Preusen betragen sich bey ihren Wirthen hülfreich, auser einzelne, lezt war ein Aufstand in den Theater ein junger artillerie Officier fing einen ungebührlichen Zanck an mit dem so die billets einnimt, zog den Degen auf die Wachstehende Ordonnanz, es wurde gerufen preu-sische Officier heraus, man glaubte es sey Feuer, der Vorhang mußte fallen, endlich ging Stein [der Oberforstmeister] aus der Herrschaftloge hinunter wolte den Officier zurecht weisen der Officier sagte ihm er werde ihm Morgen sprechen, Stein offerirte ihm ein paar bouteillen Wein oben drein, drauf jener sagte, ich werde noch zwey Officiers mitbringen — das ganze Regiment wen sie wollen erwiederte Stein, den andern Tag bat er es den Stein aber ab, doch muste er in arrest. Die Theater Casse ist wohl die einzige die bey der Einquartierung gewinnt, der armen Schillern kostet es wohl auf 50 Rth, die Gräfin Barkoff will ihr Hauß, drüber weg geben, es drückt alle die etwas Vermögen haben, hingegen die Armen essen mit die Soltaden welch letztere ihr Brod mit ihnen theilen dafür, daß sie ihnen den Soltaden etwas kochen, die Preusische Bekerey ist jetz im Belvedere; unßre Beker konten vorher wegen den unendlich baken gar nicht mehr zu bette kommen. Goethens Vorlesungen gehen alle Mittwoche ihren Weg, ein Viertelstündchen wird der Politik gewidmet oder viel mehr den jetzigen Begebenheiten, doch hat er das nicht gern, Vor 8 Tagen war eben seine Schwägerin die jüngere Schwester seiner demoiselle gestorben und zwar wie wir eben da waren, aber alle todesfälle in und außer seinen Hauß läßt er sich verheimlichen, bis er so nach und nach dahinder komt, doch soll er sie beweint haben, sie war schon lang an der Auszehrung kranck, sein Bube komt mir auch nicht vor als könte er lange leben, gebe der Himmel daß er nicht vor ihm stirbt, seine demoiselle sagt man betrinckt sich alle tage, wird aber dick und fett, der arme Goethe der lauter edle Umgebungen hätte haben sollen! doch hat er auch zwey Naturen; Er ließt uns jezt über die Farben, sagt daß sie in unßern Augen liegen drum verlange das Auge die Harmonie der Farben wie das Ohr die Harmonie der Töne etc.
Unser Erbprinz mit seiner Gemahlin ist noch in Berlin, unßre parforce Jagd ist endlich abgeschafft da unser Herzog ins Feld zieht, ich hoffe die Lämmer zu weiten, den nun wärs doch wohl zu spät zuzuschlagen; ein Augenzeuge hat uns hier erzählt wie die armen 18 tausend gefangen Russen abscheulich behandelt werden, manchmahl werfe ich die Zeitung vor Zorn auf die Erde, sage mir den daß es mich nichts angeht — aber die Menschheit ist doch ein Ganzes, leb wohl der Himmel beschütze Dich, grüß Helenchen küß Marie und die Mutter von mir.
- Charlottes jüngster Sohn Fritz war in preußische Dienste getreten und Rat bei der königlichen Kriegs- und Domänenkammer in Breslau geworden. Da ihn die Amtsgeschäfle wenig in Anspruch nahmen, erwarb er das arg verschuldete Gut Strachwitz bei Breslau. In erster Ehe war er mit Helene von Stosch vermählt. — entsetzliche Theurung: Preußen, mit Weimar und Kursachsen verbündet, stand vor dem Krieg mit Napoleon. In dem kleinen Weimarischen Land waren zwanzigtausend preußische Soldaten einquartiert. — Amelie: geb. von Seebach, die Frau von Karl von Stein, der das Steinsche Gut Kochberg bewirtschaftete. — Goethens Vorlesungen: die sogenannten Mittwochvorträge, die Goethe seit dem Herbst 1805 vor den Damen des Hofes hielt. — seine demoiselle: Christiane Vulpius. — die armen 18 tausend gefangen Russen: die russische Armee war im Dezember 1805 bei Austerlitz gemeinsam mit den verbündeten Österreichern von Napoleon geschlagen worden.
Charlotte von Stein an Fritz von Stein
den 8 ten Febr. 1811
Ich muß dir gestehen lieber Fritz daß mir ganz sonderbar vorkomt wie Du die Begebenheiten die das Glück, Wohlstand, und Ruhe, unßres Lebens ausmachen mit einem Leichtsinn behandelst der doch Deinen ernsthaften Charakter gar nicht angemeßen ist, und mich endlich über Dich ganz besorgt macht, so hast Du es seit der unglücklichen Zeit als Du den hiesigen Dienst verliesest mit Deinen Güter Kauf und Deine Heyrathen gemacht etc. Alles was Du mir von Deiner Frau sagst ist noch keine Ursache sich von ihr trennen zu wollen, vielmehr soltest Du suchen sie zu erziehen sie mit Liebe zu gewinnen, den da sie den Dax liebt, ist sie doch Liebe fähig und Du thätest ein gutes Werck an ihr da Du nun einmahl Dich mit ihren Charakter nicht vor der Heyrath hast vorgesehen. Diese Trennung wird Dir wieder viel Geld kosten, und endlich wirst Du den panquerot gar nicht entgehen können; Dein Gut zu verkaufen bringt Dir auch den Verlust Deiner jetzigen Stelle da Du nicht mehr Landstand bist und endlich wird man das Zutraun zu Dir verlieren da Du Dir Deine eigne Sachen nicht beßer zu machen weißt, und jezt da Humbold nicht mehr in Berlin ist hast Du nicht einmahl einen Freund mehr der vor Dich spräche, Du wirst vielleicht hart finden was ich Dir sage, und ist etwas wahres dran daß die Unglücklichen immer unrecht haben, also Du armer Fritz must auch dieses leiden, doch hielt ich vor meine Pflicht Dich drauf aufmerksam zu machen, Deinen Schicksal nicht zu trauen, vielmehr immer lieber das sicherste als gewagtes zu nehmen. Von Jugend auf waren alle Hände aufgehoben Dein Glück zu machen bald wolte Dich der eine adoptiren Dir sein Vermögen mit einer reichen Nichte geben — es wurde nichts, bald wolte Dich ein andrer adoptiren und nie von seiner Seite laßen und wurde nichts — hier machte man allerhand Entwürfe was Du werden soltest — Du bliebst weg, in Schlesien gabs manche hübsche Aussicht abermahls wurde nichts erfült; also hat Dich das Glück immer getäuscht, traue ihm nicht mehr, sondern rette nur ein kleines sicheres Glück, Du hast den Seegen Deines Vaters der Dich so vorzüglich liebte, den meinigen, den Du betrübtest mich niemahls, er hat nicht gewirkt, das gehört zu die jetzige Zeiten wo man allen Glauben ans Gute verliert. Du wirst Dich erinnern daß ich das Capital wo von ich meinen Withum bekomme nicht auf Dein Guth wolte gesezt haben weil ich Dein gewagtes Handien voraus sah, ich erinnerte auch, nicht ein so großes Guth zu kaufen, den es könte Krieg kommen, aber Du kontest Deinen Schicksal nicht entgehen, wärest Du ein rechter Erdenmensch es wäre Dir gelungen, aber es ist ein beßeres Streben in Dir, gieb Dich also den Erden Glück nicht mehr preis, wage nichts mehr es läßt Dich stecken ....
Wie wunderbar daß ein einziger Mensch in der Welt die Gewalt hat uns alle um unßre Existenz zu bringen, diese Unsicherheit verdirbt einen recht das Leben. Lebe nun in der Hoffnung verdirb nicht selber was an Deinen Schicksal, vielleicht hat es Dich ausersehen die Stütze der Amelie zu seyn Du versprachst's ihr ja vor den Altar.
Deine treue Mutter.
- Nach dem Tode seiner ersten Frau verheiratete sich Fritz von Stein mit der Gräfin Amalie von Schlabrendorf, die sich jedoch bald von ihm scheiden ließ. — Deiner jetzigen Stelle: 1810 war Stein Generallandschaftsrepräsentant geworden. — bald wolte Dich ein andrer adoptiren: vermutlich Goethe, der den Elfjährigen 1783 in sein Haus nahm und ihm jahrelang ein warmherziger, liebevoller Erzieher war. Wilhelm von Humboldt äußerte 1809 über Stein: Er »ist ein sehr guter Mensch, allein zur Arbeit doch nur sehr bedingter Weise tauglich. Was noch wunderbarer ist, so trägt er auch in diesen Unvollkommenheiten Spuren der Goetheschen Erziehung, die man nicht verkennen kann. Ich glaube, daß es ihm geschadet hat, daß Goethe zu sehr mit ihm .... auf das Reale und Praktische gegangen ist und zu wenig auf das eigentliche Lernen gehalten hat.« — hier machte man allerhand Entwürfe: Fritz von Stein in weimarische Dienste zu ziehen, was dieser ablehnte. — ein einziger Mensch: Napoleon.
Charlotte von Stein an Johann Wolfgang Goethe
Tausend Glück und Segen zum heutigen Tag. Mögen die Schutzgeister auf dem himmlischen Reichstag befehlen daß alles Liebliche und Gute Ihnen, geliebter Freund, erhalten werde und mit aller Hoffnung aufs Künftige ohne Furcht verbleibe, mir aber erbitte ich, verehrter Freund, Ihr freiwilliges Wohlwollen auf meiner noch kurzen Lebensbahn,
den 28t August 1826
Charlotte v. Stein
geb. v. Schardt.
- Es sind die letzten Zeilen, die Charlotte von Stein vor ihrem Tode im Januar 1827 an Goethe richtete.