»Aber was kostets mein Kind, Liebe
zurückzuweisen mit diesem tiefen Respekt für Liebe,
mit dieser Anbetung für die wenigen Menschen
die sie zu fühlen vermögen!«
Caroline von Humboldt an Rahel Levin,
7. September 1801
Der Eindruck, den ein Besucher im Hause Dacheröden von der Tochter des preußischen Kammerpräsidenten gewann, war unkonventionell genug: »Nicht lange so trat auch die Fräulein — mit dem Anstände einer Grazie herein — dankte mir vor meine Epistel — das göttliche Mädchen — sie war ganz nachläßig gekleidet«, und zudem überreichte sie dem Fremden die Übersetzung eines Gedichtes von nicht ganz unverfänglichem Inhalt! Soviel Überlegenheit und Freiheit im Betragen schienen den Freundinnen kühn und nicht eben unbedenklich. Charlotte von Lengefeld, die an dem »unvergleichlichen Geschöpf« oft genug Anstoß nimmt, möchte doch auch wieder vor ihr knien »als wäre sie ein höheres Wesen«. Aber auch Schiller bestätigt die Worte seiner leicht beeindruckbaren Braut: »Ihr ganzes Wesen hat einen ge-wißen Glanz der mich blendet«, »eine unaussprechliche Zartheit liegt in ihrer Seele, und ihr Geist ist reich und durchdringend«.
Die Heirat mit dem Baron von Humboldt führte Caroline fort von den roten kahlen Bergen um das väterliche Gut Burgoerner in Thüringen, wo sie in der Gesellschaft des redseligen Vaters und eines »alten französischen Drachens«, wie der Freund Burgsdorff die Gouvernante schilderte, eine nahezu einsame und wenig glückliche Jugend verlebt hatte; die Mutter war früh gestorben. »Die Einsamkeit ist ein mächtiges Bildungsmittel gehaltvoller Charaktere«, schrieb Humboldt in der unvollendeten Biographie seiner Frau. Caroline, an selbständiges Denken und Handeln gewöhnt, nahm an der Seite ihres Mannes einen bedeutenden Platz ein: in Jena, wo Wilhelm von Humboldt in der Nähe Schillers das Dasein eines Privatgelehrten führte, in Paris, in Rom, wo er Ministerresident Preußens am Heiligen Stuhl war und die Humboldts ein Mäzenatentum großen Stils für die deutschen Künstler entfalteten. Caroline blieb in Rom, während Humboldt als preußischer Kultusminister die Neuordnung des Schulwesens übernahm und die Berliner Universität gründete. Es folgte die Gesandtschaft in Wien, wohin auch Caroline mit ihren vier jüngsten Kindern übersiedelte; 1816 vertrat Humboldt Preußen beim Bundestag in Frankfurt, 1817 wurde er Gesandter in London und zog sich 1819 zu seinen — hauptsächlich linguistischen — Studien aus dem Staatsdienst zurück.
Ein Leben, reich an äußerem Wechsel, an ehrenvollen Pflichten, an Fülle und Weltoffenheit! »Aber am liebsten, am häufigsten hängt sich meine Seele an den Gedanken, nur für Dich zu sein«, schrieb Humboldt an »Li«, seine Frau. Die Ehe war für ihn ein Weg der Selbstvervollkommnung. »Höchste Mannigfaltigkeit in der Ausbildung, Sinn für Gabe und Genuß jeglichen Grades und jeglicher Art, und dann Kraft genug, die höchste Mannigfaltigkeit aufs höchste zu vereinfachen, das Viele immer auf das Eine zu beziehen. Diese belebende Kraft, diese alles durchströmende Wärme gab mir Deine Liebe.« Die Bildung des eigenen Ichs war ihm sein eigentlicher Hauptberuf. Er sah in ihr mehr als nur seine eigene Sache: im gebildeten Menschen erhöhte sich das Menschengeschlecht. Für jenen »romantischen Dämmerzustand«, den Schweighäuser, Erzieher im Hause Humboldts, an Caroline wahrnahm und den Varnhagen ganz ähnlich als »eine Art Dämmerwesen« beschrieb, war in Humboldts Bild von Caroline kein Platz, aber auch nicht für jene Caroline des Briefwechsels mit Burgsdorff, die nur mit Menschen leben kann, denen das »eigentlich leidenschaftliche« vertraut ist. Seine Caroline war ein lauterer »Spiegel«, in dem er sich »ganz rein und unvermischt« fand, sie war »Leben« für seine »durchraisonnierten« Ideen, die oft »so tot, so kalt« in ihm blieben. »Ach, was ist das Dasein des Weibes, wenn es nicht die Freude eines edlen Mannes ist?«
Caroline hat die Rolle, die ihr Humboldt in seinem Bildungsplan zugedacht hatte, zweifellos gutgeheißen. Bereits der Briefwechsel mit Humboldt zeigt: hier gibt es Normen des Geschmacks, der moralischen Werte, sogar der Gefühle, Streben nach Maß, eine Vorliebe fürs Allgemeine und Zurückhaltung gegenüber dem allzu aufdringlichen Individuellen. Burgsdorff, der leidenschaftlich geliebte Freund Carolines aus den neunziger Jahren, der sich weder zu einem Beruf noch zu einer Bestimmung entschließen konnte, schrieb von seinen Reisen farbige, detaillierte und persönliche Schilderungen. Bei Caroline, die nicht weniger gesehen und erlebt hat, herrscht das Urteil über die Beobachtung. Orte haben »etwas fabelhaft Schönes«, Menschen besitzen »Reinheit in allen Gefühlen«, Kunstwerke sind »außerordentlich gehaltvoll« oder teilen »etwas ungemein Hohes, ganz Eigenes« mit. Frau von Humboldt trägt ihr Maß bereits in sich, statt es der Situation erst abgewinnen zu müssen.
Eine Freundin der Humboldts, Madame de Stael, die in europäischen Perspektiven dachte, hat unmißverständlich dargestellt, auf welchem bedrückend engen Raum sich die Ereignisse des literarischen Deutschlands abspielten. »Hier auf dem Lande, das sich Stadt nennt«, schreibt sie aus Weimar und hätte sie aus Jena schreiben können. Auf dieser Handbreit Boden waren die Wissenschaften, die Philosophie und die Dichtung zu Hause wie nirgendwo sonst — aber Enge und Beschränkung blieben es trotzdem. Der Gattin des preußischen Ministers Humboldt war es vorbehalten, die Lebensform, die sie sich unter der väterlichen Fürsorge Dal-bergs, des Mainzer Statthalters in Erfurt, im Umgang mit den Schwestern Lengefeld und mit Schiller erworben hatte, in die Hauptstädte Europas zu tragen. Ihre gebändigte Leidenschaftlichkeit, die bescheidene Würde, mit der sie ihr Haus führte, die vielfältigen literarischen und künstlerischen Beziehungen der Freundin Goethes und Schillers, die den Escorial mit dem Don Carlos in der Hand besuchte, machten das Leben Caroline von Humboldts zugleich zu einer Begegnung Weimars und Jenas mit der großen Welt.
Caroline von Dacheröden an Charlotte von Lengefeld
Sonntag Abend, den 31. Mai [1789]
Du kennst mich noch nicht recht. Mein Herz ist unbändig in seinen Wünschen und unersättlich in dem Genuß der Liebe und Freundschaft. Mit jenem könnte es die Ewigkeit ausfüllen, und diesem möchte es ihre Dauer geben. Es hat mir viel Mühe gekostet, ehe ich es gelehrt habe, sich in den Gang des gemeinen Lebens zu fügen, das gewöhnlich so wenig gibt.
Caroline von Dacheröden an Charlotte von Lengefeld
Den 31. December Abends [1788]
Ich nehme im Ganzen gern die Menschen wie sie sind, wenn sie sich nur in ihrer wahren Gestalt zeigen, mit einem Wort natürlich sind; aber ich kann mich nicht aus gesellschaftlicher Gefälligkeit mit ihnen über Dinge vereinigen, die mir nahe am Herzen liegen, und die sie in einem ganz andern Gesichtspunkt betrachten.
Viele und mitunter auch recht gute Menschen haben so zu sagen zwei Charaktere; in der Einsamkeit denken sie ganz anders als sie nachher in Gesellschaft über die Gegenstände ihres Nachdenkens, durch den allgemeinen Ton hingerissen, reden. In der Gesellschaft haben sie eigentlich gar keinen stäten Charakter und keinen Willen. Ich entschuldige diese Schwachheit, aber ich liebe dieses Schwanken nicht, denn ich finde den Menschen immer gern sich und seinen Grundsätzen gleich und getreu, und mein Herz kann sich nur an solche heften.
Caroline von Dacheröden an Charlotte von Lengefeld
[Erfurt,] den 3ten [November 1789]. Dienstag Abend
— Ich freue mich des neuen lebensgefüls um dich, um Linen, um unsre lieben, Eure Liebe giebt meinem Dasein allein Wert. Ach Lotte ich trage dich mit innigen Gefül an meinen Herzen; schon aus einigen deiner lezten Briefe merkte ich daß etwas trübes in dir war —. Dank daß du das Schweigen gebrochen. — Vielleicht ist es nur anscheinend so verworren, meine Schwester, und ein neues, lieblicheres licht wird in deiner Seele nach dieser Dämmerung aufgehen. Mein Herz ist voll dieser süßen Hofnung. Es ist eine enge, irrige Vorstellung, meine Liebe, wenn wir glauben daß es nur einen Aus-druk für daßelbe Gefül gebe, es nüanzirt sich anders in jedem Individuum und für jedes Individuum und diese geistigen Gestalten vervielfältigen sich ins Unendliche bei Menschen wie Schiller. Ich begreife ser gut wie Schiller dich anders liebt, wie Linen, um dich so zu lieben wie sie müstest du der getreue Abdruk ires Wesens sein, und wo fändest du in der Welt zwei änliche Geschöpfe, aber er liebt dich darum nicht weniger — deine stille Anhänglichkeit, dein sanfter Sinn, dein ganzes Wesen gleichsam aufgelöst in zarte liebe, o glaube meine beste, es entgeht nichts davon dem feinen blik des glüklichen Mannes der dies alles sein nent, aber es ist mir begreiflich wie grade für diese Empfindung der volle Gegenausdruk auch dem besten unter dem andern Geschlecht feit. — Weiblichkeit, Lotte, dies Wort wird ewig eine Scheidewand zwischen uns und die Männer sezzen. — Um dieser Weiblichkeit willen die der schönste Ausdruk deines Wesens ist, liebt dich Schiller gewis unendlich — es ist ein Hirngespinst deiner getrübten fantasie, meine liebe, eine kranke Vorstellung daß es Schiller je weh tun könnte dich gewält zu haben, die leiseste Andung dieses Gedankens würde ihn gewis ser schmerzen, und die Blüten seines Geistes zerkniken wenn sie sich schöner vor Karolinen zu entfalten strebten. Sein heiliges Herz umfaßt Euch beide, vermischt Euch und doch steht ir wieder allein und verschieden in seiner Seele, jede in schöner eigner Grazie, jede im verschiedenen Ausdruk desselben Gefüls. Meine Lotte die mir ein freundlicher Genius an das Herz gebunden du darfst mir trauen, wenn ich dir so in Schillers Sele rede. Müste mein Herz nicht aufgerieben werden wenn ich anders für Wilhelm und Carl fülte, ist mein Verhältniß nicht mit inen gerade daßelbe wie das von Schiller gegen dich und Linen, und keiner von inen fült eine leere. Mit Wilhelms Gefülen von denen du mir sprichst, ist es etwas anders, es war damals zwischen uns noch nicht zur Sprache gekommen.
- Lotte von Lengefeld, die Jugendfreundin Caroline von Dacherödens und spätere Frau Schillers, litt unter der Zuneigung, die der Dichter ihrer Schwester Caroline entgegenbrachte. Schiller schrieb über diesen Seelenbund zu dritt — dessen literarische Entsprechungen bis zu Rousseaus »Nouvelle Helo'ise« zurückgehen —: »Caroline [Lottes Schwester} ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unsrer Gefühle und Gedanken .... aber ich wünschte nicht um alles, daß dieses anders wäre, daß du anders wärest als du bist. Was Caroline vor dir voraus hat, mußt du von mir empfangen.« — Wilhelm: Wilhelm von Humboldt. — Carl: La Roche. — Die Namen der drei Männer sind im Original mit Chiffern abgekürzt, die sich die jungen Mädchen als eine Art Geheimsprache ausgedacht hatten.
Wilhelm von Humboldt an seine Berliner Freunde
Den 11. November [1788]
Was Ihr mir, liebe Jette und Brenna, von L. sagt, ist mir nicht recht begreiflich. Ihr nennt sie schwärmerisch, sagt daß sie von der Mode angesteckt sei, die Traurigkeit für etwas Nützliches zu halten, daß sie die Bürde des Lebens nicht so gut, wie Ihr, zu tragen verstehe. Freilich sah ich sie nur drittehalb Tage und hatte nur wenige Briefe erst von ihr, ich mag mich also in ihr irren. Aber sonst betheure ich's Euch, sah ich nie ein Mädchen, die so viel Vernunfl besitzt, auch über allgemeine, sehr ernsthafte Gegenstände so reif, ich möchte sagen männlich raisonnirt, in ihren Leiden so standhaft, so duldend ist als sie. Sie erfüllt jede ihrer Pflichten so genau, sie geht mit ihrem Vater, mit Allen, die um sie sind, so liebreich um, sie schickt sich so gut in alle seine Launen, sie liest die ernsthaftesten, von aller Schwärmerei und Empfindsamkeit entferntesten Bücher — ich fand sie mit Gibbon's history of the Roman empire —, sie ist so oft so heiter und scherzt so gern, kurz ich finde schlechterdings nichts an ihr, das den Namen Schwärmerei verdiente. Es ist wahr, sie hängt sehr an Religionsideen, aber diese Ideen sind von der Art, daß sie der aufgeklärteste Mann, der kälteste Philosoph haben kann, ohne erröthen zu dürfen. Gewiß beschuldigtet Ihr mich nie der Bigotterie noch der Schwärmerei. Aber in den Augenblicken, in welchen mein Herz den Gefühlen der Dankbarkeit, der Liebe, der Freude offen ist, habe und nähre ich eben die Ideen, die L. nährt. Du sagst, Jette, sie hinge fest an der Meinung des Wieder-, Sehens jenseits des Grabes, und ich bestärkte sie darin. Es ist wahr, sie sprach mit mir über diese Materie jenen glückseligen Morgen in der himmlischen Laube, ich fing die Idee in ihr auf, gab ihr neue Gründe dafür. Nicht aber aus Nachgiebigkeit, nein, aus wahrem innerem Gefühl. Sage nicht, daß ich der entgegengesetzten Meinung bin. Ich bin es nicht.
- Wilhelm von Humboldt, der in Göttingen studierte, war im August 1788 einer Einladung Caroline von Dacherödens nach Burg-oerner gefolgt. Beide gehörten einem Freundschaflshund an, dessen Berliner Mitgliedern Humboldt Rechenschaft über seinen Besuch bei Caroline ablegt. — Jette: Henriette Herz, Gattin des Berliner Arztes Markus Herz, Freundin Schleiermachers. Varn-hagen nannte die Junonische Riesin« »eine große wunderschöne Frau, voll Anmuth und Lieblichkeit, klug, gebildet, kenntnisreich, beredt, mild und gütig«, aber auch »eine allseitige Anempfin-derin«. — Brenna: Brendel Veit, geborene Mendelssohn, spätere Dorothea Schlegel. — L.: Li, Caroline von Dacheröden.
Caroline von Dacheröden an Wilhelm von Humboldt
[Erfurt] den 14. Januar 1790
Die ersten Zeilen von Dir nach unsrer Trennung, mit welchem Gefühl haben sie meine Seele überströmt! — mein Wilhelm, nie werde ich es aussprechen, was Du mir bist — was nennt die Sprache, wenn die Seele in ein Gefühl aufflammt? Die meine arbeitet sich wieder zur Klarheit, ich fühle mich so gehoben, eine unendliche Ruhe und Fülle ist in mir, ein höheres Leben durchglüht mein ganzes Wesen. Sei ohne Sorge um mich, Deine Liebe trägt mich auch ferner. Wenn selbst die Gegenwart mir nichts gäbe, könntest Du dennoch ruhig über mich sein. Mit Erinnerungen wie die, die ich in mir trage, versinkt die Seele nie in jene Leerheit, jenen dumpfsten Schmerz, der am Leben nagt. Aber es ist nicht so.
Die Gegenwart ist für mich freundlich und heiter. Wenngleich die Freuden, die sie mir bringt, nicht so entzückend wie die der Vergangenheit sind, so verkennt doch mein Herz nicht ihren Wert, und Deine beseligende Liebe öffnet mir eine neue schöne Aussicht in die Zukunft, in die sich mein Blick gern verliert. Mein Wilhelm, Du wirst glücklich sein, wenn Liebe beglücken kann. ——.... Wie trug ich das alles in mir —Gott! — in wie vielen schlaflosen Nächten, wo ich meinen Tod für ganz sicher hielt, habe ich darüber geweint, daß ich sterben sollte, ohne es Dir zu sagen, wie innig ich Dich liebte. —
Du kamst hierher, wir erklärten uns. Ich gestehe Dir, daß in dem Moment, wo Du zuerst mit mir sprachst, der Ort, die Menschen um uns, die Furcht gehört zu werden, mich so bestürzt gemacht hatten, daß ich Dich nur halb verstand. Wir sahen uns den andern Morgen, nicht allein — Du weißt, was Caroline mir ist, aber für diesen Moment fühlt ich, daß ich hätte allein sein müssen. Es war etwas Gehaltenes in Dir. Ich sagte es zu Caroline, sie antwortete, die Idee meiner Liebe sei Dir noch zu neu, Du müßtest einige Zeit haben, Dich an sie hinzugeben, es müßte mich nichts irren, Du liebtest mich. So vergingen ein paar Tage. Wir blieben allein. Einige Äußerungen in Deinem Gespräch fielen mir auf, vor allem aber, wie Du einmal über die Verbindung sprachst, sagtest Du mir, »ohne sie wäre ich doch ewig von Euch entfernt geblieben, hätte Euch nie gesehen oder Euch gesehen, ohne Euch zu bemerken, mein Herz war eigentlich gemacht, einen andern Gang zu gehen.« In Deinem Blick lag oft so etwas Trübes, mir schien es etwas Unerwidertes — selbst in den Momenten zu bemerken, wo ich Dir meine Seele hingab. Hundert Gedanken stiegen in mir auf, an keinem konnte ich mich festhalten. — Fragen wollte ich nicht — aus einer Menge kleiner Umstände dacht ich's mir doch endlich zusammen, mein Wilhelm liebt — wen? Mein Herz nannte die Forster. Wie ich es mir erst einmal selbst gestanden hatte — ach vergib — so bestärkten mich eine Menge oft unnennbarer Kleinigkeiten immer fester darin.
Mein Herz war sehr bewegt, sehr wund, doch schwöre ich es Dir bei jedem seligen Moment unsrer Liebe, nicht um mich. Ich zitterte, Du möchtest mich als ein Wesen betrachten, das fordern könnte ....
O Wilhelm, wenn es je einen Moment in Deinem Leben gibt, wo Du glauben kannst, daß ich nicht in Deinem Glück leben und weben und selig sein kann, so ist das der erste, wo Dein Herz dem meinen fremd geworden ist.
Nun ist das alles nicht mehr, nun drücken Dich und mich keine Gedanken mehr, die unsre Glückseligkeit stören könnten, ich fühle Deine Seele in mir, ich empfinde mich selbst nur in dem Bild, das Du in Dir von mir trägst. Ich muß Dir noch eine Sonderbarkeit gestehen, mein Wilhelm. Eigentlich ist mir's jetzt lieb, daß dieser trübe Augenblick in uns-rem Verhältnis war. Es hat die Wahrheit unsrer Gefühle in ein höheres Licht gestellt — es hat es uns anschaulicher gemacht, was wir uns sind. Nein, meine Seele, ich könnte nicht mehr sein ohne Dich — der Gedanke einer Verbindung mit Dir ist meinem Herzen unentbehrlich geworden. Ruhe ist in mir, aber das bessere Leben, zu dem ich mich geschaffen fühle, lebt meine Seele nur bei Dir ....
- nach unserer Trennung: Wilhelm und Caroline hatten sich im Dezember in Erfurt verlobt und hatten das neue Jahr gemeinsam mit den Schwestern Lengefeld, Schiller und Carl La Roche in Weimar begangen. — Forster: Therese Forster, Tochter des Göttinger Professors Heyne. — Caroline: von Beulwitz, geborene von Lengefeld, Schwägerin Schillers.
Wilhelm von Humboldt an Caroline von Dacheröden
Dessau, 15. Januar 1790
Nein Lina, nicht Deine Phantasie hat es geboren, jenes Sehnen, jenes Streben Deines Herzens nach Liebe. Es ist Wahrheit, Wahrheit, die uns beide beglückt, und die mich zu dem höchsten Gipfel der Seligkeit hebt. Wenn ich dem Schicksal für eine Gabe danke, wenn eine mich mit innerem Stolze erfüllt und mich gleichmütig auf alles andere um mich blicken läßt, so ist's, daß mein Herz Sinn hat, Dich zu fassen, und Kraft der Liebe genug, um Deiner hohen, glühenden, einzigen Liebe gleich zu bleiben. Je höher die Liebe, desto voller umfaßt sie das Wesen des andern, und eine große reiche Seele wird nur von einer reichen umfaßt. So ist der Mensch nie mehr, als er Kraft hat, zu lieben. Du wecktest sie in mir, diese Kraft, Du gabst mir, was ich nie genossen hatte, das Gefühl, ganz und einzig geliebt zu werden. O! Lina, das Glück meiner Tage wird Dein Dank sein! —
Die Natur schuf uns für einander, — oder — ach! daß mein Herz noch so oft nicht den Mut hat, das Grenzenlose Deiner Liebe zu fassen — sie gab nur Dir die Fähigkeit, mich zu beglücken.
Wie so alles in uns immer eins war. Wie so immer gleiche Höhe, gleiche Weite der Empfindung, wie in uns beiden der äußere und innere Sinn immer so gleich zusammenschmolz, wie in uns beiden immer jener diesem Glut lieh, und in uns beiden immer dieser jenen auf gleiche Weise verschlang! Hätte ich Dich nie gefunden, so hätte ich wohl glücklich sein können, aber den höchsten Grad des Glücks hätte ich nimmer erreicht. Und doch fühle ich's, daß meine Liebe noch immer höher, schöner werden wird. Meine Seele ist noch nicht groß genug, die Deine ganz zu umfassen, so vieles ahndet sie nur erst, so vieles liegt erst dämmernd vor ihr da. Aber Liebe erhöht die Kraft, und mit der Kraft wächst auch wieder die Liebe.
Daß Du so gar nicht fühlst, wie so unendlich viel Du bist, meine Lina! Diese Stille, diese Bescheidenheit, diese Innigkeit in Dir reißt mich zu so entzückender Bewunderung hin. Wie alles so tief in Dich eingeht, so fest in Dir haftet, so schwer sich wieder losreißt! Du bist so ganz, was Du bist, trennst Dich so gar nie von der Masse aller Deiner Empfindungen! Und diese Empfindungen beruhen alle auf so feinen und tiefen Ideen und erhalten dann Leben und Glut von einem so feinen Schönheitssinn, der ihnen so viel von den äußeren Sinnen borgt und doch nie das Seelenvolle in ihnen mindert.
Dies mir zu denken, Dich, wie ich Dich empfand, wie Du in mich übergingst, mir darzustellen, zu bilden — beschäftigt midi jetzt unaufhörlich. Dann kehrt jede Szene unsrer Liebe in meiner Phantasie zurück, und jede dieser Erinnerungen sagt mir, wie namenlos Du mich liebst. Dann entbrennt meine Einbildungskraft, dann vergeß ich mich selbst, und endlich scheint's mir's ein Traum.
Aus so einem Traum weckte mich Dein Brief. Er gab meiner Erinnerung wieder Wahrheit und Leben, hielt mein Herz wieder im Glauben an Deine Liebe. Ach! verzeihe dies Schwanken! Aber ich ward ja nie so geliebt, und daß nun Du so mich liebst, das macht mich zu glücklich, um nicht zu zweifeln. Auch ich dachte wie Du, nicht so geliebt zu werden. Daß man so lieben könnte, das fühlte ich wohl, und darum war ich glücklicher als Du. Denn ich sah doch andre genießen — wenn ich auch freilich entbehren mußte. Nun entbehre ich's nicht mehr. O! nun fordere ich jeden auf, zu sagen, daß er mehr genoß. Du liebtest ihn ja nicht!
Wohl eine lange, trübe Periode unsres Lebens! und — ich ahn es aus zu wahrscheinlichen Gründen — wirklich eine lange! Arme Lina! Du leidest noch mehr darin als ich. Nicht daß ich weniger entbehrte. O! das kann Lina von ihrem Wilhelm nicht glauben. Nein, aber meine Existenz ist freier, ich bin zerstreuter, bin selbst unaufhörlich tätig, die lange Periode zu verkürzen. Was nun auf der andern Seite — denn auch ich, meine Lina, kann nie glücklicher sein als Du es bist — was mich dafür tröstet, ist, daß ich auch unruhiger, gestörter, weniger rein lebe als Du! So sind wir uns wieder gleich. Ol laß erinnerung und Hoffnung uns halten, dann wird eine Zeit nach der andern verstreichen, und endlich wird das Schicksal vereinen, was die Empfindung schon lang unzertrennlich miteinander verband.
Laß mich hier schließen, Lina! Ich komme erst nicht lange von Wörlitz und bin müde.
Wilhelm von Burgsdorff an Rahel Levin
Jena, den 21. November 96.
Den vorigen Mittwoch (heute ist Montag) kam ich hier an, Humboldts waren bei Schiller. Es wurde Ihnen gesagt daß ich gekommen sei und sie kam allein zu Hause — so lieblich so hübsch als ich sie nur je gesehen habe, und noch hübscher, wahrhaftig das Naschen und vieles ist noch hübscher, Sie haben Recht. Sie sieht gar nicht kranck aus, es steht ihr schön, was andre verstellt und sie weiß es mit Zierde und Würdigkeit zu tragen. Ach sie kennen das liebe Gesicht, — nun habe ich es schon wieder in allen seinen Mienen gesehen, von der muthwilligsten bis zur verklärtesten, — auch die Kindermiene.— Sie wissen wie sich besonders des Abends, bei Licht, etwa wenn sie den Thee eingießt und nichts sagt und so mit nichts beschäftigt zu sein scheint, ihr Gesicht mit so wunderbar schönen Farben beleben kann, — sie ist dann vorher so still gewesen daß man sie gar nicht merckte und mit einem male sieht man sie an, und sie lächelt dann und wird noch röther darüber als wenn sie es wohl wüßte und es selbst so gemacht häte, die Augen werden dann wunderbar gros und glänzend, — ach liebe, liebe Kleine daß ich sie Ihnen zeigen könnte! — Humboldt kam bald darauf zu Hause und mit ihm der H. beste und älteste Freundin die Fr: von Wollzogen die ich nicht mehr hier zu finden hoffen konnte. Sie ist nicht so glänzend, sie hat nicht die Glorie von Liebenswürdigkeit, — aber die müssen Sie auch noch kennen lernen,— ich freue mich sehr sie hier gefunden zu haben, obgleich sie nur noch wenige Tage mit uns bleibt. Sie ist gewiß voll Geist, hat gewiß viel Caracter und ist dabei ganz simpel und natürlich und ohne alle Pretension. — Ich logire hier im Hause, ein Paar Schritt von der Stube wo alles vorgeht, und werde sehr hübsch gehalten. Sehr schönes silbernes Waschgeschirr, seidene Bettdecken, so geht es mir! — Humboldts sind alle Abend regelmäßig zu Schiller, von 8 bis nach 10 Uhr. Den zweiten Abend ging ich gleich mit, und seitdem immer. Es ist mir unendlich viel werth Schiller so zu sehen. Er lebt nur in seinen Ideen, in einer ewigen Geistesthätigkeit, das Dencken und Dichten ist sein ganzes Bedürfmß, alles andere achtet und liebt er nur, in sofern es sich an dies, sein eigentliches Leben knüpft. H. ist ihm daher sehr viel werth. Diese Stunden sieht er als seine Erholungsstunden an und spricht von allem, — doch sehr bald auf seine Art. — Ich werde Ihnen noch künftig mehr über ihn sagen. Ich spreche wenig aber doch nicht gar zu wenig, wird es mir zu abstract so spiele ich mit dem Bauspiel, kurz alles hat glücklicherweise eine recht häusliche Tournure genommen. H. ist hier in seiner vollkommensten Assiette und daher liebenswürdiger als je. Mit Schiller ist er ohne allen Zwang und mit unter ebenso komisch als wir ihn nur je gesehn haben. Dencken Sie sich dabei wie interessant er ist wenn er, statt der Lust die Sachen kurz abzuthun und zu frivolisiren, die beständige Lust hat sie auszusprechen, — wenn er statt in dem andern irgend etwas anderes als wovon grade die Rede ist zu bekämpfen, — nur bei der Sache selbst bleibt, — wenn es ihn immer im Sprechen, — wie sonst im Dencken um die Wahrheit selbst zu thun ist, ich meine wenn er zu dem andern immer spricht wie zu seinem eigenen Verstände, wenn er nicht aus Verachtung des andern seine Meinungen zu früh fallen läßt oder zu lange durchsetzt. Nach dem Schiller wird noch ein Augenblick Possen getrieben und dann zu Bett gegangen. Den Vormittag ist man meist allein und jeder treibt das seinige. Guter Kaffe und Thee macht hübsche Zeitabschnitte im Nachmittage. Zum Thee kömmt meist die Schiller von der nichts zu sagen ist, mit ihrem sehr hübschen Jungen ....
Nächst dem Wichtigsten was Sie mir von Carl und durch ihn erzählen müssen lassen sie sich doch auch recht genau sagen wie es die einzelnen Glieder der Familie von mir meinen, und das ohne Schonung, — recht und genau, was man von meinem künftigen Engagement und Leben hofft, in wie fern man erwartet daß ich das thun werde was man wünscht, — daß ich mich nehmlich engagiere, — wer es denn wünscht, — wahrscheinlich keiner ganz besonders. — Adieu, Liebe, ich habe dies Ende in einer kalten Stube geschrieben, und nun werde ich eben abgerufen, um zu Schiller zu gehn.
Ihr Bg.
- Burgsdorff hatte 1796, vierundzwanzigjährig, seinen Dienst als Kammerreferendar aufgegeben und lebte seinen Studien und Reisen. Schiller nannte ihn eine »empfangende«, aber auch eine »ohnmächtige Natur«. Caroline schrieb von diesem Wiedersehen an Rahel: »Meine süße Kleine, bewahren Sie es tief in Ihrem Herzen wie ich ihn liebe, wie ich ihn verbunden fühle mit dem Besten in mir, mit dem unendlichen, unbegrenzten Gefühl das ein höheres Leben der Schönheit und Kraft um mich webt, es könnte doch eine Zeit kommen wo ich es ihm nicht mehr sagen könnte.« — was andere verstellt: Caroline erwartete ein Kind. — Fr. von Wollzogen: Schillers Schwägerin, geborene Lengefeld, geschiedene Frau von Beulwitz. »Ihr schönes, stilles, hohes Wesen hat einen großen Eindruck auf ihn gemacht«, schrieb Caroline an Rahel. — Assiette: Lage. — Carl: Karl von Finckenstein, mit Rahel Levin verlobt.
Caroline von Humboldt an Rahel Levin
Paris den 26ten März 99.
Du hast Burgsdorfs Brief erhalten wenn du diesen empfängst. Siehe den Plan nicht zu phantastisch an. Er ist in Burgsdorfs Kopf entsprungen, im Anfang hielt ich ihn für ganz unausführbar und wollte nicht daß er dir schriebe, um dir eine vergebene Seelenbewegung zu ersparen, aber darauf erschien er mir nicht unmöglich mit Entschluß von deiner Seite und einigem Glück der Umstände. O könntest du kommen, könnten wir zusammen leben! Bedenke dich wohl, erprobe schnell die möglichen Mittel und laß mich bald deinen Entschluß wissen. Dein Brief ist schreklich lang unterwegs gewesen, 21 Tage, schreibe durch die Post, die Versäumniß die durch das Austreten des Rheins auf der Route entstanden war, ist gehoben und die Briefe gehen in 9 Tagen von Berlin bis hierher. Was soll ich dir zu deinem Brief sagen? Freilich habe ich geweint, unendlich, weine wieder und doch bin ich ruhig. Ja ruhig und ewig rege und bewegt so ist mir, ich trage ein menschlich und doch ein göttlich Herz im Busen, nein diese Liebe hat nicht die Kräfte meiner Seele gelähmt, sie hat mich die Tiefe der Natur ermessen machen und mich zu einer Höhe gehoben die mir ohne sie, ohne alles Leiden das sie über mein Dasein ausgegossen hat, ewig unbekannt geblieben wäre. Meine Geschichte ruht un-entweiht in meinem Herzen. Dir alles zu sagen ist nicht ein Verlangen, es ist ein Bedürfniß, manches weist du, vieles magst du ahnden, aber alles kannst du nur von mir erfahren. O du Liebe, Einzige, du, ich darf es wohl sagen, bist mir durch ein höher Schiksal gegeben, ich dir — und so laß uns einander angehören auf ewig. Ich fühle wie es dir ist, ganz, ich fühle dich in mir, mich in dir — fürchte auch nicht daß ich Burgsdorf Unrecht thue, ich weiß recht gut wie es ist, wie es mit den Männern und Liebe überhaupt steht, und kenne ihn genug um seine Individualität zu erkennen. Auch Burgsdorf — gewiß er leidet nicht bei meinem ganz umgeänderten Wesen, im Gegentheil er gewinnt, denn ich mache ihm keine trübe Minute mehr — auch ahndet er nicht, daß ich ihn nicht mehr liebe — ich bin jezt grade so gegen ihn wie er es begreifen, wie er es zu erwiedern vermag — wir leben ein freundliches Alltagsleben und nur ich weiß daß es nicht das Leben der Liebe ist. Aber ich bin darum nicht ärmer geworden, in meinem Herzen bewahre ich die Flamme die vom Himmel stammt und ihre Gluth macht mich zu einem höhern Wesen. O wie bin ich so ruhig — in den Tagen wo ich diese Leidenschaft von meinem Herzen trennte mußte ich mir oft aus dem Carlos die Stelle wiederholen: »es giebt ein höher, Wünschenswerther Guth als dich besitzen« cet. — Liebe wenn ich dich, dich nur sehen, nur mit dir leben könnte, du hast geliebt und gelitten und bist ruhig wie ich
Gott was wäre es für ein reiches Leben. Schreibe Burgsdorf einen herzlichen Brief — er liebt dich unendlich und wie er gemacht ist empfände er die leiseste Schmälerung der Freundschaft und des Vertrauens — jeder Tag sagt mir mehr, er hat keine Schuld, und wie du sehr wahr sagst wir betrügen uns selbst — betrügen uns auch nicht.
Durch ein unglükliches Ohngefähr wurde ich abgehalten fortzufahren und ich reise morgen mit dem frühsten auf einige Tage aufs Land — da ich noch zu kramen habe muß ich aufhören. Liebste mit welcher Ungeduld erwarte ich deinen Brief. Dank für die Nachrichten von Wilhelm. Welche Freude würdest du an meinen Kindern haben.
- Rahel Levin war mit Wilhelm von Humboldt aus der Zeit seiner Zugehörigkeit zu den Kreisen der Berliner jüdischen Gesellschaft bekannt, Caroline lernte sie 1795 kennen. Das vertrauensvolle Verhältnis beider Frauen zueinander beruhte zum nicht geringen Teil auf dem Interesse beider an Wilhelm von Burgsdorff; später, nach langen Jahren des Schweigens, waren es die Befreiungskriege und die gemeinsame karitative Tätigkeit, die sie wieder zueinanderführte. — den Plan: eine Reise Rahels nach Südfrankreich gemeinsam mit den Humboldts. Rahel kam aber erst 1800 nach Paris. — Wilhelm: unehelicher Sohn Burgsdorffs.
Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt
Rom, 19. Junius 1804
Es ist Dienstag, liebe Li, und ich habe heute Mittag Deinen Brief Nr. 13 bekommen. Deine Schilderung Burgörners ist himmlisch. Wie kannst Du aber sagen, liebes, teures Wesen, daß Du es in der Reihe der Jahre, die wir miteinander verlebt haben, doch wohl noch besser hättest machen können? Du mußt immer gesehen haben, wie ruhig, wie zufrieden, wie mit Dir und den Kleinen glücklich beschäftigt ich mit Dir gelebt habe. Du hast mir nie einen Kummer gemacht und mir so viele und so große Freuden geschenkt, die grö-ßeste durch Deine bloße Existenz neben und mit mir. Den meisten Menschen, auch den Männern, werden beim Heiraten die schönsten und zartesten Gefühle abgestumpft. Es gehört viel dazu, wenn die Alltäglichkeiten des Lebens nicht herabziehen, nicht gleichgültig machen sollen; besonders überleben ungeheuer selten die Frauen diese Epoche, und natürlich, weil sich ihre Lage mehr ändert und aus gänzlicher Freiheit und Muße in weit größere Geschäftigkeit übergeht. Darum muß ich wohl sagen, bin ich im ganzen dem Heiraten gar nicht sonderlich gut. Du bist Dir immer nicht nur so ganz und unendlich gleich geblieben, sondern Du hast aus jeder neuen Epoche des Lebens auch immer das Beste und Höchste geschöpft. Du hast in den mannigfaltigen Verhältnissen mit mir, mit den Kindern, nur tiefer ins Leben eingegriffen, alle Gefühle, möchte ich sagen, mit mehr gediegener Wirklichkeit umkleidet, aber alle in ihrer ursprünglichen idealen Reinheit und Höhe gelassen. Wir sind immer darin beide einander sehr ähnlich gewesen, daß wir uns immer nur ans Einfachste und Höchste im Leben gewandt haben, daß uns das Reinmenschliche über alles gegangen ist, und daß uns davon nichts abgewandt hat. Aber glaube mir sicherlich, wenn ich auf diesem Wege geblieben bin, ist es vor allem dadurch geschehen, daß ich Dich immer so ganz und allein darauf gesehen habe. Du glaubst es vielleicht nicht, wie viel mehr ich mich in jedem Augenblick mit Dir beschäftige als Du denkst, und immer bestätige ich mich in der festen und unerschütterlichen Oberzeugung, daß Du das reinste, einfachste und höchste menschliche Wesen bist, das ich je gesehen habe und je sehen werde. Auch hast Du nie einen gefunden, der Dir darin gleich gestanden hätte; die meisten, mit denen Du vertraut warst, Frauen und Männer, haben immer nur halb Dich erkannt, der wahre Schlüssel zu Deinem Wesen hat ihnen immer gefehlt. Auch meiner selbst würde ich darin nicht gewiß sein, wenn mich nicht das gewiß machte, daß mich immer jeder folgende Tag fester in der Meinung und Ansicht des vorigen bestärkt hat, daß ich in der ganzen Reihe der Zeiten, in denen ich Dich gekannt, vom ersten Mal in Burgörner an bis jetzt (wo Dich so auf einmal verglichen alle so unendlich verschieden glauben würden) Dich immer durchaus gleich gefunden, daß Du mir immer gleich einfach und groß in Deinen Ansichten, gleich wahr, milde und tief in Deinen Gefühlen, und ich kann es mit Wahrheit hinzusetzen, gleich ausdrucksvoll und reizend in Deiner äußern Gestalt erschienen bist. Denn Du bist immer ganz das gewesen, was Du in jedem Moment sein mußtest ....